Cover

Von Nikoläusen und Niko-Mäusen


Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.


Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.


Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.


Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!



Texte: Rechte liegen bei den Autoren


Korrekturen: Danke an alle Helfer, insbesondere Christian B. und Aschure


Foto von shutterstock / Design Lars Rogmann


Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Vorwort


Dieser Band der HomoSchmuddelNudeln enthält Wintergeschichten. Sie handeln von Nikoläusen, Weihnachtsmuffeln, Superhelden, traurigen Festtagen, einem Wiedersehen mit Ricky und Sascha und Niko-Mäusen. Alle Storys haben ein HappyEnd, keine Sorge. Sämtliche Autoren, sowie Herausgeber und Helfer, spenden ihre Arbeit. Der Erlös geht an die Schwestern der perpetuellen Indulgenz Berlin e.V. und kommt Hilfsbedürftigen zugute.

 

Mit diesen Storys verabschieden sich die Nudeln für 2014. Im Frühjahr 2015 ist der nächste Band geplant.

 

Ein Dankeschön geht an alle Leser, die mit ihrem Kauf das Projekt unterstützen.

 

Schöne Advents- und Weihnachtszeit und einen guten Rutsch wünscht:

 

für die Nudeln und im Namen aller Autoren und Helfer

 

Sissi Kaiserlos


Sissi Kaipurgay - Niko-Maus entführt!

 

Mario ist traurig und allein. Eines Tages entdeckt er eine weinende Maus mit roter Mütze neben dem Kamin. Sie kann sprechen und stellt sich als Niko-Laus vor. Ihr ist der Freund abhandengekommen. Angeblich soll sich beim Nachbarn eine Mäusekolonie befinden, die Niko-Bert gekidnappt hat. Er kann die schönsten Weihnachtskringel backen. Die Suche beginnt…

~ * ~

 

Der November ging dem Ende zu. Draußen stürmte es, der Wind peitschte gegen die Fensterscheiben, wodurch es in der Wohnung besonders gemütlich war. Mario saß in seinem Lieblingssessel, ein Buch auf den Knien und starrte sinnend ins Leere. Sein Leben war eigentlich ganz okay, bis auf die Lücke in seinem Herzen. Wenn er sich etwas zu Weihnachten wünschen könnte, dann wäre das ein Partner, mit dem er alt werden wollte.

Seufzend senkte er den Blick wieder auf die Lektüre, aber sie konnte ihn nicht fesseln. Plötzlich hörte er ein leises Schniefen, dann ein herzerweichendes Schluchzen. Weinte der Nachbar so laut, dass er es durch die Wand hören konnte? Mario lauschte, neigte dabei den Kopf zur Seite und klappte das Buch zu. Das Weinen schien von irgendwo im Zimmer zu kommen. Ein Geist? Der würde doch eher mit Ketten rasseln, dennoch überlief Mario eine Gänsehaut. Er wohnte schon über 10 Jahre in diesem Haus und bisher war er von Spuk verschont geblieben.

Mario sah sich wachsam um, stand langsam auf und schaute hinter dem Sessel nach. Nichts. Auch hinter den anderen Möbeln konnte er niemanden entdecken. Das Schluchzen hatte sich inzwischen zu einem handfesten Heulanfall gesteigert. Es klang seltsam hoch, fast wie ein Piepsen und schien von unten zu kommen. Aufmerksam musterte Mario den Fußboden, sah unter dem Couchtisch nach, dann ließ er den Blick an den Wänden entlang wandern. An der Kaminattrappe stockte er. Eine winzige rote Mütze war kurz über dem Boden zu erkennen und wenn ihn nicht alles täuschte, wurde sie von einer Maus getragen. Hätte er den Grog lieber nicht trinken sollen?

Langsam schlich er auf das heulende Tierchen zu, ging in die Hocke und beäugte es genauer. Es handelte sich wirklich um eine kleine, braune Maus, die auf den Holzdielen hockte und sich die Äugelein ausweinte. Mario hatte ein weiches Herz. Selbst wenn es sich um eine Halluzination handeln sollte, wollte er ihr helfen. Das Geheul war ja einfach nicht auszuhalten. Vorsichtig ließ er sich auf Knien nieder, beugte sich vor und sah die Maus aus nächster Nähe an.

