Cover

One night stand ist nicht genug


Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.


Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.


Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.


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Text: Sissi Kaiserlos


Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann



Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Späte Rache


Traf man sich wirklich zweimal im Leben? Einst hatte Hendrik eine kurze Affäre mit Aaron. Damals befand er sich in seiner schlimmsten Sturm- und Drangphase und lehnte jede Art von Bindung ab. Inzwischen hatte er genug von den ständig wechselnden Sexpartnern und sehnte sich nach etwas Festem. Zehn Jahre waren vergangen, seit der Sache mit Aaron. Als Hendrik einen neuen Job antrat, kam ihm der Chef der Firma bekannt vor.

~ * ~


1.

Die Firma Solar-T-Rex hatte ihm eine Zusage geschickt! Hendrik war ganz aus dem Häuschen, obwohl er bereits telefonisch darüber informiert wurde. Er hatte die Stelle, die er sich schon immer wünschte, endlich bekommen! Der Termin für die Vertragsunterschrift war in einer Woche, dann brauchte er nur noch seinen alten Arbeitsplatz kündigen und konnte dem Chef endlich mal die Meinung geigen. Sechs verdammte Jahre hatte er durchgehalten und darauf gehofft, dass er die Stelle als Leiter des Controllings, wie versprochen, bekommen würde. Stattdessen war vor einigen Monaten ein Jungspund eingestellt worden, als Ersatz für den aus Altersgründen scheidenden Kollegen. Der Kerl kam frisch von der Uni und war, nach den Worten seines Chefs, unverbraucht. Hallo? War er, Hendrik, verbraucht, nur weil er die dreißig überschritten hatte?

Nun hatte er endlich seine Chance. Solar-T-Rex war ein mittelständisches Unternehmen mit ungefähr 150 Mitarbeitern. Hendrik würde alleiniger Herrscher über das Controlling sein, nachdem seine Vorgängerin aus gesundheitlichen Gründen gekündigt hatte. Das war genau die Aufgabe, von der er träumte. Nach seinem Studium war er einfach zu voreilig gewesen, hatte die erstbeste Arbeitsstelle angenommen, die sich bot. Ach, egal. Die Durststrecke war zu Ende und vor ihm lag eine rosige Zukunft. Auch gehaltsmäßig verbesserte er sich um Längen. Es war einfach zu schön, um wahr zu sein.

Hendrik gönnte sich auf den Triumph ein Gläschen Whisky, lungerte auf dem Sofa herum und schmiedete Zukunftspläne. Mit dem zu erwartenden Gehalt konnte er sich endlich größere Sprünge erlauben. Vielleicht sogar die lange ersehnte Reise in die Karibik. Sonne, Sand, Palmen und das hellblaue Wasser des Atlantiks. Seit seinem Schulabschluss träumte er davon, Fernreisen unternehmen zu können. Dieses Ziel war nun näher gerückt. Lächelnd setzte er den Schwenker an seine Lippen und sah sich im Geiste schon am Strand liegen, neben ihm ein braungebrannter Schnuckel. Hm. Von dem Schnuckel fehlte allerdings noch jede Spur.

Der einzige Mensch, den Hendrik auf solche Reise mitnehmen würde, war im Augenblick Christian. Allerdings bestand zwischen ihnen lediglich platonische Freundschaft. Einmal hatten sie miteinander gevögelt, dabei war es geblieben. Sie hatten nicht besonders harmoniert und dass sowohl Christian als auch er Tops waren, kam erschwerend hinzu. Hendrik schätzte Christian als Freund, Sexpartner konnte er auch woanders finden. Allerdings war ihm seit einiger Zeit die Lust vergangen, nachts auf die Jagd zu gehen. Wahrscheinlich steckte ein Körnchen Wahrheit in der Aussage seines Chefs. Verbraucht traf es nicht ganz, eher müde. Er sehnte sich nach jemandem, der blieb. Der ihm treu war, mit dem er reden und lachen konnte. Also nach jemandem, der erst noch geboren werden musste. Schmunzelnd lehnte Hendrik sich in die Polster zurück. Er war eben anspruchsvoll.

~ * ~

Sechs Wochen später trat er seine neue Stelle an. In dem Anzug, den er in Hinblick auf sein nächstes Gehalt gekauft hatte, fühlte Hendrik sich souverän und gut gerüstet. Voller Elan betrat er die Empfangshalle und näherte sich lächelnd der aufgebrezelten Dame hinter dem Tresen.

„Ich bin Hendrik Kamann, der neue Controller.“

„Moment. Ich sage Herrn Weidenberg Bescheid.“ Die Frau griff nach dem Telefon, winkte mit ihren rotlackierten Krallen in Richtung einer Stuhlreihe und sprach anschließend leise in den Hörer. „Herr Weidenberg holt Sie gleich ab“, informierte sie ihn, senkte den Blick wieder überaus konzentriert auf den Monitor und gab sich total beschäftigt.

Nervös schlug Hendrik die Beine übereinander, wippte mit einem Fuß. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass der Personalchef ihn empfangen würde. Dass der Firmeninhaber sich persönlich dazu herabließ war schon schmeichelnd. Aaron Weidenberg hatte das Unternehmen gegründet und innerhalb der letzten Jahre zu dem gemacht, was es nun war: Ein florierendes Geschäft. Diese Informationen stammten aus dem Internet. Hendrik hatte eifrig recherchiert, noch bevor er sich bewarb. Schließlich wollte er wissen, mit wem er es zu tun bekam.

Er beobachtete die beiden Fahrstühle. Einer schwebte gerade aus dem 5ten Stock herunter. Die Türen glitten auf und ein braunhaariger Mann in Jeans und Sakko trat in die Halle. Das Gesicht kam Hendrik vage bekannt vor, aber er konnte sich nicht entsinnen, woher. Mit einem Lächeln, das die Augen nicht erreichte, marschierte Weidenberg auf ihn zu.

„Herr Kamann? Willkommen bei Solar-T-Rex.“ Ihm wurde eine Hand hingestreckt. Hendrik sprang auf, griff zu und erwiderte den angenehm festen Druck. „Bitte folgen Sie mir.“ Weidenberg drehte sich um und ging zurück zu den Aufzügen.

Automatisch musterte Hendrik die schlanke Gestalt. Verflixt! Wo hatte er den Mann schon mal gesehen? Im Internet existierte kein Foto, also war das ausgeschlossen. Er hatte den Eindruck, als wenn Weidenberg ihn sehr wohl kannte, aber das war nur ein Gefühl. In der Aufzugkabine lehnte sein Chef sich an die Wand, schob eine Hand lässig in die Hosentasche und sah ihn direkt und bar jeglicher Emotionen an. Es schien, als warte er auf irgendetwas. Hendrik gab sich gelassen, während sein Gehirn fieberhaft arbeitete. In den vergangenen Jahren war er so vielen Männern begegnet, dass er sich deren Gesichter einfach nicht merken konnte. Stumm betete er, dass Aaron Weidenberg nicht einer seiner zahlreichen One night stands war.

„Sie teilen sich ein Büro mit Olaf Berger, dem Finanzbuchhalter.“ Der Lift hielt im 5ten Stock und sein Chef trat in einen breiten Flur mit großen Glasfronten. Hendrik hatte kaum Zeit sich genau umzusehen, da Weidenberg ein flottes Tempo vorlegte. Vor einer geschlossenen Tür stoppte der Mann. „Nach Ihnen.“ Er stieß die Bürotür auf und bedeute Hendrik, vor ihm einzutreten.

Ein sympathisch wirkender Blonder sah ihm lächelnd entgegen. „Ich bin Olaf Berger.“ Der Mann stand auf, lief um seinen Schreibtisch herum und streckte Hendrik die Hand hin. „Willkommen im Club.“

„Danke für die herzliche Aufnahme.“ Hendrik erwiderte das Lächeln. „Ich bin Hendrik Kamann.“

„Olaf wird sich um Sie kümmern“, mischte sich Weidenberg von der Tür her ein. „Wenn Fragen sind: Mein Büro ist am Ende des Ganges. Olaf? Bleibt es bei heute Abend?“

„Aber sicher. Ich hole dich um sieben ab.“

Der Blick, den Berger dem Chef zuwarf, sprach Bände. Hendrik begriff, dass die beiden etwas miteinander hatten. Somit war zumindest klar, an welchem Ufer Weidenberg fischte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einander mal in einem der einschlägigen Clubs begegnet waren, stieg damit an. Er konnte nur hoffen, Weidenbergs Hintern noch nie beglückt zu haben.

„Dann wünsche ich Ihnen einen erfolgreichen Arbeitsbeginn.“ Sein Chef nickte ihm kühl zu und schloss die Tür hinter sich.

„Das hier ist ein ziemlich lockerer Verein. Ist es okay, wenn wir uns duzen?“

Hendrik wandte sich wieder seinem Kollegen zu und seufzte leise. „Natürlich. Ich bin wohl etwas overdressed“, meinte er im Hinblick auf Olafs legere Kleidung.

„Für öffentliche Anlässe wirft sich sogar Aaron richtig in Schale, ansonsten gibt es hier keinen Dresscode. Dein Anzug ist trotzdem klasse. Von mir aus kannst du immer so erscheinen.“ Olaf grinste anzüglich.

„Lass mal. Morgen komme ich auch in Jeans.“ Hendrik sah sich im Büro um. „Nett hier.“ Langsam wanderte er durch den Raum, warf einen Blick aus dem Fenster und setzte sich schließlich auf den Stuhl hinter dem zweiten Schreibtisch. Papier türmte sich auf der blanken Holzfläche. „Seit wann ist meine Vorgängerin weg?“ Er betrachtete den Stapel mit gerunzelter Stirn.

„Seit einer Woche. Das Zeug da …“ Olaf wies mit dem Kinn auf die Blätter. „… hat Zeit. Komm, ich zeig dir die wirklich wichtigen Dinge: Toiletten und Küche.“

~ * ~

Der Mistkerl hatte ihn nicht mal erkannt. Aaron wusste nicht, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte. Es war ewig her, dennoch war ihm beim Durchsehen der Bewerbungen Hendriks Bild sofort ins Auge gefallen. Wie sollte er den Mann, in den er einst wahnsinnig verliebt war, auch vergessen? Sie waren damals beide Anfang zwanzig gewesen und gingen an die gleiche Uni. Das wusste allerdings nur er. Hendrik hatte ihn nie beachtet, wenn sie einander auf dem Campus begegneten. Das mochte auch daran gelegen haben, dass Aaron tagsüber ungestylt herumlief, während er sich für seine Clubbesuche sorgfältig aufbrezelte. Wahrscheinlich war es auch einzig diesem Umstand zu verdanken, dass Hendrik überhaupt auf ihn aufmerksam wurde. Sie verbrachten eine Nacht miteinander und Aaron verliebte sich Hals über Kopf. Hendrik war der erste und bisher einzige Mann, der ihn allein durch Küsse in andere Sphären katapultieren konnte. Auch der Sex war bombastisch gewesen. Es gelang ihm noch zwei Mal, Hendrik ins Bett zu bekommen, danach war Schluss. Aaron wurde konsequent links liegengelassen und gab seine Versuche schließlich auf. Selbst er hatte seinen Stolz. Er mied den Goldenen Hirsch und brauchte lange, bis er diese Zurückweisung einigermaßen verwinden konnte.

Vor drei Jahren war Olaf aufgetaucht. Die Sache zwischen ihnen hatte sich allmählich angebahnt und das Gefühl war nur ein Abklatsch von dem, was er Hendrik damals entgegenbrachte. Olaf war sympathisch, gut im Bett und ein lustiger Kerl. Aaron mochte ihn sehr und genoss die lockere Beziehung. Sie hatten vereinbart, dass sie ehrlich zueinander waren und teilten viele Interessen, wie zum Beispiel das Theater. Im Ganzen konnte er zufrieden mit dem sein, was er hatte. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. In diesem Fall war Hendrik die Taube.

Aarons Personalchef war nicht sonderlich begeistert von seiner Bitte, Hendrik bevorzugt zu behandeln. Am Ende hatte er sich aber durchgesetzt. Die Qualifikation passte und das Anschreiben klang motiviert, also bekam Hendrik die Stelle. Im Prinzip war er nicht besser oder schlechter als die anderen Bewerber, nur hätte der Personalchef gern einen jüngeren und damit billigeren Mitarbeiter eingestellt.

Aaron trat an das große Panoramafenster, von dem aus er einen vorzüglichen Blick auf die Überreste der Nikolaikirche hatte. Vor zwei Jahren war er mit seiner Firma in dieses Gebäude gezogen, nachdem sie lange Zeit in einem dunklen, heruntergekommenen Bau in der Süderstraße ansässig waren. Der Erfolg seines Unternehmens machte ihn stolz, aber nicht träge. Jeden Tag galt es, den Markt zu beobachten und neue Aufträge an Land zu ziehen. Aktuell konzentrierte er sich mehr auf den Dienstleistungssektor, als auf den Handel. Darin sah er die Zukunft für Solar-T-Rex.

An diesem Mittag besorgte Aaron sich in einem nahegelegenen Backshop ein belegtes Brot. Normalerweise ging er mit Olaf irgendwo eine Kleinigkeit essen, aber der war heute mit Hendrik beschäftigt. Es war Usus, dass ein neuer Mitarbeiter an seinem ersten Tag auf Firmenkosten bewirtet wurde.

Warum Aaron für Hendriks Einstellung gesorgt hatte, war ihm noch nicht ganz klar. Vielleicht würde er den Mistkerl ein wenig ärgern, als Rache für die Abfuhr von damals. Das war zwar nicht nett, aber mit den Jahren hatte Aaron sich ein dickeres Fell zu- und ein paar Skrupel ablegt. In jedem Fall hatte er einfach nicht widerstehen können, als er Hendriks Bewerbung in den Händen hielt. Olaf wusste nichts von der Sache von damals. Es ging ihn nichts an, außerdem war er manchmal einfach zu gesprächig. So konnte Aaron sicher sein, dass Hendrik, selbst wenn er sich schwach erinnerte, keinesfalls etwas aus Olaf herausbekommen konnte. Vielleicht wäre es die beste Lösung, wenn er selbst die Geschichte endlich vergaß. Leider konnte er das nur nicht.

Wie verabredet holte Olaf ihn am Abend ab. Sie wollten italienisch Essen gehen und danach vielleicht noch ins Kino. Aaron stieg auf der Beifahrerseite in den Mercedes, während Olaf um den Wagen herumlief und hinter das Lenkrad kletterte.

„Wie macht sich der Neue?“, fragte Aaron, dabei schnallte er sich an.

„Ganz gut. Nettes Kerlchen.“ Olaf schmunzelte. „Sicher weißt du, dass er schwul ist, oder?“

„Öhm … Ich hab’s gemerkt.“ Warm schoss ihm das Blut in die Wangen. Zum Glück war es so dunkel, dass Olaf davon nichts mitbekam.

„Wieso hab ich das Gefühl, dass du mir etwas verschweigst?“, sinnierte Olaf, startete den Motor und fädelte den Wagen in den Verkehr ein.

„Ach, du spinnst. Fahren wir zum Al dente?“

„Wo denn sonst hin?“ Ein Seitenblick mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen streifte ihn.

Fand Olaf etwa, dass es langweilig mit ihm war? „Wenn du woanders hin willst …“, setzte Aaron zu sprechen an. „Alles gut, Honey. Ich mag das Al dente“, fuhr Olaf ihm dazwischen und legte eine Hand auf seinen Schenkel. „Dich mag ich auch.“ Blaue Augen zwinkerten ihm zu.

Entspannt lehnte Aaron sich zurück. Mit Olaf fühlte es sich richtig an, auch wenn da ein kleines Stimmchen in seinem Hinterkopf etwas anderes flüsterte.

~ * ~

Olaf war ein netter Kollege. Hendrik bekam alle Hilfe, die er für die Einarbeitung brauchte und begriff schnell, worauf es ankam. Weidenberg wollte kein kompliziertes Kostenträgersystem, sondern lediglich eine Abgrenzung von drei verschiedenen Geschäftsbereichen. Er hatte nur dafür Sorge zu tragen, dass zur Monatsmitte und zum Ende hin entsprechende Zahlen vorlagen. Ansonsten ließ man ihm freie Hand.

In der ersten Woche begegnete er dem Chef nur dann, wenn dieser Olaf zum Mittagessen abholte. Inzwischen keimte in ihm die Ahnung, dass sie sich wohl doch etwas intimer kannten. Der Blick, mit dem Weidenberg ihn stets musterte, war lauernd und nachdenklich. Vor langer Zeit war da mal ein Aaron gewesen, mit dem Hendrik mehr als einmal in die Kiste gesprungen war. Bevor es zu ernst werden konnte, hatte er den Typen abgesägt. Damals galt ihm seine Freiheit als das höchste Gut und um dieses zu bewahren, war er über Leichen gegangen.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr erhärtete sich der Verdacht. Aaron Weidenberg musste einfach der Aaron von damals sein. Warum sonst guckte der Kerl so komisch? Eine Ähnlichkeit war da, aber sicher konnte er eigentlich erst dann sein, wenn er seinen Chef küssen würde. Damals hatten Aaron und er sich nur nachts gesehen, meist in angetrunkenem Zustand. Er konnte sich nicht einmal an die Augenfarbe erinnern, nur daran, dass die Küsse umwerfend waren. Nie wieder hatte ein Mann ihn, allein mit der Berührung seiner Lippen, halb in den Wahnsinn getrieben. Natürlich war es keine Option, Weidenberg aufs Klo zu schleppen und ihm einen Kuss zu stehlen. Denken musste Hendrik daran aber schon.

Die zweite Woche verging und der Termin für den Halbmonatsbericht rückte näher. Hendrik wurde zunehmend nervöser, zudem träumte er nachts mittlerweile von dem verdammten Aaron. In seinen feuchten Träumen küssten sie einander, was stets zur Folge hatte, am nächsten Morgen mit klebrigem Höschen aufzuwachen. Gegenüber Olaf spürte er Scham, dass er dessen Liebhaber heimlich mit ins Bett nahm. Es war nicht in Ordnung, einem Kollegen den Liebsten auszuspannen, auch wenn es nur im Traum geschah.

Am Wochenende traf er sich auf ein Bier mit Christian. Die vergangenen Wochen hatten sie einander kaum gesehen. Sein Freund schob vor Weihnachten Doppelschichten. Wie jedes Jahr versuchten viele seiner Kunden, vor den Festtagen noch etwas Speck abzutrainieren.

„Und? Wie läuft’s?“ Christian trank einen ordentlichen Schluck Bier, anschließend wischte er sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe.

„Eigentlich super. Es ist nur so … mein Chef, dieser Aaron Weidenberg, den kenn ich wohl. Ich hab mal mit einem Aaron rumgemacht. Vielleicht erinnerst du dich an so einen kleinen, unscheinbaren Braunhaarigen? Er stand im Goldenen Hirsch immer an der Wand, gleich neben dem Gang zu den Klos.“

„Wie lange soll das her sein?“ Sein Freund zog die Stirn in Falten.

„Ungefähr zehn Jahre.“

„Haha! Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich nach so langer Zeit an unscheinbare Brünette erinnere?“

„Er küsst wahnsinnig gut“, murmelte Hendrik, drehte sein Glas in den Händen und lächelte versonnen.

„Bist du verliebt?“

„Quatsch! Ich weiß es eben nur noch.“

„Und wo ist nun das Problem?“, fragte Christian gedehnt.

„Keine Ahnung. Ach, vergiss es. Was machen deine Muskelmänner?“ Unwillkürlich musste Hendrik an Olaf denken, der bekennender Fitnessfanatiker war. Ob er in dem gleichen Studio trainierte, in dem Christian arbeitete? Wohl eher nicht. Zu viele Zufälle auf einem Haufen. Es reichte, dass er ausgerechnet den Aaron als Chef hatte.

„Keine Zeit für Abenteuer. Aktuell ist auch nichts Interessantes dabei.“

„Hört, hört“, spottete Hendrik.

„Was ist denn nun mit diesem Agron? Willst du ihn wieder küssen?“

Aaron“, korrigierte er scharf, da ihm bewusst war, dass Christian sich über ihn lustig machte. „Natürlich küsse ich meinen Chef nicht.“

„Ist er besetzt?“

„Oh ja. Ausgerechnet mein direkter Kollege ist der Lover von dem Kerl.“

„Puh! Nicht gut.“

„Olaf könnte dir gefallen.“ Warum Hendrik das anmerkte, verstand er selbst nicht. Wollte er etwa Christian mit dem Kollegen verkuppeln?

„Aha. Wie sieht er denn aus?“ Ein Funke Neugier blitzte in den braunen Augen auf.

„Blond. Groß. Kräftig. Blaue Augen.“

„Holla! Her mit dem Kerl, aber erst nach Weihnachten.“ Christian lachte schallend.

„Und er ist total sympathisch.“

„Oh Mann! Das musste jetzt nicht sein. Es reicht, wenn er fantastisch aussieht.“ Sein Freund verdrehte die Augen. „Will ja meine Freiheit nicht verlieren.“

„Bist du nicht langsam zu alt für den Scheiß?“ Christian war sieben Jahre älter als er selbst, also 39. Hendrik konnte sich ja jetzt schon nicht mehr damit anfreunden, ständig den Partner zu wechseln. Wie würde es erst mit fast 40 sein?

„Ich bin für die Ehe nicht geschaffen“, flötete Christian, strich sich affektiert durchs Haar und klimperte mit den Wimpern. „Es gibt so viele schön Männer, die nur darauf warten, von meinem Monsterschwanz beglückt zu werden.“

„Träum weiter.“ Hendrik grinste, winkte dem Wirt auffordernd mit seinem leeren Glas zu und ließ den Blick über die anderen Gäste schweifen. Keiner war darunter, der ihn auch nur annähernd reizte.

„Ja, ja. Und du träum mal weiter von deinem Küsser.“



2.

Leider tat Hendrik genau das. Aaron geisterte mit wachsender Intensität durch seine Träume. Er meinte sogar, den Duft des Mannes zu riechen. Der Sex war schön gewesen, daran konnte er sich inzwischen auch deutlich erinnern.

„Hendrik? Kommst du zur Weihnachtsfeier?“

„Hm?“ Er sah hoch und merkte, dass er, ganz in Gedanken versunken, auf seinen Monitor gestarrt hatte.

Olaf grinste, aber wenn er wüsste, wer der Gegenstand seiner Träume war, würde ihm das sicher vergehen. Schuldbewusstsein machte sich in Hendrik breit.

„Nächste Woche findet die Weihnachtsfeier statt. Du hast noch nicht zugesagt. Ich bin im Orga-Team, daher weiß ich das.“

Hendrik warf einen Blick auf den Wandkalender hinter Olafs Kopf. „Oh! Tschuldige. Trag mich einfach ein.“

„Mit oder ohne Partnerin?“

„Ha-ha! Sehr witzig. Natürlich ohne.“ Er schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf. „Nun sag nicht, du kommst mit deiner Frau.“

„Lol“, murmelte Olaf schmunzelnd, wobei er eifrig auf seiner Tastatur herumtippte. Dabei rutschte ihm die Zungenspitze zwischen die Lippen, wie so oft. Christian würde das hinreißend finden, überlegte Hendrik. Überhaupt war Olaf genau der Typ Mann, der einen Freiheitsfanatiker wie Christian bekehren könnte. Warum – um Himmels willen! – dachte er darüber nach, seinen Freund zu verkuppeln?

Bevor er länger über die Beweggründe sinnieren konnte, blinkte auf seinem Bildschirm ein Fenster auf. ‚Termin mit Aaron Weidenberg. Halbmonatsbericht.‘ In einer Stunde musste er das erste Mal Rede und Antwort stehen. Hendriks Puls jagte in die Höhe. Plötzlich aufgeregt, studierte er die Zahlen auf dem Monitor. Hatte er alle Fakten berücksichtigt? Seine Vorgängerin schien sich nur auf ihren Kopf verlassen zu haben, denn es gab keinerlei Checklisten oder irgendwelche Arbeitsanweisungen. Hendrik war froh, dass Olaf ihm ein wenig Hilfestellung geben konnte, sonst hätte er sich bestimmt gründlich blamiert.

Eine Stunde später klopfte er an Aarons Tür. Im Geiste nannte er ihn inzwischen so. Er konnte nur hoffen, dass er sich nicht irgendwann verplapperte. Da keine Antwort kam, öffnete Hendrik die Tür und stand vor einem leeren Raum. Er war bisher noch nie in Aarons Büro gewesen, daher erstaunte es ihn, dass es offenbar ein Vorzimmer gab. Der Schreibtisch wirkte allerdings nicht so, als würde er benutzt. Alles war penibel aufgeräumt, nur ein goldgerahmtes Foto stand auf der blanken Tischfläche.

