Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
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Liebe Leserinnen und Leser,
im vergangenen Jahr konnte ich, unter dem Label der HomoSchmuddelNudeln, Spenden in Höhe von mehr als 10.000 Euro an karitative Einrichtungen weiterleiten. Daran sind die Autoren genauso wie ihr, die Leserinnen und Leser, schuld. Danke für eure Treue, vor allem im Namen der Organisationen, die die Spenden zielgerichtet und in voller Höhe an Bedürftige weitergeleitet oder für deren Unterstützung gesorgt haben.
Danke auch an alle Helfer im Hintergrund, insbesondere die fleißigen Korrektoren Aschure und Ginva sowie Katrin Wirth, die unermüdlich die Werbetrommel rührt.
So. Das war’s auch schon. Auf ein genauso erfolgreiches Jahr 2015 freut sich
Sissi Kaiserlos für die Nudeln
Januar 2015
PS: Ups! Natürlich geht der Erlös aus diesem Buch wieder in voller Höhe an gemeinnützige Vereine, aktuell an die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz e.V. in Berlin. Ihr seid großartig!
Klaus hatte Heiner immer rote Rosen am Valentinstag geschenkt. In diesem Jahr würde das nicht geschehen, das erste Mal nach langer Zeit. Kein Wunder, dass Heiner beim Anblick von Baccaras ein Kotzreiz plagt.
~ * ~
Zusammen mit Anette, einer Freundin, betrieb Heiner den Laden Blütenpomp inzwischen seit über 15 Jahren. Von dem Geschäft konnten sie beide gut leben, dank der fantastischen Lage und einiger Firmen, die regelmäßig üppige Buketts für ihre Büroräume bestellten. Normalerweise brauchte sonst nur einer von ihnen im Laden stehen, doch vor Feiertagen war so viel zu tun, dass sie beide Vollzeit beschäftigt waren. Gerade der Valentinstag machte aus den Kunden regelrechte Blumenjunkies, die ihnen auch noch die letzte Blüte zum doppelten Preis aus den Händen rissen. Nicht, dass Heiner etwas dagegen gehabt hätte. Geld konnte man nie genug haben und als Sicherheitsfanatiker pflegte er, seine Rücklagen in solchen Zeiten stets aufzustocken. Nein, das war es nicht, was ihn besonders am Valentinstag aufwühlte. Es war die verdammte Erinnerung an Klaus, diesen Scheißkerl.
Jedes Jahr an genau diesem Tag hatte Klaus ihm rote Rosen geschenkt und zuletzt waren es 10 Stück gewesen. Eine für jedes Jahr ihrer Beziehung. Vor 6 Monaten war der Arsch abends von der Arbeit gekommen, hatte lapidar erklärt, er hätte einen anderen und war noch am selben Tag ausgezogen. Für Heiner kam das wie aus heiterem Himmel. Es hatte nie ein Anzeichen von Untreue gegeben, zudem liebte er Klaus immer noch. Jegliche Versuche, mit seinem Ex zu reden, schlugen fehl. Klaus blockte ihn stets ab, nahm seine Anrufe nicht an und Heiner wusste nicht einmal, wo der Mistkerl untergekommen war. Mehrmals lauerte er ihm nach der Arbeit auf, doch sobald Klaus ihn entdeckte, machte er kehrt. Schließlich gab Heiner auf, auch wenn sein Herz dabei zerbrach.
Lange grübelte er über Klaus‘ Beweggründe nach und suchte nach Anzeichen, die er übersehen haben könnte. Da war diese Firmenveranstaltung, ungefähr sechs Wochen vor dem Schlussstrich. Klaus musste mit den Kollegen zwecks Teambuilding-Maßnahmen ein Wochenende an der Ostsee verbringen. Vor der Abreise hatte er noch gelästert, wie ätzend er das fand. Als er von dem Trip zurückkehrte, lag er erst mal eine Woche mit Magen-Darm-Grippe im Bett. Danach, das erinnerte Heiner nun, war er stiller als gewöhnlich gewesen. Damals hatte Heiner das den Nachwirkungen der schweren Erkältung zugeschrieben, genau wie Klaus‘ fehlende Libido. Genau genommen waren sie nach dem besagten Wochenende nie wieder intim gewesen.
Alles zusammen ergab für ihn folgenden Rückschluss: Klaus musste sich auf der Firmenreise verliebt haben, hatte danach sein Verhältnis gepflegt und sich schließlich für den anderen entschieden. Mit dieser Erklärung konnte er leben, auch wenn sie verdammt wehtat. Gegen Gefühle konnte man sich eben nicht wehren. Was er Klaus jedoch richtig übel nahm war, dass sie sich nie richtig ausgesprochen hatten. Die 10 gemeinsamen Jahre einfach so wegzuwerfen war unverzeihlich.
„Heiner? Hast du die verfickten Baccararosen gesehen?“, ertönte Anettes Stimme aus dem Kühlraum. Seine Teilhaberin konnte manchmal etwas drastisch werden, wenn’s im Laden hoch herging.
„Die stehen hier, vor meinem Tisch.“ Heiner schob mit dem Fuß den Eimer mit den gesuchten Rosen etwas zur Seite, damit Anette sie besser finden konnte.
„Puh! Dachte schon, die wären geklaut worden. Dieser verkackte Valentinstag macht die Leute verrückt.“
„Ts. Reiß dich zusammen. Noch mehr Fäkalsprache und hier fängt’s an zu stinken.“ Grinsend wickelte Heiner ein Band um die Stiele des Straußes, den er gerade fertig gebunden hatte.
„Stell dich nicht so an.“ Anette buffte ihn in die Seite. „Ich krieg langsam einen Kotzreiz beim Anblick von Rosen. Nächste Woche herrscht hier absolutes Rote-Rosen-Verbot.“
„Klar.“ Heiner lachte, stellte das Bukett in eine Vase und wandte sich der nächsten Bestellung zu.
Das mit dem Kotzreiz konnte er nachvollziehen. Seit Klaus‘ Weggang ertrug er den Anblick der roten Blüten auch nur schwer. Heiners Blick wanderte zu der großen Uhr, die über dem Verkaufstresen hing. Noch eine halbe Stunde, dann konnten sie schließen. Morgen, am Valentinstag, würden sie ausnahmsweise auch sonntags den Laden öffnen. Die ganzen bestellten Sträuße wurden dann abgeholt, außerdem kamen bestimmt noch viele Kunden, die auf den letzten Drücker ein paar Blumen brauchten. Der Kühlraum quoll über vor Blüten, Zweigen und hübschem Beiwerk, daher waren sie gerüstet.
Eine Viertelstunde später, Heiner hatte gerade einen weiteren Strauß fertiggestellt, läutete die Türglocke. Er sah über die Schulter, hatte schon einen freundlichen Gruß auf den Lippen, brachte aber keinen Ton hervor. Klaus?
„Hallo Heiner. Ich würde gern einen Strauß für morgen bestellen. Geht das noch?“
Heiner merkte, dass er wie angewurzelt dastand, wandte den Blick zurück auf das Blumenbukett und musste sich kurz sammeln. „Anette? Kannst du mal bitte kommen?“ Er krächzte, als hätte er Halsschmerzen.
„Mooooment“, rief Anette vom Hinterzimmer. „Bin sofort da.“
Der Laden bestand aus zwei Räumen, einer Kühlkammer, einer Teeküche und Toilette. Wenn viel los war, zweckentfremdeten sie das hintere Zimmer, das eigentlich als Büro diente, zum Lager und Binderaum.
„Was ist denn? Ach! Was willst du denn hier?“ Anette stemmte die Hände in die Seiten und blitzte Klaus an.
Natürlich wusste sie von der Sache. Sie war Heiners beste Freundin und in den schweren Tagen und Wochen nach Klaus‘ Weggang eine große Hilfe gewesen. Ohne sie wäre er verloren gewesen und hätte sich vielleicht sogar etwas angetan.
„Ich bin ein Kunde, wie jeder andere auch.“
Heiner wandte Klaus weiterhin den Rücken zu und tat beschäftigt, daher konnte er dessen Miene nicht sehen. Der Tonlage nach, zog er gerade die Augenbrauen zusammen und guckte grimmig.
„Das sehe ich anders. Verpiss dich, du Arschloch! Weißt du überhaupt, wie dreckig es Heiner ging? Hau ab und wag es nicht, je wieder einen Fuß in den Laden zu setzen, sonst schneide ich dir die Eier ab und stopf sie dir …“ „Anette!“ Nun schoss sie doch etwas übers Ziel hinaus. Heiner drehte sich um, wies sie mit einem Kopfschütteln und bösen Blick in ihre Schranken und richtete seine Aufmerksamkeit auf Klaus.
„Warum gehst du nicht in einen anderen Blumenladen?“, fragte er so höflich wie es ihm möglich war.
Klaus sah, auf Deutsch gesagt, scheiße aus. Die Wangen waren eingefallen, scharfe Falten hatten sich um seinen Mund eingegraben. Er wirkte blass und verhärmt, als würde er wegen etwas leiden. Ein Todesfall? Oder hatte sein Lover ihn rausgeworfen? Unweigerlich empfand Heiner perfide Genugtuung bei dem Gedanken.
„Du machst die schönsten Sträuße.“ Klaus‘ einer Mundwinkel zuckte kurz hoch.
Anette schnaubte abfällig und verschwand wieder im Hinterzimmer.
Heiner wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Obwohl Klaus so schlecht aussah, war er für ihn immer noch der Traummann schlechthin. Wahrscheinlich, weil er den Mann hinter der Fassade kannte, wusste, wie liebevoll und sensibel der eigentlich war. Selbst das schäbige Verhalten von damals änderte daran nichts. Er war wirklich nicht heilbar und hatte immer noch Gefühle für den Kerl.
„Sag mir, welche Blumen du haben möchtest, dann kannst du den Strauß morgen abholen. Heute schaffe ich das nicht mehr.“
„Rote Rosen. 50 Stück“, antwortete Klaus, wie aus der Pistole geschossen.
„50? Also … Muss gucken, ob ich so viele da habe.“ Hatte Klaus sich einen Tattergreis geangelt? Oder wofür stand die Anzahl der Blumen? Heiner begab sich in die Kühlkammer, holte einen Eimer mit langstieligen Rosen heraus und begann zu zählen. „47.“ Er zuckte bedauernd mit den Schultern. „Das ist die Sorte, von der ich am meisten vorrätig habe.“
„Die nehme ich. Und eine schwarze Rose.“ Klaus wies auf ein Bündel tiefdunkelroter Rosen, deren Blüten von einem bläulich-schwarzen Schimmer überzogen waren.
„Der Kunde ist König“, murmelte Heiner, während er eine der schwarzen Schönheiten zu den anderen steckte.
„Nicht zu viel Grünzeug. Mein … Freund mag es nicht, wenn da so viel Fremdgrün zwischen den Blumen steckt.“
Ach? Hatte Klaus‘ Neuer die gleiche Vorliebe wie er, Heiner? „Willst du gleich bezahlen oder erst morgen?“
„Gleich!“ Klaus zog seine Börse hervor, näherte sich dem Tresen und wartete geduldig, bis er sich hinter die Kasse gestellt hatte.
Mit zitternden Fingern tippte Heiner die Zahlen in die Tasten. Das Ergebnis schockierte ihn, obwohl er es zuvor im Kopf überschlagen hatte. „Das macht 116,80 Euro.“ Nervös leckte er sich über die Lippen, schaute auf und ertappte Klaus dabei, dass der ihn anstarrte. „Willst du vielleicht lieber weniger Rosen verschenken?“
„Nein. Das ist okay.“ Klaus zupfte ein paar Scheine aus der Börse und legte sie neben die Kasse. „Stimmt so. Lieferst du immer noch?“
„Ja. Wohin?“ Eilfertig griff Heiner nach einem Schreiber und Block.
„Dieser Brief soll mit den Rosen geliefert werden.“ Klaus holte einen Umschlag aus der Tasche und legte ihn zu den Geldscheinen. „Die Anschrift ist: Schillerstraße 18. Heiner Müller.“
Der Stift rutschte aus Heiners Hand. Mit offenem Mund glotzte er seinen Ex an und spürte, wie in seiner Kehle erneut ein Frosch wuchs. Die verdammten Rosen waren für ihn?
„Will deine verschissenen Blumen nicht“, würgte er hervor, schob Klaus die verfickten Scheine rüber und wünschte, der Boden würden den Scheißkerl verschlingen.
„Ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihst.“ Trauer überschattete Klaus‘ Blick. „Obwohl, ich kann es selbst nicht, wie solltest du es können. Schönen Valentinstag.“ Brüsk drehte er sich um, schritt auf die Ladentür zu und war im nächsten Augenblick verschwunden. Die Glocke an der Tür bimmelte, als wenn sie dem fulminanten Abgang Beifall zollen wollte.
„Ist die Luft rein?“ Anette linste um die Ecke. „Heiner? Alles klar mit dir?“ Sie kam langsam näher. „Wow! Der Kerl hat ne Meise“, stellte sie in Anbetracht der Banknoten fest. „Nun ist der Arsch auch noch irregeworden Hast du rausfinden können, für wen die Rosen sind?“
„Nun tu nicht so. Ich weiß, dass du gelauscht hast. Und hier, der Brief.“ Er reichte Anette das Kuvert. „Lies ihn bitte für mich. Ich kann das nicht.“
Seine Freundin grabschte nach dem Umschlag, fetzte ihn auf und zog einen Bogen hervor. „Lieber Heiner …“, begann sie. „Nicht vorlesen! Lies ihn und sag mir hinterher, ob ich ihn gleich wegwerfen soll.“
„Ooookay.“ Anette vertiefte sich in das Schreiben, seufzte dabei ein paar Mal und faltete es schließlich mit nahezu andächtiger Miene zusammen. „Kein großer Dichter, aber ergreifend. Lies ihn nachher in Ruhe. Vielleicht solltet ihr miteinander reden.“ Sie reichte ihm Schreiben und Kuvert. „Worte können ein Brücke sein“, summte sie, wobei sie zur Ladentür tänzelte und abschloss.
„Sex kann ein Brücke sein“, korrigierte Heiner, stopfte das Papier in seine Hosentasche und ging zum Arbeitstisch. Der Strauß für ihn selbst war der letzte für heute. Morgen waren noch ein paar Bestellungen abzuarbeiten, die aber erst mittags abgeholt werden sollten. Versonnen begann er die Stiele aus dem Eimer zu nehmen und so zu arrangieren, wie er es liebte. Die schwarze Rose bildete dabei das Zentrum.
~ * ~
Einige Stunden später saß er im Bademantel auf der Couch. Vor ihm, auf dem niedrigen Tisch, dampfte ein Becher grünen Tees, neben der bauchigen Vase mit den Rosen. Die schwarze Blüte bildete einen reizvollen Kontrast zu den hellroten Blättern der übrigen. Auf Grün hatte Heiner weitestgehend verzichtet, es hätte den Rahmen bei dieser Menge an Blumen ohnehin gesprengt. Nachdenklich betrachtete er den Briefbogen, den er nachlässig neben sich aufs Sofa geworfen hatte. Wenn Anette schon meinte, er solle das Zeug lesen, musste etwas dran sein. Dennoch schauderte ihn leicht, als er nach dem Papier griff und es mit spitzen Fingern auseinanderbreitete. Die Angst etwas zu lesen, was ihn erneut in ein schwarzes Loch trieb, war riesengroß.
„Lieber Heiner, wie an jedem Valentinstag möchte ich dir rote Rosen schenken. Sonst habe ich dir für jedes Jahr, in dem wir glücklich waren, eine Rose geschenkt. Diesmal bekommst du 50 rote Rosen und eine schwarze. Wofür die schwarze Blüte steht, kannst du dir vielleicht denken: Für meinen Verrat an uns und den Schmerz, den ich dir zugefügt habe.
Die Restlichen stehen für die Jahre, die wir hätten miteinander verbringen können, wenn ich nicht so unsäglich dumm gewesen wäre. Wahrscheinlich ist es zu spät, dich um Verzeihung zu bitten, ich tue es dennoch. Deine Vergebung würde es leichter machen, die ganzen Jahre, die ich nun ohne dich sein werde, irgendwie zu ertragen. Oh Gott! Ich klinge wie ein Schnulzenschreiber. Tut mir leid.
Ich habe dich nicht wegen eines anderen verlassen, aber das ist heute nicht mehr wichtig. Ich habe dich verlassen und damit verletzt, nur das zählt. Ich bin egoistisch, niederträchtig und ein Trottel. Es gibt Dinge, die man nicht reparieren kann und dazu zählt dein Vertrauen, das du mir immer so großzügig geschenkt hast. Ich wünsche dir, dass du einen Mann findest, der es verdient.
Vielleicht hast du die Rosen weggeworfen, vielleicht sitzt du gerade vor dem Strauß und denkst an mich.
Das hier ist der zehnte Versuch, trotzdem stocke ich immer wieder an dieser Stelle. Was soll ich sagen? Ich hab nie aufgehört dich zu lieben.
Dein Klaus.“
In Heiners Augen schwammen Tränen, als er das Papier sinken ließ. Was wollte Klaus damit sagen, dass er ihn nicht wegen eines anderen verlassen hatte? Wieso hatte er Schluss gemacht? Aus einem Impuls heraus, zerknüllte Heiner den Brief und pfefferte ihn auf den Boden, nur, um gleich darauf reuig danach zu greifen und den Bogen wieder zu glätten. Salziges Nass tropfte auf das Papier, ließ die Schrift verschwimmen. Klaus hatte einen Füller benutzt. Heiner erinnerte sich, wie sehr Klaus dieses altmodische Schreibgerät liebte. Er erinnerte sich gerade an so viele liebenswerte Dinge, dass ihn ein Schluchzer durchschüttelte. Am liebsten hätte er den Mistkerl angerufen und für diese Scheiße hier zusammengestaucht. Wieso musste der Arsch in einer alten Wunde herumwühlen?
Einige Schlucke Tee später wurde Heiner ruhiger. Immer wieder las er den Brief durch, dabei gab es inzwischen einige Lieblingspassagen. Vor allem den letzten Satz mochte er sehr. Klaus liebte ihn noch? In dieser Nacht lag unter seinem Kopfkissen Papier, das jedes Mal, wenn er sich umdrehte, verheißungsvoll raschelte.
~ * ~
Der nächste Morgen begann für Heiner so stressig, dass er erstmal gar nicht dazu kam an Klaus zu denken. Kaum stand er im Laden, rannten ihm die Kunden die Tür ein. Wenn Anette nicht dafür gesorgt hätte, dass die letzten bestellten Sträuße gegen Mittag parat lagen, wäre er gnadenlos untergegangen. Erschöpft saßen sie um kurz nach zwei im Hinterzimmer und tranken zusammen Kaffee. Die Ruhe währte mal gerade zehn Minuten, dann ertönte auch schon wieder die Türglocke.
„Ich gehe schon“, meinte Anette seufzend, stand schwerfällig auf und trottete aus dem Raum. „Deine Visage ist gefragt“, erklärte sie, als sie gleich darauf zurückkehrte und sich wieder auf einen Stuhl plumpsen ließ. „Es ist Klaus.“ Sie griff nach ihrem Becher.
Klaus stand mit dem Rücken zu ihm, sah durch das Schaufenster und hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben. Draußen trieben graue Wolken über den Himmel, nur vereinzelt fiel ein Sonnenstrahl durch eine Lücke.
„Was willst du schon wieder hier?“ Heiner blieb gleich hinter dem Tresen stehen, die Finger krampfhaft miteinander verflochten. Nun, da er wusste, dass Klaus noch etwas empfand, hätte er sich am liebsten auf ihn gestürzt und die Wahrheit aus ihm rausgeschüttelt.
„Ich musste einfach herkommen und dich sehen.“ Langsam drehte Klaus sich um, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen.
„Wieso hast du mich …“ Die Ladentür flog auf und ein Kunde stürmte herein, daher verschluckte Heiner den Rest seiner Frage. Während der folgenden Minuten war er vollauf damit beschäftigt, den Herrn mittleren Alters zu bedienen. Dass Klaus ihn dabei beobachtete, war ihm überdeutlich bewusst. Als der Mann zufrieden das Geschäft mit einem riesigen Blumenbukett verlassen hatte, warf Heiner einen Blick auf die Uhr und seufzte. „Noch eine halbe Stunde, dann schließen wir. Wollen wir irgendwo einen Kaffee trinken?“
„Ich … ja, gern.“
Bevor Heiner darauf antworten konnte, erschien neue Kundschaft. „Du kannst im Hinterzimmer warten, bis ich fertig bin.“ Natürlich hätte er auch seine Freundin in den Laden rufen können, wusste aber, dass ihr die Füße wehtaten. Außerdem wollte er sich ungestört mit Klaus unterhalten, nicht zwischen Tür und Angel.
„Anette wird mich beißen.“ Klaus setzte eine ängstliche Miene auf, ging aber brav nach hinten.
Nachdem Heiner den Kunden zufriedengestellt hatte, schnappte er sich einen Besen und begann sauberzumachen. Um fünf vor drei betrat ein junger Mann den Laden und ließ sich eine Baccararose mit etwas Grün aufbinden. Hinter dem Typ schloss Heiner ab. „Feierabend!“
„Yeah! Eine Woche rosenfreie Zone“, rief Anette, kam aus dem Hinterzimmer geschlendert und griff nach einem Eimer Strelitzien.
„Kann ich irgendwie helfen?“ Klaus stand im Türrahmen des Hinterzimmers. Seine Jacke hatte er abgelegt und war gerade dabei, die Pulloverärmel hochzuschieben.
„Klar. Mach mal den Kühlraum auf und hilf mir mit den Scheißeimern.“
„Eine Woche fäkalwortfreie Zone“, murmelte Heiner, schüttelte den Kopf und begann wieder zu fegen.
Dank Klaus‘ Hilfe war der Laden schnell aufgeräumt. Anette schlüpfte in ihre Winterjacke, gab Heiner einen Kuss auf die Wange und drohte Klaus mit dem Zeigefinger. „Wenn du Heiner wieder wehtust, sperre ich dich nackt in den Kühlraum.“ An Heiner gewandt flötete sie: „Denk dran: Reden ist Gold, Schweigen ist Silber.“
„Ja, Mama.“ Er streckte ihr die Zunge heraus.
„Mama erzählt dir gleich was.“ Grummelnd schlurfte Anette durch den Verkaufsraum, schloss die Tür auf und war im nächsten Moment verschwunden.
Einen Augenblick herrschte Stille. Heiner atmete tief durch, sah Klaus an und sagte leise: „Wir können zu mir gehen. Ich könnte uns einen Tee kochen.“
„Du musst dich nicht wegen der Blumen genötigt fühlen. Ich wollte dir einfach nur eine Freude bereiten.“
„Was willst du eigentlich? Erst schreibst du mir einen Brief, in dem du von Liebe redest, dann blockst du ab. Ich bin doch kein Spielzeug.“ Verärgert runzelte Heiner die Stirn.
„Entschuldige. Gut. Lass uns zu dir gehen.“ Klaus wurde plötzlich überaus ernst. Er zog seine Jacke über und wartete, bis auch Heiner fertig angezogen war. Hintereinander verließen sie den Laden.
Es waren nur zehn Minuten Fußweg bis zu Heiners, beziehungsweise ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung. Er hatte nach der Trennung nichts verändert, auch wenn viele der Möbelstücke ursprünglich Klaus gehörten. Vielleicht war das ein Ausdruck seiner immer noch währenden Liebe, vielleicht auch nur schlicht Faulheit.
Nachdem er Klaus in den Flur gelassen hatte, ging er in die Küche und stellte Wasser für Tee auf. „Geh schon ins Wohnzimmer“, rief er über die Schulter. „Du kennst dich ja aus.“
Als er kurz darauf mit einem Tablett den Raum betrat, hockte Klaus auf der Couch. Die Finger ineinander verschränkt und zwischen die Knie geklemmt, wirkte er wie ein reuiger Sünder. „Du hast meine Sachen nicht weggeworfen.“ Erstaunen schwang in seiner Stimme mit.
„Ich hatte immer gedacht, dass du sie irgendwann holst.“ Das war nicht einmal gelogen. Heiner hatte natürlich insgeheim gehofft, dass sich irgendwann doch noch eine Möglichkeit für ein Gespräch ergeben würde und sei es beim Abholen der Möbel. Er reichte Klaus einen Becher, setzte sich neben ihn und löffelte Zucker in seinen Tee. Während er umrührte, ließ er den Blick durchs Zimmer schweifen. „Allerdings wäre es hier verdammt leer ohne dein Zeug.“
„Hab eh keinen Platz für die Sachen. Ich wohne möbliert.“
„Wie jetzt? Ich dachte, du wohnst bei deinem neuen Stecher.“ Heiner hielt mit dem Rühren erstaunt inne.
„Es gibt keinen neuen Stecher. Ich … das war ein Vorwand.“ Klaus ließ den Kopf hängen. „Ich dachte, mir würde es mit der Lüge besser gehen. Tut es aber nicht.“
Heiner riss der Geduldsfaden. „Nun hör, verdammt noch mal, auf, um den heißen Brei herumzureden“, fuhr er Klaus, der erschrocken zusammenzuckte, an. „Was ist damals passiert?“
„Ich … ich war doch in Frankfurt, bei diesem Teambuildingseminar, da ist es passiert.“
„Was? Bist du fremdgegangen?“
Klaus nickte mit gesenktem Blick. „Wir waren in einer Kneipe und haben gesoffen. Ich bin noch weitergezogen. Hatte mich vorher schlau gemacht, wo man hingehen kann. Als wenn ich es geplant hätte.“ Er schniefte. „Da war dieser braune Kerl. Süß, nett und bereit. Du weißt ja, dass ich immer mal mit einem Mulatten … Jedenfalls …“ Klaus holte tief Luft, schaute hoch und leckte sich nervös über die Lippen. „Du hattest so wenig Zeit für mich und ständig keine Lust. Ich war so ausgehungert, dass ich … dass ich mit dem Mann gegangen bin. Das ist keine Entschuldigung, genauso wenig, dass ich ziemlich betrunken war.“
Heiner nickte grimmig. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Er erinnerte sich, dass er damals wirklich viel gearbeitet hatte. Anette musste eine Auszeit nehmen, um sich eine Weile intensiver um ihre Kinder zu kümmern. Die Frau, die sonst nachmittags Hausaufgabenbetreuung leistete, war für eine Weile ausgefallen. Drei Monate hatte er den Laden allein geschmissen und war abends so ausgepowert, dass er einfach nur noch seine Ruhe haben wollte. Sechs Tage die Woche über 10 Stunden im Geschäft zehrte an seinen Kräften. Nun fiel ihm auch ein, dass Klaus mehrfach gefragt hatte, wieso er keine Aushilfe einstellte. Sein Geiz war der Grund gewesen, was mehrfach zu Streit führte.
„Also hast du den Mulatten gefickt. Oder er dich?“ Er klang nüchtern, obwohl sein Inneres vor Anspannung vibrierte.
„Ich war so geil, dass ich … Ich begreif’s bis heute nicht, wie ich ohne Gummi … Hinterher war ich stocknüchtern. Bin gleich in die nächste Notfallaufnahme. Der Typ hat zwar beteuert, dass er safe ist, aber das kann ja jeder sagen. Ich hatte solche Angst!“ Um Verständnis heischend sah Klaus ihn an. „Die haben mir nach langer Diskussion eine PEP-Therapie verschrieben. Mir ging’s die erste Woche so beschissen und ich war froh, dass du mir das mit der Grippe abgekauft hast. Aber danach …“
Eine Pause trat ein. Klaus hatte den Blick wieder niedergeschlagen und räusperte sich mehrfach, bevor er endlich fortfuhr: „Danach wurde mein Gewissen immer schlechter. Ich wusste doch nicht, ob ich das verdammte Virus in mir trage. Ich konnte doch schlecht von dir verlangen, dass wir wieder Gummis benutzen. Dann wäre ohnehin alles rausgekommen. Ich hab mich immer elender gefühlt und wusste nicht, was ich tun sollte.“
„Und dann machst du lieber mit mir Schluss, anstatt mit mir zu reden?“ Ungläubig schüttelte Heiner den Kopf. „Wir waren zehn Jahre ein Paar, da sollte man doch …“ Ihm gingen die Worte aus.
„Ich weiß, aber wir waren uns zu dem Zeitpunkt nicht besonders nahe. Haben ja kaum miteinander gesprochen. Ich hab jeden Tag gezittert, dass du Sex willst, war gleichzeitig enttäuscht, wenn du dich einfach umgedreht hast und eingeschlafen bist. Es war die Hölle. Am Ende musste ich nur noch hier raus, sonst wäre ich durchgedreht.“
„Du merkst aber schon, dass du ganz schönen Müll redest? Meinst du, ich hätte dir den Kopf abgerissen? Dich rausgeworfen? Mensch! Wir waren 10 Jahre zusammen. 10 Jahre! Weißt du eigentlich, wie erbärmlich deine verschissenen Begründungen sind?“
Klaus nickte. Als er hochsah, entdeckte Heiner eine nasse Spur auf seiner Wange. „Ich weiß.“
„Und was ist nun? Bist du HIV-positiv?“
„Nein. Alle Tests waren negativ.“
„Alle? Wie viele hast du denn machen lassen?“
„Drei bisher.“ Mit einer unwirschen Handbewegung wischte Klaus die Tränen weg. „Angst hab ich trotzdem noch.“
„Du bist so ein Arschloch! Wo ist der tolle Mann hin, den ich geliebt habe? Du bist ein Jammerlappen und führst dich dümmer auf, als … als …“ Heiner schnaubte abfällig. „Als ein hirntoter Vollidiot!“
„Es tut mir leid.“ Langsam stemmte Klaus sich vom Sofa hoch, als wäre er uralt und müde. „Alles tut mir leid.“
Heiner hielt den Mistkerl nicht auf. Es gab einiges zu verdauen und er wusste im Moment nicht, ob er dazu überhaupt je in der Lage sein würde.
Auch in dieser Nacht knisterte das Papier unter seinem Kopfkissen, wenn er sich herumwälzte. Es knisterte häufig und weniger verheißungsvoll, als am vergangenen Tag.
~ * ~
„Oh Mann! Was für ein Hirni!“ Anette seufzte, schlug die Beine übereinander und nippte an ihrem Kaffee.
Eigentlich hatte sie montags frei, war aber mittags einfach reingeschneit. Heiner schrieb es der Neugierde zu, die eine von Anettes ausgeprägtesten Charaktereigenschaften darstellte, neben ihrer Vorliebe für Kraftausdrücke.
„Ich kann nicht begreifen, dass er das alles verheimlicht hat. Ich meine … da lebt man zehn verschissene … Oh Gott! Jetzt fang ich auch schon an wie du zu reden.“ Heiner musste grinsen, obwohl ihm gar nicht danach war. „Da lebt man zehn Jahre mit einem Menschen zusammen und kennt ihn gar nicht.“
„Wem sagst du das? Glaubst du, ich kenne meinen Mann?“ Anette lachte wiehernd. „Ist wohl auch besser so. Manchmal glaube ich, in seinem Kopf ist nichts los.“
„Immerhin hat er dir zwei Kinder verpasst.“
„Dafür muss man keinen Grips haben, Zuckerhase. Außerdem … Mark ist nicht von ihm.“ Anette war immer wieder dafür gut, dass es Heiner die Sprache verschlug. Er glotzte sie einen Moment an, wusste nicht, ob er lachen oder schimpfen sollte. „Guck nicht so. Denkst du, ich war schon immer so eine Plumpskuh wie jetzt?“
Was genau Anette unter einer Plumpskuh verstand, wollte Heiner lieber nicht erörtern. In seinen Augen war sie genau richtig und dazu ein prima Kumpel. Das Läuten der Türglocke kündigte Kundschaft an. Als er einige Minuten später ins Hinterzimmer zurückkehrte, hatte Anette die Füße auf den Tisch gelegt und studierte die Decke.
„Um mal auf deinen Klaus zurückzukommen: Der wollte also unbedingt mal einen Halbschwarzen vögeln?“
„Nimm die Füße vom Tisch.“ Heiner ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Aus Spaß haben wir manchmal über Schwanzgrößen philosophiert und da hat er immer gemeint, dass er mal einen schwarzen Schwanz anfassen möchte.“
„Hmmm.“ Betont langsam zog Anette erst einen, dann den anderen Fuß von der Tischfläche. „Die sind auch nicht anders, als die käseweißen Schniepel. Glaub mir.“
So etwas nannte sich dann wohl Überinformation. Heiner rümpfte die Nase. „Klapp mal dein Nähkästchen wieder zu.“
„Zimperliese.“
„Schlampe.“ Er feixte.
„Nun lenk nicht ab. Hast du mal überlegt, wie sich das anfühlt? Ganz allein in einer fremden Stadt und vielleicht mit so einem verdammten Virus am Arsch?“
„Ja, hab ich. Bestimmt ziemlich mies.“
„Außerdem musst du zugeben, dass du ein verdammter Esel warst, den Laden allein schmeißen zu wollen. Echt! Ich hab dir tausendmal gesagt, dass du eine Aushilfe einstellen sollst. Aber was macht Herr Müller?“ Sie verdrehte die Augen. „Arbeitet sich den Arsch wund, dabei geht seine Beziehung fast hops.“
„Hey! Nun bin ich also schuld.“ Anette schwieg eine Weile, inspizierte ihre Fingernägel, entdeckte einen Fussel auf ihrem Pulli und machte Heiner damit ganz kribbelig. Er wusste, was sie bezwecken wollte und – verdammt! – plötzlich fühlte er sich wirklich schuldig. „Okay, es lag vielleicht ein klitzekleines bisschen auch an mir“, räumte er ein.
„Und nun stell dir vor, du hättest dieses Scheißvirus am Hintern und zugleich Angst, dass dein Partner dich nicht mehr liebt. Was hättest du getan?“
Die Frage hatte Heiner sich auch schon gestellt, jedoch ohne Ergebnis. Er liebte Klaus und hatte das – seines Wissens – immer wieder gesagt. Oder? „Das ist jetzt an den Haaren herbeigezogen.“
„Pft! Ach, egal. Wie geht’s weiter mit euch?“
„Gar nicht. Ich bin stinksauer, traurig und immer, wenn ich an Klaus und diesen Typen denke, wird mir übel.“
„Aber er hat dich noch nie betrogen. Zehn verfickte Jahre lang.“
„Ja-ha! Das weiß ich. Trotzdem lässt sich der Schaden nicht reparieren.“ Heiner sprang auf, holte sich frischen Kaffee und nahm wieder Platz. „Er hat mich betrogen, belogen und mir wehgetan. Das ist nun mal so.“
„Gna-gna-gna.“
„Was soll das denn wieder heißen?“
„Dass du dich anhörst wie ein kaputte Schallplatte. Geh zu ihm, lass dich ordentlich durchvögeln und steh dazu, dass du ihn liebst. Nützt doch nix, Trübsal zu blasen, nur weil dein Stolz …“ „Mein Stolz hat damit gar nichts zu tun!“, brauste Heiner auf.
Anette tat, als hätte sie ihn nicht gehört. „… verletzt ist. Du bist traurig ohne ihn und basta! Geh zu Klaus, küss ihm das Gehirn aus dem Schädel und dann ab in die Kiste!“
„Klingt nach einem Plan.“ Heiners Stimme troff vor Ironie. „Wenn ich dich nicht hätte …“
„Nicht wahr?“ Anette stand auf, griff nach ihrer Jacke und wuschelte ihm im Vorbeigehen durchs Haar. „Pack die Sache an. Ich will einen detaillierten Bericht.“
„Mit oder ohne Fotos?“, rief Heiner ihr hinterher.
„Mi-hit natürlich.“ Die Türglocke schepperte, wie immer, wenn Anette die Ladentür mit Schwung aufriss.
Heiner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, packte die Füße auf den Tisch und schloss die Augen. Bei Anette hörte sich alles so einfach an. Er konnte Klaus doch nicht einfach küssen und … Hmmm … Wieso eigentlich nicht? Die Wurzel allen Übels schien doch genau darin zu liegen, dass sie einander zu wenig Zuneigung gezeigt hatten. Wenn es körperlich zwischen ihnen noch klappte, würde der Rest wieder wachsen. Immerhin liebte Klaus ihn und er liebte Klaus. Eigentlich eine grandiose Voraussetzung.
An diesem Tag beeilte er sich besonders, den Laden nach Feierabend aufzuräumen. Dienstags hatte Anette Dienst, daher stand ihm die ganze Nacht zur Verfügung, um den Plan auszuführen. Als erstes musste er zu Klaus. Ups! Er wusste immer noch nicht, wo der vermaledeite Kerl wohnte, also zog er sein Smartphone aus der Tasche und wählte Klaus‘ Nummer.
„Heiner?“ Das klang total verzagt.
„Mhm. Ich möchte dich sehen. Kommst du zu mir? Jetzt gleich?“
„Ich … willst du mich wieder rauswerfen, oder wozu?“
„DU bist gegangen. Freiwillig.“
„Stimmt. Tut mir leid.“
Oh Mann! Wenn Klaus sich noch einmal entschuldigte, würde Heiner ihn lynchen! „Pass mal auf, du Schlappnase. Du packst jetzt sofort deinen feigen Hintern in deinen schmucken Wagen und kommst her. Verstanden?“
„Verstanden.“
Na, das klang doch schon etwas weniger dünn. Heiner warf das Handy auf den Küchentisch, schmierte sich rasch ein Brot und überlegte beim Essen, wie er vorgehen wollte. Als erstes musste das Bett frisch bezogen, danach das Gleitgel bereitgestellt werden. Ein kurzer Duschgang stand als nächstes auf dem Programm, dann tauchte die Kleidungsfrage auf.
Er stand noch nackig vor dem Schrank, als es läutete, also mussten eine schlabbrige Jogginghose und ein T-Shirt reichen. Klaus mochte die Hose sowieso am liebsten, hatte er mal erklärt, weil sie so schön tief auf seinen Hüften hing. Heiner lief in den Flur, betätigte den Türöffner und guckte durch den Spion. Die Unsicherheit stand Klaus ins Gesicht geschrieben, als er kurz darauf auf dem Treppenabsatz auftauchte. Es wurde Zeit, dass Heiner sie wegküsste und sie neu anfangen konnten. Selbstverständlich nur wenn Klaus wollte.
Er riss die Tür auf. „Komm rein.“
„Toll siehst du aus.“ In Klaus‘ Augen blitzte Bewunderung auf, oder war es Begehren?
„Nur für dich“, schnurrte Heiner, ließ Klaus vorbei und schloss die Tür. „Zieh dich aus.“
„Öhm? Also … das geht ein bisschen schnell.“
„Jacke, Schuhe“, präzisierte er. „Vorläufig.“ Heiner spürte, wie seine Mundwinkel hochwanderten. Er fühlte sich unglaublich lebendig, wie schon ewig nicht mehr. „Sag mal … hättest du Interesse wieder mein Mann zu sein?“
Klaus, der gerade aus seinen Schuhen schlüpfte, erstarrte in der Bewegung. „Dein … Mann?“
„Na ja, mein Partner eben.“
„Ja! Ja-ja-ja!“ Vor Aufregung geriet Klaus ins Straucheln, kippte gegen die Kommode und fing sich ihm letzten Moment. „Ich lieb dich so!“ Im nächsten Moment wurde Heiner so heftig umarmt, dass ihm die Luft wegblieb. „Liebdichso“, nuschelte Klaus immer wieder, wobei er Küsse auf Heiners Ohrmuschel regnen ließ.
„Nur eine Frage.“ Er packte Klaus‘ Wangen und sah ihm in die Augen. „Muss ich mich zukünftig mit brauner Schuhcreme einschmieren, damit du scharf auf mich bist?“
Kurz glomm Unverständnis in Klaus‘ Blick, dann begriff er und begann zu lächeln. „Niemals! Ich mag deine helle Haut. Ich mag alles an dir. Ich wollte immer nur dich.“
„Prima. Dann können wir jetzt ja Liebe machen, bis sich die Balken biegen.“
„Müssen wir nicht erst reden und so?“
„Reden ist Silber, Stöhnen ist Gold. Ich will dich endlich wieder riechen, schmecken und fühlen.“ Heiners Stimme wurde mit jedem Wort rauer. Der weiche Stoff der Jogginghose verbarg nichts und wölbte sich immer mehr nach vorn.
Nur wenige Minuten später lag er auf dem Bett, Klaus über ihm. Heiners Hände glitten gierig über feste Muskelstränge. Die wachsende Anspannung darin war deutlich zu spüren. Ihre Lippen waren zu einem Kuss verschmolzen, ihre Körper fest aneinandergepresst. Klaus‘ lange vermisster Duft drang bis in Heiners Gehirn vor, machte ihm klar, dass das Wunder gerade geschah. Seine große Liebe war wieder da, küsste ihn wie irre und eroberte in diesem Moment vorsichtig seinen Hintern. „Klausi Schatz“, stöhnte er selig.
Es war einfach zu lange her. Wie ausgehungert bettelte er um mehr, um tiefere und härtere Stöße. Klaus‘ Lider waren halb gesenkt, pure Lust funkelte in den blauen Augen. „Hab dich so vermisst“, nuschelte er kaum verständlich. „So wahnsinnig vermisst.“
Heiner wurde von einer riesigen Woge davongetragen. Klaus war sein Rettungsanker, den er gnadenlos umklammert hielt, auch dann noch, als der wie ein Sterbender röchelte und über ihm bockte. Ein wirklich fantastischer Höhepunkt und auf jeden Fall nicht der letzte an diesem Abend.
Heiner blinzelte zum Wecker. Es war bereits kurz vor zehn und vor drei Stunden war sein Schatz todmüde gegangen, nachdem sie die Nacht zum Tag gemacht hatte. Sein Hintern brannte wie Feuer, jeder einzelne beschissene Muskel tat weh. Ups! Nun dachte er schon wie Anette.
Grinsend stieg Heiner aus dem Bett, gönnte sich eine ausgiebige Dusche und ein opulentes Frühstück im Stehen, mit extra starkem Kaffee. Anschließend ging er zum Blumenladen. Schließlich musste er Anette für den tollen Plan danken.
„Sag nichts, lass mich raten: Es hat geklappt“, rief sie, kaum dass er ins Hinterzimmer gekommen war.
„Oh ja.“ Er lehnte sich gegen den Türrahmen. „Klaus zieht wieder ein.“
„Ja, Scheiße noch eins. Das nenn ich mal Tempo.“ Sie hielt beide Daumen hoch. „Viel Glück und ich will Trauzeugin sein.“
„Darüber haben wir nicht gesprochen.“
„War ja soooo klar. Sicher habt ihr nur gefickt wie die Karnickel.“
Ein Gentleman konnte schweigen. Heiner grinste.
Als abends Klaus mit dem Gepäck, mit dem er vor 6 Monaten ausgezogen war, vor der Tür stand, begriff Heiner das ganze Ausmaß seines Glücks. Mit einem scheuen Lächeln hielt Klaus ihm eine schwarze Rose hin und ging gleichzeitig auf die Knie.
„Willst du mich die nächsten 47 Jahre an deiner Seite?“
Moment? 47? Heiner überschlug kurz im Kopf und zog die Stirn in Falten. „Dann bin ich erst 92. Willst du mich dann ins Altenheim abschieben?“
„Niemals! Das ist doch nur wegen der Rosen. Es sollten eigentlich 50 sein, aber du hattest …“ „Ach ja, ich Dummerchen“, unterbrach Heiner schmunzelnd.
Erwartungsvoll guckte Klaus zu ihm hoch.
„Öhm. Okay. Ich denke, das kann ich aushalten.“ Er feixte, nahm die Rose entgegen und half seinem Schatz hoch. „Warte! War das jetzt etwa ein Heiratsantrag?“ Heiner mimte den Erschrockenen.
Klaus verstörter Gesichtsausdruck war göttlich. Den Rest des Abends musste Heiner immer wieder glucksen, wenn er an diesen Moment dachte. Das brachte ihm zwar böse Blicke ein, aber irgendwie musste er dem lieben Idioten es doch wenigstens ein bisschen heimzahlen, 6 lange Monate gelitten zu haben. Heiraten würde er ihn natürlich trotzdem.
ENDE
21.02.1868/ 22.02.1868 nachts:
Noch lange stand ich heute an dem brennenden Biikefeuer. Die Flammen loderten hoch und die Luft war von Rauch getränkt. Doch seine Wärme erreichte mich mitnichten. In meinem Inneren blieb es kalt. So kalt wie der Wind, der über das Meer stürmte und die Gischt auf den Strand trieb. Leif ist weg. Verzweifelt und sehnsüchtig denke ich an unsere letzte Nacht. Wir haben stundenlang wach zusammengelegen und die Nähe genossen. Wir wollten beide nicht schlafen, um keine Minute der wertvollen Zeit zu vergeuden. Jetzt ist er fort, für eine lange Zeit. Sein Schiff ist in See gestochen und wer weiß, wann ich ihn wieder sehe. Es wird mir auf jeden Fall wie eine Ewigkeit vorkommen, bis ich meinen Leif erneut in die Arme schließen kann.
Wie ich gehört habe, will der Kapitän bis nach Grönland hinauf. Am liebsten hätte ich ihn begleitet. Doch wer braucht schon einen Krüppel an Bord eines Walfangschiffes? Niemand! Also bin ich mit den Weibern, den Kindern und den Alten hier auf der Insel zurückgeblieben. Innerlich fluchend reibe ich mein Bein, das durch die Kälte noch mehr schmerzt, als sonst. Wenn ich im November nicht auf der zugefrorenen Pfütze ausgerutscht wäre, dann hätte ich heute weniger Probleme und wäre mit Leif auf dem Schiff gewesen. Aber diese `hätte – wenn´ Überlegungen bringen mich jetzt auch keinen Deut voran. Ich stecke nun mal die nächsten Monate auf der verfluchten Insel fest. Irgendwie muss ich mich mit dem Gedanken abfinden, dass mein Geliebter weit draußen auf dem Meer Wale jagt.
Tjorven blickte von den zerfledderten Seiten auf und guckte aus dem Fenster des Cafés. Der Himmel war wolkenverhangen und die Baumkronen bogen sich unter dem Wind. So ganz verstand er noch nicht, welcher Teufel ihn geritten hatte, Ende Februar nach Föhr zu reisen, nur wegen des alten Tagebuchs.
Er hatte es beim Aufräumen des Dachbodens seines Elternhauses gefunden. Das Buch lag zwischen anderen Papieren und Unterlagen versteckt in einem der unzähligen Kartons, die nach dem Tod des Großvaters einfach auf dem Speicher zwischengeparkt worden waren. Es hatte wohl niemand übers Herz gebracht, den alten Plunder wegzuschmeißen. Nach dem Unfalltod seiner Eltern vor ein paar Monaten, hatte er beschlossen das Haus zu verkaufen. Was sollte er mit dem riesigen Kasten, der für ihn alleine sowieso um einiges zu groß war und in dem er sich nie so richtig heimisch gefühlt hatte? Aber bevor er alles dem Makler und der Entrümplungsfirma überlassen konnte, hatte er sich wenigstens einmal gründlich umsehen müssen. Es war wie ein innerer Zwang, dem er sich nicht entziehen konnte. So hatte er sich Mitte Dezember ein Wochenende in das Haus zurückgezogen und durch die Erinnerungen gewühlt. In die Welt seiner Eltern einzudringen und herum zu schnüffeln war schmerzhaft gewesen, auch wenn sie sich zu Lebzeiten nie sonderlich nahe gestanden hatten. Mehrmals hatte er zwischendrin abbrechen und flüchten wollen, doch irgendwie hatte er es letztendlich geschafft und sich systematisch vom Keller bis zum Dachboden durchgearbeitet. Als Letztes war er über die altersschwache Kiste gestolpert, die ihn dann magisch angezogen hatte. Dabei war das alte Buch der Gegenstand, der sein Interesse am meisten erregt hatte.
Und jetzt saß er hier auf Föhr, bei einer Tasse Tee und einem Stück Apfelstrudel. Draußen tobte ein gewaltiger Wintersturm. Weswegen er genau hierhergekommen war, war ihm immer noch nicht so recht klar. Der handgeschriebene Text in dem alten Buch hatte ihn schon beim ersten Schmökern gefesselt, so dass er sich die Zeit genommen und die Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite verschlungen hatte. Hautnah hatte er die schüchterne Verliebtheit zwischen den beiden Männern miterlebt und wie die Empfindungen langsam wuchsen und intensiver wurden. Bis sie sich schließlich ihre Liebe gestanden.
Er hatte beim Lesen oft das Gefühl, sie direkt vor sich zu sehen. Wie sie über den menschenleeren Strand liefen und sich ab und an wie zufällig an den Händen berührten oder wie sie sich nachts heimlich in einer Scheune trafen, um erste Zärtlichkeiten auszutauschen. Doch ihre geheime Beziehung war nur von kurzer Dauer gewesen. Gerade mal einen Winter lang, dann war Leif in See gestochen. Tjorven hatte seinen Liebhaber nie wiedergesehen. Eine halbe Ewigkeit hatte er auf die Rückkehr seines Freundes gewartet und gehofft. Bis dann, am 14. Januar 1869, die Nachricht das Dorf erreichte, dass Leif bei einem Sturm über Bord gegangen und im eiskalten Nordatlantik ertrunken war. Die Trauer und Verzweiflung in ebendem Tagebucheintrag war mit Händen greifbar gewesen. Er hatte beim Lesen mehrmals schlucken und innehalten müssen und selbst wenn er jetzt daran dachte, bekam er einen Kloß im Hals. Danach endeten die Aufzeichnungen abrupt und irgendjemand hatte später in einer anderen Schrift `Tjorven Petersen, geboren am 01.01.1847; gestorben am 22.01.1869´ darunter geschrieben.
Tjorven hatte keine Ahnung, was mit seinem Namensvetter geschehen war. Vielleicht gab es hier auf der Insel noch irgendwelche alten Unterlagen. Aber dass er nach über einem Jahrhundert noch etwas in Erfahrung bringen konnte, bezweifelte er. Was sollte er außerdem mit dem Wissen anfangen? Leif und sein Tjorven waren tot und vermutlich längst vergessen.
Vielleicht war es einfach die Namensgleichheit, die ihn an der Erzählung gefesselt hatte. Immerhin wusste er, dass sein Großvater den Namen ausgesucht hatte. Allerdings hatte er keinen Schimmer, was diesen dazu bewegt hatte. Zumal sein Opa erst 1909 geboren war und die Notizen waren ja deutlich älter.
Oder war es die unglückliche Liebesbeziehung, die ihn so mitnahm? Im Endeffekt erging es ihm fast ebenso. Nur war Peter nicht tot, sondern hatte ihn schlicht gegen einen jüngeren Kerl ausgetauscht und abserviert. Innerhalb von nur fünf Wochen war sein ganzes Leben über ihm zusammengestürzt und hatte ihn unter den Trümmern begraben. Erst der Unfalltod seiner Eltern und dann hatte die Trennung noch einen oben draufgesetzt.
Die Tierarztpraxis, in der sie zusammengearbeitet hatten, war verkauft und der Erlös zwischen ihnen aufgeteilt worden. Genau wie ihre Wohnung und das gemeinsame Auto. Jetzt war er stolzer Mieter eines Lagerraumes für die Möbel und Bücher, die ihm geblieben waren. In das Ein–Zimmer-Appartement, in das er nach der Trennung erstmal provisorisch gezogen war, passten diese Sachen nicht alle hinein.
Eigentlich müsste er sein Leben neu sortieren. Mit fast fünfundvierzig Jahren noch mal ganz von vorne beginnen. Einen Job oder neue Praxisräume, sowie eine vernünftige Wohnung suchen. Stattdessen war er im tiefsten Winter fast 1000 Kilometer von München nach Föhr gefahren. Alles nur, weil ihn die Erinnerungen eines Mannes fesselten, der vor mehr als hundert Jahren auf der Insel gelebt hatte und wegen des Wunsches einmal ein Biikebrennen mit eigenen Augen zu sehen. Tjorven schüttelte den Kopf, vermutlich wurde er langsam aber sicher verrückt.
„Schmeckt es Ihnen nicht?“, unterbrach eine Stimme seine Grübeleien. Er schreckte hoch und blickte in warme braune Augen. „Alles okay?“, erkundigte sich der Mann, der ihn freundlich lächelnd musterte. Tjorven schätzte ihn ungefähr so alt ein, wie er selbst war. Der Mann besaß dunkelblonde halblange Locken, die sich wild um sein Gesicht ringelten. Mühsam riss Tjorven seinen Blick los, der Anblick gefiel ihm. „Was? Ähm, mir geht es gut, danke. Alles in Ordnung.“
„Na, das sieht für mich nicht so aus. Sie sitzen seit fast einer Stunde hier rum, schauen nach draußen und massakrieren den armen Strudel. Wenn Sie ihn nicht mögen, kann ich Ihnen gerne etwas anderes bringen. Wir haben noch ein paar Stückchen sündig süße Schokotorte oder frischgebackene, leckere Blaubeermuffins im Angebot.“
„Ähm … was? Nein, der Kuchen ist schon okay. Ich war wohl in Gedanken.“
„Ja, scheint so.“ Der Fremde räusperte sich. „Darf ich Ihnen denn noch einen frischen Tee servieren? Ihrer dürfte ja längst eiskalt sein. Geht auf Kosten des Hauses.“
„Oh, das ist sehr nett. Ein heißer Tee wäre gut.“
„Mit Schuss? Sie sehen aus, als ob Sie das brauchen könnten!“ Der Kellner zwinkerte ihm zu und Tjorven wurde auf einmal merkwürdig warm.
Eigentlich wollte er das Angebot ablehnen, nickte dann aber doch zustimmend. Schließlich war es sowieso fast Abend und ein paar Umdrehungen im Tee wären vielleicht sogar ganz wohltuend. Im Endeffekt war er im Urlaub und konnte tun und lassen, was ihm gefiel.
„Also dann, der Tee kommt sofort.“
Tjorven schaute dem davon eilendem Mann hinterher und kam nicht umhin, den knackigen Hintern zu bewundern, der in der engen schwarzen Jeans optimal betont wurde.
Wenig später kam der Kellner zurück und balancierte ein Tablett mit einem Kännchen Tee auf einer Hand. Tjorven sah ihm entgegen und nahm nun auch seine Vorderseite in Augenschein. Der Typ sah wirklich zum Anbeißen aus. Als er in das Gesicht des Mannes schaute, grinste dieser. Sein Gegaffe war also bemerkt worden. Aber anstatt beleidigt zu sein, zwinkerte der Mann ihm zu. Plötzlich kam er aus dem Tritt und stolperte. Das Kännchen geriet ins Rutschen und kippelte über den Rand des Tabletts. Ein Schwall Tee ergoss sich über Tjorvens Hemd und Hose.
„Ey, pass doch auf.“ Tjorven schrie erschrocken auf. Das heiße Wasser brannte ziemlich auf der Haut. Noch bevor er irgendwie reagieren konnte, sah er, wie Tee über das Büchlein schwappte. Schnell hob er es hoch, aber es war schon teilweise überschwemmt worden. Während er noch entsetzt auf die einzelnen Tropfen starrte, die von dem Heft runter tropften, kam der Kellner mit einem Handtuch angerannt, stammelte eine Entschuldigung nach der nächsten und rieb heftig an ihm herum. Erst als Tjorven spürte, dass die Trocknungsbemühungen seinem Schritt verdächtig nahe kamen, erwachte er aus der Starre: „Lass das!“
„Entschuldigung, das tut mir total leid. Wenn Sie mögen, können Sie mit hochkommen und ich schau mal, ob ich was Trockenes für Sie zum Anziehen da habe.“ Die Miene des Mannes drückte ehrliches Bedauern aus und Tjorven war kurz davor, die Entschuldigung anzunehmen. Aber dann fiel sein Blick wieder auf das klitschnasse Tagebuch und seine Wut wurde erneut entfacht.
„Vergiss doch die dummen Klamotten. Das Buch ist total nass und die Schrift vermutlich nicht mehr lesbar. Das ist viel, viel schlimmer als das blöde Hemd.“ Er funkelte den Tollpatsch böse an.
„Entschuldigung, es tut mir wirklich leid! Ich bezahl natürlich die Reinigung, und wenn Sie mögen, erstatte ich Ihnen auch das Buch.“ Der Kellner war knallrot angelaufen und die Situation war ihm sichtlich peinlich, doch das interessierte Tjorven nicht im Geringsten. Er war wütend und hatte endlich ein Ventil für seine lange schwelende Unzufriedenheit gefunden. „Na und? Von der Entschuldigung kann ich mir auch nichts kaufen und meine Kleidung wird deshalb auch nicht schneller wieder trocken. Geschweige denn das Buch, denn das ist nicht irgendein billiges Buch, sondern ein handgeschriebenes Tagebuch! Eine Rarität, verstehen Sie? So etwas kann man nicht ersetzen. Und selbst wenn, könnten Sie sich das sicher nicht leisten. Wie denn auch? Sie verdienen ja bestimmt nur ein paar lumpige Euros damit, unschuldige Touristen mit Tee zu begießen und Antiquitäten zu zerstören.“ Tjorven funkelte den Kerl mit zornig blitzenden Augen an, dann schnappte er sich das Tagebuch und verließ ohne ein weiteres Wort das Café. Vor der Tür fiel ihm etwas ein, daher drehte er noch mal um. „Ich verzichte auf die Reinigung. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich auch nur einen Cent für den Tee bezahle.“ Tjorven sah, wie der Kellner betroffen nickte, doch das interessierte ihn herzlich wenig. Er stiefelte schnell über die Straße, in Richtung seine Ferienwohnung, nur mit dem Ziel vor Augen, das Tagebuch zu trocknen und zu retten, was zu retten war. Vielleicht würde es helfen, wenn er Taschentücher zwischen die Seiten legte, damit diese den doofen Tee aufsaugten. Wenn er Glück hatte, konnte er eventuell noch ein bisschen Text lesbar erhalten.
*
Lasse sah dem Griesgram hinterher. Dieser stampfte mit schnellen Schritten den Weg entlang. Sein ganzer Körper wirkte angespannt, ein typischer gestresster Städter halt. Lasse grinste in sich hinein und beobachtete den Fremden, bis der aus seinem Blickfeld verschwunden war. Er fing an, den Tisch abzuräumen und den verschütteten Tee aufzuwischen.
Da fiel sein Blick auf die Winterjacke und den Schal, die über der Lehne des Stuhles hingen. Dieser Tourist, war wirklich ohne warme Kleidung in das Unwetter hinausgegangen. Kurz überlegte er, ob er ihm hinterher laufen sollte, aber dann entschied er sich dagegen. Vielleicht wirkte die kühle Brise ja beruhigend, wer wusste das schon? Ein bisschen Nordseewind hatte noch niemandem geschadet und es geschah dem Wüterich gerade recht, dass ihm der Sturm den Kopf frei pustete. Wenn er seine Jacke wiederhaben wollte, würde er sich sicher melden.
In der Stunde bis zum Schließen des Cafés tauchte der Fremde nicht mehr auf. Lasse räumte noch ein bisschen auf und plante schon mal für die nächsten Tage.
Morgen würde das alljährliche Biikebrennen stattfinden. Eine uralte Tradition, um die Seefahrer zu verabschieden. Mittlerweile war es aber eher zu einer Touristenattraktion verkommen und so rechnete er auch für den morgigen Tag mit mehr Kunden als sonst. Die zusätzlichen Einnahmen waren nicht zu verachten, denn in den Wintermonaten lief der Laden ziemlich schlecht. Er hatte das alte Café von seiner Großmutter übernommen und in den letzten zwei Jahren wieder aus den roten Zahlen geholt. Dennoch, in der dunkeln Jahreszeit lohnt sich das Öffnen kaum. Es verbrachten im Winter einfach zu wenig Touristen ihre Ferien auf der Insel. Klar, wer kam schon freiwillig im Februar nach Föhr, wenn er den Urlaub auch im warmen Süden verbringen konnte? Lasses Gedanken wanderten zu dem Fremden, der den ganzen Nachmittag an dem Tisch am Fenster gesessen und vor lauter Grübeln sogar den Strudel vergessen hatte. Irgendwie hatte der Mann einsam und sehr traurig gewirkt, allerdings nur bis zu seinem Wutausbruch. Dabei war das Malheur wirklich unbeabsichtigt gewesen. Er war einfach aus dem Tritt gekommen, als er den musternden Blick bemerkt und in die grünlich schimmernden Pupillen geschaut hatte. Am liebsten hätte er den Gast in dem Moment in den Arm genommen und so lange geküsst, bis der traurige Ausdruck aus dessen Augen verschwunden war.
Lasse seufzte leise. Die Chance, den Mann näher kennenzulernen, hatte er gründlich vertan. So sauer, wie der ausgesehen hatte, ließ er sich bestimmt nicht wieder blicken. Wobei, irgendwann würde er wohl oder übel seine Jacke abholen müssen. Wenn er wüsste, wo der Gast abgestiegen war, könnte Lasse ihm die Sachen auch vorbei bringen, als Zeichen des guten Willens und als Entschuldigung. Dass bei dem Missgeschick das alte Buch beschädigt worden war, tat ihm aufrichtig leid, zumal der Mann so gewirkt hatte, als ob ihm das Schriftstück viel bedeuten würde. Am besten kehrte er auf der Runde mit Lissi einfach mal beim „Dorfkrug“ ein. Einer von den alten Herren, die dort jeden Abend über ihrem Bier brüteten, wusste bestimmt, wo der Fremde logierte. Zumindest wenn er sich hier im Ort eingemietet hätte. So viele Touristen waren ja gerade nicht da.
Lasse schloss das Café ab und ging die Stufen zu seiner Wohnung in der ersten Etage hinauf. Oben angekommen, öffnete er die Tür und pfiff leise. Sofort kam die etwas betagte Hundedame die er ebenso wie das gesamte Haus - in dem auch das Café war - von der Großmutter übernommen hatte, angetapst. Nach einer kurzen Kuschelrunde ging er ins Wohnzimmer und heizte den Kamin schon mal an, damit es bei seiner Rückkehr mollig warm war. Als das Feuer brannte, machte er sich mit Lissi auf den Weg nach draußen.
Ihr Rundgang führte wie immer zuerst Richtung Strand. Doch wegen des Sturmes und der erwartungsgemäß hohen Wellen drehte er um und lief mit dem Hund einfach kreuz und quer durch die Straßen von Utersum. Hoffentlich war das Wetter morgen besser, damit das Biikebrennen überhaupt wie geplant stattfinden konnte. Nach einem Zwischenstopp im „Dorfkrug“, den er sich allerdings hätte sparen können, kehrte er nach Hause zurück. Niemand der Anwesenden wusste genau, wo der Tourist sich eingemietet hatte. Einige hatten Vermutungen geäußert, doch auf gut Glück mehrere Unterkünfte abklappern, das wollte Lasse auch nicht. Wenn dem Fremden was an seinen Sachen lag, dann würde er wohl noch mal im Café vorbeikommen. Mittlerweile regnete es wieder ziemlich stark und der Sturm gewann auch an Intensität und er war froh, auf dem Rückweg zu sein.
Kurz vor der Haustür fing Lissi an zu bellen und an der Leine zu ziehen. Als er um die Ecke bog, begriff er auch warum. Der Fremde vom Nachmittag stand vor der Eingangstür des Cafés und hämmerte wie bekloppt gegen die Scheibe. Seine Klamotten waren vom Regen durchnässt und insgesamt wirkte der Mann ziemlich verloren.
„Hallo, kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte Lasse ihn freundlich. Irgendwie tat der Kerl ihm leid. Der Mann zuckte zusammen, drehte sich um, erkannte Lasse und seine ohnehin schon finstere Miene verdunkelte sich noch mehr. Ohne Begrüßung fing er gleich wieder an rumzupoltern: „Ach, der Teeduscher. Ich habe meine Jacke im Café vergessen! Ich brauche sie, und zwar pronto! Aber in dem Scheißladen ist ja niemand mehr!“
„Jetzt?“ Lasse zog eine Augenbraue hoch. „Das Café ist schon geschlossen und morgen ab 9.30 Uhr wieder geöffnet.“
„Ich brauche meine Jacke aber heute noch und nicht erst Morgen. Mir reicht es, ich weiß sowieso nicht, was ich hier wollte. Ich will jetzt abreisen und dazu brauche ich den Anorak, verdammt noch mal. Geht das nicht in Ihren sturen Schädel? Ich will sofort mit dem Besitzer sprechen. Frechheit, die Sachen sind schließlich mein Eigentum, und bis ich in München bin, bin ich ohne das Ding doch erfroren.“ Der Mann schnaubte wie ein wütendes Pferd und Lasse hatte Mühe nicht laut loszuprusten.
„Also, guter Mann. Zuerst, der Besitzer des Cafés bin ich. Aber vielleicht erklären Sie mir erst mal, wie Sie heute Nacht noch nach München kommen wollen? Die letzte Fähre zum Festland ist schon weg.“
„Was?“ Der Fremde wurde kalkweiß im Gesicht und Lasse bekam Mitleid. „Verdammter Mist! Was soll ich denn jetzt machen? Das ist doch alles einfach verkorkst!“
„Kommen Sie erstmal mit nach oben. Sie sind ja total durchnässt und verfroren. Ich habe vorhin den Kamin angezündet. Oben ist es also schön warm. Ich riskiere es sogar und koche Ihnen noch mal einen Tee. Na wie wär es?“
Der Mann ließ die Schultern sinken und starrte ihn traurig und irgendwie planlos an. Lasse machte kurzen Prozess. Er schloss die Eingangstür auf und zog den Fremden mit in den Flur. Dann zog er an der Leine, damit Lissi auch hereinkam, und machte die Tür hinter sich zu.
Kaum hatte er die Leine gelöst, da sauste die Hundedame die Treppe hoch, offenbar wollte sie schnell ins Warme. Nach einem Seitenblick auf seinen Gast, ging er auch die Stufen hinauf und hoffte, dass der Mann ihm folgen würde. Gleich darauf hörte er Schritte hinter sich.
„Wenn Sie mir schlicht und ergreifend meine Jacke geben könnten? Bitte.“ Der Mann klang plötzlich kleinlaut, von dem tobenden Wüterich war nichts mehr zu sehen. Am einfachsten wäre es, ihm wirklich die Sachen auszuhändigen und ihn gehen zu lassen. Doch Lasse war nicht gewillt, es ihm so leicht zu machen. Der Mann löste etwas in ihm aus, und zwar mehr, als nur sein Helfersyndrom.
„Quatsch. Du bist total nass geregnet und musst dich erstmal aufwärmen. Hast du heute schon was gegessen? Ach, ich hoffe, es ist okay, wenn ich dich einfach duze. Ich bin Lasse.“
„Tjorven“, erwiderte und fuhr fort: „Aber du brauchst dir wegen mir keine Umstände zu machen.“
„Wenn ich ein bisschen Suppe aufwärme und dir einen Teller voll davon abgebe, dann sind das keine Umstände! So, ich hole dir mal eben was Trockenes zum Anziehen und dann kümmere ich mich um das Essen.“ Lasse wartete die Antwort nicht ab, sondern ging gleich in sein Schlafzimmer und kam mit einem Haufen Klamotten auf dem Arm zurück. „Da ist das Badezimmer.“ Er wies auf eine Tür. „Handtücher sind im Regal, und wenn du magst, spring ruhig unter die Dusche. Die Sachen lege ich dir hier hin. Ich hoffe, das Zeug passt einigermaßen.“
*
„Ähm, danke.“ Tjorven sah Lasse an und wusste nicht recht, was gerade geschehen war. Er hatte fest vorgehabt, nur seine Sachen abzuholen. Das Auto stand fertiggepackt in der Seitenstraße neben dem Café. Den Schlüssel der Ferienwohnung hatte er auch schon in den Briefkasten des Vermieters geschmissen. Er wollte nur noch weg von der verdammten Insel! Es war sowieso eine Schnapsidee gewesen herzukommen. Was sollte er hier? Ein dusseliges Feuer anschauen? Geistern aus der Vergangenheit nachjagen? Wen interessiert denn, was vor über hundert Jahren passiert war? Alles nur Hirngespinste!
Trotzdem stand er hier, klatschnass, in einem fremden Bad und der süße Typ, der ihm schon am Nachmittag aufgefallen war, kochte Suppe für sie. Tjorven lachte leise, doch es klang eher verzweifelt. Da es keinen Sinn machte, hier nur dumm rumzustehen und da ihm langsam wirklich eiskalt wurde, streifte er seine Sachen ab und ging kurz unter die Dusche.
Aufgewärmt und angezogen, trat er wenig später wieder in den Flur. Die Jogginghose war zu kurz und hatte daher ordentlich Hochwasser, das T-Shirt war zu eng und die Strickjacke, die Lasse dazu gelegt hatte, bekam er kaum zu. Er sah bestimmt aus wie eine Witzfigur und Lasse würde ihn gleich auslachen, mutmaßte Tjorven.
„Tjorven? Wenn du magst, geh schon mal ins Wohnzimmer, da ist der Kamin. Das ist die nächste Tür links, vom Bad aus gesehen. Mach es dir bequem. Die Suppe ist gleich fertig.“ Lasses Stimme kam aus der Küche.
„Danke!“, rief er zurück und tat, was Lasse vorgeschlagen hatte.
Die Tür knarrte leicht, als er sie öffnete. Wärme und Behaglichkeit empfingen ihn. In dem großen Raum standen ein ausladendes Sofa und zwei urgemütlich wirkende Sessel, sowie einige vollgestopfte Bücherregale, ein riesengroßer Fernseher und an der Außenwand, zwischen zwei Fenstern, befand sich ein kleiner Kaminofen. Tjorven ließ sich in einen der Sessel fallen. Von diesem Platz aus hatte er einen guten Blick auf die Flammen, die in dem Kamin loderten. Auf der Sessellehne lag eine Wolldecke, die er sich rasch um den Körper schlang. Als Lasse den Raum einige Minuten später betrat, fror er nicht mehr und auch seine Stimmung hatte sich ein bisschen gebessert.
„Na, geht´s wieder?“, erkundigte sich sein Gastgeber und stellte eine Tasse und eine Schale mit einer köstlich duftenden Suppe auf dem Tischchen vor ihm ab.
„Ja! Aber sag mal, hast du das vorhin ernst gemeint, dass ich heute nicht mehr her wegkomme?“
Gespannt wartete Tjorven auf die Reaktion und hoffte, dass sein Gegenüber zugab, sich eben nur einen Scherz erlaubt zu haben. Doch dieser nickte ernst und musterte ihn prüfend.
„Mist, verdammter! Was mache ich denn jetzt?“
„Warum? Was ist denn los? Und iss, sonst wird es kalt!“
„Ach, hierher zu kommen war eine schwachsinnige Idee. Ich bin einem Hirngespinst nachgejagt. Keine Ahnung wieso. Und nachdem du mir vorhin den Tee über die Klamotten und vor allem über das Buch gekippt hast, ist mir klar geworden, wie blöd ich war. Dann habe ich meine Sachen zusammengepackt und den Schlüssel in den Briefkasten geworfen. Ich wollte nur noch weg ...“
„Und dabei hast du vollkommen vergessen, dass wir auf einer Insel sind. Jetzt hast du heute Nacht kein Dach über dem Kopf. Richtig?“
Tjorven nickte und nahm einen Schluck aus der Tasse. Unwillkürlich fing er an zu husten. Der Grog hatte wesentlich mehr Umdrehungen, als er erwartet hatte.
„Okay“, fuhr Lasse fort. „Du kannst hier auf dem Sofa schlafen. Aber nur, wenn du mir erklärst, was eigentlich los ist.“
Tjorven nickte, doch bevor er anfing zu sprechen, probierte er die Suppe. Sie schmeckte genauso gut, wie sie roch. Nach ein paar Löffeln begann zu erzählen.
„Wo soll ich bloß anfangen? Mein Leben war in den letzten Monaten ziemlich bescheiden und dann habe ich dieses Buch gefunden und bin, aus einem Impuls heraus, losgefahren. Irgendwie war der Wunsch, ein Biikefeuer auch einmal richtig brennen zu sehen, so mächtig, dass ich meine Vernunft ausgeschaltet habe. Als du dann den Tee verschüttet hast und ich dich deswegen beschimpft habe, bin ich sozusagen aufgewacht und habe beschlossen, wieder in der Realität zu leben. Nur weil Tjorven vor über hundert Jahren von dem Feuer geschrieben hat, extra hierher zu kommen, das ist doch wahnsinnig. Ich habe genug andere Probleme. Immerhin ist er schon seit Ewigkeiten tot. Was will ich also überhaupt hier? Und bevor ich es vergesse, es tut mir leid, dass ich dich heute Nachmittag so angebrüllt habe.“
„Nur heute Nachmittag?“ Lasse zog eine Augenbraue hoch.
„Nein, das von vorhin auch. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Normalerweise bin ich eher ruhig. So cholerisch kenne ich mich gar nicht.“
„Also, du kannst heute Nacht auf jeden Fall hier auf dem Sofa schlafen. Das ist gar kein Problem. Magst du mir vielleicht ein bisschen mehr darüber erzählen, was dich beschäftigt? Bis jetzt verstehe ich nämlich nur Bahnhof. Aber bevor du weiter erzählst, willst du noch einen Grog? Und etwas Suppe?“
Tjorven schaute auf das Tischchen und tatsächlich, Tasse und Schale waren leer. „Hm, vielleicht noch etwas Grog. Danke.“
*
Als Lasse mit der frisch gefüllten Tasse zurück ins Wohnzimmer kam, lag Lissi quer über Tjorvens Schoß und ließ sich kraulen. „Wenn sie dir zu schwer wird, dann schmeiß sie einfach runter.“
Tjorven lachte. „Kein Problem. Ich mag Hunde und diese Dame hier ist ja wirklich lieb. Aber du solltest ihr anderes Futter geben. Wenn ich das richtig sehe, hat sie einige Kilo zu viel auf den Rippen. Wenn sie abnehmen würde, könnte sie auch besser laufen.“
Lasse seufzte. „Ja, ich weiß. Ich habe sie quasi geerbt und wir arbeiten dran. Der Tierarzt hat was ähnliches gesagt. Aber das ist gar nicht so einfach. Meine Oma hat sie dermaßen verzogen. Unten im Café hat sie teilweise Kaffee in den Napf gekriegt und das eine oder andere Stück Süßkram ist vermutlich auch dabei gewesen. Deshalb hat sie von mir erstmal strenges Caféverbot bekommen und ich versuche, vor und nach den Öffnungszeiten mit ihr zu laufen. Mittags kommt ein Mädchen aus dem Ort und nimmt sie auch noch auf eine kleinere Runde mit.“
Tjorven nickte und kraulte Lissi weiter. „Das hört sich doch schon mal ganz gut an.“
„Kennst du dich mit Hunden aus?“ Lasse war neugierig, zumal ihm der sehnsüchtige Ausdruck seines Gastes nicht entgangen war.
„Ja, gewissermaßen. Ich bin Tierarzt und hatte bis vor einigen Monaten auch einen Hund, Wuschelchen.“
„Wuschelchen?“ Lasse prustete los.
„Ja, Wuschelchen. Das ist gar nicht lustig. Wir hatten ihn aus dem Tierheim geholt und er hieß nun mal schon so.“
„Was ist mit ihm passiert?“ Er beobachtete, wie Tjorven erst einen großen Schluck Grog trank, sich dann räusperte und fortfuhr: „Nach der Trennung ist er bei Peter und seinem Neuen geblieben.“
„Oh, das tut mir leid. Entschuldige, dass ich eben gelacht habe.“ Angesichts Tjorvens trauriger Miene kam sich Lasse ziemlich schuldbewusst vor. Gleichzeitig wurde ihm
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: bei den Autoren
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Ginva/Aschure/jeder Autor für sich
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2015
ISBN: 978-3-7368-7496-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz