Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Text: Sissi Kaiserlos
Foto von shutterstock
Covergestaltung: Lars Rogmann
Eine Insel in der Nordsee. Wir waren schon oft dort, in einer kleinen Pension, die unweit der ‚Blauen Maus‘ in einer Nebenstraße liegt. Tante Elvira, die dort ein eisernes Regiment führt, ist älter geworden, ihr Mann auch.
Ihre Stammgäste haben inzwischen fast alle Kinder, die sich dem Schulalter nähern. Daher kommen diese nicht mehr so oft, aber dafür andere, liebenswerte Seelen. Es sind gerade die Männer, die auf Männer stehen, die es Elvira inzwischen besonders angetan haben. Allen voran natürlich Lars und Hannes, das sogenannte ‚Urpärchen‘, das den Stein ins Rollen gebracht hat. Diese beiden sind auch der Grund dafür, dass immer öfter alleinstehende Männer gerade in dieser Pension einkehren.
Wir gucken nach Amrum und sehen zwei einsame Kerle ankommen. Der eine heißt Lutz und hat vor, sich richtig zu erholen. Der andere ist Roman, der hofft, hier richtig die Sau rauslassen zu können. Was passiert, wenn zwei so unterschiedliche Wünsche aufeinanderprallen? Vor allem dann, wenn Lutz auf Kerle steht und Roman eine Frau nach der anderen aufreißt? Hm, wir werden sehen, und niemand ist echt überrascht, als Roman...seine schwule Seite entdeckt. Oder?
Ich beschatte die Augen mit einer Hand, um über die gleißende Meeresoberfläche blicken zu können. Die Sonnenstrahlen blenden von oben und unten. Es sieht einfach phantastisch aus. Möwen kreischen und üben den Sturzflug, um die Brocken, die ein paar der Passagiere ihnen zuwerfen, fangen zu können. Ich beobachte das Ganze und fühle eine tiefe Zufriedenheit in mir. Diese endlose Weite macht auch mein Herz ganz weit. Ich liebe es, bis zum Horizont schauen zu können.
Mein Name ist Lutz Schlachtermann, ich bin zurzeit Referendar an der Ludwig-Frahm-Grundschule in Hamburg. Bis zur vierten Klasse sind die lieben Kleinen noch zu ertragen, trotzdem ist es anstrengend zu unterrichten. Manchmal fühle ich mich, als würde ich ein Theaterstück vor unzufriedenem Publikum aufführen. Der Urlaub auf Amrum soll meine Batterien neu aufladen und mir Kraft geben, um den Alltag bis zu den Herbstferien überstehen zu können.
Außer mir sind nur Familien und Paare an Bord, so scheint es mir jedenfalls. Ich fühle mich dadurch schon ein wenig einsam, doch daran bin ich schon lange gewöhnt. Als Mann, der nicht auf Frauen steht, ist man eben Außenseiter. Ich propagiere mein Schwulsein nicht offen, verberge es aber auch nicht. Wer mich fragt, bekommt offene Antworten. Gut, nicht zu allem, aber ich versuche stets so ehrlich wie möglich die Neugierde Fremder zu befriedigen.
Am Horizont kristallisiert sich langsam die Silhouette von Amrum aus dem Dunst. Ich bin das erste Mal hier und gucke gespannt hin. Ein Strich, auf dem sich ein Streichholz erhebt, sicher der Leuchtturm. Das flirrende Licht macht es schwer, Genaueres zu erkennen. Ich beuge mich über das Geländer und zucke erschrocken zusammen, als neben mir überraschend eine kratzige Stimme ertönt.
„Hey, Süßer. Das erste Mal für dich?“
Ich drehe den Kopf und entdecke eine vollbusige Blondine, die sich kaugummikauend neben mir gegen das Geländer lehnt. Sie blinzelt mich unter langen Wimpern hervor an, eindeutig ein Flirtversuch.
„Ja, ich war noch nie hier“, antworte ich steif.
„Hm … kaum zu glauben. Obwohl … du wärest mir sicher aufgefallen.“ Blondie grinst und mustert mich abschätzend.
Was sie sieht, rechtfertigt – nach meiner Meinung – ihre Aussage nicht. Ich bin klein, nur eins siebenundsiebzig und unscheinbar. Meine Haare sind weder blond noch braun und ständig unordentlich und meine Augen ein wässriges Blau. Außerdem bin ich kein Muskelprotz, da ich mit meinem Kopf arbeite. Was also – bitteschön! – sieht diese Frau in mir?
„Ich finde dich sehr sexy“, sagt das Busenwunder.
Ich riskiere einen Blick in ihr Dekolleté, das sie mir offenherzig entgegenstreckt. Doppel-D lässt grüßen, nichts für mich. Mir schaudert leicht, trotz der warmen Luft.
„Danke“, murmele ich verlegen.
„Echt jetzt.“ Sie macht eine Blase mit dem Kaugummi, rosarot, und lacht, als sie platzt.
„Sehr schmeichelhaft. Du bist auch … sehr … äh…“ Ich überlege, was ich als Kompliment anbieten kann. „…hübsch.“
„Wow!“ Blondchen kichert. „Anscheinend bist du ganz schön verklemmt oder … sag mal, stehst du vielleicht nicht auf Frauen?“
Die Dame ist sehr selbstsicher. Normalerweise müsste sie sich fragen, warum ich gerade auf sie nicht stehe, aber offensichtlich kommt ihr das gar nicht in den Sinn.
„Wenn du mich so fragst: nein. Ich steh auf Männer“, gebe ich zu.
„Schade.“ Sie mustert mich kauend und grinst dann breit. „Ein Verlust für die Damenwelt.“
„Ich sehe das nicht so“, erwidere ich steif.
„Ach komm!“ Blondie schlägt mir kumpelhaft auf den Rücken. „Ich finde dich in Ordnung. Wo wohnst du denn auf Amrum?“
Mit schiefgelegtem Kopf guckt sie mich neugierig an.
„In so einer kleinen Pension in Wittdün. Soll nicht weit von dieser Kneipe sein.“
„Ah, bei Tante Elvira“, ruft Doppel-D laut und lacht kehlig. „War ja klar.“
„Wieso?“ Ich wende mich ihr jetzt ganz zu.
Die Blondine steckt in hautengen Jeans. Ihr Oberteil verdient den Namen kaum, dafür ist es zu klein. Es verdeckt nur das Notwendigste. Was das ist? Nun, es ist eine Art Schal, der links und rechts über ihre Brüste läuft, mehr nicht.
„Tante Elvira ist bekannt dafür, nur die schärfsten Hengste zu beherbergen“, klärt sie mich auf.
„Witzig. Dann bin ich wohl ein Fehlgriff“, sage ich mit einem unfrohen Lächeln.
„Oh Mann, du musst mal lockerer werden.“ Blondie blinzelt und dreht sich um. Über die Schulter ruft sie ein ‚man sieht sich auf der Insel‘, dann verschwindet sie zwischen den anderen Passagieren.
Ich atme auf und wende mich wieder der Aussicht zu. Amrum ist inzwischen deutlich zu erkennen. Ich betrachte die grösser werdenden Häuser und sauge die frische Luft tief in meine Lunge. Urlaub, zwei Wochen Zeit zum Lesen und ausspannen. Spazierengehen, gut essen und einfach mal die Seele baumeln lassen.
Mit dem Bus fahre ich vom Anleger bis zur ‚Blauen Maus‘, wo ich anhand der Anfahrtsskizze schnell den richtigen Weg finde. Meinen Koffer hinter mir herziehend, laufe ich durch eine kleine Seitenstraße gleich hinter der Kneipe und atme den Kiefernduft ein. Nach wenigen Metern biege ich links ab und finde mich vor der Pension wieder. Ein langgestrecktes Gebäude im Friesenstil, wahrscheinlich schon fast hundert Jahre alt, liegt vor mir. Der Garten wirkt gewollt verwildert. In den Beeten vor dem Haus blüht eine Vielfalt bunter Blumen, Bäume beschatten die Fenster. Ich entdecke einen Strandkorb, den ich mir gleich als Platz für nächtliche Sternbetrachtungen vormerke.
Langsam laufe ich auf die Haustür, die aufgestoßen wird bevor ich sie erreicht habe, zu. Eine kleine Frau mit grauen Löckchen und einem strahlenden Lächeln erscheint und wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab.
„Lutz Schlachtermann?“, ruft sie mir entgegen.
