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Ich hatte mir einen Tag ausgesucht, an dem sich niemand freiwillig draußen aufhielt. Es regnete junge Hunde, als ich langsam über das Gras zu den ehrfurchterregenden Steinmonumenten schritt. Meine Regenjacke hielt die Nässe von mir ab. Die Gummistiefel waren etwas zu groß, was ich mit zwei Paar Socken kompensiert hatte. Ich wollte allein sein mit den Steinriesen, meinen Gedanken nachhängen. Mitten im Steinring blieb ich stehen und vertiefte mich in meine Erinnerungen. 
Hier hatte es begonnen. Vor vielen hundert Jahren hatte ich das erste Mal hier gestanden und meine große Liebe getroffen. So war es jedes weitere Mal gewesen, wenn ich wiedergeboren wurde. Ich wusste nicht, wie oft und in wie vielen Körpern ich schon gelebt hatte, aber es war ein untrügliches Gefühl, dass es so sein musste. Zu oft suchte mich ein Dejavu heim, dachte ich, einen Ort schon gesehen oder einer Situation schon erlebt zu haben.
Der Regen hatte sich inzwischen in Bindfäden verwandelt, so dass ich meinen Blick gen Himmel richten konnte, ohne erschlagen zu werden. Ich nahm alles in mir auf: die Natur, die Magie der Steine, meine derzeitige Gestalt.
„Ich bin hier“, murmelte ich.
Was ich damit sagen wollte, wusste ich nicht. Aber es klang irgendwie – mystisch. Mir war nach Übersinnlichem, Magie. Hier war der Ort, an dem sich regelmäßig für mich mein Schicksal erfüllte. Also wollte ich diesem Platz mit angemessener Hochachtung begegnen.

Vor einem Jahr allerdings war hier etwas geschehen, das eine Art Entweihung der Stätte darstellte. Ein Hardrockkonzert hatte die Steine durchgeschüttelt. Eigentlich war das nicht meine Musik, trotzdem hatte ich mich überreden lassen, mit meinen Freunden hinzufahren. Es war dann die beste Idee, die ich je gehabt hatte. Ich stand zwischen den Fans, jubelte der Gruppe Nightsoul zu und wartete mit Spannung auf die nächste Band, de Rigor Mortis, als ich ihn sah. Er wirkte unscheinbar, trug einen dieser unmodernen Haarschnitte, die in den Achtzigern als Vokuhila bekannt wurden. Seine Lederjacke und seine ruckenden Kopfbewegungen wiesen ihn als Rocker aus. Er drehte den Kopf und schaute mich an. Blaue Augen. Ich war verloren. Durch die Menge drängelte er sich zu mir rüber, mich immer noch anschauend. Dann stand er vor mir und – lächelte. Himmel, noch nie hatte ich ein so schönes Lächeln gesehen.
„Hallo, ich bin Erik. Wer bist du?“
Die Worte hatte er laut gesagt, ich konnte sie trotzdem wegen des Lärms nicht hören, nur von seinen Lippen ablesen.
„Birgit“, sagte ich automatisch.
Was mich dazu trieb, einen falschen Namen zu sagen? Der Abend war ohnehin so surreal, warum sollte ich mich mit profaner Wirklichkeit abgeben.
„Du heißt nicht Birgit.“
Tja, da hatten wir ja ein romantisches Gespräch am Laufen. Ich musste lachen, was wohl auch an dem gigantischen Alkoholkonsum lag, dem ich mich hingegeben hatte.
„Stimmt“, brüllte ich.
Er nickte und lächelte immer noch. Wir standen einfach da, sahen uns an und grinsten. Tja, Romantik pur.



Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 08.09.2012

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