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Mal wieder hatte Britta mich rausgeschmissen. Mürrisch lief ich die Treppe hinunter und überlegte, wieso ich mich, verdammt noch mal, schon wieder aus meiner eigenen Wohnung werfen ließ. Wir hatten uns gestritten, wie so oft. Bevor der Streit endgültig eskalierte, hatte ich eingelenkt, und Britta hatte sofort die Situation ausgenutzt, um mich vor die Tür zu setzen. Sie bräuchte jetzt ein wenig Zeit für sich, hatte sie gesagt, und ich Trottel verließ natürlich sofort die Wohnung, anstatt sie nach hause zu schicken. Aber ich hing eben an ihr, auch wenn wir gar nicht harmonierten.
Ich erreichte die Tür zum Innenhof und trat in die Nachmittagssonne hinaus. Auf der Bank, die ich stets nutzte, um die Versöhnung abzuwarten, saß heute ein mir unbekannter Kerl. Unschlüssig ließ ich meinen Blick durch den kleinen Garten wandern, fand aber keine gleichwertige Sitzgelegenheit.
„Hallo Nachbar“, sagte der Unbekannte und grinste mich an.
Erst jetzt fiel mir ein, dass es sich um den Mann handeln musste, der in dem Stockwerk unter mir eine Wohnung neu bezogen hatte. Allerdings hatte ich bisher nur die Frau gesehen, die anscheinend auch dort eingezogen war. Das Mietshaus, in dem ich wohnte, war angenehm anonym. Da ich aber einen guten Kontakt zum Hausmeister unterhielt, wusste ich, wenn Mieterwechsel stattfanden. Der Typ war ein wandelndes Informationszentrum, ein männliches Gegenstück zu der bekannten Else Kling aus der Fernsehserie Lindenstrasse.
„Hallo, ich bin Paul“, erwiderte ich, während ich mich der Bank näherte.
Offensichtlich hatte sich mein Nachbar auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet. Zu seinen Füssen entdeckte ich einen Sixpack Bier und einen Aschenbecher.
„Stört es dich, wenn ich mich hier ein wenige hinsetze, bis sich meine bessere Hälfte beruhigt hat?“
„Ne, setz dich ruhig. Meine hat mich auch rausgeschmissen.“
Erleichtert darüber, einen Leidensgenossen gefunden zu haben, ließ ich mich auf die Bank plumpsen. Die Sonne wärmte angenehm, als ich die Beine ausstreckte und mich entspannte.
„Ich bin Robert“, murmelte mein Nachbar.
„Hm.“
„Willste auch ein Bier?“
„Gern.“
Robert beugte sich vor und zog eine Flasche aus dem Pappkarton. Mit einem Feuerzeug entfernte er den Kronkorken und reichte sie mir.
„Danke.“
Ich nahm einen Schluck und seufzte behaglich. Der Streit war vergessen. Es war ohnehin lächerlich gewesen, dass Britta sich darüber aufregte, wenn ich meine schmutzige Wäsche im Bad liegen ließ. Schließlich war es mein Bad. Okay, ich hatte gewusst, dass sie mich besuchen würde. Aber – mal im Ernst: wer dachte noch an Schmutzwäsche, wenn die Liebste im Anmarsch war? Ich jedenfalls hatte nur noch an meine Libido gedacht. Darüber hatte ich den fremden Damenslip, der sich zuoberst des Wäschehaufens befand, glatt vergessen.
„Frauen sind komisch“, sagte ich und sah in die Sonne.
„Hm.“
„Die sehen überall gleich das Schlechte.“
„Stimmt.“
„Dabei weiß ich gar nicht, wie ich in Besitz des fremden Schlüpfers gekommen bin.“
„Fremder Schlüpfer?“
Mein Nachbar wandte sich mir interessiert zu.
„Ja, son String-ding. Der war plötzlich in meiner Jackentasche.“
„Aha.“
„Muss da irgendwie – reingeraten sein“, murmelte ich und trank aus meiner Flasche.
Es tat gut, hier zu sitzen und sich von den Sonnenstrahlen wärmen zu lassen. Auch die Gesellschaft dieses wortkargen Roberts tat gut. Ich seufzte und reckte mich behaglich.
„Und – du hast keine Ahnung wie...?“
„Na ja, neulich war ich auf sonem Junggesellenabschied. Ich glaube, da ist es passiert.“
„Klingt plausibel.“
Robert nickte und trank sein Bier aus. Mit einem leisen Rülpsen beugte er sich vor und nahm sich eine neue Flasche aus dem Pappträger. Es klickte leise, als er den Kronkorken entfernte. Schweigend genossen wir den späten Nachmittag. Ein Vogel zwitscherte irgendwo oben in dem Baum, der mitten im Hof stand, und eine sanfte Brise machte die Wärme erträglich. Einer der Hausbewohner hatte wohl sein Fenster gerade geöffnet, denn plötzlich hörte ich leise Musik. Die traurigen Klänge einer Rockballade erreichten mein Ohr.
„Ein benutztes Gummi ist schwerer zu erklären.“
Ich musste grinsen, als Robert diesen Satz mit nüchterner Stimme vorbrachte. Oh Mann, in seiner Haut wollte ich wirklich nicht stecken. Der Slip war ja noch zu erklären, aber ein Kondom?
„Und – hat es sich wenigstens gelohnt?“
Neugierig sah ich zu ihm rüber und betrachtete sein Profil. Dieser Robert sah nett aus, stellte ich fest. Er musste ungefähr in meinem Alter sein, hatte meine Größe und – ich ließ meinen Blick tiefer gleiten – eine schlanke Figur.
„Weiß ich nicht“, er blinzelte mir zu, „ich weiß noch nicht einmal, wie der Typ hieß.“

Nach dieser Information hatte ich den Innenhof verlassen. Nicht auffällig schnell, aber möglichst – zügig. Robert hatte mir zugenickt, als ich mich erhob und meinte, ich müsse dann mal wieder. Nach dieser Begegnung ging meine Beziehung mit Britta endgültig den Bach runter. Noch am selben Abend stritten wir erneut, ein paar Tage später war dann der Ofen endgültig aus. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf sie, und sie wohl auch nicht mehr auf mich. Stattdessen dachte ich an Robert.
Es war schön gewesen, mit ihm zu reden. Auch das gemeinsame Schweigen hatte mir gefallen. Seine Homosexualität – nun, das machte ihn ja nicht zu einem schlechten Menschen. Im Gegenteil, irgendwie reizte mich diese Sache sogar. Ich erwischte mich dabei, dass es mich sogar erregte, wenn ich an ihn dachte. In der Wohnung unter mir war es immer still, ich sah nie eine Menschenseele auf dem großen Balkon. Ob er wieder ausgezogen war? Oder reiste er viel?

Zwei Wochen dauerte es, bis mich die Neugier erneut nach unten in den kleinen Garten hinter dem Haus trieb. Ich öffnete die Tür zum Innenhof und sah zur Bank, aber die war frei. Irgendwie hatte ich gehofft, Robert dort sitzen zu sehen. Enttäuscht ging ich hin und ließ mich auf die Holzfläche fallen. Diesmal hatte ich einen Sixpack mitgebracht, öffnete eine Flasche Bier und streckte meine Beine aus. Wieder wärmte mich die Sonne, ein laues Lüftchen wehte. Genüsslich reckte ich mein Gesicht nach oben und ließ meine Gedanken wandern.
„He Paul.“
Der Mann, an den ich gerade gedacht hatte, setzte sich neben mich und lächelte mir zu. Mein Herz begann schneller zu schlagen bei seinem Anblick. Ich grinste zurück und richtete mich auf.
„Robert, willste auch ein Bier?“
„Gern.“
Ich langte nach unten, fummelte eine Flasche aus dem Karton und reichte sie ihm.
„Ich bin übrigens Journalist“, informierte mich mein Nachbar.
Seeleruhig schnippte er den Kronkorken von seinem Bier und nahm einen Schluck. Ich lehnte mich zurück, legte meinen Arm auf die Rückenlehne der Bank, so dass meine Hand seinen Haaransatz erreichen konnte. Meine Finger berührten wie zufällig Roberts Locken.
„Ich arbeite gerade an einer Reportage über das Verhältnis zwischen schwulen Männern und Heteros“, sagte Robert, „Das mit dem Kondom war übrigens gelogen, mit dem Typen auch. Ich bin glücklich verheiratet, mit einer Frau. Es war nur ein Test, wie du reagieren würdest.“
Ich erstarrte. Der Nachmittag hatte seinen Glanz verloren. Das Bier schmeckte schal, ich trank es trotzdem aus, bevor ich mich steif erhob.
„Ich – muss dann mal wieder“, sagte ich.
Robert nickte mir zu. Wie ein geprügelter Hund verließ ich den Hof. An der Tür warf ich einen Blick über die Schulter. Mein Nachbar hatte sich entspannt zurückgelehnt, um seine Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. Es brach mir das Herz.

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: Gerrys Künstleratelier
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an alle bisherigen Kommentatoren, Dank an Gerry für das Cover.

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