„Ja, der bin ich.“ Ich lächle die Dame an, ich kann gar nicht anders.
„Willkommen.“ Ich werde an einen mütterlichen Busen gedrückt und gleich darauf in einen dämmrigen Flur geschoben. „Ich bin Elvira. Dein Zimmer ist oben, geh schon mal die Treppe rauf, ich komm gleich nach.“
Die Begrüßung irritiert mich etwas, aber sie gefällt mir. Mein Freund Lars hat mir diese Pension ausdrücklich empfohlen. Ich weiß um die Dinge, die sich hier in der Vergangenheit abgespielt haben. Paare haben sich hier gefunden, auch Lars hat hier seine große Liebe entdeckt. Ob ich auch darauf aus bin? Klar, ich habe Hoffnung, aber natürlich ist es Unsinn, diese an einem Gebäude festzumachen.
Langsam steige ich die Stufen hinauf und bleibe in einem langen Gang stehen. Hier gibt es nur ein Fenster, das spärliches Licht hereinlässt.
„So!“ Elvira erscheint schnaufend hinter mir und öffnet eine Tür zu meiner Rechten. „Das ist dein Zimmer. Abendessen um sechs, Frühstück zwischen acht und zehn. Ich bin in der Küche, immer der Nase nach, wenn du Fragen hast.“
Die kleine Frau streicht mir sanft über den Arm, blinzelt und geht zurück zur Treppe. Dort bleibt sie stehen und überlegt kurz.
„Die Haustür ist immer offen“, sagt sie und lächelt mich an. „Ob du dein Zimmer abschließt bleibt dir überlassen, der Schlüssel steckt. Wir sind hier nicht ängstlich. Geklaut wird auch selten.“
„Okay, danke.“ Ich gucke zu, wie sie vorsichtig die Treppe hinabgeht.
Sie muss wohl fast siebzig sein, dem Grau ihrer Haare und den vielen Falten nach zu urteilen. Dennoch hat sie eine erfrischende Art, die sie jünger wirken lässt. Ich rolle den Koffer in das Zimmer und gucke mich um.
Rosen. Das ist das erste, was mich fast erschlägt. Beim zweiten Blick wird es besser. Ein breites Bett, ein Stuhl, ein Schreibtisch. An der Wand hängt ein großer Spiegel, daneben steht ein Schrank. Eine Tür gleich hinten neben dem Fenster scheint ins Bad zu führen. Ich schaue mich um, packe dann meinen Koffer aus und werfe einen Blick aus dem Fenster. Der Garten und die Straße sind von hier aus gut zu sehen. Ich habe noch eine halbe Stunde bis zum Abendessen und setze mich auf den Stuhl, um in Ruhe den Ausblick zu genießen.
Das Geräusch eines sich nähernden Motorrades höre ich schon von weitem. Das Dröhnen der schweren Maschine zerreißt die Stille und gleich darauf sehe ich, wie ein schwarzgekleideter Kerl das Ungetüm vor dem Grundstück abbremst. Unvermittelt erstirbt der Lärm, der Mann schwingt sich vom Sattel. Ein typischer Biker in Lederkluft, mit Sonnenbrille und Vollbart, beugt sich über die Maschine und löst die Satteltaschen. Er schultert sie und kommt mit federndem Gang auf das Haus zu. Ich zucke zurück, als er den Kopf hebt und die Front mustert. Ob er mich sehen kann?
Vorsichtig linse ich durch die Scheibe, aber der Kerl ist inzwischen wohl schon im Haus. Ich höre schwere Schritte auf der Treppe, dann Elviras helle Stimme. Zum Glück sind die Wände nicht so dünn, dass ich einzelne Worte verstehen kann. Eine Tür klappt, Stufen knarren, dann herrscht wieder Ruhe.
Was für ein Typ, sicher ein Rocker. Ich muss grinsen bei dem Gedanken. Wie ein Hells Angel sieht er nun nicht aus, aber ganz schön verwegen. Sinnend betrachte ich das Motorrad und stelle mir vor, wie sich das Ding zwischen meinen Schenkeln anfühlen würde. Ich habe einen Führerschein für Zweiräder, mich bisher aber nur auf kleinere Maschinen gewagt. Dieses Ding dort draußen reizt mich irgendwie.
Um Punkt sechs Uhr verlasse ich mein Zimmer und laufe hinunter in den Flur. Der Nase nach orientiere ich mich nach links, wo ich nach wenigen Metern die Küche finde. Elvira steht am Herd, auf der Eckbank sitzt ein wettergegerbter Kerl, der eine kalte Pfeife im Mundwinkel hängen hat.
„Ah, Lutz!“, ruft meine Wirtin, dreht sich um und mustert mich lächelnd. „Bringst du bitte die Teller in die gute Stube?“
„Moin“, grüße ich den Mann, der mit einem stummen Kopfnicken antwortet, nehme den Stapel Geschirr hoch und folge Elvira durch den Flur.
Sie öffnet eine Tür und stellt die Terrine, die sie vor sich hergetragen hat, auf einen großen Esstisch. Auch hier dominieren Rosen den Raum. Ich verteile die Teller, vier an der Zahl und helfe, Besteck und Gläser herbeizuschaffen. Währenddessen taucht ein älteres Ehepaar auf, das sich mir als Fritz und Wilma vorstellt. Als letztes erscheint der Motorradfahrer, jetzt in Jeans und weißem T-Shirt.
„Hey, ich bin Roman“, sagt er in die Runde und setzt sich an den Tisch.
Aus der Nähe sieht er noch verwegener aus, als ich mir vorgestellt habe. Seine Augen sind sehr dunkel und die Haare reichen ihm bis zu den Schultern. Immer wieder streicht er sie mit einer coolen Geste aus dem Gesicht. Es wirkt einstudiert. Der Vollbart ist sorgfältig getrimmt, sodass ich seine Lippen gut sehen kann. Ein schöner Mund. Überhaupt ist der Kerl wahnsinnig attraktiv. Seine gerade Nase und die schmalen Wangen wirken fast aristokratisch, aber ich gerate hier ins Schwärmen und sollte mich lieber dem Essen widmen.
„Sie wollen sicher in die ‚Blaue Maus‘ heute Nacht?“, nimmt Fritz das Gespräch auf.
„Klar. Oder gibt es hier sonst eine Kneipe, wo ich Kontakt mit dem zarten Geschlecht aufnehmen kann?“ Roman grinst.
„Das weiß ich nicht. Ich und meine Frau, wir gehen früh schlafen. In unserem Alter braucht man das ganze Gedöns nicht mehr.“ Fritz lacht und guckt seine Gattin an.
„Ich muss das auch nicht haben“, melde ich mich zu Wort.
„Ach.“ Roman guckt mich spöttisch an. „Bist du auch zu alt?“
„Ich will mich erholen“, erkläre ich würdevoll.
„Aha, wie spannend.“ Er lacht. „Dann geh mal früh schlafen. Wer eher stirbt ist länger tot.“
„Was soll das denn heißen?“ Ich lächle freundlich, obwohl in mir Wut hochkocht.
„Ist doch klar: Verpenn dein Leben und du wirst am Ende froh sein, wenn du endlich ins Gras beißen darfst, weil du vor Langeweile sonst die Wände hochgehst“, erklärt Roman und lehnt sich lässig auf seinem Stuhl zurück.
„Ach? Und du meinst, nachts in Kneipen Weiber aufzureißen ist so aufregend, dass ich gar nicht sterben will?“ Ich lache leise.
„Hm, das hab ich nicht gesagt“, murmelt Roman.
„Weißt du was? Ich komm mit in die ‚Blaue Maus‘ und genieße das wilde Leben“, sage ich spontan.
„Recht so, junger Mann“, kommt es von Wilma.
Auch Fritz nickt und zwinkert mir zu. Mir ist allerdings etwas mulmig bei dem Gedanken, mit Roman Zeit zu verbringen. Der Kerl verunsichert mich und – er gefällt mir. Okay, es ist eher sein Äußeres, das mich anspricht, nicht sein Charakter.
„Dann treffen wir uns in zwei Stunden hier unten.“ Roman springt auf.
Ich verbringe die Zeit bis zum Aufbruch mit Lesen. Allerdings kann ich mich kaum auf das Buch konzentrieren, da ich immer wieder an diesen Kerl denken muss. Er ist der typische Aufreißer, der sicher an jeder Hand zehn Frauen hat. Ich mag diese Typen eigentlich nicht, aber Roman beschäftigt mich. Als es endlich soweit ist stelle ich mich vor den Spiegel und prüfe mein Aussehen. Die Jeans ist neu und mein T-Shirt sauber. Ich fahre mir durchs Haar, was aber sinnlos ist. Es lässt sich einfach nicht ordentlich frisieren. Ich schnappe mir meine Jacke und laufe nach unten.
Roman kommt nach ein paar Minuten, die ich unruhig im Flur auf und abgegangen bin. Klar, er darf gar nicht pünktlich sein, das widerspräche seinem Image. Er trägt jetzt wieder Leder und grinst mich breit an, während er die letzten Stufen herabsteigt.
„Aufgeregt?“
„Wahnsinnig.“ Ich rolle mit den Augen und folge ihm aus dem Haus.
Die wenigen Meter bis zur ‚Blauen Maus‘ legen wir schweigend zurück. Noch ist es hell und vor der Kneipe nichts los. Roman stößt die Eingangstür auf und betritt den Schankraum. Stimmengewirr empfängt uns, fast alle Plätze sind belegt. Er geht zum Tresen und schiebt sich auf einen Hocker. Ich setze mich neben ihn auf den freien Platz und gucke mich um. Junge Leute, aber auch älteres Publikum hält sich hier auf.
„Deine Klientel ist hier aber nicht vertreten“, sage ich, wobei ich Roman frech angrinse.
„Geduld.“ Er winkt dem Barkeeper zu, guckt mich an und hebt die Brauen. „Der Abend ist noch jung.“
Wir bestellen Bier und trinken eine Weile schweigend, während wir in die Gegend gucken. Schließlich wendet sich Roman seufzend an mich. „Und? Was machst du so im wirklichen Leben?“
„Ich studiere auf Lehramt, mach im Augenblick mein Referendariat. Und du?“
„Motorradzubehör. Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht.“ Roman grinst breit.
„Aha.“ Ich nicke verstehend.
Roman trinkt und mustert mich.
„Macht das Spaß … ich meine, du bist doch sicher so eine Art Entertainer für die Kinder, wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere“, sagt er leise.
Wir sitzen so nah beieinander, dass ich seinen Duft wahrnehmen kann. Er riecht männlich, nach Leder und einem herben Rasierwasser. Ich atme tief ein.
„Klar, ich bin der Alleinunterhalter.“ Ich lache kurz auf. „Die lassen sich berieseln und träumen von der großen Pause.“
„Klingt anstrengend.“
„Ist es auch, daher will ich hier ja auch ausspannen“, erwidere ich mit vielsagendem Blick.
„Ich hab schon verstanden“, brummt Roman, lächelt aber dabei.
Der Kerl wird mir richtiggehend sympathisch. Ich leere mein Glas und bestelle ein neues Bier, Roman folgt meinem Beispiel.
Gerade habe ich einen Schluck von dem frischen Pils getrunken, als sich eine Hand auf meine Schulter legt.
„Hey, wenn das mal nicht mein schwuler Freund von der Fähre ist“, posaunt eine mir leider bekannte Stimme heraus.
„Schwul?“ Roman glotzt mich an und ich schüttele unwillig die Hand ab, bevor ich mich zu der Blondine wende.
„Hey danke. Willst du noch einen Aushang machen?“, fahre ich sie böse an.
„Ups, sorry.“ Sie kichert und hält sich eine Hand vor den Mund. „Wusste nicht, dass es ein Geheimnis ist.“
„Ist es auch nicht. Jedenfalls jetzt nicht mehr“, sage ich und drehe ihr den Rücken zu.
„Wer ist denn dein Freund?“ Blondie stellt sich neben mich und begutachtet Roman, der seine Aufmerksamkeit auf sie richtet.
„Ich bin Roman und nicht schwul“, informiert er sie grinsend.
„SEHR witzig“, knurre ich.
„Schöner Name. Ich bin Susanne“, klärt Blondie uns auf.
„Hey Susanne. Machst du hier Urlaub?“, nimmt Roman den Faden auf.
Ich konzentriere mich auf mein Bier und höre nur mit halbem Ohr hin. Das Balzverhalten der beiden ist unerträglich und ich atme auf, als Roman mich antippt und mir zuraunt: „Ich geh dann mal. Bis morgen.“
Ich nicke stumm und verarbeite das Gehörte. Diese Susanne ist Tresenfrau hier, hat aber heute frei. So wie ich sie einschätze, reißt sie sich oft einen Gast auf. Ungewöhnlich für eine Frau, aber es soll ja tatsächlich Weiber geben, die einem one-night-stand gegenüber nicht abgeneigt sind. Ich selbst bevorzuge längere Beziehungen, kann aber leider keine vorweisen. Seit Jahren schon bin ich allein und selbst gelegentlich losgezogen, um mir ein wenig Sex zu holen. Es ist zwar jedes Mal unbefriedigend, trotzdem brauche ich das.
Nachdem ich das Bier ausgetrunken habe, verlasse ich die ‚Blaue Maus‘ und gehe zurück zur Pension. Schon auf dem Weg die Treppe hinauf kann ich die eindeutigen Laute hören, die aus Romans Zimmer dringen.
Im Bett ziehe ich mir die Decke über die Ohren, aber Susannes Lustschreie sind einfach zu laut. Sie kreischt und bittet Roman lautstark, ‚es ihr ordentlich zu besorgen‘. Ich hoffe doch sehr, dass der Kerl dieser Aufforderung nachkommt, damit ich endlich schlafen kann. Es dauert dann doch noch eine Viertelstunde, bis der Lärm verebbt. Ich entspanne mich und lausche, höre eine Tür klappen, dann Schritte auf der Treppe. Diese Susanne schläft also nicht bei meinem Nachbar, was mich irgendwie erleichtert.
***
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und überlege, ob ich noch schnell unter die Dusche springen soll. Zum Glück hat Susanne nicht widersprochen, als ich sie eben bat zu gehen. Ich mag es nicht, morgens fremde Frauen in meinem Bett vorzufinden. Außerdem muss ich zugeben, dass mich ihre Oberweite irgendwie erdrückt. Warum auch immer, aber ich steh eher auf flache Brüste. Susanne war nur gerade verfügbar, daher hab ich sie mitgenommen.
Der Fick war auch nicht besonders gewesen. Mein Schwanz wollte immer wieder schlappmachen, ein Phänomen, das ich seit einiger Zeit mit Sorge betrachte. Ob ich alt werde? Gähnend ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Heute werde ich nicht mehr über Erektionsstörungen nachdenken, soviel ist sicher.
Der nächste Morgen erwartet mich mit blauem Himmel und strahlender Sonne. Ich strecke mich und denke an meinen Nachbarn. Der ist also schwul, wer hätte das gedacht. Ich glaube nicht, dass man es einem Mann an der Nasenspitze ansehen kann. Dennoch hatte ich immer angenommen, dass ich es irgendwie merke, wenn ein Typ auf Kerle steht. Lutz wirkt jedoch ganz normal, wenigstens für mich.
In der guten Stube sitzen nur Fritz und Wilma, als ich gegen neun Uhr dort erscheine. Ich lass mich auf einen Stuhl fallen und Elvira kommt sofort, schenkt mir Kaffee ein und lächelt freundlich.
„Dein Abend war also ein voller Erfolg, hab ich gehört“, sagt sie mit einem Zwinkern.
„Oh ja, das hab ich auch vernommen“, ruft Fritz grinsend.
„Entschuldigung.“ Ich mache ein zerknirschtes Gesicht so gut es geht. „Ich wollte niemanden vom Schlafen abhalten.“
„Schon gut, wir waren alle mal jung.“ Elvira lacht.
Ehrlich gesagt kann ich mir das gerade bei ihr nicht vorstellen. Sie sieht so aus, als wäre sie schon immer diese entzückende, alte Dame gewesen. Ein doofer Gedanke, ich weiß, aber es ist nun mal so.
„Wo ist denn Lutz?“, lenke ich vom Thema ab.
„Der wollte spazieren gehen, Richtung Strand“, antwortet Wilma.
Ich bin leicht enttäuscht da ich gehofft hatte, etwas mit ihm zusammen unternehmen zu können. Der gestrige Abend war doch nicht schlecht gelaufen. Immerhin haben wir uns unterhalten und ich hatte den Eindruck, als würden wir uns gut verstehen, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, als Susanne auftauchte.
„Wenn du dem Bohlenweg folgst, müsstest du ihn irgendwann treffen“, sagt Elvira und wieder zwinkert sie.
Ob sie was mit dem Auge hat?
Mit einer Tasche, in die ich eine Badehose und allerlei Nützliches gepackt habe, über der Schulter laufe ich kurz darauf über den Holzweg in Richtung Strand. Die Bohlen geben bei jedem Schritt ein merkwürdig hohles Geräusch von sich, ansonsten kann ich nur das Wispern des Windes in den Bäumen hören. Kieferngehölz säumt den Weg. Es ist warm und riecht nach Sauna. Kiefernöl, von der Sonne erwärmt. Ich atme tief ein und genieße die Stille.
Nach einer Weile tauchen rechterhand Zelte auf. Ich gucke mir die bunte Ansammlung an und stelle mir vor, auf dem sandigen Untergrund zu campen. Nein, nichts für mich. Ich liebe es, in einem sandfreien Bett zu schlafen und nur drei Schritte zum Klo gehen zu müssen. Nach dem Zeltplatz geht es immer höher hinauf, über ein tiefes Dünental hinweg und dann erneut durch ein Wäldchen. Ich gucke mich immer wieder um, ob ich Lutz irgendwo entdecken kann. Schließlich will ich nicht den ganzen Tag alleine herumlaufen.
Kurz vor einer hohen Dünenkante, hinter der der Strand liegen muss, entdecke ich etwas Buntes rechts von mir in einer Senke. Ich springe vom Steg und wate durch den tiefen Sand. Mühsam erklimme ich eine hohe Sandwand und gucke in das Tal, das dahinter liegt. Lutz liegt nackt auf einem Handtuch. Er hat die Augen geschlossen und trägt Ohrstöpsel, wahrscheinlich hört er gerade Musik. Das gibt mir Gelegenheit, ihn ausgiebig zu betrachten. Es ist sonst nicht meine Art, unbekleidete Kerle anzuglotzen, aber in diesem Fall bin ich einfach neugierig.
Er ist schmal und trotzdem wirkt sein Körper nicht schwächlich. Der flache Bauch weist einen angedeuteten Sixpack auf. Haare hat er nicht auf der Brust und tiefer scheint er sie getrimmt zu haben. Sein Schwanz ruht schlaff auf einem Schenkel und macht selbst in diesem Zustand einen imposanten Eindruck. Der Anblick löst ungewohnte Gefühle in mir aus. Ich finde ihn – sexy? Ein beunruhigender Gedanke, den ich schnell von mir schiebe.
Um ihn nicht zu erschrecken, lass ich mich ein Stück den Hang zurückrutschen und begebe mich dann unter lautem Geächze und mit weit ausholenden Schritten, die eine Sandlawine auslösen, über die Dünenkante. Lutz schreckt hoch und klappt zusammen wie ein Taschenmesser. Mit beiden Händen bedeckt er seine Scham und starrt mich überrascht an.
„Hey, was machst du denn hier?“, begrüßt er mich.
„Ich such dich. Wollte ein bisschen quatschen und so“, erwidere ich harmlos lächelnd und werfe meine Tasche in den Sand.
„Ach so.“ Lutz dreht sich auf die Seite, wobei er mir seinen kleinen Hintern präsentiert.
Er schnappt sich seine Badehose und schlüpft hinein. Ich komme nicht umhin, einen Blick auf seine Kronjuwelen zu erhaschen. Der Kerl ist wirklich sehr lecker … denke ich das gerade?
„Worüber willst du denn reden?“ Lutz hat sich wieder umgedreht und sitzt jetzt, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen.
Seine Haare sind ganz unordentlich, anscheinend gehören sie einfach so. Ich hole ein Handtuch aus der Tasche, breite es ungefähr einen Meter entfernt von Lutz aus und lass mich darauf fallen.
„Über dies und das“, antworte ich, dabei krame ich nach meiner Badehose.
In der Jeans ist es verflixt heiß geworden. Ich streife sie ab, dann die Shorts und das T-Shirt. Während ich die Hose überstreife gucke ich zu Lutz hinüber, der das Gesicht abgewandt hat.
„Hey, sehe ich so hässlich aus?“, spotte ich gutmütig.
„Nein“, sagt er leise, dreht den Kopf und guckt mich ernst an. „Ich will nur nicht, dass du denkst, ich geile mich an dir auf.“
„Ach, du meinst wegen der Homogeschichte? Vergiss es. Selbst wenn du dich an mir aufgeilst, ist es mir egal, solange du mich nicht anpackst.“
„Okay.“ Lutz lächelt zaghaft.
„Hey, vergiss es einfach. Ich würde nie annehmen, dass du einer von denen bist, wenn Susanne es nicht ausgeplaudert hätte.“ Ich zwinkere ihm zu und setze dann meine Sonnenbrille auf.
„Einer von denen“, murmelt Lutz ironisch und ich merke, dass ich mich dumm ausgedrückt habe.
„Entschuldige. Ich hab das falsch rübergebracht. Ich habe nix gegen Schwule, mein Chef ist auch aus deiner Fraktion und…“ Ich stocke, weil ich mich gerade selbst sprechen höre. Irgendwie kann ich wohl sagen, was ich will, es klingt einfach Scheiße. „Ich glaube, wir lassen das Thema besser fallen“, sage ich lahm und werfe einen Blick auf das Buch, das neben Lutz‘ Handtuch im Sand liegt. „Du liest John Irving?“
„Ich versuche es, aber es kann mich nicht fesseln.“ Er lächelt verlegen. „Wahrscheinlich ist es zu anspruchsvoll für mich.“
„Nun stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel, Herr Lehrer“, spotte ich und schnappe mir das Buch.
Eine halbe Stunde später lege ich es weg. Die Sonne hat mich ganz dösig gemacht, meine Lider wollen zufallen. Ich rolle mich auf den Bauch und nicke ein.
„Hey, aua!“, murmele ich, langsam erwachend.
Etwas Arschkaltes tropft auf meinen Rücken, dann spüre ich weiche Finger, die das Zeug auf meiner Haut verteilen. Ich lass Lutz machen und empfinde es sogar als schön, wie sorgsam er mich einschmiert. Sicher, eigentlich cremen Kerle sich nicht gegenseitig ein, doch in diesem Fall will ich mal nachsichtig sein.
„Du hast leider einen Sonnenbrand“, sagt Lutz mit leisem Bedauern in der Stimme.
„Dafür kannst du aber nichts.“ Ich drehe mich auf den Rücken und gucke zu ihm hoch.
„Ich hätte dich eher wecken müssen.“ Er verzieht den Mund und rutscht zurück zu seinem Handtuch.
„Okay, du bist Schuld“, gebe ich klein bei, richte mich auf, schnappe mein T-Shirt und schlüpfe hinein. „Vielleicht ist auch Herr Irving schuld, der mich eingeschläfert hat.“
„Gut, schieben wir die Schuld auf ihn.“ Lutz lacht leise, dabei wühlt er in seinem Rucksack. „Ich werde mal aufbrechen. Ich hab Hunger“, sagt er, nachdem er einen Blick auf die zutage geförderte Armbanduhr geworfen hat.
„Darf ich mitkommen?“, frage ich, schnappe meine Jeans und ziehe sie mir über die Beine. „Ich hab auch Hunger.“
„Klar.“ Lutz rollt schon sein Handtuch zusammen und stopft es in den Rucksack. „Ich wollte nach Wittdün. Da soll es einen Fischimbiss geben.“
„Klingt gut“, murmele ich.
Es ist recht weit nach Wittdün, stelle ich eine halbe Stunde später fest. Ich kann die Häuser zwar schon sehen, aber wir haben immer noch nicht die Promenade erreicht. Lutz läuft entspannt neben mir, als würde ihm der Marsch nichts ausmachen, dabei ist er kleiner als ich.
Als wir endlich festen Stein unter den Füssen haben, setzen uns auf die nächste Bank, um Schuhe anzuziehen. Nun geht es schneller voran, sodass wir innerhalb von zehn Minuten den ausgelobten Imbiss erreicht haben.
Nach zwei Fischbrötchen begeben wir uns in ein Café und spülen die Mahlzeit mit einem Kaffee herunter. Lutz lehnt mir gegenüber entspannt in einem Sessel und hat schon seit mindestens einer halben Stunde nichts gesagt. Eine Wohltat.
„Ich weiß, das wirst du wahrscheinlich oft gefragt, aber seit wann weißt du, dass du auf Männer stehst?“ Ich gucke über den Tassenrand hinweg zu ihm.
„Schon immer.“ Er lächelt und schaut mich offen an. „Ich hab es eben von Anfang an gewusst. Und du? Seit wann weißt du, dass du auf Frauen stehst?“
„Touche“, murmele ich und fühle mich unheimlich wohl.
Mit Lutz ist alles so einfach. Er schwätzt nicht, ist intelligent, außerdem passt er auf mich auf bevor ich Verbrennungen erleide. Ich lade ihn zu dem Kaffee ein und verlasse hinter ihm das Etablissement. In einvernehmlichem Schweigen wandern wir zurück zur Pension.
„Ich wollte heute Abend wieder in die ‚Blaue Maus‘, kommst du mit?“, frage ich, als wir die Treppe zu den Zimmern hinaufsteigen.
„Ich weiß nicht.“ Lutz stoppt vor seiner Tür und guckt mich unschlüssig an.
„Ich fände es echt schön, wenn ich nicht allein gehen muss“, sage ich und meine es auch so.
„Gut“, sagt mein Nachbar nach einer kurzen Pause. „Ich komme mit.“
Auch diesmal sind alle Tische besetzt, als wir in der ‚Blauen Maus‘ ankommen. Lutz steuert den Tresen an und ich klettere neben ihm auf einen Hocker.
„Zwei Pils“, rufe ich dem Barkeeper über den Lärm hinweg zu, wende mich zu meinem Nachbarn und lehne mich vor. „Sag mal, suchst du nicht auch manchmal etwas für eine Nacht?“
„Klar.“ Lutz lächelt wehmütig und das versetzt mir einen unerwarteten Stich.
Es wird wohl Mitleid sein. So nahe bei ihm kann ich seinen Duft riechen. Er muss gerade geduscht haben. Ich identifiziere Seife und ein Rasierwasser.
„Und … gibt es hier jemanden, der infrage käme?“, bohre ich neugierig.
„Nein, glaube nicht“, erwidert er, ohne sich umgesehen zu haben. „Ehrlich gesagt…“ Er schaut mir direkt in die Augen. „…ich suche nicht danach. Entweder es passiert, oder eben nicht.“
„Aha“, murmele ich und kann mich dem Blau seiner Augen nicht entziehen.
Sie sind hellblau und von dunklen Wimpern umrahmt. Schöne Augen, so wie alles an ihm… Was ist nur mit mir los? Ich wische mir übers Gesicht und drehe mich zum Tresen. Der Barkeeper schiebt uns zwei Gläser zu und ich bezahle, reiche eines Lutz und proste ihm zu.
„Auf den Zufall“, sage ich aus einer Laune heraus.
„Gut, auf den Zufall.“ Lutz lächelt und trinkt.
Ein Schaumbärtchen bleibt zurück, nachdem er das Glas abgesetzt hat. Ich beobachte, wie er sich mit dem Handrücken über den Mund wischt und kurz taucht der Wunsch auf, ihm den Schaum mit der Zunge abzulecken. Ich muss Drogen genommen haben, doch mein letzter Joint liegt ein paar Tage zurück. Ein Flashback, das wird es sein!
„Hallöchen, ich bin die Mine“, erklingt in diesem Moment hinter mir eine Stimme.
Ich drehe mich auf dem Hocker herum und entdecke eine Brünette, die mich freimütig angrinst. Sie gefällt mir sofort besser als Susanne. Das kann auch daran liegen, dass ihre Bluse nicht so üppig gefüllt ist.
„Ich arbeite hier in der Küche. Wollt ihr was zu essen bestellen?“, fragt sie mit einem hinreißenden Lächeln.
„Danke nein“, antworten ich und Lutz gleichzeitig.
„Oh, seid ihr der Niebüller Herrenchor auf Ausflug?“ Mine lacht.
„Nein. Ich bin Roman und das ist Lutz. Er ist schwul“, sage ich unbedacht und hätte mir am liebsten im nächsten Moment die Zunge abgebissen.
Ich merke, dass Lutz hinter mir ganz steif wird. Mine guckt mich erstaunt an und wirft einen Blick über meine Schulter, als gälte es, ein Riesennashorn zu begutachten. Neben mir wird ein Glas hart auf dem Tresen abgestellt, dann steht Lutz auf und schnaubt. „Am besten, ich schreib es mir gleich auf die Stirn, oder?“
Er nickt Mine zu und drängelt sich durch die Gäste in Richtung Ausgang.
„Was hat der denn?“ Mine sieht mich ratlos an und ich bin so doof und zucke nur mit den Achseln, obwohl ich am liebsten Lutz hinterhergelaufen wäre, um mich zu entschuldigen.
„Keine Ahnung“, lüge ich und lege einen Arm um ihre Schultern. „Und du? Wann hast du hier Feierabend?“
***
So ein Riesenarschloch! Gerade hatte ich begonnen, Roman zu mögen, da bringt der so einen Spruch. Als wenn ich ein Marsmensch wäre! Ich laufe wutentbrannt zur Pension und schleiche die Treppe hoch in mein Zimmer. Es ist bereits nach elf Uhr und alle schlafen bestimmt schon.
Mit einem Buch mache ich es mir im Bett gemütlich und versuche, den Vorfall zu vergessen. Ich habe wohl eine Stunde gelesen und werde gerade schläfrig, als im Flur Schritte erklingen. Eine Frau kichert, es hört sich nach dieser Mine an. Ich gucke auf den Wecker. Fast halb eins, da hat mein Nachbar aber noch lange ausgeharrt. Eine Tür klappt und nach wenigen Minuten beginnt der Lärm, der eine anstehende Kopulation ankündigt.
Mine ist fast so laut wie ihre Kollegin. Ihr Stöhnen dringt deutlich durch die Wand und ich bin unfreiwilliger Zeuge der Liebeskünste meines Nachbarn.
„Oh ja!“, höre ich sie stöhnen. „Beiß mich.“
Nun, ich will mir nicht ausmalen, an welcher Stelle der Biss gewünscht ist.
„Ja, das ist so geil“, fährt Mine fort.
Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich würde mich auch von Roman beißen lassen, vorzugsweise in den Hintern und danach…
„Und nun fick mich endlich“, wiehert Mine.
Oh ja, auch das entspricht meinen Wünschen. Ich werde hart und meine Hand wandert gerade nach unten, als mein geübtes Ohr das Knacken der Treppe vernimmt. Ich halte inne und lausche gespannt. Das nächste Geräusch erinnert an das Zusammentreffen zweier wütender Katzen.
„Was machst DU hier?“ Susannes Stimme ist ein wütendes Zischen.
„Das siehst du doch, verschwinde!“ Das hört sich nach Mine an.
„Nein, du verschwindest, Roman ist meiner.“
„So? Ich sehe hier kein Etikett“, faucht Mine, die ich an der hellen Stimme erkenne.
„Meine Damen, raus!“, befiehlt Roman und ich klettere rausch aus dem Bett und öffne meine Tür einen Spalt.
„Raus, aber sofort. Alle beide!“, wiederholt mein Nachbar, der in diesem Moment mit zwei fauchenden Frauen aus seinem Zimmer tritt.
Er selbst trägt nur noch Shorts, die Weiber sind angezogen. Gut, Mine nicht vollständig, aber es ist warm draußen, daher wird sie nicht erfrieren. Roman hat die Kontrahentinnen an jeweils einem Handgelenk gepackt und schubst die Frauen in Richtung der Treppe.
„Raus hier, alle beide. Und lasst euch nie wieder blicken“, zischt er.
„Mein BH“, winselt Mine.
„Ach ja.“ Roman lässt die Weiber los, verschwindet kurz in seinem Zimmer und wirft dann Mine ein weißes Ding zu, gefolgt von einem T-Shirt. „Und jetzt seht zu, dass ihr verschwindet“, sagt er drohend, wobei sein Blick zu mir wandert.
Die Treppe knackt protestierend unter den wütenden Schritten der Damen, eine Tür klappt, danach wird es still. Roman guckt mich an und seufzt leise.
„Es tut mir so leid“, flüstert er.
„Schon okay.“ Ich will die Tür schließen, aber er tritt auf mich zu und stellt einen Fuß auf die Schwelle.
„Es tut mir wirklich sehr leid. Ich bin so ein Tollpatsch. Nächstes Mal denke ich nach, bevor ich den Mund aufmache. Bitte, können wir wieder Freunde sein?“ Romans Blick ist sehr ernst und ich seufze leise.
„Alles okay. Ich will jetzt schlafen“, flüstere ich.
„Gut, dann Gute Nacht.“ Roman lächelt mir zu, dann verschwindet er in seinem Zimmer.
Am nächsten Morgen erscheint mir alles wie ein Traum, nur die Gesichter von Fritz und Wilma am Frühstückstisch beweisen, dass sich das Drama wirklich abgespielt hat.
„Frauen können wie Wildsäue sein“, sagt Fritz und grinst breit.
„Junge Mädchen sind manchmal wirklich verrückt.“ Elvira, die gerade zur Tür hereinkommt, seufzt laut.
„Ich war in meiner Jugend auch so“, gibt Wilma errötend zum Besten.
Ich muss grinsen und gucke zu Roman herüber, der stoisch sein Brötchen kaut. Sein Blick trifft meinen und für den Moment sackt mir der Magen in die Kniekehlen. Diese dunklen Augen sind einfach fesselnd. Ich möchte in ihnen versinken und nie wieder auftauchen.
„Kaffee, lieber Lutz?“ Elvira lächelt mich an und hält mir die Kanne vor die Nase. Ich nicke automatisch und löse endlich den Blick von meinem Gegenüber. Roman ist hetero, ich habe keine Chance und sollte mir keine Hoffnungen machen.
„Lars und Hannes kommen heute Mittag“, erwähnt Elvira beiläufig, während sie mir Kaffee einschenkt. „Die beiden bleiben ein paar Tage.“
„Eine gute Nachricht“, sage ich heiser und räuspere mich, um die Kehle freizubekommen. „Ich freu mich.“
„Ja, Junge, ich mich auch.“ Elvira streicht mir über den Kopf und verschwindet aus dem Raum.
Ich verbringe die Zeit bis zum Mittag im Strandkorb. Die Ankunft meiner liebsten Freunde will ich keinesfalls verpassen. Nach ein paar Minuten gesellt Roman sich zu mir.
„Ist da noch Platz?“, fragt er und lächelt gewinnend.
„Klar.“ Ich rücke zur Seite und gucke interessiert in mein Buch.
Roman rutscht neben mich und die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. Ich nehme nur noch ihn wahr. Seine Haare streifen meine Schulter und er guckt neugierig auf mein Buch.
„Was liest du denn?“
„Äh…“ Ich muss auf den Umschlag schauen, denn den Titel habe ich längst vergessen. „Die Deutschstunde.“
„Klingt spannend.“ Roman lacht und ich spüre seinen Atem an meiner Wange.
„Ist es auch“, flüstere ich.
„Dann will ich dich mal nicht weiter stören“, sagt mein Nachbar und schlägt den Inselboten auf.
Ich liege da und atme mit geschlossenen Augen seinen Duft ein. Der Wunschtraum kommt unweigerlich und meine Erektion auch: Roman nackt über mir, seine dunklen Augen liebevoll auf mich gerichtet. Ich presse die Lippen fest zusammen, damit mir kein Stöhnen entweicht.
„Hey, hör mal: Die Kurverwaltung Wittdün hat beschlossen, die Insel für junge Menschen attraktiver zu machen. Dazu gehört die Einrichtung einer saisonalen Disco und eines Schwulenclubs“, liest Roman vor.
„WAS?“ Ich fahre hoch und gucke auf Roman runter, der sich breit grinsend das Lachen kaum noch verbeißen kann. „Du … Idiot! Ich dachte, die Sache wäre endlich durch nach gestern.“
„Hey, ist sie auch. Entschuldige. Ich wollte dich nur aufmuntern. Du machtest auf mich einen so traurigen Eindruck“, sagt er.
„Spinner1“ Ich schiebe meinen Hintern zur Sitzkante und gucke zum Haus rüber.
Von hier aus kann ich die Fenster der guten Stube sehen. Ist es Elvira, die dort hinter der Scheibe steht und herüber guckt? Bevor ich das jedoch genauer feststellen kann, ist der Schatten verschwunden. Ich seufze und stehe auf. Die Sonne strahlt ungebremst vom blauen Himmel. Es muss schon Mittag sein, ein Blick auf die Uhr bestätigt meine Vermutung. Ich schaue zur Straße und entdecke einen schwarzen Van, der in diesem Moment vor dem Grundstück hält. Ein großer Blonder steigt aus, auf der anderen Seite ein Braunhaariger.
„Lars“, flüstere ich und fühle, wie eine Welle der Erleichterung mich durchläuft.
Ich gehe den beiden entgegen und umarme den Blonden, danach Hannes. Es fühlt sich gut an, endlich unter Freunden zu sein. Romans Anfeindung hat mich stärker getroffen, als ich gedacht habe.
„Lutz, alles klar mit dir?“, fragt Hannes und legt einen Arm um meine Schultern, während wir zurück zum Haus gehen.
„Ja, es ist nur…“, murmele ich, da steht schon Roman vor uns und mustert meine Freunde aus zusammengekniffenen Augen.
„Ich bin Lars“, sagt Lars und streckt die Hand aus.
„Roman“, erwidert mein Nachbar und greift zu.
Die beiden messen sich wie Rivalen, dann wendet sich Roman an Hannes, der ihm ebenfalls die Hand reicht. Hannes lässt mich nicht los, sondern zieht mich eher noch näher an sich heran. Ich entdecke erstaunt, dass Roman die Zähne zusammenbeißt und verbissen lächelt.
„Hey, bist du nicht der Kerl, der bei Dämon arbeitet?“, fragt Lars und runzelt die Stirn.
„Du meinst David und ja, ich arbeite bei ihm.“ Roman nickt und mustert Lars. „Dich kenne ich auch irgendwie. Du bist ein Freund von Winston, oder?“
Die Welt ist klein, vor allem dann, wenn man zwischen Amrum und Hamburg pendelt.
„Eigentlich sind wir alle irgendwie miteinander befreundet“, gibt Lars cool zurück. „Nur dich hab ich noch nicht auf dem Plan.“
„Er ist nicht schwul“, sage ich und gucke dabei triumphierend Roman an, der die Augenbrauen erbost zusammenzieht.
So, das war nun die Retourkutsche und ich fühle mich richtig gut dabei!
„Hmmm …“, macht Lars und grinst in sich rein, wobei er nach Hannes‘ Hand greift und diese fest umschließt.
Ich sehe den identischen Ring, von dem an beiden Händen ein Exemplar funkelt. Sehnsucht überschwemmt mein Herz und ich muss schwer schlucken. Das Glück, das diese beiden teilen, ist unübersehbar.
„Dürften wir dann mal vorbei? Ich würde gern Elvira begrüßen“, bricht schließlich Lars das andauernde Schweigen.
Stumm tritt Roman beiseite und ich löse mich aus Hannes‘ Umarmung. Lars schreitet mit seinem Mann auf das Haus zu. Es ist schöner ein Anblick, der sich in mein Herz brennt. Ich war leider nicht bei der Hochzeit dabei, aber diese beiden gehören so sehr zusammen, wie Butter und Brot. Gut, ein blöder Vergleich. Nehmen wir – Hamburg und den Michel. Oder – Amrum und der Leuchtturm oder – noch besser – die ‚Blaue Maus‘. Ja, das passt.
„Spinner!“, murmelt Roman, dreht sich um, läuft zum Strandkorb und verschwindet darin.
Ich lächle versonnen und folge nach einem Moment dem Paar. Elvira hat die beiden in die gute Stube verfrachtet und schickt sich gerade an, einen leichten Imbiss zu servieren. Unglaublich, diese Frau ist ein Genie und hat immer zur rechten Zeit das Richtige parat. Mein Magen knurrt..
„Lutz, setz dich dazu. Wo steckt Roman?“, ruft sie und eilt aus dem Zimmer.
„David und Winston kommen nachher auch noch“, sagt Hannes leise und guckt mich besorgt an. „Was ist los?“
„Ich … ich bin total verwirrt“, stammele ich, überwältigt von so viel Zuneigung.
Lars lächelt mich an. Der Kerl ist ein Baum von einem Kerl und wenn er lächelt geht die Sonne auf. Man fühlt sich, als wäre man gerade persönlich von ihm getauft. Ich beneide Hannes, gleichzeitig gönne ich den beiden ihr Glück. Es ist nur so – ich will auch!
„Ist es dieser Roman?“ Hannes schnappt sich meine Hand.
„Nein, der ist nur … hetero“, sage ich leise.
„Ach so“, meint Lars gedehnt und grinst wieder so wissend, dass ich ihm am liebsten schlagen würde.
„Die Suppe, Kinderchen“, ruft Elvira und stellt eine riesige Terrine auf den Tisch.
„Danke, Elvira“, brummt Lars mit seiner tiefen Stimme und bringt damit die Hausherrin zum Erröten.
„Bitteschön, Lars“, wispert Elvira und eilt hinaus.
Oh Mann, ich bin so froh, meine Freunde um mich zu haben. Wir essen und irgendwann gesellt sich auch Roman dazu, löffelt stumm seinen Teller leer und hört uns zu.
Den Nachmittag verbringen wir im Garten. Lars hat weitere Stühle und einen Tisch aufgestellt, sodass wir um den Strandkorb herum sitzen und reden können.
Gegen Abend parkt der nächste dunkle Van auf dem Seitenstreifen vor dem Grundstück und eine große Gestalt schiebt sich vom Fahrersitz. Ein kleiner Blonder steigt auf der anderen Seite aus und läuft um den Wagen herum. Die beiden streiten sich kurz um das Gepäck, dann schreiten sie einträchtig den Weg herauf, wobei der Größere den Koffer zieht und gleichzeitig eine Tasche geschultert hat.
Ich kenne die beiden vom Sehen aus dem ‚Sugar Shack‘, in dem ich aber selten verkehre. Das müssen dieser David und Winston sein. Der Große lässt das Gepäck vor der Tür fallen, greift nach der Hand des Blonden und kommt auf uns zu.
„David!“ Roman springt auf und läuft auf den Kerl zu.
Ich beobachte, wie er mit dem Mann redet und kurz dem Blonden zunickt. Die drei lachen, dann setzen sie ihren Weg fort.
„Lars, Hannes“, sagt der Riese und nickt meinen Freunden zu, bevor er mich mit seinen unglaublich blauen Augen fixiert. „Wer bist du?“
„Hey.“ Der Blonde stößt ihm einen Ellbogen in die Seite. „Sei netter.“
„Ups.“ David lacht und zeigt dabei seine schönen Zähne. „Sorry, ich bin David, wer bist du?“
„Lutz“, sage ich, stemme mich hoch und reiche ihm die Hand.
„Schön.“ Der Riese zerquetscht meine Finger. „Freut mich.“
„Hey, lass seine Hand heil“, sagt sein Freund und lächelt mich an. „Ich bin Winston.“
„Hallo.“ Ich erwidere das Lächeln, dabei massiere ich meine malträtierte Hand.
Bis es soweit ist, dass wir alle zusammen in die ‚Blaue Maus‘ gehen, tun meine Finger nicht mehr weh. Wie hält es Winston nur mit diesem Boliden aus? Wenn in dem Riesen so viel Kraft steckt, dann müsste er den armen Kerl doch regelmäßig zermalmen, wenn er auf ihm liegt. Oder ist Winston oben?
Ich belächle mich selbst, dass ich mir solche Gedanken mache. Es wird Zeit mich um mein eigenes Liebesleben zu kümmere. Der Spiegel in meinem Zimmer zeigt mir einen gutaussenden Kerl, der sich heute besonders viel Mühe mit seinem Aussehen gegeben hat. Die Haare sind ordentlich in Form gebracht und die Jeans sitzt hervorragend. Ich drehe mich eine Weile hin und her, bevor ich meine Jacke schnappe und nach unten laufe.
Die anderen warten schon in der guten Stube. Sie springen von den Stühlen, als ich um die Ecke biege.
„Oh, hat die Diva doch noch den Weg gefunden?“, lästert Lars.
„Witzig“, brumme ich.
„Du siehst toll aus“, raunt Winston mir zu, während wir durch den Garten gehen.
„Danke. Du willst dich nicht zufällig von David trennen und mich als Partner haben?“, frage ich fröhlich grinsend.
„Auf keinen Fall. David hab ich mir hart erkämpft, den behalte ich“, meint der Blonde lachend und schnappt sich die Hand des Riesen, der neben ihm geht.
Ich laufe neben Roman hinter zwei händchenhaltenden Paaren her. Zum Glück muss ich diesen Anblick nicht lange ertragen, dazu ist der Weg zu kurz. Trotzdem bildet sich in meinem Magen ein Klumpen und die Sehnsucht nach etwas Zuneigung oder nur simplen Sex schnürt mir die Kehle zu.
In der ‚Blauen Maus‘ haben wir diesmal Glück und ergattern einen Tisch, der gerade frei geworden ist. Lars bestellt für uns alle und kurz darauf bringt der Kellner sechs Bier, außerdem noch ein Tablett mich sechs kleinen Gläser, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt sind.
„Oh nein, bitte nicht, Lars“, stöhnt Hannes.
„Wieso?“ Lars guckt unschuldig und lächelt in die Runde. „Inseltaufe. Jeder nimmt sich ein Glas und kippt es in einem Zug runter. Alter Brauch.“
Ich mache es wie die anderen und schütte mir das Zeug in den Rachen. Feuer! Röchelnd fasse ich mir an die Kehle und schnappte nach Luft. Jemand klopft mir auf den Rücken, ich bekomme ein Glas in die Hand gedrückt. Schnell trinke ich einen großen Schluck Bier und merke, wie es allmählich besser wird.
„Was … ist das?“, ächze ich mit Tränen in den Augen.
„Strandhafer.“ Hannes schnaubt. „Eine blöde Idee, wahrscheinlich hat sich Lars diesen Mist irgendwann selbst ausgedacht.“
„Quatsch, das ist ein Inselbrauch, glaub mir.“ Lars lacht und gibt Hannes einen Kuss auf die Wange.
„Also … ich könnte noch einen vertragen“, erklärt Roman cool.
„Spinner“, murmele ich, nur für meine Ohren bestimmt.
Zwei Bier und viele Worte später muss ich dringend aufs Klo. Ich drängele mich durch die Gäste, die inzwischen dicht an dicht überall stehen. Kurz vor dem Gang, an dessen Ende sich die Toiletten befinden, stoße ich versehentlich gegen einen Kerl, der gerade zur Tür hereinkommt.
„Ups, Tschuldigung“, nuschele ich und husche weiter.
Auf dem Rückweg finde ich den Mann an noch der gleichen Stelle vor. Er scheint auf mich gewartet zu haben. Wir mustern uns und mit einem Blick ist klar, dass wir gleich ticken. Es ist dieses Interesse, das plötzlich aufblitzt, das ihn verrät.
„Hey, ich bin Jan“, sagt der Typ und lächelt mich an.
„Ich bin Lutz“, antworte ich, wobei ich gegen ihn geschubst werde, als ein Gast hinter mir zum Ausgang drängt.
„Machst du Urlaub oder wohnst du hier?“, fragt Jan.
„Urlaub“, erwidere ich und nicke hinüber zu meinen Freunden. „Ich bin mit ein paar Leuten hier.“
„Aha.“ Jan streicht mit den Fingern sacht über meinen Arm.
„Ich … geh dann mal wieder“, sage ich, bleibe aber stehen.
„Du gefällst mir.“ Jan guckt mir in die Augen.
„Du … mir auch“, flüstere ich und fühle, dass seine Berührung ein erregendes Kribbeln in mir auslöst.
„Es ist sonst nicht meine Art, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, aber hier gibt es selten Gelegenheit auf Gleichgesinnte zu treffen. Also bin ich direkt: Hast du Lust mit mir ins Bett zu gehen?“ Jans Frage überrumpelt mich, gleichzeitig bin ich froh, dass wir uns das ganze Drumherum ersparen können.
Ich finde ihn sexy. Er hat hübsche blaue Augen und ist so groß wie ich. Seine Figur ist schlank und sein Mund lädt zum Küssen ein.
„Es ist sonst nicht meine Art, mit einem Fremden in die Kiste zu springen…“, antworte ich grinsend. „…aber bei dir würde ich eine Ausnahme machen.“
„Hört sich vielversprechend an.“ Jan lacht und als ich das nächste Mal geschubst werde und gegen ihn pralle, nimmt er mich in seine Arme.
Wir küssen uns sanft. Die Chemie stimmt, ich mag seinen Duft und seinen Geschmack auch.
„Ich arbeite als Kellner in Wittdün. Es ist besser wenn niemand weiß, dass ich Männer mag. Können wir zu dir gehen?“, bittet Jan leise.
„Okay. Ich sag kurz Bescheid.“ Ich löse mich von ihm und schiebe mich zwischen den Gästen hindurch, bis ich meine Freunde erreicht habe. Roman schaut auf und hebt fragend die Brauen.
„Ich hau ab“, erkläre ich lapidar.
„Dann gute Nacht“, sagt Roman.
„Viel Spaß“, ruft Lars und zwinkert mir zu.
Ich erröte und Romans Blick wird stechend. Schnell drehe ich mich um und bahne mir einen Weg zurück. Jan lächelt mir zu und geht zum Ausgang.
„Wie lange bleibst du?“, fragt er, während wir nebeneinander zur Pension laufen.
„Zwei Wochen, aber die erste ist schon angebrochen.“
„Das ist kurz.“ Jan schnappt sich meine Hand.
„Ja, das ist es“, seufze ich.
Der Wind säuselt leise in den Blättern und ein glasklarer Sternenhimmel erstreckt sich über unseren Köpfen. Eine Nacht wie geschaffen für Liebende, doch Jan und ich sind weit davon entfernt. Ich bin scharf und hungrig nach Zärtlichkeit, dafür wird es reichen.
„Klar, dass du hier gastierst“, meint Jan schmunzelnd, als wir auf Elviras Haus zusteuern.
„Wieso?“ Ich öffne die Haustür und lass ihn rein, wobei ich ihn neugierig anschaue.
„Selbst ich habe schon gehört, dass diese Frau die schärfsten Kerle beherbergt“, sagt Jan und guckt sich um.
„Alles gelogen.“ Ich lache und gehe voraus die Treppe hinauf.
In meinem Zimmer sorge ich als erstes für gedämpftes Licht. Dann bleibe ich unsicher mit hängenden Armen stehen. Ich bin kein Meister der Verführung und die letzten Male ist es im Stehen passiert, meist im Darkroom. Zu mir nach Hause habe ich ganz selten Männer mitgenommen, das mag ich einfach nicht.
„Ich weiß nicht … wollen wir uns einfach ausziehen und ins Bett gehen?“, fragt Jan, der genauso belämmert herumsteht wie ich.
„Ja, gute Idee“, stimme ich zu und schlüpfe hastig aus meinen Klamotten, ohne ihn dabei anzugucken.
Ich krieche unter die Decke, gleich darauf krabbelt Jan zu mir. Wir umarmen und streicheln uns eine Weile, bis die Lust erneut aufflammt. Ich küsse ihn und versuche abzuschalten, mich nur der Erregung hinzugeben, aber immer wieder schiebt sich Romans Bild in meinen Kopf. Vielleicht ist es gerade dieses Kopfkino, das mir eine steinharte Erektion verschafft.
„Wow“, flüstert Jan und schließt seine Hand um meinen Schwanz.
Ich taste nach seinem und finde ein genauso hartes Stück vor. Mir entweicht ein Kichern, ich kann es einfach nicht unterdrücken.
„Deiner ist auch nicht übel“, wispere ich und massiere seine Länge langsam, wobei ich seinen Mund wieder erobere.
Jan stöhnt und dringt mit seiner Zunge vor. Ich lass mich in den Kuss fallen, schließe die Augen und denke an Roman. Es ist sein Mund, den ich fühle und seine Faust, die meinen Schwanz geschickt reibt. Vor Lust wimmernd bewege ich das Becken vor, damit Roman mich härter massiert. Die Faust schließt sich enger und treibt mich rasend schnell höher. Ich beginne zu hecheln und werde immer steifer. Die Anspannung ist in jedem Muskel und mein Herz rast. Ich will endlich kommen und diese unerträgliche Last abwerfen…
***
Nachdem Lutz verschwunden ist bin ich erst mal völlig geplättet. Auf Lars‘ Bemerkung zu schließen muss der Kerl sich einen Mann aufgerissen haben, hier, auf Amrum. Okay, ich sollte es ihm gönnen, aber - ich kann es nicht! Warum kann ich das nicht? Ich kippe das Bier in mich rein und breche bald nach Lutz auf. Mit einem ‚sorry, ich bin müde‘ verabschiede ich mich von der Runde, die mich sicher nicht vermissen wird.
Auf dem Weg nach draußen begegne ich Susanne, die mich mit einem abfälligen Blick bedenkt. Soll sie doch, mir ist das so was von egal. Ich bin in Gedanken ganz woanders. Geht Lutz wirklich mit einem völlig fremden Kerl ins Bett? Ich hätte ihn niemals so eingeschätzt, obwohl wir uns erst kurz kennen. Auf mich wirkt er eher, als würde er auf eine ernsthafte Beziehung aus sein.
Gut, das bin ich auch, nur - ich mag es eben nicht, wenn morgens eine Frau neben mir liegt und mich vielleicht sogar vollquatscht. Ich mag es nicht mal, wenn sie es nachts tut, vor oder nach dem Sex. In letzter Zeit mag ich nicht mal den.
Ich halte kurz an einem Busch und erleichtere mich. Der Sternenhimmel strahlt über mir, Millionen von Himmelskörpern gucken zu, während ich meinen Schwanz raushole und in das Gebüsch pisse. Ob man das auf Satellitenfotos später auswerten kann? Roman Hagedorn hat im Sommer 2013 auf Amrum uriniert. Wäre wenigstens etwas, was ich der Nachwelt hinterließe, nebst der Urinpfütze und etlichen vollgewichsten Taschentüchern.
Während ich den Weg fortsetze überlege ich, ob ich mein kostbares Genmaterial einer Samenbank anvertrauen sollte. Vielleicht will irgendwann ein lesbischer Star ein Kind und dann würde mein Sperma in dessen Nachwuchs weiterleben.
Will ich überhaupt, Kinder? Ich habe die Pension erreicht und bin froh, dass die Haustür nicht abgeschlossen ist. Das Schlüsselloch hätte eine echte Herausforderung dargestellt, nachdem ich vier Strandhafer und noch mehr Bier in mich reingeschüttet habe. Wo war ich…? Ach ja, Kinder. Nein, eigene will ich nicht, meine Neffen und Nichten reichen mir. Ich habe drei Schwestern, die die Geburtenrate auf eigene Faust versuchen hochzutreiben. Inzwischen habe ich zehn Nachkommen aus dieser Linie und nicht genug Geld, um die Geburtstage und andere Feiertage zu überstehen.
Oh Mann, die Treppe ist heute Nacht echt steil. Ich ächze die Stufen hoch und plötzlich sind alle Gedanken in mir leise und trippeln auf Zehenspitzen davon. Ein Stöhnen erklingt, das die Wände erzittern lässt. Jedenfalls kommt es mir so vor. Ich eile behände weiter, vollkommen lautlos und angestrengt horchend. Dann höre ich es wieder. Es muss von Lutz kommen, ich erkenne sein helles Organ.
Stocksteif auf dem Flur stehend, lausche ich und werde Zeuge, wie mein Nachbar in die Sphären der Ekstase aufsteigt. In mir krampft sich alles zusammen. Ich will an die Tür klopfen, sie aufreißen und den Mann, der das mit Lutz macht, rauswerfen. Er darf einfach nicht da drinnen rumstöhnen und ich - ich steh hier und kriege einen Ständer. Schnell laufe ich weiter, stolpere in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir.
Meine Hose spannt wie schon seit langem nicht mehr. Ich lehne mich an das Holz und greife in meine Jeans, packe die ungewohnte Härte und reibe mich langsam. Das tut so gut, aber der Stoff stört. Schnell öffne ich den Reißverschluss und schiebe die Hose runter, greife dann beherzt wieder zu und wichse, mit dem Rücken zur Tür und mit einer Hand meine Eier massierend.
Es ist geil und unglaublich befreiend. Ich stöhne genauso laut wie die Nachbarn und komme innerhalb von wenigen Minuten zu einem erleichternden Ergebnis, das mir aufs T-Shirt klatscht. Keuchend glotze ich die Flecken an und reibe meinen Schwanz weiter, bis auch das letzte Kribbeln gestorben ist. Dann setzt das Denken wieder ein, und damit auch die Scham.
Wie konnte ich nur…?
Eine Tür klappt, ich höre Schritte, die sich zur Treppe bewegen und mein Gehör fixiert sich sofort ganz auf die Geräusche vom Flur. Stufen knarren. Also ist Lutz‘ Lover gegangen. Eine Welle der Erleichterung durchflutet mich. Ich wanke zum Bad und säubere mich notdürftig, bevor ich ins Bett krieche und mich dem seligen Vergessen überlasse.
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock by Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2013
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