„Hallo? Du da? Warum weinst du?“ Himmel nochmal! Jetzt redete er schon mit Tieren. Der Grog war eindeutig zu stark gewesen.

„Aaaaaaaah!“ Die Maus machte einen Satz zur Seite, verlor dabei ihr Mützchen und starrte Mario aus aufgerissenen Knopfaugen an.

„Ups. Wollte dich nicht erschrecken.“ Mario streckte die Hand aus und hielt sie der Maus hin, so wie er es bei einem Hund tun würde. „Ich tue dir nichts.“

„Ich darf nicht mit dir reden“, piepste die Maus, wobei sie sich mit den Fäustchen die Äugelein rieb.

„Okay. Dann eben nicht.“ Mit der Fingerkuppe schob Mario die Mütze in Richtung ihres Besitzers. Er ging davon aus, dass es sich um ein Männchen handelte.

„Du bist nett für einen Leut.“ Die Maus grabschte nach der roten Kappe, stülpte sie über ihren Kopf und sah Mario neugierig an. „Alle sagen, dass Leut böse Tiere sind, die uns nur in Fallen locken wollen.“

„Ich habe noch nie eine Mausefalle aufgestellt.“ Entrüstet runzelte Mario die Stirn. „Ich wusste nicht einmal, dass es hier Mäuse gibt.“

„Ts-ts. In jeder Wohnung gibt es eine Mäusekolonie. Was denkst du denn, wo die Nikolausgeschenke herkommen?“ Mit eindeutigem Missfallen stemmte das Mäuschen die Pfoten in die Seiten und musterte ihn, als wäre er ein Dummkopf.

„Na ja, an den Nikolaus glaube ich nicht. Bisher ging ich davon aus, dass Frau Müller aus dem Erdgeschoss …“ „Pah!“, unterbrach ihn sein pelziger Gesprächspartner. „Wir füllen die Stiefel. Die Niko-Mäuse.“

„Niko-Mäuse? So, so.“ Mario schmunzelte.

„Du glaubst mir nicht?“

„Doch. Klaaar! Ihr füllt die Stiefel mit Keksen, Schokolade und anderem Naschwerk.“ Mühsam verbiss Mario sich ein Lachen. „Sicher rennt ihr, wie die Osterhasen, mit Kiepen auf den Rücken herum.“

„Woher weißt du das?“ Erschrocken guckte die Maus sich nach allen Seiten um. „Das darfst du gar nicht wissen.“

„Ich hab geraten“, gab Mario, dem die Unterhaltung zunehmend Spaß machte, zu. „Und nun verrate mir mal, wieso du hier herumheulst.“

Sofort verzog sich die Miene der Maus vor Schmerz und erneut kullerten winzige Tränchen über ihre Schnauze. „Mein … mein Schatz ist we-he-heg“, jaulte sie. „Er ist entfü-hü-hürt wo-ho-horden.“

„Gibt’s ja nicht“, staunte Mario.

„Du glau-haubst mir ni-hi-hicht“, jammerte die Maus.

„Öhm. Doch. Sicher. Und wer hat deine Frau entführt.“

Sofort verstummte das Geheul. Mario wurde angeblinzelt, dann fing die Maus an zu lachen. Sie wieherte, hieb sich auf die Schenkel vor Vergnügen und kriegte sich gar nicht wieder ein. Schließlich wurde es Mario zu bunt, außerdem taten ihm die Knie vom Hocken weh. Er erhob sich, sah auf das sich kringelnde Tierchen herunter und schnaubte entrüstet. Was – bitteschön! – war so lustig an seiner Bemerkung.

„Mein Schatz ist …“ Die Maus japste nach Luft. „… ist ein Männchen. Und was für eins.“ Sie warf sich stolz in die Brust. „Niko-Bert ist der beste Vanillekipferlbäcker der Straße.“

„Aha. Du bist also schwul?“ Etwas besänftigt lehnte Mario sich gegen die Kaminattrappe.

