Cover

20.11.


Niemand soll sehen, wie zerbrochen ich eigentlich bin. Und doch sehen sie es. In der Art, wie ich mich bewege, daran, dass meine Klamotten schwarz sind. Und meine Haare, meine eigentlich naturblonden Haare.
Aber nur die Leute, die mir ins Gesicht sehen, sehen warum ich so zerbrochen bin. Sie sehen, dass in meinen Augen die Tränen glitzern, wenn ich meinen Kopf hebe. Sie sehen die weggewischten Tränen an meinen Wangen. Und das Veilchen an meinem rechten Auge. Der Auslöser für all das hier. Meine Mutter. Sie hat mich geschlagen, weil sie mit ihrer Situation nicht mehr zurechtkam. Und jetzt bin auch ich an ihrer Situation zerbrochen. Ich, das Mädchen, dass nie aufgeben wollte, schwenke die weiße Fahne und ergebe mich. Ich will nie wieder raus aus meinem Bett, aber ich muss. Ich will nicht so viele Armbänder tragen, damit man die roten Striemen an meinen Handgelenken nicht sieht – aber es ist besser so. Vielleicht wäre es aber auch am besten ich wäre gar nicht mehr da – ich mache doch sowieso nur Probleme.

Tschüss Leben, ich geh sterben!

xoxo Monique

21.11.


Die Leute fragten sich, ob ich umgänglicher geworden war. Basiert auf den wenigen Informationen, die sie über mich hatten. Falsche Informationen. Sie kannten mich nicht. Sie wussten nicht mehr als meinen Namen, vielleicht noch wo ich wohnte und dass ich in ihre Klasse ging. Aber niemand kannte mich wirklich. Niemand wusste, worüber ich nachts um halb zwölf nachdachte. Außer Moritz. Ich kannte ihn schon seit dem Kindergarten und Geheimnisse hatten wir nie voreinander gehabt. Auch nicht jetzt, wo er ein halbes Jahr in Amerika war. Ich erzählte ihm alles und er hielt nichts geheim vor mir.
Ich erzählte ihm, dass es scheiße in der Schule lief, dass meine Mutter inzwischen schon ihren 573. Freund hatte und über was ich in der Nacht grübelte. Die Brücke war so nah, ich konnte einfach springen, aber trotz der ganzen Probleme brachte ich es nicht übers Herz. Ich hatte schließlich noch Moritz. Und er würde mir das nie verzeihen.Wenn es nötig wäre, würde er mit mir springen oder zumindest da stehen und mich aufhalten.
Und mir seine Liebe gestehen. Ich merkte jeden Tag, dass er in mich verschossen war, in der Art, wie er mit mir sprach, wie er sich verabschiedete, alles deutete darauf hin.
Und auch in meinem Herzen hatte er einen besseren Platz verdient als den des besten Freundes. Einen Platz in der ersten Reihe. Als mein erster fester Freund.

xoxo Monique

22.11.




Tränen rollten über meine Wangen. Nicht, dass das unnormal wäre, aber heute war es schlimmer als sonst. Mein Gesicht tat weh von den Schlägen meiner Mutter. Mein Herz tat weh und ich fragte mich wie eine Mutter ihrer Tochter so was antun konnte. Anscheinend konnte sie.
Ich musste mit Moritz reden, schnell. Sonst würde ich tatsächlich noch zur Brücke gehen. Aber ich hatte noch so viel Überlebenswillen, dass ich ihn anrufen wollte.
Ich musste ihn anrufen, egal wie spät es in Tulsa gerade war. Egal ob er gerade in Englisch oder Mathe neben seinem Austauschbruder saß. Oder ob er schon schlief.
Langsam wählte ich seine Handynummer, immer in der Angst, er würde nicht abnehmen.
Nach dem vierten Klingeln hörte ich seine besorgte Stimme: „Monique, was ist los?“
Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber es schenkte mir neuen Mut. Wie immer wenn ich seine Stimme hörte.
„Ich muss mit dir reden, wo bist du gerade?“
„Ich sitz gerade in Mathe, aber die Stunde ist in zwei Minuten vorbei. Bleib dran!“
Kurz hörte ich noch die Geräusche in seiner Umgebung, dann wurden sie gedämpft. Wahrscheinlich hatte er das Handy in seiner Hosentasche verschwinden lassen. Nach zwei Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, meldete er sich wieder.
„Ich hab Joe gesagt ich komme später, also was ist los, Süße?“
Tränen rannen über mein Gesicht und versickerten in meinem Kissen. Moritz versuchte an der anderen Seite mich mit Atemübungen zu beruhigen. Das fand ich so komisch, dass ich mich tatsächlich beruhigte. Und wie immer wenn wir telefonierten, war es als würde er neben mir sitzen, denn ich sah genau, wie sich ein verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
Haarklein erzählte ich ihm, was passiert war und er hörte einfach nur zu. Wie immer. Es war befreiend, mit jemandem darüber reden zu können.
„Dieser Scheißkerl hat mit meiner Mum Schluss gemacht und da ist sie mal wieder ausgetickt und hat mich geschlagen.“
Moritz kannte die Situation. Ich hatte ihm ähnliche schon gefühlte hundert Mal geschildert. Und er verstand mich. Als einziger. Wie immer.
„Du musst unbedingt schnell wiederkommen!“, winselte ich wie ein hilfloser Welpe, nachdem er mir Mut gemacht hatte.
„Es sind nur noch zwei Wochen, Monique. Und du kannst mich jederzeit anrufen.“
„Aber...“
„Was ist aber?“, hakte er nach.
„Ich brauche jemanden, der mich festhält, wenn ich springen will. Jemanden, der mir den Boden wieder unter die Füße schiebt, den mir die anderen weggezogen haben. Und jemanden, der diesen Arschlöchern dafür gewaltig in die Eier tritt!“
Meine Wut auf diese Leute baute sich immer weiter auf. Was fällt ihnen ein, mich so fertig zu machen? Ich habe ihnen nichts getan. Aber ich war ein Außenseiter. Und auf Außenseitern hackten sie gerne rum.
„Es tut mir Leid.“, murmelte Moritz auf der anderen Seite.
„Es muss dir nicht Leid tun. Du kannst nichts dafür. Sie mögen mich nicht, weil ich anders bin. Daran kannst auch du nichts ändern!“
Ich versuchte ihn von seinem „Ich-bin-an-allem-Schuld-Trip“ abzubringen.
„Aber ich bin nicht da, wenn du mich brauchst...“
„Das ist auch nicht deine Schuld. Der scheiß Austausch war die Idee von deinen Eltern.“
Und meine, wollte ich noch hinzufügen. Ich hatte ihn überredet, das Angebot anzunehmen, um ein bisschen Abstand zu bekommen.
