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6. Dumm gelaufen oder die Wirkung eines Kusses

Wenn eine Fee erscheint, der Kaffee nicht geschmeckt hat und alles – wirklich alles – rundherum stinkt, dann zählt nur noch eines: der ersehnte Latte Macchiato aus dem Kaffeevollautomaten im Büro. Na dann …

 

 

Es gibt diese Tage, an denen man besser das Bett nicht verlassen hätte. Ich hatte auf jeden Fall so einen erwischt, als ich an einem gewöhnlichen Montagmorgen müde ins Bad trottete. Nach einem Blick in die Duschkabine, wo sich mein beleibter Gatte gerade wusch, hätte ich mich am liebsten wieder unter der Decke verkrochen.

Die Ehe ist kein Ponyhof, dachte ich, und ging ins Gäste-WC. Dort hatte ich wenigstens meine Ruhe. Nachdem ich mich angezogen und – im gattenfreien Bad – gewaschen hatte, lief ich die Treppe hinunter und betrat die Küche. Der Duft von Kaffee drang in meine Nase, ich schnupperte genießerisch und nahm mir einen Becher. Leider hielt die schwarze Plörre nicht, was ihr Geruch versprach. Nach einem Schluck goss ich das Zeug in die Spüle und machte mich auf die Suche nach meiner Familie.

Bubi hing im Wohnzimmer vor dem Fernseher, sein teilnahmsloser Blick traf mich, als ich den Raum durchschritt, um meinem Mann einen Abschiedskuss zu geben. Das Kind würde seinen Hauptschulabschluss versemmeln, aber das war ihm egal. Mein Göttergatte wälzte sich auf dem Sofa, wobei seine Wampe unter dem schlabberigen T-Shirt gut zur Geltung kam. Ich küsste ihn mit gespitzten Lippen, sagte ‚bis nachher’ und verließ das Haus.

An jenem Morgen wählte ich den Weg an den Schrebergärten vorbei, um zur Bahnstationen zu gelangen. Es war noch dämmrig, als ich durch den schmalen Gang schritt, der von Bäumen und Büschen gesäumt war. Normalerweise nahm ich lieber den beleuchteten Weg, aber heute trieb es mich irgendwie in diese Richtung.

Ich hatte gerade einen besonders dichten Busch passiert, als mich eine kratzige Stimme aufhielt. „Heda, junge Frau, stehengeblieben“, hörte ich jemanden hinter mir rufen.

Normalerweise reagierte ich nicht auf so blöde Anmachen, schließlich hatte ich den Zenit meiner Jugend schon lange hinter mir gelassen. Heute jedoch war alles anders, ich blieb stehen und wandte mich dem Besitzer des rauen Organs zu. Vor mir stand ein zerlumpter Kerl, sein Vollbart wirkte, als würde er leben. Seine Augen musterten mich freundlich und er verzog seine Lippen zu einem zahnlückenhaften Lächeln.

„Ich bin eine gute Fee“, verkündete er, wobei er seine Arme in einer theatralischen Geste ausbreitete.

„Okay“, erwiderte ich. „Und ich bin Al Bundy. Da haben wir also eins gemeinsam: eine Persönlichkeitsstörung.“

„Nein, nein!“ Der Typ schüttelte den Kopf. „Ich BIN eine gute Fee. Na ja, Aushilfsfee, wenn alle anderen beschäftigt sind.“

„Hm.“ Ich musterte ihn erneut. „Ist viel los bei euch Feen?“

„Oh ja“, seufzte er. „Im Augenblick sind wir voll ausgebucht.“

„Gut. Dann hätten wir das ja geklärt“, entgegnete ich. „Danke für das nette Gespräch.“

Ich wollte mich gerade umdrehen, als sich ein heller, glitzernder Schein um die zerlumpte Gestalt manifestierte und es aussah, als würden Stanniolschnipsel auf ihn niederregnen.

Fasziniert beobachtete ich das Spektakel. „Wow, wie funktioniert das?“

Der Typ zwinkerte mir zu. „Jetzt glaubst du es, nicht wahr?“

„Was?“

Eine Unmutsfalte erschien auf der Stirn des Kerls. „Na, dass ich eine gute Fee bin.“

„Okay, und wenn schon?“ Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Ich musste weiter, wenn ich nicht zu spät kommen wollte.

„Du bekommst heute die Chance, dir etwas zu wünschen“, flötete er.

„Schick, und was?“

„Was immer du willst. Wünsch es dir und küss den Menschen oder Gegenstand, der mit deinem Wunsch zu tun hat. Es wird in Erfüllung gehen“, erzählte der Typ.

„Okay, war das alles?“, knurrte ich ungeduldig.

„Ja. Ich muss los, bis zum nächsten Mal“, sagte erund verschwand in einer glitzernden Wolke.

„Sehr eindrucksvoll“, murmelte ich und setzte meinen Weg fort.

In der Bahn ließ ich mich auf eine Bank plumpsen und dachte über die Sache nach. Eigentlich hatte ich nichts zu verlieren. Einfach etwas wünschen, dann küssen. Ich betrachtete den Mann, der mir gegenübersaß. Schnuckeliges Kerlchen. Ob ich ihn …? Ach ne, das wäre Verschwendung. Typen hatten alle eine Macke, gerade die hübschen.

Ich dachte den Rest der Fahrt darüber nach, was ich mir am meisten wünschte. Es gab so vieles, was verbesserungswürdig war, angefangen bei der Figur meines Gatten, fortgesetzt bei der weichen Birne meines Sprösslings und dem Haus, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Oder mein Job.

Als ich auf meiner Arbeitsstelle ankam, war ich immer noch unschlüssig, worauf ich den Wunsch verwenden wollte.

„Ah, Frau S., schön, dass Sie es einrichten konnten, doch noch zu erscheinen“, ranzte mich mein Chef an, kaum hatte ich mich auf meinem Stuhl niedergelassen.

Ich zeigte seinem Rücken einen Vogel, als er sich umwandte und mein Büro verließ. Oh Mann, nichts wünschte ich mir jetzt mehr, als einen kräftigen Cappuccino mit extra viel Schaum. Ich trottete in die Küche und begrüßte die glänzende Kaffeemaschine mit einem sehnsüchtigen Blick. Schon hatte ich einen Becher in der Hand und wollte ihn gerade unter die Schaumdüse stellen, als ich von hinten angerempelt wurde.

Ich verlor den Halt, fiel nach vorn und landete mit dem Gesicht zuerst an der chromglänzenden Vorderfront des Kaffeebereiters. Meine Lippen wurden gegen die kalte Fläche gedrückt.

„Oh, sorry“, murmelte der Kollege und half mir wieder hoch.

Fassungslos starrte ich auf meinen Becher, in dem ein superschaumiger Cappuccino vor sich hin dampfte. Oh-mein-Gott, ich hatte mir einen Kaffee gewünscht. Gab es noch irgendeinen Menschen auf der Welt, der seinen Wunsch derart sinnlos verschenkt hatte?

z

Wenn ja, bitte melden. Ich gründe eine Selbsthilfegruppe, da ich das Ereignis bis heute nicht verkraftet habe.

 

ENDE

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: fotocommunity
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2012

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