Cover

Schade um den Brei

Anastasia fährt sich durchs Haar, die Zähne graben sich in ihre Lippe. Gleich wird sie den tollen Christian Grey interviewen, weil ihre beste, allerbeste Freundin krank ist, und daher den Sessel hüten muss. Komisch nur, dass ihre allerbeste Freundin auch in diesem Zustand aussieht wie aus dem Ei gepellt. Anastasia seufzt, beisst sich auf die Lippe. Ich bin so durchschnittlich, denkt sie.

Mit dem schicken Mercedes ihrer allerbesten Freundin erreicht sie das tolle Firmengebäude, in dem nur Blondinen arbeiten. Mr. Grey fängt sie auf, als sie in sein Zimmer stolpert. Er sieht so toll aus. Ana beisst sich auf die Lippe. Das Interview hat sie nicht gut vorbereitet, aber Christian Grey ist sooo charmant. Er sieht fantastisch aus und geleitet sie aus dem Firmengebäude.

Nach der langen Rückfahrt arbeitet Ana eine Schicht in dem Baumarkt, in dem sie Geld für ihr Studium verdient. Danach kocht sie Essen und macht sich dann an ihre Vorbereitungen für die Abschlussprüfung. Der Tag hat hier mehr als 24 Stunden, ein Glück.

Am nächsten Tag steht plötzlich Christian vor Ana, als sie im Baumarkt arbeitet. Er benötigt dringend Kabelbinder und Seile. Ana beisst sich auf die Lippe, beschafft ihm aber das Geforderte.

Sie gehen Kaffee trinken. Ana bestellt einen Tee, wobei sie sich auf die Lippe beisst.

„Tu das nicht, sonst muss ich dich gleich hier ficken“, sagt Christan.

Er sieht so gut aus.

„Ich bin noch Jungfrau“, platzt es aus Ana heraus.

„Dann müssen wir das ändern“, sagt Chris.

Es kommt zu spontanem Blümchensex. Ana schwebt, sie hat multiple Orgasmen, die ersten ihres Lebens.

Chris sieht toll aus, auch mit postkoitaler Frisur. Ana nicht. Sie macht sich Zöpfe, beisst auf ihre Lippe und errötet.

„Ich mache nur SM, und ich ficke hart“, sagt Chris.

„Ich muss nachdenken“, meint Ana.

„Wir machen einen Vertrag.“

„Hm“, Ana beisst auf ihre Lippe.

 

Der Vertrag kommt. Ana beisst sich auf die Lippe, während sie ihn liest, und errötet.

„Es war schön, Sie kennengelernt zu haben“, schreibt sie per Email an Christian.

Zwei Minuten später steht er in der Tür zu ihrem Zimmer. Er sieht toll aus.

„Ich überzeuge dich“, sagt Chris und fesselt Ana mit seiner Krawatte ans Bett.

Danach ist sie überzeugt, beisst sich aber auf die Lippe.

„Mach das nicht, sonst ficke ich dich noch mal“, meint Chris.

Die postkoitale Frisur steht ihm. Die Jeans sitzt toll auf seinen Hüften.

„Darf ich dich nicht anfassen wegen Mrs. Robinson?“

Ana beisst sich auf die Lippe, während sie Chris ansieht.

„Frag nicht“, knurrt er.

 

Die Schläge tun weh. Ana stöhnt und wimmert, wird feucht dabei. Zum Glück fickt sie Chris im Anschluss. Er sieht toll aus, wenn er fickt.

Die Qualen nehmen kein Ende. Chris bestraft Ana, schlägt sie hart. Sie beisst sich auf die Lippe, es muss ein Ende haben.

„Ich bin nicht die Richtige für dich.“

„Oh, doch. Liebste, bitte geh nicht.“

„Ich muss es tun.“

Chris hält sie nicht auf, als sie in den Sonnenuntergang verschwindet.

 

Fortsetzung in Teil 2 – hier aber ist Schluss. 600 Seiten Stuss gelesen, nur weil die Welle so hoch schwappt und alle schwärmen. Merke: nur weil ein Buch oft gekauft wird, ist es noch lange nicht gut.

 

Versuch einer Anaylse

 

Vorbemerkung:

Ich habe das Ding tatsächlich durchgelesen.

 

1. Die Story:

 

Die Idee soll von Twilight kommen, aber das lese ich nun wirklich nicht auch noch. Es ist auch egal, die Story ist nicht neu und wird in dieser Form immer wieder erzählt: der tortured Hero trifft die holde Maid und wird geläutert, gewissermaßen von seinen Qualen erlöst.

 

Eine typische Liebesgeschichte a la Cora Verlag, Tiffany hot und sexy. Leider ergießt sich die dürftige Story über 1800 Seiten und steckt voller Wiederholungen, so dass man ab Seite 200 spätestens leicht ermüdet.

 

2. Die Figuren:

 

Ana ist farblos. Ihr Verhalten ist spätpubertär und wirft die Frage auf, was ein Superhecht wie Christian an ihr findet. Außer ihrem Lippengebeisse und ihrer ständigen Erröterei ist besonders ihre unschlüssige Handlungsweise nervig. Sympathie kommt da nicht auf.

 

Christian sieht supergut aus. Tja, das war’s dann auch schon.

 

3. Was für ein Genre haben wir hier vor uns?

 

In diesem Fall handelt es sich um

 

SPEZIALSCHMUDDEL

 

 

Der Spezialschmuddel zeichnet sich dadurch aus, dass er gesellschaftlich anerkannt ist und oft auch Belletristik genannt wird. Das Cover dieses Genres kommt aufwendig und ästhetisch daher. Keine Spur von nackenbeißenden Herren, die tief dekolletierten Damen an die Wäsche wollen.

Inhaltlich bewegt sich der Spezialschmuddel am Rande zur Erotik, überschreitet aber nie die Grenze zur Pornografie. Die Beschreibung der – hm, Liebeszenen bleibt schwammig, Geschlechtsteile werden möglichst nicht erwähnt, um die zartbesaiteten Leserinnen nicht zu verärgern.

Es ist also gewissermaßen Seichtschmuddel, der ein breites Publikum anspricht und auch im öffentlichen Nahverkehr genossen werden darf.

 

4. Wie erklärt sich der Erfolg des Buches?

 

Keine Ahnung. Der Schinken ist einfach nur langweilig.

 

An dieser Stelle möchte ich eine Leserin zu Worte kommen lassen, die uns vielleicht doch noch eine befriedigende Antwort auf die Frage liefert: wer – verdammt noch mal – liest solchen Scheiß freiwillig?

 

Frau R.Zora aus H. stellte sich meinen Fragen

 

Ich: Frau Zora, wie haben Ihnen die beiden Hauptprotagonisten gefallen?

 

*Frau Zora errötet.*

Die Protagonistin Be… oh Verzeihung … Ana ist das, was sich jede typische amerikanische Hausfrau als Tochter wünscht. Also bitte! Sie studiert brav, hat noch nie onaniert – ach nee, bei Frauen heißt das ja masturbiert? – und besitzt noch nicht mal einen Computer! Sie ist also auch noch nicht durch „Schmuddelromane“ auf Buchplattformen im Internet verdorben.

 

Und dann gerät sie an diesen – wirklich in JEDER Situation toll aussehenden – Typen, von dem sie sich auch bei kleinsten Verfehlungen bereitwilligst über`s Knie legen lässt…

Reichlich undankbar ist Ana für die vielen Geschenke, die ihr (Stalker) Verehrer ihr aufdrängt: Computer, Handy (oder so), Auto, Klamotten und - nicht zu vergessen – regelmäßige komplette Enthaarung der Bikinizone, sowie die verhütende Drei-Monats-Spritze!

 

Bedenklich sind ihre persönlichen Macken wie die immer wieder erwähnte Tollpatschigkeit, ihre Angewohnheit, sich ständig die Lippen blutig zu beißen, in jeder unpassenden Situation zu erröten und die nervigen Dialoge mit ihrer inneren Stimme. Ach ja, fluchen kann sie wie ein Bierkutscher, aber dafür hat sie ja nun einen vertraglich abgesicherten Erziehungsberechtigten…

 

Mister Grey ist natürlich der feuchte Traum aller Frauen zwischen 12 und 70!

Mit 27 Jahren mehrfacher Multi-Milliardär (wieviel Nullen hat eigentlich diese Null?), regiert sein riesiges Imperium, fliegt seinen eigenen Hubschrauber, fährt das größte Spießerauto, bewohnt ein (alp)traumhaftes Penthouse mit eigenem Darkroom (oder wie heißt dieses Zimmer mit den komischen Möbeln?) und spielt Klavier wie ein Vampir Gott.

 

Und auch äußerlich ist er ein Leckerchen: groß, muskulös, bronzefarbenes Just-Out-Of-Bed-Haar, das er ständig mit seinen langen, schlanken Fingern zerwühlt und ein sardonisches Grinsen. In auf den Hüften sitzenden Jeans, mit schief gelegtem Kopf, einer hochgezogenen Augenbraue und vor Verzweiflung rollenden Augen (Achtung! Nicht drauftreten!) ist er einfach unwiderstehlich!

 

Nur an seinem Selbstbewusstsein muss er noch arbeiten. Denn immer wieder betont Edward Chris, dass er ein Monster sei, nicht gut genug für (Bella) Ana. Sie sollte sich von ihm fernhalten, weil er sie (beißen) verletzen könnte.

 

Ich: Wie fanden Sie die Beschreibung der Sexszenen? Insbesondere die S/M Szenen?

 

*Frau Zora beißt sich auf die Lippe. Hart.*

 

Nun ja … irgendwie … kinky? Fesseln, Augen verbinden, Hintern versohlen, kitzeln – einfach GRAUSAM! Das ist HART! Purer Sadismus!

