Es war der erste Tag in dieser fremden Stadt. Ich kaute Kautabak - was sollte man auch anderes damit machen - und ritt auf meinem Pferd Handsome Joe die Hauptstraße entlang. Reges Treiben kennzeichnete diesen Ort. Vorallendingen jede Menge Kinder. Schön, dass einige Städte im Westen noch wuchsen und gedeihten. Mein Pferd steuerte von alleine den städtischen Saloon an. Als ich abgestiegen war, wollte ich mein Pferd am nächsten Zaun festmachen, da galoppierte es auf einmal los, ohne, dass ich etwas machen konnte. So klein dieses Pferdchen auch war, es war verdammt schnell. Naja, diese Stadt wimmelte vor Pferden. Ich würde schon ein neues finden. So steckte ich also meine Daumen in die Hosentaschen und ging breitbeinig - so gehörte es sich für einen Cowboy - durch die Schwenktüren des Saloons.
Ich versuchte es zumindest. Irgendwie wollten die Türen sich nicht öffnen, so sehr ich auch drückte. Ich zuckte ratlos mit den Achseln und sprang einfach drüber.
Dummerweise war die Tür höher als Gedacht. Mein rechter Fuß blieb mit der Spitze meiner Cowboystiefel an der Tür hängen und ich fiel elegant aber schmerzhaft bäuchlings auf den harten Holzboden.
Die Besucher des Saloons schien das nicht zu stören. Sie standen und saßen alle da und hörten der Band zu, die spielte. Das waren aber merkwürdige Musikanten. Ein alter, bärtiger Mann, der Banjo spielte, ein großer, stark behaarter Mann an einem kleinen Schlagzeug und ein kleiner Typ mit langen Ohren spielte Kontrabass. Aber man sollte Leute nicht nach Ihrem Äußeren bewerten. Sie spielten ziemlich gut für ihr Aussehen. Ich hörte der Band einen Augenblick gespannt zu, doch dann entschied ich mich für ein erfrischendes Bier an der Bar.
Ich setzte mich auf einen der freien Hocker - die Leute schienen wirklich nur für die Band da zu sein. Ich schaute zu dem Barkeeper hinüber. “Hey Keep... bring diesem durstigen Cowboy mal ein Bier.” Ich kaute weiter meinen Kautabak und schaute wieder zu der Band hinüber. Sie spielten nochimmer das gleiche Lied. Naja, vielleicht hatten sie ein beschränktes Repertoire. Mein Blick glitt wieder hinüber zum Barmann. Er hatte sich kein Stück bewegt und schaute weiterhin starr auf den Boden. “Ey, Keep! Hast du mich nicht gehört? Ein Bier und zwar pronto, Muchacho!” Verärgert hämmerte ich meinen Ellbogen auf den Tresen und lehnte meinen Kopf an meine nach oben stehende Hand. Wieder einmal schaute ich zur Band hinüber. Sie spielten nochimmer das gleiche Lied. Oder wieder? Ich wusste es nicht. Hatten sie zwischendurch aufgehört zu spielen? Die erste Masse war abgewandert, aber es waren Neue dazugekommen. Zu sowas macht der Kommerz also Musiker. Marionetten, der Industrie, die immer nur die erfolgreichsten Sachen spielten. Ich war sauer, dass diese Typen dieses Spiel mitmachten. Bei nächster Gelegenheit würde ich sie mir vorknöpfen.und ihnen meine Meinung geigen. Zu allem Überfluss hatte ich meine Kehle nochimmer nicht befeuchten können. Wo war mein Bier? Entnervt rief ich zu dem Mann hinter dem Tresen “Wenn du nicht bald ein kühles Blondes rüberwachsen lässt, Amigo, dann mach ich dich kalt.” Verächtlich spuckte ich meinen Kautabak auf den Boden. Er reagierte nicht. Kein bisschen. Mich packte die Wut. Zu allem Überfluss spielte die Band schonwieder das selbe, verdammte Lied! Ich ging also - in meinem unberechenbaren Zustand - hinüber zum Barkeeper und stellte mich direkt vor sein Gesicht.
“Hast du nicht gehört?”, schrie ich ihn an, “Ich will ein verdammtes Bier! Sonst setzt es was!”
Keine Reaktion.
Das war genug. “Du willst es wohl nicht anders!”, brüllte ich, holte aus und pfefferte dem Typen eine, die sich gewaschen hatte. Sogar meine Faust tat nach dem Schlag ziemlich weh. Ich pustete kurz darauf, dann war es besser.
Der Kopf des Barkeepers drehte sich zweimal um die eigene Achse und blieb dann stehen. Er schüttelte sich kurz und begann dann in einer monotonen, übertrieben freundlichen Stimme zu sprechen.
“Hallo, Cowboy! Was machst du denn in dieser Stadt? Kann ich etwas für dich tun, Cowboy?”
Ich war erleichtert. Endlich. “Ich hätte gern ‘nen Bier!”
Es war kurz still. Dann antwortete er. “Ich kann dir einiges erzählen über diesen Ort. Sunnyville wurde 1860 als Goldgräberstadt errichtet...”
Das konnte nicht sein. Wieso wurde mir als ehrenwerter Cowboy verweigert, ein Bier zu genießen?! Ich war der Verzweiflung nahe, da packte mich wieder die Wut. Nochimmer spielte die Band das gleiche Lied.
“Genug ist genug!”, schrie ich und stürmte auf die Band los, während der Barkeeper freundlich monoton weiterquatschte. “Aus dem Weg!” Ich stieß die ersten Erwachsenen und kleinen Kinder beiseite und sprang über die Absperrung vor der Bühne. Als erstes nahm ich mir diesen langohrigen Typen vor. Ich nahm ihn an den Ohren und rammte ihm den Absatz meiner Cowboystiefel zwischen die Augen. Die Zuschauer rannten davon. Endlich hatten auch sie genug von dieser ständigen Dudelei. Als ich mit dem Langohr fertig war, kam der alte Sack mit dem Banjo dran. Ich riss ihm das Saiteninstrument aus der Hand. Ich war natürlich direkt bereit ihm das Ding wieder zu geben. Mit einem gekonntem Schwung aus der Rückhand schlug ich ihm den Kopf von den Schultern. Jetzt war der Typ am Schlagzeug dran. Ich beobachtete ihn genau. Seelenruhig war er sitzen geblieben und spielte weiter sein Schlagzeug. “Sowas nenne ich Durchhaltevermögen.”, lobte ich ihn. “Aber du wirst jetzt genau so sterben, wie deine Freunde. Ich zog blitzschnell meinen Revolver - nachdem ich mehrere Sekunden lang versucht hatte, den Druckknopfverschluss am Halfter zu lösen - und pustete ihm mit einem Schuss das Lebenslicht aus. Was? Er spielte nochimmer. Ich schoss noch einmal - direkt in den Kopf. Das qualmende Loch in seinem Schädel war der Beweis dafür. Aber er spielte weiter. War das menschliche Gehirn dazu in der Lage? Wenn ja, dann war ich beeindruckt. Nichtsdestotrotz musste ich mein Werk vollenden ich sprang also auf sein Schlagzeug und ballerte ihm 6 weitere Kugeln von oben in den Kopf. Nun hämmerte nur noch eine Hand auf dem viel zu kleinen Schlagzeug rum. Ich stiess einen Wutschrei aus und trat ihm mit voller Wucht den Kopf von oben den Kopf zwischen die Schultern.
Stille.
Nur eines nervte mich. Dieser Barkeeper faselte nochimmer etwas von der Geschichte dieser gotterverdammten Wüstenstadt.
“SCHNAUZE!”, brüllte ich, drehte mich nach links und schoss ihm eine Kugel in den Kopf. Mit einem Knall ging dieser in Flammen auf und der ganze Kerl fiel wortlos nach hinten um. Ich nahm befriedigt einen Bissen von meiner Stange Kautabak der Marke Lakritz - das stand zumindest auf der Packung - und kaute darauf rum. Lässig sprang ich vom Schlagzeug hinunter, da stürmten Sheriffs in schwarzer Uniform den Laden.
Noch mehr Ärger. Aber ich war bereit. Ich hatte nichts unrechtes getan und wenn mich diese Typen dafür bestrafen würden, würde ich sie eigenhändig umlegen.
Ich schaute nach unten und ließ meinen Cowboyhut ins Gesicht fallen, nur um ihn dann mit einer coolen Geste wieder nach oben zu schieben. Meinen Kautabak kauend nahm ich sie ins Visier. Ich hob den Revolver und wollte schießen. Verdammt - nur 9 Kammern. Und ich hatte keine Ersatzpatronen dabei. Der erste Sheriff stürmte auf mich zu - ich schmiss ihm meine Waffe entgegen. Genau zwischen die Augen. Er fiel mit einem dumpfen Ton zu Boden, während er schmerzerfüllt schrie. Das geschah ihm recht. Aber dann kamen die anderen, knapp 20 an der Zahl, auf mich zugestürmt. Ich versuchte sie so gut es ging abzuhalten, doch irgendwann übermannten sie mich und ich verlor das Bewusstsein.
Wenig später fand ich mich in einer Zelle wieder. Diese Zelle war jedoch merkwürdig. Es waren nirgends Gitterstäbe. Vor mir stand ein Tisch und an dessen Ende eine junge Frau in einem Hosenanzug.
“Ah, sie sind wach. Wie schön, Mister...”
“Cayne, Ma’am. Michael Cayne.”, entgegnete ich lässig mit rauher Stimme.
“In Ordnung, Mister Cayne. Mein Name ist Jessica Lowely. Ich bin hier die Sicherheitsbeauftragte.”
Eine Frau als Marshall? Das hatte ich auch noch nie gesehen.
“Sie sind sich im Klaren, was sie hier angerichtet haben?”
“Ma’am... Miss... Lowely... Moment. Kenne ich sie nicht irgendwoher?”
Die Frau stutzte. Sie schüttelte den Kopf. Ich akzeptierte das kurzerhand - obwohl. Hatte ich sie nicht wirklich schon mal irgendwo gesehen? Mein Blick fiel auf ihre... Augen. Ja, diese Augen kannte ich. War sie nicht eigentlich Vertreterin für irgendwas? Was geschah hier bloß?
Sie seufzte. “Obwohl ich nicht gutheißen kann, dass sie zuerst in unseren Saloon eingedrungen sind, ohne den angeschlagenen Eintrittspreis an der Schwingtür zu zahlen und obwohl sie unsere Roboterband dermaßen demoliert, wenn nicht gar zerstört haben und obwohl sie dem Roboterbarkeeper eine Kugel in den Kopf gejagt haben, sodass er in Flammen aufging... lasse ich sie laufen. Sie schienen es nicht besser zu wissen.”
Sie stand auf.
“Jungs, schmeißt ihn raus!”
Schon kamen einige Hilfssheriffs herbeigeeilt und zerrten mich hinaus.
Wenig später stand ich auf einem grau geteerten Platz mit einer ganze Menge Autos. Hinter mir ein großes, geschlossenes Tür. Darüber war ein Bogen angebracht, auf dem “Sunnyville Cowboyland” geschrieben stand.
Aber das war mir egal. Ich war frei.
Lang lebe das amerikanische Justizsystem.
Texte: Simply Nacht
Bildmaterialien: Simply Nacht
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch einfach mal mir... weil ich es kann!