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Pfingstgedanken

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

 

 

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock

Covergestaltung: Lars Rogmann

Pfingstgedanken


Ein Wiedersehen nach langer Zeit auf Amrum. Unerwartet, ersehnt. Ob mehr daraus wird?

***


Es ist zehn Jahre her, dass ich hier Wolfgang getroffen habe. Es war Pfingsten, ich jung und ziemlich betrunken. Eine Band spielte und die Stimmung war ausgelassen. Irgendwann verhakten sich unsere Blicke, begann mein Herz wie verrückt zu klopfen. Das Blau seiner Augen vereinnahmte mich ganz und gar.

Irgendwo hinter den Toiletten des Zeltplatzes haben wir geknutscht, uns im Sand gewälzt und aneinander herumgefummelt. Dass er ein Mann und ich keine Frau war, hatte der Alkoholpegel nicht geändert, jedoch in Vergessenheit geraten lassen. Ich betastete seinen Schwanz durch den Stoff der Jeans hindurch, er tat das Gleiche bei mir. Die Lust war groß, aber wohl doch nicht stark genug, um das letzte Hindernis aus dem Weg zu schaffen. Ich kam in meiner Hose, er auch. Danach die Ernüchterung. Wir klopften uns den Sand von den Klamotten und trotteten mit gesenkten Köpfen davon, jeder in eine andere Richtung.

An den folgenden zwei Tagen haben sich unsere Blicke immer wieder gekreuzt, wenn wir uns zufällig irgendwo begegnet sind. Verlegen und voller Scham. Geredet haben wir nicht. Was hätten wir auch sagen sollen? Wir kannten voneinander nur die Vornamen, zugeraunt im Rausch.


Die Sonne brennt auf meinen Scheitel. Ich hocke auf dem Bohlenweg, lass die Beine baumeln und den Blick über die bunte Ansammlung von Zelten wandern. Vieles hat sich geändert. Unter anderem mein Alter und die Einstellung zum Leben. Inzwischen weiß ich sicher, dass ich Männern zugewandt bin. Außerdem bin ich beruflich etabliert und ich bin … einsam.

Letzteres ist mir im vergangenen halben Jahr erst bewusst geworden. Auslöser war wohl der Tod eines Freundes, der zeitlebens Diabetes hatte und mit Anfang vierzig dem Leiden erlag. Einfach nicht mehr aufgewacht ist, allein in seinem Bett. Die Vorstellung löst bei mir immer noch einen eisigen Schauder aus. Wenn ich irgendwann sterbe, dann möchte ich dabei wenigstens nicht allein sein.

Vielleicht sollte ich mir ein Haustier anschaffen, denn mit menschlicher Nähe ist es bei mir schlecht bestellt. Alle Versuche, eine Beziehung zu führen, sind bisher gescheitert. Es kann an mir liegen, obwohl ich mich als umgänglich und recht attraktiv einschätze. Ehrlich gesagt habe ich mir darum aber noch nie Gedanken gemacht. Ich bin eben so, wie ich bin.


Mit einem tiefen Seufzer stehe ich auf, wende mich nach links und wandere ein paar Meter den Holzweg entlang, bis dieser sich gabelt. Rechts geht’s über den Zeltplatz, links zum Strand. Einer Eingebung folgend wähle ich den Weg an den Zelten vorbei. Vieles wirkt noch vertraut. Früher – bevor ich Wolfgang begegnete – war ich oft auf Amrum. Danach hat es sich irgendwie nicht mehr ergeben.

Das große Gebäude mit den Toiletten und Duschen sieht noch so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Auch das angrenzende Haus, das einen Kiosk, einen Imbiss und die Anmeldung beherbergt, ist unverändert. Sogar viele der Wohnwagen, die links neben dem Gebäudeensemble stehen, kommen mir bekannt vor.

In einem der zumeist weißen Campingwagen hat damals Wolfgang genächtigt. Ich weiß nicht, in welchem. Neugierig wandert mein Blick über die Vorzelte. Trotz des schönen Wetters sind viele von ihnen leer, nur vereinzelt kann ich Camper ausmachen.

Inzwischen habe ich die Gebäude fast erreicht. Ein paar Leute kommen mir entgegen, während ich von anderen überholt werde. Ich gehe langsam, habe schließlich keine Eile. Der Tag ist noch jung, Mittag gerade erst vorbei.

Obwohl ich mir fest vorgenommen habe, das lange Pfingstwochenende zu genießen, beginne ich mich jetzt schon zu langweilen. Vielleicht hätte ich doch einen meiner Freunde fragen sollen, ob er mich begleitet. Gestern habe ich mich nicht einmal allein in die Blaue Maus getraut, allerdings war ich auch völlig fertig. Die Fahrt, davor noch gearbeitet, das reicht aus, um einem Mann mit Mitte dreißig platt zu machen.


Ich bleibe stehen und gucke unschlüssig umher. Schließlich entscheide ich, rechts am Gebäude vorbei zu gehen und nachzuschauen, ob der Imbiss geöffnet hat. Eine Portion Pommes rot-weiß käme gerade recht, nachdem das Frühstück etwas zurückliegt.


Der Imbiss hat nicht nur geöffnet, es hat sich davor bereits eine Schlange gebildet. Da mein Magen mit einem Knurren zu verstehen gibt, dass er auf die angekündigten Fritten nicht verzichten möchte, nähere ich mich dem Laden und dann … trifft mich fast der Schlag! Blaue Augen gucken mich an und die zehn Jahre reduzieren sich auf Sekunden. Ich erstarre in der Bewegung und glotze. Erkennt er mich?

Wolfgang hat sich kaum verändert. Er trägt die blonden Haare immer noch etwas zu lang. Sein Körper ist schlank, die vollen Lippen verziehen sich gerade zu einem Schmunzeln. Er zwinkert mir zu, wendet sich ab und redet mit einem Kerl, der vor ihm in der Schlange steht. Ich kann nicht feststellen, ob er mir zu zugeblinzelt hat, weil er mich attraktiv findet, oder weil er sich erinnert. Da ich zu feige bin einfach auf ihn zuzugehen, stelle ich mich hinter die letzten Wartenden.

Während es mit quälender Langsamkeit vorangeht, kann ich ab und zu einen Blick auf Wolfgang erhaschen. Sein schmaler Hintern in der verblichenen Jeans interessiert mich dabei genauso, wie die langen Beine. Er sieht sogar noch besser aus, als in meiner verschwommenen Erinnerung. Irgendwie männlicher, gereifter.

Den Typen vor ihm erkenne ich inzwischen auch. Er ist einer der Freunde, mit denen Wolfgang damals hier war. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meine eigene Clique dabei, mit der ich mir ein Appartement in Wittdün geteilt hatte. Jeder von uns war in seiner eigenen testosterongeschwängerten Gemeinschaft gefangen. Wenn einer meiner Kumpels mitbekommen hätte, was zwischen mir und Wolfgang gelaufen war, ich wäre verstoßen und geächtet worden.

Die Schlange rückt vor und plötzlich sehe ich Wolfgang auf mich zukommen. Er hält zwei Tüten mit Pommes in der Hand und fixiert eindeutig mich.

„Geh schon mal vor. Ich komm gleich nach“, sagt er über die Schulter zu seinem Kumpel, dann richtet er den Blick wieder auf mein Gesicht. „Simon?“, fragt er leise.

Ich nicke, unfähig einen Ton hervorzubringen. Von nahem ist er noch beeindruckender als aus der Ferne und die Szene jener Nacht drängt sich sehr klar vor mein inneres Auge. Wie sein Mund geschmeckt hat, sein Duft, das Gefühl seiner Hand in meinem Schritt, alles ist mit einem Mal präsent.

