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Wolfgang stieß sich den Ellbogen an irgendwas und fluchte leise.
"Verdammter Mift!" Es war aber auch Dunkel in dieser Kiste. Er tastete nach dem Lichtschalter, konnte ihn aber nicht finden. In diesen neumodischen Kühlschränken musste irgendein verrückter Designer was verändert haben. Wolfgang seufzte und rollte sich um das Glas saure Gurken zusammen, dass er schon vor einer Stunde leer gegessen hatte. Sein Magen knurrte und ihm war kalt. Hoffentlich fand ihn der Kühlschrankbesitzer bald.

Max schloss die Tür von seinem Fitnessstudio ab und ging den kurzen Weg nach hause. Es war schon spät, nach zehn Uhr abends. Andere Leute gingen um diese Uhrzeit ins Bett. Für Max fing jetzt erst der Feierabend an, den er wie immer allein verbringen würde. Er seufzte und freute sich auf ein gekühltes Bier und - hm, vielleicht Pizza?
Gestern hatte er chinesisches Essen bestellt und in dem Glückskeks einen komischen Spruch gefunden. Da hatte gestanden: lade einen Freund Dir ein und mach ihn froh, dann geht es Dir bald ebenso.
Ha-ha. Sehr lustiger Reim, hatte er gedacht. Dann komm, unbekannter Freund, ich mache Dich froh, war sein nächster Gedanke gewesen. Zugegeben, er hatte zu dem Zeitpunkt schon mehr als ein Bier intus gehabt. Sonst war Max nämlich ein sehr ernsthafter, nicht mehr ganz junger Mann. Genauer gesagt war er ein sportlicher, attraktiver Anfangdreißiger. Und Single. Unglaublich aber wahr.
Max erreichte seine Wohnung und warf seine Sachen im Flur einfach auf den Boden, sprang geschickt über eine müffelnde Unterhose und erreichte unverletzt die Küche. Ah, das Bier. Er öffnete den Kühlschrank und sah...einen Drachen inmitten leerer Bierflaschen sitzen.
"Äh, Hallo," sagte Max, "ist das Bier alle?"
Na endlich! Wolfgang hatte sich so gelangweilt und schließlich diese komischen Flaschen aufgemacht. Und alle ausgetrunken. Jetzt war ihm übel - speiübel. Er würde gleich..
"If muff mif übergeben," stöhnte er und warf sich dem Kühlschrankbesitzer entgegen. Der fing ihn geistesgegenwärtig auf und warf ihn wie einen Spielball weiter in das Spülbecken. Es dengelte laut, dann ein gequältes: „Autf“
Es war schon befremdlich genug, einen Drachen in seinem Kühlschrank vorzufinden. Einen würgenden Drachen auf dem Arm zu halten war – Brrr.
Aus dem Spülbecken erklangen Geräusche, die Max Tränen in die Augen und einen Würgreiz in die Kehle trieben. Er machte sich auf den Weg ins Badezimmer und ließ sich die Geschehnisse noch einmal gründlich durch den Kopf gehen. Erleichtert ging Max dann wieder in die Küche um sich den Ereignissen zu stellen.
Dieses - Drachending lag im Spülbecken, bis zum Bauchnabel in Schaum gehüllt. Hm, es sah nicht gefährlich aus. Mit seinen grün-gelben Schuppen, nur einem Kopf mit riesigen, schwarzen Knopfaugen sah das Ding eher – niedlich aus. Max entschied, sich erst einmal um die Bierproblematik zu kümmern. Das hatte eindeutig Vorrang, er hatte stechenden Durst. Er öffnete den Kühlschrank und fand zu seiner Erleichterung noch eine Flasche in der Gemüseschale.
Wolfgang litt derweil im Spülbecken.
"If habe fo einen Fädel," jammerte er leise.
In seinem Zustand war er sehr froh, dass es sich bei dem Kühlschrankbesitzer diesmal um einen Mann handelte. Die waren recht einfach gestrickt: sie sahen ihn, befanden ihn für nicht gefährlich und auch nicht essbar und ließen ihn dann meist in Ruhe. Dies war auch so ein Exemplar. Es machte sich sogar ein Bier auf und trank erst mal genüsslich, bevor es sich ihm zuwandte.
„Also,“ sagte Max und wischte sich den Mund am Ärmel ab, „was tust Du hier?“
Hm, Wolfgang überlegte.
„Leiden,“ versuchte er es.
Stimmt, das war eindeutig. Max nahm noch einen Schluck aus seiner Flasche.
„Und – wer bist Du?“
Der Drache versuchte sich stolz aufzurichten, wobei sein Badewasser über den Rand der Spüle schwappte.
„If,“ sagte er und legte eine Pfote auf seine Brust, „If bin Folfgang von Hengftenberg. Und wer bift Du?“
„Du hast einen Sprachfehler,“ erkannte Max geistreich.
Empört schwappte erneut Wasser über den Spülbeckenrand.
„If habe keinen Fpraffehler. If lifpel nur.“
„Ach so,“ meinte Max, „Okay. Also ich heiße Max.“
Der Drache hob die Pfote und versuchte ein Lächeln.
„Hallo Maf. Fön Dif kennen fu lernen.
„Ganz meinerseits,“ erwiderte Max automatisch und überlegte, ob er Wolfgang nun auch eine Pizza bestellen musste. Schließlich war er so eine Art – Gast, oder nicht?
„Äh, sag mal, magst Du Pizza?“
Wolfgang erzitterte vor Entzücken. Sein ganzer Körper begann vor Erwartung zu vibrieren und schickte einen neuen Schwall Spülwasser auf den Küchenboden.
„If liebe Piffa! If könnte fterben für Piffa,” rief er enthusiastisch, “Bitte mit ganf fiel Käfe und fauren Gurken.”
„Okay,“ sagte Max und verließ die Küche, um nach seinen Telefon zu suchen.
Was in dem Chaos, das in seiner Wohnung herrschte, nicht einfach war. Er fand es schließlich unter seinem Kopfkissen.
Ach ja, er hatte ja gestern bei dieser Dame angerufen, die ihm so freundlich erzählt hatte, was für Wäsche sie trug und wo ihre Hände sich gerade befanden. Es war ein sehr – anregendes Gespräch gewesen, dass ihn zufrieden und ermattet zurückgelassen hatte. Max musste grinsen bei dem Gedanken, dass die Dame während des Gesprächs wahrscheinlich gebügelt hatte. Oder sich die Fingernägel lackiert. Aber er war eben ein Mann, ein ganzer Kerl. Es reichte, wenn er sich vorstellte, die Dame hätte ihre Hände..
„Maf? If hab Hunger,“ tönte es aus der Küche.
Okay-okay. Sein Gast hungerte. Max unterbrach seine warmen Gedanken für einen Anruf beim Pizzaservice. Dann ging er wieder in die Küche und fand Wolfgang auf dem Fußboden vor, eines seiner Geschirrtücher lässig um die Hüften gewickelt. Putzig.
„Focken wir jetft bif die Piffa kommt,“ erkundigte sich der Drache und krabbelte auf einen Küchenstuhl.
Focken? Meinte der Drache etwa zocken? Max runzelte die Stirn.
„Du willst mit mir – Karten spielen?“
„Ja, focken. Kannft Du Fkat?“
Klar konnte Max Skat. Wie jeder echte Mann. Aber – verdammt noch mal – hier saß ein Drache in seiner Küche und wollte so etwas normales tun wie Karten spielen? Taten Drachen nicht andere Dinge? Wie zum Beispiel – äh, rumfliegen, Feuer spucken und Angst und Schrecken verbreiten?
„Sag mal, was bist Du eigentlich für ein Drache? Ich meine, musst Du nicht wichtige – Drachendinge tun? Jungfrauen verschleppen und so?“
Wolfgang kicherte in sich hinein. Dieser Max war echt witzig.
„If bin ein Glückfdrafe. Die tun fowaf nift.“
Ach so. Na dann.
„Heißt das, ich kann mir was wünschen,“ fragte Max hoffnungsvoll.
„Pah,“ machte Wolfgang verächtlich, „Daf ift nur bei Feen fo. If bin – eine Art Glückfbringer. Den Reft muft Du felber machen.“
Schade. Max machte sich auf die Suche nach einem Kartenspiel, das er dann Wolfgang in die Pfoten drückte.
„Hier, misch mal,“ murmelte er und griff nach seinem Bier.
Der Drache mischte die Karten wie ein Profi und teilte aus. Dann schnupperte er und warf Max einen misstrauischen Blick zu.
„Haft Du – gepupft?“
Gepupst? Er? Max schnupperte auch und schüttelte empört den Kopf.
„Ich riech nichts.“
„Dof. Ef ftinkt hier ganf mäftig,“ murrte Wolfgang und schnupperte wieder.
Vorsichtig warf Max einen Blick unter den Tisch. Oh, der Drache saß genau über dem Haufen mit seinen schmutzigen Socken, die er eigentlich heute noch hatte waschen wollen. Verlegen krabbelte Max unter den Tisch und holte die Socken mit Todesverachtung hervor, stopfte sie in die Waschmaschine. Ja, das war schon besser.
„Fauftall,“ schimpfte Wolfgang leise und sah unschuldig in sein Blatt. Wie gut, das Max abgelenkt gewesen war. Nun wusste er wenigstens, was für Karten sein Gegner hatte.

Der Drache gewann die Partie. Max war erleichtert, als der Pizzabote klingelte. Es ging ihm irgendwie gegen seine Ehre, gegen einen gerade mal fünfzig Zentimeter großen Drachen zu verlieren. Er legte sein Blatt auf den Tisch.
Als er mit den Pizzakartons zurückkam erwischte er Wolfgang gerade noch, wie der sich seine Karten ansah.
„Du – schummelst,“ sagte Max fassungslos.
Der Drache zuckte zusammen. Dann sah er mit Welpenblick zu Max hoch.
„If konnte einfaf nift anderf.“
Oh Mann. Max schüttelte den Kopf und warf die Kartons auf den Tisch.
„Das ist – ehrlos.“
Wolfgang sackte in sich zusammen und nickte. Eine dicke Träne rann ihm über die Wange.
„Ef tut mir fo leid,“ weinte er, „fo unendlif leid. Wirklif. If bin fo – ehrlof.“
Max schluckte. Mit Tränen hatte er noch nie umgehen können. Er beugte sich vor und klopfte Wolfgang auf das, was er für seine Schulter hielt.
„Schon gut Kumpel. Komm, wir essen jetzt Pizza.“
„Piffa?“
Ruckartig richtete der Drache sich auf und erzitterte vor Wonne. „If liebe Piffa. Oh, Du bift wirklif ein toller Gaftgeber.”

„Du kannst heute Nacht auf dem Sofa schlafen,“ erklärte Max nach der Pizza und gähnte herzhaft. Wolfgang nickte und rutschte von seinem Stuhl. Wie gesagt, mit Männern war alles so einfach.
„Aber morgen musst Du Dir einen anderen Schlafplatz suchen. Ich brauche meine Wohnung für mich allein,“ fuhr Max fort.
Oh nein. Dieser Kerl hatte es doch nicht kapiert. Wolfgangs Unterlippe begann zu zittern.
„Wo-ho foll if denn hin,“ heulte er auf, „if bin dof jetft Dein Glückfdrafe. Du muft mif behalten.“
Entsetzt sah Max, wie eine Fontäne von Tränen aus Wolfgangs Augen spritzte. Der kleine Kerl zitterte vor Schluchzern. Oh Gott! Und nun?
„Äh, hallo Drache.“
Die Fontäne versiegte und Wolfgang schniefte.
„If – heiffe – Folfgang,“ murrte er.
„Ja, klar, also Wolfgang. Das – war nicht so gemeint. Ich meine, Du kannst auch länger auf meinem Sofa schlafen. Länger als eine Nacht.“
Das Gesicht des Drachen strahlte auf wie die Sonne nach einem Regenguss.
„Fieht Du? Du haft mif alfo dof lieb. If wuffte ef,“ jubilierte Wolfgang und umarmte Max Beine.
Och, das war jetzt aber süß. Max schluckte und tätschelte Wolfgang den Kopf.
„Schon gut,“ murmelte er.

Eigentlich hätte Max gern noch einmal die Dame angerufen, für ein anregendes Gespräch. Aber Wolfgangs leises Schnarchen aus dem Wohnzimmer irritierte ihn, einerseits. Andererseits verursachte die Nähe des kleinen Kerls bei ihm ein ungewohntes Wohlbehagen. Irgendwie war dieser Drache echt niedlich.

„Maf.“
Wolfgang hüpfte auf dem Bett auf und ab, um diesen faulen Kühlschrankbesitzer zu wecken. Ihm war schon ganz schwindlig vor Hunger.
„Maf, Du muft aufwafen. If habe Hunger.“
Widerwillig öffnete Max ein Auge und betrachtete das Ungeheuer auf seinem Bett. So musste es sein, wenn man Kinder hatte. Eigentlich – ganz schön. Er gähnte und schubste Wolfgang vom Bett.
„Au,“ der Drache rieb sich den Popo und warf Max einen finsteren Blick zu.
„Tschuldigung,“ gähnte Max und schwang die Beine aus dem Bett, „ich habe zuviel Kraft.“
„Ha-ha,“ murrte Wolfgang und trat Max gegen das Schienbein.
Der zuckte noch nicht einmal zusammen. Oh Mann, was für ein Kerl. Ehrfürchtig sah der Drache zu Max hoch. Der ging in die Küche und machte sich Kaffee. Hoffnungsvoll kletterte Wolfgang auf einen Stuhl. Er sah zum Kühlschrank.
„Faure Gurken?“
Max grunzte und sah nach, schüttelte bedauernd den Kopf.
„Nö, Kumpel. Hab ich nicht.“
Die Unterlippe des Drachen begann bedenklich zu zittern.
„Aber – ich kann welche kaufen. Genau. Ich ziehe mich an und kaufe für Dich saure Gurken. Okay?“
Wolfgangs Gesicht begann zu strahlen.
„Du bift – fo lieb fu mir,“ sagte er.

Oh Mann, so einen Drachen zu beherbergen war wirklich anstrengend. Max war noch nie so früh im Supermarkt gewesen wie heute. Und er hatte noch nie diese süße Kassiererin gesehen. Die sah ja aus wie – hm, ja wie eigentlich? Wie eine süße Maus eben, entschied Max und lud seine zehn Gläser saure Gurken auf das Fließband. Die süße Maus lächelte, als sie die vielen Gläser sah.
„Na, ist das für die schwangere Gattin zuhause,“ fragte sie fröhlich und sah Max an.
Max erstarrte zur Salzsäule. Das waren mit Abstand die – schönsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Er schluckte und nickte.
„Äh, nein, die sind – also, ich hab Besuch von – weiß ich nicht wo und da isst man wohl ganz viel saure Gurken, glaub ich,“ erklärte Max geistreich.
Irgendwie fehlte ihm jemand, der ihm gehörig in den Arsch trat. Vielleicht sollte er das nächste mal Wolfgang mitnehmen.
Die süße Maus lächelte immer noch und scannte die Gläser in die Kasse. Dann wartete sie geduldig. Worauf? Max starrte sie immer noch an.
„Äh, das macht dann – siebzehn Euro neunundneunzig,“ sagte die Maus schließlich.
Was? Max erwachte und griff nach seiner Geldbörse.
Als er den Supermarkt mit seiner Beute verließ war er immer noch wie in Trance. Da saß seine Traumfrau wahrscheinlich schon seit Jahren in diesem Laden und er hatte sie erst heute entdeckt. Mein Gott, was sollte er nun tun?

Wolfgang miaute fast vor Vorfreude, als er die ganzen Gläser sah.
„Daf ift grofartig! If habe riefigen Hunger. Danke Maf.“
Er griff nach dem ersten Glas und öffnete mit seinen Krallen den Deckel. Schmatzend betrachtete er dann Max, der immer noch völlig verträumt in der Küche herumstand.
„Waf ift mit Dir lof,“ fragte Wolfgang neugierig und leckte sich die Krallen ab.
Max seufzte und ließ sich dem Drachen gegenüber auf einen Stuhl fallen.
„Das verstehst Du nicht,“ sagte er und nahm sich eine Gurke aus Wolfgangs Glas. Verträumt biss er hinein.
„Pfui Teufel,“ Max würgte und sprang auf, rannte zum Spülbecken und spuckte die Gurke hinein.
„Verdammt, die sind ja sauer,“ keuchte er und griff sich an den Hals.
Wolfgang hob die Augenbrauen und betrachtete das Glas in seiner Hand.
„Na ei der dauf. Wer hätte daf gedaft,“ murmelte er.
Max spuckte noch einmal aus und griff dann nach dem Kaffee. Als er den Geschmack damit aus seinem Mund vertrieben hatte ging es ihm besser.
„Ich muss gleich los zur Arbeit,“ erklärte er Wolfgang und verließ die Küche. „Mach hier keinen Mist.“

Den ganzen Tag musste Max immer wieder an die Maus denken. Als er abends endlich nach hause ging war der Drache aus seiner Erinnerung schon fast gelöscht, bis er..
„Au,“ Max rutschte im Flur aus und fiel auf den Rücken.
„Was zum Teufel ist hier los,“ rief er erbost und sah sich um.
Der ganze Fußboden – glänzte. Max strich mit dem Finger darüber und roch daran – Margarine?
„Wolfgang!“
Ein Scharren ertönte, dann kam der Drache aus der Küche gehumpelt. Eine Pfote in einer Margarineschachtel, die andere glänzend vor Fett.
„Waf ift denn,“ fragte er unschuldig und sah Max erstaunt an. „Und farum liegft Du da?“
Max schnaubte.
„Wieso hast Du den Fußboden mit Margarine eingeschmiert?“
Wolfgang sah sich um und sagte: „Upf.“
„Ja, ups. Was für eine Schweinerei. Wer soll das denn sauber machen?“
Der Drache sank in sich zusammen und schniefte leise.
„If wollte nur Krallenpflege maffen. Ef tut mir fo leid. Ehrlif,“ flüsterte er verschämt.
Max kam vorsichtig auf die Füße und griff sich den kleinen Kerl, trug ihn in das Badezimmer. Die Badewanne war voller saurer Gurken.
„Upf,“ machte Wolfgang wieder und legte eine Pfote über seine Augen. „If war daf nift.“
„Klar,“ knurrte Max und ließ den Drachen unsanft in das Gurkenbad plumpsen. „Wasch Dich. Und iss die Gurken auf.“
Dann zog er die Margarineschachtel von Wolfgangs Pfote und schlidderte in die Küche.
„Oh-oh,“ murmelte der Drache und griff nach einer Gurke, „If glaube, Maf ift eft fauer. Wie die Gurken.“

Und so verbrachte Max seinen Abend damit, seine Wohnung zu putzen. Was auch ohne die Hilfe des Drachen dringend nötig gewesen wäre. Es war schon nach Mitternacht, als er endlich fertig war. Erschöpft sah Max ins Badezimmer, wo er Wolfgang inmitten der Gurken schnarchend vorfand. Merkwürdig. Der Drache schien – größer geworden zu sein. Max rieb sich über die Augen und ging in sein Bett. Dann träumte er – von der süßen Maus und sauren Gurken.

„Mafs?“
Wolfgang rüttelte an Max Schulter.
„Mafs, Du muft aufftehen. Die fauren Gurken find fon wieder alle.“
Max öffnete ein Auge und starrte den Drachen an. Das hier war ja ein Alptraum. Von wegen Glücksdrache. Sein Leben bestand ja nur noch aus sauren Gurken. Mühsam setzte er sich auf und gähnte. Wolfgang hopste vom Bett und sah mit Welpenblick zu ihm hoch.
„Bitte, Mafs. If habe folfen Hunger.“
Oh Mann, dieser kleine Kerl machte ihn fertig. Max sprang aus dem Bett und zog sich hastig an.
„Aber Du kommst diesmal mit,“ erklärte er.
„Oh ja,“ quietschte Wolfgang und hüpfte auf und ab, „if komme mit. Daf wird luftig.“
Ja, das würde wirklich lustig werden, wenn er mit dem Drachen im Supermarkt erschien, überlegte Max. Er griff nach seiner Geldbörse und dem Schlüssel, lief dann die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Wolfgang.
Niemand beachtete ihn, als er den kurzen Weg zum Supermarkt zurücklegte, während der Drache neben ihm herhüpfte. Auch in dem Laden erregte er keine Aufmerksamkeit. Max ging zu dem Regal mit den Gurken und füllte seinen Korb.
„Oh, machte Wolfgang und betrachtete eine Pyramide aus gestapelten Konservendosen. „Daf fieht fo auf, alf könnte ef Fpaff maffen.
Geistesgegenwärtig klemmte Max sich den unternehmungslustigen Drachen unter den Arm und lief zur Kasse. Wolfgang strampelte.
„Laff mif runter,“ schimpfte er.
„Was für ein süßer Hund,“ sagte die süße Maus und lächelte Max zu.
„Wuff,“ machte Wolfgang und lächelte die Maus verliebt an.


„Ja, sehr süß. Aber leider auch sehr frech,“ sagte Max geistesgegenwärtig.
„Lad fie fum Effen ein,“ wisperte der Drache.
„Äh,“ machte Max und ließ Wolfgang los.
„Lof. Lad fie fum Effen ein, Du Wafflappen,“ quietschte Wolfgang und trat Max gegen sein Schienbein.
„Würden Sie mit mir Essen gehen,“ sagte Max gehorsam.
Die süße Maus lächelte bedauernd.
„Ich muss immer lange arbeiten. Es ist eine Ausnahme, dass ich heute die Frühschicht habe.“
„Oh,“ japste Wolfgang und trat erneut gegen Max Schienbein.
„Das ist – schade,“ sagte Max.
„Fade? Wiefo ift daf fade? Lof, fag waf originellef,“ schimpfte der Drache.
Originell? Max packte seine Gurkengläser auf das Fliessband und dachte fieberhaft nach.
„Äh, Sie haben wunderschöne Augen.“
Die Maus errötete und scannte eifrig die Waren in die Kasse.
„Und – Sie – ich finde Sie einfach wunderschön.“
Die Maus errötete zutiefst.
„He, könnense nicht nach Feierabend mit der Dame flirten? Ich will auch mal bezahlen,“ erklang es da hinter Max.
Wolfgang seufzte und sah den Typen an. Der zerstörte hier gerade die ganze Romantik. Aber Max zog den Kopf ein und bezahlte seine Gurken. Packte sie in eine Tüte und rannte fast aus dem Supermarkt. Wolfgang quietschte und trippelte schnell hinter ihm her.
„Du hätteft Dif mit ihr verabreden follen,“ keuchte er und hielt nur mühsam mit Max Schritt.
„Lass mich in Ruhe,“ knurrte Max.
Der Drache schob die Unterlippe vor und redete nicht mehr mit Max. Schmollen konnte er nämlich richtig gut.
„Mach keinen Mist während ich weg bin,“ sagte Max, bevor er zur Arbeit ging.
Wolfgang drehte ihm den Rücken zu und schwieg.

Den ganzen Tag dachte Max an die süße Maus. Warum war er auch nur so schüchtern? Als er nach hause ging grübelte er immer noch darüber, wie er sich ihr nähern konnte. Das Problem schien ihm jedoch jemand abgenommen zu haben. Vor seiner Haustür stand die süße Maus, mit Wolfgang auf dem Arm. Der grinste zufrieden.
Und machte: „Wuff.“
„Äh, hallo,“ sagt die Maus, „Ihr Hund ist allein in den Supermarkt gelaufen und hat bei mir gesessen, bis ich Feierabend hatte. Und dann – ich weiß auch nicht. Ich wusste einfach, das er hier wohnt – ich meine, sein Herrchen.“
Wolfgang grinste wölfisch. Max runzelte die Stirn.
„Das ist aber nett. Ich weiß gar nicht, wie er allein weglaufen konnte.“
„If hab die Tür aufgemacht, Du Doofie,“ murrte der Drache.
„Kann ich sie auf einen Kaffee einladen? Oder ein – Glas Wein? Als Dankeschön?“
Die Maus lächelte und setzte Wolfgang ab.
„Das wäre – nett.“
Max schloss seine Wohnungstür auf und war froh, dass er gerade erst sauber gemacht hatte. Die Maus folgte ihm in die Wohnung, Wolfgang dicht hinter ihr. Moment, der Drache war ja riesig geworden. Er reichte der Maus ja fast bis zur Schultern, wenn er sich aufrichtete. Max starrte Wolfgang an.
„Ftarr mif nift fo an,“ knurrte der Drache.
Ach ja, Max nickte und suchte in seiner Küche nach einer Flasche Wein. Dann führte er die Maus in sein Wohnzimmer und schenkte ihnen zwei Gläser voll.
„Ich heiße Daphne,“ sagte die Maus und sah Max erwartungsvoll an.
„Daf ift Mafs,“ beteiligte sich Wolfgang ungefragt und machte es sich auf dem Sofa bequem.
Daphne setzte sich zu ihm. Sofort legte der Drache seine Schnauze in ihren Schoss und schnurrte behaglich. Max schnaubte. Wolfgang ging eindeutig zu weit.
„Was für ein süßer Hund,“ murmelte Daphne und kraulte Wolfgangs Kopf. Sie überlegte, woher sie plötzlich Max Namen wusste. Er war plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht. Sie sah zu Max hoch und lächelte irritiert. Der Mann sah aber auch süß aus. Wenn sie doch nur nicht so schüchtern wäre.
„Daphne ift fo füff,“ murmelte Wolfgang und legte sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Max schluckte, als Daphne tatsächlich ihre Hand über die rosa Schuppen gleiten ließ. Er setzte sich auch auf das Sofa und schubste unauffällig Wolfgang hinunter.
„Au,“ schimpfte der und sah Max vorwurfsvoll an, „Daphne hätte mir gleif meine Eier gekrault.“
Max fletschte die Zähne und knurrte. Wolfgang zuckte zusammen und hob entschuldigend die Schultern.
„Dann nift,“ er zog den Schwanz ein und rollte sich auf dem Fußboden zusammen.
„Tja, äh,“ machte Max und wandte sich Daphne zu, „ich besitze ein Fitnessstudio. Das heißt, ich muss immer viel arbeiten.“
„Oh,“ Daphne sah ihn mitleidig an, „das tut mir aber leid. Was sagt denn ihre Frau dazu?“
„Äh, ich habe keine Frau. Leider.“
Max senkte den Blick. Daphne starrte ihn an. Dieser tolle, schöne Mann war nicht verheiratet? Sie schluckte. Und griff nach ihrem Weinglas. Verlegen nahm sie einen Schluck und erhob sich dann.
„Tja, ich geh dann mal. Es ist ja schon spät und Sie müssen sich ja sicher ausruhen.“
Wolfgang knurrte und hob den Kopf.
„Küff fie fon, Du Blödmann.“
Max erhob sich auch und folgte Daphne zur Tür.
„Danke. Danke für meinen – äh, Hund.“
Daphne nickte und wartete.
„Lof. Küff fie,“ Wolfgang trat Max gegen sein Schienbein.
„Ich kann das nicht,“ flüsterte Max dem Drachen zu.
Daphne hatte das gehört. Sie seufzte leise und wandte sich zum gehen. Max konnte also nicht. Wie schade. Dabei wäre er genau ihr Typ.
„Dann schlaf schön.“
Max nickte.
„Daf darf dof wohl nift wahr fein,“ schimpfte Wolfgang und trat erneut gegen Max Bein, „if fleppe Dir die füffe Mauf in Deine Wohnung. Und Du? Du tuft nift. Gar niftf. If bin fauer. Total fauer.“
Der Drache verschwand schnaubend im Bad. Dann platschte es laut. Max folgte ihm mit eingezogenen Schultern und fand Wolfgang in einer Wanne voller Gurken.
„Es tut mir leid,“ murmelte er verschämt.
„Pft,“ machte es aus dem Gurkenberg, „if bin total fauer. Hau ab.“
Max trottete in sein Schlafzimmer und legte sich auf sein Bett. Der Drache hatte Recht. Er war ein Idiot. Und total in Daphne verknallt. So eine Chance bekam er nie wieder. Seufzend zog er schließlich seine Pyjamahose an und kroch unter seine Bettdecke.

„Mafs,“ jammerte es an Max Ohr.
Max öffnete ein Auge und fand sich Nase an Schnauze mit Wolfgang vor. Der Drache sah – elend aus. Und irgendwie – klapprig. Genau, Wolfgang klapperte mit den Zähnen.
„Mir ift fo kalt,“ wimmerte Wolfgang.
Oh Mann, der Kerl tat Max echt leid. Er griff nach seinem Pyjamaoberteil und legte es um den zitternden Drachen. Der seufzte erleichtert und kuschelte sich enger an Max. Moment. Max schob ihn von sich. Das ging zu weit. Er fand Wolfgang ja ganz niedlich, aber der Drache war inzwischen fast so groß wie er selbst. Und immerhin – ein Männchen. Na ja, Max hätte auch ein Drachenweibchen von sich geschoben.
„Mir gehtf fo fleft,“ winselte Wolfgang.
Max sah den kranken Drachen verunsichert an. Wenn der jetzt in seinem Bett starb – musste er dann das Veterinäramt anrufen? Max warf einen Blick auf die Uhr. Mitten in der Nacht. Verdammt, was nun?
„Nur Du kannft mif heilen,“ schwadronierte Wolfgang.
Hm, Max hob die Augenbrauen. Was kam nun?
„Gib mir einen – Kuff. Dann wird allef gut,“ Wolfgang klapperte mit seinen Augen.
Max stöhnte. Der Drache gab also den Froschkönig. Also schien es ihm doch nicht so schlecht zu gehen.
„Du simulierst. Raus aus meinem Bett.“
Wolfgang kicherte leise. Frauen ließen sich überreden. Männer suchten den Kampf. War ja immer das Gleiche. Schon fühlte er Max Hände, die nach seinen Schultern griffen und ihn aus dem Bett drängten. Der Drache nutzte den Moment und presste sein Maul auf Max Mund. Der erstarrte. Oh Gott! Wolfgang war ein homosexueller Drache! Das war der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf ging. Wenigstens in Bezug auf Wolfgang.
„Daphne?“
Max starrte auf die Frau, die nur mit seinem Pyjamaoberteil notdürftig bekleidet vor ihm lag. Er zog seine Hände zurück.
„Max?“
„Daphne?“
„Max?“
„Äh, hallo.“
Daphne nickte diesmal nur und streckte die Hand aus. Sie hatte von Max geträumt. Und nun lag sie hier, in seinem Bett. Und er stammelte nur ihren Namen. Ein gutes Zeichen, oder? Daphne strich über Max Wange und rückte an ihn heran.
„Kannst Du jetzt?“
Hä? Max rutschte auch näher. Daphne beugte sich vor und strich sanft mit ihren Lippen über seinen Mund. Max stöhnte leise. Dann dachte er an den Drachen und griff zu. Zog Daphne in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. Sie erwiderte seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft.
Eine ganze Weile war nichts zu hören als das süße Schmatzen ihrer Küsse. Max hob schließlich den Kopf und sah Daphne mit glänzenden Augen an.
„Ich bin so froh, dass Du hier bist. Ich hätte mich nie getraut Dich wieder einzuladen.“
Daphne lächelte Max zu.
„Ich bin auch so froh. Obwohl ich gerne wüsste, wie ich in Dein Bett gekommen bin.“
Tja, eine genaue Erklärung konnte Max ihr auch nicht geben. Aber er hatte da einen Verdacht.

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 06.04.2012

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