Cover

Amrum ist gut fürs Herz

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

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Text: Sissi Kaiserlos

 

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Hotel Feddersen


Ein eigenes Hotel war schon lange Peters Wunsch. Als sein Onkel ihn als Erben einsetzt, wähnt er sich am Ziel all seiner Träume. Das Hotel Garni in Nebel auf Amrum ist der Inbegriff dessen, was er sich für seinen Lebensabend vorgestellt hat. Angie, seine Schwester, steht ihm dabei beharrlich zur Seite. Alles ist perfekt, bis er irgendwann feststellt, dass er erst 47 und Angie alles andere als zufrieden ist. Dann erscheint ein neuer Gast, Mikkel Bedholm, der etwas in Peter anrührt. Herz oder Schwanz? Ein Hotelier auf Abwegen …

***


Ein Hotelier auf Abwegen?


Besorgt beobachtete Angie ihren Bruder, während sie gemeinsam das Frühstücksbuffet vorbereiteten. Es kam ihr so vor, als wenn Peter immer wortkarger wurde. Seit zwei Jahren betrieben sie gemeinsam das Frühstückshotel Feddersen in Nebel auf Amrum. Ihr Onkel hatte sich aus Altersgründen zurückgezogen und da der Rest der Familie lediglich darauf aus war, das Hotel gewinnbringend zu verscherbeln, hatte Emil ihnen die Immobilie überschrieben.

Für Peter erfüllte sich damit ein langgehegter Wunschtraum. Er hatte in der Hotelbranche gelernt und eine Zusatzqualifikation als Hotelfachwirt erworben. Nach vielen Jahren im Ausland war er vor einiger Zeit nach Hamburg zurückgekehrt und suchte seitdem ein geeignetes Objekt, um sich selbständig zu machen. Onkel Emils Geschenk war für ihn wie ein Lottogewinn, während es für Angie lediglich eine lästige Verpflichtung war. Sie hatte ihren Job als Sekretärin im Verlag Strenger nur ungern aufgegeben, um Peter zur Seite zu stehen. Inzwischen sehnte sie sich immer stärker nach Hamburg zurück, wollte ihren Bruder aber nicht im Stich lassen. Ach ja, ihr Bruder.

„Peter? Warum fährst du nicht mal wieder ans Festland? Du könntest ein bisschen frischen Wind gebrauchen.“ Angie seufzte, als der Angesprochene nicht reagierte und weiter akribisch Teebeutel in ein Körbchen sortierte, als würde das die wichtigste Sache der Welt darstellen. „Du musst mal wieder unter Leute“, beharrte sie.

„Ich komm schon klar.“ Endlich wandte ihr Bruder sich um. „Mach dir keine Sorgen.“

„Du musst dringend mal wieder flachgelegt werden.“

„Angie! Hör auf mit dem Scheiß!“

„Moin, moin“, unterbrach eine Stimme von der Tür her ihr Gespräch.

Hans Berger, ein Stammgast, gefolgt von seiner Gattin Lore, watschelte in den Raum und steuerte einen Tisch am Fenster an. Angie warf Peter einen resignierten Blick zu, schnappte sich eine Thermoskanne und eilte zu den Gästen. Im Moment waren nur zwei Doppelzimmer belegt, daher benötigten sie für das Frühstück keine Hilfe. Am Nachmittag würde ein weiterer Gast anreisen und zum Wochenende hin war das Haus voll.

Die Saison war fast vorüber, die Sommerferien in allen Bundesländern vorbei. Dennoch konnten sie sich über zahlreiche Buchungen freuen, da das Hotel viele Stammkunden hatte. Dass die Klientel zumeist weit über fünfzig war, störte Angie nicht. Der überwiegende Teil der Leute war freundlich und stellte keine hohen Ansprüche.

Peter überließ es seiner Schwester, sich um die vier Gäste zu kümmern. Er zog sich ins Büro zurück und checkte auf der Hotel-Homepage, ob neue Buchungen eingetroffen waren. Nachdem er seinen Kalender aktualisiert hatte, lehnte er sich zurück und starrte an die Decke. Natürlich war Angie im Recht und er musste dringend mal raus. Er liebte das Hotel über alles, aber sein Privatleben war eine graue Wüste. Bevor er auf die Insel zog, hatte er seine Bedürfnisse regelmäßig befriedigen können. Egal ob in Hamburg oder anderen Metropolen, gab es ausreichend Möglichkeiten für einen schwulen Mann. Das sah auf Amrum ganz anders aus, zudem wollte er nicht ins Gerede kommen.

Im Grunde sprach nichts dagegen, für ein paar Tage ans Festland zu reisen und etwas auszuspannen. Das Hotel lief gut und Angie würde, dank der zwei fleißigen Aushilfen, die sie beschäftigten, ohne ihn auskommen. Irgendwie fehlte ihm jedoch der Elan dazu. Die Vorstellung, aufgestylt durch Clubs ziehen zu müssen, missfiel ihm. Wahrscheinlich wurde er alt.

Peter klappte das Notebook zu, verließ den Raum und trat durch die Hintertür in den Garten. Der Rasen musste dringend gemäht werden. Kurz darauf sauste er schon mit dem Aufsitzmäher über das saftige Grün. Danach war die Hecke am hinteren Grundstücksende dran. Das Areal umfasste rund 2.000 Quadratmeter und es war Peters Job, alles in Schuss zu halten. Angie kümmerte sich im Gegenzug um die Zimmer und Küche.

Kurz vorm Mittag war er mit den Gartenarbeiten fertig. Nach einem leichten Imbiss nahm er sich die Strandkörbe vor, wischte die Sitzflächen ab und führte kleinere Reparaturen durch. Für jedes der Zimmer befand sich so ein Möbel auf dem Rasen. Als er gerade seine Sachen zurück in den Schuppen brachte, erschien Ehepaar Berger und machte es sich in einem der Dinger gemütlich. Peter grüßte freundlich und ging in Haus. Die für einen September sehr sommerlichen Temperaturen hatten dafür gesorgt, dass sein T-Shirt am Körper klebte. Er sehnte sich nach einer Dusche.

Sowohl Angie als auch er wohnten in kleinen Apartments im Erdgeschoss. Onkel Emil hatte während der Saison mit seiner Frau im Keller gehaust und nur im Winter eine ebenerdige Wohnung bezogen. Das war überaus sparsam und löblich, doch Peter wollte sein Leben lieber über der Erde verbringen. Nach dem Tod blieb noch genug Zeit, das Gras von unten zu sehen. Die Mindereinnahmen nahm er in Kauf, zudem hatte er eh keine Wahl, da sich keine Alternativen boten. Wohnungen waren Mangelware und so mancher Insulaner vermietete sogar seine Garage.

Sauber und frisch rasiert suchte er das Büro auf. Heute sollte ein Mikkel Bedholm anreisen. Sicher ein alter Knacker, dem die Frau weggestorben war. Angie hatte Zimmer 9 für den Mann vorgesehen und den Schlüssel bereits auf dem Schreibtisch deponiert. Sie selbst war nach Wittdün gefahren, um ein bisschen ‚Großstadtluft‘ zu schnuppern, wie sie es nannte. Peter wusste, dass seine Schwester Sehnsucht nach Hamburg hatte. Ein Problem, dass ihn schwer beschäftigte. Wie sollte er ohne sie weitermachen? Sie war praktisch der einzige menschliche Kontakt auf der Insel und seine beste Freundin.

Durch das Fenster konnte er den ganzen Vorgarten überblicken. Mit Missfallen betrachtete er den Zaun, dessen weiße Farbe vereinzelt abblätterte. Das würde seine nächste Aufgabe sein. Ihm graute vor der Scheißschleiferei und er überlegte zum wohl hundertsten Mal, ob er einen Handwerker beauftragen sollte. Während er grübelte, trat ein großer Mann durch die Gartenpforte und schritt auf das Haus zu. War das etwa dieser Bedholm? Der Koffer, den der Kerl hinter sich her zog, wies ihn als Gast aus. Peter merkte, dass er mit offenem Mund die attraktive Erscheinung anstarrte, klappte die Kinnlade zu und sprang auf. Gleich darauf wurde auch schon die Tür aufgestoßen und harte Sohlen klackten über die Fliesen. Peter schnappte sich den Schlüssel, trat in die Diele und setzte ein professionelles Lächeln auf.

„Willkommen im Hotel Feddersen. Sie sind Mikkel Bedholm?“, begrüßte er den Gast, der sich aus der Nähe als noch beeindruckender herausstellte.

„Bin ich.“ Der Mann stellte den Koffer ab und im selben Moment wusste Peter, dass sie am gleichen Ufer fischten. Sein Gaydar hatte noch nie versagt, zudem musterte der Kerl ihn auf andere Weise, als es Heteros taten.

„Ich bin Peter Feddersen, der Inhaber. Ihr Zimmer liegt im ersten Stock. Wenn Sie mir folgen wollen?“ Er wandte sich der Treppe zu und stieg die Stufen hinauf, dabei fühlte er die Blicke des Mannes förmlich auf seinem Hintern kleben. Natürlich konnte das auch Einbildung sein, aber als er kurz über die Schulter linste, wurde sein Verdacht bestätigt.

„Frühstück gibt es zwischen 8 und 11 Uhr“, redete er weiter, während er die Zimmertür öffnete und in den hellen Raum ging. „Falls Sie Getränke haben möchten, finden Sie welche in dem Kühlschrank im Frühstücksraum. Eine Preisliste liegt hier.“ Peter wies auf einen Zettel, der auf dem Tischchen am Fenster lag. „Wir rechnen alles zusammen bei der Abreise ab.“

„Nett“, murmelte Bedholm, hievte seinen Koffer aufs Bett und sah sich aufmerksam um. „Das Bad ist sicher da?“ Er nickte zu der Tür links neben dem Kleiderschrank.

„Genau. Ein Duschbad. Hier ist der Schlüssel, mit dem Sie auch die Haustür öffnen können. Wir schließen um zehn ab.“ Peter legte den Zimmerschlüssel zur Getränkeliste und wartete auf weitere Fragen, doch anscheinend war Bedholm vorerst zufrieden. „Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt“, verabschiedete er sich, ging zur Tür und war schon im Flur angelangt, als der Gast ihm hinterherrief: „Wo kann man hier gut essen gehen?“

Peter nannte die Namen zweier Restaurants, die er mit gutem Gewissen empfehlen konnte. Bedholm dankte; er schloss die Tür hinter sich und lief die Treppe hinunter. Wieso machte ein so verflucht gut aussehender Kerl allein Urlaub? Peters Fantasie lief auch Hochtouren. Vielleicht war er gerade frisch getrennt und wollte Abstand gewinnen. Oder aber er traf sich heimlich mit seinem Freund, der in einem anderen Hotel untergekommen war. Diese Theorie war absurd, jedenfalls für deutsche Verhältnisse. Ach, wahrscheinlich wollte der Mann einfach ausspannen.

Peter nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Angie hatte eine Liste zu besorgender Lebensmittel unter die Tastatur geklemmt. Anscheinend war sie gerade eben zurückgekehrt. Anfangs hatten sie überlegt, das Konzept des Hotels zu ändern und auf die Öko-Schiene zu wechseln. Inzwischen war Peter davon abgekommen. Er wollte die Stammkundschaft nicht vertreiben, zudem war es einfach zu kostspielig. Nachdem er die Bestellung online bei seinem Lieferanten aufgegeben hatte, ging er auf der Suche nach Angie in die Küche.

„Pasta mit Pilzen“, sagte seine Schwester, lächelte ihm zu und rührte dabei in einem Topf. „Wie ist der neue Gast so?“

„Nett“, murmelte Peter. „Sehr nett.“

„Wie alt?“

„Schätzungsweise jünger als ich.“

„Wow! Und? Ist er auch …?“ Angies Augen funkelten vor Aufregung.

„Nie und nimmer. Hör auf, in jedem Mann einen potentiellen Partner für mich zu sehen.“

„Nix darf man“, murrte seine Schwester. „Deck mal den Tisch.“

Die Küche war geräumig, sodass in der Hauptsaison bequem drei Personen darin werkeln konnten. In der Mitte befand sich ein großer Tisch, an dem sie gemeinsam zu essen pflegten. Nur Frühstücken taten sie getrennt in ihren Apartments, die mit winzigen Kochzeilen ausgestattet waren.

„Wie war’s in der Stadt?“, frotzelte Peter, während Angie das Essen auffüllte.

„Aufregend.“ Sie rollte die Augen. „Hab einen Frustkauf getätigt. Unterwäsche. Willst du sie sehen?“

„Nein danke!“ Peter grinste. „Bestimmt hat sie rosa Rüschen. Davon werde ich blind.“

„Als wenn ich so etwas tragen würde.“ Angie pflanzte sich hin, griff nach einer Gabel und seufzte. „Wozu kaufe ich eigentlich den Quatsch, wenn ihn keiner sehen will?“

„Vielleicht solltest du für dich nach einem Mann suchen, statt für mich.“ Peter bereute die Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.

„Als wenn ich auf dieser verdammten Insel Auswahl hätte“, kam auch prompt von seiner Schwester.

„Sorry. Ich hätte den Mund halten sollen.“

„Ach, schon gut. Ich vermisse nichts, also, jedenfalls das nicht.“ Angie stopfte sich eine Gabelvoll Penne in den Mund und kaute.

„Er sieht wie ein Däne aus“, murmelte Peter in Gedanken. „Blond, grüne Augen, groß.“

„Wer? Der Gast?“

„Mhm.“

„Klingt gut. Vielleicht wäre der was für mich?“ Angie ließ die Gabel sinken und starrte ihn an. „Oder machst du dir doch Hoffnungen? Dein Gaydar ist allerdings sonst verlässlich.“

„Okay. Er ist schwul, das hab ich gleich gemerkt. Das soll aber nichts heißen.“

„Er gefällt dir“, stellte sie fest und begann zu grinsen.

„Ja, schon … aber …“ Peter zuckte die Achseln. „Anderes Thema“, bat er, stocherte in den Nudeln herum und spießte schließlich einen der Pilze auf. „Was sind das überhaupt für Pilze? Champignons jedenfalls nicht.“

„Hab ich heute Morgen selbst gesammelt.“ Stolz blitzte in Angies Augen auf. „Macht echt Spaß.“

„Moment! Du willst mich vergiften!“ Er ließ die Gabel auf den Teller fallen und griff sich an die Kehle. „Deshalb kribbelt das so im Hals.“

„Einbildung. Bis eben hat es dir geschmeckt. Ich hab die Pilze von der Blumenfrau prüfen lassen, keine Sorge.“

„Blumenfrau? Und die hat Ahnung?“

„Ja, sicher. Komm, nun beruhig dich mal.“ Seine Schwester legte begütigend eine Hand auf seinen Arm. „Mach dir ein Brot, wenn dir mein Essen nicht passt.“

~ + ~

Schon auf der Fähre hatte Mikkel gespürt, wie die Anspannung allmählich von ihm abfiel. Die frische Seeluft, die gutgelaunten Leute um ihn herum und der strahlende Sonnenschein waren Balsam für seine geschundene Seele. Die Narbe am Arm juckte zwar mal wieder, doch selbst das konnte ihn nicht runterziehen. Es war eine gute Entscheidung gewesen, eine Woche Urlaub auf Amrum zu buchen. Das fand auch sein Therapeut.

Dr. Ulli Stamm war ein merkwürdiger Kerl. Mikkel hatte den Verdacht, dass der Mann während der Sitzungen heimlich Schweinkram zeichnete, konnte aber noch nie einen Blick auf die Blätter werfen. Eigentlich war das egal, denn er war ein guter Therapeut, auch wenn er ihm bisher nicht hatte helfen können.

Vor einem Jahr war einer von Mikkels Kunden, er arbeitete in einer Schuldnerberatung der Diakonie, ausgeflippt. Der Mann hatte ein Messer gezückt und wenn Mikkel nicht reflexartig den Arm gehoben hätte, wäre er wohl tot. Stattdessen trug er eine tiefe Fleischwunde davon und ein Muskel war nachhaltig zerstört. Das war jedoch nicht das Schlimmste. Seit dem Übergriff hatte Mikkel Alpträume und konnte nicht mehr arbeiten. Er mied Menschen, was für seinen Beruf Gift war.

Anfangs hatte er seine Wohnung gar nicht verlassen und sogar Lebensmittel im Internet bestellt. Erst auf Drängen seines guten Freundes Stefan hin hatte er einen Therapeuten aufgesucht. Dr. Stamm erwies sich als Glücksgriff. In etlichen Sitzungen hatten sie die Situation wieder und wieder durchgekaut, bis klar wurde, dass Mikkel das Vertrauen in die Menschheit verloren hatte. Fünfzehn Jahre war es sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen gewesen, der ihn beflügelt hatte. Verdammte fünfzehn Jahre harter Arbeit mit den Leuten, denen das Leben übel mitgespielt hatte. Der Täter war ein langjähriger Kunde. Oft hatte Mikkel dem Mann geholfen und dass nun ausgerechnet der Kerl es war, der ihm nach dem Leben trachtete, war traumatisierend.

Im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass der Mann schwer depressiv und am Tag der Tat betrunken war. Das konnte Mikkel nicht trösten. Sein Vertrauen war zerstört und er nicht mal in der Lage, sich selbst zu helfen. Wie sollte er jemals wieder anderen unter die Arme greifen?

Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich vom Bett. Seit dieser Peter Feddersen die Tür hinter sich zugemacht hatte, lag er da und glotzte an die Decke. Nicht einmal seinen Koffer hatte er ausgepackt. Ziellos waren seine Gedanken umhergeirrt und mehr als nur einmal war das Bild von einem geilen Arsch in Jeans aufgetaucht. Dass der Hotelier in seiner Liga spielte, hatte er auf den ersten Blick erkannt. Was tat ein Schwuler auf Amrum?

Nach Mikkels Wissen war die Insel kein Paradies für seinesgleichen. Vielleicht hatte er gerade deshalb Amrum als Urlaubsziel erkoren. Seit dem Überfall war sein Sexualleben auf die eigene Faust, der er uneingeschränkt vertraute, begrenzt. Er konnte von Glück reden, dass der linke Arm verletzt worden war, denn der rechte musste ganze Arbeit leisten. Dr. Stamm hatte gemeint, dass es eine natürliche Reaktion wäre, nach so einem Erlebnis wie verrückt zu wichsen. Wie gesagt: Etwas irre war der Doktor schon. Die Erklärung bestand darin, dass Mikkel nur beim Orgasmus und für wenige Sekunden danach von seinen Ängsten befreit war. Eigentlich war ihm egal, ob der Therapeut recht hatte und irgendwann hatte sich seine Libido wieder auf ein normales Maß eingepegelt. Inzwischen ruhte sie und es juckt nur noch selten. Dass es Mikkel beim Anblick von Feddersens Rückseite in der Mitte gekribbelt hatte, wertete er als Heilungsprozess. Vielleicht würde er nach dem Urlaub wieder in der Lage sein, irgendwo einen Sexpartner zu finden.

Mikkel verstaute den Inhalt seines Koffers im Schrank, inspizierte das Bad und nutzte die Gelegenheit, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu schaufeln. Aus dem Spiegel über dem Waschbecken sah ihm ein müder Mann entgegen. Dr. Stamm mochte leicht irre sein, doch Schlaftabletten hatte er ihm nicht verschrieben. Stattdessen nahm Mikkel regelmäßig Pillen auf pflanzlicher Basis, die ihn ruhiger machen sollten. Der Scheiß war nutzlos, weshalb er sich nachts im Bett wälzte und gegen Dämonen kämpfte. Vielleicht würde die salzige Luft helfen und er endlich mal wieder einen Nacht durchschlafen.

Im Kulturbeutel fahndete er vergeblich nach Rasierzeug. Siedend heiß fiel ihm ein, dass das Zeug zu Hause im Bad liegengeblieben war. Er hatte noch daran gedacht, bevor er den Müll wegbrachte, danach nicht mehr. Na Klasse! Dann würde er in einer Woche wie Catweazle aussehen, oder eher wie jemand, der sich blond färbte. Wenigstens war die Zahnbürste da. Morgen würde er sicher irgendwo einen Rasierer besorgen können. Schließlich befand er sich in Deutschland und nicht im tiefsten Dschungel.

Nachdem er die widerspenstigen Haare gekämmt und eine gelassene Miene aufgesetzt hatte, stieg er die Treppenstufen ins Erdgeschoss hinunter. Die Namen der Lokale, die Feddersen ihm genannt hatte, waren inzwischen vergessen. Mikkel linste in den Raum, in dem wohl das Frühstück stattfinden würde und hörte gedämpfte Stimmen.

„Du willst doch nicht etwa das Essen wegwerfen? Woanders verhungern Kinder!“, drang Feddersens erboste Frage zu ihm.

Unwillkürlich musste er grinsen. So hatte seine Oma immer geredet, wenn er mal wieder vor einer ihrer Riesenportionen kapitulierte. Vorsichtig setzte er Fuß vor Fuß und entdeckte eine offene Tür im hinteren Bereich.

„Was soll ich denn sonst damit tun? Etwa die Vögel füttern?“, erwiderte eine sympathische, weibliche Stimme.

„Als wenn sich Vögel gern vergiften ließen.“

„‘Tschuldigung. Ich wollte nicht stören, aber ich hab die Namen der Lokale vergessen, wo man hingehen kann.“ Mikkel stand verlegen im Türrahmen. Zwei Paar Augen richteten sich auf ihn. Das eine gehörte Feddersen, das andere einer hübschen Frau, die seine Schwester sein musste. Beide hatten die gleiche Augenfarbe und ihre Gesichter wiesen eindeutige Ähnlichkeit auf. „Undskyld“, wiederholte er automatisch in der Sprache seiner Kindheit.

Mikkel hatte die ersten Lebensjahre in Dänemark zugebracht, der Heimat seines Vaters, bevor seine Mutter Heimweh bekam und sie nach Deutschland zogen. Damals war er erst sieben gewesen, weshalb er nur in sehr emotionalen Momenten in alte Gewohnheiten zurückfiel. Dies war einer dieser Momente. Mikkel fühlte sich von den blauen Augen angezogen, wobei er nicht wusste, ob es eher die von Feddersen oder die seiner Schwester waren. Beide guckten voller freundlichem Interesse.

„Sie mögen nicht zufällig Penne mit Pilzen?“, erkundigte sich die Frau.

„Angie! Vergifte nicht unsere Gäste!“ Feddersen klang sehr ernst.

„Lass ihn selbst entscheiden“, meinte seine Schwester gelassen und stellte die Pfanne, die sie eben noch über den Mülleimer gehalten hatte, auf den Herd. „Frische Pilze in Sahnesauce mit einer Spur Pesto. Absolut ungefährlich. Bis gerade eben mochte Peter es auch. Dann wurde er allerdings zickig. Interesse?“

Es roch verdammt gut. Zudem war Mikkel nicht darauf versessen, zwischen fremden Leuten allein etwas in sich reinzustopfen. Da erschien ihm das hier, trotz der zwei Streithähne, als wirklich gute Alternative.

„Ich mag Pilze“, murmelte er, wagte sich einen Schritt in die Küche und sah zu Feddersen. „Wenn das okay ist. Ich zahle auch.“

„Pft. Verhandeln Sie das mit meiner Schwester.“ Der Hotelier lief an ihm vorbei und Mikkel blieb allein mit dessen Schwester zurück.

„Ich mach das Essen kurz warm. Setzen Sie sich. Ach, ich bin Angie.“ Die Frau lächelte ihm zu. „Peter ist eigentlich ganz nett. Na ja, er ist mein Bruder.“ Sie zuckte die Achseln und griff nach einem Pfannenwender. „Als Geschwister sieht man wohl über manches hinweg.“

„Wahrscheinlich.“ Er nahm am Tisch Platz. „Ich heiße Mikkel.“

„Hübscher Name. Skandinavisch, richtig?“

„Dänisch.“

„Entschuldige. Ich rede zu viel.“

„Schon in Ordnung“, sagte Mikkel leise und guckte hungrig zum Herd hinüber. „Ist es okay, wenn ich 10 Euro für die Mahlzeit bezahle?“

„Moment. Die Pilze hab ich selbst gepflückt, die Penne kosten zwei Euro, die Sahne 80 Cent und die Gewürze … Also macht das pro Nase 90 Cent“, rechnete Angie vor, holte einen Teller aus dem Schrank und stellte ihn auf den Tisch. „Meine Arbeit berechne ich mit einem Euro, wenn‘s recht ist. Ich bekomme also 1 Euro 90 von dir. Du darfst mir 10 Cent Trinkgeld geben.“ Sie grinste schelmisch, schaufelte die Nudeln aus der Pfanne und kramte anschließend Besteck aus einer Schublade hervor. „Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“

„Würde mich freuen.“ Heißhungrig machte Mikkel sich über das Essen her. „Lecker“, lobte er nach dem ersten Bissen.

„Danke.“ Angie errötete, wandte sich zum Kühlschrank und holte einen Becher Eis aus dem Tiefkühlfach. Für einige Minuten herrschte Stille, während sie versonnen die Süßspeise löffelte. Dass es ihr schmeckte, war an der verzückten Miene ersichtlich. Mikkel war dankbar, dass er für eine Weile nichts sagen musste. Im vergangen Jahr hatte er sehr wenig gesprochen, davor umso mehr.

„Deine Eltern sind Dänen?“, nahm Angie den Faden wieder auf, leckte genüsslich den Löffel ab und musterte ihn dabei neugierig.

„Mein Vater.“

„Dann ist deine Mutter deutsch“, resümierte sie.

„Ja.“ Mikkel schob den leeren Teller ein Stück weg und tastete nach seiner Börse. „Ich hab kein Kleingeld“, stellte er bedauernd fest.

„Ich setze 2 Euro auf deine Rechnung.“ Angie zuckte mit den Schultern. „Sag mal … darf ich fragen, wie alt du bist?“

„42.“

„Hmm …“ Sie legte den Kopf schief. „So hätte

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Tag der Veröffentlichung: 08.09.2014
ISBN: 978-3-7368-4115-4

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