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Fegefeuer = reinigendes Feuer, bevor die an sich geläuterte Seele in den Himmel darf. Letzte sündige Gedanken werden ausgebrannt und hinterlassen eine vollkommen reine Seele.

Hm, Jo legte die Zeitschrift weg und sah auf seine Uhr. Er wartete jetzt schon eine halbe Stunde darauf, endlich auf den Behandlungsstuhl gerufen zu werden. Seine Zahnschmerzen wurden immer schlimmer. Verärgert rieb es sich über seine geschwollene Wange und überlegte, ob er dem fiesen Zahnarzt den Hals umdrehen – halt! Fegefeuer. Verdammt. Jo riss sich zusammen und im nächsten Moment rief ihn eine freundliche Zahnarzthelferin auf. Der Zahnarzt machte seine Sache gut. Fünfzehn Minuten später war Jos Backe betäubt und der Bohrer auf dem Weg zur Wurzel des Übels. Während Jo versuchte, das fiese Geräusch des Bohrers auszublenden, dachte er wieder an das Fegefeuer. Wie lange man dort wohl bleiben musste?
Endlich wieder auf der Strasse beschäftigte Jo immer noch der Gedanke an das Fegefeuer. Er war kein Kirchengänger, noch nicht einmal getauft, aber er fühlte sich schon als guter Mensch. Immerhin grüßte er seine Nachbarn regelmäßig und goss seine Blumen. Das war mehr, als so manch anständiger Mensch von sich behaupten konnte, oder?
Durstig betrat Jo einen Coffeeshop und bestellte sich einen Cafe Latte mittel with extra full vanille flavour, was auch immer das war. Die süße Blonde hinter dem Tresen lächelte und warf eine umwerfend laute Maschine an. Während Jo auf sein Getränk wartete, lief aus seiner betäubten Lippe Speichel sein Kinn herunter. Entsetzt bemerkte er das Unglück und wischte sich verstohlen mit seinem Ärmel über den Mund, unsicher die Umgebung taxierend. Die Blonde lächelte und zwinkerte ihm zu.
Oh Gott! Fegefeuer. Die glaubte jetzt bestimmt, er würde wegen ihr sabbern. Als sie das Getränk über den Tresen schob hob sie die Augenbrauen.
„Das macht vier Euro.“
Jo fummelte seine Geldbörse aus der Tasche und schlurfte seine Unterlippe in den Mund.
„Waf ift nur wegen der Betäubung“, versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Okaaay“, murmelte die Blondine und reichte Jo das Wechselgeld. „Und ich dachte, du hättest mich erkannt. Ich bin deine neue Nachbarin.“
Scheiße. Soweit zu dem täglich Nachbarn grüßen. Jo schluckte und hielt sich die Hand vor den Mund, als er zu einer neuen Rechtfertigung ansetzte.
„Das tut mir echt leid. Klar, du bist die neue Nachbarin, hab ich gleich gesehen. Ich bin Jo.“
„Hallo Jo“, sagte die Blonde, „ich heiße Melanie Fegebank. Aber ich muss jetzt weitermachen, wir sehen uns.“
Mit diesen Worten wandte sich Melanie dem nächsten Kunden zu. Jo griff sich seinen Cafe Latte mittel with extra full vanille flavour und verzog sich an einen kleinen Tisch. Melanie Fegebank. Irgendwie wurde sein Gehirn heute überschwemmt mit Fege- äh, dings. Während er durch einen Strohhalm seinen Cafe Latte und so weiter schlürfte sah er Melanie zu, wie sie hinter dem Tresen eifrig Kaffee für die Kunden zubereitete. Süß. Melanie war eindeutig süß. Jo schlürfte seinen Becher leer und verließ das Cafe. Er musste zur Arbeit, der Zahnschmerz war fast weg.
Als Jo endlich Feierabend machen konnte war der Gedanke an ein Fegefeuer endlich verschwunden zugunsten der Sehnsucht nach einer heißen Dusche und einem kalten Bier, die Reihenfolge war fast egal. Stöhnend rieb er sich den Nacken und ging in seine Küche, öffnete den Kühlschrank.
„Oh Mann“, erklang eine Stimme, „if bin fo froh, daf du endlif da bift.“
Hä? Jo warf die Kühlschranktür zu und sah sich um. Wo war die Stimme hergekommen?
„He, du da draufen“, erklang es aus dem Kühlschrank, „mir ift langweilig.“
Hm. Ein sprechender Kühlschrank. Jo grinste. Diese Fegefeuergeschichte hatte ihn eindeutig irre gemacht. Entschlossen riss er erneut die Tür auf und fand sich Auge in Auge mit einem – Ding wieder. Allerdings hatte das Ding echt süße Augen, riesengroß und dunkel.
„Hallo“, sagte das Ding und blinzelte, „darf if hier jetft endlif rauf?“
„Bist du – äh, kommst du aus dem Fegefeuer?“
„Fegefeuer?“ Das Ding blinzelte erneut und grinste dann unverschämt. „Haft du auf einen – Fpraffehler?“
Hä? Jo trat einen Schritt zurück und das Ding sprang auf den Boden, wobei es eifrig mit den Stummeln an seinem Rücken wackelte. Mit einem leisen „Autf“ landete es und rieb sich den Popo.
„Verdammter Mift“, murmelte das Ding, das irgendwie – drachenähnlich aussah.
Allerdings sollten Drachen groß und furchteinflössend aussehen, nicht klein und niedlich. Dieses Ding hatte grün-gelbe Schuppen, einen langen Schwanz und eine spitze Schnauze, was eindeutige Drachenmerkmale waren. Jo plumpste auf einen Stuhl und starrte das Ding an, das sich nun neugierig umsah.

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: pocket dragon
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2012

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