Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Covergestaltung vorn: Lars Rogmann
Caro Sodar, Bernd Schröder, Blake Heartland, Jane V. Shaw, Ragna Ida Ziegel, Man Ri, Neschka Angel, Kathi Seefeld, Mia Grieg
Bildmaterialien: 123rf.com, Shutterstock, private Bilder
Bearbeitung: Caro Sodar
Angi Snow
Bildmaterialien: pixelo.de
Bearbeitung: Bonnyb Bendix
Eigene Bearbeitung der Autoren: Savannah Lichtenwald, Neela Faye, J. Walther, T.S. Nightsoul, Karo Stein, Sissi Kaipurgay, Sascha Scheiblette, Roderick Sween
Bildmaterialen: Pixabay, Picmonkey, Shutterstock
Seit seiner HIV-Diagnose kommt der früher so lebenslustige Eric nicht zur Ruhe. Er zertrümmert sein Mobiliar, flucht ununterbrochen und hadert mit seinem Schicksal. Vor sich sieht er bloß noch eine kurze, freudlose Lebenszeit.
Im Wartezimmer seines Arztes trifft er auf Lysander, den er aus dem örtlichen Blumenladen kennt. Auf den verschlossenen Mann hat Eric schon länger ein Auge geworfen, jedoch ohne Erfolg. Bei Lysander biss er stets auf Granit. Während draußen ein Schneesturm tobt, kommt Eric dessen Geheimnis auf die Spur.
***
Scheiße, ich habe Aids! Ich habe dieses Fuck-Scheiß-Dreckszeug. Ja, ich weiß, dass die Flucherei nichts ändert und dass es HIV ist und noch kein Aids, ist mir auch bekannt. Die meisten Leute sagen jedoch Aids dazu und irgendwann werde ich es bekommen – nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr. Mein Arzt hat sich viel Zeit genommen und mir alles bis ins Detail erklärt – nur, wie ich damit umgehen soll, ohne mich von der nächsten Brücke zu stürzen oder wahnsinnig zu werden, hat er mir nicht gesagt.
In den letzten Wochen habe ich die Hälfte meiner Wohnungseinrichtung in handliche Einzelteile zerlegt, jeden Tag ein Stück mehr. Meistens habe ich dagegen getreten, manches auch gegen die Wand geworfen. Nun sitze ich auf dem Boden und sehe mich um: Bruchstücke von Bilderrahmen, Scherben von Tellern und Tassen, zwei zerbrochene Stühle und eine eingetretene Kommodentür. Mit einem meiner Winterstiefel habe ich die Wohnzimmerglastür geschrottet. Ich bin ein impulsiver Mensch, sicher, doch diese Art roher Gewalt gehörte bislang nicht zu meinem Repertoire.
Die Aggressionen sind abgebaut, die Energie ist verpufft, meine Raserei, mein Zorn, mein Gebrüll, sind in leise Melancholie umgeschlagen. Ich werde irgendwann sterben, jedoch nicht, wie von den meisten Menschen erhofft, mit neunzig Jahren zahnlos und glücklich einschlafen, sondern viel früher elend verrecken. Wie soll ich in den paar Jahren, die diese abscheuliche Krankheit mir noch zugesteht, Spaß haben?
Spaß – bei dem Wort muss ich zynisch lachen. Daraus bestanden meine letzten achtundzwanzig Jahre. Ich war das niedliche Kleinkind und später der lustige Klassenclown. Bis vor kurzem war ich in meinem Freundeskreis zuständig für coole Jokes. Nichts konnte ich ernst nehmen, war bei jeder Party und jedem Event dabei. Sex und Saufen war meine Devise, alles habe ich mitgenommen, bloß nichts anbrennen lassen. Genau das hat mir jetzt das Genick gebrochen. Ich weiß nämlich nicht einmal, wer mir den Rotz eingebrockt hat – drei Tage am Stück bin ich besoffen von einem Club in den nächsten gefallen inklusive anschließendem Filmriss.
Schwerfällig richte ich mich auf, ziehe Winterjacke und wasserfeste Stiefel an. Ich muss zur Laborkontrolle und mein Arzt hält seine Sprechstunden in der städtischen Klinik. Sie liegt am Rande der Stadt an einem Waldhang und seit heute Morgen schneit es ununterbrochen. Bis ich da oben bin, brauche ich sicher mindestens eine Stunde. Mir ist kalt und ich bin müde vom Kopfzerbrechen und Lesen all der schlauen Flyer, Infos und Bücher, die mir die Assistentin beim letzten Besuch in die Hand gedrückt hat. Oder sind das schon erste Anzeichen? Es ist beängstigend – täglich horche ich in mich hinein, inspiziere meinen Körper, analysiere jede Regung, jeden Fleck auf der Haut. Seit der Diagnose habe ich keine entspannte Minute mehr.
Die Straßen sind zugeschneit, die Bürgersteige kaum noch zu erkennen. Für ein paar Sekunden erlaube ich mir, mich über meine neuen Winterreifen zu freuen, die ich mir dieses Jahr geleistet habe, dann holen mich die Gedanken an meinen Arzttermin wieder ein. Das Haupthaus und die Nebengebäude tauchen im Gewirbel der Schneeflocken auf und ich habe keine Lust auf das überfüllte Wartezimmer, die schlechte Luft dort, die vielen, kranken Menschen – wie ich einer bin.
Die ständige Beschäftigung mit dem Thema verursacht mir Kopf- und Magenschmerzen. Seit Wochen fühle ich mich nicht mehr dazu fähig, abends wegzugehen, mit meinen Freunden zu telefonieren oder zu chatten. Was soll ich denen erzählen? Hey, ich bin infiziert und vielleicht gebe ich bald den Löffel ab? Sorry, der nächste Fick fällt für mich aus, ich könnte jemanden anstecken. Meine Kumpels gehören sämtlich zur gleichen Spaßfraktion wie ich. Mir graut vor ihrer Reaktion, wenn ich sie mit meiner Krankheit konfrontieren würde.
Im dritten Stock herrscht Gewusel, Schwestern hasten an mir vorbei und hinter einigen offenen Türen sehe ich Leute sitzen, die darauf warten, dass sie dran sind. Die meisten haben ihre dicken Jacken abgelegt. Der Wärme im Haus nach zu urteilen, muss die Heizung kurz vor dem Exitus sein, genau wie ich. Die Assistentin meines Arztes fängt mich schon im Flur ab. „Herr Eric Hahne?“ Ich nicke. „Sie müssen leider ein paar Minuten warten. Wir haben einen Notfall reinbekommen und brauchen jede helfende Hand. Nehmen Sie doch bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz.“
Ihr Lächeln wirkt angestrengt, die Bewegungen fahrig. Von der kunstvoll gesteckten Hochfrisur ist nicht mehr viel übrig. Mich zu beschweren, würde ihren Tag noch stressiger machen und wäre wahrscheinlich sinnlos. Frustriert schlappe ich ins Wartezimmer. Wider Erwarten ist es völlig leer bis auf einen jungen Mann in der Ecke direkt neben der Tür. Als er den Kopf hebt, erkenne ich in ihm erstaunt den Floristen vom „Blumenparadies Ullrich“. Seiner Mutter gehört das Geschäft und ich bin dort Stammkunde. In regelmäßigen Abständen bringe ich meiner Schwester Blumen mit, damit sie ab und zu eine kleine Freude hat. Unser Verhältnis ist ziemlich eng, sogar für Geschwister. Als unsere Eltern starben, war ich noch in der Ausbildung und Sanne hat sich um mich gekümmert, bis ich ausgezogen bin. Jetzt ist sie stolze Mutter dreier Jungs und hat es nicht leicht, seit ihr Mann sich verpisst hat. Mein Ex-Schwager wäre für mich ein guter Grund zum Weiterleben – nur um irgendwann einmal die Genugtuung zu haben, ihm aufs Maul zu hauen.
