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Nichts ist, wie es scheint...


Mein Job fraß mich auf. Arbeiten, essen, schlafen – okay, fernsehen gab’s auch noch. Und duschen. Zum Glück vergaß ich das nicht, sonst hätte ich wohl inzwischen schon einen ganzen Fliegenschwarm angezogen. Müde stieg ich in meinen Wagen und startete den Motor. Der Porsche Carrera röhrte auf und ich genoss das Gefühl, innerhalb von Sekunden von Null auf Hundert Stundenkilometer beschleunigen zu können.
Die Landstrasse nahm ich mit 160 Sachen, legte mich in die Kurven, als säße ich auf einem Motorrad. Okay, der Komfort meines Wagens war ähnlich. Die Designer hatten irgendwann in den Siebzigern aufgegeben und dieses Fahrzeug in seinem Urzustand gelassen. Ich liebte Oldies, zumindest, was Fahrzeuge anging. Musikalisch war ich auf dem neuesten Stand. Ich drosselte das Tempo und fummelte an dem Radio rum, bis ich einen Sender fand, der meine Musik spielte. Ah, Monster Magnet, Space Lord.
Die Bässe dröhnten und ich schlug den Rhythmus auf dem Lenkrad mit, als ich aus dem Augenwinkel etwas Merkwürdiges wahrnahm. Augenblicklich trat ich auf die Bremse, kam mit quietschenden Reifen zum Stehen und sah in den Rückspiegel. Oh mein Gott! Auf dem Feld rechts von mir hatte irgendein Irrer Strohballen aufgetürmt und als Hochzeitspaar dekoriert. Mein Gehirn machte einen Quantensprung zurück und ich tastete hektisch nach meinem Blackberry. Schon kurz darauf fand ich den Eintrag: Hochzeit, nicht vergessen. 1. April 2004.
Oh Scheiße. Wir schrieben das Jahr 2012. Stand sie immer noch vor dem Standesamt? Und – wie hieß sie überhaupt. Hektisch durchforstete ich meinen Blackberry, dann mein Gehirn. Nichts. Doch. Äh, Sabine? Oder – Susanne? Irgendwas mit S. Erleichtert darüber, dass ich einen Anhaltspunkt gefunden hatte, wendete ich und raste die Strecke zurück, die ich gerade gefahren war. Zum Standesamt zu fahren wäre jetzt sicher zwecklos, nach acht Jahren. Ich fuhr trotzdem hin.
Vor der Tür der Behörde küsste sich gerade ein Paar. Im Leerlauf röhrte der Motor meines Wagens leise vor sich hin, während ich die Szene beobachtete. In meinem Gehirn lief ein ganzer Film ab, als wäre ich kurz davor, zu sterben. Ich hatte hier auch gestanden, vor genau acht Jahren, und hatte eine Frau im Arm gehabt, deren Name mit S. anfing. Jetzt kam die Erinnerung wieder hoch, und in meinem Blackberry fand ich den entsprechenden Eintrag: Scheidung nicht vergessen, 1. Mai 2004.
Oh Gott, DEN Termin hatte ich wirklich verpasst. Der Motor meines Oldies röhrte auf, als ich das Gaspedal durchtrat und vom Parkplatz des Standesamtes raste. Im Geiste sah ich meine Millionen schwinden, ausgegeben durch meine Immer-Noch-Gattin. Ziellos fuhr ich durch die Gegend, bis ich mich vor meiner Villa wieder fand. Unschlüssig saß ich in meinem Wagen und wusste nicht, was ich tun sollte. Schließlich lenkte ich den Porsche in die Einfahrt, stellte ihn in der Garage ab und ging auf das Haus zu.
Die Tür öffnete sich, noch bevor ich sie erreicht hatte. Eine fremde Frau sah mich an und lächelte – fies. Ich schluckte.

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Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: Google
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2012

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