Ich traute meinen Augen kaum, als ich im Internet eine Abhandlung fand, die sich ausschließlich mit zeitgenössischen Liebesromanen befasste. So hatte ein namhafter Verlag in den Siebzigern einen kometenhaften Aufstieg hingelegt, indem er ausschließlich Groschenheftchen mit klischeebeladenen Liebesschnulzen verlegte. Hm, nicht verlegte, das kommt ja von verlieren. Ich meine: zum Kauf darbot.
Zu verlieren hatte der Verlag aber nichts, denn diese immer 120 Seiten umfassenden Werkchen wurden gekauft wie warme Semmeln. Warum? Die heile Welt mit dem garantierten Happy End begeisterte die Leser, die sich nach Feierabend in einer noch 48 Stunden dauernden Woche nur noch ablenken wollten. Wer die Tapeten und Badezimmer dieser Epoche noch kennt, kann das verstehen.
Über die Jahrzehnte und Krisen wuchs der Verlag. Gerade in Krisenzeiten, ich sage nur: 11. September, waren die stärksten Zuwächse zu vermelden. Die Menschen steckten den Kopf in den Sand, oder vielmehr: ins Schmuddelheftchen.
Um sich dem wachsenden Bedürfnis nach mehr Sex anzupassen, schließlich war auch auf der Bildzeitung jeden Tag ein Nackedei, wurde eine neue Reihe aufgelegt: Schmuddel leidenschaftlich bzw. hot und sexy. Nach dem Konsum solcher Heftchen stellte ich fest, dass die Vorgabe des Verlages sich wahrscheinlich folgendermaßen las: Sex ab Seite 30, dann alle 20 Seiten ein Treffer.
Das klingt eklig, liest sich aber ganz gut. Die Protagonisten, die in den „harmlosen“ Varianten höchstens drei Mal ins Ziel dürfen, treiben es plötzlich wie die Karnickel. Dafür ist keine Story blöd genug. Diese Heftchen sind ohne Altersfreigabe überall zu erwerben, aber: es handelt sich ausschließlich um Heteropaare.
Warum? Hm. Weil – weil das – weil das normal ist. Genau, es ist normal, dass Mann und Frau kopulieren, bis der Arzt kommt bzw. die Liebe eintrifft. Sogar im frei verkäuflichem Schmuddelheftchen.
Für alle hartgesottenen Schmuddelfans wie mich, die schon zu der ersten Generation von Lesern dieser Lektüre gehören und damit wahrscheinlich den Verlagsneubau finanziert haben, stellt sich die Frage: will ich das noch lesen?
Nein. Ich will keine Romane mehr lesen, in denen wunderschöne Frauen attraktive und nebenbei reiche Typen in irgendeinem amerikanischen Bundesstaat kennen-, lieben- und fickenlernen.
Wieso wohnen die überhaupt immer in Amerika? Auch diese Frage beantwortet meine Internet Freundin mit der Doktorarbeit klar und deutlich: weil ausschließlich amerikanische Autorinnen diese Sachen schreiben, die dann von fleißigen Übersetzern eifrig ins deutsche übertragen werden. Was für ein Job! Da bleibe ich lieber Buchhalterin, oder?
Fazit 1: das reguläre Schmuddelheftchen FSK 0 ist frei im Handel zu erwerben. Es wird gefickt ab Seite 30, sofern man das Richtige kauft. Das ist okay, treiben es doch „nur“ Männlein und Weiblein auf anerkannte Art. (anerkannt: ohne S/M, Drogen, fremde Dritte, Tiere, Schmerzen (ausgenommen: Herzschmerz) und vor allem: nur miteinander, 120 Seiten lang) UND es handelt sich fast ausschließlich um amerikanische Autorinnen.
Kommen wir nun zu den amerikanischen Autorinnen: sind die besser, schöner, billiger? Wir wenden uns an meine Internetbekanntschaft und die sagt: Nein. Die sind einfach nur eins: sie sind DA.
Oh.
Genau: Oh. Aber – ich bin doch auch DA. Und viele andere neben mir, vor mir. Oder – existiere ich nicht? Ein Blick auf meine Geburtsurkunde könnte das klären, aber die ist – äh, weiß ich nicht. Egal.
Meine Internetfreundin schreibt: die amerikanische Liebesromanautorin ist in ihrer Heimat gefeiert wie ein Superstar.
Oh. Schon wieder oh? Ja. Weil ich das nicht verstehe. Ich meine, wieso sind die da drüben Superstars, aber wir müssen uns verstecken? Man beachte eine Rachel Gibson und eine SEP (Susan Elizabeth Phillips) mit ihren Millionenbestsellern: allesamt Schmuddel.
Wieso dürfen die und werden gefeiert, während wir im freien Deutschland den Kopf einziehen und unter Pseudonym veröffentlichen?
So. Soweit zu den Heteroschlampen. Jetzt zu den Gayschmuddlern: Igitt. Ich meine, wie kann man das Schmuddelgenre noch tiefer herunterziehen, indem man von zwei Schwänzen schreibt? Das ist – unreligiös. Und – unnatürlich, gewissermassen total widerlich.
Wir begeben uns jetzt sozusagen in den Schmuddelkeller. Dort werden wir nicht nur NICHT gefeiert, sondern auch noch – geächtet. Man liest uns unter dem Ladentisch, so wie früher die Pornohefte in den einschlägig bekannten Shops auf der Reeperbahn.
Uh-uh. Wir schreiben das Jahr 2012 und sind sexuell befreit – ganz Gallien? – nein, ein kleines Dorf leistet erbittert Widerstand. Es wehrt sich mit Hilfe eines Zaubertranks, der den Bewohnern übernatürliche Kräfte verleiht. Übernatürliche Kräfte? Ja – dank des VATIKANFILTERS werden alle Angreifer wider des Anstands – gefiltert. Einfach nicht mehr – angezeigt. Gott sei Dank.
Zusammen mit den Anstandslosen fallen auch die Ehrlichen, die soften Erotiker. Aber – im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Also liebt uns bx und will uns nur helfen. Uh-uh, diesmal leiser. Danke, bx. Oder ist es keine Liebe sondern...?
Fazit 2: homoerotische Romane sind im kommen, werden gefordert, gelesen, geliebt, aber sie sind alle: IGITT. Wer das noch nicht wusste: DAS IST SO. Wer veröffentlichen will, muss sich bei teuren Verlagen anbiedern, die in überteuerten Formaten an den Leser weitergeben. Wir landen bei Amazon in Sparten wie Belletristik, (sehr hübsch, Heimwerken passt auch), können das nur beeinflussen, wenn wir direkt über Kindle publizieren. Dann ist allerdings ALLES erlaubt, sogar fehlende Deutschkenntnisse. Und dann können wir sogar in der richtigen Sparte veröffentlichen. Und zwar ALLES. Sogar Homoerotik, igitt, und: Porno. Ja, es gibt bei Amazon FSK 0 Pornoliteratur. Und wo bleibt DA die Zensur? Himmel hilf.
Hm. Sollte uns das alles zu denken geben? Ich glaube: vielleicht. Aber WIR sind auch ein kleines, gallisches Dorf und wir können uns wehren. Mit Buchstaben, die wir zu Wörtern formen und dann zu Sätzen und Büchern. Und, indem wir zusammenhalten. Wer das noch nicht wusste: merken.
Und in diesem Sinne: lets do it.
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: google and Sissi
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für alle Schmuddler und die Bewohner des kleinen, gallischen Dorfes