„Ich komme alleine klar!“, hatte ich ihm am Flughafen noch versichert. Seitdem hatte sich alles verändert. Zu Beginn des Schuljahrs waren ein paar neue Machos in meine Klasse gekommen, die jetzt schon seit fast einem halben Jahr nach allen Regeln der Kunst auf mir rumhackten.
Die Lehrer ignorierten mich systematisch und niemand aus der Klasse wollte was mit mir zu tun haben. Meine Eltern hatten sich schon vor einiger Zeit scheiden lassen und ich griff immer öfter zur Klinge. Nur die Telefonate mit Moritz hinderten mich in letzter Zeit noch daran, zum Küchenmesser zu greifen und dem ganzen ein Ende zu setzen. Oder schmerzlos mit Mums Schlaftabletten. Das ging auch. Ich wusste, wo sie sie aufbewahrte. Es wäre ein schneller Griff. Ein Griff, an dem mich Moritz hinderte. Genauso wie am Sprung von der Brücke. Zum Glück kam er in zwei Wochen schon wieder. Wahrscheinlich würde ich wieder die einzige am Flughafen sein, seine Eltern warne froh, ihn ein halbes Jahr losgewesen zu sein. Ich würde da stehen. Mit seinem Lieblingspulli (den er mir extra dagelassen hatte) an und unserem Freundschaftsarmband aus der ersten Klasse am Handgelenk.
„Monique? Bist du noch dran?“
„Ja klar. Ich hab nur gerade über etwas nachgedacht.“
„Wehe du greifst zum Küchenmesser oder den Tabletten, wenn ich nicht da bin. Das würde ich mir nie verzeihen!“
Ich konnte förmlich spüren, wie sich in seinen Augen Tränen bildeten. Eine Seele – zwei Körper, wie seine Oma zu sagen pflegte.
Er war schon immer emotional gewesen. Als seine Eltern seinen kaputten Teddy damals in den Müll geschmissen hatten, hatte er so lange geheult, bis er ihn wiederhatte.
Und an seinem letzten Geburtstag hat er mich angesprungen wie ein Affe, als ich ihm sein Geschenk, einen handgemachten Traumfänger, überreicht habe.
„Keine Angst, daran habe ich nicht gedacht. Ich habe daran gedacht, dass ich wahrscheinlich alleine auf dich warten werde. Oder haben sich deine Eltern inzwischen gemeldet?“
„Nein. Wieso sollten sie auch? Jonas war doch schon immer die erste Wahl.“
Da hatte er Recht. Jonas war zwei Jahre jünger als er und wurde immer wie der Scheich persönlich behandelt. Moritz musste ihm immer und alles hinterherräumen.
„Wenigstens haben sie dir ne Kamera geschenkt.“, lenkte ich ein. Moritz konnte ohne seine Kamera nicht leben, er nahm sie überall mit hin.
„Da hast du Recht. Das war so ungefähr das einzige, was sie je Gutes für mich getan haben. Das Geld für irgendwelche Fahrten musste ich ihnen ja auch immer erst aus den Rippen leiern.“. Er seufzte. Wahrscheinlich hatte er sich gerade ein Bild seiner Eltern vor das innere Auge geholt und fragte sich, warum sie so ignorant waren.
„Alles okay?“
„Ja klar. Du bist doch hier der Patient!“, neckte er mich.
„Auch wenn meine Lehrer mich sowieso ignorieren, mach ich jetzt lieber Schluss. Ausgeschlafen lassen sich die Arschlöcher besser ertragen.“
„Ach ja. Die Zeitumstellung. Ich wusste da war was.“
Ich musste grinsen. Moritz war wirklich zu verplant.
„Bis dann!“
„Bis dann, Moritz!“
Ich wollte noch ein 'Ich liebe dich!', anhängen,aber da hatte er schon aufgelegt. Wir hatten schon wieder 2 Stunden telefoniert. Und dabei wollte ich das doch einschränken, solange er in Amerika ist. Naja, dafür telefonierte ich mit niemand anderem.
Ich legte das Telefon auf meinen Nachttisch und kuschelte mich dann in meine Kopfkissen, von denen ich nach Moritz Meinung eindeutig zu viele hatte.

xoxo Monique

23.11.


Langsam quälte ich mich aus dem Bett. Die Nacht war nicht so erholsam gewesen, wie ich gehofft hatte. Alle paar Stunden war ich schweißgebadet hochgeschreckt und dann nur schwer wieder eingeschlafen. Zur Schule musste ich natürlich trotzdem. Wenn ich schwänzen würde, würde Mum erst Recht ausflippen. Da war Schule dann immer noch besser.
In der Klasse setzte ich mich dann schweigend auf meinen Platz und wartete darauf, dass Herr Rontheim endlich mit dem Englischunterricht anfangen würde.
„Good morning, boys and girls!“, begrüßte er uns wie immer motiviert und wir erwiderten das ganze umso unmotivierter.
„Today we gonna talk about your grades!“
Oh, nein! Ich hasste Notenbesprechungen. Obwohl ich mich dieses Jahr in Englisch wesentlich öfter gemeldet hatte, als in den Jahren vorher.
Er gab uns noch eine Aufgabe, die wir machen sollten und ging dann mit Ben, dem ersten auf der Klassenliste, vor die Tür.
Ziemlich am Ende war ich dran, direkt nach Daniel. Das hatte ich mir am Anfang des Schuljahrs gemerkt, denn freiwillig würden sie mich da nicht dran erinnern.
Ich setzte mich auf den Stuhl vor Herrn Rontheim und wartete geduldig auf mein Urteil.
„Monique...“, er blätterte hektisch in seinen Unterlagen.
„Im Gegensatz zum Anfang des Jahres hast du dich ziemlich gesteigert, aber aufgrund der ersten Arbeit kann ich dir leider nur eine zwei geben.“
Ich wäre fast vor Glück explodiert, ließ mir aber nichts anmerken. Ich hatte höchstens mit einer drei gerechnet, aber jetzt mit der zwei war ich eindeutig überfordert.
Fast schwebend ging ich zurück in den Klassenraum und fiel wieder auf den harten Boden der Tatsachen, als mich das erste Papierkügelchen traf.
„Streeber! Streeeber!“
Sie hatten schon wieder gelauscht. Das machten sie immer bei der Notenbesprechung. Aber immer nur bei mir. Naja, es gab schlimmeres. Zum Beispiel Chemie, was jetzt auf mich wartete. Frau Ganito war eine Furie. Und sie hasste mich.
Was sich auch in meiner Note wiederspiegelte. Eiskalt 5+. Nein, keine 4-, eine 5+. Wie ich sie hasste.
Jetzt hatte ich nur noch Politik vor mir und dann war der Horrorfreitag geschafft und ich 100% reif fürs Wochenende.
Als ich von der Schule nach Hause kam, ließ ich mich erstmal schwungvoll auf mein Bett fallen und atmete ein paar mal tief durch. Endlich frei. Für zwei Tage musste ich diese hirnamputierten Arschlöcher nicht mehr sehen. Und zwei Tage lang konnte ich theoretisch durchgängig mit Moritz telefonieren.
Stattdessen schlief ich aber erstmal ein paar Stunden, bis ich vom Telefon, das immer noch auf meinem Nachttisch lag, geweckt wurde.
Noch halb schlafend nahm ich ab.
„Hallo Monique, hier ist deine Tante Annemarie!“
Oh Gott, wie ich Verwandten hasste.
„Deine Mutter hat mich zum Kaffee eingeladen, würdest du sie mir mal geben?“
Und dann auch noch diese quäksige Tantenstimme. Schrecklich war das. Zum Glück konnte ich jetzt das Telefon an meine Mum loswerden und die durfte dann mit ihrer Schwester fertig werden.
„Hier Mum, für dich!“, sagte ich beiläufig, als ich sie auf dem Flur traf und verschwand dann schnell wieder, um bloß nicht wieder mit Tante Annemarie reden zu müssen.
Moritz saß bestimmt noch in der Schule, also musste ich mir wohl was anderes suchen, was ich machen konnte. Aber was konnten Leute, die wie ich keine Freunde hatten, schon groß machen? Ziemlich schnell entschied ich mich, mal wieder in die Stadt zu gehen und zu gucken, was jetzt gerade in war. Wenn ich schon die Trends nicht mitmachte, wollte ich doch wenigstens informiert sein. Ein bisschen Geld nahm ich trotzdem mit, man konnte ja nie wissen, ob mir nicht doch etwas gefiel und wenn nicht konnte ich mir ja irgendwo nen Döner kaufen.
Ich schlüpfte in meine dicke Jacke und die Doc Martens (die teuerste Sache, die ich besaß), schnappte mir den Schlüssel und schloss dann die Tür hinter mir. Es schneite. Wenn auch nicht doll, aber ein paar Flocken blieben auf dem kalten Asphalt liegen. Ich guckte nach oben in den Himmel und fing einige Flocken mit meiner Zunge. Dann schlenderte ich durch die Straßen Richtung Innenstadt.
Bei H&M und C&A guckte ich nur kurz rein, mit so einer hässlichen Kollektion würden die von mir nicht reich werden. Bei New Yorker und Tally Weijl war es dasselbe. Überall geschmackloses Kram. Dann würde ich also meinem Lieblings-Emo-Shop einen Besuch abstatten, ich brauchte unbedingt ein neues Nietenarmband und wollte mich auch mal nach einem Gürtel umgucken.
Der Verkäufer kannte mich inzwischen und begrüßte mich gleich mit Handschlag. Dann ließ er mich alleine, weil er wusste, dass ich nichts schlimmer fand, als irgendwelche Angestellten, die den ganzen Tag hinter mir herdackelten.
Das Nietenarmband fand ich ziemlich schnell, aber die Suche nach dem Gürtel gestaltete sich etwas schwieriger. Entweder waren sie zu lang oder zu kurz. Mistige Sache. Ohne fündig geworden zu sein verließ ich den Laden wieder, das Armband hatte ich doch nicht gekauft. Deshalb bekam mein Lieblings-Türke mal wieder ein bisschen Geld von mir, die Döner da waren nämlich einfach göttlich. Und ließen sich sogar essen, ohne dass die Hälfte Bekanntschaft mit dem Boden machte. Und sie waren so schön warm, perfekt an Wintertagen.
„Hey Monique!“, in der Nische neben dem Tresen saß Tom, der Sohn von unseren Nachbarn. Und er wollte mal wieder Konversation mit mir machen.
Darauf hatte ich so gar keine Lust, also ignorierte ich ihn und bestellte mir einen Döner, ohne auch nur einmal in seine Richtung zu gucken.
Die Angestellten hier waren echt schnell, deshalb reichte ich schon nach zwei Minuten das Geld über den Tresen und verschwand wieder nach draußen, wo sich der Schnee inzwischen in ein Schneegestöber verwandelt hatte.
Ich rannte schon fast nach Hause, um nicht allzu nass zu werden und Tom folgte mir keuchend.
„Monique, wo willst du so schnell hin?“
Er hatte noch nie eine gute Ausdauer gehabt, wenn wir als Kinder Fangen gespielt haben, hatte er immer ewig gebraucht mich zu fangen. So auch jetzt. Zum Glück konnte ich in meinen Schuhen einigermaßen schnell laufen, zwar nicht so schnell wie in Turnschuhen aber immer noch schneller als Tom in seinen mega-stylischen Winterstiefeln. Die Dinger hingen wie Klötze an seinen Beinen. Wäre er hinter mir hingeflogen, ich hätte eher den Lachflash des Jahrhunderts bekommen als langsamer zu laufen oder stehenzubleiben. Ja, ich gebe es zu, ich bin übermäßig schadenfroh. Besonders bei Leuten, die ich nicht ausstehen kann.
Zuhause angekommen, brauchte ich Ewigkeiten, um den Schlüssel zu finden und noch länger, um ihn mit meinen kalten Fingern ins Schloss zu fummeln.
Zur Belohnung, dass ich die Tür aufbekommen hatte, schlug mir warme Luft und der Geruch von selbstgemachter Torte in die Nase. Tante Annemarie war also schon da. Zeit den Masterplan anzuwenden. Der sah bei allen Verwandtenbesuchen wie folgt aus: In die Küche schleichen, Jeglichen Küsschen ausweichen, Kuchen schnappen, Ins Zimmer flüchten.
Die Ausführung war da schon komplizierter.
Außer Tante Annemarie saßen noch ihre drei Töchter mit am Tisch, dreijährige Drillinge und nervig bis zum geht nicht mehr. Die schrien natürlich gleich los, als ich ins Zimmer kam und machten somit die ganze Kaffeeklatsch-Runde auf mich aufmerksam. Toll hinbekommen. An dem Kuss von Tante Annemarie kam ich zum Glück vorbei, denn sie wollte mich nicht mit ihrer (Achtung Orginalzitat!) schrecklichen Aua-aua-Erkältung anstecken. Okay, jetzt mussten noch die letzten zwei Punkte des Masterplans erfolgreich durchgeführt werden. Ich schnappte mir einen Teller, packte mir zwei Stück Kuchen drauf und war schon auf dem Weg in mein Zimmer, als meine Mutter nach mir rief: „Monique! Tom für dich!“
Oh, nein! Stalkte er mich jetzt auch schon übers Telefon? Ich hasste diesen Typen.
„Was willst du Tom?“, schrie ich ins Telefon.
„Ganz ruhig, Monique, ich wollte dich nur nach einem Date fragen.“
Ich legte auf, schnappte mir Kuchen und Döner, den ich in dem Schneegestöber noch nicht angerührt hatte und flüchtete auf mein Zimmer. Jetzt war Frustessen angesagt. Tom stand auf mich! Das war ja schlimmer als die Hölle, da war es wenigstens schön warm. Ich drehte die Musik so laut es ging auf und versuchte irgendwie den Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, dass Tom auf mich stand.
Zuerst musste der Döner dran glauben, ich hatte extra einen großen bestellt, mein Unterbewusstsein war eben auf alles vorbereitet. Moritz konnte ich noch nicht anrufen, sonst hätte ich das schon längst getan. Es war wie verrückt. Seit Moritz weg war, pfiffen mir andauernd Jungs hinterher und jetzt fragte mich Tom nach einem Date. Da war doch irgendwas faul. Das hatte bestimmt was mit Daniel-Macho und seinen Kumpels zu tun, Wetten werden angenommen!
Bevor ich dazu kam, meine Fingernägel zu Kleinholz zu verarbeiten, fiel mir ein, dass ich ja noch Kuchen hatte. Der hielt allerdings auch nicht lange vor und deshalb zog ich mir wieder Jacke und Schuhe an, um noch ein bisschen zu laufen. Immer wenn ich lief, wurde mein Kopf frei von allem, was mich beschäftigte. Zwar war es wieder da, wenn ich wieder zuhause war, aber dann konnte ich hoffentlich Moritz anrufen.
Bis auf ein paar Leute, die mit ihren Hunden ausgingen, traf ich niemanden. Verständlich, bei dem Schneesturm, der sich inzwischen entwickelt hatte. Nachdem ich ein paar Kilometer mehr oder weniger schnell gelaufen war, setzte ich mich in ein Café und wollte mir eine heiße Schokolade bestellen. Koffein konnte ich heute so gar nicht gebrauchen, ich war schon aufgedreht genug.
Bei meinem Anblick ging der Bedienung kurz das aufgesetzte Lächeln flöten und da erkannte auch ich, wer gerade vor mir stand.
Larissa. Meine Ex-beste-Freundin. Diese verlogene Schlampe. Ich hatte ihr alles anvertraut und sie hatte mein Vertrauen mit Füßen getreten. Warum traf ich heute eigentlich nur Leute, die ich hasste? Es war doch nicht Freitag der 13. Ohne etwas zu bestellen, sprang ich auf und rauschte wieder aus dem Café. Mir war es jetzt egal, ob Moritz noch in der Schule saß, ich musste jetzt mit ihm reden.
Flink wählte ich seine Nummer auf meinem Handy und rief an.
„Monique...“, flüsterte er. „Es ist gerade sehr unpraktisch. In zehn Minuten ist Pause, ruf dann nochmal an.“ Dann legte er auf. Unfassbar. Vom besten Freund einfach weggedrückt. Wenn ich noch öfter so nach Hause rennen würde, könnte ich Usain Bolt Konkurrenz machen, der soll bloß aufpassen.
Mit Tränen in den Augen warf ich mich auf mein Bett. Dieser Tag war wirklich verflucht. Auch wenn es nicht Freitag der dreizehnte war, wurde dieser Tag von mir höchstpersönlich zum Pechtag herabgestuft.

Impressum

Texte: (c) sinfa22
Bildmaterialien: (c) sinfa22
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2012

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