Cover

Wien Spezial

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus, auch wenn es sich hier um eine Kaffeetasse handelt.

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autoren und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

Text: France Carol / Sissi Kaipurgay

Foto von shutterstock

Covergestaltung: Lars Rogmann

 

Wiener Luft verzaubert


Sigi und Jacky kennen sich von einer Internetplattform. Siegmund, nicht geoutet, fand die resolute Jacky gleich sympathisch und damit diese überhaupt mit ihm kommuniziert, hat er sich als Frau ausgegeben. Nun soll es zu einem Treffen kommen, Wien ist das Ziel. Es ist vereinbart, dass Jacky als Erkennungszeichen einen roten Schirm bei sich hat. Am Treffpunkt, dem Flughafen, findet Sigi Jacky jedoch nicht, nur ein Kerl mit rotem Schirm steht dort herum. Enttäuscht fährt er ins Hotel.

***

Anreise



Ich bin total gespannt auf Jacky. Was sie wohl sagen wird, wenn ich mich als Mann entpuppe? Sogar noch als ein Mann, über die sie ja ständig schreibt. Eigentlich müsste sie froh sein, endlich eines der schwulen Exemplare persönlich zu treffen, aber sicher bin ich mir nicht.

Jacky habe ich auf einer Internetplattform gefunden und war gleich von ihr fasziniert. Sie ist Hobbyautorin und schreibt über homophile Männer. Zumeist sind es einfache Romanzen, doch seit einiger Zeit ist sie dazu übergangen, die Handlung mit etwas Thriller zu würzen. Mir gefällt das wahnsinnig gut!

Ich bin selbst nur Leser und da ich die Frau nicht verschrecken wollte, habe ich mich als Sigrid, beziehungsweise Sigi ausgegeben. Das ist nicht ganz gelogen, denn meine Freunde nennen mich zumeist Sigi, als Abkürzung von Siegmund. Sie ist gleich auf mich eingegangen und seitdem stehen wir im regen Kontakt. Ich liebe es, mit ihr zu plaudern und irgendwann kamen wir auf die Idee, dass wir uns doch mal persönlich treffen können.

Da sie in der Schweiz lebt und ich in Deutschland, haben wir einen neutralen Ort für das Treffen gewählt, der zugleich noch ein wenig Urlaub verspricht. Wir waren uns schnell einig, dass es nach Wien gehen soll und nun stehe ich hier, auf dem Flughafen und warte auf ihre Ankunft.

Als Erkennungszeichen haben wir vereinbart, dass wir beide einen roten Regenschirm bei uns haben werden. Da es sommerlich warm und trocken ist, wird bestimmt kein anderer Reisender mit einem derartigen Utensil aus dem Flieger steigen. Was wir gemacht hätten, wenn es Bindfäden regnen würde, will ich mir lieber nicht ausmalen. Dass ich keinen Schirm bei mir trage ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich will erst mal gucken, ob ich mir nicht eine fette Matrone angelacht habe, bevor ich mich zu erkennen gebe. Das ist zwar unfair, aber so ist das Leben eben und jeder ist sich selbst der nächste.

Während ich in der Gegend herumstehe und warte, muss ich an das vergangene Jahr denken. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Jacky entdeckt habe, habe ich mich wahnsinnig einsam gefühlt. Meine letzte Beziehung lag rund fünfzehn Jahre zurück, seitdem habe ich nur gelegentlich Kontakt mit anderen Männern. Als fast Fünfzigjähriger ist das schwule Leben ein Graus. Für die Clubs bin ich zu alt, fürs Grab noch zu jung. Gelegentlich gönne ich mir einen Professionellen, doch das ist absolut nicht mein Ding. Ich wünsche mir schon manchmal, dass irgendwann für mich der Richtige doch noch vom Himmel fällt, aber das ist absolut unrealistisch.

Ich seufze und schaue auf die Uhr, deren Zeiger sich viel zu langsam bewegen. Wo bleibt Jacky nur? Ihr Flieger müsste doch schon gelandet sein? Ein Blick auf die große Anzeigetafel liefert den Beweis: Das Flugzeug ist pünktlich angekommen. Ich gucke zur Gepäckausgabe und mustere die Reisenden, die dort auf ihre Koffer warten. Keine der Frauen trägt einen Schirm bei sich, nur ein grauhaariger Kerl hat einen roten Taschenschirm unter dem Arm klemmen. Was für ein Zufall! Ich muss schmunzeln, betrachte den Mann eine Weile und widme mich dann wieder den anderen Personen.

Eine Viertelstunde später ist die Ankunftshalle fast leer. Bis auf mich und den Kerl mit dem Schirm laufen nur noch vereinzelt Leute herum. Der Grauhaarige sieht so aus, als wenn er auf jemanden wartet. Sympathisch ist er und irgendwie auch attraktiv, aber ich bin nicht zum Flirten hier.

Enttäuschung breitet sich in mir aus. Ich habe nicht einmal eine Handynummer von Jacky, das haben wir irgendwie vergessen. Nach weiteren zehn Minuten schnappe ich meinen Koffer und trotte aus dem Terminal, steige in ein Taxi und gebe die Adresse meines Hotels an. Während ich mich zurücklehne, überlege ich, was passiert sein mag. Hat Jacky kalte Füße bekommen? Gleich im Hotel werde ich ins Internet gehen und gucken, ob ich sie erreiche. Bestimmt ist sie krank geworden oder hatte einen Unfall. Die Enttäuschung wird von Sorge abgewechselt und als ich endlich in meinem Zimmer bin, packe ich sogleich mein Notebook aus.

Jacky ist nicht online und ich habe auch keine Nachricht von ihr. Ist sie … tot? Wie gelähmt starre ich auf den Monitor. Erst nach einer ganzen Weile bin ich in der Lage, ihr zu schreiben.

„Hallo Jacky, was ist passiert? Du warst nicht am Flughafen. Mache mir Sorgen. Sigi.“

Hoffentlich meldet sie sich! Ich springe auf, laufe im Zimmer hin und her und werfe immer wieder einen hoffnungsvollen Blick auf den Bildschirm. Nichts! Nach einer Stunde bin ich mit meinem Latein am Ende und auch etwas sauer. Dieses Wochenende sollte ganz anders laufen und nun … bin ich allein in Wien! So ein Mist! Soll ich mir den Aufenthalt dennoch so schön wie möglich gestalten? Immerhin habe ich mir das verdient und … Verdammt! Ich bin wirklich wütend auf Jacky, klappe das Notebook zu, atme einmal tief durch und schicke ihr in Gedanken den erhobenen Mittelfinger. Scheiß auf die blöde Kuh! Ich komme auch so klar.

Mein Magen knurrt und erinnert mich daran, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe. Entschlossen schnappe ich mir meine Jacke und stürme aus dem Zimmer.

Als ich in der Lobby ankomme, steht dort – was für ein Zufall! – der Grauhaarige vom Flughafen. Bei näherem Hinsehen sieht er wirklich sehr nett aus und da diese dumme Schweizerin mich sitzengelassen hat, ich aber keine Lust habe, allein Essen zu gehen, fasse ich mir ein Herz.

Der Mann läuft zu den Fahrstühlen und ich folge ihm. Hinter ihm betrete ich den Lift, drücke auf die Taste für mein Stockwerk und nehme ersten Kontakt auf: „Welchen Knopf darf ich für Sie drücken?“

„Die drei bitte“, antwortet der Kerl mit angenehm tiefer Stimme.

„Auch das erste Mal in Wien?“, frage ich.

„Ja. Scheint eine schöne Stadt zu sein“, sagt er und seufzt. „Aus irgendeinem Grund bin ich versetzt worden. Das verhagelt mir die Sache etwas.“

„Oh! Das tut mir leid“, murmele ich, während der Fahrstuhl im dritten Stock hält und die Türen aufgleiten. „Ich wollte gerade Essen gehen. Hätten Sie vielleicht Lust, mich zu begleiten? Ich mag nicht so gern allein herumsitzen.“

„Die Idee klingt nicht schlecht“, sagt er, tritt auf den Flur und seufzt noch einmal tief. „Ich bin auch lieber in Gesellschaft.“

„Klasse!“, freue ich mich und laufe hinter ihm her den Gang hinunter. „Treffen wir uns dann gleich in der Lobby?“

„Ja, geben Sie mir fünf Minuten“, erwidert der andere und schließt die Zimmertür gegenüber meinem auf.



Jackson



Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, werfe ich den Koffer in eine Ecke und lasse meine freundliche Fassade fallen. Ich bin verdammt wütend, weil Sigi mich versetzt hat. Zumindest sieht es danach aus, denn auf dem Scheiß-Flughafen habe ich keine Braut mit rotem Regenschirm gesehen. Noch nicht einmal eine hässliche.

Schon die Idee mit diesem absolut peinlichen Erkennungszeichen hätte mir alles sagen können. Kein halbwegs normaler Mensch läuft mitten im Sommer, bei strahlendem Sonnenschein, mit einem Regenschirm, der noch dazu die völlig unmännliche Farbe Rot hat, auf dem Flughafen herum. Aber nein, ich musste mich natürlich dazu breitschlagen lassen, sodass ich wie ein Idiot dagestanden habe und zusehen musste, wie sich die Menschenmenge verflüchtigte.

Ich kenne Sigi von einer Leser- und Autorenplattform, habe sie aber noch nie gesehen. Wenn die Angaben über ihre Person stimmen – da bin ich mir mittlerweile natürlich nicht mehr so sicher – dann kommt sie von irgendwoher aus Deutschland, während ich ja Schweizer bin. Die Nationalität ist mir ehrlich gesagt völlig egal, denn zwischen uns hat es vom ersten Augenblick einfach gepasst. Ich habe mich selten so gut mit jemandem unterhalten und Sigi scheint beinahe mein Gegenpol zu sein. Zumindest in intellektueller Hinsicht.

Ich bin mit meinen fünfzig Jahren schon lange auf der Suche nach dem einen Menschen, der mich vervollständigen kann. Sigi scheint dafür alles mitzubringen und hat bis jetzt nur einen klitzekleinen Makel… Sie hat das falsche Geschlecht! Ich wollte dieses Detail aber nicht überbewerten und habe mich schließlich zu diesem Treffen überreden lassen.

Okay, ich habe Sigi natürlich nichts davon erzählt, dass ich – einmal abgesehen von einem kleinen sexuellen Ausrutscher mit einer Frau, der jedoch bereits Jahrzehnte zurückliegt - ausschließlich dem männlichen Geschlecht zugetan bin. Warum ich das nicht getan habe? Nun, sicher zum einen, weil dies keine Neuigkeit ist, die man auf einer solchen Plattform vorbringt. Aber verschwiegen habe ich es auch, weil ich die Hoffnung hatte, dass Sigi für mich mehr werden könnte.

Ich bin nämlich auf der Suche nach einer Partnerin. Der Gedanke, sich endlich von der irrwitzigen Vorstellung zu verabschieden, den Seelenverwandten unter Männern zu finden, trage ich schon länger mit mir herum. Irgendwann musste ich erkennen, dass es so gut wie unmöglich ist, einen treuen, liebevollen Mann für eine tiefer gehende Beziehung in der oberflächlichen, schwulen Welt zu finden. All die Kerle, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, waren stets nur auf Sex aus und daher für denn Alltag schlicht und einfach nicht zu gebrauchen. Frauen sind da einfach anlehnungsbedürftiger und suchen einen Kuschelpartner. Das weibliche Geschlecht bietet also genau das, wonach ich schon lange Ausschau halte.

Aufgrund dieser Überlegungen habe ich mich also kurzerhand entschieden, es noch einmal mit der Heteroschiene zu versuchen. Seien wir doch einmal ehrlich… Der Akt mit einer Frau ist auch nicht soooo viel anders als mit einem Mann. Wenn ich Glück habe, lässt sich meine zukünftige Partnerin sogar vom Analverkehr überzeugen und wenn sie vor mir kniet, muss ich auch das überflüssige Fettgewebe, das Frauen nun einmal in der Brustgegend mit sich tragen, nicht angucken. Zudem gibt es mittlerweile ja diese Kunstpenisse, die sich Frau um die Hüften binden kann, um einen Mann beglücken zu können. Alles Argumente, die eindeutig für meine Idee, die Seiten zu wechseln, sprechen.

Nachdem ich also diesen Entschluss gefasst hatte, war auch bald klar, dass Sigi die geeignete Kandidatin für meine Herzdame sein könnte. Schnell wurde die Idee eines Treffens geboren, dem Sigi auch gleich zustimmte, weshalb mir die romantische Kulisse von Wien für unsere erste Zusammenkunft geradezu perfekt schien. Doch nun hat mich dieses Weibsbild einfach versetzt. Und als ob das nicht genügen würde, bin ich auch noch mit einem wildfremden Kerl zum Abendessen verabredet, obwohl ich der Männerwelt eigentlich den Rücken kehren wollte.

Verärgert gehe ins Bad, um mich etwas zu erfrischen. Aus dem Spiegel sieht mich ein grauhaariger Kerl an, der sein Alter bestimmt nicht mehr verleugnen kann. Ich habe mir zwar stets Mühe gegeben, mich fit zu halten, aber die Schwerkraft zieht nun mal die Haut langsam aber sicher nach unten, was mir die zahlreichen Falten, die sich da und dort in meinem Gesicht eingegraben haben, unmissverständlich vor Augen halten. Natürlich könnte ich meine Haare färben, aber davon halte ich nichts. Ich mag mich nicht den gängigen Schönheitsidealen unterwerfen und stehe zu dem, was ich zu bieten habe, auch wenn ich damit auf dem schwulen Markt kaum mehr einen Wert darstelle.

Seufzend kehre ich zurück in mein Zimmer, schnappe meine Jacke und begebe mich auf den Weg zur Lobby. Als ich dort eintreffe, finde ich den Kerl, dessen Namen ich noch nicht einmal weiß, in Gedanken versunken in einem der bequemen Sitzecken vor. Er scheint mein Eintreffen noch nicht bemerkt zu haben, sodass ich rein gewohnheitsmäßig einen Optikcheck bei ihm durchführe.

Obwohl sich dieser Mann in etwa in meinem Alter bewegen dürfte, hat das Rad der Zeit noch nicht ganz so gnadenlos wie bei mir zugeschlagen. Sein Haupt ziert kein einziges graues Haar, sondern wird von einer langen, braunen Mähne umschmeichelt, die er im Moment zu einem Zopf zusammengebunden trägt.

Als ich auf ihn zutrete, steht er sofort auf und begrüßt mich mit einem Lächeln, das mir unverwandt ein warmes Gefühl vermittelt. Der Kerl wirkt sehr sympathisch und seine braunen Augen begegnen mir mit einem offenen Blick, was meine schlechte Laune schlagartig verfliegen lässt.

„Hey, ich hab mich zuvor ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Siegmund“, stellt sich der andere vor und streckt mir dabei die Hand entgegen.

„Mein Name ist Jackson“, erwidere ich, schlage ein und verspüre bei diesem Körperkontakt ein angenehmes Kribbeln.

„Ich hab mich an der Rezeption nach einem Lokal erkundigt und man hat mir einen Italiener empfohlen, der gleich um die Ecke sein soll. Was hältst du davon?“

„Hört sich gut an“, willige ich ein und folge Siegmund, als er vor mir das Hotel verlässt.

Auf dem Weg zum Lokal sprechen wir nicht viel. Erst als wir uns an einen kleinen Tisch in einer Nische setzen, beginnt er erneut das Gespräch.

„Wenn ich deinen Akzent richtig beurteile, dann bist du weder aus Deutschland, noch aus Österreich.“

„Stimmt. Ich komme aus der Schweiz“, erkläre ich lachend, weil mir sehr wohl bewusst ist, dass mein Kauderwelsch überall auffällt, und erfahre kurz darauf, dass Siegmund aus Deutschland kommt.

Während wir das Essen bestellen und uns an einer guten Flasche Wein gütlich tun, plaudern Siegmund und ich über Gott und die Welt. Wider Erwarten gestaltet sich die Unterhaltung mit diesem Mann anregend und amüsant. Wir finden schnell heraus, dass wir in vielen Dingen dieselbe Ansicht vertreten und auch den gleichen Humor teilen.

Die anregenden Gespräche werden lediglich durch das Essen unterbrochen, das wir beide mit Höchstgenuss vertilgen. Siegmund ist genau wie ich ein Genießer, weshalb wir uns eine weitere Flasche Wein bestellen, denn wir sind uns einig, dass dieser schöne Abend noch kein Ende finden soll.

Zu fortgeschrittener Stunde und mit erhöhtem Alkoholspiegel werde ich redselig und gestehe Siegmund den Grund meiner Reise nach Wien.

