Seit ein paar Wochen kaschiere ich meine Einsamkeit mit einer Sexhotline. Die tiefe Stimme von Dieter – der bestimmt nicht in echt diesen fürchterlichen Namen führt – bringt mich regelmäßig zum Abschuss und tröstet mich ein wenig über die eigene Faust, die während unserer Gespräche zu seiner wird.
Er hat mich süchtig gemacht, und inzwischen rufe ich ihn so oft an, dass mein Budget erheblich belastet wird. Es kann so nicht weitergehen, ich muss mir einen Partner beschaffen. Aber wie?
Heute sitze ich mal wieder in einer Vorlesung und lausche Professor Medler, während meine Augen über die Kommilitonen schweifen. Nein, nicht aus Langeweile, denn der Prof ist immer fesselnd mit seinen Vorträgen, einfach nur so. Mein Blick bleibt an einem großen Kerl kleben, dessen Schultern hängen und der im Ganzen den Eindruck macht, als wolle er sich verstecken. Der ist mir ja noch nie aufgefallen.
Nach Ende der Vorlesung drängle ich mich durch die Stuhlreihen und erreiche den Mann gerade noch, als dieser durch die Tür in den Gang hinausgeht. Mit hastigen, langen Schritten nähert er sich dem Ausgang, ohne nach links oder rechts zu schauen. Wieder hält er den Kopf gesenkt und dann ist er auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich stoppe und werde von hinten angerempelt.
„He“, pöbelt Nick, der Lover des Professors und zugleich Student, „Du stehst im Weg, halbe Portion.“
Er meint das nicht so, ich mag ihn. Schnell packe ich ihn am Ärmel und ziehe ihn zum Ausgang. Der Riese läuft in ein paar Metern Entfernung und ich zeige auf ihn.
„Wer ist das?“, frage ich Nick.
„Ach, das ist Daniel“, sagt er und grinst breit, „Der ist so schüchtern, dass er einem nicht Mal in die Augen gucken kann.“
Ich mag schüchtern, ich mag große Männer und ich finde diesen Kerl hübsch. Also: das Ziel ist da, jetzt muss ich nur noch…
„Dieter? Wie siehst du eigentlich aus?“, frage ich abends meinen Sexhotline Schatz.
Stille. Dann holt er tief Luft und beginnt.
„Ich bin groß und hab braune Haare“, murmelt er schleppend.
„Augenfarbe?“ Ich reibe dabei meinen Schwanz, weil mich sogar dieses Gespräch anturnt. Es ist Dieters Stimme…
„Blau“, nuschelt er.
„Witzig. Deine Beschreibung passt auf einen Mann, der heute in der Vorlesung saß“, sage ich leise.
„Aha“, kommt es von Dieter, dann schweigt er wieder.
„Äh, wollen wir weitermachen mit dem Blowjob?“, erkundige ich mich nach einer Weile.
„Oh, ja, entschuldige“, sagt er und ich höre, dass er tief einatmet.
Soll das bedeuten, dass er das hier nur mit großer Überwindung macht? Ich denke an Daniel, aber der würde niemals so geil mit mir reden, wenn er noch nicht einmal dem lieben Nick in die Augen…
„Ich lecke jetzt über deine Schwanzspitze“, raunt Dieter und ich kann es fast fühlen, so sexy klingt seine Stimme.
Am nächsten Tag passe ich Daniel rechtzeitig ab. Das ist schon ein Kunststück, denn er hat seine Logistik perfektioniert, so dass ich gezwungen bin meine ganzen Handlungen auf ihn abzustimmen. Ein Platz nahe der Tür, die Sachen fertig gepackt, noch bevor Medler fertig ist und dann geht es los. Daniel springt auf, ich auch. Er rennt zum Ausgang und ich bin direkt hinter ihm. Auf dem Gang packe ich ihn am Ärmel, was er zunächst ignoriert und mich wie ein lästiges Klammeräffchen hinter sich herzieht.
Erst an der Tür wird er meiner gewahr und wischt mit ärgerlicher Miene über seinen Ärmel, als wäre ich ein Insekt.
„Lass das“, zischt er und seine Stimme – wow – sie fährt mir sofort in die Genitalien.
Das hier ist niemand anders als Dieter – da brat mir doch einer einen Storch. Ich lass vor Erstaunen los und Daniel verschwindet rasch. Ich starre ihm hinterher.
„Hallo Dieter“, sage ich abends in den Telefonhörer, „Sag mal, studierst du auch?“
Schweigen, nur sein Atem dringt an mein Ohr, dann kommt ein verlegenes ‚Ja‘.
„Dann bist du – Daniel?“, rate ich einfach drauflos.
Nach sekundenlanger Stille wird die Leitung einfach unterbrochen. Sie ist für den Rest des Abends besetzt und ich könnte mir für meine Ungeschicklichkeit in den Hintern treten. War doch klar, dass sich der schüchterne Daniel sofort in sein Schneckenhaus zurückzieht. Und nun?
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2013
Alle Rechte vorbehalten