Cover

Sascha Scheiblette – Winkelzüge eines Chefanwärters

 

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

 

Text: Sascha Scheiblette

mit freundlicher Unterstützung von Sissi Kaiserlos

 

Foto : shutterstock 22948918


Winkelzüge eines Chefanwärters


Kurt ist einfacher Anzeigensachbearbeiter beim Strenger-Verlag. Eigentlich ist er mit seinem Leben zufrieden, auch wenn es mit den Weibern nicht so recht klappen will. Als ein Schreib-Wettbewerb stattfindet, an dem alle Mitarbeiter teilnehmen dürfen, macht er aus Spaß und Langeweile mit. Sein Erfolg ist unglaublich und das Augenmerk eines hohen Angestellten richtet sich auf den harmlosen Kurt. Doch der wollte nur spielen und ist mehr als überrascht, in den Fokus eines schwulen Mannes zu geraten.

***

1.

 

„Guten Morgen, Herr Dabelstein.“

„Moin“, grüßte Kurt die alte Schachtel von nebenan zurück, joggte die Treppe hinunter und überlegte mal wieder, wieso die Frau schon so früh auf war. Als Rentner sollte man lange schlafen und nicht um halb sieben dem Nachbarn auflauern. Wahrscheinlich senile Bettflucht. Frau Klünck musste um die siebzig sein, dann brauchte man wohl weniger Schlaf.

Innerhalb weniger Minuten hatte er das Verlagshaus Strenger erreicht, stellte seinen Golf auf dem firmeneigenen Parkplatz ab und trottete auf den Eingang zu. In der Empfangshalle war um diese Zeit kaum etwas los. Die meisten Kollegen kamen zwischen acht und neun. Kurt kam lieber früh und ging dafür vor den anderen. So hatte er morgens Ruhe und konnte ein wenig im Internet recherchieren.

Sein Büro war noch verwaist. Kollege Dion gehörte auch zu den Spätaufstehern, vor allem, seit er mit Louis liiert war. Kurt musste immer schmunzeln, wenn er an die beiden und den Affentanz dachte, den diese veranstaltet hatten. Die ganze Belegschaft zerriss sich das Maul über das Paar. Er selbst würde niemals etwas mit einer Kollegin anfangen!

Kurt ließ sich auf seinen Stuhl fallen, fuhr den Computer hoch und schaute kurz im Posteingangskorb nach. Ungefähr zwanzig neue Aufträge wollten abgearbeitet werden, durften aber gern warten, bis er dazu bereit war. Vorerst brauchte er einen Kaffee und dabei würde er sein Profil bei einer Online-Dating-Agentur checken.

Er war auf der Suche, wobei er nicht so recht wusste, wonach. Eine Beziehung wäre schon schön. Kinder wollte er allerdings keine. Spaß miteinander haben, Sex. Gemeinsame Reisen. Vielleicht ein gemeinsames Hobby? Doch welche Frau machte Kraftsport und liebte Fußball? Das war wohl auch einer der Gründe, weshalb er mit 37 immer noch Single war. Er ging zwar manchmal aus, traf sich mit Freunden in Kneipen, doch das waren kaum Orte, an denen man Kontakt zum schönen Geschlecht knüpfen konnte. Wenn es dann doch mal geklappt hatte, kamen dabei jedoch nie mehr als ein paar Treffen und ein wenig Sex herum. Vielleicht war Kurt einfach kein Beziehungstyp.

Nachdem er sich aus der Kantine einen Kaffee besorgt hatte, machte er es sich vor dem Bildschirm gemütlich. Entspannt zurückgelehnt las er die Nachrichten auf seinem Profil. Eine Doris pries ihre Vorzüge an. Sie sei blond und aufgeschlossen. Aha! Kurts Sexradar sprang sofort an und er fand, dass die gute Doris auf jeden Fall einen zweiten Blick wert wäre. Rasch tippte er eine Antwort ein, surfte danach ein bisschen herum und machte sich, als der Becher ausgetrunken war, an die Arbeit.


„Morgen Kurt.“ Dion trottete herein und warf dem Kollegen ein herzliches Lächeln zu. Wie immer umrundete er seinen Schreibtisch überaus vorsichtig, da er sich schon mehr als einen blauen Fleck an dessen scharfen Kanten zugezogen hatte. „Hast du schon den Aushang gesehen? Die veranstalten einen Schreibwettbewerb und ich …“ Dion zögerte, setzte sich hin und fuhr leise fort: „Ich überlege, ob ich teilnehmen sollte.“

„Klar. Mach das“, murmelte Kurt abwesend.

Doris hatte gerade geantwortet und ein Foto, das eine scharfe Blonde zeigte, geschickt. Boah! Hoffentlich waren die Brüste nicht echt. Also, hoffentlich war der BH dafür verantwortlich, dass die Dinger so weit vorstanden. Kurt mochte, aus unerfindlichem Grund, keine Riesenmöpse. Am liebsten waren ihm ganz flachen Titten.

„Meinst du, ich hab eine Chance?“

„Hm?“ Kurt schaute auf.

„Du hast mir nicht zugehört“, beschwerte sich Dion.

„Doch! Klar! Ähm … Schreibwettbewerb. Was ist das Thema?“

„Pft! Lies doch selbst.“ Schmollend verkroch Dion sich hinter dem Monitor.

Kurt seufzte. Sein Blick wanderte zurück zu Doris und sog sich an deren Vorbau fest. Himmel hilf! Wenn das da echt war, würde er schreiend die Flucht ergreifen. Da er jedoch schlecht direkt nachfragen konnte, schickte er stattdessen einen Vorschlag für ein Treffen. Hübsche Augen hatte Doris und die Rechtschreibung war auch okay. Was konnte ein Mann mehr verlangen?


Pünktlich um zwölf stand Kurt auf, holte die Börse aus der Schreibtischschublade und verließ wortlos das Zimmer. Dion hatte die ganze Zeit beharrlich geschwiegen, was Kurt schon ziemlich auf den Sender ging. Irgendwie hatte der Kerl echt zickige Tendenzen. Wie Louis das nur aushielt?

Auf dem Weg zur Kantine kam er am schwarzen Brett vorbei. Hans-Hermann Strenger, der Herrscher über den Verlag, hielt an dieser Tradition fest, auch wenn das Internet schon lange als Informationsplattform diente. Kurt stoppte und las den Aushang, von dem Dion gesprochen hatte.


SCHREIBWETTBEWERB FÜR ALLE MITARBEITER/INNEN


Anlässlich des Welt-AIDs-Tages und wegen des großen Erfolges des CSD-Spezials, sammelt die Verlagsleitung Texte, um diese am 1. Dezember in einer weiteren Spezialausgabe zu veröffentlichen. Willkommen ist alles, was sich irgendwie mit Homophilie beschäftigt. Auch erotische Storys.


Jeder Mitarbeiter darf teilnehmen!


Die Geschichten werden von einer Jury bewertet, erhalten ein professionelles Lektorat und die drei bestbenoteten Autoren erhalten ein Preisgeld. Also: Ran an die Tastaturen. Auf Wunsch können die Texte auch anonym abgegeben werden.

Einsendeschluss ist der 1. August 2014.


Viel Glück!

Ihr

Quentin Weizenbach


Wer ist denn Quentin Weizenbach?, überlegte Kurt, während er den Weg fortsetzte.

In der Kantine waren nur wenige Tische belegt. Mit seinem Tablett stand Kurt einen Moment da und musterte die Anwesenden. Bis auf Alfred, einen Teamkollegen von Louis, kannte er die anderen nur vom Sehen. Er steuerte dessen Tisch an.

„Ist hier noch frei?“, fragte er ironisch, was Alfred kauend mit einem Nicken bejahte. „Ein Glück! Ist verdammt voll hier.“ Kurt stellte das Tablett ab, setzte sich hin und beäugte neugierig Alfreds Teller. „Soll das die Bolognese sein?“, fragte er skeptisch.

„Jedenfalls wurde sie so angepriesen.“ Alfred seufzte und wickelte eine Portion Spaghetti geschickt mit der Gabel auf. „Hab die nur genommen, weil der süße Koch da hinten sie hoch gelobt hat.“

„Der süße …?“ Kurt hob die Augenbrauen. „Du hast das Ufer gewechselt?“

„Nö“, nuschelte Alfred, schluckte und grinste fröhlich. „Ich übe nur schon für den Wettbewerb. Machst du auch mit?“

„Als wenn ich eine Chance hätte.“ Kurt spießte ein paar Bohnen auf und stopfte sie sich in den Mund. „Ich bin nur ein schimpler Schachbearbeiter, schonscht nixsch.“

„Ach!“ Alfred machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sei kein Frosch. Fast alle machen mit.“

„Na, wenn das sooo ist.“ Seufzend griff Kurt nach dem Messer und säbelte an der Karbonade herum. „Dann bin ich ja praktisch im Zugzwang.“

„Jepp!“ Alfred nickte, griff nach seinem Glas und trank den Inhalt in einem Zug.

„Und … wer ist dieser Weizenbach?“

„Die rechte Hand vom Chef. Man munkelt, dass er Strengers Patensohn sein soll. Hans-Hermann hat doch keine eigenen Kinder, daher scheint er Quentin als Nachfolger im Auge zu haben. Schmuckes Kerlchen. Klein, blond, aber ganz schön energisch.“ Alfred schnappte sich das Schälchen mit dem Dessert und probierte einen Löffel von der Creme. „Uah! Wie eklig ist das denn?“ Mit angewiderter Miene stellte er die Schale zurück und warf das Besteckteil aufs Tablett. „Mit Weizenbach würde ich mich nicht anlegen. Wenn der hier ans Ruder kommt, haben wir alle nichts mehr zu lachen.“

„So schlimm?“

„Wir werden sehen.“ Alfred zuckte die Achseln, stand auf und nahm das Tablett hoch. „Man sieht sich“, verabschiedete er sich und zuckelte davon.

„Klein, blond, energisch sucht …“, murmelte Kurt, nur für seine Ohren bestimmt.


Gegen sieben parkte Kurt seinen Wagen vor dem Lokal, in dem er mit Doris verabredet war. Er hatte sich ein wenig fein gemacht: Weißes Hemd zur schwarzen Jeans, darüber ein Jackett. Als Erkennungszeichen trug er eine Margerite im Knopfloch. Er hatte Doris zwar ein Foto geschickt, aber das war schon zwei Jahre alt.

Als er das Restaurant betrat, entdeckte er Doris sofort. Sie saß gleich vorn an einem Tisch und bedeckte die Hälfte davon mit ihrem Atombusen. Soweit zu Kurts Hoffnung, dass es sich um eine Attrappe handeln möge. Er überlegte, ob er schnell die Margerite entfernen und verschwinden sollte, als sie ihn auch schon entdeckte.

„Huhu Kurt“, grölte sie lauthals, sodass sich alle Köpfe in ihre Richtung drehten.

„Hallo Doris.“ Kurt setzte sich schnell ihr gegenüber hin und hoffte, dass er nicht errötete. Allgemeine Aufmerksamkeit war ihm zuwider.

„Bist ja ein strammes Kerlchen“, säuselte Doris, tastete ihn dabei mit gierigen Blicken ab und leckte sich die vollen Lippen.

„Öhm … danke“, nuschelte Kurt. „Hast du schon etwas bestellt?“

„Nö. Bin gerade erst gekommen.“ Doris gluckste. „Gekommen! Haha! Was bin ich doch für eine Schelmin!“ Sie klatschte sich wiehernd auf die Schenkel.

Eine echte Frohnatur war sie wirklich. Kurt griff nach der Speisekarte und bestellte bei dem heran geeilten Kellner, dessen Blick wie festgeklebt an Doris‘ Dekolleté haftete, eine Cola und das Tagesgericht. Danach beobachtete er die Flirtversuche des Angestellten, die Doris sogar erwiderte, als wäre Kurt gar nicht da. Selbst wenn die Dame nicht mit zwei Wassermelonen ausgestattet wäre, spätestens ab dem Zeitpunkt war sie für ihn gegessen.

Leider war Kurt zu höflich, um die Frau einfach sitzenzulassen. Er hörte sich ihr Geplapper an, antwortete einsilbig und bezahlte sogar noch für beide, was Doris irgendwie zu erwarten schien. Genervt von sich selbst, verabschiedete er sich knapp mit einem ‚man sieht sich‘ und verließ das Lokal.

Diesen Abend durfte er mal wieder in die Rubrik Lehrgeld eintragen.


Was war moderne Technik doch schön. Am nächsten Morgen sperrte Kurt die liebe Doris und beschloss, es erstmal gut sein zu lassen. Vielleicht sollte er sich an dem Schreibwettbewerb beteiligen, das würde ihn ablenken. Doch was sollte er, ein Hetero, über die Gegenseite schreiben? Er war zwar mit Louis und Dion befreundet, hatte aber absolut keine Lust, den beiden Einzelheiten aus der Nase zu ziehen. Ging ihn auch nichts an, was die beiden so trieben. Obwohl … neugierig war er schon, doch wofür gab es Internet?

Bis Dion eintraf, hatte Kurt rote Ohren und tiefe Einblicke in das schwule Sexualleben erhalten. So tief, dass es ihn verstörte. Vorsichtig linste er rüber zum Kollegen.

„Duhu? Dion? Sag mal … spritzen sich alle Schwulen gegenseitig ins Gesicht?“ Oh weh! Hatte er das gerade wirklich gefragt? Kurts Ohren glühten.

„Wie kommst du denn darauf?“ Dion lachte und zwinkerte Kurt zu. „Das ist wie bei euresgleichen: Was gefällt ist erlaubt. Ich persönlich bevorzuge ja, wenn Louis mich …“

Stopp!“ Kurt sprang auf und schüttelte wild den Kopf. „Keine Details! Willst du auch einen Kaffee?“

„Gern“, murmelte Dion amüsiert, wobei er eifrig tippte.

Sicher schrieb der Kollege mal wieder mit Louis hin und her. Kurt seufzte, lief auf den Flur und stellte sich vorm Lift auf. Die Leuchtziffern der Anzeige wiesen eine zehn auf. Also war der Aufzug gerade in der Chefetage. Kurt wartete und als sich nichts tat, nahm er die Treppe in den zweiten Stock.

Als er wenig später mit zwei Becher erneut Stellung am Lift bezog, hatte er Glück: Der rechte Aufzug näherte sich gerade, hielt und die Türen glitten auf.

„Morgen“, grüßte Kurt den unbekannten Kollegen, trat ein und bat: „Mögen Sie den Knopf für den fünften drücken? Ich habe alle Hände voll.“ Er hielt die Kaffeebecher hoch und lächelte freundlich.

„Gern“, erwiderte der Mann, betätigte die Taste und musterte Kurt neugierig. „Ich bin Quentin Weizenbach. Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen.“

„Dabelstein. Kurt Dabelstein“, murmelte Kurt und versuchte, nicht allzu beeindruckt zu wirken.

Wie Alfred beschrieben hatte, besaß Weizenbach eine unglaubliche Präsenz. Sein Blick war durchdringend und trotzdem er gute zehn Zentimeter kleiner als Kurt war, schien er ihn zu überragen. Da nützte auch die schmale Statur und das blonde Haar nichts. Weizenbach war Chef, durch und durch.

„Welche Abteilung?“, erkundigte sich Quentin.

„Anzeigen.“

Der Fahrstuhl hielt, die Türen öffneten sich lautlos.

„Schönen Tag. Man sieht sich“, verabschiedete sich Kurt, tappte in den Gang und balancierte die Becher in sein Büro.


„Ich mach bei dem Wettbewerb mit“, kündigte Dion an, als Kurt ihm einen Kaffee reichte. „Ich hab auch schon eine Idee. Ich schreibe über einen AIDs-Kranken.“

„Wunderbar“, murmelte Kurt, lief zu seinem Schreibtisch und setzte sich vorsichtig hin.

„Und zwar hab ich Folgendes geplant: Ein HIV-Infizierter und ein Nicht-Infizierter lernen sich kennen, verlieben sich und da der Kranke sich nicht traut, dem anderen die Wahrheit zu sagen, belügt er ihn und sagt, dass er nicht verliebt ist …“, plapperte Dion ungefragt los. „Und dann …“

In Kurts Kopf setzten sich Rädchen in Gang. Die Idee für eine Story wuchs so schnell, dass er den labernden Kollegen komplett ausblendete, nach der Tastatur angelte und losschrieb.

„Danke für deine Aufmerksamkeit“, murrte Dion, schob die Unterlippe vor und verschanzte sich hinter seinem Monitor.


~ * ~


2.



Kurt tippte rund eine Stunde, bis er eine Pause einlegte und nachdenklich in die Gegend stierte. Hinter Dions Bildschirm guckte nur der dunkle Schopf hervor. Ob Kurt ihm die Story geben und eine Meinung erbitten könnte? Er zauderte und entschied, dass die Geschichte sein Geheimnis bleiben sollte. Vorerst schloss er das Dokument und wandte sich der Arbeit zu, dafür wurde er schließlich bezahlt.



An diesem Tag ging er nur in die Kantine, um sich ein belegtes Brötchen zu besorgen. Dion musterte ihn verwundert, als er mit einem Teller schon bald wieder im Büro auflief und zu seinem Schreibtisch trottete.

„Was ist denn mit dir los?“

„Hab zu tun“, knurrte Kurt, ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen und biss in eine Brötchenhälfte.

„Tschuldige dass ich frage.“ Dion zog den Kopf ein.

„Ach Mann!“ Kurt seufzte. „Also gut: Ich hab vorhin eine Story geschrieben und will die überarbeiten. Okeee?“

Ruckartig wie ein Schachtelteufel tauchte Dions Gesicht über dessen Monitor auf.

„Du hast was geschrieben? Darf ich es lesen?“

„Mhmjein“, wand sich Kurt, war aber schon ein bisschen stolz und auch hibbelig, ob die Story dem Kollegen gefallen würde.

„Mahlzeit!“ Louis kam einfach reinspaziert und warf einen verwunderten Blick auf Kurt. „Was machst du denn hier?“

„Ich arbeite hier“, erwiderte Kurt spitz.

„Ja. Schon klar. Aber um diese Zeit?“

„Kurt hat eine Geschichte geschrieben“, platzte Dion aufgeregt heraus.

„Plappermaul!“ Kurt schnaubte.

„Sorry.“ Dion machte ein zerknirschtes Gesicht und guckte Louis an. „Ehrlich gesagt würde ich die gern lesen, aber Kurt will nicht …“

„Hallooo! Ich bin hier.“ Kurt wedelte mit dem Arm.

„Also fällt unser Schäferstündchen aus?“, resümierte Louis betrübt.

„Was? Ihr macht hier im Büro eure Sexspielchen?“, regte Kurt sich auf. „Ich dachte, das wäre Geschichte, seit ihr zusammenwohnt.“

„Dions Eltern sind auf Besuch.“ Louis‘ Miene sprach Bände.

„Louis!“ Dion stemmte erbost die Hände in die Seiten.

Für einen Moment herrschte Stille. Louis hob entschuldigend die Achseln, während Kurt den Rest des Brötchens kaute. Es war wirklich besser, wenn er die Story einem unbefangenen Beta zu lesen gab. Vielleicht macht er sich mit dem Zeug lächerlich, dann lieber nur bei Dion, als vor der ganzen Belegschaft.

„Ich schick dir den Text“, gab er schließlich nach, hängte das Dokument an eine Email und sandte sie an Dions Adresse. „Aber nicht lachen“, bat er, griff nach der zweiten Brötchenhälfte und biss hinein.

„Mama hat Truthahnsandwiches für uns beide eingepackt“, lockte Dion seinen Liebsten, beugte sich zu seiner Tasche und holte ein großes Paket hervor. „Komm her und sei wieder lieb.“

„Die gute Schwiegermama“, spotte Louis. „Will bestimmt wieder eine ganze Fußballmannschaft satt kriegen.“ Er lief um den Schreibtisch herum, zog seinen Schatz vom Stuhl, setzte sich selbst darauf und platzierte Dion auf seinem Schoß. „Dann gib mir mal eine der angepriesenen Stullen“, bat er.

„Willst du eine abhaben?“, fragte Dion, an Kurt gewandt.

„Gern.“ Das Brötchen hatte Kurt nicht annähernd gesättigt, daher fing er dankbar das von Dion rüber geworfene Päckchen auf. „Hmm … Lecker!“, meinte er nach dem ersten Bissen. „Vielleicht sollte ich dich heiraten.“ Er feixte in Louis‘ Richtung.

„Spinner“, murmelte der, schon ganz in den Text vertieft.

Für eine Weile herrschte Stille, während die Männer Putenstullen kauten und auf die Bildschirme starrten.



Story: Mein bester Freund hat AIDs



Manfred und Günther waren schon ewig befreundet. Dass Günther schwul war, hatte Manfred nie sonderlich gestört. Äußerlich wie innerlich war Günther ein ganz normaler Mann, so wie alle anderen. Dass er lieber einen Kerl küsste und vielleicht sogar Sex mit diesem hatte, war Manfred schlicht egal. Er selbst war ein Einzelgänger und die gelegentlichen Affären mit Frauen eher Nebensache. Wenn es sich ergab, dann war das okay für ihn. Wenn nicht, hatte er zwei gesunde Hände. In dieser Hinsicht war Manfred pragmatisch.

Günther hingegen lebte in einer Beziehung und war glücklich damit. Manfred mochte Günthers Partner und oft unternahmen die drei etwas zusammen. So ging das über viele Jahre.

Manfred näherte sich langsam der 40 und wusste inzwischen, dass er wohl allein bleiben würde. Mit den Frauen wollte es einfach nicht klappen. Die einen klammerten zu sehr, die anderen waren promiskuitiv und dann gab es die, die Familie wollten. Bei Günther schien es zu kriseln, man sah sich jedoch nicht mehr oft. Die Karriere forderte ihren Tribut und hinzu kam, dass eben alle älter wurden, damit auch ruhiger.

Eines Tages platzte dann die Bombe. Manfred war gerade nach Hause gekommen und freute sich auf ein kühles Bier, das er auf dem Balkon einzunehmen gedachte, als das Telefon läutete. Günther war am anderen Ende der Leitung und konnte vor Schluchzen kaum sprechen. Manfred bekam nur heraus, dass die Beziehung beendet war und machte sich gleich auf den Weg.



„Jan wollte eine offene Partnerschaft“, erzählte Günther, ständig von Schniefen unterbrochen. „Ich hab mitgemacht. Wollte ihn doch nicht verlieren. Und dann hab ich mich eines Nachts volllaufen lassen und …“ Er schnäuzte sich in ein Taschentuch, knüllte es in seinen Händen und fuhr leise fort: „Da ist es passiert. Ich war hackevoll und der Typ hat mich ohne Gummi gevögelt. Und nun … bin ich positiv.“ Die letzten Worte waren kaum zu verstehen, da Günther sie nur gewispert hatte.

Sie saßen nebeneinander auf Günters Couch, wie schon so oft. Doch es fühlte sich ungewohnt an, neben dem sonst so selbstsicheren Mann zu hocken und hilflos zu sein. Unsicher rückte Manfred näher und legte einen Arm um Günters Schultern. Auch das geschah nicht zum ersten Mal, nur das Gefühl war ein anderes. Manfred zog Günter wie selbstverständlich in seine Arme, übernahm den starken Part und versuchte ihn zu trösten.

„Das wird wieder. Und wenn Jan deswegen abgehauen ist, dann ist das kein Verlust. Offenbar wollte der Sausack ohnehin wild in der Gegend rumhudeln.“

„Ich will sterben“, flüsterte Günter. „Ach, das werde ich ja ohnehin bald.“

„Quatsch!“ Manfred packte seinen Freund an den Schultern und schüttelte ihn. „Niemand muss mit dieser Diagnose heutzutage sterben! Ich bin für dich da. Wir meistern das gemeinsam.“



Manfred hielt Wort. Er begleitete Günter durch die oft kräftezehrende Behandlung. Ging mit zum Arzt, hielt seine Hand, wenn Alpträume Günter heimsuchten, kochte gesundes Essen und spendete oft Trost, indem er ihn im Arm hielt. Um immer da sein zu können, zog er auf Günters Sofa und vernachlässigte sein eigenes Leben. Da es ohnehin nicht viel davon gab, konnte er das verschmerzen. Er trat sogar im Job kürzer. Obwohl Manfred so viel opferte, fühlte er sich gut. Günter dankte es ihm, indem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos / Sascha Scheiblette
Bildmaterialien: shutterstock 22948918
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2014
ISBN: 978-3-7368-2206-1

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