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Udo und Wolle mal wieder

 

Wolle die seine Augen und sah nichts. Na ja, es war ja nicht nichts sondern nur Schwärze. Verwirrt taste er und fand einen Arm, der hoffentlich Udo gehörte.

„Hey, Udo, siehst du das Gleiche wie ich?“ flüsterte er.

„Hm, was ’n los?“, kam leise zurück.

„Na, guck doch mal. Hier ist nichts.“

Udo regte sich neben ihm. „Ach, da hat nur jemand das Licht ausgemacht.“

Eine Bewegung verriet, dass sich Udo wieder hinlegte. Wolle schubste ihn und zischte aufgeregt: „Aber es muss hier doch etwas geben. Irgendwas.“

„Gibt es doch auch. Ich liege auf einer weichen Matratze, das ist doch was.“

Da hatte Udo wohl recht. Wolle tastete und fand die Matratze, tastete weiter und fand Boden. Langsam krabbelte er von der weichen Unterlage auf den festen Untergrund und erkundete seine Umgebung. Wie beim Topfschlagen patschte er mit seiner Hand auf den Boden, während er langsam umher krabbelte.

Da war eine Wand. Wolfgang richtete sich auf und tastete weiter an der Wand lang, bis er auf eine Ecke stieß. Toll, wo eine Ecke war, war auch – noch mehr Wand, allerdings in eine neue Richtung. Nach zwei weiteren Ecken stieß Wolle auf eine Matratze und auf Udo, der unwillig grunzte. „Was wird das hier?“

„Ich suche einen Ausgang“, entgegnete Wolle.

Udo rappelte sich hoch und begann nun auch, ihre Umgebung zu erkunden. Er ließ seine Handflächen über die Wand gleiten und fand eine Ritze. „Hey, Wolle. Hier ist was.“

Er schob seine Fingernägel in die Einkerbung und zog. Etwas ging auf, wie ein Fenster oder so. Mit großen Augen starrte Udo durch die Öffnung: Da war ein Garten. Nein, eine Art Wald oder riesige Landschaft.

„Lass mal gucken.“ Wolle schob ihn beiseite und glotzte hinaus.

Schneller als Udo gucken konnte, kletterte Wolle durch das Loch. Er winkte und marschierte los, auf eine Baumgruppe zu. Irgendetwas an der Landschaft kam ihm bekannt vor. Wolle runzelte die Stirn und suchte in seinem Gehirn nach Gleichungen. Ach ja, das Bild im Wartezimmer seines Arztes.

„Hey, ich weiß jetzt, was das hier ist“, verkündete Wolle, drehte sich um und hielt nach Udo Ausschau. Er fand seinen Freund, also, den Kopf desselben, der in der Luft zu schweben schien. „Das hier ist das Paradies. Ich hab das schon mal auf einem Bild gesehen“, erzählte er dem schwebenden Kopf.

Udo schien ihn nicht verstanden zu haben, starrte immer noch mit großen Augen durch die – Öffnung? Wolle wandte sich ab und ging weiter auf die Bäume zu. Wenn dies das Paradies war, wo waren dann Adam und Eva? Als er die Baumgruppe erreichte entdeckte Wolle einen kleinen Teich, an dessen Ufer ein Paar saß und sich gerade stritt.

„Ich hab dir tausendmal gesagt, du sollst dich hinsetzten beim pinkeln“, sagte die Frau.

Der Mann senkte beschämt den Kopf. Wolle musste grinsen, also hatten Adam und Eva die gleichen Probleme wie er und Udo.

„Hallo Leute“, rief er dem Paar zu und näherte sich ihnen, „ich bin Wolle. Es gibt hier nicht zufällig was zu essen?“

Der Mann starrte Wolle erstaunt an und die Frau quietschte laut, versuchte ihre Blöße mit ihren Händen zu verdecken. Ja, die beiden waren nackt. Wolle hatte sie jetzt erreicht und sah interessiert die Frau an. Hübsch, aber nicht sein Fall. Also richtete er seinen Blick auf Adam, der sich unbefangen erhob und Wolle die Hand reichte.

„Hallo, ich bin Adam. Schön dass endlich mal wieder jemand vorbeischaut. Wie geht’s?“

„Äh, gut“, meinte Wolle und schüttelte dem Typen die Hand. „Ich habe Hunger.“

Hier kam die Schlange ins Spiel.

„Fremder, hier, iff diefen Apfel“, surrte jemand an Wolles Ohr.

Oh. Wolle drehte sich um und entdeckte eine dicke Schlange, die ihm listig zulächelte. Er kannte die Geschichte und musste grinsen.

„Wenn ich den Apfel esse, dann werde ich vertrieben.“

„Ah“, machte die Schlange, „du kennft die Gefifte. Fade.“

Ja, schade. Aber Wolle hatte Hunger und ehrlich gesagt war ihm die Geschichte egal. Also pflückte er den Apfel und biss hinein.

FLUFF.

„Mensch, Wolle. Ich habe mir schon Sorgen gemacht“, sagte Udo froh.

Wolle sah sich um und biss erneut in den Apfel, den er gottlob noch immer hatte. So, da war er also wieder in dem dunklen Ding und die Öffnung schloss sich langsam aber beharrlich.

„Lass uns mal gucken, ob es noch mehr von diesen komischen Türen gibt“, meinte er, während er seinen Apfel verspeiste.

Udo hatte sich schon an die Arbeit gemacht und fand tatsächlich eine neue Öffnung. Neugierig sah er hindurch und entdeckte – Wüste.

„Da geh ich nicht raus“, kam es von Wolle.

Also gut. Udo tastete sich weiter und öffnete die nächste – äh, Tür? Diesmal sah er in einen Park, in dem ein großes Schloss stand. Ein Auto fuhr gerade vor und zwei Typen stiegen aus.

„He, das sind wir.“

Ungläubig starrte Udo auf die Gestalten da vorn, die sich zum Schloss begaben, gefolgt von Dornröschen. Verdammt. Wenn er und Wolle jetzt da raus gingen, gab es sie dann doppelt? Diese Sache mit dem Raum-Zeit-Kontinuum nervte ihn gewaltig.

„Was machen wir nun?“

Wolle hatte von seinem Apfel nur noch das Kerngehäuse übrig. Er kratzte sich am Kopf und warf dann den Apfelgrieben durch die Öffnung. Es machte – plopp – und ein Apfel lag auf dem grünen Rasen.

„Äh“, machte Udo.

„Hm“, kommentierte Wolle und schwang ein Bein durch das Fenster-Tür-Ding.

Nichts passierte. Er zog das zweite Bein hinterher und es passierte – nichts.

„He, super. Alles in Ordnung. Komm, Udo.“

Wolle hatte sich bereits umgedreht und rannte auf das Schloss zu. Udo folgte ihm, fühlte ein merkwürdiges Kribbeln in seinen Knochen, je näher er dem Schloss kam.

„Wolle, irgendwas stimmt nicht“, sagte er noch mit piepsiger Stimme.

Dann sah er es auch schon: Wolle war wieder ein Kind, und er – Udo musterte seine Hände – er auch.

Oh Mann. Da hatte man sich durch das ganze Leben gekämpft, um dann durch ein Wurmloch – oder war es etwas anderes? – wieder da zu landen, wo alles begonnen hatte. Udo wollte gerade mürrisch werden, als Wolle ihn anstupste.

„He, lass uns ein bisschen spielen. Ich fühle mich so jung.“

Na gut, Udo ließ das mürrisch werden sein und folgte Wolle zu dem großen Spielplatz, der wie aus dem Nichts neben dem Schloss erschienen war. Während sie fröhlich schaukelten und rutschten vergaß er mehr und mehr, dass er eigentlich ein fast fünfzigjähriger Mann war.

„Kinder, kommt rein. Zeit fürs Abendessen“, ertönte eine Stimme.

Wolle sprang sofort auf und zog Udo mit sich.

„Hoffentlich gibt es Nudeln mit Soße. Das mag ich am liebsten.“

 

Der Subraum waberte und ächzte. Diese Beiden machten ihn fertig. Sie hatten das Raum-Zeit-Kontinuum gesprengt, so dass irgendwo Adam und Eva fröhlich und ohne Konsequenzen ihre Äpfel aßen, während in der Wüste ein Bach plätscherte. Man musste echt aufpassen, wen man als blinden Passagier mitnahm, dachte der Subraum in seiner Leere, bevor er sich auflöste.

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock supported by Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 09.06.2012

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