„Eigentlich bin ich für ein ‚Blinddate‘ hier in Wien angereist. Ich wollte mich mit einer Landsmännin von dir treffen. Die Frau mit dem roten Schirm – so unser Erkennungszeichen – ist jedoch nicht aufgetaucht. Weiber… man kann nicht mit ihnen, aber auch nicht ohne sie, nicht wahr?“, sage ich mit schwerer Zunge und starre schwermütig in mein Weinglas. „Wie kann ein bald Fünfzigjähriger nur so blöd sein, lediglich der Liebe wegen so einen weiten Weg auf sich zu nehmen?“

Freudlos blicke ich hoch und treffe auf die vor Überraschung aufgerissenen Augen meines Gegenübers.

„Ja, da staunst du, was?“, lache ich bitter auf und kann ohne Probleme nachempfinden, dass der andere in mir einen absolut naiven Vollidioten sieht.

Der nette Kerl hat wenigstens noch den Anstand, verlegen den Blick zu senken. Es ist offensichtlich, dass er mir nicht zeigen möchte, was er von mir denkt. Dennoch kann ich die leichte Röte, die seine Wangen überzieht, erkennen, was ihn geradezu hinreißend erscheinen lässt. Seufzend rufe ich mich zur Räson, denn Männer haben mich nun wirklich nicht mehr zu interessieren, schließlich fahre ich doch jetzt auf der Heteroschiene.

„Ich… denke, wir sollten langsam zahlen“, holt mich Siegmund aus meinen Gedanken zurück und ich merke, dass ich ihn offenbar angestarrt habe.¨

Unangenehm berührt räuspere ich mich, nicke bestätigend und winke dem Ober, um die Rechnung zu verlangen.



Siegmund



Jackson ist Jacky. Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen! Der rote Schirm war doch wohl eindeutig! Während wir getrennt die Rechnung begleichen, mustere ich immer wieder verstohlen mein Gegenüber und fühle leichtes Bedauern. Gefallen könnte Jackson mir schon, aber offenbar ist er auf der Suche nach einer Frau. Was für ein Hohn! Und wieso hat er sich als Frau ausgegeben?

Moooment! Gerade fällt mir ein, dass er niemals klare Aussagen über sein Geschlecht gemacht hat. Ich allerdings auch nicht. Jedenfalls ist es wohl besser, wenn ich ihm nicht verrate, dass ich Sigi bin. Das dürfte eine mittlere Katastrophe heraufbeschwören und ganz ehrlich? Ich spekuliere schon ein wenig darauf, dass wir die nächsten Tage gemeinsam Wien erkunden. Allein herumzulaufen ist doof und ich mag seine Gesellschaft.

„Können wir gehen?“, fragt er mit schwerer Zunge und schwankt leicht, als er aufsteht.

„Sicher“, antworte ich und trotte hinter ihm her aus dem Lokal.

Die kalte Nachtluft wirkt auf meinen Alkoholpegel, als würde ich das Doppelte der bereits genossenen Menge im Blut haben. Haltsuchend greife ich nach Jacksons Arm und er tut das Gleiche bei mir, sodass wir uns am Ende gegenseitig stützen, während wir zurück zum Hotel torkeln.

An der Rezeption weiß ich nicht einmal mehr meine Zimmernummer. Zum Glück erinnert Jackson sich an seine und da ich direkt gegenüber gastiere, reicht mir die freundliche Angestellte den richtigen Schlüssel. Erleichtert folge ich ihm zum Lift. Ich bin hundemüde und will nur noch ins Bett. Morgen ist noch genug Zeit, um über meine Lage nachzudenken. Morgen …

„Guten Morgen“, grüßt Jackson aufgeräumt, als ich am nächsten Tag mit zerknitterter Miene im Frühstückssaal auftauche. Ich habe es gerade noch so geschafft, eine halbe Stunde vor Buffetschluss zu erscheinen. Der verdammte Wecker hat nicht geklingelt und mein Handy ist ein Buch mit sieben Siegeln. Ich werde mich mit dem Mistding später auseinandersetzen müssen, damit ich wenigstens morgen pünktlich aufstehe.