„Moin, Lysander.“ Er nickt mir kurz zu und blickt auf die Wand ihm gegenüber, an der ein selten hässliches, kreischbuntes Bild hängt.
Wortkarg wie immer, aber eine Antwort habe ich sowieso nicht erwartet. Auch im Blumenladen spricht er so wenig wie irgend möglich und dreht mir meist den Rücken zu. Lysander ist das genaue Gegenteil von mir: einen Kopf kleiner, dunkelhaarig mit braunen Augen, schlanker, fast schon dünner Figur und extrem verschlossen. Ich kenne ihn seit zwei Jahren und bin mir ziemlich sicher, dass er schwul ist. Dafür habe ich eine sehr gut funktionierende Antenne. Als Lysanders Mutter das Geschäft eröffnet hat, ist er mir sofort aufgefallen, obwohl er sich meist im Hintergrund hält. Leider hat er auf meine Signale nicht reagiert und anfangs war ich deswegen etwas beleidigt. Schließlich hatte ich noch nie Schwierigkeiten, zu bekommen, was ich will und dieser Kerl ist echt heiß.
Zur Hölle mit meinen mimosenhaften Empfindlichkeiten. Das ist in meiner neuen Situation so was von scheißegal. Da ich die ausliegenden Zeitschriften wegen der Millionen von Viren und Bakterien darauf nicht anfassen will, beginne ich ein Gespräch mit Lysander. Irgendwie muss ich die Wartezeit ohne Aids-Grübel-Hirnverkrampfung herumbringen und er ist momentan der einzig mögliche Ansprechpartner. Vermutlich hängen die anderen Schützlinge meines Arztes im Schneechaos fest.
„Wartest du schon lange?“ Lysander schüttelt den Kopf, ohne mich anzusehen.
Ich blicke kurz zum Fenster, hinter dem dicke Flocken einen wilden Tanz aufführen. „Scheißwetter, was?“ Leichtes Schulterzucken in der Ecke. Er ist wirklich eine harte Nuss. Wie kann man derart unnahbar und verstockt durchs Leben gehen? „Alles weiß da draußen, schöne Farbe, wie bei euren Rosen und Lilien.“
„Weiß ist keine Farbe“, sagt er und fixiert weiterhin die gegenüberliegende Wand. Wow, ganze vier Worte. Ich mache Fortschritte.
„Okay, im physikalischen Sinne vielleicht nicht, aber ...“
„Herr Ullrich, bitte“, unterbricht mich eine Arzthelferin und hält dem Angesprochenen die Tür zum Sprechzimmer auf.
Lysander verschwindet, die Tür schließt sich und ich bin wieder der Anarchie meiner Gehirnzellen ausgeliefert. Der Blick zum Fenster hinaus bringt keine Ablenkung. Das Schneetreiben ist stürmischer geworden. Die parkenden Autos sind unter einer dichten Schneedecke begraben. Wäre gut, wenn mal ein Schneepflug käme, um die Straße freizuräumen. Ich würde mein Schicksal lieber mit einem anständigen Kaffee in meiner Küche verfluchen. Das abgestandene Gesöff aus dem Klinikautomaten tötet jeden Geschmacksnerv, meinen Virus leider nicht.
Das führt mich zu der Frage, welchen Grund Lysanders Termin hat. Dr. Farnbauer ist Internist und seine HIV-Ambulanz hier im städtischen Krankenhaus die beste im Umkreis von hundert Kilometern. Mein kontaktscheuer Florist und Aids? Die Vorstellung fällt mir schwer. Die Tür öffnet sich wieder und gedämpft kann ich Dr. Farnbauers letzten Gesprächsfetzen aufschnappen: „... unter der Grenze. Auf Wiedersehen, Herr Ullrich.“ Unter der Nachweisgrenze? Hat Lysander tatsächlich HIV?
„Guten Tag, Herr Hahne“, begrüßt mich der Arzt und lenkt mich von meinen düsteren Gedanken ab. Noch bevor ich seinen Behandlungsraum betreten kann, hetzt die Assistentin ins Wartezimmer und verkündet uns, dass die Straße zur Stadt hinunter gesperrt ist. Kein Durchkommen möglich - für den Streuwagen ist der Schnee schon zu hoch und ein Schneepflug vorläufig nicht in Sicht.
Kacke! Jetzt darf ich einen Teil meines kümmerlichen Restlebens in diesem verfickten Krankenhaus absitzen. Am Rande nehme ich wahr, wie Lysanders Gesichtsfarbe einen ungesunden Ton annimmt. Kreideweiß wäre wohl der passende Ausdruck. Darüber mache ich mir Sorgen, während Dr. Farnbauer mir Blut abnimmt. Seine Konversationsversuche bekomme ich bloß zur Hälfte mit und ich bin froh, als er endlich fertig ist.
„... nicht verrückt machen. Das ist kein Todesurteil wie noch vor dreißig Jahren“, sagt der Mediziner gutgelaunt. Schön für ihn. Mein Arsenal an Schimpfworten habe ich in den letzten Wochen überstrapaziert, weshalb ich nur verhalten „Wiedersehen“ murmele und den Raum verlasse. Der Mann kann schließlich nichts für meine Blödheit und meinen Leichtsinn.
Im Wartezimmer sitzt Lysander genauso auf dem Stuhl wie zuvor. Er ähnelt einem Standbild. Erstaunlich, wie er das fertigbringt. Ich kann keine fünf Minuten stillsitzen, konnte ich noch nie und jetzt erst recht nicht. Ich fühle mich wie ein Pulverfass, das jede Sekunde in die Luft gehen könnte. Draußen auf dem Gang ist es ruhiger geworden. Logisch - der Notfall ist versorgt, die Leute in den Wartezimmern halten schicksalsergeben Ausschau nach dem Schneepflug und alle anderen, die kommen wollten, stehen wahrscheinlich unten in der Stadt genervt vor der Straßensperre.
Ich verschmähe die übrigen fünfzehn Stühle und setze mich direkt neben Lysander. Es reizt mich, den Kerl aus der Reserve zu locken, keine Ahnung, warum. Sein Duft stiehlt sich in meine Nase, als ich den Kopf zu ihm drehe und erinnert mich an seinen Beruf. „Blumig“ ist das erste Wort, das mir einfällt, „verlockend“ das zweite. Der Mann hat eine hypnotische Wirkung auf mich. Neben ihm zu sitzen, senkt meinen seit Wochen überspannten Panikpegel und lässt gleichzeitig meinen Blutdruck steigen.
„Schöner Mist“, sage ich zu ihm, „jetzt müssen wir hier die Zeit totschlagen. Wenigstens ist es warm und trocken.“
„Zu heiß“, nuschelt er.
„Draußen ist es saukalt, da haben sie vermutlich die Heizung bis zum Anschlag hochgedreht.“
„Zu weiß, habe ich gesagt“, antwortet er etwas lauter.
„Wie jetzt – zu weiß? Was meinst du damit?“
Lysander richtet den Blick auf mich. „Alles viel zu weiß … draußen, drinnen, die Ärzte, die Pfleger, die Schwestern, die Wände. Ich mag die Farbe nicht.“
Deswegen hat er also neulich so seltsam reagiert, als ich für Sanne einen Strauß weißer Lilien bestellt habe. Er hat eine Grimasse gezogen und in die Mitte der weißen Blüten drei rote Rosen gesteckt. Das hat mich einen Moment lang gewurmt, sah aber toll aus. Sanne freute sich riesig darüber. „Warum nicht?“
„Erinnert mich an … egal. Das interessiert dich eh nicht.“
Oh doch. „Es interessiert mich. Erzähl“, fordere ich ihn auf. Erstens langweile ich mich und zweitens mag ich Lysanders melodische Stimme. Wenn er mehr als vier Worte spricht, klingt sie nach einem äußerst reizvollen Zeitvertreib, für den sich ein Wartezimmer nicht eignet.
Eine Minute lang überlegt er, kämpft mit sich, dann beginnt er, zu sprechen: „Ich war vierzehn, als wir in der Karibik Urlaub gemacht haben. Es gab einen Unfall bei einer Jeeptour und ich musste ins Krankenhaus. Ich war schwer verletzt und brauchte eine Bluttransfusion, weil ich auf dem langen Weg dorthin zu viel Blut verloren habe. Dann wurde ich nach Deutschland ausgeflogen und zweimal operiert. Seitdem fahre ich immer mit dem Bus, wenn es irgendwie geht … und ich ertrage die Farbe Weiß nicht mehr … in Afrika steht sie symbolisch für den Tod.“ Er senkt den Kopf und spielt mit dem Reißverschluß seiner dick gepolsterten Jacke. Sie muss eine Nummer zu groß sein. Er verschwindet fast darin.
„Du hast es hinter dir, du lebst und alles ist gut, oder?“ Sag jetzt gefälligst ja, verdammt.
„Nein, das Blut war kontaminiert. Ich … ich habe HIV. Allerdings bin ich nicht wirklich krank. Die Kombinationstherapie funktioniert bis jetzt ganz gut.“
Die leise Niedergeschlagenheit in seiner Stimme gefällt mir nicht … überhaupt nicht … ich hasse sie. In dem Alter Aids - nein, falsch - HIV zu bekommen und das noch völlig schuldlos, ist für mich schwer zu schlucken. Meine linke Hand macht sich selbstständig und greift nach seiner rechten.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bei mir war es anders. Ich hab den Scheiß selbst zu verantworten, aber du … du bist unschuldig.“
Lysander drückt meine Hand, sieht mich mit verlorenem Blick an. Seine Augen schimmern feucht und auf seinen hinreißenden Lippen erscheint ein verwackeltes Lächeln. Irgendwo in meiner Herzgegend tut es weh und mir kommt plötzlich ein Gedanke. In unserem Kulturkreis steht Weiß für Unschuld. Ist es das? Hat er deswegen nie auf meine Flirtversuche reagiert?
„Die Straßen sind wieder frei“, ruft draußen jemand erfreut.
Außer meinem Leben habe ich nichts zu verlieren, aber vielleicht etwas zu gewinnen, etwas Unbezahlbares. Ich hebe langsam den anderen Arm und streichele mit dem Daumen sanft seine Wange. Ein wenig neigt er den Kopf und schmiegt sich in meine Hand. Ich lege meine Lippen auf seinen Mund, taste mich vor, schmecke Lysander und mein neues, wertvolles Leben. Sein Atem haucht auf mein Gesicht, seine Finger umklammern meine. Verflucht, dies ist der denkbar schlechteste Ort, um das zu tun, was ich jetzt unbedingt tun will – und nicht nur jetzt, sondern auch die nächsten Jahre.
„Kommst du mit mir? Ich bringe dich, wohin du willst … ich werde auch ganz langsam und vorsichtig fahren, damit dir nichts passiert“, flüstere ich heiser.
Lysander sieht mir prüfend in die Augen und wir wissen beide, dass meine Frage so viel mehr bedeutet, als nur eine Autofahrt in die Stadt.
Sein Zögern dauert für ihn eine Sekunde, für mich eine halbe Ewigkeit. Dann schenkt er mir sein einzigartiges Lächeln und nickt kaum wahrnehmbar.
Die Farbe Weiß bedeutet auch Frieden und Unendlichkeit, habe ich mal irgendwo gelesen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt und wer zuerst gehen muss, doch ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, Lysander glücklich zu machen – ich bin es schon jetzt.
*** Ende ***
Nach langer Trennung erwartet Christoph seinen Freund zurück. Eigentlich müsste er vor Freude jubeln. Wenn, ja, wenn da nicht dieser Junggesellenabschied gewesen wäre, nach dem er völlig zugedröhnt neben einem anderen Kerl aufgewacht war. Soll er Erik die Wahrheit sagen?
***
Die Maschine ist gelandet. Als die ersten Passagiere aus dem Flugzeug kommen, rollen meine Freunde das riesige Transparent aus und postieren sich direkt vor dem Ausgang. <> Meine Schwester und mein Schwager haben ein Tablett mit Sektgläsern vorbereitet, damit wir alle zusammen gleich hier auf Eriks Doktortitel anstoßen können. Ich finde das ziemlich übertrieben, aber gegen die Euphorie der anderen komme ich nicht an.
Ich halte mich im Hintergrund und beobachte die Szene aus ein paar Metern Entfernung. Mit den Händen in den Hosentaschen lehne ich an der Wand und gehe im Geiste die nächsten Minuten durch. Eigentlich müsste ich der glücklichste Mensch auf Erden sein, weil mein Freund nach fast acht Monaten endlich wieder nach Hause kommt. Stattdessen bin ich das personifizierte schlechte Gewissen. Meine schauspielerischen Fähigkeiten reichen vielleicht aus, um die anderen zu täuschen, aber Erik wird mich auf jeden Fall durchschauen, wenn wir uns gegenüberstehen. In den letzten Skype-Sitzungen hat er mich schon ein paar Mal gefragt, was los ist, auch wenn ich fand, dass ich mich gut gehalten habe. Schließlich kann ich ihm nicht auf diese Weise sagen, was passiert ist.
Mein Körper sehnt sich danach, ihn endlich wieder in den Armen zu halten, Ich will ihn streicheln und küssen, festhalten und gehalten werden. Doch mein Kopf hat Angst davor. Angst, dass ich mich verrate. Nächtelang habe ich gegrübelt, was das Beste ist. Wahrheit oder ewige Lüge? Beichten oder Schweigen? Wahrscheinlich wäre es besser, nichts zu sagen und weiter zu machen. Schließlich hatte es wirklich nichts zu bedeuten.
Nicht darüber reden zu können, hat mich schier wahnsinnig gemacht. Vor drei Tagen habe ich mich dann doch meiner Schwester anvertraut. Vage und anonym habe ich sie um Rat gefragt. Carina hat sowieso schon bemerkt, dass etwas mit mir nicht in Ordnung ist. Aber den ultimativen Tipp konnte sie mir auch nicht geben. Zum Glück kennt sie nicht die ganze Geschichte.
