Cover

Love

Er liebt ihn - Band 3

19 Storys aus 28 Homo Schmuddel Nudel Bänden

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.


Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos

Foto: depositphotos

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/

https://www.sissikaipurgay.de/


Der Mann, der aus der Öllampe kam

Ich poliere die Gegenstände, die auf dem Regal im Wohnzimmer herumstehen. Die alte Öllampe aus Messing, die ich gerade putze, stammt von meinem Onkel Fridolin, der diese in Ägypten erstanden haben soll. Na, ob das stimmt? Ich hauche auf die Oberfläche und reibe intensiver, um einen hartnäckigen Fleck wegzukriegen, da geht mir plötzlich dieses Märchen durch den Kopf: Aladin und die Wunderlampe. Gerade will ich die Lampe zurück ins Regal stellen, als es an der Tür läutet…

Der Samstag vergeht wie jeder andere, mit putzen, waschen und aufräumen. Gerade habe ich die Kleinodien im Wohnzimmer abgestaubt, als es an der Tür läutet. Im Treppenhaus steht ein Kerl in Lederjacke, Jeans und Bikerstiefeln. Seine Locken schimmern blau-schwarz und die Augen sind hinter einer coolen Sonnenbrille verborgen.

„Da bin ich“, sagt der Mann, drängelt sich lässig, aber bestimmt an mir vorbei und geht durch den Flur, wobei er Blicke in die Zimmer rechts und links wirft.

Perplex schließe ich die Tür und folge dem Kerl, der inzwischen in der Küche steht und sich dort gründlich umschaut. Zielsicher steuert er die Kaffeemaschine an.

„Hallo? Sie da … das ist Hausfriedensbruch“, stammele ich.

„Warum? Du hast mich gerufen und voila, da bin ich.“ Der Typ hebt die Glaskanne hoch und schnuppert an der schwarzen Kloake, die seit dem Morgen dort köchelt. „Uah! Kochst du uns frischen Kaffee?“, fragt er, dabei wackelt er lustig mit den Augenbrauen.

Mein Herz schmilzt angesichts des hübschen Mannes. Die Situation ist zwar ziemlich abgefahren, aber ich habe überhaupt nichts dagegen, in der Nähe eines so attraktiven Kerls zu sein. Außerdem wirkt er relativ harmlos, wenn ich mal von seiner Aufmachung absehe. Im Moment scheint er lediglich auf Kaffee scharf zu sein, nicht darauf, mich zu berauben oder gar schlimmeres. Ich setze Kaffee auf, wobei sich der Mann nicht von der Stelle bewegt. Stoisch steht er vor dem Automaten und zwingt mich damit, ihn mehrfach zu berühren. Dieses Verhalten ist schon etwas befremdlich, dabei aber auch ganz aufregend. Der Typ riecht verdammt gut.

„Ich bin Aladin“, verkündet der Schönling mit einem gewinnenden Lächeln.

„Sven“, nuschele ich und muss an die Messinglampe denken. Kann es sein…?

„Ich bin ein Flaschengeist“, erklärt da auch schon Aladin und setzt hinzu: „Du hast drei Wünsche frei.“

„Oh, das klingt großartig.“ Ein spöttischer Unterton hat sich in meine Stimme geschlichen.

„Nicht wahr?“ Aladin grinst breit.

„Willst du damit behaupten, dass du in einer Öllampe gesteckt hast?“, frage ich lauernd.

Er nickt. „Klar, das tun Flaschengeister nun mal.“

„Und was macht man den ganzen Tag dort drin? Ich meine, du steckst doch sicher schon einige Zeit in dem Ding. Die Lampe besitze ich seit ungefähr zehn Jahren und noch nie …“

„Es gibt einen Aufenthaltsraum, in dem wir Geister die Wartezeit verbringen. Dort haben wir Internetanschluss, diverse Spielkonsolen … Gut, es ist auf Dauer schon langweilig, das gebe ich zu.“ Aladin seufzt, lässt sich auf einen Stuhl plumpsen und streckt die langen Beine aus.

„Aufenthaltsraum? Für Geister?“ Meine Vorstellungskraft ist gerade leicht überfordert.

„Das mag in deinen Ohren sicher merkwürdig klingen. Ich habe auch nur verschwommene Erinnerungen daran, als hätte ich das nur geträumt. Egal! Jetzt bin ich hier, hätte gern einen Kaffee und dann, dann wünschst du dir was und ich verschwinde wieder.“

Oh Mann! Ich hätte schon einen Wunsch, aber es wäre sicher vermessen – und auch ungesund – mit einem Flaschengeist Sex zu haben. Vielleicht würde ich dabei selbst zum Geist und müsste – in Ermangelung antiker Gefäße – in einer Plastikflasche hausen. Eine unangenehme Vorstellung.

„Der Kaffee ist fertig.“ Ich hole einen Becher aus dem Schrank, kippe Kaffee hinein und stelle ihn auf den Tisch. Diese normale Tätigkeit lenkt mich etwas von dem Wahnsinn ab, der sich hier gerade abspielt.

Aladin nimmt den Kaffee, schnuppert genüsslich daran und schlürft überaus menschlich, als er einen Schluck trinkt. „Lecker. Weißt du, bei uns gibt es so etwas nicht.“ Sein Blick zeigt Trauer über diesen Umstand.

„Was trinkt ihr denn so?“

„Gar nichts. Sven, denk doch mal nach! Als Geist muss man weder essen noch trinken.“

„Da ist was dran“, gebe ich nach kurzer Überlegung zu. „Aber warum trinkst du jetzt?“

„In meiner menschlichen Gestalt bin ich wie ein echter Mensch: Alles dran, alles drin.“ Er gluckst und klopft sich auf den Bauch. Unwillkürlich wandert mein Blick zu seiner Körpermitte, was er bemerkt und grinsend kommentiert: „Ja, da auch.“

Peinlich berührt schaue ich schnell woanders hin. Stille breitet sich aus.

„Und wie läuft das nun? Also, das mit den Wünschen?“, frage ich nach einer Weile.

„Ganz einfach: Du wünschst dir was, ich erfülle den Wunsch und verschwinde wieder in der Lampe. Wenn du mich rufen willst, reibe einfach an dem Messing. Das Ganze funktioniert aber nur dreimal, klar?“

„Ja, sonnenklar.“ Fieberhaft überlege ich mittlerweile, wie ich die Wünsche verwenden will. Aladin redet mit so viel Überzeugung davon, dass ich geneigt bin ihm zu glauben. Was hab ich schon zu verlieren?

Der erste Wunsch ist klar: Ich will unbedingt diesen sexy Kerl. Mein letzter Sex liegt ewig zurück und der damalige Partner war weitaus hässlicher als Aladin. Na ja, neben dem hübschen Flaschengeist verblasst eigentlich fast jeder normale Mann.

„Ich wünsche mir…“, beginne ich und glotze wieder auf Aladins Schritt. „…dass du mich verführst.“

Gelassen nippt Aladin an seinem Kaffee und mustert mich unter dichten Wimpern hervor. „Du bist ganz schön mutig“, meint er nach sekundenlangem Schweigen. „Was ist, wenn ich nicht auf Kerle stehe?“

„Entschuldige, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Gilt der Wunsch nicht, wenn du ihn nicht erfüllen kannst oder willst? Verfällt er, sozusagen und ist weg oder …?“, plappere ich nervös, wobei Hitze in meine Wangen steigt. Wie konnte ich nur annehmen, dass Aladin schwul ist. Ein homosexueller Flaschengeist? Ich muss ja vollkommen plemplem sein.

„Hmm“, macht Aladin, stellt den Becher weg und springt auf. „Damit kenne ich mich nicht aus. Bisher… Ach, lassen wir das. Du hast Glück, ich stehe auf Männer und auf dich besonders. Du bist sexy.“

Als wäre ich eine zu begutachtende Schweinehälfte, umrundet er mich mit prüfendem Blick, zwickt mir in den Hintern und lässt die Finger über die nackte Haut meines Armes gleiten. Seine Augen bekommen dabei einen gierigen Glanz. Er bleibt vor mir stehen, streicht durch mein Haar und lächelt breit.

„Du gefällst mir sehr, Sven“, murmelt er und beugt sich vor.

Mir fallen die Augen zu, als ich seinen warmen Mund spüre. Aladin streicht sachte mit den Lippen über meine, dabei hält er mich lediglich an den Oberarmen fest. Unglaublich maskuliner Duft berauscht mich. Mein Schwanz wird bei jeder Berührung härter und das Kribbeln im Bauch ist kaum auszuhalten.

„Du schmeckst gut“, raunt Aladin, bevor er meinen Mund ganz erobert.

Er leckt über meine Zähne, die Zunge und erkundet jeden Winkel, was ich stöhnend genieße, nach mehr giere und vor allem aus den störenden Klamotten raus muss. Als könnte er Gedanken lesen, reißt Aladin mir das T-Shirt über den Kopf und nestelt dann am Hosenbund. Die Jeans landet auf meinen Füßen. Ich steige heraus, streife dabei die Socken ab und stehe völlig nackt vor dem geilen Flaschengeist. Er ist wirklich aus Fleisch und Blut, wie ich mit einem beherzten Griff in seinen Schritt feststelle. Aladin jodelt auf und schiebt meine Hand weg.

„Du bist dran, nicht ich“, brummelt er und dirigiert mich rückwärts, über den Flur zum Schlafzimmer hin.

Am Bett angekommen, verwickelt er mich wieder in einen leidenschaftlichen Kuss, dabei streichen seine Finger unablässig über meine empfindlichen Seiten. Endlich spüre ich, wie seine Hände meine Arschbacken umspannen.

„Oh ja“, stöhne ich und umarme ihn fest, während ein Finger meinen Hintereingang umkreist, sich reinschiebt und mir damit ein „Nimm mich endlich“ entlockt.

Meine Arme greifen ins Leere. Aladin ist weg! Ohne Vorankündigung oder wenigstens ein leises ‚Plop‘ ist er verschwunden. Ich stehe da, voll erigiert und total frustriert. Wieso ist er weg? Er sollte mich doch verführen … Moooment! Verführt hat er mich schon, aber ich hatte mir natürlich das volle Programm vorgestellt. Nun steh ich hier und darf selbst Hand anlegen, wenn ich keinen weiteren Wunsch opfern will.

Mit wippendem Schwanz renne ich ins Wohnzimmer, greife mir den nächstbesten Lappen – es ist die gute Tischdecke von Mutti – und reibe wie irre an der Öllampe herum, ganz fest und eifrig. Es läutet im nächsten Moment. Ich lass Lampe und Lappen einfach fallen, wetze zur Tür und finde davor Aladin, der mich amüsiert mustert.

„Das ging aber schnell“, meint er spöttisch, drängelt sich, wie schon beim letzten Mal, in den Flur und steuert die Küche an.

Oh nein, jetzt bitte keinen Kaffee! Ich will jetzt unbedingt mit ihm aufs Laken und endlich seinen Schwanz sehen, lecken, anfassen und dann spüren.

„Ich wünsche mir …“, rufe ich ihm hinterher, während ich die Tür ins Schloss knalle. „Ich wünsche mir, dass du mich fickst und küsst und dabei streichelst und …“ Habe ich etwas vergessen? „… geile Worte sagst und so tust, als wenn du in mich verliebt bist, mit allem Drum und Dran.“ War das wirklich alles? Ich überlege noch fieberhaft, als plötzlich – wutsch – Aladin vor mir steht, mich packt, über die Schulter wirft und ins Schlafzimmer trägt. Dort wirft er mich auf die Matratze, beugt sich vor und stupst mit seiner Nase meine an.

„Danke“, flüstert er. „Danke, dass du mich wieder gerufen hast. Und danke, dass du so schnell den Wunsch ausgesprochen hast. Es drückt nämlich mächtig in meiner Hose und ich darf meine eigenen Wünschen nicht selbst erfüllen.“

Er richtet sich auf, wirft die Lederjacke ab und das T-Shirt gleich hinterher. Schnell steigt er aus den Stiefeln, streift die Jeans ab und steht dann nackt und wunderschön vor mir. Ein dunkler Gott mit breitem Brustkorb, anbetungswürdigem Bauchnabel und einem Schwanz, bei dessen Anblick mir die Spucke wegbleibt: Dick geädert und mit purpurn angelaufener Eichel, auf der ein glasklarer Tropfen, gleich einer Perle, thront. Lecker! Ich strecke die Arme nach ihm aus, will ihn endlich fühlen.

Moment! Endlich? Wir kennen uns gerade mal eine Stunde und ich denke an endlich? Irgendwie fühlt es sich an, als würden wir uns schon viel länger kennen, als wenn es eine Verbindung zwischen uns gäbe.

Aladin legt sich zu mir und verwickelt mich in einen verspielten Kuss, wobei seine Finger erneut meine Seiten streicheln. Gründlich erkundet er meine Brust und reizt die kleinen Nippel, bis ich vor Ungeduld quieke. Seine Hand fährt runter und packt meinen Steifen, nimmt eine Massage auf, die mich vor Erregung zappeln lässt.

„Bitte, bitte fick mich endlich“, stöhne ich, dabei erkunde ich Aladins Schwanz mit den Fingerspitzen. Der Anblick hat nicht getrogen, das Teil fühlt sich einfach geil an. Bevor ich die Erforschung intensivieren kann, werde ich auf den Rücken geschubst und Aladin schwingt sich zwischen meine Schenkel. Aufmerksam schaut er mir in die Augen, während er sich meine Beine über die Schultern legt und die Schwanzspitze ansetzt. Es tut ein bisschen weh und er merkt das anscheinend. Nachdem die Eichel drin ist, hält er einen Moment inne, so dass ich zu einem Atemrhythmus finden kann, der mir die Dehnung erträglicher macht.

Aladins dunkle Augen funkeln erregt und ich sehe, dass sich seine Brust hastig hebt und senkt. Seine offensichtliche Lust heizt meine wieder an. Ohne großen Widerstand kann er ganz eindringen. Er murmelt sanfte Koseworte, die ich im Einzelnen nicht verstehe, zusammen aber eine Melodie bilden, die mein Herz vor Glück anschwellen lässt. Ganz langsam bewegt er die Hüften und beugt sich dabei vor, bis sich unsere Lippen treffen. Noch nie hat sich etwas so richtig und schön angefühlt, als wären wir füreinander bestimmt.

Irgendwann hebe ich den Arsch an und verlange nach mehr. Er gibt es mir, dabei liegt sein Blick unverwandt auf meinem Gesicht. Dann gerät alles durcheinander, irgendwie sehr langsam, zugleich irre schnell. Ich komm und benetze uns mit Liebessaft, während Aladin sich aufbäumt und unter lautem Stöhnen in mir ergießt. Unsere Lippen treffen sich zu einem Kuss, womit die Vereinigung perfekt ist.

Unter tiefen Atemzügen komme ich langsam zu mir und rechne jeden Moment damit, dass Aladin verschwindet, aber noch liegt er in meinem Arm. Um dieses unerwartete Glück voll auszukosten beginne ich, alles von ihm zu berühren, angefangen bei den dunklen Locken, dem Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen. Aladin seufzt.

„Ich darf ein wenig bleiben, da wir das Drum und Dran noch nicht erledigt haben“, erklärt er leise.

„Ich weiß selbst nicht, was ich damit gemeint habe“, gebe ich zu.

„Küssen, sich in die Augen sehen, einander Geheimnisse verraten“, murmelt Aladin, rollt uns auf die Seite und ermöglicht mir so, noch mehr von seinem Körper zu erkunden.

Glückselige Minuten, die viel zu schnell vergehen. Gerade will ich ihn erneut küssen, als er auch schon verschwindet. Er verdampft einfach vor meinen Augen, wird zu Luft und lässt mich zurück. Das Alleinsein hat damit eine neue Qualität gewonnen: Es quält mich, nun, wo ich Nähe erfahren habe.


Nachdem ich die ganze Nacht schlecht geschlafen habe, raffe ich mich am nächsten Tag nur schwerfällig auf und koche Kaffee. Sofort ist die Erinnerung an Aladin wieder da, wie er hier gesessen und genüsslich die schwarze Brühe geschlürft hat. Seine schönen Lippen und die dunklen Augen geistern ständig durch meinen Kopf. Ich würde ihn gern rufen, aber was soll ich mir dann wünschen? Nicht noch einmal solchen genialen Sex und danach – puff – nur noch heiße Luft. Ich will ihn so sehr, aber er ist nun mal ein Geist. Oh Mann! Ich habe wirklich mit einem Flaschengeist geschlafen.

Den ganzen Tag verbringe ich mit düsteren Gedanken. Liebeskummer und tiefe Sehnsucht quälen mich. Dabei bräuchte ich doch nur an der vermaledeiten Lampe reiben und Aladin wäre wieder da. Schließlich halte ich es nicht mehr aus, nehme die Öllampe und poliere sie wie verrückt. Das ersehnte Läuten ertönt.

Die Tür ist kaum offen, da stürmt Aladin herein und stoppt im Flur. Seine Lippen sind zu einem wunderschönen Lächeln verzogen. Mein Herz schlägt Kapriolen bei diesem herrlichen Anblick. Ich schiebe die Tür mit dem Fuß zu, ziehe ihn ins Wohnzimmer und bugsiere ihn zur Couch.

„Ich will, dass du frei bist“, erkläre ich unumwunden.

„Ich? Frei?“ Aladins Augen beginnen zu glänzen.

„Ja“, sage ich mit fester Stimme, obwohl meine Kehle ganz trocken ist und ich am liebsten losheulen würde. „Du sollst nicht mehr als Geist dahinvegetieren, sondern ein eigenes Leben haben. Würde dir das gefallen? Könnte ich mir das wünschen?“

Aladin starrt mich ein Weilchen stumm und ungläubig an, dann nickt er langsam. „Ja, das müsste gehen. Du bist der erste, der einen Wunsch für mich opfern würde. Bist du dir sicher?“

Aladin hat mir ein paar Stunden versüßt und was soll ich mit Geld oder Ruhm? Das hat mich noch nie interessiert. Mein Leben erscheint leer, nachdem ich Nähe und Wärme mit ihm erfahren durfte. Für Aladin würde ich alles tun, damit er glücklich ist.

„Ich möchte mit dir schlafen“, flüstert er und guckt mich so sehnsüchtig an, wie sonst nur Kinderaugen das erhoffte Spielzeug anhimmeln.

„Geht das? Ich meine, muss ich mir das nicht wünschen?“ Auch wenn es Abschiedssex sein wird, will ich ihm unbedingt.

„Ich werde mich nicht wehren, wenn du mich zum Sex zwingst.“ Ein listiges Grinsen huscht über sein Gesicht.

„Du bist ein Schlitzohr.“ Ich werfe mich in seine Arme und zwinge ihm einen Kuss auf, den er bereitwillig erwidert.

Im Nu stehen wir im Schlafzimmer. Er steigt zielstrebig aus seinen Klamotten, während ich mich ausziehe und ihn dabei sehnsüchtig angucke. Diesmal will ich seinen Schwanz endlich kosten und den Geschmack für immer inhalieren. Will in sein Ohrläppchen beißen, die geilen, flachen Nippel anknabbern und dazwischen immer wieder seine Lippen küssen, bis wir beide atemlos sind.

„Sven, lebst du noch?“ Aladin wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. Ich merke, dass ich dastehe und ihn verträumt anstarre. Sehnsüchtig strecke ich die Arme nach ihm aus. Wir fallen aufs Bett, die Münder in einem Kuss vereinigt und driften in unser ganz eigenes Universum ab, in dem nur er und ich existieren.


„Ich kann nicht länger bleiben“, flüstert Aladin traurig.

Sein ganzer Körper glänzt von meinem Speichel, auch sein himmlischer Schwanz, den ich leerlutschen durfte. In einem plötzlichen Anfall von Egoismus erscheint es mir wichtiger, eine weitere Stunde mit ihm zu wünschen, als ihm ein freies Leben zu ermöglichen. Bevor ich länger darüber nachdenken kann, setze ich mich auf, wuschle ein letztes Mal durch seine Locken und drücke ihm einen Kuss auf die zitternden Lippen. Ich sehe die Trauer in seinem Blick. Mir ist auch ganz mulmig.

„Leb wohl, es war wunderschön mit dir.“ Ich kneife die Augen zu, hole tief Luft und dann sage ich es: „Ich wünsche mir, dass Aladin frei ist, um das Leben zu führen, dass er sich erträumt.“

Ich muss gar nicht hingucken, um festzustellen, dass er nicht mehr da ist.


Die Lücke in meinem Inneren schmerzt. Innerhalb nur eines Tages hat sich ein Flaschengeist in mein Herz geschlichen. Wir haben nicht viel geredet, uns aber auch ohne Worte verstanden. Er fehlt mir sehr, dennoch hoffe ich inständig, dass mein letzter Wunsch geklappt und er irgendwo auf der Erde seinen Platz gefunden hat. Wenn ich wüsste, dass es ihm gutgeht, würde mir leichter ums Herz sein.

Meine Arbeit, ich bin Lehrer an einer Grundschule, lenkt mich zum Glück ab und erfordert meine ganze Aufmerksamkeit, so dass ich tagsüber für ein paar Stunden nicht an Aladin denke. Abends und nachts ist es kaum zum Aushalten. Oft liege ich wach, überlege, wo er sein mag und ob er vielleicht ab und zu an mich denkt.


Zwei Wochen sind vergangen und ein neuer, öder Samstag liegt vor mir. Nachdem der Haushalt erledigt ist, lass ich mich auf die Couch fallen und gucke stumpf in die Gegend. Das Regal mit der Öllampe gerät in meinen Fokus. Ich nehme sie hoch, schnuppere an ihr, untersuche sie von allen Seiten und greife nach einem Lappen. Vielleicht funktioniert es ja doch. Ich muss einfach versuchen Aladin zu rufen, um meine Einsamkeit zu lindern. Gerade reibe ich kräftig an dem Messing, da klingelt es an der Tür.

Lampe und Lappen fallen auf den Boden. Ich renne los, reiße die Tür auf und falle Aladin um den Hals. Ja, er ist es wirklich! Noch im Treppenhaus küsse ich ihm das Hirn raus. Er dirigiert mich in die Wohnung, wo wir gleich im Flur zur Sache kommen. Runter mit der Jeans, schnell über die Kommode gebeugt, schon steckt er in mir und vögelt mich durch, bis ich bunte Sterne sehe. Unter lautem Stöhnen explodieren wir gleichzeitig, wobei sich Aladin ganz eng an mich drückt und mit seinen Armen umfängt. Erst, als meine Atemzüge langsamer werden, dringt ein wenig Vernunft in mein benebeltes Gehirn.

„Oh Gott! Aladin …“, stoße ich schnaufend hervor. „Jetzt hab ich … alles kaputt gemacht … oder? Musst du nun wieder in die Lampe?“

Er lacht leise, drückt mir einen Kuss auf den Nacken und zieht mich hoch. Nachdem er mich herumgedreht hat, nimmt er mein Gesicht in seine großen Hände und lächelt liebevoll. „Kaum hattest du den Wunsch ausgesprochen, fand ich mich vor dem großen Tribunal wieder. Mann, war das peinlich. Meine Hose stand noch offen und über meine Bettfrisur lachen die bestimmt immer noch. Jedenfalls …“ Er hält inne und seufzt theatralisch. „… jedenfalls wurde ich gefragt, wo ich den Rest meines Lebens bleiben wolle und da habe ich gesagt: Bei Sven Leuchtenwald. Der arme Kerl hat sich ganz schön erschreckt, als ich plötzlich auftauchte. Hätte dein Namensschild wohl gründlicher lesen sollen.“

Er lacht und reibt die Nase an meiner. „Bis ich dem Mann erklärt habe, dass ich dich suche und ihm nichts tue, mich orientiert und irgendwie hierher gefunden habe, sind viele Tage vergangen. Ich hatte solche Sehnsucht. Aber ich rede hier und du … Wie geht es dir?“

Sein Blick wird ängstlich und seine Finger fahren unruhig über meinen Rücken. Ich kann alles noch nicht glauben. Aladin ist jetzt ein Mensch und er will mich? Wenn ich das richtig verstanden habe.

„Ich bin fast wahnsinnig geworden vor Sehnsucht“, gebe ich mit rauer Stimme zu. „Ich wollte dich gerade rufen, da hat es geläutet und ich dachte …“

„Die Öllampe ist nicht länger mein zuhause, dort wohnt jetzt ein anderer Geist. Doch er wird nicht erscheinen, da du deine drei Wünsche schon erfüllt bekommen hast“, erklärt Aladin lächelnd.

Die Furcht verschwindet aus seinen Augen. Hände bewegen sich nach unten, legen sich um meine Arschbacken und ziehen mich fest gegen seine wachsende Härte. Oh ja, Aladin ist total heiß auf mich und wie! Ich grinse schief und schlinge die Arme um seinen Hals.

„Ich hätte meine Wünsche nicht besser anlegen können“, erkläre ich feierlich.

Für diese Worte werde ich leidenschaftlich geküsst und ins Schlafzimmer getragen, wobei Aladin fast über die Jeans, die noch um seine Knöchel hängt, stolpert. Aus dem Geist ist ein ganz normaler Mann geworden, wenn ich mal von seiner Ausdauer und dem fantastischen Äußeren absehe.


Er bleibt bei mir und nimmt tatsächlich ein bürgerliches Leben an meiner Seite auf. Dieses Geistertribunal hat ihm sogar Papiere beschafft. Nur der Name, der ist etwas fantasielos: Aladin Wunderlampe. Aber das ist Nebensache, denn bald werden wir heiraten. Dann heißt er so wie ich: Leuchtenwald. Aladin weiß noch nichts davon, aber heute Nacht werde ich ihm einen Antrag machen. Mal gucken, wie er reagiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er von der Idee genauso begeistert sein wird, wie ich es bin.


ENDE


Frederick und Andi (Erdbeeren mit Schokosoße)

Andi und Frederick waren seit zehn Jahren ein Paar. Im Dänemarkurlaub kam eine unschöne Sache zur Sprache: Andi wollte eine offene Beziehung. Er hatte gehofft, das im Urlaub in entspannter Atmosphäre klären zu können, doch stattdessen war Frederick angepisst und machte völlig dicht.

Zurück in Hamburg, wartete ihre gemeinsame Wohnung auf sie und noch fast drei Wochen Urlaub. Würden sie es schaffen, die Zeit zu nutzen, um einen Konsens zu finden? Oder sollten sie besser gleich anfangen, ihren gemeinsamen Kram auseinanderzudividieren?

1.

Auf der Rückfahrt ließ Andi die letzten Jahre ihrer Beziehung Revue passieren. Beruflich hatte sich Erfolg eingestellt, entsprechend auch finanzieller. Mittlerweile wohnten sie in einer schönen Neubau-Eigentumswohnung mit großer Terrasse und Gartenanteil in Ahrensburg. Urlaub im Sommer machten sie in Dänemark, zusammen mit der Clique. Na gut, die war inzwischen auseinandergebrochen, also nur noch mit dem Rest davon. Ein weiteres Mal reisten sie im Herbst stets zu einem Fernziel und im Winter ging’s für eine Woche in Skiurlaub.

Es konnte also alles gar nicht besser sein. Im Grunde war es perfekt, dennoch fühlte er sich unzufrieden. Etwas fehlte und deshalb hatte er vorgeschlagen, für eine Weile eine offene Beziehung zu führen. Mein Gott! Das war doch nichts Schlimmes! Er wollte gar nicht fremdgehen oder so, sondern nur … Ja, was eigentlich? Wenn er das bloß wüsste.

Die Klimaanlage lief, doch die Eiszapfen, die von der Decke hingen, rührten von etwas anderem her: Seit sie losgefahren waren, schwieg Frederick beharrlich. Das konnte der Mistkerl sowieso am besten: Sachen ausschweigen. Dabei war Frederick sonst derjenige, der ständig über alles Mögliche laberte. Wäre Andi boshaft veranlagt, würde er seinen Freund als oberflächlich bezeichnen.

Da er allerdings auch keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, hielt er ebenfalls den Mund. Im Moment waren die Fronten eh verhärtet. Frederick ging fest davon aus, dass seine Bitte um mehr Freiheiten eine Ich-mach-Schluss-Ansage war. Aus der Nummer kamen sie wohl nur schwer wieder raus, wenn überhaupt.

Wollte er das eigentlich? Also: Schluss machen? Andi horchte in sich rein. Die Antwort lautete: nein. Frederick war die Liebe seines Lebens, sowohl äußerlich als auch vom Charakter her. Na gut, ausgenommen dieses verdammte Aussitzen irgendwelcher Themen.

Die gesamte Fahrt hielt das Stillschweigen an, bis auf ein paar Worte beim Fahrerwechsel kurz hinter der deutschen Grenze.

Vor dem Haus, in dem sie wohnten, hielt Frederick an und ließ den Motor laufen. „Ich fahre gleich weiter zu meinen Eltern.“

„Was soll das heißen? Willst du dich da für den Rest des Urlaubs verkriechen?“ Fredericks Eltern wohnten in Lüneburg, also nicht mal eben um die Ecke.

„Weiß ich noch nicht. Ich brauche erst mal Abstand.“

Andi stieg aus, knallte die Beifahrertür zu, holte sein Gepäck aus dem Kofferraum und marschierte aufs Gebäude zu. Als er aufschloss, hörte er den Mercedes davonfahren. Irgendwie kam er sich plötzlich total verloren vor.

In der Wohnung schob er seinen Trolley ins Schlafzimmer und ließ sich auf das breite Bett fallen. Eine Weile starrte er an die Decke, ohne etwas zu sehen oder zu denken. In ihm herrschte absolute Leere. Schließlich rappelte er sich hoch, packte den Koffer aus und verstaute ihn im Abstellraum. Anschließend setzte er sich auf die Terrasse, eine Flasche Bier in der Hand.

Die Sonne hatte sich bereits hinter die Bäume verzogen. Der größte Teil des Gartens lag im Schatten. Von den benachbarten Terrassen drangen Grillduft, Gesprächsfetzen und Gelächter zu ihm rüber. Das verstärkte das Gefühl noch, völlig verlassen zu sein. Normalerweise hätten Frederick und er an so einem schönen Abend ebenfalls den Grill angeworfen und … wann hatten sie eigentlich aufgehört, miteinander zu reden? Gesprochen hatten sie natürlich, aber nie über Persönliches. Stattdessen waren ihre Jobs, Finanzen, was auch immer Thema gewesen.

War bloß das der Grund für seine Unzufriedenheit? Oder ihr eingeschlafenes Sexualleben? War ihre Beziehung in einem Meer aus Langeweile ersoffen? Nachdenklich nahm Andi einen Schluck aus der Flasche und blinzelte in den wolkenlosen Himmel.

Früher, als das Geld noch knapp war, hatten sie weitaus mehr Spaß gehabt. Mit dem Zelt spontan an die Ost- oder Nordsee. Kochen auf einem Spiritusgerät, das meistens den Geist aufgab. Ameisen im Schlafsack, Sand in der Arschritze. Na gut, das brauchte er heutzutage echt nicht mehr, dennoch … irgendwie hatte sich das lebendiger angefühlt als ihre Reisen in irgendwelche Schickimicki Hotels mit Rundumservice.

Von ihrem alten Leben war praktisch nur noch der Dänemarkurlaub geblieben und selbst der löste sich nun in seine Bestandteile auf. Vermutlich fand er im nächsten Jahr gar nicht mehr statt. Es waren ja kaum noch Leute übrig.

Je länger er dasaß und je mehr leere Bierflaschen auf dem Tisch standen, desto verworrener wurden seine Gedanken. Als er schließlich ins Bett fiel, schlief er sofort ein.


Am nächsten Morgen arbeitete in seinem Schädel ein Presslufthammer. Stöhnend zog er sich die Decke über den Kopf, um die grelle Morgensonne auszuschließen. In der Nacht hatte er vergessen, die Jalousien herunterzulassen. Langsam sickerte in seinen Verstand, dass er sich allein in der Wohnung befand. Scheiß Alkohol. Für ein kurzes Vergessen okay, doch auf Dauer keine Lösung.

Mit einer heißen Dusche entfernte er die meisten Spinnweben aus seinem Kopf, den Rest mit einer tüchtigen Dosis Koffein, die er auf der Terrasse einnahm. Erneut kam er sich dabei total verloren vor. Allein hatte er noch nie dort gesessen, sondern immer mit Frederick. Was für eine Scheißidee, diese Sache mit der offenen Beziehung. Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

Im Laufe des Vormittags begriff er, dass er eigentlich nur eines wollte: Mit Frederick über ihr Verhältnis reden. Ganz sachlich und ohne Anschuldigungen. Anstatt jedoch den Weg zu wählen, das einfach zu tun, war er den der Provokation gegangen. Irgendwie hatte er wohl gehofft, Frederick dadurch aus dem Schneckenhaus zu locken. Tja, dumm gelaufen. Er hatte Frederick nur tiefer in die Windungen getrieben.

Die Wände ihrer gemeinsamen Wohnung schienen ihn immer mehr zu erdrücken. Andi suchte sein Heil in der Flucht: Er packte seine Schwimmsachen ein und radelte zum Bredenbeker Teich. Auf der zwanzigminütigen Fahrt stellte sich Erleichterung ein, der Enge zu entkommen. Am Teich, der hauptsächlich von Familien belagert wurde, suchte er sich ein ruhiges Plätzchen, um seine Decke auszubreiten. Es tat gut, im Schatten zu liegen und in die Baumkronen zu gucken.

Zweimal wagte er sich ins kalte Nass, las ein bisschen und gönnte sich zum Abschluss ein Wassereis. Nachdem er es aufgegessen hatte, sammelte er seine Sachen ein und brach auf. Er radelte langsamer als auf der Hinfahrt. Die Stunden im Freien hatten bewirkt, etwas zur Ruhe zu kommen. Er entschied, nach seiner Rückkehr Frederick anzurufen und um ein klärendes Gespräch zu bitten. In diesem Schwebezustand wollte er keine Minute länger verbringen. Entweder sie vollzogen einen klaren Bruch oder kamen überein, ihre Beziehung zu retten.


2.

Fredericks Eltern ergriffen natürlich Andis Partei. Die beiden waren total in seinen Partner vernarrt und lebten in der ständigen Angst, dass sie sich trennen könnten. Eine Folge seiner umtriebigen Jugend, in der er die Männer wie seine Unterhosen gewechselt hatte. In jener Zeit war seine Mutter vor Sorge, Frederick könnte sich HIV aufsacken, außer sich gewesen. Als er Andi mit nach Hause brachte und als seinen festen Freund vorstellte, hatte sie ihn also sofort adoptiert.

Selbstverständlich wussten die beiden nichts von dieser Offene-Beziehungs-Sache. Es hätte sie nur verwirrt. Er hatte behauptet, bloß ein bisschen Zoff mit Andi zu haben, was ja der Wahrheit ziemlich nahekam.

Länger als eine Nacht hielt er ihre Fürsorglichkeit nicht aus, außerdem zog es ihn zurück zu Andi. Sie mussten unbedingt reden. Das war ihm klar geworden, als er stundenlang wach gelegen hatte. Es steckte ein Körnchen Wahrheit in Andis Vorwurf, mit ihrer Partnerschaft unzufrieden zu sein. Eigentlich ging es ihm genauso, doch das hatte er verdrängt, so, wie er stets Unangenehmes ganz weit von sich schob. Da war zum einen ihr Bettsport, der diesen Namen nicht mehr verdiente, zum anderen ihre lähmende Routine. Seine Eltern würden das als eingespieltes Team bezeichnen, doch ihm fiel dazu bloß Langeweile ein.

Beim Frühstück wurde er erneut mit gut gemeinten Ratschlägen überhäuft. Hinterher packte er seine Sachen, verabschiedete sich von seinen Eltern und trat den Heimweg an. Ein bisschen trödelte er noch in der Lüneburger Altstadt herum, um den Moment des Wiedersehens aufzuschieben. Offiziell suchte er nach einem Mitbringsel für Andi. Schon krass, dass er sich sogar ständig selbst belog.

Bei seiner Ankunft zu Hause fand er die Wohnung verlassen vor. Enttäuscht leerte er seinen Koffer und stellte das Geschenk für Andi – ein Körbchen frische Erdbeeren – in die Küche. Anschließend suchte er nach Hinweisen, wo Andi stecken könnte, wobei er auf eine Batterie leerer Bierflaschen stieß. Normalerweise reichte eine Kiste einen ganzen Monat. Vorm Urlaub hatten sie eine neue besorgt, die nun nur noch zur Hälfte aus vollen Flaschen bestand. War das allein Andis Werk oder … oder jemand dabei behilflich gewesen?

Im Geschirrspüler befand sich nur Frühstücksgeschirr von einer Person. Das beruhigte Frederick etwas, zudem wies es darauf hin, dass Andi vorm Mittagessen aufgebrochen war. Im Fahrradkeller fehlte ein Rad. Also war Andi mit dem Drahtesel unterwegs, doch wohin?

Unruhig begann Frederick durch die Wohnung zu tigern. Wie Sherlock Holmes nahm er dabei jedes Detail unter die Lupe und stellte Schlussfolgerungen an. Die Fernbedienung für die Glotze lag in dem Fach unterm Couchtisch. Ergo hatte Andi, der sie stets auf dem Tisch liegen ließ, nicht ferngesehen. Im Schlafzimmer war nur eine Bettseite benutzt, im Bad bloß ein Handtuch feucht. Frederick kam sich ein bisschen schäbig vor, derart akribisch nach Indizien zu fahnden, die auf einen Seitensprung hinwiesen. Andererseits: Hatte er nicht jedes Recht, ein gewisses Misstrauen zu hegen? Schließlich wollte Andi mehr Freiheiten, was ja wohl Fremdvögeln einschloss.

Als er gegen halb fünf den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür hörte, atmete er auf, zugleich erfasste ihn Beklemmung. Was erwartete ihn? Er kauerte sich im Wohnzimmer auf die Couch und verkrampfte seine Hände im Schoß. Schritte im Flur. Schuhe polterten auf den Boden.

„Frederick?“, rief Andi und tauchte gleich darauf im Türrahmen auf, eine Tasche über der Schulter.

Die zerzausten Haare deuteten auf sportliche Aktivität hin. Kam man beim Radfahren derart ins Schwitzen, dass man wie frisch geduscht aussah? „Hi.“

„Ich war schwimmen. Wenn ich gewusst hätte, dass du zurückkommst, wäre ich gar nicht erst losgefahren.“

Ach so. Ein Bröckchen des großen Steins fiel ihm vom Herzen. „Tut mir leid. Ich hätte anrufen sollen.“

„Quatsch. Du wohnst hier und kannst kommen und gehen, wie es dir beliebt.“ Andi durchquerte den Raum, trat auf die Terrasse und hängte den Tascheninhalt zum Trocknen über die Stühle.

Wann war ihm zum letzten Mal Andis scharfer Hintern aufgefallen? Die sehnigen Beine mit dem dunklen Flaum an den Unterschenkeln, die aus der knielangen Shorts herausragten? Die lässige Art, sich zu bewegen? Das niedliche Naserümpfen, wenn Andi etwas nervte, wie gerade die Badeshorts, die von der Lehne rutschte? War er so blind geworden, das alles nicht mehr zu bemerken?

„Wie war’s bei deinen Eltern?“, erkundigte sich Andi beim Wiederhereinkommen und schob die Hände in die Hosentaschen.

„Grausam. Ich hab mir die ganze Zeit Vorwürfe anhören müssen.“

„Wieso? Ich bin doch der Böse.“

„Ich hab ihnen nur gesagt, dass wir ein bisschen Streit hatten.“

Andi seufzte, ließ sich neben ihm nieder und streckte die Beine aus. „Damit das klar ist: Ich will keine Trennung und das mit der offenen Beziehung auch nicht. Das war eine blöde Idee, um dich wachzurütteln.“

„Hättest du nicht etwas subtiler vorgehen können?“

„Ich und subtil? Sehr witzig.“

„Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt. Ich hatte Angst …“ Frederick atmete tief durch, da ihm Seelenstriptease unheimlich schwerfiel. „… Angst, dich zu verlieren.“

Aus dem Augenwinkel sah er zu Andi rüber, der betroffen guckte, nach seiner Hand tastete und sie fest umschloss. „Das wollte ich nicht.“

Der Körperkontakt war wohltuend. Ein weiteres Gesteinsbröckchen löste sich von seinem Herzen. Mit dem Daumen streichelte er über Andis Haut. „Ich kann dich ein bisschen verstehen. Mir ist auch aufgefallen, dass so einiges schiefläuft.“

„Was denn, zum Beispiel?“

„Na ja …“ Trotz des regen Sexuallebens in seiner Jugend, war darüber zu reden unheimlich schwierig. Wer gab schon gern zu, dass im Bett etwas nicht stimmte? „Wir haben schon eine Weile nicht mehr richtig miteinander geschlafen.“

Andi seufzte abermals. „Du meinst wohl eher, dass wir, ohne sonderlich großen Spaß daran, unser Pflichtprogramm erledigt haben.“

„Ähm … ja … so kann man es auch ausdrücken.“

„Ich bin dafür, Pizza zu bestellen“, wich Andi abrupt auf ein anderes Thema aus. „Oder bist du scharf darauf, auf unsere Dosenvorräte zurückzugreifen?“

„Nö. Dann doch lieber Pizza.“

„Okay. Ich hol mal eben das Notebook.“ Andi sprang auf, verließ das Zimmer, kam mit dem Computer in der Hand zurück und nahm wieder neben ihm Platz. „Gucken wir doch mal, was es bei Domino für neue Leckereien gibt.“

Die nächsten Minuten vergingen damit, über verschiedene Pizzabeläge zu beraten und die Bestellung abzuschicken. Bei der Gelegenheit fielen Frederick die Erdbeeren ein. Als Andi von der Homepage des Pizzalieferanten zu der eines E-Mail-Providers wechselte, nutzte er das, um in die Küche zu gehen. Flink wusch er die Früchte, entfernte die Stiele und überlegte, was man als Ersatz für Sahne nehmen könnte. Im Kühlschrank befand sich ein Fläschchen Schokosoße, die sie irgendwann mal für Eiscreme gekauft hatten. Sie war schon länger abgelaufen, schien aber noch okay zu sein.

„Wir waren schon ewig nicht mehr an der Nordsee“, rief Andi vom Wohnzimmer her.

„Ist dir entfallen, dass wir erst gestern von dort aufgebrochen sind?“, gab er zurück.

„Ich meine die deutsche Küste. Was hältst du von Friedrichskoog?“

Stirnrunzelnd packte er das benutzte Messer in die Geschirrspülmaschine und gesellte sich zu Andi, der eine Website dieses Ortes aufgerufen hatte. Deiche, Lämmer, Strandkörbe, und Watt.

„Das sieht nicht unbedingt nach Strandurlaub aus“, merkte er an.

„Wir liegen beide nicht gern am Strand herum. Stattdessen könnten wir mal wieder Fahrrad fahren, Muscheln sammeln, Minigolf spielen, Ausflüge machen.“

„Hm … okay.“

„Dein Jubel fällt sehr verhalten aus“, fand Andi etwas pikiert.

„Im Moment ist mir überhaupt nicht nach Wegfahren. Letzte Nacht hab ich kaum geschlafen.“

„Komm mal her.“ Flink stellte Andi das Notebook beiseite und zog ihn auf den Schoß.

Die Nähe fühlte sich gut an, dabei ein bisschen fremd. Schon merkwürdig, wenn man bedachte, dass sie seit zehn Jahren ein Paar waren. Konnten vierundzwanzig Stunden so viel verändern? Offenbar. Er hatte Andi von einer völlig neuen Seite kennengelernt, erstmals begriffen, dass sich Emotionen nicht wortlos übertrugen. Anfangs, in ihrer Verliebtheit, hatte das natürlich geklappt. Nein, das war falsch. Sie hatten sich bloß mehr miteinander beschäftigt und mit den Jahren vieles als selbstverständlich hingenommen.

Zärtlich kraulte Andi ihm durchs Haar, hauchte Küsse auf seine Schläfen. Die harmlosen Liebkosungen verursachten ihm einen wohligen Schauer. Frederick drehte den Kopf, um Andis Lippen für einen Kuss einzufangen, der sanft und ohne Zunge ausfiel. Noch war ihm nicht nach Leidenschaft, sondern nur Erschaffen von Vertrautheit zumute.

Andi roch nach Sommerluft, Seewasser und sehr maskulin. Kein Chlor? „Wo warst du denn schwimmen?“, fragte Frederick leise.

„Am Bredenbeker Teich. Weißt du noch, wie wir früher ab und zu nachts dort schwimmen waren?“

Sie hatten im Dunkeln nackt im See gebadet und hinterher … Das Läuten der Türglocke vertrieb seine Erinnerungen. Bedauernd erhob er sich von Andis Schoß und ging in den Flur, um den Pizzaboten hereinzulassen. Nachdem er Essen gegen Geld getauscht hatte, trug er die Kartons in die Küche, in der intensiver Erdbeerduft hing, um Servietten zu holen. Anschließend ging er ins Wohnzimmer, stellte seine Fracht auf dem Couchtisch ab und ließ sich neben Andi fallen.

Die ersten Viertel verschlang er voller Heißhunger. Ihm war sein Loch im Bauch gar nicht so bewusst gewesen. Ab dem vierten aß er langsamer. Als Andi ihm ein Viertel Salamipizza vor die Nase hielt, biss er davon ab und bot im Gegenzug etwas von seiner Schafskäsepizza an. Letztendlich teilten sie sich den Rest.

Sie hatten bezüglich Essen den gleichen Geschmack, wie auch in vielen anderen Dingen. Dafür gab es einige erhebliche Unterschiede, wie beispielsweise ihre Wohnsituation. Andi hatte für ein Haus plädiert und wollte gern einen Hund haben. Frederick scheute die Verantwortung und war für eine pflegeleichte Wohnung gewesen. Eigentlich kein Wunder, dass Andi unzufrieden war, da ständig, wie beispielsweise der Ordnungsfimmel, seine Befindlichkeiten berücksichtigt wurden. Bisher hatte er das nie aus diesem Blickwinkel betrachtet. Vielleicht war dazu gewisse Reife notwendig oder aber ein Schock, wie die verlangte Öffnung ihrer Beziehung.

Andi rieb sich den Bauch. „Das war lecker. Ich brauche jetzt einen Kaffee und eine Dusche.“

„Geh ruhig duschen. Ich kümmere mich um den Kaffee.“ Er sammelte die benutzten Servietten und Kartons ein, küsste Andi auf die Wange und begab sich in die Küche.

Während er ihren Hightech-Kaffeeautomaten in Betrieb setzte, fing nebenan Wasser an zu rauschen. Was sprach eigentlich dagegen, sich zu Andi zu gesellen? Also, mal abgesehen davon, dass er morgens bereits geduscht hatte? Im Grunde nichts, bis auf den Umstand, noch nicht bereit dafür zu sein. Normalerweise präsentierte er sich Andi gern nackt, doch irgendwie … irgendwie hatte alles eine andere Dimension gewonnen. So, als ob sie vor einer neuen Ära ständen. Nun galt es, behutsam vorzugehen, um die zarten Sprossen gedeihen zu lassen.

Frederick brachte den Kaffee ins Schlafzimmer. Behutsam beinhaltete ja nicht, gänzlich auf eine körperliche Annäherung zu verzichten. Außerdem platzierte er die Schale Erdbeeren mit der Schokosoße auf dem Nachtschrank. Die passten wunderbar zu der Kaffeespezialität mit aufgeschäumter Milch.


3.

In der Hoffnung, damit Begeisterung hervorzurufen, widmete sich Andi seiner Körperpflege. Das tat er sonst ebenfalls, doch diesmal mit besonderer Akribie. Erst als die Härchen im Schambereich und unter seinen Achseln akkurat auf fünf Millimeter getrimmt waren, gab er sich zufrieden. Außerdem verwendete er reichlich Duschgel und Shampoo.

Anschließend putzte er seine Zähne und stylte seine Haare, wie Frederick es liebte, nämlich sexy zerstrubbelt. Eigentlich war es eher ein Kein-Styling, da er sie dafür lediglich frottieren brauchte. Nach einem letzten kritischen Blick in den Spiegel verließ er das Bad, lediglich ein Handtuch um seine Hüften geschlungen. Vielleicht besaß dieser Aufzug die erwartete Wirkung.

Im Wohnzimmer herrschte gähnende Leere. Erstaunt ging er zur Küche, wobei ihm Kaffeeduft in die Nase stieg und ins Schlafzimmer lockte. Frederick saß auf dem Bett, bis zum Bauchnabel von einer Decke verhüllt. Auf dem Nachtschrank standen zwei Becher, eine Plastikflasche Schokoladensoße (wo kam die denn her?) und eine Schale Erdbeeren, deren aromatischer Duft mit dem des Kaffees konkurrierte.

Er ließ das Handtuch fallen, was ihm Fredericks volle Aufmerksamkeit bescherte. Na gut, die hatte er schon vorher gehabt, doch nun weiteten sich die hübschen braunen Augen. Also war seine Sorgfalt nicht umsonst gewesen. Mit einem zufriedenen Lächeln kroch er auf seine Bettseite, deckte sich ebenfalls zur Hälfte zu und verteilte den Kaffee.

Die Anschaffung des Automaten war Fredericks Idee. Lang hatte er sich gegen diese – wie er es nannte – sinnlose Investition gesträubt und behauptet, Filterkaffee mehr zu mögen. Tja. Inzwischen liebte er das Zeug aus dem Gerät. Insofern lohnte es sich, ab und zu von seiner vorgefassten Meinung abzurücken.

Genüsslich trank er ein paar Schlucke und spürte den belebenden Effekt des Koffeins. Na ja. Vielleicht lag es eher an Fredericks Nähe, dass sein Puls stieg. Aus dem Augenwinkel betrachtete er die schmale, glatte Brust mit den beiden himbeerähnlichen Knöpfchen. In all den Jahren hatte sich Frederick kaum verändert, bis auf ein paar winzige Falten im Gesicht. Seine Figur war immer noch überaus schlank, das Haar voll und sein Grinsen so keck wie am Anfang ihrer Beziehung.

„Die Erdbeeren stammen aus Lüneburg“, beendete Frederick das herrschende Schweigen.

„Dann schmecken sie bestimmt besonders gut.“ Er liebte das kleine Städtchen, in dem Fredericks Eltern wohnten.

„Ähm … sag mal … willst du immer noch ein eigenes Haus haben?“

„Ich bin mit der Wohnung zufrieden“, behauptete er, nicht in Stimmung für ein derartiges Gespräch.

„Okay. Lass uns morgen darüber reden. Meine Eltern möchten sich verkleinern und haben gefragt, ob wir ihre Hütte übernehmen wollen. Das nur schon mal vorangestellt.“

Anscheinend war Frederick generell nicht abgeneigt, wenn er den Tonfall richtig deutete. Trotzdem hatte er keine Lust, das Thema zu vertiefen. Er schnappte sich eine Erdbeere, biss die Spitze ab und hielt den Rest Frederick hin. Auf diese Weise verschwanden zwei weitere Früchte, wobei ihm ein verwegener Gedanke kam.

Er leerte seinen Becher, wartete, bis auch Frederick ausgetrunken hatte, und entsorgte beide auf dem Nachtschrank. Als Nächstes legte er eine Erdbeere in Fredericks Bauchnabel, schob die Decke ein bisschen beiseite und übergoss die Frucht mit ein paar Tropfen Schokoladensoße.

„Was wird das?“, erkundigte sich Frederick belustigt.

„Rutsch mal ein wenig tiefer“, bat er anstelle einer Erklärung, woraufhin sein Schatz vorsichtig gehorchte.

Zwei weitere Erdbeeren landeten auf Fredericks Brustwarzen, wieder mit Soße gekrönt. Anschließend machte sich Andi daran, seinen Nachtisch zu genießen, wobei ihn süße Seufzer begleiteten. Als er fertig war, stand Fredericks Schwanz wie eine eins. Das besaß hohen Aufforderungscharakter. Andi biss ein Stück der nächsten Erdbeere ab und klebte die andere Hälfte, mithilfe der Schokosoße, auf die Eichel. Desgleichen verfuhr er mit zwei weiteren Früchten, die er auf dem Schaft pappte, bevor er sich über das Dessert hermachte. Erneut wurde sein fleißiges Schlemmen mit einem Stöhnkonzert belohnt, zudem zuckte Fredericks Erektion bei jedem Zungenschlag. Ein wahrer Genuss für den Gaumen und seine Sinne.

Will auch“, stieß Frederick hervor, nachdem er fertig war.

In freudiger Erwartung streckte er sich aus. Ihm widerfuhr die gleiche Behandlung, doch ließ sich Frederick erheblich mehr Zeit. Je länger die emsige Zunge ihn bearbeitete, desto höher stieg seine Erregungskurve. Es war ewig her, dass sich Andi dermaßen im Sinnestaumel verloren hatte. Neben seiner köchelnden Lust empfand er tiefe Zuneigung für Frederick und lange vermisste Nähe. Sex konnte wirklich eine Brücke sein. Vielleicht half sie ihnen in eine neue Dimension.

„Lieb dich so“, flüsterte er, woraufhin Frederick Erdbeeren und Soße aus dem Bett verbannte und über seinen Mund herfiel.

Ihre ersten Küsse schmeckten zuckrig. Mit fortschreitendem Zungeneinsatz verlor sich der Schokoladengeschmack zugunsten Fredericks eigener Note. Drängend rieb sich sein Schatz an ihm und vollführte imitierte Fickbewegungen, die seine Libido anheizten. Schließlich, als sie beide keuchten und die Luft von Testosteron geschwängert war, fischte Frederick das Gleitgel aus der Nachtschrankschublade. Ein Batzen landete auf seinem Ständer. Danach verschloss Frederick erneut seine Lippen mit einem Kuss und machte sich zugleich für ihn bereit.

Im nächsten Moment wurde sein Schwanz hochgebogen. Langsam versank er in himmlisch heißer Enge, wobei er Frederick in die Augen sah. Es war, als ob sich sämtliche Grenzen auflösten. Sie wurden zu einer Einheit und begannen sich in perfekter Harmonie zu bewegen. Lange währte ihr bedächtiges Schaukeln jedoch nicht, dafür brannte die Flamme schon zu hoch. Er umfasste Fredericks Hüften und fing an, vehement nach oben zu stoßen. Sein Schatz hielt gegen, beide Hände auf seinen Brustkorb gestützt. Erregt lächelten sie einander zu.

Schweißtropfen perlten über Fredericks Schläfen und sammelten sich auf der Oberlippe. Andi spürte den salzigen Film ebenfalls, roch den verführerischen Duft. Das, zusammen mit ihren lauten Atemzügen und Gestöhne, trieb seine Lustkurve schlagartig in die Höhe. Sein Orgasmus schlug wie eine Flutwelle über ihm zusammen. Kurz tauchte er ab, sah bloß schwarzes Flimmern. Als die Woge ihn wieder freigab, erblickte er Fredericks in Ekstase verzerrte Miene. Melkende Darmwände pressten auch noch den letzten Tropfen aus ihm heraus.

Frederick sackte auf ihn herab und steckte die Nase in seine Halsbeuge. Er umschlang seinen Liebsten mit beiden Armen. Zufrieden seufzend kraulte er durch Fredericks Schopf.

„Liebst du mich auch noch?“, wollte er leise wissen.

„’türlich“, nuschelte Frederick an seinem Hals.

„Ein Glück. Hatte solche Angst, ich hätte es vermasselt.“

Frederick hob den Kopf und grinste auf ihn runter. „Du wirst mich nicht so schnell los. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.“

Ein sanfter Kuss besiegelte ihr neues-altes Verhältnis. Anschließend stieg Frederick von ihm runter, schmiegte sich an seine Seite und legte ihm einen Arm um die Taille.

„Bin total fertig. Ich schlaf ’ne Runde und dann treiben wir’s noch mal.“

Lächelnd küsste er Frederick, der bereits die Augen geschlossen hatte, auf die Nasenspitze. Was für ein hinreißendes Großmaul.


Am nächsten Morgen machten sie erneut Liebe, allerdings auf die träge, verschlafene Art. Danach gab’s ein ausgedehntes Frühstück, bei dem sie beschlossen, einige Tage nach Friedrichskoog zu fahren. Frederick war der Meinung, dass sie außerhalb ihrer gewohnten vier Wände unvoreingenommener über ihre Zukunft reden konnten. Dem stimmte Andi uneingeschränkt zu. Im Grunde hatte er das ja schon bei seinem ersten Vorstoß so gehalten. Tja. Manchmal brauchte es eben mehrere Anläufe, um zum Ziel zu kommen.

Er war nun guter Hoffnung, dass sie einen Konsens fanden. Erdbeeren mit Schokosoße schienen eine magische Wirkung zu besitzen. Na ja. Wahrscheinlich interpretierte er zu viel hinein, doch falls ihre Beziehung je wieder in Schieflage geriet, würde er es erneut ausprobieren.


4.

Plan hin oder her: In Friedrichskoog während der Hauptsaison eine Unterkunft zu ergattern, stellte sich als schwierig heraus. Letztendlich hatten sie bei der Kurverwaltung Glück, die ihnen eine Ferienwohnung für sechs Personen anbot. Die ursprünglichen Gäste waren kurzfristig abgesprungen. Andi stellte Verhandlungsgeschick unter Beweis und drückte den Preis auf die Hälfte. Vermutlich wäre sogar noch mehr Rabatt drin gewesen, da die Vermieter bestimmt so schnell keinen anderen Ersatz fanden. Frederick war das egal. Er fand es wichtiger, ihr Vorhaben umzusetzen, als auf den Cent zu gucken.

Gegen zwei packten sie ihre Sachen, brachen auf und trafen gegen fünf in Friedrichskoog ein. Ihre Ferienwohnung lag in der Nähe des Rugenorter Lochs, dem Hafen des Ortes. Na ja, eine hochtrabende Bezeichnung für eine Art Stichkanal, der bei Hochwasser Zugang zur Nordsee bot.

Das Domizil befand sich im Erdgeschoss eines Acht-Parteien-Hauses und verfügte über eine geschützte Terrasse mit Blick auf das nächste Gebäude. Man konnte eben nicht alles haben. Die Einrichtung war gemütlich und natürlich reichlich Platz vorhanden.

Nachdem sie ihre Koffer geleert hatten, schlug Andi einen Bummel vor. Hand in Hand schlenderten sie durch die Ortschaft, kamen an einigen Restaurants vorbei und beäugten neugierig einen riesigen Walfisch, der einen Indoorspielpark beinhaltete. Die meisten Passanten nahmen keine Notiz von ihnen, waren vollauf mit dem Nachwuchs beschäftigt. Nur einige Leute machten angesichts ihrer verbundenen Hände grimmige Mienen.

„Ich hätte gern Fisch zum Abendbrot“, meldete Andi an, als sie den Rückweg antraten.

„Das deute ich mal als Ansage, dass wir irgendwo einkehren.“

„Richtig. Oder willst du selbst welchen fangen und braten?“

„Hab meine Angel zu Hause gelassen“, erwiderte Frederick und wies auf das Schild eines Fischrestaurants. „Was hältst du von dem Schuppen da?“

Das Innere des Lokals war nüchtern ausgestattet. Holztische für je vier Personen standen im hell gefliesten Raum verteilt. Es glich eher einem Imbiss als Restaurant, doch zur Nahrungsaufnahme reichte das vollauf.

Andi bestellte eine Kutterscholle, er das Fischfilet und dazu baten sie beide um ein Pils. Als der Kellner die Getränke gebracht hatte, lenkte Frederick das Gespräch auf ihre Wohnsituation.

„Hast du inzwischen mal über den Vorschlag meiner Eltern nachgedacht?“

„Mhm. Gefällt mir eigentlich ganz gut.“ Andi prostete ihm zu. „Und wie denkst du darüber?“

Er hob ebenfalls sein Glas, stieß mit Andi an und nahm einen Schluck. „Generell positiv. Wir arbeiten beide in der Innenstadt, womit die Entfernung fast die gleiche bliebe. Einziger Unterschied: Wir könnten die Bahn nehmen, anstatt mit dem Auto im Stau zu stehen.“

„Und wo ziehen deine Eltern hin?“, wollte Andi wissen.

„Sie haben ganz in der Nähe des Hauses eine kleine Wohnung gefunden.“

„Also ist die Sache praktisch schon beschlossen?“

„Dass sie umziehen, ja. Ob wir das Haus übernehmen, nein. Sofern wir uns dagegen entscheiden, wird es verkauft.“ Was Frederick gar nicht gefallen würde. Fremde Leute in seinem Elternhaus!

„Wie stellst du dir das mit der Finanzierung vor? Die Hütte kostet doch bestimmt weitaus mehr, als unsere Wohnung einbringt.“

„Natürlich knöpfen meine Eltern uns weitaus weniger als den Marktwert ab. Meine Hälfte bekomme ich geschenkt und den Rest schaffen wir locker.“

„Das klingt zu schön, um wahr zu sein.“

„Lass uns nächste Woche hinfahren und mit meinen Eltern reden. Sie haben eh schon nach dir gefragt. Mutti möchte für uns Spargel kochen und zum Nachtisch gibt’s Erdbeeren mit Schlagsahne.“

„Mhm. Erdbeeren.“ Andi feixte und strich mit den Zehen über seine Wade.

„Oh Mann! Lass das! Ich krieg sonst Atemnot in der Hose.“

Während der restlichen Wartezeit aufs Essen und beim Speisen drehte sich ihr Gespräch weiter um das Haus. Es handelte sich um eine ältere Immobilie mit großem Garten. Neben den Erwerbskosten sollten sie auf jeden Fall Geld für einige Sanierungsmaßnahmen einplanen, da die Heizung älteren Semesters war. Außerdem wollten sie natürlich etliches modernisieren, angefangen bei den alten Heizkörpern. Zu tun hatten sie damit für die nächsten Jahre genug. Allerdings waren sie sich einig, die Sache langsam anzugehen.

Andi übernahm die Rechnung, woraufhin Frederick auf dem Heimweg spottete: „Du denkst aber nicht, dass du mich ins Bett bekommst, nur weil du mich zum Essen eingeladen hast, oder?“

„Genau deshalb hab ich bezahlt“, tat Andi entrüstet. „Bist du etwa ein Schwanzfopper?“

„Auf jeden Fall bin ich nicht so billig!“

„Billig? Ich hab fast fünfzig Euro ausgegeben!“

Auf diese Weise ging es weiter, bis sie ihr Domizil erreicht hatten. Auch in der Wohnung setzten sie das Spiel fort, wobei sie einander ins Schlafzimmer drängten. Das Ganze endete auf dem Bett, wo Frederick klein beigab und sich liebevoll um Andis Schwanz kümmerte. Nicht, um sich für das Essen zu revanchieren, sondern aus reiner Lust und Liebe.

Die ersten Schritte waren getan. Es konnte nur noch bergauf gehen.


ENDE


Reformkost heilt Herzen

Das Reformhaus Zankapfel war Jannis‘ neuer Lieblingsladen. Seit er wusste, dass er HIV-positiv war, ernährte er sich gesund und kaufte fast ausschließlich Bionahrung. Ob das sein Leben verlängern würde war nicht klar, aber es gab ihm ein gutes Gefühl.

Vor über einem Jahr hatte er die Diagnose bei einem Routinecheck bekommen. Woher er das Virus hatte, ahnte er. Da war diese eine Nacht im Vollrausch und drei Typen, die sich seiner angenommen hatten. Am nächsten Morgen war er auf einer siffigen Matratze aufgewacht und die drei Kerle lagen um ihn herum. Er konnte sich an nichts erinnern, war abgehauen und hatte einfach gehofft, dass nichts passiert war. Sein Hintern brannte zwar, doch es floss kein Sperma heraus. Im Nachhinein schimpfte er sich natürlich einen Dummkopf. Warum war er nicht gleich in die Notfallambulanz gegangen?

Es hatte lange gebraucht, bis er mit den Selbstvorwürfen leben konnte. Inzwischen besuchte er eine HIV-Selbsthilfegruppe und fand dort Halt und Trost. Die anderen Mitglieder waren zu seiner Familie geworden, da sich die eigene schon nach seinem Outing abgewandt hatte. Da es sonst kaum jemandem in seinem Leben gab, waren die Treffen sein Lichtblick. Ob er jemals wieder einen Mann an sich heranlassen würde, wusste er noch nicht. Alles war anders, seit das Virus sein Dasein bestimmte.

Er hatte mittels Tabletten die Viruslast senken können. Der Anfang war schrecklich gewesen, da ihm niemand zur Seite stand, wenn er sich die Seele aus dem Leib kotzte. Irgendwie war er dadurch härter geworden. Manchmal glaubte er sogar, ein wenig mehr zu seiner eigenen Mitte gefunden zu haben. Die Unruhe, die ihn sonst in Clubs getrieben hatte, war verschwunden. Er war zufrieden, wenn er auf seinem Balkon sitzen und ein gutes Buch lesen konnte. Alles hatte im Schatten der Infektion eine andere Dimension angenommen. Sogar das Essen.



„Kann ich Ihnen helfen?“

Jannis zuckte zusammen. Er war gerade ganz in die Auswahl von Kernen vertieft gewesen, sodass er gar nicht gemerkt hatte, dass jemand neben ihn getreten war.

„Oh! Störe ich Ihre Meditation?“

Die Stimme klang tief und warm. Jannis drehte den Kopf und sah in braune Augen. Dunkelbraun, wie Kaffeelikör.

„Meditieren hier Leute über den Produkten?“, fragte er erstaunt.

„Oh ja! Gerade hat eine alte Dame vor dem Kühlregal gebetet und oft kommt eine junge Frau, die sich beim Anblick der Biokartoffeln in Trance steigert. Dann betastet sie eine Knolle nach der anderen, bis sie die richtigen gefunden hat.“

„Ist nicht wahr?“ Jannis musste grinsen.

„Okay. Ich übertreibe“, relativierte der Mann, an dessen weißem Kittel ein Schild ihn als B. Zanker auswies. Also wohl den Inhaber des Ladens.

„Ich brauche was für meinen Salat. Kürbiskerne oder lieber Sonnenblumenkerne?“, sinnierte Jannis. „Ach, ich werde mal die Schwingungen aufnehmen und danach entscheiden.“ Er streckte beide Hände aus, ließ sie in geringem Abstand über den Tütchen schweben, kniff die Augen zu und summte leise.

„Pinienkerne sind lecker und gerade im Angebot“, unterbrach ihn B. Zanker.

„Die senden aber kein Signal aus.“ Jannis feixte.

„Strahlungsarme Ware“, meinte der Ladenbesitzer trocken.

„Gekauft.“ Er schnappte sich eine Tüte, warf sie in sein Einkaufskörbchen und folgte dem Mann zur Kasse. Während B. Zanker gewissenhaft die Waren einscannte, musterte Jannis ihn genauer. Ihm fielen, neben den traumhaften Augen, die schön geschwungenen Lippen auf. Die Nase war recht groß geraten, passte aber zu dem insgesamt recht herben Gesicht. Es war das erste Mal seit der Diagnose, dass er so etwas wie Interesse für einen Mann hegte. Der Kerl bestach jedoch nicht nur durch sein Äußeres, es war vor allem sein Humor, der Jannis ansprach.

„15 Euro 95“, sagte der Mann und guckte hoch.

Ertappt schlug Jannis die Augen nieder, holte seine Geldbörse hervor und legte einen blauen Schein auf den Tresen.

„Darf ich Ihnen eine Kostprobe meines frisch zubereiteten Sommersalats mit Pinienkernen anbieten?“, fragte B. Zanker, während er das Wechselgeld zusammensuchte. „Ich plane, eine kleine Auswahl von Speisen als Mittagstisch anzubieten und suche noch Probanden, die meine Kochkünste testen.“

„Wird das gefährlich?“, erkundigte Jannis sich misstrauisch.

„Geht so.“ Der Mann wiegte den Kopf, schob ihm ein paar Münzen zu und lächelte verschmitzt. „Wenn ich meinen berühmten Feuertopf koche, könnte es schon etwas … brenzlig werden.“

„Das Angebot mit dem Salat nehme ich an. Was weitere Experimente angeht: Ich bin mutig.“

„Wunderbar.“ Jannis‘ Gegenüber lächelte noch breiter. Nach einem kurzen Rundumblick verschwand er durch eine Tür hinter dem Tresen und kehrte gleich darauf mit einem Schälchen, sowie Besteck zurück. „Vorn am Fenster habe ich ein paar Bistrotische aufgebaut. Dort können Sie in Ruhe essen.“

Jannis hatte unterdessen die Einkäufe in seinem Rucksack verstaut und das Wechselgeld eingesteckt. Nachdem er die Tasche geschultert hatte, nahm er Salat und Gabel entgegen. Mit einem gemurmelten ‚danke‘ verzog er sich in den vorderen Ladenbereich. Erst jetzt fielen ihm die Tische und Stühle vor dem bodentiefen Schaufenster auf. Er schwang sich auf einen der Hocker, schob sich eine Gabel voll Grünzeug in den Mund und kaute bedächtig. Der Salat war lecker, viel besser als das, was er selbst fabrizierte. Schnell hatte er die Schale geleert und wischte sich gerade mit einer Serviette über den Mund, als B. Zanker vor ihm erschien.

„Und?“

Die Beifall heischende Miene des Mannes brachte ihn zum Lachen. „Absolut fantastisch. Ich werde ihr Stammgast, sofern ich mir das leisten kann.“

„Für so nette Kunden wird sicher öfter eine Gratisportion herausspringen.“

„Dann sind wir im Geschäft“, sagte Jannis erfreut. „Ich arbeite hier gleich um die Ecke.“



Wenige Minuten später verließ er mit einem warmen Gefühl im Bauch den Laden. Sicher lag das nur an der Gratismahlzeit.



In der folgenden Woche suchte Jannis jeden Mittag das Reformhaus auf. Nach fünf Tagen war er mit Burghard Zanker per du, nach zehn Tagen verabredeten sie sich für den Abend in einer Kneipe.

Burghard hatte den Lila Leguan als Treffpunkt vorgeschlagen. Jannis kannte die Kneipe nicht, doch als er eintrat war ihm gleich klar, um was für eine Art Etablissement es sich handelte. Am Tresen knutschten zwei Männer, rechts an der Wand steckte ein Kerl seinem Partner die Zunge in den Hals. Es hielten sich zwar auch Frauen in dem Laden auf, aber sie waren deutlich in der Unterzahl. Hatte Burghard das gewusst und ihn absichtlich hierher gelotst? Bislang war er davon ausgegangen, dass der Mann hetero war. Jannis ging zum Tresen, setzte sich auf einen Hocker und bestellte Mineralwasser.

Kurz darauf traf Burghard ein. Jannis hatte die Tür im Auge behalten und winkte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ein wunderschönes Lächeln kräuselte Burghards Lippen, als er herbeischlenderte und auf dem Hocker neben ihm Platz nahm.

„Ich hoffe, du bist nicht schockiert“, sagte er leise. „Das hier soll keine platte Anmache sein. Mir ist nur keine andere Kneipe eingefallen.“

„Du bist öfter hier?“

„Mhm.“ Burghard nickte, wandte sich dem Tresenmann zu und bat um ein Alsterwasser.

„Bist du …?“

„Ja, ich bin schwul.“

„Okay. Wahrscheinlich weißt du es von mir schon“, murmelte Jannis, drehte verlegen das Glas in seinen Händen und betrachtete die aufsteigenden Bläschen.

„Ich hatte den Verdacht, ja. Wirklich wissen, nein.“

„Ist eigentlich auch egal, oder?“ Er sah auf und begegnete Burghards Blick.

„Sehe ich auch so. Allerdings … bin ich sehr froh“, gab der offen zu.

Jannis ging nicht darauf ein, machte sich aber seine Gedanken. Flirtete Burghard mit ihm? Wollte er mehr als nur Freundschaft?

Der Abend verging wie im Flug. Sie teilten die Leidenschaft für Bücher und Kino, sodass es genug Gesprächsstoff gab. Zudem war da noch das Kochen. Als Jannis irgendwann auf die Uhr guckte, war es bereits nach zehn. Sie hatten drei Stunden geredet, ohne dass ihm das bewusst war.

„Ich muss los. Der Wecker klingelt morgen schon um sechs“, sagte er bedauernd.

„Oh! Meiner auch. Dann lass uns aufbrechen“, erwiderte Burghard sofort.



Bis zu der Stelle, an der Burghard seinen Wagen abgestellt hatte, gingen sie gemeinsam. Jannis besaß kein Auto, weshalb er mit der Bahn gekommen war. Verlegen standen sie einen Moment vor dem Golf, bis Burghard fragte: „Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Das ist bestimmt ein Umweg für dich“, wehrte Jannis ab.

„Wo wohnst du denn?“

Er nannte seine Adresse, woraufhin Burghard leise auflachte.

„Du wirst es nicht glauben, aber das liegt genau auf meinem Weg“, sagte er, öffnete den Wagen mittels Fernbedienung und hielt gentlemanlike eine Tür für Jannis auf. „Bitte steigen Sie ein. Und keine Sorge: Ich fahre so gut, wie ich koche.“

„Beruhigend“, nuschelte Jannis grinsend, kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.



Die Fahrt verlief schweigend. Irgendwie war der Gesprächsstoff ausgegangen. Jannis fühlte sich etwas mulmig, da er absichtlich seinen Zustand verschwieg. Andererseits … wieso sollte es Burghard interessieren, ob er positiv war oder nicht? Sie hatten sich bisher nicht einmal die Hand gegeben, daher bestand keinerlei Gefahr für eine Ansteckung. Natürlich wurde das Virus dadurch nicht übertragen, aber Jannis hatte oft genug erlebt, dass Menschen vor ihm zurückschreckten, wenn er offen mit seiner Infektion umging.

„Wir sind da“, verkündete Burghard, hielt an und wandte Jannis das Gesicht zu. „Das kostet … einen Kuss.“

Schreckstarr glotzte Jannis geradeaus. Er mochte Burghard. Er mochte ihn sogar sehr. Ein Kuss? Nur allzu gern würde er der Bitte folgen, doch was geschah danach? Würde Burghard mehr wollen? Er war noch nicht bereit. Angst krampfte seine Eingeweide zusammen.

„Tschuldige. Ich wollte dich nicht kompromittieren“, flüsterte Burghard. „Ich dachte nur … dass da etwas zwischen uns ist. Vergiss es einfach. Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, erwiderte Jannis unglücklich, stieg aus und schaute dem davonfahrenden Golf hinterher.



Nach diesem Abend ging er seltener ins Reformhaus. Der Umgang mit Burghard, der seine Enttäuschung nur schlecht verbergen konnte, fiel ihm schwer. Die Besuche ganz aufgeben konnte er jedoch nicht. Sie waren inzwischen ein fester Bestandteil seines Lebens geworden, genau wie der Besitzer des Ladens. Jannis begriff, dass er sich bereits tiefer auf den Mann eingelassen hatte, als er durfte. Aber … wieso durfte er eigentlich nicht? Hatte er nicht auch ein kleines Glück verdient?



Drei Wochen nach dem Kneipenbesuch stand er wieder am Tresen des Zankapfel und wartete ungeduldig darauf, dass er endlich an der Reihe war. Der Mittagstisch lief inzwischen hervorragend und lockte allerlei Bürovolk an. Wie immer überlegte er, welche der drei angebotenen Speisen er wählen sollte. Dabei gab er im Geiste seine Bestellung auf.

„Einmal die Grünkernsuppe, bitte. Ach ja, ich bin positiv, nur mal am Rande erwähnt.“

Das sagte er zum Glück nicht laut. Sicher würden alle anderen Kunden panisch den Laden verlassen, wenn sich ein infizierter Schwuler unter ihnen befand.

„Ich hätte gern die vegetarische Kartoffelsuppe“, sagte er daher lediglich, als er Burghard schließlich gegenüberstand. „Wenn möglich mit extra viel Petersilie“, fügte er hinzu.

„Gern“, antwortete dieser betont neutral. „Kein Tofuwürstchen dazu?“

Jannis schüttelte den Kopf. Es tat ihm weh, die tiefen Falten um Burghards Mundwinkel zu sehen. Vor dem besagten Abend waren diese noch nicht da gewesen, genau wie die dunklen Augenringe. Litt Burghard so sehr wegen ihm? Oder hatte er andere Sorgen?

„Macht 3 Euro 95“, sagte Burghard, der unterdessen mit einer Schale aus dem Hinterzimmer zurückgekehrt war.

Jannis zahlte, nahm das Schüsselchen und in eine Serviette gewickelte Besteck, trabte zu einem der Bistrotische und setzte sich hin. Sein Blick wanderte zurück zum Tresen, kreuzte kurz Burghards. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand einen Hieb in die Magengrube versetzt. Tiefe Sehnsucht spiegelte sich in den dunklen Augen. Verzagt wandte er sich der Suppe zu, wickelte den Löffel aus und begann zu essen. Der Appetit war ihm gründlich vergangen, nur der Hunger zwang ihn dazu, die Schale zu leeren.

Als er nach der Serviette griff, flatterte ein zusammengefalteter Zettel auf den Tisch. Jannis starrte einen Moment auf das Papier, wischte sich den Mund ab und wagte erneut einen Blick zum Tresen. Burghard bediente gerade Kundschaft. Seine Augen irrten zurück zu dem Brief. Er schnappte danach, stopfte ihn in die Hosentasche und verließ den Laden.



Erst abends traute er sich, den Zettel hervorzukramen und auseinanderzufalten. Die akkurate Handschrift passte irgendwie zu Burghard. Jannis schluckte schwer, strich das Papier glatt und las.

„Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun dürfen. Verzeihst du mir, bitte? Ich vermisse dich, unsere Gespräche. Unsere Freundschaft. Können wir bitte wieder Freunde sein? B.“

Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Das lag zum einen an den Tränen, die auf das Blatt tropften und die Tinte in blaue Flecken auflöste. Zum anderen daran, dass er haltlos schluchzte. Jannis‘ Herz schmerzte wie verrückt. Er vermisste Burghard ebenso sehr, wie dieser offenbar ihn. Was sollte er nur tun? Das Freundschaftsding versuchen?



Am nächsten Tag besuchte er das Reformhaus erst weit nach der Mittagszeit. Als Jannis den Laden betrat, befand sich lediglich eine alte Dame darin. Die Frau himmelte ein Regal mit Brotaufstrichen an und bemerkte ihn nicht einmal, als er an ihr vorbeilief. Zielstrebig steuerte er auf die Kasse zu. Burghard studierte gerade ein Formular, schaute jedoch auf, als Jannis den Tresen erreicht hatte.

„Ich … ich wollte fragen, ob du Lust hättest, heute Abend … ich könnte was kochen … natürlich nicht so gut wie du, aber … ich wäre auch gern dein Freund.“

Hallo? Was brabbelte er denn da? Jannis hielt den Atem an, beobachtete Burghards Reaktion und wurde mit einem erleichterten Lächeln belohnt.

„Du brauchst nicht kochen. Wäre nur schön, wenn wir ein bisschen quatschen könnten. Ich kann was mitbringen. Ist eh ganz schön viel über.“

„Echt? Auch von der …“ Jannis guckte zu der Schiefertafel, auf der die Speisekarte täglich aktualisiert wurde. „ … vegetarischen Hühnersuppe?“

„Vege-was?“ Burghards Blick schnellte zur Tafel. „Du brauchst eine Brille“, konstatierte er trocken. „Kürbissuppe, Feldsalat mit Croutons oder Grünkernauflauf. Ich sehe da keine Hühner.“

„Da war wohl der Wunsch Meister des Gedanken.“ Jannis seufzte übertrieben. „Was gäbe ich für Muttis Hühnerbrühe. Immer, wenn ich mal krank war, dann …“ Scheiße! Wo kam der Gedanke denn her? Und als nächstes würde er mit seinem Makel rausplatzen. Jannis riss sich zusammen. „Kürbissuppe, danach Auflauf?“, schlug er vor.

„Gute Zusammenstellung“, lobte Burghard und es schien, als wäre eine tonnenschwere Last von seinen Schultern genommen.

Jedenfalls kam es Jannis so vor. Das konnte natürlich auch daran liegen, dass ihm selbst gerade ein Stein vom Herzen fiel.

„Dann … heute Abend um sieben bei mir?“

„Ich werde pünktlich sein“, versprach Burghard.



War das übertrieben? Jannis betrachtete prüfend den Tisch. Sollte er die Kerze weglassen? Oder stattdessen die Kristallgläser gegen simple Wassergläser austauschen? War es angebracht, das gute Porzellan zu benutzen? Auf Stoffservietten hatte er verzichtet, dafür aber eine der guten Damasttischdecken seiner Mutter aufgelegt. Oh Mann! Er war so aufgeregt, als handele es sich um sein erstes Date, nicht um ein simples Treffen mit einem Freund. Platonischem Freund! Puh! Das konnte er sich noch so oft vorsagen, dennoch wollte es nicht in seinen Kopf. Er war verdammt scharf auf Burghard, sehnte sich nach ihm und … Ja, verflixt nochmal! Warum sollte er nicht ein kleines Stückchen Himmel kosten? Seine Durststrecke betrug mittlerweile mehr als 18 Monate.

Über ein Jahr ohne Sex, ohne Nähe. Ohne einen Mann. Ohne warme Haut an seiner und ohne Küsse. Bevor er Burghard getroffen hatte, war das nicht wichtig gewesen. Doch nun … Es erschien ihm, als wären seine Lebensgeister alle gleichzeitig erwacht. Als würde jede Faser seines Körpers einzig darauf ausgerichtet sein, genau diesen einen Mann berühren, schmecken, riechen zu dürfen.

Er war echt am Arsch. Das Freundschaftsding würde niemals funktionieren. Es läutete an der Tür.



„Das war total lecker.“ Jannis hatte keine Ahnung, was er gerade in sich reingestopft hatte.

„Freut mich.“ Burghard legte sein Besteck auf den Teller und lächelte.

„Ich … willst du auch einen Kaffee?“

„Danke. Gern.“

Jannis sammelte die Teller ein, lief in die Küche und stellte das Geschirr ab. Für einen Moment starrte er ins Leere. Es lief schief. Sie hatten geschwiegen, kaum ein Wort gewechselt und das würde sich auch nicht ändern. Jegliche Leichtigkeit fehlte und das war seine Schuld. Warum nur tat er nicht den entscheidenden Schritt, verriet sein Geheimnis und lebte mit den Folgen?

Klare Frage, klare Antwort: Er wollte nicht, dass Burghard unter fadenscheinigem Vorwand verschwand. Dann lieber weiter das Spiel spielen, dafür nicht allein sein. Jedenfalls nicht in seiner Wohnung. Allein war Jannis ohnehin, mit seinem Gewissen und dem verdammten Virus. Er füllte zwei Tassen mit Kaffee und trug sie ins Wohnzimmer.

„Schöne Wohnung“, sagte Burghard.

„Danke.“ Jannis plumpste auf seinen Stuhl und starrte auf die Tischdecke.

„Ich bin sehr froh, dass du mir verziehen hast.“

„Es gibt nichts zu verzeihen, nur dass ich nicht darauf eingegangen bin.“ Er hatte keine Ahnung, wo die Worte plötzlich herkamen. Das folgende Schweigen wog schwer. Jannis schluckte, sah rüber zu Burghard und sein Herz verbrannte in dessen sehnsüchtigem Blick.

„Also … willst du mich küssen?“

„Mhm.“ Er nickte, glotzte wieder auf den Tisch und knotete die Finger zusammen.

„Warum tun wir es dann nicht?“



Kurz darauf lagen sie auf dem schmalen Sofa. Jannis‘ kaum noch vorhandener Widerstand schmolz unter Burghards Lippen dahin. Seine neugierigen Finger hatten sich einen Weg zu nackter Haut gesucht und erkundeten diese voller Gier. Jede Berührung wurde mit einem Stöhnen belohnt. Er konnte gar nicht genug von Burghards Zärtlichkeit und Leidenschaft bekommen.

„Ich möchte mit dir schlafen“, gestand Burghard heiser.

Wie könnte er dazu nein sagen? Er wünschte sich das doch auch. Außerdem würden sie Kondome benutzen. Jannis kletterte von der Couch, reichte Burghard eine Hand und zog ihn hinter sich her zum Schlafzimmer.

Gegenseitig befreiten sie sich von den Klamotten. Jannis wurde mit einem Schubs auf die Matratze befördert, landete auf dem Rücken und Burghard kniete sich neben ihn. Er schnappte sich ein Kondom vom Nachtschrank. Jannis wusste, dass er jetzt besser etwas sagen sollte. Doch irgendwie … Er wollte es einfach zu sehr, war ausgehungert und auch ein bisschen verliebt.

„Oben oder unten?“ Burghard lächelte unglaublich sexy.

„Egal“, flüsterte er und kämpfte mit seinem schlechten Gewissen. Wenn er Burghard nicht vorher informierte, würde er es hinterher auch nicht tun können, sonst verteufelte ihn der Mann und das zu recht. Er sollte langsam wirklich mit dem Reden anfangen. Wenn er doch nur nicht so scharf wäre.

„Jannis? Ich … ich muss dir noch was sagen und vielleicht möchtest du danach gar nicht mehr.“ Er sah, wie Burghard tief Luft schöpfte und die Augen schloss. „Ich bin positiv. Ich kann verstehen, wenn du jetzt nicht mehr willst. Tut mir leid. Ich hätte eher etwas sagen sollen.“

Für einen Moment war Jannis vor Überraschung wie versteinert. Anscheinend fasste Burghard das als Ablehnung auf, denn er legte das Kondom weg und rutschte zur Bettkante. Bevor er jedoch aufstehen konnte, bekam Jannis seinen Arm zu fassen.

„Bleib! Ich muss dir auch etwas gestehen.“

Zögerlich legte Burghard sich wieder hin und guckte ihn aufmerksam an.

„Das war unheimlich mutig von dir und ich schäme mich, dass ich noch nichts gesagt habe. Ich …“ Jannis stockte und musste schwer schlucken, da ihm sonst die Tränen gekommen wären. „Ich bin auch positiv. Wahrscheinlich hast du nun keine Lust mehr, wo ich doch so ein mieser, verlogener Idiot bin.“

„Ich glaub’s nicht“, murmelte Burghard. „Ich glaub das einfach nicht!“, wiederholte er lauter, stand auf und stemmte die Hände in die Seiten. „Wann wolltest du mir das sagen? Hinterher? Gar nicht?“ Er schnaubte, rannte aus dem Zimmer und kam gleich wieder rein gelaufen. „Wie konntest du mir das verschweigen?“, fauchte er, baute sich vor dem Bett auf und stierte Jannis an. „Ich meine … wir sind doch Freunde.“

„Aber du hast doch auch nicht …“, flüsterte Jannis, in dessen Augen nun doch Tränen schwammen.

„Das ist doch etwas ganz anderes“, behauptete Burghard.

„Ist es das?“ Ein salziger Tropfen kullerte über Jannis‘ Schläfe und versickerte in seinem Haar.

Burghards Miene wurde weicher. Er krabbelte auf die Matratze, kauerte sich neben Jannis und streichelte ihm mit den Fingerknöcheln über die Wange.

„Entschuldige. Ich hab mich nur so erschrocken. Bist du in Therapie?“

Jannis nickte.

„Wie lange bist du schon …?“ Burghard schmiegte sich an Jannis‘ Körper und schlang einen Arm um seine Mitte.

Mit leiser Stimme erzählte Jannis alles, von der Nacht im Suff bis hin zu den Treffen mit der Selbsthilfegruppe. Daraufhin erfuhr er Burghards Geschichte, der von seinem festen Partner infiziert worden war, nachdem dieser sich das Virus in einem Darkroom zugezogen hatte. Danach hatte Burghard sich getrennt und war inzwischen seit sieben Jahren solo. Mit jedem Satz wuchs die Vertrautheit. Jannis fühlte sich, als wäre eine schwere Last von seinen Schultern genommen. Er traute sich sogar, Burghard sanft zu küssen und stöhnte selig auf, als der Kuss erwidert wurde.

„Ich will dich immer noch. Ich bin total verknallt in dich“, gestand Burghard leise.

„Ich auch“, flüsterte er.

Das waren die letzten Worte, die für lange Zeit gesprochen wurden.



Zwei Wochen später saßen sie zusammen im Sprechzimmer von Jannis‘ Arzt und ließen sich beraten. Durften zwei positive Männer ungeschützten Verkehr haben? Bisher hatten sie Kondome benutzt, da die Verunsicherung groß war.

Ein paar Bedenken konnte der Fachmann ihnen nehmen. Da sowohl bei Jannis, als auch bei Burghard die Viruslast unter der Nachweisgrenze lag, war Sex ohne Gummi relativ ungefährlich. Sollte sich das jedoch ändern, mussten sie sich wieder schützen.

Als sie die Praxis verließen, fasste Jannis nach Burghards Hand und drückte sie fest. Ein ständiges Lächeln hatte sich in der letzten Zeit in seinen Mundwinkeln eingenistet. Er war nicht mehr allein.

„Weißt du, woran ich denke?“, raunte Burghard an seinem Ohr.

„Essen?“, riet Jannis.

„Nö. Es fängt mit S an und hört mit x auf.“

„Dann lass uns nach Hause.“

„Aber bitte schnell“, bat Burghard. „Und eins mal am Rande erwähnt.“ Er stoppte, zog Jannis in seine Arme und wisperte: „Ich liebe dich.“

Es störte sie überhaupt nicht, dass sie mitten auf dem Bürgersteig im Weg herumstanden, als sie sich lange küssten. In dem Universum von Liebenden ist kein Platz für derart profane Dinge.



ENDE



Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: depositphotos
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2013

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