„Herr Kamann?“, ertönte Aarons Stimme hinter einer halboffen stehenden Tür in der Wand zu seiner Rechten.

Graue Augen sahen ihm erwartungsvoll entgegen, als er das Zimmer betrat und auf den Stuhl vor dem breiten Schreibtisch zustrebte. Dass sie grau waren, daran erinnerte er sich inzwischen wieder. Auch daran, wie gern Aaron es mochte, wenn man an seinen winzigen Brustwarzen oder den Ohrläppchen knabberte. Ob er das immer noch mochte? Tat Olaf das bei ihm? Wusste sein Kollege, dass Aaron wild zu stöhnen anfing, wenn man seine Schenkelinnenseiten mit zarten Bissen malträtierte?

„Darf ich den Bericht sehen?“ Aarons Stimme klang freundlich, dennoch hörte Hendrik einen leicht sarkastischen Unterton heraus. Kein Wunder. Er saß da wie ein Ölgötze und merkte gerade, dass sein Deo versagte. Nervös reichte er die Blätter über den Tisch und hoffte, dass Aaron die nassen Flecken unter seinen Achseln nicht bemerkte. Es war aber auch warm hier.

Während sein Chef den Bericht überflog, nutzte Hendrik die Gelegenheit, um Aaron gründlich zu mustern. Damals hatte er die Haare länger getragen. Sie waren nun sehr kurz und modisch frisiert. Lange, dunkle Wimpern überschatteten die schönen Augen. Hendriks Blick heftete sich auf zartrosa Lippen. Augenblicklich wurde ihm noch heißer. Hatte Christian recht? War er in Aaron verschossen?

„Mir scheinen die Personalkosten zu niedrig.“ Aaron warf die Papiere auf den Tisch. „Haben Sie das Weihnachtsgeld berücksichtigt?“

Obwohl das schlicht unmöglich war, stieg die Temperatur im Zimmer noch. „Ich … ich muss das überprüfen“, stammelte Hendrik. Ihm war plötzlich speiübel. Was für ein Anfängerfehler! Aaron musste ihn für einen Trottel halten, der sein Gehalt nicht wert war.

„Ich nehme mal an, dass du dich inzwischen erinnerst.“ Aaron stand auf, kam um den Schreibtisch herum und hockte sich auf dessen Kante. „Dein Blick ist so anders. Aber damit du das gleich weißt: Für dich gelten die gleichen Regeln, wie für alle anderen Mitarbeiter. Und: Ich hab den Mist schon lange vergessen.“

~ * ~

Es war eine Genugtuung zuzusehen, wie Hendrik in sich zusammensackte und die dunklen Schweißflecken unter den Achseln sprachen dafür, dass er sehr nervös war. Dennoch kam Aaron nicht umhin, das attraktive Gesicht zu bewundern. Wenigstens kurz. Gleich darauf war er wieder ganz bei der Sache. „Prüfe die Zahlen bitte diesmal gründlich. Wie lange brauchst du dafür?“ Er ging zurück zu seinem Sessel.

„Eine Stunde?“ Hendriks Blick war unsicher. „Ist das okay?“

„Sagen wir mal, dass es morgen auch noch reicht.“ Er schob den Bericht über den Tisch. „Ach ja, guck dir auch noch die Umlagen für die Miete an. Seit deine Vorgängerin sie berechnet hat, haben sie sich nicht verändert, aber die Abteilungen sind mehrfach umgezogen. Traust du dir das zu?“ Oh ja, es war herrlich zu sehen, wie Hendrik zusammenzuckte. Aaron gewann immer mehr Gefallen an seiner Überlegenheit. Es war eine gute Idee gewesen, den selbstherrlichen Mistkerl einzustellen.

„Natürlich. Olaf wird mir sicher helfen.“ Hendrik raffte die Blätter zusammen und ging zur Tür. „Weißt du …“ Er drehte sich um. „Ich bin dankbar für die Chance, auch wenn du sie mir wohl nur deshalb gibst, um mir einen reinzuwürgen. Es tut mir leid, wie ich mich damals verhalten habe. Ich war jung. Bitte vergiss das nicht.“

Erstaunt und mit dem Gefühl, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt, sah

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaierlos
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2014
ISBN: 978-3-7368-6435-1

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