»Lass deinen Bauch entscheiden, was für euch besser ist«, meinte sie. »Ich weiß, dass ihr euch liebt und da werdet ihr auch diese Situation überstehen, wenn es wirklich so bedeutungslos war.«
Es war bedeutungslos. Mehr als das. Im Grunde ist es gar nicht passiert, denn der Alkoholpegel war bei uns beiden so hoch, dass wir im Zweifel auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren könnten. Doch die Zeichen am Morgen danach waren unmissverständlich. Das versaute Bettzeug, die klebrigen Reste auf meiner Haut und mein schmerzender Hintern sprachen eine eindeutige Sprache. Ich würde alles dafür geben, es ungeschehen zu machen. Sechs Wochen zermartere ich mir nun schon den Kopf, wie es soweit hatte kommen können. Überhaupt und dann auch noch ausgerechnet mit ihm.
Im Gegensatz zu mir scheint Marvin kein schlechtes Gewissen zu kennen. Mein Schwager hat schließlich vollkommen unbekümmert am Tag danach meine Schwester geheiratet, während ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Vor Scham und schlechtem Gewissen meinem Freund und meiner Schwester gegenüber. Ausgerechnet den beiden Menschen, die mir am meisten bedeuten, habe ich wehgetan.
Erst das laute Johlen der anderen holt mich aus meinen Gedanken. Mit einem strahlenden Lächeln kommt Erik durch den Ausgang. Er lässt sein Gepäck stehen und muss sich sofort dem Begrüßungsansturm erwehren. Sein Blick wandert unruhig über die Menge, bis er mich findet. Ich sehe die Liebe darin und muss mich abwenden. Mir wird übel. Ich habe diese Liebe nicht verdient.
»Hallo, schöner Mann!«
Ich kann seine Nähe spüren, sein vertrauter Geruch strömt in meine Nase und mein Körper wirft sich ihm ungeachtet aller Bedenken entgegen.
»Du hast mir so sehr gefehlt, Chrissie«, flüstert er leise, bevor sein Mund meine Lippen verschließt und den Kloß in meinem Hals zerschmelzen lässt. In dem Moment fliegen alle bösen Gedanken davon und es gibt nur noch uns.
»Du mir auch.« Meine Stimme gleicht mehr einem Krächzen, aber sie kommt aus der Tiefe meines Herzens.
Stirn an Stirn stehen wir da. Er umarmt mich fest und wir vergessen die Welt um uns herum. Für einen Augenblick ist alles wieder gut und nichts und niemand kann uns trennen.
»Hey, wir wollen endlich mit euch anstoßen«, mault meine Schwester. Als ich die Augen öffne, sehe ich den Halbkreis, der sich um uns herum gebildet hat. Alle haben bereits ein Glas in der Hand und sind bereit zum Anstoßen. Erik lässt seinen Arm lässig um meine Taille, während er sein Glas mit einem Lächeln entgegen nimmt und in die Gruppe prostet.
»Ihr seid ein bisschen früh«, sagt er lachend, »noch ist die Arbeit nicht durch. Aber ich bin ganz guter Hoffnung, dass sich das alles gelohnt hat.«
Ich lehne mich an ihn und versuche, meine aufkeimende Unruhe in den Griff zu bekommen. Meine Hand krallt sich fest um das Glas, damit niemand das Zittern bemerkt. Carina beobachtet mich. Statt mich über ihr Mitgefühl zu freuen, verstärkt sich die Abscheu vor mir selbst noch.
»Es ist toll, dass ihr alle gekommen seid«, ruft Erik, nachdem er mit jedem angestoßen hat, »aber ihr könnt sicher verstehen, dass ich jetzt gern erst einmal mit Christoph allein sein möchte. Schließlich war ich acht Monate nicht da.«
Die anderen lachen und schlagen uns auf die Schultern. Ein paar anzügliche Bemerkungen werden ausgetauscht, doch Erik geht nicht darauf ein. Er drückt mir seinen Rucksack in die Hand und greift nach seinem Gepäck. Gemeinsam gehen wir zum Parkplatz. Erst als die Sachen im Wagen verstaut sind und wir drinnen sitzen, bricht mein Freund das Schweigen.
»Ich hatte gedacht, dass du dich freust, mich wieder zu sehen«, meint Erik ernst. »Aber du hast noch keine zwei Sätze gesprochen, seit ich da bin. Was ist los mit dir? Der Freund, den ich zurückgelassen habe, war ein wahres Plappermaul, wo hast du den versteckt?«
»Habe Kopfschmerzen.«
Was bin ich nur für ein erbärmlicher Feigling. Wir sind seid fast fünf Jahren ein Paar und so eine lahme Ausrede ist mir noch nie über die Lippen gekommen. Vielleicht ist es die Müdigkeit, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall lässt Erik mich erst einmal damit davonkommen.
Während der Fahrt nach Hause schweigen wir. Ich habe die Tatsache, dass wir gemeinsam schweigen können, ohne dass es unangenehm wird, immer genossen. Heute ist es kein schönes Schweigen. Das Unheil, das in der Luft liegt, surrt laut in meinen Ohren und der kleine Wicht, der mein Gewissen darstellt, zischt mir die ganze Zeit ins Ohr. »Sag es doch endlich. Du kommst doch sowieso nicht drum herum.« Natürlich nicht. Das weiß ich auch. Ich bin niemand, der ein Geheimnis lange für sich behalten kann und ein gemeinsames Leben mit einer Lüge leben, das kann ich nicht. Egal wie oft ich mir versucht habe einzureden, dass es besser sei, wenn ich nichts sage.
Ein wenig müde sieht Erik schon aus, als wir vor unserem Haus aus dem Auto steigen. Stumm nimmt er seine Sachen und läuft neben mir her. Sobald die Wohnungstür sich hinter uns geschlossen hat, greift er nach meiner Hand und zieht mich in seine Arme. Zärtlich streicht er mit seinen Fingerkuppen über mein Gesicht, als müsste er es vollkommen neu entdecken. Seine Lippen pressen sich sanft auf meinen Mund und durch die dunkelblauen Augen, die mich aufmerksam mustern, kann ich bis in sein Herz sehen. Ich kann die Liebe spüren, aber auch seine Angst sehen. Er merkt, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist.
»Ich habe mir oft ausgemalt, wie es ist, endlich wieder zu Hause zu sein«, sagt er leise, »wie wir es beide nicht erwarten können, übereinander herzufallen, die Klamotten schon auf dem Weg ins Schlafzimmer verlieren und dann einen ganzen Tag nicht mehr aus dem Bett kommen. Allerdings habe ich nun das Gefühl, dass dies ein sehr einseitiges Verlangen ist. Was ist los, Chrissie. Rede mit mir. Bitte.«
Wenn er wüsste, wie sehr ich mir genau das wünschte. Unbefangen über ihn herfallen zu können, ihn endlich wieder ertasten, fühlen, spüren zu können. Mein körperliches Verlangen nach seiner Nähe tut beinahe weh, doch mein Gewissen kämpft noch ein heftiges Gefecht mit dem Feigling in mir.
Statt einer Antwort küsse ich ihn. Voller Verzweiflung und Sehnsucht, hart und leidenschaftlich. Trotz der Anspannung in mir reagiert mein Körper auf seine Nähe. Eriks Hand streicht über meine Erregung und lässt mich seufzen. Ohne weiteres Nachdenken zerre ich ihn hinter mir her ins Schlafzimmer. Das Reden muss warten. Erst einmal verlangen unsere Körper nach Erlösung.
»Ich habe dich so sehr vermisst«, sagte Erik schließlich, als wir beide erschöpft neben einander liegen. Er hält mich fest umschlungen und haucht immer wieder sanfte Küsse auf mein Gesicht, meine Schläfe, meinen ganzen Körper.
Langsam erholt sich mein Körper und mein Geist beginnt, wieder zu arbeiten. Gleichzeitig erwacht auch mein schlechtes Gewissen wieder. Ich weiß, dass ich es nicht weiter aufschieben kann. Seufzend winde ich mich aus seinem Arm.
»Ich dich auch«, sage ich ehrlich, bevor ich das Kondom abstreife und zusammengeknotet neben das Bett fallen lasse. »Aber ich muss mit dir reden und das sollten wir besser nicht hier tun.«
Während ich mich anziehe, erhebt sich auch Erik langsam wieder. Er säubert sich notdürftig und schlüpft in eine kurze Hose. Mit nacktem Oberkörper kommt er mir nach. Ich kann mich nicht sattsehen an seinem perfekten Sixpack. Im Gegensatz zu mir hat er wohl seine freie Zeit zum Training genutzt. Wenn ich nicht aufpasse, fange ich gleich an zu sabbern.
»Zieh dir bitte etwas über. Ich koche uns einen Tee.«
Der Wasserkocher blubbert vor sich hin, als Erik in die Küche kommt und sich stumm an den Tisch setzt. Er dreht seinen Lieblingsbecher zwischen den Fingern hin und her, während er mich beim Eingießen des Wassers beobachtet. Sofort entfaltet sich das fruchtige Aroma des Tees im Raum. Nervös stelle ich die Teekanne auf den Tisch und setze mich.
Erik beobachtet mich, ohne ein Wort zu sagen. Ich wünschte, ich müsste die Worte nicht aussprechen, die ihn verletzen werden.
»Ich habe dich betrogen.«
Ein kurzer Satz ohne Beschönigungen oder Entschuldigungen. Mein Atem stockt. Mein Herz bleibt stehen. Die Angst, dass ich alles zerstört habe, was mir lieb und teuer ist, ist riesengroß.
»Mit wem?«
Eriks Enttäuschung ist seiner Stimme anzumerken. Doch er bleibt ruhig und sein Blick bleibt offen auf mir. Ist es wichtig, dass er weiß, was genau passiert ist? Ich will keine Geheimnisse haben. Leise beginne ich zu erzählen.
»Der Junggesellenabschied..... viel Alkohol....zu viel Alkohol..... Marvin....und ich.......«
»Marvin?«, unterbricht mich Erik überrascht, »dein Schwager?«
Ich nicke. »Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Absoluter Filmriss. Ein paar Stunden später bin ich aufgewacht und die Zeichen waren nicht zu missdeuten.«
Erik springt auf und läuft hin und her. Er muss das Gesagte erst einmal verarbeiten. Ich kann es ihm nicht verdenken. In gebührendem Abstand zu mir lehnt er sich an die Spüle.
»Verstehe ich das richtig? Du hast mit deinem Schwager geschlafen? Dem Mann, den deine Schwester DANACH geheiratet hat?«
Ich spare mir ein erneutes Nicken. Dafür schüttelt mein Freund den Kopf. Mir fehlen die Worte, um zu erklären, was nicht zu erklären ist. Alles klingt falsch und platt.
»Weiß Carina.....?«
»Nein!«
Ich schreie fast. Es tut mir leid. Ich will ihn nicht anschreien.
»Nein, sie weiß es nicht. Natürlich hat sie gemerkt, dass ich mies drauf bin und mich gedrängt, mit ihr zu reden. Ich habe ihr nur gesagt, dass es halt im Suff passiert ist. Es hatte überhaupt nichts zu bedeuten. Ich liebe dich und würde alles dafür geben, es ungeschehen zu machen.«
Erik kommt an den Tisch zurück. Er stützt seinen Kopf mit den Händen ab. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen und seine Sorgen wegküssen. Aber im Augenblick steht ihm bestimmt nicht der Sinn danach. Zögernd strecke ich meine Hand aus und lege sie auf seinen Arm. Ich brauche diese Berührung für mich selbst, um mich zu beruhigen und meine Angst zu dämpfen, dass alles vorbei ist. Es ist ein gutes Zeichen, dass er mich nicht wegstößt.
»Warum, Chrissie? Ich versuche es zu begreifen. Du trinkst nie so viel, dass du das Bewusstsein verlierst und nicht mehr weißt, was du tust. Warum ausgerechnet Marvin? Was meinst du, was deine Schwester dazu sagt, dass ihr Mann mit ihrem Bruder geschlafen hat?«
Ich will es gar nicht wissen. Zum Glück erwartet mein Freund keine Antwort. Traurig schaut Erik mich an. Er trinkt seinen Tee und steht auf.
»Ich brauche etwas Zeit allein. Das muss ich erst einmal verdauen,«
»Ich liebe dich«, sage ich leise, »nur dich.«
»Ich dich auch.«
Fünf Stunden später liege ich noch immer auf der Couch und zappe lustlos durch die Kanäle. Aus unserem Schlafzimmer kommt kein Ton. Draußen ist es inzwischen dunkel. Ich starre auf den Bildschirm, ohne auch nur den Hauch dessen wahrzunehmen, was sich vor meinen Augen abspielt. Meine Nase ist tief vergraben in Eriks Pullover, als könnte ich ihn durch seinen Geruch ersetzen.
»Kommst du ins Bett? Es ist schon spät. Wenn du hier liegen bleibst, hast du morgen früh Rückenschmerzen.«
Vom Klang der Stimme aufgeschreckt, sehe ich auf. Erik lehnt am Türrahmen. Er lächelt schüchtern und mustert mich. Normalerweise bin ich keine Heulsuse, aber jetzt laufen mir die Tränen an den Wangen herab und hinterlassen salzige Spuren.
»Nun komm schon.«
Erik kommt auf mich zu und zieht mich auf die Beine.
»Das Bett ist groß und einsam ohne dich. Ich habe lange genug allein geschlafen.«
Ist das schon die Vergebung? Gibt es noch die Zukunft für uns, die ich mir wünsche? Wir schauen uns tief in die Augen. Mit dem Daumen streicht Erik die Tränen aus meinem Gesicht.
»Wir werden das schaffen.«
Im Bett zieht Erik mich in seinen Arm und hält mich fest. Wir reden nicht. Alles, was gesagt werden musste, ist erst einmal gesagt. Was wir brauchen, ist die gegenseitige Nähe. Mein Kopf liegt auf Eriks Brust. Ich lausche dem gleichmäßigen Herzschlag und werde ruhiger.
»Ich will dich nicht verlieren. Ich liebe dich.«
Im Licht der Straßenlaternen von draußen blicke ich in das Gesicht meines Freundes. Es war mir wichtig, ihm das noch einmal zu sagen.
»Ich dich doch auch nicht. Wir werden das schaffen.«
Erik klingt überzeugt und sicher. Erleichtert lasse ich mich wieder in seinen Arm sinken und kuschele mich eng an ihn. Nach ein paar Minuten gleite ich nahtlos in einen leichten Schlaf hinüber.
Ein paar Tage gehen wir äußerst vorsichtig miteinander um, aber mit der Zeit normalisiert sich unser Verhältnis wieder. Wahrscheinlich ist es auch ohne mein Geständnis normal, dass man sich erst einmal wieder an den gemeinsamen Alltag gewöhnen muss. Wir haben uns beide weiter entwickelt und trotz der regelmäßigen Gespräche müssen wir in der Realität wieder zusammenfinden.
Zum Glück lassen unsere Familien und Freunde uns in Ruhe. Auch wenn sie mit Sicherheit etwas anderes vermuten, was wir die ganzen Tage miteinander tun. Wir reden viel. Erik erzählt von seiner Zeit in Neuseeland, von den Arbeiten für seine Doktorarbeit und seinen Erlebnissen im Land. Auf jeden Fall wollen wir irgendwann einmal gemeinsam dorthin, damit er mir die schönsten Gegenden zeigen kann. Die Bilder lassen erahnen, wie großartig die Landschaft dort ist. Vielleicht hätte ich damals, als sich entschied, dass Erik zum Abschluss seiner Doktorarbeit nach Neuseeland gehen würde, doch mit ihm gehen sollen. Aber ich hatte gerade meine neue Stellung begonnen und nicht einmal ein paar Wochen Urlaub. Mit den technischen Möglichkeiten heutzutage konnten wir zum Glück regelmäßig Kontakt halten.
Wir nehmen uns auch noch einmal die Zeit, über die verhängnisvolle Nacht zu reden. Obwohl es ihm wehtut, will Erik alles darüber wissen. Ich bewundere ihn für seine Ruhe und Abgeklärtheit. Gemeinsam überlegen wir, wie wir in Zukunft mit Marvin und Carina umgehen sollen. Aus unserem Leben verbannen können wir sie nicht. Schließlich ist Carina meine Schwester. Sie hat keine Ahnung und dabei soll es auch bleiben. Marvin ist derjenige, der seiner Frau die Wahrheit sagen sollte, nicht ich. Obwohl ihr Zorn sich dann mit Sicherheit auf mich richten wird.
Langsam nähern sich auch wieder unsere Körper. Nach einer Nacht, in der Nähe und Berührung wichtiger war als Leidenschaft und Lust, wuchs das Verlangen auf mehr sehr schnell wieder. Als Erik sich tief in mir versenkt und unsere Blicke sich treffen, weiß ich endlich, dass alles wieder gut wird.
Sturmklingeln an der Haustür weckt uns am vierten Tag aus dem Schlummer. Mein Wecker zeigt fast elf Uhr. Kein Wunder, dass wir so lange geschlafen haben. Mit einem seligen Grinsen schaue ich meinen Freund an, der genauso erledigt aussieht, wie ich mich fühle.
»Du musst gehen, ich kann mich nicht mehr bewegen«, meint Erik schmunzelnd.
»Ich auch nicht«, maule ich, »mir tut auch alles weh.«
Dennoch schwinge ich mich aus dem Bett und sammle die Nachweise unserer nächtlichen Beschäftigung neben dem Bett auf und entsorge sie. Ich schlüpfe in ein Shirt und eine Hose und schleiche zur Tür. Wer auch immer dort unten steht, hat große Ausdauer.
»Ja bitte«, melde ich mich förmlich an der Gegensprechanlage.
»Chris, ich bin’s. Lass mich rein.«
Die weinerliche Stimme meiner Schwester lässt mich Schlimmes erahnen. Ich drücke auf den Summer. Schnelle Schritte kommen die Treppe hinauf.
»Wer ist es denn?«
Erik kommt verschlafen aus dem Zimmer. Mein Blick alarmiert ihn augenblicklich.
»Deine Schwester?«
Ich nicke. Im gleichen Augenblick eilt meine Schwester durch die Tür und wirft sich schluchzend in meine Arme. Ich bin verwirrt und fühle mich gleichmäßig mies. Erik begrüßt Carina und zieht sich dann in die Küche zurück. Wenig später höre ich die Kaffeemaschine blubbern.
Meine Schwester klammert sich an mich. Mein Shirt ist von ihren Tränen schon durchnässt. Ich streiche ihr beruhigend über den Rücken und dirigiere sie ins Wohnzimmer zur Couch.
»Was ist denn los?«, frage ich leise, obwohl ich mir sehr wohl denken kann, was ihr Problem ist.
»Marvin ist.....er ist......« Sie schluchzt laut. »Marvin ist HIV-positiv. Er hat es mir heute Morgen gesagt, nachdem er sich die ganze Nacht im Bett herumgewälzt hat. Die Routineuntersuchung bei der Blutspende hat das vernichtende Ergebnis gebracht. Als er es gestern erfahren hat, ist die Welt für ihn zusammengebrochen.«
Marvin ist HIV-positiv. Mein Herzschlag setzt aus und mir wird übel. Aus dem Augenwinkel sehe ich Erik, der wie durch einen Nebeltunnel auf mich zukommt. Er zieht mich auf die Beine und schüttelt mich leicht.
»Chrissie...... »
»Ich weiß nicht, was er hat.« Die Stimme meiner Schwester klingt gedämpft. «Keine Ahnung, warum ihn die Nachricht so umgehauen hat.«
»Marvin ist HIV-positiv. Er....«
»Scheiße! Kein Wunder, dass Chrissie so durch den Wind ist. Dein Mann hat am Junggesellenabschied mit ihm geschlafen. Wenn er Pech hat, hat er ihn auch infiziert.«
Erik hält mich im Arm und beruhigt mich. Ich bewundere seine Ruhe. Meine Schwester braucht einen Moment, bis sie die Nachricht verarbeitet hat.
»Du und Marvin? Marvin ist nicht schwul. Was soll das? Vielleicht hast du ihn auch angesteckt. Er ist mein Mann.«
Ihre Trauer wandelt sich in Wut. Sie trommelt mit beiden Fäusten auf mich ein, bis Erik sie von mir wegzieht.
»Hör auf. Damit hilfst du auch niemandem. Weder deinem Mann, noch deinem Bruder. Wir müssen gemeinsam überlegen, was zu tun ist.«
Carina beginnt, wieder zu weinen. Erik reicht ihr ein Taschentuch und schiebt sie wieder auf die Couch.
»Du wusstest das und es macht dir nichts aus?«
»Natürlich macht es mir etwas aus, aber ich kann es nicht mehr ändern. Ich muss damit leben. Weil ich deinen Bruder liebe und mit ihm zusammen sein will.«
Langsam tauche ich aus meinem Tunnel auf. Mein ganzes Leben lang war ich vorsichtig. Sex nie ohne Gummi und ich lasse mich regelmäßig testen. Das war das Versprechen, das ich meinen Eltern geben musste, als ich ihnen eröffnete, dass ich schwul bin. Selbst mit Erik haben wir es nie ohne Gummi getrieben. Vor seiner Abreise haben wir zum ersten Mal darüber gesprochen, dass wir ihn weglassen könnten. Jetzt das. Ein einziges Mal kann das ganze Leben verändern.
Aus meiner Erinnerung krame ich die Informationen, was im Falle einer eventuellen Ansteckung gemacht werden kann. Viel zu spät ist es für die Postexpositionsprophylaxe.-PEP-. So schnell wie möglich muss mit der Einnahme der Medikamente begonnen werden. Innerhalb von Stunden, nicht Tagen oder gar Wochen. Sechs Wochen. Nach dieser Zeit ist ein Test zumindest schon aussagekräftig. Nicht endgültig, aber es ist ein Trend.
Erik und Carina unterhalten sich, als ich aus meiner eigenen Welt wieder auftauche. Sie sind beide erstaunlich ruhig. Die Wut meiner Schwester auf mich ist verraucht. Für mich bedeutet es viel,. dass sie mir glaubt, dass nicht ich ihren Mann angesteckt haben kann, sondern wenn das Ganze nur umgekehrt funktioniert hat. Sie versteht meine Furcht und steht an meiner Seite.
Wir frühstücken gemeinsam. Carina begleitet uns anschließend ins Krankenhaus. Der Arzt erläutert uns noch einmal, was ich schon wusste. Ich kann nur hoffen, aber ein Test jetzt allein ist noch nicht endgültig sicher. Die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben bleiben an meiner Seite. Bis das Ergebnis da ist, wird noch eine Weile vergehen, aber ihre Unterstützung gibt mir ein wenig Zuversicht. Meine Schwester lässt sich auch testen. Ihr wurde die Gefahr einer eigenen Ansteckung erst jetzt bewusst. Zum Glück hatten Marvin und sie ihre Familienplanung noch verschoben und somit nur mit Kondomen miteinander geschlafen.
Aus der Wohnung meiner Schwester holen wir ihre Sachen. Sie braucht ein wenig Abstand von ihrem Mann. Die Nachricht von seiner Infektion hat sie schwer getroffen, aber noch mehr belastet sie die Untreue.. Marvin ist zum Glück nicht da. Ich weiß nicht, was ich mit ihm gemacht hätte. Wir lagern ihre Sachen erst einmal bei uns, aber sie zieht es vor, zu ihrer Freundin zu ziehen. Mir ist das recht.
Den ganzen Tag erlebe ich wie in Trance. Zwischen Wutanfall und Heulkrampf. Erik ist immer an meiner Seite. Was ich ohne ihn täte, weiß ich nicht. Wie er es aushält auch nicht. Mir zuliebe vertröstet er sogar seinen Doktorvater. Das Ticken der Uhr pocht laut in meinen Ohren und doch scheint die Zeit stillzustehen. Geduld war noch nie meine Stärke, aber das Warten auf das Testergebnis strapaziert meine Nerven bis an die Grenze. Erik ist mein Ruhepol, der mich immer wieder auffängt. Sein Optimismus wirkt ansteckend und ich möchte nur zu gern glauben, dass alles gut wird. Doch die Angst gewinnt immer wieder den internen Kampf und dringt an die Oberfläche. Was ist, wenn ich infiziert bin? Ist das ein Todesurteil? Nein, ich weiß genug über HIV und AIDS, um zu wissen, dass dies heute nicht mehr automatisch das Ende bedeutet. Aber es wird ein tiefer Einschnitt in mein Leben. In unser Leben, denn Erik versichert mir immer wieder, dass er an meiner Seite bleibt, egal wie das Ergebnis am Ende ausfällt.
Am Abend zwingt mich Erik, etwas zu essen. Ich habe keinen Hunger. Meine Gedanken drehen sich die ganze Zeit um die Frage, ob in mir dieses Virus tobt. Wenn ich könnte, würde ich es mir aus dem Leib reißen, es verbrennen und danach nie wieder daran denken.
»Es wird alles gut, Chrissie. Ich spüre das. Du bist nicht krank. In ein paar Tagen lachen wir darüber. Du und ich, wir werden gemeinsam uralt werden.«
Er zwingt mich, ihm in die Augen zu schauen.
»Ich liebe dich, Chrissie. Wir stehen das gemeinsam durch. So oder so.«
Im Bett nimmt er mich in den Arm und hält mich fest. Seine Nähe ist das Einzige, was mich in dem Moment noch am Leben erhält. Das Fünkchen Hoffnung, dass doch alles nur ein Albtraum ist und bald vorbei.
Völlig gerädert wachen wir am Morgen auf. Kein Wunder, haben wir die Nacht doch beinahe bewegungslos aufeinander verbracht. Erik schaut mich besorgt an.
»Alles Okay?« Er küsst mich zärtlich und streichelt mich sanft. »Pass auch, heute Abend wissen wir mehr und alles ist gut.«
Ich möchte ihm gern glauben. Aber es fällt mir schwer. Wenigstens bemühe ich mich um Haltung. Ich will mich nicht so gehen lassen. Das hilft niemandem und Erik hat etwas Besseres verdient als einen Freund, der ihn erst betrügt und anschließend noch herumjammert.
»Machst du Kaffee? Ich gehe Brötchen holen.«
Erik lächelt und nickt. Ich schlüpfe in meine Sachen und greife nach meinem Portemonnaie. Mit einem Kuss verabschiede ich mich von meinem Freund und mache mich auf den Weg. Die frische Luft tut mir gut. Ich atme tief ein und aus. Der laue Wind nimmt meine schlechten Gedanken auf und treibt sie weg. Zum ersten Mal seit 24 Stunden schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
Beim Öffnen der Wohnungstür erwartet mich frischer Kaffeeduft. Der Tisch in der Küche ist gedeckt. Es brennt sogar eine Kerze. Im Hintergrund spielt leise Musik. Ich muss grinsen. Das ist so kitschig und passt perfekt zu meinem Freund. Es sind die kleinen Details unserer Beziehung, die sie so einzigartig macht.
Erik schneidet die Brötchen auf. Er schmiert sie und füttert mich damit. Mein Magen knurrt laut. Wir müssen beide grinsen. Ich schnappe nach seinem Finger und lutsche daran. Das Essen ist plötzlich nebensächlich. Die Sorgen verblassen. Lust und Leidenschaft übernehmen das Ruder. Unsere Münder treffen sich. Klamotten fliegen in hohem Bogen durch die Gegend. Erik schiebt mich durch die Küche. Im Flur verlieren wir die letzten Sachen. Unsere nackten Körper reiben sich aneinander. Mit letzter Kraft retten wir uns ins Schlafzimmer und lassen uns ins Bett fallen. Erik rollt sich auf mich. Seine Lippen wandern über meinen ganzen Körper. Ich bekomme überall Gänsehaut. Sämtliches Blut fließt in meine südlichen Regionen. Ich bin hart. Steinhart. Mein Kopf ist leer. Ich genieße die Berührung und gebe mich ihr hin. Ein letzter Funken Vernunft lässt mich zurückzucken, als Eriks Zunge über die Spitze meiner Erregung fährt. Es ist falsch.
»Wir müssen vernünftig sein.«
Sanft aber bestimmt schiebe ich Erik von mir. Ich ziehe ihn hoch und verschließe seinen Mund mit meinen Lippen. Ich will nicht der Grund sein, dass mein Freund sich infiziert. Wenn es die vier Tage nicht geschafft haben, wollen wir das Glück nun nicht überstrapazieren. Erik versteht mich auch ohne Worte. Seine Hand gleitet zwischen unsere Körper und umfasst unsere beiden Glieder. Er massiert und reibt uns beide zusammen, bis warme, klebrige Flüssigkeit über seine Hand läuft. Lächelnd malt Erik kleine Kreise auf meinen Bauch, der prompt wieder zu knurren beginnt.
»Nun aber Frühstück«, sagt Erik bestimmt.
Er küsst mich und zieht mich auf die Beine. Kichernd schlüpfen wir ins unsere Sachen und gehen zurück in die Küche. Hungrig stürze ich mich auf die Brötchen. Wir lachen und albern herum. Für ein paar Momente vergesse ich die Sorgen, die mich belasten.
Den Tag verbringen wir gemeinsam. Erik lässt mich nicht aus den Augen. Wir fahren durch die Stadt und machen ein paar Besorgungen, um uns abzulenken. Bei jedem Geräusch meines Handys zucke ich zusammen. Am Nachmittag halte ich es nicht mehr aus und will im Krankenhaus anrufen. Erik hält mich davon ab. Stattdessen lenkt er den Wagen dorthin. Er drückt meine Hand und hält sie fest, als wir auf den Arzt warten. Wir hatten Glück, dass der gleiche Doktor Dienst hatte. Zunächst will er uns wegschicken. Ich weiß auch, dass es noch zu früh ist. Schließlich erklärt er sich bereit, sich zu erkundigen. Wenig später ruft er uns beide zu sich ins Zimmer. Vor ihm liegt ein Bericht und mir rutscht das Herz in die Hose. Es ist der Moment, den ich gefürchtet habe, der Augenblick, der mein Leben verändern kann.
»Negativ.«
Der Arzt redet weiter, doch alles, was ich verstehe, ist dieses eine Wort. Ich drehe mich zu meinem Freund und sehe sein Grinsen. Ich stürze mich in seine Arme und klammere mich an ihn. Ich lache und weine zur gleichen Zeit.
»Sie müssen den Test in ein paar Wochen noch einmal wiederholen«, sagt der Arzt, »aber das ist schon ein sehr gutes Zeichen. Machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen, Herr Weber.«
Ich könnte die ganze Welt umarmen. Der Stein, der mir vom Herzen gefallen ist, war riesengroß. Als wir draußen sind, rufe ich als Erste meine Schwester an. Sie freut sich für mich. Meinen Vorschlag, zusammen zu feiern, lehnt sie ab und meint, Erik und ich sollten allein etwas unternehmen.
Zum ersten Mal seit Eriks Rückkehr beschließen wir, zusammen auszugehen. Nur er und ich. Bisher kennt niemand aus unserem Freundeskreis das Drama, durch das wir in den letzten Tagen gegangen sind. Irgendwann werden wir ihnen erzählen müssen, was passiert ist, und ich bin nicht stolz darauf. Aber jetzt in diesem Moment genießen wir nur uns beide.
Schon lange habe ich nicht mehr so wild getanzt. Erik hält mich nicht zurück. Er ist immer an meiner Seite. Schließlich kapituliert er völlig außer Atem.
»Christoph Weber, ich liebe dich und ich will mein Leben mit dir gemeinsam verbringen. Für ewig und immer. Ewig ist mehr als für immer. Willst du mich heiraten?«
Obwohl ich trotz der lauten Musik jedes Wort verstanden habe, möchte ich am liebsten nachfragen und es ihn wiederholen lassen. Womit habe ich diesen Mann verdient? Der mich liebt ohne Wenn und Aber. Der zu mir steht, obwohl ich ihn betrogen habe.
»Chrissie?«
Eriks Gesichtsausdruck ist köstlich. Ängstlich und unsicher, wie ich ihn sonst überhaupt nicht kenne. Ich könnte ihn noch zappeln lassen, aber das hat er nicht verdient. Auch wenn ich mir einen Heiratsantrag romantischer vorgestellt habe.
»Ja, ich will. Natürlich will ich dich.«
Applaus brandet auf, aber für mich gibt es nur noch uns. Die Welt bleibt stehen und ich weiß, dass ich endgültig angekommen bin.
ENDE
Es sollte nur ein One Night Stand sein. Anton findet den Kerl sexy und anziehend, rechnet sich allerdings keine weiteren Chancen aus. Dann passiert ein Unfall und alles, was eben noch sicher schien, gerät ins Wanken…
***
„Scheiße“, flucht der Kerl hinter mir, während er seinen Schwanz herauszieht. Zuerst will sich Scham in mir breit machen, weil ich seinen Ausspruch wortwörtlich nehme, dann jedoch bemerke ich etwas, was eigentlich nicht sein kann. Erschrocken lasse ich mich nach vorn fallen und drehe mich auf den Rücken. Tatsächlich, er ist nackt! Der verdammte Schwanz meines Fickpartners ist nackt, das Gummi hat sich wie ein Cockring an der Wurzel zusammengerollt. Ich schließe die Augen und öffne sie fassungslos, als ich bemerke, wie sein Saft aus meinem Arsch rinnt.
„Fuck“, murmle ich.
Bisher hatte ich noch nie Sex ohne Gummi. Eigentlich hatte ich diese wunderbar kitschige Vorstellung, dass sich irgendwann der Richtige finden würde, jemand, den ich lieben würde und mit dem ich fest zusammen wäre. Wir würden gemeinsam einen HIV- Test machen und danach mit Sekt und Sahne und was weiß ich nicht alles, unser erstes Mal bareback zelebrieren. Jetzt hat mir dieser fremde Kerl, dessen Name mir gerade nicht einfällt, meine wunderbare Illusion geklaut.
„Mist“, nuschle ich, setze mich auf und fahre mir durch das verschwitzte Haar.
„Ich muss dir was sagen“, brummt mein Gegenüber verlegen.
„Ich sehe und spüre, dass das Gummi gerissen ist“, erwidere ich und grinse ihn schief an. Er ist ziemlich hübsch und vielleicht könnte das ja der Beginn von irgendetwas sein. Er knabbert nervös auf seiner Unterlippe herum. Die Geste beunruhigt mich. Vermutlich ist er vergeben und will mir jetzt erzählen, dass er eigentlich nur mit seinem festen Freund ohne Gummi rummacht. Tja, da hat er jetzt Pech gehabt.
„Hm … also … ich bin positiv“, stottert er und kratzt sich am Kopf.
„Wie, positiv?“, erkundige ich mich erstaunt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich seine Worte richtig verstanden habe. Positiv ist doch eigentlich kein Synonym für in festen Händen.
„Positiv eben. HIV … Aids … okay, von Aids bin ich noch weit entfernt, aber … “
„Du bist HIV- positiv?“, brülle ich ihn an und springe aus dem Bett. Sein Saft läuft mir am Bein entlang. Erstarrt sehe ich nach unten. Verseucht … das Zeug ist verseucht und es ist in meinem Körper.
„Kein Grund zur Panik, es ist nicht so schlimm, denn ich bin schon seit einiger Zeit stabil unter der Nachweisgrenze. Die Gefahr einer Ansteckung ist extrem gering. Es gibt nur einen nachgewiesenen Fall auf der Welt, wo ...“
„Ich verstehe kein Wort!“, fahre ich ihn unwirsch an. „Und mich interessiert auch nicht, was du da sagst. Du bist eine verdammte AIDS-Schwuchtel und du sagst mir vorher nichts davon. Du fickst mich, ohne mir etwas davon zu sagen?“
Ich stürze mich wütend auf ihn, aber weiche sofort zurück, denn ich will ihn auf gar keinen Fall anfassen.
„Ich muss das nicht jedem auf die Nase binden“, behauptet er und verschränkt die Arme vor der Brust. „Wir wollten beide nur
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Bei jedem Autor selbst
Bildmaterialien: shutterstock und Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2759-2
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