Übrigens hat mich verwirrt, dass Chris zeitweilig mit einer Reitgerte hantierte – in der Aufzählung seiner teuren Hobbies wurde doch gar nichts vom Reitsport erwähnt???

 

Aber besonders sadistisch fand ich, dass er die arme Ana ständig zum Essen nötigte.

Man (Mann) sollte einer Frau nie den Eindruck vermitteln, mit ihrer Figur unzufrieden zu sein – Chris muss irgendwie auch masochistisch veranlagt sein…

 

*Achtung! Spoiler!*

Übrigens hat Mister Grey die angekündigte Aktion „I`ll claim your ass!“ in keinem der drei Bücher wahr gemacht!

 

Ich: Welches Publikum wird von dem Roman angesprochen?

 

*Frau Zora hebt eine Augenbraue und grinst sardonisch.*

 

Auf jeden Fall alle Mädchen und Frauen, die noch an Glitzervampire glauben! Hauptsächlich diejenigen, denen in der Twilight-Saga die „schmuddeligen“ Szenen fehlten.

Da hat die englische Autorin jetzt ganze Arbeit geleistet, indem sie die amerikanischen Hausfrauen aufgeklärt hat. Und wie sie versichert hat, kann man die Sexszenen auch zuhause gefahrlos nachspielen. Denn sie hat alles mit ihrem Mann vorher ausprobiert und „der hat sogar gestöhnt“!

Inzwischen wurden die Bücher auch von einigen unerschrockenen – aber wohl masochistisch veranlagten - Männern gelesen, um dann damit bei ihren Freundinnen und / oder Frauen (einlochen) punkten zu können.

 

Ich: Glauben Sie, dass der Stoff für 1800 Seiten reicht?

 

*Frau Zora legt den Kopf schief und rollt mit den Augen.*

 

Aber natürlich! Mit „Copy & Paste“ kann frau die Story bis ins Unendliche verlängern! Da sich die Dialoge und die Sexszenen regelmäßig wiederholen, muss frau keine Angst haben, etwas zu verpassen, wenn sie zwischendurch mal für 50 Seiten einschläft.

Und solange (Edward) Chris beim Ficken sexy aussieht, halten die Hardcorefans bis zur letzten Seite aus.

 

Ich: Meinen Sie, dass der Roman zu sozialkritischem Denken auffordert? Gibt es eine – Message?

 

*Frau Zora fährt sich mit langen, schlanken Fingern durchs zerzauste Haar.*

 

Sozialkritisches Denken? Ja, zumindest die Autoren und Autorinnen von Originalgeschichten sollten sich warm anziehen! Sie entwickeln, oft in monatelanger Nachtarbeit, ihre phantasievollen Geschichten, denken sich individuelle Protagonisten mit kompliziertem Charakter und Namen aus, bringen ihre ureigenen Erfahrungen und Träume mit ein, suchen lange nach Literaturagenten und Verlagen, bis sie endlich ihr Werk veröffentlichen können.

 

Und dann kommt so eine Fanfiction-Autorin daher, übernimmt die Haupt- und Nebenpersonen, einschließlich der körperlichen und charakterlichen Beschreibungen, verändert lediglich die Namen und versetzt sie in ein anderes Universum, um dann mit „ihrem“ Machwerk auch noch Geld zu verdienen.

 

Vielleicht sollten beim Verkauf von Büchern in Zukunft die Kunden erst Knebelverträge unterzeichnen, die ihnen die weitere Verwendung der gelesenen Inhalte grundsätzlich untersagt? Das wäre dann bei Koch- oder Schulbüchern allerdings … und auch bei Sexratgebern … ach was, vergessen Sie, was ich gesagt habe!

 

Jetzt warte ich nur noch darauf, dass eine der unzähligen „Harry Potter“-Fanfictions, die den wehrlosen Zauberlehrling in eine homosexuelle Beziehung mit seinem Erzfeind Draco Malfoy zwingen, mit geänderten Namen als ebook erscheint.

Dann hätten wir endlich alle sexuellen „Abnormitäten“ durch den Umweg von Jugendbüchern über Fanfictions zu „Erwachsenenliteratur“ bei den amerikanischen Hausfrauen salonfähig gemacht!

 

Und eine Message? Ja, indirekt schon…

Nach diesem Buch sind alle, die bisher nichts über SM oder BDSM wussten, genauso „gut informiert“ wie vorher. Leider entsteht der Eindruck, dass „Sadisten“ (haha!) wie Mister Grey therapiert werden müssen, weil ihre sexuelle „Entgleisung“ auf traumatische Erlebnisse in der Kindheit und fragwürdige Beziehungen zu älteren Frauen während der Pubertät zurückzuführen ist. Auch Jungfrauen, die ständig errötend ihre Lippen blutig beißen, können zur „Heilung“ beitragen… (womit wir dann wieder bei dem Vampir-Mythos wären?).

 

 

Äh, danke, Frau Zora. Tja, ich würde sagen, jetzt ist alles gesagt. Anmerkungen und Anregungen sind natürlich willkommen.

 

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock designed by Sissi
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /