Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Text: Sissi Kaiserlos
Foto von shutterstock / Design von Lars Rogmann
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Sechs Männer brauchen Hilfe. Nicht dabei, ihre Stiefel hinauszustellen, das schaffen sie gerade noch allein. Eher dabei, einander zu finden. Die kleinen Mäuse mit roten Mützen spielen Amor, jedoch ohne Pfeil und Bogen. Sie benutzen Kekse, Bauernschläue und so manches Mal greifen sie zu einer fiesen List. Wer denkt, hier Mäusesex zu finden, sei gewarnt: Hier treibt es Mann mit Mann. Alles andere kommt zu kurz, oder auch nicht.
Gay-Romanze, ca 33.000 Worte
Am Nikolausmorgen findet Damian neben seinem mit Süßigkeiten gefüllten Stiefel eine weinende Maus. Als Tierarzt interessiert ihn das Phänomen heulender Nager sehr. Die Maus, sie behauptet Niko-Willi zu heißen, ist von einer Kolonne zurückgelassen worden, die angeblich die Stiefel füllt. Dann ist da noch Tundra, die Hunger hat und der Postbote spielt auch eine Rolle.
~ * ~
In der Nacht hatte eine weiße Puderschicht die Welt überzuckert. Damian trank seinen ersten Kaffee, sah durch das Küchenfenster und bewunderte den glitzernden Schnee. Es war Samstag, daher braucht er nicht in seine Praxis und war entsprechend spät dran. Die Sonne hatte sich bereits weit über den Horizont geschoben. Ihre Strahlen ließen die Schneekristalle wie winzige Diamanten funkeln. Damian machte sich nichts vor. Spätestens gegen Mittag würde die dünne Schicht verschwunden sein, ein Opfer der für die Jahreszeit zu hohen Temperaturen.
Es war der Morgen des 6ten Dezember. Am Vorabend hatte er seinen Stiefel vor die Tür seines kleinen Häuschens gestellt, so, wie er von Kindesbeinen an kannte. Früher, als kleiner Junge, war er stets aufgeregt als erstes zu dem Stiefel gerannt und hatte ihn ausgekippt, um die Gaben zu bewundern. Heutzutage, mit Mitte vierzig, war er abgeklärter. Tundra strich schnurrend um seine Beine. Die Katze hatte schon ihr Futter bekommen, versuchte aber stets, eine Zugabe zu erschmeicheln.
„Du hast genug. Wirst sonst zu fett, mein altes Mädchen.“ Damian schluckte den Rest Kaffee, beugte sich runter und kraulte Tundras Köpfchen. „Und nun gucke ich mal nach, ob der Nikolaus dagewesen ist.“
Damians Stiefel war, wie jedes Jahr, prall gefüllt mit Keksen und anderem Naschwerk. Eines war dieses Jahr jedoch anders: Neben dem Stiefel kauerte eine Maus mit roter Mütze und schluchzte. Damian war Tierarzt, daher schon von Berufs wegen interessiert an diesem ungewöhnlichen Nager. Er ging in die Hocke, schob den Stiefel etwas beiseite, damit er besser gucken konnte und hatte augenblicklich die volle Aufmerksamkeit der Maus. Große schwarze Knopfaugen sahen ihn an.
„Tu-tu-tu mir nichts“, stotterte das Nagetier.
Für einen Moment verschlug es Damian die Sprache. Das war ja nun wirklich hochinteressant.
„Miow.“ Seine Katze Tundra kam angeschlichen, ging, angesichts der Maus, in Lauerstellung und machte sich zum Sprung bereit.
„Oh! Ein Fresskater!“, wimmerte die Maus angsterfüllt. „Ich will nicht ster-her-herben!“ Erneut spritzten winzige Tränchen aus ihren Äugelein.
„Tundra! Weg mit dir!“, befahl Damian, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Tundra hörte nicht auf ihn, normal für eine Katze. Er seufzte resigniert, streckte die Hand nach der Maus aus und hob sie vorsichtig hoch. Der winzige Körper zitterte, er konnte sogar das wilde Herzpochen an seinen Fingern spüren. Damian nahm den Stiefel in die andere Hand, ging zurück ins Haus und schob mit dem Fuß die Tür zu. In der Küche setzte er die Maus auf dem Tisch ab und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.
„Eine sprechende Maus“, murmelte er.
„Danke! Du bist ein guter Leut!“ Das Nagetierchen packte mit beiden Pfoten den Rand der roten Zipfelmütze und zog sie sich tief in die Stirn. „Ich bin Niko-Willi.“
„Klar. Und ich bin Knecht Ruprecht.“
„Freut mich.“ Offensichtlich kannte die Maus den Namen nicht. Sie klang kein Stück ironisch.
„Tschuldige. Ich bin Damian.“
Der Nager legte das Köpfchen schief und guckte groß. „Du hast gelogen?“
„Ich wollte einen Scherz machen“, gab Damian zu. „Tut mir leid.“ Draußen, vor dem Fenster, hatte Tundra Aufstellung bezogen. Er konnte sehen, dass sie maunzte. „Du bist also Niko-Willi?“, nahm er das Gespräch wieder auf.
„Genau. Ich gehöre zu den Niko-Mäusen. Wir füllen eure Stiefel.“
„So, so. Interessant.“ Damian rieb sich das Kinn. „Und wieso sitzt du neben meinem Stiefel und jammerst? Solltest du nicht bei den anderen Mäusen sein?“
„Die haben mich einfach zurückgelassen. Ich wollte doch nur ganz kurz Pipi machen und schon waren sie weg.“ Der Mäuserich schniefte. „Na gut. Ich hab nicht Bescheid gesagt und außerdem musste ich groß. Hat länger gedauert. Bin wohl selbst schuld.“
Das klang plausibel. An die Mäuseköttel in seinem Garten dachte Damian mal lieber nicht. Es reichte, dass er hier saß und mit einer Maus redete. Nur gut, dass ihn niemand dabei beobachtete, bis auf Tundra. Auf deren Schweigen konnte er sich aber verlassen.
„Und was willst du jetzt tun?“
Niko-Willi zuckte die Achseln. „Weiß ich nicht. Kannst du mir nicht helfen, meine Butze zu finden?“ Treuherzig wurde Damian angeblinzelt.
„Wie ist denn die Adresse?“
„Adresse?“, echote Niko-Willi. „Was ist das?“
„Das ist der Straßenname und die Hausnummer. Okay. Lesen kannst du sicher nicht.“
Der Mäuserich schlug die Augen nieder, fummelte angelegentlich an seinen Füßchen herum. „Ich kann nicht gut lesen. Bin eben dumm.“
Das Bild war rührend. Damians Herz flog dem kleinen Willi zu. Sanft stupste er mit dem Zeigefinger gegen die rote Mütze. „Hey! Viele Menschen können auch nicht lesen und schreiben, deswegen sind sie aber nicht dumm.“
„Echt jetzt?“ Niko-Willi guckte hoffnungsvoll hoch.
„Ja. Echt. Sag mal, wieso gehst du nicht allein auf die Suche nach deiner … Hm, Butze?“
„Zu gefährlich“, flüsterte der Mäuserich, guckte über die Schulter und lenkte so Damians Blick auf Tundra. „Fresskater. Leut. Diese lauten Kisten mit Rädern.“
„Stimmt. Daran hab ich gar nicht gedacht.“
„Duhu? Damian? Ich bin total müde.“ Niko-Willi gähnte herzhaft. „Kann kaum noch aus den Augen gucken.“ Wie zum Beweis klappten ihm kurz die Äugelein zu. „Darf ich ein bisschen schlafen?“
Das würde Damian immerhin die Möglichkeit geben, seine Einkäufe zu erledigen und darüber nachzudenken, wie er Willis Butze finden sollte. Ob er sie überhaupt finden wollte, anstatt das Tier zu Forschungszwecken … Nein, das kam nicht infrage. Willi in ein Labor zu geben, damit alle möglichen Leute an ihm herumexperimentierten, gefiel ihm nicht. Im Grunde seines Herzens war Damian ein guter Mensch, der niemandem etwas zuleide tun konnte. Willi brauchte seine Hilfe, also würde er sie bekommen.
Allerdings gab es ein Problem und genau das kratzte gerade am Holz der Haustür. Tundra hasste Kälte. Damian musste sie hereinlassen, wenn er es sich nicht mit ihr verscherzen wollte. Sein Blick wanderte in der Küche umher, bis er an dem leeren Vogelkäfig auf einem der Oberschränke hängenblieb. Das war die Lösung.
„Ich bin im Knast“, jammerte Niko-Willi kurz darauf, die Pfötchen um die Gitterstäbe geklammert. „Hol mich hier bloß wieder raus.“
„Es ist eine Art Schutzhaft. Leg dich schlafen. Ich bin bald wieder da“, versprach Damian, stellte den Käfig im Schlafzimmer auf die Fensterbank und schloss die Tür sorgfältig ab. Dann ließ er Tundra, die sogleich an ihm vorbeischoss, herein. Miauend streifte sie, auf der Suche nach der Maus, durchs Haus. Schließlich rollte sie sich schmollend unter dem Küchentisch zusammen.
Im Supermarkt war Damian nicht so recht bei der Sache. Automatisch packte er Lebensmittel in den Korb, während seine Gedanken bei Willi weilten. Konnte es sein, dass der Mäuserich die Wahrheit sagte? Jedenfalls würde das eine Erklärung für den Nikolaus sein. Dennoch: Eine Schar von Mäusen, die umherzog und überall Stiefel füllte, ließ sich so gar nicht mit seiner Vorstellung vereinbaren. Wie sollten die putzigen Nager das ganze Zeug transportieren? Zogen sie einen Leiterwagen hinter sich her?
„Das macht 40 Euro 59“, holte die Kassiererin ihn aus seinen Überlegungen ins Jetzt zurück.
Als Damian, in beiden Händen eine Einkaufstüte, auf sein Haus zuging, fiel ihm ein kleiner Gegenstand in der Nähe eines dichten Busches ins Auge. Er setzte eine Tüte ab, bückte sich nach dem Teil und stellte fest, dass es sich um eine kleine Kiepe handelte. Willi musste sie abgesetzt haben, um sein Geschäft zu verrichten. Am Boden des Tragekorbes befanden sich einige Krümel. Damian kam sich wie ein Detektiv vor, als er eine Fingerkuppe anfeuchtet, die Krumen aufnahm und daran roch. Schwacher Keksduft ging von dem Corpus Delicti aus. Somit war der Transport geklärt. Er stopfte die Kiepe in eine der Tüten und setzte den Weg fort.
Tundra hatte sich inzwischen ins Wohnzimmer verzogen und lag dort vor dem Heizkörper. Damian räumte die Einkäufe weg, legte die Kiepe auf die Fensterbank, setzte Wasser für Tee auf und ging anschließend ins Schlafzimmer. Willi hatte sich aus der Packung Papiertaschentücher, die Damian ihm gestiftet hatte, ein Nest gebaut. Zu einer Kugel zusammengerollt, schnorchelte er friedlich vor sich hin. Bei jedem Ausatmen vibrierten die Schnurrbarthaare. Die Mütze lag ordentlich zusammengefaltet vor dem Nest. Eine Weile sah Damian dem Mäuserich beim Schlafen zu. Niedlich war das Kerlchen schon. Gerührt seufzte er, schloss die Tür wieder ab und kehrte in die Küche zurück. Mit einem Becher Tee in den Händen stellte er sich ans Fenster. Wie schon vermutet, war der Puderzucker inzwischen verschwunden. Die Sonne hatte sich hinter grauen Wolken verkrochen und ein scharfer Wind schüttelte die Baumkronen durch. Das richtige Wetter, um sich mit einem Buch auf dem Sofa zu verkriechen.
Noch schöner wäre, sich mit einem Mann unter einer Decke zu verkriechen. Wehmütig dachte Damian an die schöne Zeit mit Ralf zurück. Drei Jahre hatten sie hier zusammen gewohnt, bis Ralf eine Job in München angeboten bekam. Die Fernbeziehung hielt nicht. Irgendwann gestand Ralf, dass er einen anderen hatte und damit war es vorbei. Es dauerte lange, bis Damian die Sache einigermaßen verwinden konnte. Inzwischen waren fünf Jahre vergangen und sein Sexualleben nur noch eine schwache Erinnerung. Jedenfalls das mit einem Menschen. Seine Faust bekam regelmäßig Arbeit, aber das zählte irgendwie nicht. Vor allem vermisste Damian Küsse und Umarmungen.
Auf der Straße war wenig los. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei oder ein Hundebesitzer passierte das Grundstück. Damian wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als der Postbote in Sichtweite kam. So lange er hier wohnte, und das waren mittlerweile über zehn Jahre, hatte der Briefträger nie gewechselt. Vor ungefähr einem Monat war es dann doch geschehen: Ein unbekannter Postbote tauchte auf. Seit Damian den Mann das erste Mal gesehen hatte, war er hin und weg. Der Kerl war ausnehmend attraktiv und inzwischen fester Bestandteil von Damians Wichsfantasien.
Wie immer stellte der Briefträger sein Fahrrad am Zaun ab. Anstatt jedoch, wie sonst, gleich den Gartenweg heraufzueilen, nahm er etwas behutsam aus der Box am Lenker und hastete erst dann aufs Haus zu. Neugierig ging Damian zur Tür, öffnete sie und sah dem Mann entgegen.
„Sie sind doch Tierarzt“, stieß der Postbote hervor. „Ist sie tot?“
Auf den Handflächen des Mannes lag eine Maus, die Willi sehr ähnelte, nur dass sie dicker war. Auch die rote Mütze fehlte nicht, allerdings trug der Mäuserich sie nicht auf dem Kopf. Sie ragte halb unter dem leblos wirkenden Körper hervor.
„Ich glaube, ich habe sie angefahren. Sie stand plötzlich da und ich konnte nicht mehr bremsen. Ist sie tot?“ Der Mann zitterte. Offenbar stand er unter Schock.
„Kommen Sie herein. Ich muss mir das Mäuschen näher angucken.“ Er hielt die Tür auf, ließ den Postboten eintreten und führte ihn in die Küche. Nachdem er den Mann auf einen Stuhl genötigt hatte, setzte er frisches Teewasser auf. Unterdessen legte der Postbote die Maus überaus vorsichtig auf dem Tisch ab. Die Mütze landete diesmal neben dem schlaffen Körper.
„Das wollte ich nicht. Ich hab noch nie ein Tier getötet“, jammerte der Briefträger. „Außer mal eine Fliege. Oh Mann! Die stand echt da und hat sich keinen Zentimeter bewegt.“
„Ganz ruhig. Immerhin blutet die Maus nicht.“ Damian beugte sich über das Tierchen, fuhr prüfend mit dem Finger über den Brustkorb. Deutlich spürte er das Pochen des kleinen Herzens. Tot war sie also nicht. Vielleicht nur bewusstlos.
„Miowww!“ Tundra strich ihm um die Beine.
„Sie ist am Leben“, erklärte er, an den Postboten gewandt. „Ihr Herz schlägt.“
„Puh!“ Der Mann sackte erleichtert in sich zusammen. „Was ist, wenn sie sich etwas gebrochen hat?“ Ein vertrauensseliger Blick aus braunen Augen traf Damians. Ihm wurde schlagartig warm und die Hose eng.
„Miaaaau!“ Seine Katze machte Anstalten, auf den Tisch zu springen. Er wollte sich bücken und sie hochnehmen, doch der Postbote kam ihm zuvor und hob Tundra auf seinen Schoß. „Du bist je ein hübscher Kater“, säuselte der Mann.
„Katze“, sagte Damian trocken.
Der Teekessel begann zu pfeifen. Für einen Moment war er damit beschäftigt, einen Becher aus dem Schrank zu holen, einen Teebeutel hinein zu werfen und Wasser darüber zu gießen. Als er sich dem Tisch wieder zuwandte, hatte sich etwas verändert. Während er den Teebecher vor dem Briefträger abstellte, überlegte er, was anders war. Argwöhnisch musterte er die Maus. Ha! Die Mütze! Wie, bitteschön, kam die rote Mütze auf den Kopf des Mäuserichs?
„Wie heißt sie denn?“ Der Postbote beschmuste Tundra so intensiv, dass die ganz weggetreten auf seinen Knien hing. So kannte Damian sein Mädchen gar nicht. Tundra war nur bei ihm zutraulich, nie bei Fremden.
„Tundra“, antwortete er knapp, wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Maus zu und beäugte sie eingehend. Lag da ein Grinsen auf dem Mäulchen? Er guckte näher hin, kitzelte den Mäuserich am Bauch und … „Wuhuhuhu!“, kicherte das Tierchen, schlug mit der Pfote nach seinem Finger und lag gleich darauf wieder still da. Was für ein mieser Schauspieler. Damian musste grinsen.
„Tundra? Ist das nicht die sibirische Steppe oder so?“, flötete der Postbote, völlig auf die Katze fixiert.
In diesem Augenblick krachte im Schlafzimmer etwas auf den Boden. Damian schwante Böses. Er schnappte sich den Mäuserich, während Tundra fauchte und sich aus dem Griff des Briefträgers schlängelte. Zugleich kamen sie vor der Schlafzimmertür an. „Hiiilfe“, hörte er ein hohes Stimmchen piepsen. „Willilein!“, rief der Laiendarsteller in seiner Hand. „Was ist denn los?“ Der Postbote kam in den Flur gewetzt.
Minuten später hatte sich das Chaos gelegt. Tundra war im Wohnzimmer eingesperrt, der Vogelkäfig stand wieder auf der Fensterbank und zwei Mäuseriche lagen sich in den Armen. Damian hockte auf der Bettkante und der Briefträger neben ihm. „Wow“, flüsterte der Mann. „Das ist besser als Kino.“
„Wie kann man nur so dämlich sein, den Käfig von der Fensterbank zu ruckeln. Ich fass es nicht“, grummelte Damian, dem der Schreck noch immer in den Knochen saß.
Willi linste beschämt zu ihm rüber. „Ich fühlte mich so eingesperrt“, rechtfertigte er sich zum wohl hundertsten Mal.
„Du hättest dir das Genick brechen können!“, brauste Damian auf.
„Niko-Mäuse haben sieben Leben“, klugscheißerte der dicke Mäuserich.
„Katzen haben sieben Leben, nicht Mäuse“, korrigierte der Postbote trocken
„Genau! Katzen, nicht Mäuse“, legte Damian nach und hob drohend den Zeigefinger. „Wenn du noch einmal versuchst dich umzubringen, dann aber bitte nicht in meinem Schlafzimmer. Davon bekomme ich Alpträume.“
„Es tut mir soooooo leid.“ Willi löste sich von dem anderen Mäuserich und trippelte zur geöffneten Klappe. „Bitte. Sei wieder lieb mit mir. Wer ist das da eigentlich?“ Schwarze Äugelein richteten sich voller Neugier auf den Postboten.
„Das ist der Mäusebote, der deinen dicken Kumpel gebracht hat“, ätzte Damian.
„Ich bin Nils.“
„Ich bin nicht dick!“
„Ich brauche eine Auszeit.“ Damian erhob sich schwerfällig, ging zur Tür und drehte sich dort noch einmal um. „Hier herrscht Ruhe, während ich nachdenke.“ Unter seinem drohenden Blick zogen Willi, Nils und der nicht dicke Mäuserich die Köpfe ein.
~ * ~
Nils konnte sein Glück kaum fassen. Er saß wirklich in der Küche des attraktiven Tierarztes und trank mit ihm Tee. Seit einem Monat, von dem Tag an, als er den Mann das erste Mal erblickte, geisterte der durch seine Wachträume. Unzählige Male hatte er selbst Hand angelegt und dabei an Damian Schulz gedacht. Nun war das Schicksal eingesprungen und hatte die Maus vor sein Fahrrad geführt. Es musste einfach göttliche Fügung sein. Man traf nicht jeden Tag auf sprechende Mäuse mit roten Mützchen.
„Ich bin Damian.“ Sein Gegenüber fuhr sich durchs Haar, wodurch Nils‘ Aufmerksamkeit auf die sexy grauen Schläfen gelenkt wurde.
„Ich weiß. Ich bringe deine Post. Daher weiß ich auch, dass du Tierarzt bist.“
Blaue Augen musterten ihn nachdenklich. „Ich bekomme meine Geschäftspost in die Praxis geschickt.“
Ups! Nils wurde rot und senkte den Blick auf seinen Becher. Natürlich hatte Damian recht und er war ein Idiot. Dank Internet wusste er von der Praxis. Sollte er sein Interesse offen zeigen? Dass Damian schwul war wusste er vom ersten Moment an. Es war die Art, wie sie einander angesehen hatten. Wäre er jünger, würde er keinen Augenblick zögern, aber als ein Mann Anfang vierzig waren seine Bedürfnisse anders. Er wollte keinen einmaligen Fick, sondern etwas tiefergehendes.
„Ach, ist ja auch egal. Diese Scheißmäuse liegen mir auf dem Magen. Tundra wird mich nie wieder mit dem Arsch angucken, wenn ich sie länger einsperre.“ Wie zur Bekräftigung dieser Theorie, ertönte ein wütendes Fauchen hinter der Wohnzimmertür. „Willi, also die eine Maus, behauptet, dass es irgendwo eine Kolonie gäbe, zu der er gehört. Sie füllen die Stiefel am Nikolaustag.“ Damian tippte sich an die Stirn. „Klar. Und im Himmel ist Jahrmarkt.“
„Hast du dich nie gefragt, woher das ganze Zeug kommt? Meine Eltern sind schon lange tot. Dennoch ist mein Schuh immer voll. Sogar dann, wenn ich ihn nicht geputzt habe. Warum also sollte Willi nicht recht haben?“
„Magst du noch einen Tee?“, fragte Damian und stand auf.
Mittlerweile war es Nils so heiß in seiner Postlermontur geworden, dass er die Jacke endlich abstreifte und über die Stuhllehne hängte. Sein Blick wanderte zum Fenster. Vereinzelte Schneeflocken sanken herab, wie winzige Federn. Seine Augen huschten zu Damians Hintern in der engen Jeans. Er musste schlucken, lenkte den Blick auf seine Hände und wünschte, er wäre weniger schüchtern. Flirten war so gar nicht sein Ding.
„Pfefferminze oder Hagebutte?“ Damian seufzte. „Wieso hab ich keine anständigen Teesorten im Haus? Ich mag das Zeug nicht einmal.“
„Pfefferminze ist okay. Hat meine Mutti immer gekocht, wenn ich krank war“, murmelte Nils und musste plötzlich blinzeln. Feiertage stimmten ihn immer rührselig. Langsam sollte er damit klarkommen, dass er seit zehn Jahren keine Eltern mehr hatte.
„Meine auch. Sag mal … hättest du Lust, Tundra ein wenig zu beruhigen? Anscheinend mag sie dich. Ich kann nicht denken, wenn sie so herumjault.“ Damian sah mit gequälter Miene zum Wohnzimmer.
„Kein Problem.“ Froh darüber, etwas tun zu können, sprang Nils auf und ließ die Katzendame in den Flur. Sogleich bezog Tundra vor der Schlafzimmertür Aufstellung und stimmte ein Mauzkonzert an. Kurzerhand hob er sie hoch, trug sie in die Küche und ließ sich mit ihr auf einem Stuhl nieder. Als würden sie ihn ewig kennen, streckte Tundra sich auf seinem Schoß aus und schloss genüsslich die Augen, während seine Finger über den zarten Flaum ihres Bauches strichen. Wie gern hätte er selbst eine Katze. In Nils‘ kleiner Wohnung war jedoch kein Platz und er war kein Tierquäler.
„Hast du eine Ahnung, wo die Kolonie stecken könnte?“ Damian stellte einen Becher mit dampfendem Tee vor ihm ab, setzte sich hin und zog die Stirn in Falten. „Immer vorausgesetzt, dass sie existiert. Klinge ich eigentlich irre?“
„Nur ein bisschen.“ Nils verbiss sich ein Grinsen. „Warum fragen wir die Mäuse nicht einfach, wie das Haus aussieht? Ich komme hier in der Gegend viel herum.“
„Also glaubst du daran?“ Mit zusammengezogenen Brauen sah Damian ihn an und rührte dabei in seinem Tee.
„Hab ich eine Wahl? In deinem Schlafzimmer steht ein Käfig, in dem sich zwei sprechende Mäuse mit roten Mützen befinden. Ich kiffe nicht, bin nicht betrunken und nehme auch sonst keine Drogen. Falls ich nicht gerade träume, dürfte das also real sein.“ Nils senkte den Blick auf Tundra und streichelte ihren Hals. Die rosa Zunge hatte sich aus ihrem Maul geschmuggelt und sie schnurrte wie ein gut geölter Dieselmotor. Er konnte das
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2014
ISBN: 978-3-7368-6029-2
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