„Heißt das so?“

„Bei uns schon. Also: Unter Menschen.“

„Schwul. Hmmm … Klingt lustig.“ Die Maus kicherte, sah mit glänzenden Knopfaugen zu ihm hoch. „Bei uns heißt das Liebe.“

Mario seufzte. „Ich wünschte, das würde bei uns auch so heißen.“

„Wieso? Ist es schlimm, wenn man bei euch schwul ist?“

„Geht so. Jedenfalls ist es etwas, was vielen Leuten Angst macht.“

„Ihr seid merkwürdig“, stellte die Maus fest. „Sag mal … kannst du mir helfen Niko-Bert zu finden? Die Kolonie aus der Butze da drüben …“ Sie zeigte mit der Pfote in Richtung Flur. „… soll ihn gekidnappt haben. Jedenfalls nehme ich das an. Sie waren schon immer neidisch auf unser Vanillekipferl.“

„Du meinst, dass in der Nachbarwohnung auch eine Kolonie lebt?“

„Hab ich doch schon erzählt. Mann! Hörst du eigentlich nie zu?“

Genau das hatte sein letzter Partner auch oft gefragt. Einer der Gründe, weshalb Heino vor einigen Jahren ausgezogen war. Mario fühlte wieder die Lücke in seinem Brustkorb. Es war nicht die große Liebe gewesen, aber sie hatten sich ganz gut verstanden. Im Grunde glaubte er eh nicht an das ganz große Gefühl. Es reichte voll und ganz aus, wenn man sich mochte und im Bett harmonierte.

„Tschuldige“, murmelte er verlegen.

„Ach. Schon gut. Ich kenn das von Niko-Bert.“ Die Maus machte eine wegwerfende Pfotenbewegung. „Männchen.“ Ein verächtlicher Laut folgte. „Ich bin übrigens Niko-Laus. Wie heißt du?“

„Mario.“

„Komischer Name, aber du scheinst echt nett zu sein. Hast du zufällig ein Stückchen Cheddar für eine traurige Nikomaus?“ Erwartungsvoll plierte Niko-Laus ihn an.

„Cheddar? Glaube nicht. Vielleicht habe ich noch eine Scheibe Schweizer Käse“, überlegte Mario.

„Bah! Der hat mir zu große Löcher. Ach, egal. Ich nehme das Zeug. Brauche Kummernahrung.“

„Unsereiner isst dann Schokolade.“ Mario stieß sich vom Kamin ab und ging zur Tür. „Was tue ich hier eigentlich? Rede mit einer Maus und nun hole ich auch noch Käse.“ Kopfschüttelnd durchquerte er den Flur, holte aus dem Kühlschrank die Käseglocke hervor und nahm die letzte Scheibe Emmentaler heraus. Sie war größer als Niko-Laus. Während er ins Wohnzimmer zurückkehrte, rollte er die Scheibe zusammen. Der Mäuserich stand dort, wo er ihn zurückgelassen hatte und leckte sich über das Mäulchen, als Mario ihm die Emmentalerrolle reichte.

„Mjam. Danke.“ Mit beiden Pfoten umklammerte Niko-Laus den Käse und begann zu knabbern. Eine Weile war nur das Schmatzen zu hören. Mario zog sich in seinen Sessel zurück und beobachtete die hastige Nahrungsaufnahme. Der Mäuserich vernichtete die Scheibe voller Gier, wischte sich danach übers Maul und rülpste laut. „Tut mir leid.“ Ein beschämtes Grinsen zog die Maulwinkel hoch.

„Geht’s dir nun besser?“

„Nö. Aber irgendwie musste ich dir den Käse ja abluchsen.“ Niko-Laus trippelte herbei. „Hilfst du mir denn nun?“

„Wie soll ich das tun?“

„Du brauchst doch nur in die andere Butze gehen, die Bodenbretter hochheben und zack! Niko-Bert schnappen und herbringen.“

„Toller Plan“, spottete Mario.

„Nicht wahr?“ Der Mäuserich grinste stolz.

„Das meinte ich ironisch.“

„Ach so.“ Niko-Laus‘ Schultern sackten runter.

Das Mäuslein sah so bekümmert und hoffnungslos aus, dass Marios Herz schmolz. Seufzend beugte er sich vor, hielt die Handfläche so, dass Niko-Laus hinaufklettern konnte und hob ihn hoch. Die kleinen Pfoten kitzelten auf seiner Haut, als der Mäuserich von seiner Hand auf Marios Bein krabbelte. Ein komisches Gefühl und Mario musste sich zwingen, die Hand nicht fortzureißen und am Jeansstoff zu reiben.

„Hast du einen besseren Plan?“ Niko-Laus machte es sich gemütlich, schlug den Schwanz einmal um seine Mitte und spielte mit dessen Spitze.

„Nein.“ Mario seufzte. „Ich kenne meinen Nachbarn nicht einmal.“

„Aber … ihr wohnt doch Butze an Butze“, wunderte sich der Mäuserich.

„Ja, schon, aber das hat nichts zu bedeuten.“

„Ihr Leut seid komisch.“

„Wem sagst du das.“

Sie versanken in grüblerisches Schweigen. Niko-Laus knabberte selbstvergessen an seiner Schwanzspitze, während Mario, aus purer Gewohnheit, an seinem Ohrläppchen zupfte. Das tat er immer, wenn er nachdachte.

„Du könntest …“, rief der Mäuserich nach einer Weile triumphierend. „… ihn nach einem Stück Cheddar fragen.“

So viel Eigennutz brachte Mario zum Lachen. Sein kleiner Niko-Laus war mit allen Wassern gewaschen. „Sicher. Der wird mich für verrückt halten.“

„Wieso?“ Niko-Laus ließ die Schwanzspitze sinken und sah mit großen Knopfaugen zu ihm auf.

„Man leiht sich Eier, Milch, Mehl, aber keine bestimmte Käsesorte“, erklärte Mario. „Eben nur Dinge, die man dringend braucht um etwas zu kochen.“

„Ach so.“ Schnurrbarthaare zitterten und Niko-Laus‘ Schnäuzlein verzog sich traurig. „Gibt es keinen Grund, dringend Cheddar zu benötigen?“

„Nur gefräßige Niko-Mäuse.“

„Ah!“ Der Mäuserich sprang auf. „Dann sag dem Butzenbewohner, dass du den Käse für mich brauchst.“

„Dann wird er mich erst recht für verrückt erklären.“

„Du bist feige!“ Niko-Laus verschränkte die Arme vor der Brust, kehrte Mario den Rücken zu und schmollte.

„Bin ich nicht. Es ist nur peinlich.“

„Pah! Du bist ein Mausefuß! Es geht immerhin um … um …“ Der Mäuserich schniefte. „Um meinen Liebsten.“

Eigentlich hatte Niko-Laus recht. Was war schon dabei, sich beim Nachbarn, den Mario ohnehin nur ein paar Mal von hinten gesehen hatte, lächerlich zu machen? Vielleicht sollte er vorher noch einen Grog … Ach nein, dann hielt der Mann ihn für einen besoffenen Idioten. Dann doch lieber ein nüchterner Trottel. Mario hob das Schmollmäuschen hoch, steckte es behutsam in seine Brusttasche und stand auf. Sein Blick wanderte zu der Uhr auf dem Kaminsims. Es war kurz nach acht und sicher saß der Nachbar gerade vorm Fernseher und guckte Nachrichten. Eine rote Mütze tauchte aus der Tasche auf, gleich darauf eine kleine Schnauze.

„Tust du es? Für mi-hich?“ Schwarze Knopfaugen flehten ihn an.

„Oh Mann! Ja, ich tue es. Wundere dich nicht, wenn bald die Männer mit den Habmichliebjacken vor der Tür stehen.“

„Habmich-was Jacken? Klingt romantisch.“

„Mhm. Genau wie Gummizelle“, brummelte Mario, ging in den Flur und tauschte die Hauspuschen gegen Slipper. Mit seinen Plüschschlappen würde er einen noch verrückteren Eindruck als ohnehin machen. Vor dem Spiegel strich er sich die Haare zurück und prüfte, ob seine Augen einigermaßen klar waren. Die Wirkung des Grogs war inzwischen verflogen.

Mario nahm den Wohnungsschlüssel von der Kommode, trat ins Treppenhaus und musterte die Tür gegenüber. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Wieso hatte er solche Angst? Mehr als eine Abfuhr konnte er sich nicht holen. Moment! Es ging um Niko-Laus‘ Schatz, also schon ein guter Grund, irgendwie mit dem Nachbarn in Kontakt zu kommen. Eine andere Möglichkeit wäre ein Einbruch. Da bevorzugte Mario dann doch die höflichere und wesentlich unkriminellere Methode.

Z. Wagner stand an dem Klingelschild. Der Nachbar war erst vor einigen Monaten eingezogen und hatte es nicht für nötig befunden, sich einem der anderen Mieter vorzustellen. Frau Müller aus dem Erdgeschoss war darüber empört und Mario durfte sich schon mehr als einmal ihre Vorträge über Benimm anhören.

„Du schaffst das!“ Zwei zu Fäustchen geballte Pfoten reckten sich aus der Brusttasche empor.

„Ruhe.“ Mario schubste die kleinen Fäuste zurück in die Tasche, seufzte und drückte auf den Klingelknopf. Angstvolle Sekunden verstrichen, während er auf die Geräusche jenseits der Tür lauschte. Endlich näherten sich Schritte, dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet.

„Ja?“ Blaue Augen, blauer als der Sommerhimmel, sahen ihn an.

„Ich … haben Sie zufällig … könnten Sie mir etwas Eier, ich meine, ein paar Eier leihen“, stammelte Mario, völlig überrumpelt von der Attraktivität des Nachbarn. Von vorn hatte er Z. Wagner noch nie gesehen, wusste nur, dass der Mann einen affengeilen Arsch hatte.

„Eier?“ Wagner runzelte die Stirn. „Ich schau mal nach.“

Die Tür wurde ganz aufgemacht. Marios Blick wanderte ferngesteuert zu dem knackigen Hinterteil. „Cheddar! Was soll ich mit Eiern?“, murrte es in seiner Brusttasche.

„Pscht!“, machte Mario und kontrollierte schnell, ob Niko-Laus zu sehen war. Der Mäuserich blinzelte zu ihm hoch, war aber für jemanden, der vor ihm stand, nicht zu erkennen. Lediglich die Ausbuchtung wirkte etwas merkwürdig, als ob er ein zusammengeknülltes Tuch in seine Tasche gestopft hatte.

„Keine Eier“, erklang Wagners Stimme aus der Wohnung. „Geht auch Milch?“

„Milch mag ich“, piepste Niko-Laus.

„Halt den … das Maul!“, zischte Mario. Lauter sagte er: „Milch ist auch gut.“

„Na, ein Glück.“ Der Nachbar tauchte, mit einer Milchtüte in der Hand, wieder im Flur auf. „Was kochst du denn? Ach ja, ich bin unhöflich: Mein Name ist Zander.“ Er streckte die Hand aus. „Du musst M. Niedermeyer sein.“

„Mario.“ Die Berührung der warmen Finger fuhr wie ein Blitz in seinen Bauch. Mario war wie vom Donner gerührt und starrte Zander an, bis der seine Hand zurückzog. Die magische Verbindung wurde dadurch unterbrochen. Das Kribbeln im Magen blieb jedoch und raubte Mario die Sprache.

„Freut mich.“ Zander hielt ihm die Milchtüte hin.

„Tu was!“, kam es leise und fordernd aus seiner Brusttasche.

„Ähm … Also … Die Milch war nur ein Vorwand. Ich wollte … wollte eigentlich nur … mal gucken, wer hier wohnt.“ Glückwunsch, Mario! Geht’s noch dümmer?

„Aha.“ Ein irrsinnig sexy Grinsen erschien auf Zanders Gesicht. Eine Augenbraue spöttisch hochgezogen, musterte er Mario auf eine Weise, die nur einen Rückschluss zuließ: Zander war schwul. Oh Mann! „Und? Ist deine Neugier befriedigt?“

Allein wie Zander das letzte Wort dehnte, ließ Marios Blut an falscher Stelle zusammenlaufen. Großartig! Mit einer Maus in der Hemdtasche und Ständer in der Hose im Treppenhaus herumzustehen, war schon immer sein größter Wunsch gewesen.

„Mario!“ Winzige Krallen bohrten sich durch den Stoff in seine Haut.

„Deine Tasche spricht“, merkte Zander an und starrte auf die Ausbuchtung, die Niko-Laus verursachte.

Wenigstens guckte er nicht auf die andere, einige Etagen tiefer. „Das ist … mein Handy“, behauptete Mario geistesgegenwärtig und klopfte mit der flachen Hand auf die Tasche. Ein leises ‚Uff‘ erklang. Gern hätte er stärker zugeschlagen. Niko-Laus war ein aufmüpfiges Mäuschen und wenn er so weitermachte, würde die Sache allmählich peinlich werden. Na ja, eigentlich ging das kaum noch.

„Ganz schön dickes Handy.“ Zanders Blick wanderte tiefer und das Grinsen wurde breiter. „Und das da? Auch ein Handy?“ Weiße Zähne blitzten auf und im nächsten Moment prustete der Nachbar los. „Oh Mann! Tschuldige. Ich hab ein bisschen Rotwein getrunken“, bat er kichernd um Verzeihung.

„Schon okay. Ich mach mich gern mal zum Affen.“ Mario ließ den Kopf hängen, traf dabei auf schwarze Knopfaugen und seufzte. „Sag mal … hast du Mäuse?“

„Mäuse? Im Sinne von Geld schon. Oder meinst du diese possierlichen Nager?“

„Bin kein possierlicher Nager“, piepste es grummelig in Marios Tasche.

„Dein Handy. Willst du nicht rangehen?“ Der Nachbar fixierte erneut die Ausbuchtung unter dem karierten Stoff.

„Nein. Ist sicher unwichtig.“ Energisch klopfte Mario erneut gegen die Hemdtasche, woraufhin nur ein ganz leises ‚Au‘ ertönte. „Gegen einen Schluck Rotwein hätte ich nichts einzuwenden. Gewissermaßen als Entschuldigung für deine Unverfrorenheit.“

~ * ~

Zander betrachtete versonnen die rubinrote Flüssigkeit in seinem Glas. Er brauchte sich Mario nicht schöntrinken. Der Nachbar war einfach sexy und dabei auch noch ausnehmend sympathisch. Seit Wochen hatte er überlegt, wie er mit ihm ins Gespräch kommen könnte. Dass er vor einer halben Stunde vor seiner Tür erschienen war, erschien ihm wie ein Wink des Schicksals. Vielleicht ergab sich zwischen ihnen etwas, das mehr Bestand hatte, als nur ein schlichter Säfteaustausch. Den wollte er auch, sogar dringend. Marios braune Augen hatten es ihm genauso angetan, wie die rosa Lippen und die Art, wie er redete.

„… und ich hab dann den Brief persönlich zugestellt. Stell dir vor: Der war zwanzig Jahre unterwegs! Die Frau ist schier ausgeflippt und ich glaube, irgendwie habe ich da Amor gespielt.“ Mario lächelte, offenbar in Gedanken versunken. „Ist das nicht romantisch?“

„Sehr“, murmelte Zander ohne eine Ahnung, was sein Nachbar gerade erzählt hatte. Irgendetwas mit einem Liebesbrief. Sein Blick wanderte über den karierten Hemdstoff. Dieses kugelrunde Ding in der Brusttasche beschäftigte ihn. Das war niemals ein Handy, außer Apple hatte eines in Apfelform auf den Markt geworfen und er wusste davon nichts.

„Was arbeitest du überhaupt? Ich rede die ganze Zeit und weiß überhaupt nichts von dir.“

„Ich betreibe zwei Bäckerläden.“

„Ach? Daher kommst du mir bekannt vor. Ist der eine unten an der Straßenecke?“

„Genau. Der andere ist in der Spitalerstraße. Beide laufen gut. Daher habe ich auch genug Mäuse.“ Zander deutete mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft an. „Apropos: Magst du ein Stück Cheddar zum Wein?“

Sie saßen sich in der gemütlichen Küche gegenüber. Eine Kerze flackerte auf dem Tisch. Bisher war die Stimmung entspannt gewesen, doch nun ging etwas vor. Mario erstarrte, senkte den Blick auf sein Hemd und es schien, als wenn er die Luft anhalten würde. Im nächsten Moment grölte ein helles Stimmchen: „Cheddaaaar.“

Eine winzige rote Zipfelmütze tauchte aus der Brusttasche auf, gefolgt von einer spitzen Schnauze. Knopfaugen blitzten ihn an, Schnurrbarthaare zitterten und eine rosa Zunge fuhr einmal über das gesamte Mäulchen. „Cheddar?“, kam es verzagter und Zander sah, wie das Ding – es handelte sich wohl um eine Art Maus – entschuldigend zu Mario hochblickte.

