Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Die Homoschmuddelnudeln stehen für karitative Zwecke. Der Erlös des Buches geht in voller Höhe an den Verein Straßenkids e.V. in Hamburg.
Text: Sandra Gernt / Sissi Kaipurgay
Coverbearbeitung: Lars Rogmann
Coverfoto : shutterstock
Foto innen: © canicula - Fotolia.com
Axel ist ein scheuer Mann, der sich lieber mit Tieren als Menschen umgibt. Daher ist der Job als Vogelwart auf einer einsamen Insel genau das Richtige für ihn. Sein Paradies wird überraschend von einem Journalisten-Team heimgesucht. Für Axel der Horror und selbst als sich die Ankömmlinge als sympathisch erweisen, fühlt er sich bedroht …
***
An diesem Samstag war Axel früher wach als sonst. Die Sonne kroch gerade über den Horizont, als er zwischen den Decken nach seinem Handy suchte und mit gerunzelter Stirn die digitale Anzeige anblinzelte. Noch nicht einmal sechs Uhr! Mit einem genervten Stöhnen warf er das Telefon zurück aufs Laken und zog sich die Decke über den Kopf. Am liebsten würde er die nächsten sieben Tage einfach verschlafen, bis der Spuk vorüber war.
Seit Anfang März residierte Axel als Vogelwart auf Eidun. Der Job war für ihn die Erfüllung eines Wunschtraumes. Ganz allein mit der Natur und unzähligen Vogelarten, genau das liebte er über alles. Menschen vermisste er zumeist nicht. Ihm reichte es, dass einmal in der Woche Willi mit ihm redete, wenn der mit seinem alten Fischerboot Vorräte lieferte. Falls ihm doch mal nach Unterhaltung war, konnte er im Internet mit Studienkollegen chatten.
Trotz der frühen Morgenstunde konnte Axel nicht mehr einschlafen, gab den Versuch schließlich auf und kletterte vom Hochbett. Dabei stieß er sich, wie so oft, den großen Zeh an der Schreibtischkante. Leise vor sich hin fluchend humpelte er zum Herd und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Der nächste Gang führte vor die Hütte, eine Treppe runter in den Verschlag mit dem improvisierten Klo. Zum Glück regnete es nicht. Das hätte Axel die Laune endgültig verdorben.
Als er das Holzhaus wieder betrat, meldete sich der Wasserkessel unter lautem Pfeifen. Er kramte einen Teebeutel aus der Vorratskiste, schnappte sich einen Becher und goss das kochende Wasser hinein. Anschließend nahm er am Schreibtisch Platz und starrte aus dem Fenster. Im ersten Morgenlicht glitzerte das Meer, als würden Millionen Edelsteinchen auf den flachen Wellen schwimmen. Von hier aus konnte er bis zur Kimme sehen und in genau diesem Moment tauchte ein Containerschiff in der Ferne auf. Es schob sich über die Kante, als würde es von unten heraufgetragen werden. Kein Wunder, dass die Menschen einst glaubten, am Ende des Meeres würde sich ein Randfall befinden.
Axel löste den Blick von der Nordsee, klappte das vor ihm liegende Notebook auf und machte sich daran, die täglichen Beobachtungen einzutragen. Dieses Prozedere gefiel ihm. Wahrscheinlich war er ein heimlicher Bürokrat. Tabellen hatten ihn schon immer fasziniert, genau wie die Vogelwelt.
Nachdem er seine Pflicht erfüllt hatte, öffnete er ein anderes Dokument. Sein privates Logbuch. Tagebuch wollte er es nicht nennen. Das klang zu spießig. Hier schrieb er seine Empfindungen nieder und manchmal hatte er den Verdacht, dass er damit seine Einsamkeit kompensierte. Es war eine Art von Zwiegespräch mit dem Notebook. Es half, seine Gedanken zu ordnen und Gefühle zu analysieren.
Er hob den Teebecher an die Lippen. Kurz wanderte sein Blick wieder versonnen in die Ferne. Dann gab er sich einen Ruck, stellte entschlossen den Becher beiseite und begann zu tippen.
„Es gefällt mir gar nicht, meine Hütte über eine Woche mit zwei Menschen teilen zu müssen. Ich mag nicht ständig reden. Außerdem ist es verdammt eng hier.“ Axel pausierte und schaute sich um. „Ich hoffe nur, dass das Wetter schön bleibt, sonst raste ich aus. Auf diesen paar Quadratmetern aufeinander zu hocken ist ein echter Alptraum. Manchmal ist es schon schlimm genug, mit mir selbst in einem Zimmer zu sitzen.“ Er seufzte, lehnte sich zurück und setzte erneut den Becher an. „Leide ich langsam an Klaustrophobie?“, schrieb er einhändig weiter. „Vielleicht sollte ich ein Zelt aufstellen oder einfach draußen in den Dünen übernachten. Aber nimmt man das innere Gefängnis nicht überall hin mit? Hoffentlich merken die Männer nicht, was für ein verkorkster Typ ich bin. Ich bete, dass sie nett sind, mir nicht wehtun und alles schnell vorbeigeht.“
Puh! Axel sprang auf, um sich einen weiteren Tee zuzubereiten. Heute hatte er echt eine Schraube locker. Das musste an dem bevorstehenden Besuch der Medienfuzzis liegen. Eine Woche vor der Kamera, ständig einen Schreiberling am Bein. Er würde tausend Fragen beantworten müssen und sehr wahrscheinlich sahen die unerwünschten Besucher in ihm ohnehin nur einen Sonderling, der sich lieber mit Vögeln als Menschen umgab.
Zurück am Schreibtisch schaute Axel sinnend auf den eben geschriebenen Text. Sollte er ihn besser löschen? Ach was! Das Notebook war passwortgeschützt, also würde niemand seine geistigen Ergüsse je zu Gesicht bekommen. Wenn die Saison vorüber war, würde er das ganze Dokument vernichten.
Entschlossen klappte er das Notebook zu, schlüpfte in Jeans und Pullover, griff nach einer leichten Jacke und begab sich mit dem Becher in der Hand auf die Veranda. Wie immer wehte ein kräftiger Wind. Dank des schönen Maiwetters war er jedoch gut zu ertragen. Nachher, wenn die Sonne ihre volle Strahlkraft entwickelt hatte, würde es so warm werden, dass die Jacke überflüssig wurde. Axel lehnte sich gegen die raue Holzwand und beobachtete ein paar Lachmöwen, die scheinbar mühelos vor dem fast wolkenlosen Himmel schwebten. Die Nordsee befand sich noch auf dem Rückzug. In wenigen Stunden würde sie die Richtung wechseln und mit dem auflaufenden Wasser das Schiff mit den beiden Medienheinis aufkreuzen. Er seufzte, trank den Becher leer und trottete zurück in die Hütte. Ein ausgedehnter Erkundungsgang über die Insel würde ihn ablenken, bis Willis Boot in Sicht kam.
Kurz darauf war Axel auf den Salzwiesen unterwegs. Stets darauf bedacht, keinem der vielen Gelege zu nahe zu kommen, wandte er sich in Richtung Meer und lief auf dem Sand die gerade mal zweieinhalb Kilometer bis zum Ende des Eilands. Erstes Highlight des Tages: Mit dem Fernglas entdeckte er einen Schweinswal.
Während er langsam auf der anderen Seite der Insel nordwärts wanderte, beobachtete er ein paar Austernfischer. Ein Zug von Weißwangengänsen forderte für einen Moment seine Aufmerksamkeit, sodass er fast in ein Eiderentengelege getreten wäre. Das war ihm noch nie passiert! Verärgert über sich selbst legte er den restlichen Weg mit doppelter Achtsamkeit zurück.
Es waren in diesem Jahr seine Vögel. Er behütete sie und kümmerte sich darum, dass sie unbehelligt ihren Nachwuchs großziehen konnten. Für eine Saison war er ein Vogelvater und das erfüllte ihn ständig mit Stolz. Er liebte diese besonderen Tiere, denen auf der Welt schon so viel Lebensraum genommen worden war. Hier, auf Eidun, gehörte ihnen alles, sogar irgendwie er.
Die Zeit bis zum Eintreffen des Schiffes verbrachte er mit der stoischen Kartierung von Pflanzen. Nicht seine Lieblingsbeschäftigung, sie lenkte jedoch ab und musste auch getan werden. Apropos: Er sollte vielleicht mal wieder duschen. Wobei das Wort duschen nicht mit dem herkömmlichen Vorgang in Verbindung gebracht werden sollte. Auf Eidun war alles ein bisschen anders.
Axel beendete die Kartierung und erklomm die Treppe zur Veranda. Nachdem er seine Gerätschaften in der Hütte abgestellt hatte, trat er erneut auf die Holzbohlen hinaus und tapste hinter die Behausung. Dort befanden sich zwei große Regentonnen sowie ein Waschbecken. Das eine Fass war fast leer, das andere noch bis zum Rand voll. Die Wassertemperatur ließ leider zu wünschen übrig, aber Axel war diesbezüglich nicht besonders empfindlich. Rasch legte er seine Kleidung ab, griff nach der Schöpfkelle und kippte sich einen Schwall über den Rücken. Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus, der Wind kühlte zusätzlich. So schnell es ging, seifte er sich ein und spülte den Schaum mit drei weiteren Kellen ab. Das Gefühl sauber zu sein hob seine Laune um einiges. Er griff nach einem Handtuch, rubbelte sich rasch ab und schlüpfte in seine Klamotten. Anschließend wusch er sich die Haare, indem er sich über das Geländer der Veranda beugte und erneut die Schöpfkelle benutzte. Danach fühle er sich wie ein neuer Mensch. Wenigstens äußerlich. Innerlich erwartete er mit wachsender Anspannung die Ankunft der ungebetenen Gäste.
Gegen zwölf Uhr konnte Axel Willis Boot in der Fahrrinne ausmachen. Er schnappte sich den Deichselwagen, der für den Transport der Vorräte diente, und ging los. Mit jedem Schritt wuchs der Knoten in seinem Magen. Er wollte keine Leute hierhaben. Leider besaß er keinerlei Handhabe, um den Besuch abzulehnen. Eine Reportage über die Insel würde Publicity und somit Spendengelder einbringen, die das Eiland dringend benötigte. Das wusste Axel zwar, aber auch diese Begründung konnte ihm die Sache nicht schmackhaft machen. Er wollte lieber allein hier sein. Punkt!
Der weiße Rumpf des Schiffes kam immer näher. Willi rangierte das Boot mit dem üblichen Geschick durch das flache Fahrwasser, bis der Kiel auf Grund lief. Erst das auflaufende Wasser würde ihn wieder freisetzen, was in ungefähr sechs Stunden der Fall sein würde. Normalerweise genoss Axel die Zeit mit dem erfahrenen Mann, da er sicher sein konnte, dass dessen Aufenthalt zeitlich begrenzt war. Heute jedoch wünschte er jegliche Menschenseele zum Teufel. Entsprechend kühl fiel die Begrüßung aus.
„Moin Axel“, rief Willi, wobei er eine Leiter von Deck herunterließ. „Alles klar?“
„Ja, wie immer“, erwiderte Axel und stapfte zum Bootsrumpf, um dem anderen behilflich zu sein.
Trotz seiner fast 60 Jahre war Willi flink und kräftig. Die Seeluft hatte seine Haut gegerbt, sodass sein Gesicht ein wenig Ähnlichkeit mit einem zerknautschten Lederball aufwies. Markenzeichen war sein häufiges Lächeln, welches Dutzende Falten in seinen Augenwinkeln erzeugte.
„Deine beiden Gäste haben mir schon die Seele aus dem Leib gefragt.“ Willi lachte fröhlich. „Du wirst deine helle Freude an ihnen haben.“
„Glaub ich auch“, murmelte Axel.
In diesem Moment erschien ein Mann mit Vollbart hinter Willi, gefolgt von einem etwas kleineren Kerl. Beide trugen riesige Rucksäcke und schickten sich nach einem kurzen Nicken in Axels Richtung an, die wenigen Sprossen der Leiter hinunterzusteigen. Der betrachtete den Vorgang mit wachsender Nervosität. Nun war es also soweit. Die Männer wirkten nicht so unsympathisch, wie er befürchtet hatte. Beide machten im Gegenteil einen soliden und keineswegs überkandidelten Eindruck. Die Kleidung war angemessen und das Lächeln des Bärtigen, als dieser auf ihn zu stapfte, sehr einnehmend.
„Hallo, ich bin Pavel Müller und das …“, er zeigte auf den anderen Mann, „… ist Laurenz von Silberberg. Lass dich von dem Titel nicht abschrecken.“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu. „Lauri ist absolut erträglich.“
„Dankeschön!“ Laurenz von Silberberg funkelte seinen Begleiter an und richtete dann die Aufmerksamkeit auf den Vogelwart. Irgendwie hatte er ein älteres Semester erwartet. Dieser Mann musste ziemlich jung sein, aber vielleicht täuschte das. Er trat auf Axel zu und streckte die Hand aus: „Ich bin Laurenz.“
„Axel“, nuschelte dieser, ergriff die Hand und registrierte den angenehm warmen Händedruck. „Axel Feddersen“, sagte er deutlicher und probierte ein Lächeln. „Willkommen.“
„Junge, komm mal her und hilf mir“, ließ sich in diesem Moment Willi vernehmen. Er schwenkte einen Kanister und die nächsten Minuten vergingen damit, die Bootsladung zu löschen. Sogar die beiden Medienmenschen packten tüchtig mit an, als würden sie ständig solche Arbeiten verrichten. Axels Vorurteile gerieten ins Wanken. Sollten die Männer vielleicht doch in Ordnung sein? Er beobachtete vor allem Laurenz, da Journalisten ihm per se überaus suspekt waren. Für ihn war das ein Menschenschlag, der sich sensationslüstern über das Elend anderer Leute hermachte, wie über eine köstliche Mahlzeit. Laurenz hingegen machte auf ihn den Eindruck eines ganz normalen Menschen.
Nachdem das Boot vollständig entladen war, machte sich die Gruppe auf zur Hütte. Auch Willi folgte dem Tross, da sein Schiff noch ein paar Stunden trockenliegen würde.
Der vollbeladene Wagen ließ sich nur schwer durch den tiefen Sand ziehen, weshalb Axel dankbar für Pavels Hilfe war. Normalerweise schaffte er das allein ganz gut, doch nun stapelte sich die dreifache Menge an Vorräten auf dem Wägelchen.
Trotz des stetigen Windes war Axel schweißüberströmt, als die Hütte endlich vor ihm lag. Auch Pavels Stirn glänzte. Er wischte sich mit dem Handrücken ein paar Haare aus dem Gesicht, während er das Holzbauwerk musterte.
„Und das hält, wenn hier landunter ist?“, erkundigte er sich mit deutlichem Argwohn.
„Bisher schon“, gab Axel kühl Auskunft. „Ich lebe ja noch.“
„Will mal nicht hoffen, dass du beim nächsten Sturm zu Fischfutter wirst“, witzelte Willi und nahm die Treppe in Angriff, wobei er sich einen der Kanister vom Wagen schnappte. Laurenz tat es ihm nach. Pavel griff nach einem Karton und folgte den beiden die Stufen hinauf. Axel bildete mit einer Tasche über der Schulter und einer Kiste auf dem Arm das Schlusslicht.
Dank der vielen Hände war der Wagen schnell entladen. Die Vorräte stapelten sich nun auf der Veranda, da sonst in der Hütte kein Platz mehr gewesen wäre. „Hast du einen starken Tee für einen durstigen Seefahrer?“, fragte Willi. Er tappte zum Hochbett, unter dem eine schmale Pritsche als eine Art Bank diente. Ächzend ließ er sich auf das Holz plumpsen und streckte die Beine aus. Unterdessen stellte Axel Wasser für Tee auf, während die beiden anderen das Mobiliar musterten.
„Ziemlich … spartanisch“, merkte Laurenz an, begab sich zu Willi und setzte sich zu ihm. Pavel nickte, hockte sich auf die Schreibtischkante und überließ somit Axel den Stuhl. „Hab nichts anderes erwartet“, meinte er trocken.
Irgendwie wertete Axel das als Angriff auf seine Behausung und gab sich dementsprechend wortkarg. Willi bestritt die Unterhaltung ohnehin fast allein. Axel ließ die drei quatschen und machte sich lieber daran, die Vorräte in den vorhandenen Staumöglichkeiten unterzubringen. Auch wenn keine Sturmflut drohte und ein Regenschauer unwahrscheinlich war, wollte er das Zeug sicher verwahrt wissen.
Unter dem Vorwand, noch ein paar Gelege überprüfen zu müssen, machte er sich nach ungefähr einer Stunde davon. Keine Ahnung, wie er eine ganze Woche das Gerede ertragen sollte. Ihm schwirrte schon jetzt der Kopf.
Lange streifte er über die Insel, ließ sich vom Wind durchpusten und besuchte seine Vögel. Dabei verlor er die Zeit ganz aus den Augen.
Als er zur Hütte zurückkehrte, kam ihm Willi entgegen. Das Wasser würde sein Schiff bald freispülen. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Halt die Ohren steif, Junge!“ Axel würde sie sich wohl eher zuhalten müssen, aber das wollte er Willi nicht auf die Nase binden, daher antwortete er mit einem schlichten: „Bis nächste Woche.“
In seinem Heim sah es aus, als wäre eine Kolonie Fotografierwütiger eingezogen. Pavel kauerte auf dem Boden und sortierte diverse Kameras, während Laurenz auf der Bank lümmelte und mit einigen Aufnahmegeräten spielte. Axel blieb in der Tür stehen und stöhnte innerlich. Vorbei war’s mit Ruhe und Abgeschiedenheit. Die zwei blickten auf wie ertappte Schuljungen und sammelten schnell ihren Krams zusammen, um ihn sorgsam in den Rucksäcken zu verstauen.
„Entschuldige die Unordnung“, murmelte Pavel, während er vorsichtig seine Sachen in die große Tasche stapelte. Er linste zu Axel hoch. „Ich hab Hunger. Soll ich was Schönes kochen?“
Irgendwie hatte Axel ihn genau so eingeschätzt, wohl wegen seines Bauchansatzes. Er nickte gnädig und machte einen großen Schritt über das Gepäck hinweg, um zum Schreibtisch zu gelangen. Es war wohl an der Zeit, das Organisatorische zu klären. Axel sank auf den Stuhl und räusperte sich.
„Hinter der Hütte auf der Veranda ist eine Waschgelegenheit. Bitte sparsam mit dem Wasser umgehen. Die Tonne füllt sich nur bei Regen und der ist im Moment nicht in Aussicht.“ Er schöpfte Atem und machte weiter: „Auf das Bett da oben passen zwei Leute, die Bank reicht nur für einen. Ich schlage vor, dass ihr beiden euch das obere Bett teilt und ich schlafe unten.“
Seine Besucher wechselten einen kurzen Blick und Laurenz verriet: „Pavel hat Höhenangst. Er kann nicht da oben schlafen.“
„Dann tauschen wir. Du und ich schlafen oben, Pavel unten.“ Die Idee gefiel ihm nicht und das ließ er die zwei auch spüren, indem er einen ätzenden Tonfall anschlug. „Das Klo ist auf halber Treppe. Ich hoffe, das bereitet keine weiteren Probleme.“
Pavel zog verletzt die Schultern hoch. Sofort tat ihm sein zickiges Verhalten leid, aber er hatte keine Lust sich zu entschuldigen. Die beiden waren ungefragt und uneingeladen in seine Privatsphäre eingedrungen, das sollten sie spüren. Wenigstens ein bisschen.
„Ich … ich koch mal was“, stammelte Pavel schließlich, rappelte sich vom Boden hoch und schob seinen Rucksack unter das Bett, damit wieder mehr Bewegungsfreiraum zur Verfügung stand. Laurenz beobachtete Axel indessen mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihm war anzumerken, dass er dessen Verhalten missbilligte. Scheiß drauf! Axel wollte keine Freunde fürs Leben gewinnen, sondern nur diese Woche überstehen. Übertrieben gelassen wandte er sich dem Notebook zu und klappte den Deckel hoch.
Laurenz räusperte sich, bevor er sich neben den jungen Mann setzte. Er spürte die Ablehnung, die von Axel wie Hitzewellen ausstrahlte. Nicht wenige der Menschen, die er bislang porträtiert hatte, waren anfangs ähnlich zurückhaltend gewesen. Gerade diejenigen, die sich in die Einsamkeit der Natur zurückzogen, fühlten sich oft bedrängt, manche sogar regelrecht bedroht. Mit Grauen erinnerte er sich an einen Leuchtturmwärter auf Sylt, der feindselig und so einsilbig auf ihn reagiert hatte, dass er sich von einer Kollegin hatte ablösen lassen. Ihr weiblicher Charme hatte das Problem aus der Welt geschafft. Bei Axel hatte er das Gefühl, zu ihm durchdringen zu können, wenn er es behutsam anging. In diesem Fall ein Glück, dass sie aus gesetzlichen Gründen nur zu zweit auf die Insel kommen durften und auf Tontechnik und Beleuchtung verzichten mussten. Schon mit drei Mann war diese Hütte völlig überfüllt und Axel mehr als genug gefordert.
„Was machst du im Moment?“, fragte er interessiert. Das brachte ihm einen skeptischen Blick ein, woraufhin er lächelnd die Hände hob. „Keine Kamera. Wir fangen erst nach dem Essen richtig an, mit Aufnahmen von der Insel, wenn das okay für dich ist. Natürlich machen wir draußen keinen Schritt ohne dich, wir wurden sorgfältig eingewiesen. Jeder Quadratzentimeter soll unbeschädigt bleiben, wir wollen weder Flora noch Fauna stören.“ Nicht einmal solch ein Sondergewächs wie dich, dachte er bei sich. Axel nickte, starrte stoisch auf den Laptop, doch er wirkte bereits entspannter.
„Ich werte gerade eine Tabelle aus“, murmelte Axel. „Windrichtung und –stärke. Ob das Einfluss auf das Aufkommen und Verhalten der Rastvögel hat. Gibt viel, was wir lernen können.“ Er zog unbehaglich die Schultern hoch, vermutlich unsicher, ob er Laurenz langweilte.
„Genau das wollen wir erfahren“, ermutigte dieser ihn. Es half beinahe immer, die Leute auf ihrem Spezialgebiet zu triggern, um das Eis zu brechen. Je mehr man sich für das interessierte, dem sie ihr Leben verschrieben hatten, desto leichter bekam man Zugang zu ihrem wahren Ich. Das war es, was Laurenz faszinierte: Menschen und ihre Geschichten. Dieser Moment, wenn Kameras und Mikrophone vergessen wurden, wenn er hinter die Fassaden blicken und spüren durfte, was den Mensch vor ihm antrieb, welche Leidenschaft er besaß … Die großen Sensationsstorys reizten ihn dabei weniger. Natürlich war es wichtig, Prominente, Politiker, die großen Denker ihrer Zeit zu porträtieren. Oder Opfer von Krieg, Gewalt, Verbrechen aller Art. Aber das war keine Kunst, es war leicht, solche Dramen aus sämtlichen Richtungen zu beleuchten. Die Helden des Alltags hingegen, da musste man sich behutsam annähern, um das Besondere an ihnen einzufangen und zum Leuchten
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sandra Gernt / Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock by Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2014
ISBN: 978-3-7368-2175-0
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