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Die eigene Vergänglichkeit

 

 

Man braucht nur eine Insel
allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
  den aber braucht man sehr.

 

Mascha Kalekò

 

 

 

 

 

 

Beim Lesen des Textes einer von ihr sehr geschätzten Schreiberin stürzte sie förmlich in einen GedankenKeller, dessen Türschloss sich verrostete.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als einen Moment darin zu verweilen. Sie nahm sich Zeit – Zeit, über sich und ihre Lieben, ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Freunde – Zeit, um nachzudenken.

 

In einem Alter, wo früher über Rente nachgedacht wurde … nach dem Motto, noch 2 Jahre, dann bist du Sechzig … war diese in weite Ferne gerückt. In jungen Jahren kam oft der Satz … das mach ich, wenn ich in Rente bin … in ferne Länder reisen zum Beispiel oder Socken stricken. Warum dachte der Mensch so weit in die Zukunft, schmiedete Pläne über Jahre hinaus und lebte nicht im Jetzt, im Heute. Sie hatte so viel vor in ihrem Leben, was hatte sie daraus gemacht?

 

Als sie 16 war, erkrankte ihre Schwester an einem Nephroblastom. Bestrahlung, Chemo,

Lungenmetastasen, Tod. Der Jugend und den Träumen beraubt, flüchtete sie in eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Der Schwester konnte sie nicht mehr helfen, warum also tat sie das. Eigentlich hatte sie einen anderen Weg einschlagen wollen, doch sie entschied sich für einen Job, der ihr Freude machte, den sie gerne tat, dessen Wertschätzung sie überschätzt hatte.

 

Krankenhaus, ein Moloch, dass Menschen gesund und die Pflegenden krank machte. Brav wurden im Dreischichtensystem Pflegende ausgeblutet, bis nur noch eine Hülle ihrer selbst und eine schmale Rente übrig blieb. Ausstieg … brüllte die Vernunft, aushalten … brüllte der Verstand.

Was gab es in ihrem Leben noch, für dass sich das Leben lohnte. Das Leben, kam die Antwort. Die kleinen Dinge des Lebens wieder wahr nehmen, sich nicht an Altem fest krallen.

 

Im Laufe der Jahre hatte sie Freunde verloren, die nicht mehr passten. Dazu gehörte auch der Mann, mit dem sie sich ihr Leben so schön zurecht gelegt hatte. Ihr Heim war weg, in dem sie nicht immer glücklich war. Das hatte sie noch nicht verschmerzt. Doch sie hatte ihr Leben und fing nicht wirklich etwas damit an. Sie harrte aus.

 

Wieder einmal stand ein Umzug an. Auch dieser würde nicht der Letzte sein, dessen war sie sich bewusst. Der Letzte würde sie in die Ewigkeit des Universums katapultieren und dann war alles ausgestanden. Doch bis dahin würde sie es aushalten müssen, dieses Leben, von dem sie überzeugt war, es war einzigartig, wenn auch  nicht ewig. Sie hatte Freunde durch Krankheit verloren, viel zu früh waren sie gegangen, einfach aus ihrem Leben verschwunden. Geblieben waren ihr nur wenige, doch die waren wichtig. Eine davon war die Schreiberin, der sie diese Geschichte widmete. Ihre Texte las sie gerne, da fand sie viele Gedanken, die ihren eigenen glichen.

 

Nichts im Leben ließ sich festhalten, dessen war sie sich sicher. Sie würde neu beginnen, ihr Leben in Ordnung bringen, sich vielen schönen Dingen zuwenden, solange sie es noch konnte. Sie würde im nächsten Jahr Urlaub machen, vierzehn Tage am Stück. Das hatte sie im Jahre 2001 zum letzten Mal getan. Sie würde jeden Tag genießen, nicht warten, bis die Rente kam. Sie würde abspecken, was ihr im Leben nicht mehr wichtig war, sich von Dingen trennen, die sie selbst den Ballast des Lebens nannte.

 

Ihr Leben sollte in einen Koffer passen. Vieles, was sie sich im Laufe ihres Lebens angeschafft hatte, würde sie veräußern, verschenken oder in die Tonne klopfen. Vielleicht würde es ihr helfen, zur Ruhe zu kommen. Weg mit dem Ballast, hin zu neuen Ufern.

 

Noch hatte sie Zeit auf Erden, doch wie lange noch, das wusste sie nicht.

 

 

 

Impressum

Texte: © sissi kallinger
Bildmaterialien: © sissi kallinger
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Cecilia - GeschichtenSchreiberin und Freundin

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