„Denkst du eigentlich nur mit deinem Magen? Runter!“ Sein Nachbar drückte mit dem Zeigefinger auf die Mütze, bis das komische Tier wieder ganz hinter dem Stoff versteckt war. „Tschuldige“, kam es gedämpft aus der Tasche.

„Geiles Handy.“

„Ähm. Ja. Ein wenig zu munter. Also, für ein Handy jedenfalls.“ Verlegen spielte Mario mit seinem Weinglas.

„Wo war ich? Ach ja: Magst du ein Stückchen … Cheddar …“ Zander glotzte auf den karierten Stoff. „Cheddaaaaar!“, sagte er lauter und sah, wie es in der Tasche zappelte. „Cheddaaaaaaaaaaaaar!“

„Aaaaaah! Das ist Folter!“ Das rotbemützte Köpfchen tauchte wieder auf. „Das ist voll fies. Bitte, Mario!“ Schwarze Äugelein richteten sich flehend auf das Gesicht seines Nachbarn. „Bitte! Nur ein Krümel!“

„Was, zur Hölle, ist das für ein Tier?“, flüsterte Zander fasziniert und beugte sich über den Tisch.

„Das ist … das ist eine Niko-Maus. Die bringen uns an Nikolaus … Ach, vergiss es. Ich glaub’s selbst nicht.“

„Gutschi-gutschi“, machte Zander, streckte den Arm aus und berührte die dunkle Schnauzenspitze mit dem Finger. Fühlte sich verdammt echt an. Vorsichtig ließ er die Fingerkuppe über die pelzige Schnauze fahren.

„Mjam“, seufzte das Ding genüsslich und blinzelte.

„Gott! Ist das niedlich. Wo hast du das her?“

„Zugelaufen“, brummelte Mario mürrisch. „Oder eher: Es drängte sich auf.“

„Hey! Ich hab nur ein stilles Plätzchen für meinen Kummer gesucht“, piepste das Ding empört.

„Ich will auch so eines.“ Zander zupfte an dem Mützchen, hielt es plötzlich in der Hand und guckte entzückt zu, wie das possierliche Tierchen danach schnappte und sich die Kappe energisch wieder übers Köpfchen stülpte. „Wow! Hast du noch mehr davon?“

„Hoffentlich nicht.“

„Hallo? Von mir gibt’s noch ganz viele. Wo ist der Cheddar?“ Das Nagetier umschloss mit winzigen Pfötchen den Taschenrand, stieg mit einem Bein heraus und hielt plötzlich inne. „Oder war das nur ein Trick, um mich zu wecken?“ Zander wurde von schwarzen Knopfaugen zweifelnd angestarrt.

„Nein. Ich hab wirklich Käse im Kühlschrank.“ Er sprang auf, holte das Päckchen und suchte ein Brett und Messer hervor. Während er den Cheddar in kleine Würfel schnitt, setzte Mario das rotbemützte Tier auf dem Tisch ab. Eilig trippelte es herbei, grabschte sich einen dicken Käsewürfel und zog sich damit etwas zurück. Während es sich auf seinen Hintern plumpsen ließ, waren die kleinen Zähne schon damit beschäftigt, die goldgelbe Masse anzuknabbern. Innerhalb von Sekunden war der Würfel verschwunden und ein gieriger Blick heftete sich auf die anderen.

„Oh nein! Du hast erst mal genug“, sagte Mario streng.

„Ach Menno.“ Zog das Tierchen eine Flunsch? Zanders Blick wanderte zu der Rotweinflasche. Er war wohl betrunken. Sprechende Mäuse? Er sollte über lange Zeit die Finger vom Alkohol lassen, sonst sah er am Ende noch andere Dinge, die weitaus schlimmer waren. Sprechende Spinnen, zum Beispiel. „Du da? Du, Zander-Leut. Hilfst du Mario, meinen Schatz zu finden?“

„Schatz?“ Er guckte Mario verwirrt an.

„Ähm. Also. Das hier ist Niko-Laus, eine Niko-Maus. Er hat … Ach, soll er dir selbst erzählen.“ Entschuldigend hob Mario die Schultern und lächelte dabei resigniert.

Zander kniff sich heimlich in den Arm, um zu testen, ob er träumte. Es tat weh. Okay, also geschah das hier wirklich. „Du suchst einen Schatz?“, fragte er den Mäuserich.

„Meinen Schatz. Nico-Bert. Er ist der beste Vanillekipferlbäcker der Welt.“ Die Maus seufzte. „Er muss entführt worden sein. Von seinem letzten Tauschgang ist er nicht zurückgekehrt.“

„Tauschgang?“

Niko-Laus rollte die Augen, als wenn ihn Zanders Begriffsstutzigkeit nerven würde. „Wir Niko-Mäuse tauschen untereinander Waren. Wie sollen wir sonst die Stiefel der Leut mit unterschiedlichem Naschwerk füllen?“

„Klingt einleuchtend“, murmelte Mario.

„Moment! Verstehe ich richtig, dass ihr Mäuse der Nikolaus seid?“ Zander runzelte die Stirn, schenkte Rotwein nach und stopfte sich einen Käsewürfel in den Mund.

„Hey! Ich will auch noch einen!“ Niko-Laus sprang auf, seine Äugelein blitzten empört.

„Nimm dir“, nuschelte Zander abwesend. „Ich hab ja nie an den Nikolaus geglaubt. Irgendwie nahm ich an, dass irgendeiner der Nachbarn das Zeug in meine Stiefel steckt.“

„Tja, falsch gedacht.“ Je einen Cheddarwürfel unter dem Arm, trippelte der Mäuserich hinter den Kerzenleuchter. „Niko-Bert ist gestern Morgen aufgebrochen, mit einer Kiepe feinster Vanillekipferl auf dem Rücken. Er wollte in diese Butze, um die Kekse gegen ein paar Schokokugeln zu tauschen und ist nicht zurückgekehrt.“

„Du meinst, irgendwo hier befindet sich ein Mäusenest?“ Unbehaglich sah Zander sich in der Küche um. Die Vorstellung, dass ein Dutzend Nager oder noch mehr seine Wohnung bevölkerten, verursachte ihm eine Gänsehaut.

„Eine Kolonie unter dem Fußboden“, verbesserte Niko-Laus schmatzend.

„Guck nicht so. Ich kann‘s auch kaum glauben.“ Mario griff nach einem Käsewürfel, betrachtete ihn und biss vorsichtig ein Stück ab. „Uh! Nicht mein Fall.“ Angewidert legte er den Rest auf den Tisch, neben sein Weinglas.

„Und was soll ich nun tun? Wo ist denn die Kolonie? Hier oder in einem der anderen Zimmer?“

„Keine Ahnung.“ Der Mäuserich zuckte die Achseln, wischte sich mit der Pfote übers Maul und griff nach dem nächsten Würfel. „Ich war noch nie hier. Ich bin nur zuständig für den Zuckerguss.“

„Zuckerguss?“, fragten Mario und Zander gleichzeitig.

„Wir haben eine klare Arbeitsteilung. Einige backen, einige verzieren und ein paar von uns sind für die Beschaffung von Rohstoffen zuständig.“

„Klingt nach einer großartigen Organisation.“ Zander gönnte sich einen Schluck Wein und überlegte. „Wie sollen wir die Kolonie finden? Ich kann schlecht sämtliche Dielen hochstemmen.“

„Wiescho?“ Kauend riss Niko-Laus die Augen auf.

„Weil ich dann keinen Boden mehr habe?“

„Hm. Schtimmt.“ Der Mäuserich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jeder Autor für sich
Bildmaterialien: shutterstock und Lars Rogmann
Lektorat: Aschure, Sissi und Christian B. und andere Helfer
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2014
ISBN: 978-3-7368-6023-0

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Schwestern der perpetuellen Indulgenz. Ihr seid großartig.

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