„Morgen“, erwidere ich, latsche zum Buffet und staple wahllos Aufschnitt, Brot und Butter auf einen Teller. Während ich zurück zu Jackson schlurfe, werfe ich einen Blick auf die anderen Gäste. Keine der Frauen sieht aus wie eine Jacky und im Grunde ist mir sowieso inzwischen klar, dass es sich bei Jackson um meine Internetbekanntschaft handeln muss. Wie ich damit umgehen soll, dass er mir ausnehmend gut gefällt, weiß ich noch nicht. Am besten, ich spiele einfach weiter den Ahnungslosen und mit meinem Kater sollte mir das gelingen. Mein Schädel fühlt sich an, als wäre ein Abbruchunternehmen darin beschäftigt. Keine Ahnung, wieso Jackson so frisch aussieht. Er hat doch mindestens genauso viel getrunken wie ich.

„Willst du auch eine Aspirin?“, erkundigt er sich, als ich ihm gegenüber Platz nehme.

Aha! Hier ist des Rätsels Lösung! Ich nicke stumm und schneide mit zittrigen Fingern ein Brötchen in der Mitte durch.

„Ich habe die Tabletten in meinem Zimmer. Am besten kommst du nach dem Frühstück rüber zu mir“, meint er mitfühlend und greift nach seiner Kaffeetasse. „Ich hab mir überlegt, dass ich den Aufenthalt trotz dieser deutschen Schlampe – oder eher trotz deren Abwesenheit – genießen möchte. Wenn du keine Einwände und Lust hast, könnten wir doch gemeinsam ein wenig Sightseeing machen.“

„Klingt gut“, nuschele ich mit vollem Mund. Das Brötchen schmeckt wie Pappe und will so gar nicht durch meine Speiseröhre rutschen. Ich spüle beherzt mit einem Schluck Orangensaft das Zeug herunter und bereue das sogleich. Mein Magen rebelliert und ich beschließe, dass ich vorerst genug gegessen habe.

„Prima!“, freut sich Jackson und lächelt mir zu. „Ich hab auch schon ein paar Ideen.“

Eine Stunde und zwei Aspirin später fühle ich mich in der Lage, Jacksons Plänen zu lauschen. Er hat inzwischen fleißig im Internet recherchiert. Während ich schlapp auf der Bettkante hocke, berichtet er eifrig, entspannt in einem der beiden Sessel lümmelnd.

„Als erstes würde ich gern eine Buchhandlung aufsuchen. Einfach nur, um mir ein wenig Urlaubslektüre zu besorgen. Ich habe einen kleinen Laden gefunden, an den sich ein Kaffee anschließt, in dem des Öfteren Lesungen gehalten werden. Wie gefällt dir die Idee?“

„Sehr gut“, murmele ich.

„Deine Begeisterung scheint sich in Grenzen zu halten“, spottet Jackson milde.

Ich enthalte mich einer Bemerkung, stehe auf und suche meine Sachen zusammen. Anschließend folge ich ihm aus dem Zimmer.



Die Buchhandlung erweist sich als winziger Laden, der in einer unscheinbaren Seitenstraße liegt. Schon im Schaufenster springen mir die regenbogenfarbenen Requisiten ins Auge und spätestens nach dem Betreten ist klar, in was für einer Art Etablissement wir uns befinden. Ob wissentlich oder aus Versehen, hat Jackson eine schwule Buchhandlung ausgesucht. Mir soll’s egal sein, aber was will er bloß hier?

Wir werden von zwei Augenpaaren gemustert, von denen eines einem kurz geschorenen Brillenträger im Anzug gehört. Der Kerl setzt eine abschätzige Miene auf und verkrümelt sich, während der Kollege in legerer Kleidung sogleich ein gewinnendes Verkäuferlächeln aufsetzt.

„Kann ich den Herren helfen?“, fragt der Mann und eilt beflissen herbei.

Ich schaue ratlos zu Jackson, doch der scheint genau zu wissen, was er sucht. Die beiden vertiefen sich in ein Fachgespräch, dem ich jedoch nicht lauschen mag. Neugierig schaue ich mich um und stöbere ein wenig in den ausliegenden Büchern. Interessieren würde mich schon das eine oder andere, doch ich traue mich nicht, das offen zu zeigen.

Der Verkäufer hält einen langen Monolog und irgendwann wird es mir zu bunt. Ich trete energisch an Jackson heran und zischele: „Können wir weiter?

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: France Carol / Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock Lars Rogmann
Lektorat: Karo Stein
Tag der Veröffentlichung: 17.04.2014
ISBN: 978-3-7368-0127-1

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /