„Wir müssen noch ungefähr einen Meter tiefer“, sagt Olli und ich glaube ihm.
Olli hat studiert und ist eben schlauer als ich, weshalb ich ihm blind vertraue. Apropos blind: Es ist dunkel hier.
„Reich mir mal die Lampe“, fordert mein Freund.
Ich reiche ihm die alte Nachttischleuchte, die wir für unser Vorhaben zweckentfremdet haben. Das Verlängerungskabel, das sonst lediglich beim Rasenmähen Verwendung findet, windet sich zu meinen Füssen in dem Moment, als Olli voranschreitet. Der Tunnel hat einen Durchmesser von ungefähr einem mal zwei Metern, wird alle drei Meter von einem Holzbalken unterstützt und reicht inzwischen bestimmt fünfzig Meter in die Erde hinein. Beginnen tut er im Keller meines Hauses, geht von dort beständig nach unten.
Wir haben uns mit Spitzhacke und Schaufel seit zwei Jahren bis hierhin gegraben und nun scheint das Ziel endlich nahe: Der Keller der Bundesbank. In Erwartung der Reichtümer haben Olli und ich geschuftet, jeden Tag ein bisschen, nun kribbelt die Vorfreude unter meiner Haut. Auf meiner Kopfhaut kribbelt es auch, dort scheinen sich wieder einmal ein paar Spinnentiere zu tummeln. Uah! Ich hasse das.
„Franz, gib mir mal die Spitzhacke“, kommt es von Olli.
Ich reiche ihm das Gerät und spinne dann weiter meinen Gedanken nach. Was wir mit dem Geld alles anfangen können. Ich wünsch mir ein Segelboot und eine Frau…
„Franz, träum nicht, nimm den Eimer“, ruft Olli.
Ich renne mit dem voll beladenen Eimer durch den Tunnel, erreiche den Keller, erklimme die Stufen ins Erdgeschoss und gehe in den Garten. Dort befindet sich ein Erdhaufen, der die Ausmaße eines kleinen Berges hat. Den Nachbarn habe ich erklärt, dass ich meinen Keller erweitere, was ja auch stimmt. Nachdem ich meine Last losgeworden bin, verschnaufe ich und gucke mich um. Wohin ich auch schaue, überall Häuser. Einige ragen fast bis zum Himmel, andere ducken sich dazwischen. Ich will hier weg, das hier erdrückt mich.
Zurück im Tunnel höre ich Olli schon aufgeregt rufen. Ich lege an Tempo zu und erreiche meinen hyperventilierenden Freund. Der hüpft auf und ab und singt dabei: „Wir sind du-hurch, wir sind…“
„Lass mal sehen.“ Ich zwänge mich an seinem dicken Bauch vorbei und gucke durch die schmale Lücke.
Was ich dort entdecke, lässt meinen Atem stillstehen…
„Ich zieh heute das Hawaiihemd an“, verkündet Olli, der gerade von der Arbeit kommt und schon vor Vorfreude breit grinst.
„Tu das“, murmele ich abwesend und versuche, mich zwischen einer Bermudashorts und einer Knickerbocker zu entscheiden.
„Ob die heute wieder so nett zu uns sind?“, fragt Olli und streift einen Blütenkranz über seinen Kopf.
„Klar, wir sind doch die einzigen Zuschauer“, erwidere ich und steige endlich in die Bermudas.
Tja, was haben Olli und ich dort entdeckt? Ich will niemanden im Ungewissen lassen: Es ist nicht die Bundesbank, die haben wir – nach Ollis Berechnungen – um etwa hundert Meter verpasst. Okay, mein Freund hat mir auch endlich gestanden, dass er lediglich auf Lehramt studiert hat, Sport und Religion, aber das ist ein anderes Thema.
Wir sind unter dieser Stadt auf die verlorengegangenen Quiz Shows der letzten Jahrzehnte gestoßen. Heute wird Rudi Carrell die ‚verflixte 7‘ moderieren und wir sind die einzigen Gäste. Ist das nicht toll? Wir durften auch schon mal Kandidaten sein und ich habe eine Küchenmaschine gewonnen. Jeden Abend gehen wir nun dorthin und es ist jedes Mal aufregend.
Leider gehen die Shows nur wenige Stunden, danach erlischt dort unten das Licht, dann müssen wir wieder nach Hause. Wo dann Rudi und Co. hingehen? Ich will darüber nicht mutmaßen…
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: Google by Sissi
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2013
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