„Lust auf Fritten?“ Wolfgang lächelt unsicher.

„Deshalb stehe ich hier an“, erwidere ich heiser und schlucke krampfhaft an dem Frosch in meinem Hals.

„Ich habe auf Verdacht zwei Portionen besorgt“, meint Wolfgang und zeigt mit dem Kinn in die Richtung, in der sein Freund eben verschwunden ist. „Wenn du magst, gesell dich zu uns. Oder … bist du mit jemandem hier?“ Er mustert die anderen Wartenden mit einem interessierten Blick.

„Das ist wahnsinnig nett“, erwidere ich und fühle unsägliche Erleichterung aufsteigen, dass ich auf so überraschende Weise Gesellschaft bekomme. „Gern“, füge ich artig hinzu. „Ich bin allein hier.“

„Na, dann passt das doch“, meint Wolfgang und trabt einfach los in der Annahme, dass ich ihm folgen werde.


Vier Paar Augen schauen mich neugierig an, als ich hinter Wolfgang an einem der Holztische erscheine.

„Das ist Simon“, stellt er mich vor, zeigt auf seine Freunde und zählt auf: „Pierre, Udo, Klaus und Carsten.“

„Hallo“, grüße ich in die Runde und klemme mich neben Carsten auf die Bank.

Die anderen erwidern den Gruß mit einem Nicken oder Murmeln. Das Interesse wendet sich wieder dem Essen und den zahlreich auf dem Tisch stehenden Bierflaschen zu. Anscheinend schleppt Wolfgang nicht das erste Mal einen Fremden an, wenn ich das Verhalten dahingehend richtig deute.


Mit Genuss stopfe ich die fettigen Pommes in mich rein, anschließend reicht Wolfgang mir ein Bier. Die Sonne lässt den Alkohol schnell zu Kopf steigen. Ich habe kaum ein paar Schlucke getrunken, als ich die Wirkung auch schon merke. Die anderen plaudern, ohne von mir Notiz zu nehmen. Das Gesicht des einen oder anderen weist eine leichte Röte auf. Scheint als wenn sie schon ein wenig mehr intus haben.

Das Gespräch dreht sich um irgendwelche Bekannten, den gestrigen Abend in der Blauen Maus, um Frauen und andere Zeltplatzbewohner. Ich merke, dass ich ganz müde werde, kippe den Rest Pils in meine Kehle und erhebe mich.

„Danke für Pommes und Bier“, sage ich an Wolfgang gewandt. „Ich glaube, ich brauche jetzt ein Mittagsschläfchen.“

„Geht mir genauso“, erwidert er, springt auf und klopft auf den Tisch. „Bis später, Jungs.“

Gemeinsam gehen wir in Richtung des Bohlenweges. Ich könnte auch an der Straße zurück zu meiner Pension wandern, möchte das aber nicht. Ein bisschen frische Luft, bevor ich mich ins Bett verkrieche, wird meinen Kopf klären. An der Stelle, an der sich unsere Wege trennen werden, stoppe ich und schaue Wolfgang an.

„Wie kommt es, dass du dich an meinen Namen erinnerst?“, frage ich, obwohl mir auf der Zunge liegt, etwas ganz anderes zu fragen. Nämlich ob er sich auch an das andere erinnert und daran, wie es sich angefühlt hat.

Wolfgang legt den Kopf leicht schief und als er grinst, bilden sich kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln. Sieht wahnsinnig attraktiv aus und mein Schwanz wird etwas steif.

„Ich hab oft an dich denken müssen“, bekennt er mit einem Seufzer. „Was gewesen wäre, wenn …“

„Aha“, mache ich wenig intelligent und gucke wohl auch so aus der Wäsche, denn Wolfgangs Mundwinkel ziehen sich noch höher.

„Ich hole schnell meine Sachen“, sagt er. „Warte hier.“

Verdutzt glotze ich ihm hinterher, während er zu einem Wohnwagen rennt und in dessen Vorzelt verschwindet. Wie angegossen stehe ich da, spüre weder die pralle Sonne noch das leichte Lüftchen. Es fühlt sich an, als wäre ich zurück in jener besonderen Nacht.


„Lass uns in die Dünen gehen“, schlägt Wolfgang vor, nachdem er wieder neben mir steht und schultert seine große Tasche.

„Öhm … ich wollte eigentlich …“, wende ich ein.

„Ach! Sei kein Frosch!“, brummelt er, schubst mich und meine Füße setzen sich doch tatsächlich in Bewegung.

Ich höre die dumpfen Geräusche, die unsere Schuhsohlen auf den Holzbohlen verursachen. Der Weg ist schmal und da häufig andere Leute entgegenkommen, müssen wir meist hintereinander laufen. Als wir den Zeltplatz hinter uns lassen, dringt der Duft von Kieferöl in meine Nase. Wir passieren ein kleines Wäldchen, in dem der Geruch sich noch verstärkt. Ich sauge ihn tief in meine Lunge und versuche, die kribbelnde Erwartung in meinem Inneren zu bekämpfen.

Dass Wolfgang mit mir in die Dünen möchte, hat nichts zu bedeuten. Vielleicht will er einfach nicht allein sein. Oder aber er will mir unter vier Augen klarmachen, dass ich über die Vorkommnisse von damals Stillschweigen zu bewahren habe. Dass wir dafür einen so weiten Weg auf uns nehmen, ist wiederum unlogisch. Es hätte gereicht, außer Hörweite seiner Freunde ein paar Worte zu wechseln. Ich gucke über die Schulter.

„Ich muss pissen“, sagt Wolfgang, schaut sich schnell um und springt vom Steg.

Da sich in diesem Moment meine Blase auch zu Wort meldet, folge ich ihm einfach mal.


Ein paar Tannen bieten ausreichend Sichtschutz zum Weg hin. Ich erleichtere mich gegen einen Stamm und zwinge mich, nicht zu Wolfgang zu gucken. Der begleitet die Leerung seiner Blase mit einem langgezogenen erleichterten Stöhnen. Ich muss lachen, da mir seine unbekümmerte Art sehr gefällt.

„Puh! Das war nötig“, seufzt Wolfgang, schließt seine Hose und nimmt die Tasche wieder hoch.


Es geht zurück zum Weg und noch ungefähr einen halben Kilometer weiter, bis er erneut vom Steg hopst und sich mit funkelndem Blick umschaut. Bis in die Ferne erstrecken sich hohe Sandhügel. Sonnenstrahlen flirren über dieser Wüste. Ich schirme mit einer Hand die Augen ab und stakse Wolfgang hinterher, als der sich in Bewegung setzt.

Die erste Dünenkuppe erklimmt er rasch, dabei wirft er immer wieder Blicke um sich. Wohlgemerkt: Das Betreten der Dünen ist strikt verboten! Nachdem wir jedoch das erste Tal erreicht haben, wird er langsamer. Nach zwei weiteren Kämmen scheint er zufrieden, lässt die Tasche fallen und reckt die Arme in die Höhe. Sein Bauchnabel wird entblößt, als er sich streckt. Natürlich gucke ich nicht hin!

„Schönes Plätzchen, nicht wahr?“ Wolfgang strahlt mich an, bückt sich zur Tasche und holt eine Wolldecke daraus hervor. „Ungestört und ruhig“, murmelt er, während er die Decke ausbreitet. Anschließend zieht er sich seelenruhig aus und lässt sich splitternackt auf die Wolldecke fallen. Ich glotze.

„In der Tasche ist Sonnenmilch und was zu trinken. Magst du das Zeug da rausholen?“, bittet Wolfgang, legt einen Arm über die Augen und fügt hinzu: „Ich bin nämlich gerade total erschöpft und kann mich nicht bewegen.“

Die Situation ist grotesk. Wir sind uns vollkommen fremd, wenn ich von den Küssen und Grabbeleien mal absehe, doch diese liegen weit in der Vergangenheit. Würden wir uns besser kennen, wäre es kein Problem für mich, ebenfalls die Hüllen fallen zu lassen. So aber …

„Simon? Mich dürstet!“, meldet sich Wolfgang in weinerlichem Singsang.

Ich lass mich auf die Knie nieder, wühle in der Tasche herum und halte gleich darauf eine Dose Bier in der Hand. Automatisch muss ich grinsen, da ich mit Wasser gerechnet habe. Ich suche weiter, finde die Sonnenmilch und eine Flasche Selters. Ein Glück! Also ist Wolfgang nicht komplett verrückt.

„Si-hi-mo-hon“, säuselt Wolfgang und stöhnt theatralisch.

„Bier oder Wasser?“, frage ich trocken.

„Wasser“, kommt ebenso nüchtern zurück.

Wolfgang richtet sich auf, streckt die Hand nach der Flasche aus und mustert mich verwundert.

„Hast du irgendwelche peinlichen Tattoos oder Schlimmeres?“, erkundigt er sich, setzt die Flasche an und trinkt, wobei er mich neugierig beobachtet. „Piercings?“ Seine Augen huschen zu meinem Schritt.

Ich schüttele den Kopf.

„Dann zieh dich aus und leg dich hin. Ich bin müde“, bestimmt er, fällt wieder auf den Rücken und bedeckt die Augen mit einem Arm.

Er hat erstaunlich schmale Hüften. In deren Mitte liegt ein ebenfalls erstaunlich großer …

„Simon! Mach hinne!“, kommt genervt von Wolfgang.

„Ja, ja“, murmele ich, streife das T-Shirt über den Kopf und schlüpfe im Sitzen aus der Jeans.

„Na endlich“, knurrt Wolfgang.

„Bekommen wir nicht einen Sonnenbrand, wenn wir hier einschlafen?“, frage ich nervös.

„Kannst dich ja eincremen“, murrt er. „Und mich gleich mit.“

Die Idee ist gut, auch wenn uns das natürlich nicht lange schützen wird. Ich greife nach der Plastikflasche und verteile die Milch auf meinem Körper. Danach mustere ich Wolfgang und wieder bleibt mein Blick an seiner Mitte hängen. Wenn ich damals geahnt hätte, was für ein Prachtexemplar in seiner Hose steckt, ich wäre wahrscheinlich noch schärfer gewesen.

„Was ist denn nun?“, mault Wolfgang, hebt den Arm an und linst zu mir. „Oder traust du dich nicht?“

Gucke ich gerade wie ein erschrecktes Reh? Wahrscheinlich, denn er seufzt, kommt hoch und nimmt mir die Sonnenmilch aus der Hand. Während er sich selbst damit einschmiert, bewundere ich seine schimmernde Haut. Goldene Härchen bedecken seine Unterarme und die Beine. Er wirft die Flasche in auf die Decke, lässt sich zurückfallen, hebt schützend eine Hand über die Augen und betrachtet mich nachdenklich.

„Du findest, dass ich zu forsch vorgehe“, mutmaßt er.

Ich ziehe die Beine an und schlinge die Arme darum.

„Es ist jedenfalls … etwas ungewöhnlich“, antworte ich ehrlich. „Wir kennen uns gar nicht und du schleppst mich hierher, ziehst dich aus und …“

Wolfgang schweigt. Schließlich dreht er sich auf die Seite und stützt einen Ellbogen auf.

„Du hast recht“, gibt er zu. „Ich schlage vor, wir gehen das Ganze anders an. Also: Wir gehen zurück zum Zeltplatz, labern ewig, lernen uns besser kennen und dann überrede ich dich, hierher zu gehen, damit ich über dich herfallen kann. Wäre das besser?“

„Du willst über mich herfallen?“, frage ich glucksend.

„Aber natürlich!“, sagt Wolfgang entrüstet. „Das ist meine Lieblingsfantasie seit zehn Jahren.“

„Spinner“, murmele ich und mir wird ganz leicht im Magen.

„Keine Schmeicheleien! Wie sieht es also aus? Gehen wir zurück zum Zeltplatz, nur um nach angemessener Zeit diesen Ort wieder aufzusuchen?“

„Klingt blöde“, flüstere ich, strecke mich neben ihm aus und bin plötzlich seinen blauen Augen ganz nahe.

Dunkle Wimpern überschatten diese Sündenpfuhle und ein neckisches Funkeln verursacht ein heftiges Ziehen in meinem Bauch. Mein Blick wandert zu seinen Lippen und das Ziepen verstärkt sich. Ich werde hart und habe ihn noch nicht einmal berührt. Der Duft von Sonnenmilch weht durch das kleine Tal, vermischt sich mit dem meiner Erregung. Schweißtropfen bilden sich auf meinem Nacken und der Stirn.

„Das hier ist meine absolute Lieblingsstelle“, wispert Wolfgang. „Wenn wir uns in die Augen sehen und wissen, dass wir uns gleich küssen werden.“

„Tun wir das?“, versuche ich den Zauber zu zerstören.

„Oh ja! Und wir werden, noch einer meiner Favoriten, uns gegenseitig streicheln“, kündigt er an und überbrückt die Distanz.

Sein warmer, fester Mund streicht über meinen. Mit einem Schlag ist die Erinnerung an seine Zärtlichkeit wieder da. Ich habe mich damals schon darüber gewundert, dass ein Mann derart sanft küssen kann. Vorsichtig erwidere ich den Kuss und überlasse ihm die Initiative. Ein leises Stöhnen dringt an mein Ohr, dann wandern Fingerspitzen über meinen Rücken.

„Du bist wahnsinnig sexy“, haucht Wolfgang, knabbert an meiner Unterlippe und zieht mich näher an seinen Körper.

Sein männlicher Duft übertönt die anderen Gerüche. Ich lass seine Zunge ein, die Hände über seine Haut fahren und erkunde seine knackigen Hinterbacken. Wir sind ganz allein in unserem Universum aus Lust. Voller Sinnlichkeit erobert Wolfgang erst meine Mundhöhle, danach meinen Hals. Sanft knabbert und leckt er sich über die empfindlich Haut, dabei kreisen seinen Fingerspitzen über meine Wirbelsäule.

Seine Liebkosungen sind himmlisch. Einerseits erregend, auf der anderen Seite haftet ihnen so etwas wie Wertschätzung an. Klar, in meiner Geilheit bilde ich mir alles Mögliche ein, doch irgendwie fühlt sich das hier einfach gut an.

Ich kann nicht länger warten und lass meine Hand zwischen unseren Körpern runterwandern. Wolfgangs Erektion ist wirklich beachtlich. Ich bekomme sie gerade noch in meine Faust. Ein wohliges Summen ertönt aus seiner Kehle, gleich darauf wird mein Schwanz erregend umschlossen. Wieder finden sich unsere Lippen und bleiben auch aufeinander, während wir uns gegenseitig Lust verschaffen. Sein Höhepunkt wird von einem kehligen Stöhnen begleitet, dann beginnt mein Orgasmus und nimmt alle Sinne für sich ein.


Dicht an Wolfgang gekuschelt genieße ich die Nachbeben des Fluges. Die heißen Sonnenstrahlen sorgen dafür, dass wir nicht nur durch unseren Saft zusammengekleistert werden. Unsere Körper sind von einem salzigen Film überzogen, sogar meine Lippen schwitzen.

„Puh“, macht Wolfgang, löst sich von mir und krabbelt zur Tasche.

Mit einem riesigen Badelaken kehrt er zurück, plumpst neben mich und deckt uns beide mit dem Frottee zu. Die Hitze lullt mich ein, zusammen mit Wolfgangs Nähe. Ich dämmere weg.


Nach dem Stand der Sonne zu urteilen muss ich ungefähr zwei Stunden geschlafen haben. Ich würde mich zwar gern näher an Wolfgang kuscheln, doch es ist einfach zu warm. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, krieche ich unter dem Handtuch hervor und setze mich hin.

„Ich hab die ganzen Jahre gehofft, dass ich dich wiedertreffe“, murmelt Wolfgang, klappt die Augen auf und blinzelt mich verschlafen an. „Zwischen uns ist etwas Besonderes.“

„Finde ich auch“, erwidere ich leise und fahre mit einer Hand unter das Badelaken, damit ich sein Bein streicheln kann. Der Kontakt zu seiner Haut gibt mir irgendwie das Gefühl einer innigen Verbundenheit.

„Wo wohnst du eigentlich?“, erkundigt er sich, dabei streicht er sich die Haare aus der Stirn und richtet sich etwas auf. „Ich meine hier … auf der Insel.“ Er lacht.

„In einer Pension hinter der Blauen Maus. Ich hab dort ein Doppelzimmer als Einzel angemietet.“

„Mhm. Klingt gut. Meinst du, wir könnten dort hingehen und zusammen duschen?“ Wolfgang wackelt neckisch mit den Augenbrauen und ich muss kichern.

„Ich denke nicht, dass Elvira etwas dagegen hat. Sie wirkt sehr liberal und mütterlich.“

„Dann lass uns aufbrechen“, meint Wolfgang, setzt sich ganz auf und streicht über seinen Bauch. „Ich fühl mich wie ein Ferkel.“

Der Gedanke an eine erfrischende Dusche gefällt mir auch sehr. Zudem bedeutet das, dass Wolfgang und ich noch mehr Zeit miteinander verbringen werden. Ein Anfang? Wir werden sehen.


Rasch raffen wir unsere Sachen zusammen und ziehen uns an. Wolfgang stopft Decke und Handtuch in seine Tasche, dann gibt er mir überraschend einen sanften Kuss. Schmeckt nach mehr! Meine Finger krabbeln sogleich unter sein T-Shirt und streichen über die seidenglatte Haut seines Rückens.

„Simon!“, stöhnt er. „Bitte nicht!“

Ich gucke an ihm runter und entdecke mit Entzücken, dass sich in seiner Mitte etwas regt. Wow! So leicht habe ich noch nie jemanden auf Touren bringen können.

„Entschuldige“, murmele ich gespielt zerknirscht.

„Warte, bis wir geduscht haben“, bittet Wolfgang, drückt mir noch einen Schmatzer auf die Wange, dann erklimmt er den Abhang.


Während ich hinter ihm den Bohlenweg entlangtrabe, komme ich mir vor, wie in einer Traumblase gefangen. Noch vor wenigen Stunden war ich allein und habe von genau diesem Mann geträumt, nun geht er vor mir und wir hatten Sex! Ich kneife mir in den Arm. Es tut weh. Okay, ich träume also nicht.

Die Sonne scheint mit unverminderter Kraft, nur der Wind von See her hat zugenommen. Eine angenehme Brise kühlt unsere Haut. Wolfgang stoppt und guckt über die Schulter.

„Möchte deine Hand halten“, nuschelt er und streckt den Arm aus.

Ich verflechte meine Finger mit seinen und wir nehmen in Kauf, dass wir alle naselang stehenbleiben müssen, um andere Wanderer vorbeizulassen. Zwei nicht mehr ganz junge Kerle, die Händchenhalten. Wie mögen wir auf Fremde wirken?


Wir reden kaum ein Wort, tauschen nur immer wieder Küsse. Im Moment reicht uns einfach die Nähe des anderen. Später, wenn wir erneut unseren Hunger aneinander gestillt haben, können wir ein ernsthaftes Gespräch führen. Falls das überhaupt von Wolfgang erwünscht ist.

Ich habe im Moment keine Ahnung, wo die Sache mit uns hinführen wird, außer in mein Bett. Doch will ich überhaupt richtig mit ihm schlafen? Normalerweise bin ich nicht der Typ dafür, mit einem Unbekannten in die Falle zu springen. Ein Blowjob ist okay, genau wie ein Handjob. Alles andere erfordert für mich Vertrauen und intensives Kennen. Wahrscheinlich ist genau deshalb mein Erfahrungsschatz bezüglich Analverkehrs nicht besonders groß. Mögen tue ich das schon, sehr sogar.


„Wo jetzt lang?“, fragt Wolfgang.

Wir haben das Ende des Bohlenweges erreicht. Geradeaus geht’s zur Blauen Maus, rechts liegt die Pension. Ich ziehe ihn mit mir die Straße entlang, durch den Garten auf das Haus zu.

„Nett“, murmelt Wolfgang beifällig und tritt hinter mir in den halbdunklen Flur.

Kaum sind wir eingetreten, kommt auch schon Elvira herangeeilt. Sie lächelt mich an, mustert Wolfgang kurz und fragt: „Ein Freund von dir?“

Ich nicke.

„Ich heiße Wolfgang, bin 37 Jahre alt und im Sternzeichen Fische geboren“, rattert Wolfgang los. „Ich bin stubenrein, sabbere nicht und kann lesen. Mein Personalausweis ist gültig und ich habe eine Fahrerlaubnis …“ „Stopp!“, ruft Elvira kichernd und streicht ihm leicht über den Arm. „Es gibt Dinge, die ich nicht wissen will. Falls du mit hier essen möchtest, Wolfgang, geboren im Sternzeichen Fische, dann spendest du einfach einen Betrag in die Kaffeekasse. Abendbrot gibt’s in zwei Stunden. Alles klar?“

„Sehr wohl, Madam“, brummt Wolfgang in tiefstem Timbre und deutet eine Verbeugung an.

„Alter Charmeuer“, kontert Elvira und verschwindet wieder in den Tiefen des Flurs.

Ich bin erst mal baff. In den letzten Sekunden habe ich mehr über Wolfgang erfahren, als in den Stunden davor. Sollte ich froh sein, das er Elvira seine Schwanzlänge vorenthalten hat?

„Fünfundzwanzig Zentimeter“, raunt er mir ins Ohr.

Shit! Kann der Kerl Gedanken lesen?

„Es stand dir ins Gesicht geschrieben“, erklärt er.

Kopfschüttelnd steige ich die Treppe hoch und laufe zu meinem Zimmer. Wolfgang ist eine absolute Frohnatur, dazu noch intelligent und wahnsinnig attraktiv. Was kann ein Mann wie er an mir finden?

„Puh! Angriff der Killerrosen“, kommentiert Wolfgang die auffälligen Rosenmuster, als er nach mir den Raum betritt. „Da bekomm ich ja Augenkrebs!“

„Pft“, mache ich, schlüpfe aus den Schuhen und kann es plötzlich nicht mehr erwarten, endlich unter der Brause zu stehen. „Kannst ja auf dem Zeltplatz duschen, wenn dir das dort angenehmer ist.“

Wieso reagiere ich so zickig? Wolfgang bekommt ganz große Augen und kaut auf seiner Unterlippe herum. Unschlüssig schaut er zur Tür, dann wieder zu mir.

„Soll ich gehen?“, fragt er leise.

„Quatsch!

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock by Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 19.04.2014
ISBN: 978-3-7368-1384-7

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