Eine dampfende Tasse Kaffee stand auf meinem Schreibtisch. Neben mir mein Notebook und auf dem Boden stehend mein kleines 500-mm Teleskop. Aus meinen Kopfhörern dröhnten laut metallische Geräusche.
Während ich auf meinem imaginärem Schlagzeug rumhämmerte und immer wieder zwischen diesem und meiner Luftgitarre hin und herwechselte bemerkte ich nicht, wie eine Person in mein Büro kam.
Wie auf Kommando fing ich lauthals die letzten Zeilen des aktuellen Liedes mitzusingen. Naja, singen war der falsche Ausdruck. Es ähnelte eher einem Grunzen:
“Brutality becomes my appetite! Violence is now a way of life! The sledge my tool to torture as it pounds down on your forehead!”
Ich riss die Arme in die Höhe und bedankte mich bei meinem imaginären Publikum.
“Danke, Danke! Und der nächste Song heißt Decency Defied!”
Kurz bevor der Sound von Double-Bassdrums meine Ohren erfüllte, machte sich die Person, die sich hinterrücks in mein Büro geschlichen hatte, bemerkbar.
“Ähm... Verzeihung?”
Sie hatte mich erwischt! Ich war nicht vorsichtig. Ich konnte nur durch ein geschicktes Ablenkungsmanöver aus dieser Situation entfliehen.
Ich krachte also - wie natürlich von mir geplant - mit meinem Stuhl nach hinten. Schrill kreischend.
“Oh Gott, ist alles in Ordnung?”, drang wieder diese Stimme an mein Ohr. Weiblich. Aha, aha... der Stimme nach zu urteilen... etwa 24 Jahre alt. Ja... blond... schlank.
Ob ich die Frau kannte?
Natürlich nicht.
Ich richtete mich wieder auf und klopfte mir den Staub von den Klamotten. Hier sollte wirklich mal wieder aufgeräumt werden. Schließlich drehte ich mich zu ihr um. Sie stand dort einfach in ihrem schwarzen Hosenanzug. Zum Glück war die Tür zu. So hatte mich zumindest keiner meiner Kollegen gehört. Hoffte ich zumindest.
“Verzeihung? Sir?”
Ich schüttelte den Kopf um wieder klare Gedanken fassen zu können.
“Ja... biiiiiiiiitte?” Mein Blick traf auf ihre unglaublichen.........
Augen, ja Augen.
“Ich suche Mister Michael Caynes. Bin ich hier richtig?”
Ich fasste mir ans Kinn. Natürlich suchte sie Michael Caynes. Jede gutaussehende Frau zwischen diesem Gott-verlassenen Kaff und dem Nächsten suchte ihn. Ich fasste mir ans Kinn und streichelte meinen seit 10 Tagen anhaltenden 3-Tage-Bart.
“Sie.. suchen... Michael Caynes?”
“Ja?!”, entgegnete sie mir etwas unsicher.
Ich begann wie ein kleines Schulmädchen zu kichern. Die Lache wandelte sich jedoch schnell zu der eines verrückten Wissenschaftlers. Sie schaute verwirrt.
“Sie suchen wirklich Michael Caynes?”
“Sind sie betrunken?”
“Vielleicht.”
Meine Antwort schien unerwartet trocken gewesen zu sein.
“Ja. Also ich suche wirklich Mister Caynes. Wenn er nicht da ist, würden sie ihm bitte ausrichten, dass -”
“Stopp.”, unterbrach ich sie. “Darf ich mich kurz vorstellen?”
Ich stellte mich breitbeinig vor sie, drehte meinen Oberkörper nach rechts, hob die Handfläche meiner rechten Hand so an meine Stirn, als würde ich in die Ferne schauen. Die rechte Hand stemmte ich in die Hüfte.
“Mein Name ist Cayne... Michael Cayne.” Mit einer ruckartigen Bewegung liess ich meine rechte Hand nach vorne schnellen und formte sie wie einen Revolver. “Planetenjäger!”
Sie blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann setzte sie einen durchaus glaubhaften ‘Willst-du-mich-verarschen?’-Gesichtsausdruck auf. Ich haderte einen Moment. Eine neue Taktik musste her. Betteln? Ja, betteln war bisher immer gut angekommen und konnte mich aus jedem Schlamassel retten.
“Nein, wirklich. Ich bin wirklich Michael Cayne. Sehen sie?” Ich deutete auf das Teleskop neben meinem Schreibtisch. “Das ist mein Teleskop. Und sehen sie?” Ich deutete auf die Sternenkarte an der Wand. “Das ist auch meine.”
Ihr Gesicht war versteinert.
Verdammt!
“Wenn ihnen das nicht reicht. Okay. Also...” Ich holte tief Luft. Die nächsten Sätze würden viel Ausdauer benötigen. “Beginnend von der Sonne ist der erste Planet der Merkur. Maximale Tagestemperatur 430°Celsius, minimale Nachttemperatur - 170°Celsius. Er gehört zu den terrestrischen, also erdähnlichen Planeten. Der nächste Planet ist die Venus. Auch diese gehört zu den terrestrischen Planeten. Neben dem Mond ist die Venus der hellste, natürliche Himmelskörper in der Dämmerung. Sie wird auch als Morgen- oder Abendstern bezeichnet. Namensähnlichkeit mit der mittelalterlichen Waffe ‘Morgenstern’ kann ich nicht erklären. Ich bin schließlich kein Geschichtsprofessor. Der dritte Planet wäre die Erde. Duh. Hier leben die Menschen. Uninteressant. Vierter Planet wäre der Mars mit seinen Monden Phobos und Deimos. Auch der Mars ist ein terrestrischer Planet. Er ist 228 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Das ist gaaaanz schöööön weit. Fünfter Planet wäre der Jupiter mit seinen Monden Io, Europa, Ganymed und Kallisto.” Ich schnappte nach Atem. “Glauben Sie mir jetzt endlich?”
Ich starrte in ihr überraschtes Gesicht.
“Ich... Ich habe keine Ahnung von diesen Sachen... Aber... ja, ich glaube ihnen jetzt schon...”
Erleichtert atmete sich auf. Puh.
“Also. Was kann ich für sie tun?”
Jetzt lächelte sie. Schön. Ich freute mich.
“Ich bin Jessica Lowely. Ich würde gerne mit Ihnen über unsere neuen Wasserspender reden und ihnen eine kostenlose Erprobungszeit von 3 Wochen anbieten. Natürlich entstehen Ihnen dadurch keine Kosten.”
Was? Wasserspender? Wieso... wieso? Ich war den Tränen nahe. Und ich war wütend.
“RAAAUS!”, brüllte ich sie an.
Sie brauchte sich nicht mal selbst bemühen. Mein Körper hatte sich selbstständig gemacht und sie vor die Tür geschoben, noch ehe sie bemerkte was los war.
Mosernd knallte ich die Tür zu meinem Büro zu.
Unmöglich, diese Türklinkenputzer. Vertreter. Bah. Ätzeendes Pack. Wie konnte Sie es nur wagen, mich, den meistgefragten Jäger von Planeten die Zeit zu stehlen? Kostbare Zeit!
Ich stellte meine Stuhl wieder auf, setzte mich zurück an meinen Schreibtisch und schaute aus dem Fenster. In der Dämmerung war gerade der Mond aufgegangen... und unter ihm die kleine Venus.
Ich stieß einen kurzen Seufzer aus und setzte meine Kopfhörer auf, als ich entschied dort weiter zu machen, wo ich aufgehört hatte.
“Jetzt kommt Decency Defieeeeeed!”
Und da waren sie wieder. Meine geliebten Double-Bassdrums.
Texte: Simply Nacht
Bildmaterialien: Frederik de Wit (Public domain)
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2013
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