Cover

P

rolog

Die verängstigte Frau rannte um ihr Leben. Ihren Verfolger konnte sie weder sehen noch hören, und doch wusste sie genau, dass er da war, irgendwo in der Nähe.
Die Frau rannte weiter, in der Hoffnung, ihrem Peiniger hier in den dunklen, verwinkelten Gassen Brooklyns irgendwie zu entkommen, oder wenigstens jemanden zu finden der ihr helfen würde.
Sie war nur kurz Einkaufen gewesen. Auf dem Rückweg zu ihrem Wagen war er wenige Schritte vor ihr plötzlich zwischen den parkenden Autos auf die Straße gesprungen, und hatte sie mit seinen irren, schwarzen Augen angestarrt. Sie hatte noch um Hilfe rufen wollen, doch von einer Sekunde zur nächsten hatte er direkt vor ihr gestanden, sie zwischen die parkenden Autos gezogen und unter sich zu Boden gedrückt. Zu Tode erschrocken hatte sie ihm in die Augen geschaut, gehofft, irgendetwas menschliches darin zu finden. Doch in seinem Blick hatte sie nur Wahnsinn gesehen. Als sie kurz darauf einen stechenden Schmerz im Handgelenk gefühlt hatte, war ihr klar geworden, dass er sie gebissen hatte.
Außer sich vor Angst hatte sie um sich geschlagen und getreten, und als sein Griff sich kurz lockerte, war es ihr gelungen sich zu befreien. So schnell sie nur konnte war sie davon gerannt.
Der stechende Schmerz in ihrem Handgelenk wurde immer schlimmer. Dieser Typ hatte sie gebissen! Mit den Zähnen. Was für ein kranker Irrer war das nur?
Erschöpft blieb sie kurz stehen, versteckte sich hinter ein paar Mülltonnen, und betastete ihren verletzten Arm. Aus der tiefen Wunde tropfte unaufhörlich Blut. Ihr wurde klar, dass sie schleunigst Hilfe finden musste, sonst würde sie verbluten. Obwohl es schmerzte, versuchte sie mit der anderen Hand die Wunde zu verschließen und die Blutung zu stoppen. Doch ihr beschleunigter Herzschlag pumpte die kostbare Lebensessenz weiter zwischen ihren Fingern heraus.
Ihre Gedanken schweiften für einen kurzen Moment ab, weg aus der Gasse und Heim zu ihrer Familie – ihrem Mann, und ihrer kleinen Tochter. Sie saßen vermutlich gerade auf dem Sofa in ihrem kleinen, gemütlichen Wohnzimmer, und schauten fern. Warteten, dass Mami vom Einkaufen nach Hause kam, und das Abendessen machte. Gott, sie liebte die beiden so sehr! Wenn sie nun starb, was sollte dann aus ihnen werden? Wer würde sich um sie kümmern?
Verzweifelt schaute sie sich um, nicht sicher in welche Richtung sie jetzt laufen sollte. Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Entschlossen, sich von der Angst nicht überwältigen zu lassen, und einen klaren Kopf zu bewahren, verließ sie ihr Versteck.
Sie war noch keine 3 Schritte weit gekommen, als sie von den Füßen gerissen, und unbarmherzig zu Boden gedrückt wurde. Die Blutspur hatte ihrem Verfolger den Weg gewiesen. Wie in einem perfiden Katz´ und Maus Spiel hatte er sich angeschlichen und darauf gewartet, dass sie ihr Versteck verließ.
Nun gab es kein Entkommen mehr. Grob packte er ihren Kopf und zwang sie, ihm in seine schwarzen Augen zu sehen. Obwohl sie durch den Blutverlust bereits geschwächt war, krallte sie sich in seiner Jacke fest, versuchte ihn von sich zu stoßen. Doch sein unmenschlicher Blick durchbohrte sie, und als würde er die Kontrolle über ihren Körper an sich reißen, versagten auf einmal ihre Muskeln, wurden schlaff, gehorchten ihr nicht mehr.
Sie sah nur noch seine Augen, die sie gefangen hielten. Tief in seinem Blick versunken, bekam sie gar nicht mehr richtig mit, wie er sie erneut biss – diesmal in das andere Handgelenk – und spürte auch keinen Schmerz.
Kurz bevor sie das Bewusstsein verlor, dachte sie ein letztes Mal an ihren Mann und ihre kleine Tochter, und bedauerte, dass sie sie nie wieder sehen würde.




K

apitel 1

„Ash? Ich mach dann mal Schluss für Heute.“
Jefferson Doyle schaltete gerade seinen Computerbildschirm aus, und raffte seine Jacke und Autoschlüssel zusammen.
„Ja gut. Bis Morgen, Jeff.“
Ashleys Blick war starr auf ihren Computerbildschirm gerichtet, und ihre Finger hackten auf die Tastatur ein. Sie wollte den Papierkram schnell fertig haben, denn auch ihr Körper sehnte sich nach einer ausgedehnten Dusche und einer Portion Schlaf in ihrem kuscheligen Bett.
Heute war mal wider so viel los gewesen, dass sie vermutlich vor 23 Uhr nicht hier raus kommen würde. Aber das störte sie nicht wirklich. Schließlich erwartete sie Zuhause niemand.
Jeff erhob sich langsam aus seinem Stuhl und streckte seine müden Glieder. Als er sich Ashleys Schreibtisch näherte, schaute sie auf.
Ihr Partner hier im Morddezernat des NYPD war mit seinen 1,78m kein allzu großer Mann, und sein beginnender Bauchansatz ließ ihn nicht gerade sportlich wirken. Sein schwarzes Haar – aufgrund seines Alters von 48 Jahren bereits an den Seiten ergraut – trug er stets ein wenig nach hinten gekämmt, in dem kläglichen Versuch, seine beginnende Glatze am Hinterkopf zu kaschieren. Doch in seinem Gesicht zeichneten sich die Spuren von über 20 Jahren Ermittlungsarbeit bei der Mordkommission deutlich ab, und in seinen stets etwas grimmig drein blickenden grauen Augen konnte man seinen messerscharf denkenden Verstand erahnen.
Jeff war ein guter Polizist. Ashley hatte in den 2 Jahren, die sie nun bei der Mordkommission war, vieles von ihm gelernt. Unter anderem, dass man seinen Papierkram so schnell wie möglich erledigen sollte, statt ihn lange aufzuschieben. Keiner machte gerne Schreibarbeit, aber leider war sie unumgänglich, und so erledigte Ash sie lieber gleich, und verließ ihren Schreibtisch sauber und aufgeräumt, statt wie einige andere Kollegen bergeweise Aktenchaos zu hinterlassen, welches dann doch irgendwann beseitigt werden musste.
Jeff sah sie an und grinste. „Du wirst diese arme Tastatur nicht in Ruhe lassen, bevor du deinen Bericht nicht fertiggestellt hast, oder?“
Über Ashleys Gesicht huschte ein Lächeln. „Nein, Jeff, natürlich nicht. Warum sollte ich diesen verfluchten Papierkram bis Morgen aufheben? Ich bin ja eh schon fast fertig damit. Außerdem werde ich Zuhause von niemandem erwartet – im Gegensatz zu dir!“
Ashley beneidete Doyle ein wenig für die glückliche Ehe, die er offensichtlich zu führen schien. Trotz des gefährlichen Jobs, den ihr Mann ausübte, und den unmöglichen Arbeitszeiten, schien Mrs. Doyle glücklich zu sein. Die beiden waren seit vielen Jahren zusammen, und hatten zwei Kinder miteinander.
Ashleys Miene verfinsterte sich ein wenig, als sie an ihre Beziehungen – und das waren nicht viele gewesen – dachte. Die waren seither leider immer gescheitert. Sie kniete sich derart hart in ihre Arbeit, dass ihr eigentlich überhaupt keine Zeit für einen Freund blieb. Meistens störte sie das nicht, denn in ihrem Job ging sie voll auf. Er erfüllte sie, und sie empfand stets eine gewisse Befriedigung, wenn sie einen Straftäter festsetzen konnte. Einer mehr hinter Gitter bedeutete auch ein kleines Stück mehr Sicherheit für die Menschen da draußen. Deshalb machte es ihr auch nichts aus, Extraschichten zu schieben, die ihr noch weniger Freizeit übrig ließen. Nicht umsonst gehörte sie zu einer der jüngsten im Team der Mordkommission, und ihre Festnahmestatistik zu einer der Besten in ganz New York.
Doch manchmal, in besonders einsamen Nächten, wenn sie zurück in ihre verlassene, leere Wohnung kam, wünschte sie sich doch, jemand würde auf sie warten, und sich über ihre Rückkehr freuen. Sie hatte sogar schon darüber nachgedacht, sich einen Hund anzuschaffen, aber der währe vermutlich zu viel allein, und würde aus lauter Frust ihre Einrichtung zerlegen, statt sie freudig zu empfangen.
Jeff musterte sie eindringlich, und eine kleine Falte breitete sich auf seiner Stirn aus. Dann sagte er: „Mach nicht mehr zu lange, Ash. Weißt du, wenn du nächtelang nur hinter deinem Computer hockst, zieht das Leben an dir vorbei ohne dass du es richtig mitbekommst! Heute ist Freitag, und die meisten Leute in deinem Alter hängen um diese Uhrzeit in einem Club oder einer Bar ab, trinken was, flirten und haben Spass. Extraschichten und Wochenenddienst sind etwas für unglückliche, alte Ehemänner, die sich vor ihren Ehefrauen flüchten wollen, und nicht für 25 jährige Frauen, die ein bisschen Spass mal dringend nötig hätten!“
Ein wenig verblüfft schnappte Ashley nach Luft. Manchmal kam es ihr so vor, als könne Jeff ihre Gedanken lasen. Oder sah man ihr ihre Gefühle einfach nur so deutlich an?
Irgendwo hatte er ja Recht. Ashley flüchtete sich wann immer es ging in ihre Arbeit. Hier fühlte sie sich gebraucht, hier konnte sie etwas bewegen. Zuhause bewegte sie nichts. Zuhause hatte sie noch nie etwas bewegen können. Nicht als sie ihre Mutter mit 7 Jahren plötzlich, und unter mysteriösen Umständen verloren hatte, und auch nicht, als sie ihren Vater kurz darauf ebenfalls verlor. Nein, er war nicht gestorben, hatte sich nicht umgebracht oder einen Unfall erlitten. Er hatte sich einfach in seine Arbeit gestürzt, um sich abzulenken, und nicht mehr an den Verlust seiner geliebten Frau denken zu müssen. Für Ashley hatte es sich allerdings so angefühlt, als währe er gestorben. Er hatte es seither weit gebracht. Er war einer der angesehensten Architekten der Stadt, hatte Geld, Einfluss, und viel, viel Arbeit.
Dass er eine Tochter hatte, vergaß er jedoch meistens. Und so besaß sie ein großes, schick eingerichtetes Apartment in einer guten Gegend, hatte ein eigenes Auto, Klamotten, Schmuck und Geld im Überfluss – nur seine Zeit und seine Aufmerksamkeit, die hatte sie nicht.
Und so tat sie es ihm gleich, begrub sich mit Arbeit, und stellte fest, dass es ihr – die meiste Zeit zumindest – tatsächlich gelang, ihr eigenes Leben zu vergessen, und sich stattdessen Gedanken um die vielen Mörder zu machen, mit denen sie es hier im Dezernat zu tun hatte.
Mit einem gespielten Lächeln erwiderte sie: „Ach lass mal, Jeff. Du weißt doch, dass ich meine Arbeit liebe! Ich bin glücklich so, wie es ist.“
In Jeffs wissendem Blick konnte sie erkennen, dass er ihr kein Wort glaubte.
„Wie du meinst, Ash. Aber denk wenigstens mal darüber nach.“ mit diesen Worten stapfte Jeff durch die Bürotür, und sie hörte seine sich entfernenden Schritte auf dem Flur, bevor die Tür zurück ins Schloss fiel. Außer Ashley waren nur noch Ethan Cooper und Jerome Donnovan hier. Die Spätschicht hatte mittlerweile lange Feierabend, und der Rest der Nachtschicht war draußen unterwegs, um die neuesten Fälle aufzunehmen. New York schläft eben nie. Und so tippte sie weiter verbissen die Buchstaben auf die Tastatur.

Eine knappe Stunde später knipste auch Ashley ihren Computerbildschirm endlich aus, und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen - einem schicken Sportwagen irgendeiner deutschen Marke, die ihr ständig entfiel – der in der Tiefgarage des Gebäudes stand. Sie hatte das Auto von ihrem Vater zum 21. Geburtstag geschenkt bekommen, als Anerkennung für das Bestehen der Polizeiausbildung mit Auszeichnung, und die Einstellung im NYPD. Er hatte es ihr durch einen seiner Mitarbeiter zukommen lassen, da er leider zu beschäftigt war um selbst zu kommen.
Sie benutzte den Aufzug am Ende des Flurs, um aus dem 8. Stockwerk nach unten zu gelangen. Während sie im Aufzug stand, dachte sie über Jeffs Worte nach.
Sicher, sie verbrachte viel Zeit beim Dezernat, aber das taten die anderen Kollegen auch. Das brachte der Job nun mal mit sich und hatte absolut nichts damit zu tun, dass sie sich vor irgendwas versteckte. Außerdem hatte sie es nur ihrem Ehrgeiz und Engagement zu verdanken, dass sie bereits kurz vor ihrer ersten Beförderung stand, und das nach gerade mal zwei Jahren in dieser Abteilung. Sie würde es hier weit bringen, dessen war sie sich sicher.
Aber war sie mit ihrer Situation wirklich so glücklich, wie sie es Jeff hatte weismachen wollen? Er hatte ihr kein Wort geglaubt, das hatte sie ihm angesehen.
Gut, nach dem Tod ihrer Mutter war ihr Leben total aus den Fugen geraten. Lange hatte es gedauert, bis die kleine Ashley sich wieder aus ihrem Zimmer getraut hatte. Ihr Vater war so gut wie nie Zuhause gewesen, und wenn, war er stets in Gedanken versunken gewesen, und hatte schon wieder die Planungen der nächsten Objekte im Kopf gehabt.
Für Ashley hatte er extra ein Kindermädchen eingestellt, das sich alle Mühe gegeben hatte, das kleine Mädchen auf andere Gedanken zu bringen. Er hatte ihr immer wieder erklärt, dass die Miete für ihr Haus teuer sei und er deshalb so viel arbeiten müsse. Fragen über die Mutter wich er immer aus, und schließlich hatte sie es aufgegeben ihn darauf anzusprechen.
Irgendwann hatte sie herausgefunden, dass sie ihren Kummer tatsächlich besser ertragen konnte, wenn sie sich ablenkte. Sie hatte für die Schule gelernt wie eine besessene, exzellente Noten geschrieben, und war nach außen hin ein glückliches Mädchen gewesen.
Nachdem ihre ersten Beziehungen gescheitert waren, hatte sie umso verbissener gelernt, und schließlich hatte sie sich entschieden, trotz den Protesten ihres Vaters, zur Polizei zu gehen, und dafür zu sorgen, dass sie den vielen anderen Menschen, die geliebte Angehörige durch einen sinnlosen Mord verloren, wenigstens die Genugtuung zu geben, die ihr bislang verwehrt blieb: den Mörder gefasst und bestraft zu wissen.
Im Grunde genommen war sie also zufrieden mit ihrer Situation. Sie hatte ein gutes Leben, einen anspruchsvollen Job, und beste Aufstiegschancen. Ihrer leeren Wohnung würde sie einfach doch mithilfe eines Tieres mehr Leben ein hauchen. Es musste ja kein Hund sein; eine Katze hätte mit ihren Arbeitszeiten sicherlich kein Problem.
Die Türen des Aufzugs öffneten sich mit einem leisen Scharren und Ashley trat in die schwach beleuchtete Garage. Ihr Auto stand nicht weit weg, und so betätigte sie die Zentralverriegelung und schlüpfte schnell hinters Steuer.
Obwohl sie wusste, dass die Tiefgarage des Reviers mit Kameras Überwacht wurde, hatte sie doch immer ein ungutes Gefühl, wenn sie spät Nachts allein zu ihrem Auto ging. Ein kleines Manko für einen Detective des Morddezernats, sich im Dunkeln zu fürchten, wo doch die meisten Morde in der Nacht stattfanden. Doch da es an einem Tatort gewöhnlich vor Beamten nur so wimmelte, und sie zudem immer mit ihrem Partner Jeff unterwegs war, hatte das bisher noch nie ein Problem für sie dargestellt.
Nur noch nach Hause ins Bett

, dachte Ashley, während sie ihren Wagen an ließ und ihn aus der Parklücke bugsierte. An der Schranke musste sie kurz halten und das Fenster runterlassen, um ihre Karte vor das Lesegerät zu halten. Die Schranke öffnete sich ruckelnd, und dann steuerte sie ihr Auto auf die stets überfüllten Straßen der scheinbar niemals schlafenden Stadt.

Wie ein Schatten huschte er durch die dunklen Straßen. Niemand nahm den attraktiven, dunkelhaarigen Mann wahr, der sich geschmeidig und gefährlich wie ein Raubtier durch das nächtliche Brooklyn bewegte. Die aufmerksameren Menschen nahmen ihn als flüchtigen Windhauch wahr, die unaufmerksamen bemerkten ihn gar nicht. Er rannte schneller als das menschliche Auge es wahrzunehmen vermochte, und hatte binnen eines Wimpernschlags bereits mehrere Blocks hinter sich gelassen.
Das Schmatzen und Saugen des Vampirs und das Wimmern seiner Beute hatte er schon von weitem gehört, und jetzt nahm er auch den intensiven Geruch von menschlichem Blut und Angst wahr. Da er sich sicher war, dass das Opfer ohne seine Hilfe nicht überleben würde, hatte er sich vorgenommen, dem offensichtlich recht neu gewandelten Vampir selbst den Gar aus zu machen, obwohl er sich schon jetzt darüber aufregte, dass er in diesem Fall wohl kein Geld für seine Bemühungen bekommen würde. Schnell ließ er die letzten Straßen hinter sich, und bog in die Seitengasse ein, aus der der Gestank kam.
Es war allerhöchste Zeit, stellte er fest. Das Opfer – es war eine Frau – hatte kaum mehr einen Puls und hing schlaff in den Armen ihres Peinigers, der sich über ihren zerfetzten Hals her machte als gäbe es kein Morgen, und mehr von dem kostbaren Lebenssaft daneben laufen ließ als er überhaupt schluckte. Welch eine Schweinerei.
Damian stellte angewidert fest, dass der Vampir den er vor sich hatte, grottenschlechte Ess-Manieren an den Tag legte.
Typischer Jung-Vampir im Blutrausch. Aber wo war sein Erzeuger? Der müsste den jungen wilden doch eigentlich auf Schritt und Tritt überwachen, und eine solche Situation vermeiden!
Die Antworten auf diese Fragen mussten erst mal warten, denn diese Frau brauchte SOFORT seine Hilfe, wenn sie den nächsten Tag noch als Mensch erleben wollte.
Von hinten pirschte er sich an den Vampir an. Der war so tief im Blutrausch versunken, dass er Damians Annäherung gar nicht bemerkte. Er hatte also leichtes Spiel.
Blitzschnell packte er den Vampir am Kopf, und drehte ihn so kraftvoll herum, dass dem Typen das Genick schneller brach als er es überhaupt mitbekam. Ein schneller und sauberer Tod.
Um die Leiche verschwinden zu lassen, würde er sie später auf irgendeinem Feld außerhalb der Stadt ablegen; die Sonne würde den Rest erledigen, bevor ihn irgendjemand finden konnte.
Doch zunächst musste er sich ganz dringend um die Frau kümmern, die mittlerweile mehr Tod als lebendig auf dem Boden lag. Sie hatte sehr viel Blut verloren, und atmete kaum noch. Aus ihrer klaffenden Halswunde lief unaufhörlich Blut.
Er ignorierte seinen Magen, der sich dank des Blutgeruchs bereits verlangend zusammenzog. Stattdessen ritzte er sich mit einem seiner Fangzähne einen Finger auf, und ließ einige Tropfen seines Blutes in die Wunde laufen. Sofort entfaltete das Blut seine Wirkung, und er konnte zusehen wie binnen weniger Sekunden die Blutung stoppte und sich die Wunde anschließend schloss, bis man nicht einmal mehr einen Kratzer am Hals der Frau erkennen konnte. Das dumpfe Pochen in seinem Magen verebbte.
Mehr konnte er für die Frau im Moment nicht tun. Den Rest würde Nathan für ihn erledigen. Er klappte sein Handy auf und drückte die Kurzwahltaste.
„Ja?“ klang eine Stimme aus dem Hörer.
„Nate, hier Damian. Ich hab hier ein Opfer, weiblich, fast ausgeblutet. Hab die Wunde geschlossen, aber ohne Transfusion schafft sie es nicht. Kannst du sie abholen?“
„Klar, kein Problem. Wo bist du?“ wollte Nathan wissen.
„Ich bin in einer Gasse, irgendwo zwischen Stratford und Turner. Ist nicht zu verfehlen wenn du dem Blutgeruch folgst.“
„Gut, ich bin in ein paar Minuten da.“ antwortete Nate.
„Bis dahin bin ich weg. Kümmere mich um den Frischling der das verursacht hat und statte seinem Erzeuger noch einen kleinen Besuch ab.“
Ohne auf ein weiteres Wort zu warten, klappte Damian sein Handy zu. Er wusste, Nate würde die Frau finden und sich gut um sie kümmern. Nate war ein guter Kerl. Ok, vielleicht war seine Schwäche für Menschen ein wenig zu übertrieben, aber nur dank ihm hatte die Frau überhaupt Chancen, den nächsten Morgen zu erleben.
Und umso mehr Menschen gerettet werden konnten, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann doch heraus fanden, dass Vampire nicht nur in Legenden und Schauermärchen vorkamen, sondern mitten unter ihnen lebten.
Damian legte die Bewusstlose Frau in den Schatten einer großen Mülltonne, und lud sich anschließend den getöteten Vampir auf die Schulter. So schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder aus der dunklen Gasse, nicht mehr als ein leichter Windhauch auf den Straßen von Brooklyn.




K

apitel 2


Seufzend schloss Ashley die Tür ihres Apartments hinter sich und schaltete wie immer alle Lichter ein. Da sie allein lebte, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, dass sich irgend jemand über sie Lustig machen würde, wie sie ängstlich und mit durchgeladener Waffe durch ihr menschenleeres Apartment schlich. Das unangenehme Gefühl, dass sie immer hatte wenn sie allein war, schwand ein wenig, nachdem sie sämtliche Räume auf etwaige Einbrecher kontrolliert hatte.
Als sie sicher war, dass sich auch im Wandschrank kein ungebetener Gast versteckt hatte, ging sie zur Garderobe, um ihre Jacke aufzuhängen, und ihren Schlüssel in die kleine Glasschale neben dem Telefon zu legen. Anschließend schlurfte sie in Richtung Badezimmer und freute sich auf eine ausgedehnte Dusche, bevor sie erschöpft ins Bett fallen würde.
Noch immer gingen ihr Jeffs Worte nicht aus dem Kopf, der ihr empfahl, mal wieder auszugehen und Spass zu haben. Sie war in der Tat schon lange nicht mehr aus gewesen. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee. Sie musste sich ja nicht gleich einen Typen anlachen und heiraten.
Carol würde sich bestimmt freuen, sie mal wieder persönlich zu sehen, anstatt immer nur am Telefon zu plaudern, weil sie zu mehr einfach keine Zeit hatte.
Sie nahm sich vor, gleich Morgen anzurufen und sie zu fragen, ob sie Abends zusammen ausgehen würden. Sonntag hatte sie keinen Dienst, und sie würde Jeffs Rat, ihren Papierkram bis Montag liegen zu lassen, morgen endlich mal befolgen.
Sie schloss die Badezimmertür gewohnheitsmäßig hinter sich ab, obwohl sie in ihrer Wohnung allein war.
Eine halbe Stunde später kroch sie frisch geduscht und mit feuchten Haaren ins Bett, und versuchte das mulmige Gefühl zu ignorieren welches sie schon wieder beschlich, und redete sich stattdessen ein, dass es – wie jede Nacht – ausreichend war, die Beleuchtung im Flur brennen zu lassen, und ihre geladene Waffe unter dem Kopfkissen zu deponieren, um etwaige Einbrecher frühzeitig auszumachen und in die Flucht zu schlagen. Außerdem hatte sie die Alarmanlage eingeschaltet, die sich melden würde, sobald sich irgendjemand an Türen oder Fenstern zu schaffen machen sollte.
Das ungute Gefühl blieb, doch schließlich übermannte sie die Müdigkeit, und Ashley sank in einen unruhigen und wenig erholsamen Schlaf.

Damian stand vor Nathans Wohnungstür und wartete dass er ihm öffnete. Er war mit seiner Leistung Heute Nacht mehr als zufrieden. Anhand der Blutsbande, die jeden Jungvampir mit seinem Erzeuger verbanden, hatte er – nachdem er dem toten Vampir eine kleine Wunde zugefügt hatte, um das Aroma seines Blutes zu kosten – seinen Meister identifizieren können, um ihm anschließend einen kleinen Besuch abzustatten und die Leviten zu lesen.
Zugegeben, er hätte sich mehr anstrengen müssen, den Vampir ausfindig zu machen, währe ihm der Geschmack nicht gleich bekannt vorgekommen. Tatsächlich wurde der Frischling von Kenan gewandelt. Dieser Bastard hatte in der Vergangenheit schon einige seiner neu gewandelten Vampire nicht ausreichend im Griff gehabt, und Damian hatte sich Heute nicht das erste mal die Hände schmutzig gemacht, um dessen Frischlinge zurück ins Jenseits zu befördern.
Er verstand nicht, warum dieser Typ nicht einfach darauf verzichtete, neue Vampire zu erschaffen, wenn er sie nicht bändigen konnte. Frischlinge waren anstrengend. Neu gewandelt war jeder Vampir erst mal nichts anderes als ein von Instinkten geleitetes Raubtier, das ohne ausreichende Kontrolle sinnlos alles tötete und aussaugte was ihm über den Weg lief. Es brauchte viel Zeit und Geduld des Meisters, bis der Frischling irgendwann in der Lage war, seinen Blutdurst zu kontrollieren, und sich nur so viel zu nehmen, wie er brauchte, ohne seine Nahrungsquelle umzubringen. Desweiteren musste ihnen gelehrt werden, die wenigen wichtigen Gesetze der Vampire zu befolgen, damit ihre Existenz weiterhin geheim blieb.
Manche brauchten Jahre, bis sie endlich ohne Aufsicht auf die Straße gehen konnten, andere lernten es nie. Solche extremen Fälle wurden in aller Regel von ihrem Erzeuger selbst wieder vernichtet, oder aber von Damian, wenn er anständig dafür bezahlt wurde.
Die meisten führten deshalb eine Wandlung nicht ohne triftigen Grund durch. Meistens geschah es aus Liebe, wenn ein Vampir seinen Gefährten gefunden hatte. Doch Kenan führte anscheinend Wandlungen nach Lust und Laune durch, wenn ihm danach war seinen Clan zu vergrößern, oder wenn ihm einer genügend Geld für seine Unsterblichkeit bot.
In der nächsten Zeit würde er sich allerdings hüten, neue Vampire zu erschaffen, denn Damian hatte ihm eine Abreibung verpasst, die er nicht so schnell vergessen würde.
Die Tür zu Nate´s Wohnung öffnete sich, und Damian trat in den mithilfe von Kerzen nur schwach beleuchteten Flur.
„Hey D, da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du kommst Heute nicht mehr her. Was hast du denn so lange gemacht? Die Sonne geht in ein paar Minuten auf!“ Nate´s aufgeregte Stimme klang ehrlich besorgt.
Der großgewachene, blonde Vampir stand hinter der Tür, hatte ein Tuch in den Händen und wischte sich - dem Geruch nach zu urteilen – gerade mit Desinfektionsmittel die letzten Blutreste weg. Seine Stirn hatte sich Sorgenvoll zusammengezogen.
„Reg dich ab Nate! Ich kann gut allein auf mich aufpassen. Ich hab dem Erzeuger des Frischlings, der deine Menschenfrau so übel zugerichtet hat, noch einen kleinen Besuch abgestattet, nachdem ich ihn entsorgt hatte. Du wirst nicht glauben, wer es war!“
Nate grübelte nur kurz nach. „Schon wieder einer von Kenans Schützlingen?“
Damian nickte bestätigend.
„Scheiße. Und was hast du mit ihm gemacht?“
„Naja sagen wir mal so: nachdem ich ihm sprichwörtlich Feuer unter seinem armseligen kleinen Hintern gemacht hab, hatte ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Daran, dass er den Frischling gewandelt hat, konnte er sich aber leider erst erinnern, als ich meine Aussage durch den Einsatz von ein wenig kolloidalem Silber bekräftigt hatte. Dafür war er anschließend ohne weiteres Zögern bereit, mir meinen Einsatz Heute Nacht gebührend zu entlohnen. Und er versprach, für mindestens ein Jahr keine weiteren Vampire zu erschaffen.“ Damian konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er in Nate´s entsetztes Gesicht blickte. Unaufhörlich schrubbte er seine Hände in dem mit Desinfektionsmittel getränkten Tuch.
„Was denn? Du weißt dass ich nicht nachsichtig mit denen bin, die sich nicht an die Regeln halten! Wir können nur aus dem Grund friedlich zwischen den Menschen leben, weil sie keine Ahnung haben dass es uns gibt. Es ist unbedingt notwendig, dass wir kein Aufsehen erregen. Würden an jeder Straßenecke von Frischlingen ausgesaugte Leichen rumliegen, wie lange meinst du würde es dauern, bis die Menschen zur Jagd auf uns blasen? Ich habe Kenan nur meinen Standpunkt verdeutlicht, und ihn an die Regeln erinnert. Er wird es überleben, und schneller wieder fit sein als mir lieb ist.“ dessen war sich Damian ganz sicher. Ein Jahr war gar nichts im Vergleich zu der Zeit, die er bereits als Untoter auf der Erde wandelte.
Nate versuchte seine Miene wieder unter Kontrolle zu bringen. „Du hast ja Recht. Wir müssen vorsichtig sein. Und was der Typ der Frau angetan hat ist schrecklich. Sie hätte nicht überlebt wenn du sie nicht zufällig gefunden hättest. Aber deine Methoden sind trotzdem so - … „ Nate machte eine Pause. Offenbar suchte er nach dem richtigen Wort „ … - offensiv! Dich möchte ich wirklich nicht zum Feind haben, D!“
Damian klopfte ihm freundschaftlich den Rücken und erwiderte: „Keine Sorge, Nate. Du hast vor mir absolut nichts zu befürchten. Aber wo wir gerade beim Thema sind: wie geht es der Frau?“
Nate hörte endlich auf, seine Hände abzuwischen, und wies ihn stattdessen an, ihm in das hintere Zimmer zu folgen. Dass die Frau noch lebte, konnte er an ihrem schwachen aber regelmäßigen Herzschlag erkennen.
Nate betrat das Zimmer, welches er extra für solche Fälle eingerichtet hatte und ging zum Bett, in dem die Bewusstlose Frau lag. Aus ihrem Arm führte ein dünner Schlauch, der in einem Beutel Blut endete, der über ihr an einer Stange angebracht war. Sofort kam das Pochen in seinem Magen zurück. Scheiße, Heute Abend würde er Nahrung zu sich nehmen müssen.
Nate warf das zerknüllte Tuch in einen kleinen Mülleimer neben dem Bett.
„Sie ist schwach, aber soweit stabil.“ erklärte er. „Dieser Frischling hat ihr übel mitgespielt. Sie brauchte 3 Liter, bis ihr Herz endlich aufgehört hat verrückt zu spielen. Bei Sonnenuntergang werde ich sie ins Krankenhaus bringen, dann können die sich weiter um sie kümmern.“
„Lass dich bloß nicht erwischen wenn du sie dort ablieferst, Nate! Und vergiss nicht, uns und den Vorfall aus ihrem Gedächtnis zu löschen, bevor du sie zurück bringst.“
Nate nickte. „Natürlich vergesse ich das nicht, D! Ich werde aufpassen, dass mich keiner bemerkt, wenn ich kurz reinhusche, sie auf irgendeine leere Pritsche der Notaufnahme lege, und wieder verschwinde. Und sie wird sich an absolut nichts erinnern wenn sie aufwacht.“
Damian nickte und drehte sich um, ging aus dem Zimmer und durch den Flur zurück in Richtung Tür. Er wollte nicht länger hier bleiben. Da er Hunger hatte, wollte er nicht den ganzen Tag hier in Nate´s Wohnung, zusammen mit einem potentiellen Opfer eingesperrt sein. Und er musste sich beeilen, wenn er es ohne Sonnenbrand in seine eigene Wohnung schaffen wollte.
Er schaute nochmal zurück zu Nathan, der offensichtlich erraten hatte, warum er sich so schnell aus dem Staub machen wollte. „Sei vorsichtig.“ sagte er noch, bevor er schnell durch die Tür schlüpfte.




K

apitel 3

„Was? Echt? Du willst ausgehen? Das ist ja super! Ich freu mich so.“ Carol war ganz aus dem Häuschen. Ashley hatte ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt, und gleich nach dem Aufstehen bei ihrer Freundin angerufen.
„Ich weiß auch schon, wo wir hin gehen! Da wird es dir gefallen, glaub mir. Ist ein recht neuer Club, nette Atmosphäre, und vor allem viele knackige Typen dort.“
Ashley verdrehte die Augen. Typisch Carol. Diese Frau hatte einen Verschleiß an Männern der nicht mehr normal sein konnte. Ihre Bekanntschaften wechselten schneller als sie ihre Slips. Auch wenn sie sich selten trafen, wusste sie doch stets über Carol´s Liebesleben Bescheid. Wenn sie telefonierten, ging es meistens um nichts anderes, und Ashley schmunzelte immer wieder, wenn sie sich Carol´s Abenteuer anhören durfte.
„Carol, ich geh nicht aus um einen Typen kennen zu lernen! Ich will einfach mal wieder ein bisschen Spass haben, plaudern und einen Abend meine Arbeit vergessen!“
„Aber Schätzchen, das tun wir doch!“ gab Carol zurück. „Wir werden so viel Spass haben wie du willst. Aber du musst mir doch zustimmen, dass du dir einen Drink lieber von einem gut aussehenden Kerl spendieren lässt als von einem hässlichen Frosch. Oder etwa nicht?“
„Ich hatte eigentlich vor, meine Drinks selbst zu bezahlen.“ gab sie zu bedenken, und erntete prompt ein herzhaftes Lachen aus dem Telefonhörer. Als ihre Freundin sich wieder beruhigt hatte meinte sie: „Ashley, Schatz. Du warst einfach schon viel zu lange nicht mehr aus. Es macht doch erst richtigen Spass, wenn einem ein paar heiße Typen hinterher lechzen! Aber das wird schon. Ich hol dich dann also Heute Abend so gegen 10 ab. Ist das ok?“
„Ja, geht klar. 10 Uhr. Bis dann.“
„Bis dann.“ es klickte in der Leitung, Ashley legte auf.
Sie würde also tatsächlich ausgehen. 10Uhr, heute Abend. Sie müsste auf jeden Fall früher aus dem Dezernat verschwinden, damit sie sich noch ein wenig zurecht machen konnte. Überstunden hatte sie genug, das währe nicht das Problem. Aber Jeff würde mit Sicherheit wissen wollen, warum sie früher ging. Sie konnte sich sein breites Grinsen jetzt schon vorstellen, wenn er den Grund erfahren würde.
Als sie daran dachte was Carol gesagt hatte, bekam sie ein komisches Gefühl in der Magengegend, das sie nicht so recht deuten konnte. War es Aufregung?
Auf jeden Fall freute sie sich auf den Abend. Mit Carol an ihrer Seite würde es auf keinen Fall langweilig werden. Und, wer weiß

, dachte sie, vielleicht spendiert mir ja tatsächlich irgendeiner einen Drink?


Zwei Stunden später waren Ashley und Jeff bereits an ihrem ersten Tatort, und beugten sich über die Leiche eines jungen Mannes, der wohl allem Anschein nach in eine Messerstecherei geraten war. Ein Anwohner hatte ihn hinter den Mülltonnen gefunden, als er seinen Abfall entsorgen wollte.
Ashleys Magen krampfte sich auf unangenehme Weise zusammen. Ebenso wie diesen Jungen hier, hatte man damals auch ihre Mutter gefunden. Wie Müll weggeworfen, nachdem man sie entsetzlich gequält hatte, und sie durch den Tod endlich erlöst worden war.
Sie hatte die Akte gelesen, nachdem sie endlich in die Abteilung für Mordfälle versetzt wurde, wieder und wieder. So oft, dass sie sie schon fast auswendig kannte. Jemand hatte ihrer Mutter schwere Verletzungen zugefügt. Sie hatte an den Armen und am Hals große klaffende Wunden gehabt, die ihr schreckliche Schmerzen bereitet haben mussten. Die waren ihr nicht durch ein Messer zugefügt worden, dazu waren die Wundränder zu zerfetzt gewesen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was der Täter sonst benutzt haben könnte, um Verletzungen dieser Art und Größe zu hinterlassen. Offenbar hatte sie noch versucht wegzulaufen, denn eine Blutspur führte vom Fundort weg, durch einige Straßen, bis zu ihrem Wagen, den sie vor dem Einkaufszentrum abgestellt hatte. Sie hatte noch versucht, sich gegen ihren Angreifer zu wehren. Unter ihren teils abgebrochenen Fingernägeln hatte man Leder-Fasern gefunden, was darauf hindeutete dass der Täter eine Lederjacke getragen hatte. Das hatte ihr allerdings nichts genutzt, denn ihr Körper hatte mit jedem Herzschlag kostbares Blut aus den Wunden gepresst, das später überall um die Leiche herum verspritzt gewesen war. Aus dem Autopsiebericht hatte sie entnehmen können, dass die schweren Verletzungen und der Blutverlust ihre Mutter nach wenigen Minuten hatten ohnmächtig werden lassen. Vermutlich eine Erlösung für die tödlich verwundete. Außer den Leder-Fasern hatte es absolut keine anderen Hinweise auf den Mörder gegeben, und nachdem die Polizei monatelang im Dunkeln getappt war, hatten sie den Fall zu den Akten gelegt.
Ashley hoffte jeden Tag, dass sie irgendwann den Mörder ihrer Mutter zu fassen bekäme, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Sie konnte einfach nicht damit leben, dass dieser perverse irgendwo da draußen frei herum lief, und womöglich irgendwann einem anderen kleinen Mädchen auf brutale Weise die Mutter nehmen würde.
„ … - was meinst du, Ash?“ Jeff holte sie aus ihren Gedanken und lenkte ihren Blick zurück auf die Leiche.
„Entschuldigung, Jeff. Was sagtest du gerade?“ Ashley versuchte sich auf den Fall zu konzentrieren, und schob die Bilder aus der Mordakte ihrer Mutter, die ihr gerade durch den Kopf gingen, in den hinteren Teil ihres Gehirns zurück.
„Ich sagte, dass der Typ ein Gang-Tatoo am Handgelenk hat, und ich denke, dass es zwischen den `Black Hands´ und den `Boodles´ mal wieder Ärger gegeben hat.“ Jeff wies auf das Tatoo in Form einer kleinen schwarzen Hand auf dem rechten Handgelenk des Jungen. „Oder was meinst du?“
Ashley schaute sich das Tatoo genauer an. Kämpfe zwischen den sich rivalisierenden Gangs hier in New York gehörten leider fast schon zur Tagesordnung, und immer wieder wurden dabei junge Leute schwer verletzt, oder – wie in diesem Fall – sogar getötet. In eine solche Gang wurde man quasi schon hineingeboren, die jüngeren Geschwister wurden meist von ihren älteren Brüdern oder Schwestern eingeführt. Ließ man sich dann erst mal das Erkennungszeichen, das Gang-Tatoo, stechen, war man Lebenslang Mitglied. Es gab kein zurück, kein Entkommen. Zumindest nicht lebendig.
Das Tatoo sah exakt so aus wie die anderen, die sie im Laufe ihrer bisherigen Ermittlungsarbeit bei der Mordkommission gesehen hatte. Zweifelsfrei war der Junge ein Mitglied der `Black Hands´ gewesen.
„Entweder das, oder er wollte Aussteigen, und wurde daran gehindert.“ gab sie zurück.
Jeff nickte kurz. „Ja, das kann auch sein. Los, hier können wir nichts mehr tun. Die von der Spurensicherung sollen alles eintüten was sie finden, und dann sollen sie den Jungen ins Leichenschauhaus bringen.“
Jeff hatte Recht. Gangmorde waren extrem schwierig aufzuklären, weil sich die Mitglieder stets in Schweigen hüllten, obwohl sie meist ganz genau wussten, wer die Schuldigen waren. Die regelten ihre Streitigkeiten lieber selbst, und versauten so die ganze Statistik. Man konnte nur die Beweise sammeln und hoffen, dass die einem sagen konnten, wer der Täter war.
Ashley erhob sich und trotte mit Jeff zurück zum Wagen.
Auf dem Weg zu der Adresse, die auf dem Ausweis des Jungen angegeben war, unterhielten sie sich – wie so oft - über Jeffs Kinder. Er erzählte ihr, dass sein Sohn Paul es ins Footballteam seiner Schule geschafft hatte. Am vergangenen Wochenende hätte seine Mannschaft die Rivalen in Grund und Boden gestampft. Seine Tochter Sarah hätte ja schon lange Ballettunterricht, und er sei sich sicher, dass sie es bis ganz nach oben schaffen könnte, wenn sie es wollte. Schließlich hätte sich keine andere so anmutig bewegt wie seine Tochter, als er sie bei ihrem letzten Wettkampf gesehen hatte.
Ashley hatte auch Ballett getanzt, früher. Zudem hatte sie Tennis gespielt und war geritten. Ihr Vater hatte ihr ihre Hobbys finanziert, hatte sich um exzellente Lehrer bemüht, und ihr den Unterricht in den besten Schulen ermöglicht. Er hatte sie mehrmals die Woche von einem eigens für sie engagierten Fahrer zu den Freizeitaktivitäten bringen und wieder abholen lassen.
Leider war er immer zu beschäftigt gewesen, sie selbst zu fahren, und er hatte auch nie Zeit gehabt, sie zu einem Wettkampf zu begleiten.
Ashley räusperte sich, um Jeff in seinem Redeschwall zu unterbrechen.
„Jeff?“ fragte sie dann „Ist es möglich dass ich Heute früher nach Hause gehe?“
Erstaunt drehte er seinen Kopf, den er bis gerade starr auf die Straße gerichtet hatte, zu ihr herüber und sah sie an.
„Im ernst? Was ist denn passiert? Muss ich mir Sorgen machen?“
Ashley musste grinsen. „Nein Jeff, es ist nichts passiert! Ich möchte Heute ausgehen, und brauche deshalb einfach früher Feierabend.“
Zufrieden wandte Jeff seinen Kopf wieder der Straße zu und erwiderte: „Hast dir meinen Rat also zu Herzen genommen. Schön. Ja geh nur aus und hab ein bisschen Spass. Ich komme hier schon allein zurecht.“
Kurz darauf lenkte Jeff den Wagen auf einen Parkplatz gegenüber des Wohnblocks, in dem der Junge offensichtlich zusammen mit seinen Eltern gewohnt hatte.
Leider fiel ihnen auch die unangenehme Aufgabe zu, den Eltern mitzuteilen dass ihr Sohn ermordet worden war. Diesen Teil ihrer Arbeit verabscheute Ashley zutiefst. Meistens waren die Hinterbliebenen geschockt und entsetzt, wenn sie vom Tod eines nahe stehenden Verwandten erfuhren. Nicht selten mussten die Beamten den Notarzt rufen, weil die Betroffenen einen Zusammenbruch erlitten. So war es damals bei ihrem Vater auch gewesen. Er hatte einen Schock erlitten, von dem er sich nie wieder erholt hatte. Er war danach nie wieder derselbe geworden.
Sie nahm sich vor, diese Sache schnell hinter sich zu bringen, und sich anschließend schnell auf den Heimweg zu machen. Die Vorfreude auf ihren Spassabend mit ihrer Freundin wollte sie sich auf gar keinen Fall verderben lassen.




K

apitel 4

Als Damian erwachte, fühlte er sich beschissen. Am Morgen hatte er es gerade noch in seine Wohnung geschafft, bevor ihm die Sonne sein Gesicht vollends verschmort hatte.
Während er geschlafen hatte, war sein Gesicht zwar wieder vollständig abgeheilt, aber jetzt machte ihm dafür der Hunger schwer zu schaffen.
Er musste schleunigst ein paar Schlucken Blut auftreiben, vorzugsweise frisch aus der Quelle. Wie Nathan dieses abgestandene Zeug aus dem Beutel runter bekam, war ihm ein Rätsel. Ihm kam schon beim Gedanken daran die Galle hoch.
Damian schaute auf die Uhr, und stellte fest, dass ihn sein Hunger zu früh geweckt hatte. Er musste noch ganze drei Stunden in diesem Loch, das sein Zuhause darstellte, überstehen, bis die Sonne endlich vom Himmel verschwinden würde. Er hasste den Sommer. Die Nacht war dann einfach nie lang genug, und ihm fiel regelmäßig die Decke auf den Kopf. Da war ihm der Winter mit angenehmen 14 Stunden Dunkelheit wesentlich lieber.
Seufzend drehte er sich in seinem Bett herum und hoffte, er würde einfach wieder einschlafen.
Natürlich schlief er nicht wieder ein. Nur wenige Minuten später schrillte sein Handy und ließ ihn hochfahren. Er schaute auf das lauthals piepsende und vibrierende kleine Mistding, um zu sehen wer es wagte, vor Sonnenuntergang bei ihm anzurufen. Dass der Anrufer seine Nummer unterdrückte, hob seine Laune nicht gerade. Das konnte nur bedeuten, er hatte einen neuen Job.
Verdammt. Er hoffte, dieser Auftrag würde wenigstens bis Morgen Zeit haben, damit er später noch im `Fusion Blood´ (treffender Name für die Aktivitäten, die drinnen stattfanden) vorbei schauen konnte. Er brauchte unbedingt Blut, vorher war er für nichts mehr zu gebrauchen.
Seufzend klappte er sein Handy auf und hielt es sich ans Ohr.
„Hallo? Ich brauche Ihre Hilfe.“ Er hatte mal wieder Recht gehabt. Ein Job.
„Welche Art von Hilfe?“ Telefongespräche wie diese verliefen immer nach dem gleichen Schema. Um sicherzustellen dass der Anrufer auf Empfehlung kam, und kein Spitzel, oder noch schlimmer, ein Mensch war, musste er auf D´s Frage mit dem richtigen Codewort antworten.
Der Anrufer räusperte sich, dann flüsterte er fast ins Telefon: „Einen Kammerjäger. Ich habe Fledermäuse auf dem Dachboden.“ Das war die richtige Antwort.
Damian setzte sich im Bett auf. „Sprechen Sie.“ knurrte er ins Telefon.
„Ich spreche im Auftrag meines Meisters. Ein fremder wildert seit kurzem auf seinem Terrain und wandelt Menschen ohne Zustimmung. Er beeinflusst sie mithilfe der Bannung. Wir kennen den Täter nicht persönlich, es gibt also keine genaue Beschreibung. Das Gebiet ist groß, es erstreckt sich von Brighton Beach über die Flatlands bis hoch nach Borough Park, und wird im Norden vom Linden Bolevard begrenzt. Der Job wird Sie Zeit kosten, das ist meinem Meister bewusst. Aber er ist bereit, Ihnen Ihre Mühen großzügig zu entlohnen.“
Damian dachte kurz nach. Dieser Auftrag könnte ihn Tage, oder sogar Wochen kosten. Das Gebiet war wirklich groß. Er müsste in unzähligen schmierigen Menschenclubs rumhängen und darauf hoffen, dass er dem Typen zufällig begegnete, und ihn dann auch noch auf frischer Tat ertappen. Trotzdem würde es mal wieder was anderes sein, als immer nur Frischlinge umzubringen, was den Hauptteil seines Geschäfts ausmachte. Er könnte sich endlich mal wieder mit einem gleich starken Feind messen.
„Wie viel?“ fragte er deshalb den unbekannten Anrufer.
„Eine Million Dollar.“ kam es völlig ungerührt aus dem Hörer zurück.
Damian stockte. Gottseidank saß er schon auf dem Bett, sonst hätte er sich jetzt hinsetzen müssen. Eine Million Dollar? Gott verflucht. Diesem Typen schien sein Territorium ja ziemlich wichtig zu sein, wenn er so viel Geld bezahlte, nur um einen wildernden Vampir loszuwerden.
Reiß dich zusammen

, sagte er zu sich selbst, und bleib beim Schema!


„Ich brauche eine Anzahlung.“ forderte er deshalb von dem Anrufer.
„Das ist uns bewusst. Mein Meister ist bereit, Ihnen die üblichen 50% zukommen zu lassen, um sein Wohlwollen auszudrücken. Die restlichen 50% wenn das Problem beseitigt ist. Sind Sie damit einverstanden?“
Damian hatte einen faustgroßen Kloß im Hals. 50%. Das waren 500.000 Dollar. Jetzt sofort. Ihm wurde beim Gedanken an die vielen Nullen beinahe schwindelig.
Mit heißerer Stimme antwortete er deshalb nur: „Ja.“
Der Anrufer war offensichtlich zufrieden. Er klang entspannt, als er Damian erklärte, dass er in seinem Briefkasten einen Umschlag finden würde, in dem sich ein Schlüssel zu einem Schließfach am Flughafen befand. In diesem Schließfach würde er das Geld finden.
„Ach so ..“ fügte er dann noch hinzu „.. vielleicht eine kleine Motivationshilfe. Sollten Sie es schaffen, den Job innerhalb einer Woche zu erledigen, ist mein Meister bereit, Ihnen nochmals 500.000 extra zu bezahlen. Er möchte, dass die Erledigung dieses Auftrags oberste Priorität für Sie hat.“ dann klickte es in der Leitung, ein Zeichen, dass der Anrufer aufgelegt hatte.
Damian starrte sein Handy an. War das gerade wirklich passiert? Er musste doch träumen! Er kniff sich unsanft in den Arm, aber – Autsch! - er war hellwach. Eine Million Dollar! Und nochmal eine halbe Million, wenn er den Kerl innerhalb einer Woche ausschaltete. Na wenn das mal nicht endlich ein lukrativer Auftrag war!
Er sprang aus dem Bett, und wollte so schnell wie möglich zum Briefkasten runter, um zu sehen ob der besagte Umschlag wirklich da war. Doch als er die Wohnungstür öffnete, fielen die Strahlen der tief hängenden Sonne auf sein Gesicht, und mit einem lauten knurren zog er sich schnell wieder zurück, bevor dieses blöde Ding ihn zum zweiten Mal Heute verbrannte.
Verdammt! Er hasste den Sommer!

Knapp 3 Stunden später saß Damian wieder in seiner Wohnung auf dem Sofa, neben sich eine Tasche mit scheinbar unendlich vielen Scheinen drin. Das waren tatsächlich 500.000 Dollar. Er hatte nachgezählt. Alles war genau so verlaufen, wie es der Anrufer gesagt hatte.
Nach scheinbar unendlich langer Zeit des Wartens auf den verfluchten Sonnenuntergang, während derer Damian mehr als einmal nahe daran gewesen war, aus Frust seine komplette Einrichtung zu zertrümmern, hatte er endlich seine Wohnung verlassen können. Den Umschlag hatte er aus seinem Briefkasten geholt, und tatsächlich einen kleinen Schlüssel darin gefunden. So schnell ihn seine Beine trugen, war er dann zum JFK International Airport gerannt, und hatte aus dem Schließfach die schwarze, unscheinbare Tasche mit spektakulärem Inhalt an sich genommen.
Zusammen mit dem Geld waren einige Dokumente mit Hinweisen in der Tasche gewesen. Da war einmal eine Aufstellung der bekannten, ohne Zustimmung erfolgten Wandlungen, eine Liste der Clubs, in denen die Opfer verkehrt hatten, und eine Karte auf der nochmal das gesamte Gebiet eingezeichnet war, in dem sich seine Zielperson befinden konnte.
Über genau dieser Karte hockte er nun, und grübelte über eine Strategie nach, die ihn seinem Ziel – nämlich den Typen in weniger als einer Woche zu finden – möglichst schnell näher bringen würde. Er nahm sich vor, zuerst die Clubs von der Liste abzuarbeiten, die von den Opfern am meisten frequentiert worden waren, und sich dann die weniger bekannten vorzunehmen.
Er hoffte, dass der Vampir ein Gewohnheitstier war, und sich in den Clubs wohl fühlte, in denen er bereits einige Opfer gefunden hatte. Trotzdem musste er zugeben, dass er sich – so ganz ohne Beschreibung seiner Zielperson – auf die Suche nach der Sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen machte. Er würde eine große Portion Glück brauchen, um die Sache in weniger als einer Woche über die Bühne zu bringen.
Entschlossen, sein Glück gleich mal zu versuchen, erhob er sich von seinem alten Sofa, und machte sich auf den Weg. Gleich nachdem er im `Fusion Blood´ endlich seinen Durst gestillt hätte, würde er sich den ersten Club auf seiner Liste vornehmen.




K

apitel 5

Carol hatte einen ausgezeichneten Geschmack, stellte Ashley staunend fest, als sie gegen halb 11 den Club betraten, den ihre Freundin ausgesucht hatte.
Die Atmosphäre hatte etwas heimeliges, friedliches, obwohl die Musik so laut und dröhnend war, wie in jedem anderen Club der Stadt auch. Die Sitzgelegenheiten waren so angeordnet, dass sie immer wieder von halb hohen Trennwänden und Pflanzen abgetrennt wurden, so dass man trotz des großen Raumes ein gewisses Gefühl von Privatsphäre genießen konnte. Sie wählten einen Platz aus, von wo aus Ashley freien Blick auf die Tanzfläche hatte. Fasziniert schaute sie den Menschen zu, die sich anmutig im Takt der Musik bewegten, und deren Körper mit denen der anderen zu einer großen, sich wiegenden Masse zu verschmelzen schienen.
„Und, wie findest du´s?“ fragte Carol. Sie musste sich anstrengen, um die wummernden Beats der Musik zu übertönen.
Ashley war noch dabei, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten, und brachte deshalb nur ein Kopfnicken in Carol´s Richtung zustande. Es gefiel ihr. Sehr sogar. Gerade beobachtete sie ein Pärchen auf der Tanzfläche, das sich um die anderen Menschen um sie herum überhaupt nicht zu kümmern schien. Die beiden bewegten sich auf so erotische Weise, dass Ashley sich fragte, ob sie dort nur tanzten, oder ob sie mit ihren Händen, die sich unter der Kleidung des jeweils anderen befanden, noch mehr machten …
„Ashley, Schatz. Ich muss dir sagen, dass du wirklich toll aussiehst Heute Abend! Die Farbe steht die ausgezeichnet, und der Schnitt bringt deine Kurven optimal zur Geltung! Ich bin stolz auf dich!“
Ashley unterdrückte ein Stöhnen, als sie an die nachmittägliche Tortour dachte, die hinter ihr lag, nachdem sie Jeff um 6 mehr oder weniger aus dem Dezernat geworfen hatte.
Auf der Heimfahrt war ihr aufgefallen, dass es in ihrem Kleiderschrank nichts gab, das zu ihrem Spassabend passen würde. Also war sie kurzerhand zum Belwood Center gefahren, und hatte sich in einem Modegeschäft von einer netten, aber wahnsinnig stressigen Verkäuferin beraten lassen. Die Frau hatte sie so lange in verschiedene Outfits gesteckt, bis ihr beinahe der Kragen geplatzt währe. Eine ganze Stunde und 350 Dollar hatte sie die Einkaufstour gekostet, aber Carols Reaktion nach zu Urteilen hatte es sich wenigstens gelohnt.
Sie trug eine figurbetonte, enge Hose in einem so dunklen Blau, dass es hier drinnen wie schwarz aussah, und dazu ein zart rosé farbenes, tief ausgeschnittenes Oberteil, mit hübschen Applikationen auf der Brust, welche die Blicke wie magisch auf ihr Dekolltée zu lenken schienen. Dazu hatte sie eine farblich abgestimmte Halskette sowie ein Armband um. Ein dunkles Jäckchen, dass ihre schmale Taille und ihre wohl geformten Hüften betonte, sowie hochhackige Pumps vervollständigten ihr Outfit.
Sie hatte sich große Mühe gegeben, ihren sonst eher langweilig herab hängenden braunen Haaren ein wenig Pepp zu verleihen, und hatte sie mithilfe eines Knotens aufwendig hochgesteckt. Einige Strähnen hatte sie absichtlich heraus hängen lassen, um das Ganze etwas aufzulockern.
„Danke Carol, für das Kompliment. Vielen Dank.“ Verlegen drehte sie eine ihrer Haarsträhnen um einen Finger und dachte daran, wie kurz sie Heute schon davor gewesen war, die ganze Sache abzublasen.
Grund dafür war die Familie des toten Jungen gewesen. Die Eltern hatten überhaupt nicht so reagiert, wie sie es erwartet hatte. Als die Mutter die Tür geöffnet hatte und die Beamten sah, fing sie ohne Vorwarnung an zu weinen. Sie stieß schluchzende Worte in einer fremden Sprache aus, und wirkte wie abwesend, während sie den beiden Platz machte um in die Wohnung zu kommen. Der Vater hingegen nahm die Nachricht vom Tod seines Sohnes erstaunlich nüchtern auf, als hätte er es beinahe erwartet. Statt zu weinen schüttelte er immer wieder verständnislos den Kopf, und sagte sowas wie: „Ich hab´s ihm ja gesagt!“
Für Ashley war klar gewesen, dass der Tod des Jungen kein Unfall gewesen sein konnte. Sie war sich sicher, dass der Junge hatte aussteigen wollen – vielleicht wollte er weg ziehen, um auf´s College zu gehen, oder einfach wo anders neu anzufangen – und von den Mitgliedern seiner eigenen Gang umgebracht worden war. Vermutlich hatte er seinen Eltern davon erzählt, weshalb sie auch schon wussten was geschehen war, noch bevor sie überhaupt ein Wort über den Tod ihres Sohnes von den Beamten erfahren hatten.
Ashley war speiübel gewesen, als sie mit Jeff anschließend zum Revier zurück gefahren war. Am liebsten hätte sie sich bis über beide Ohren in Arbeit vergraben, die Beweise durchgeforstet, die ihr vielleicht einen Hinweis auf den Mörder liefern würden, doch Jeff hatte sie scharf angesehen, und ihr um 6 befohlen, endlich ihren Hintern nach hause zu schaffen und sich einen schönen Abend zu machen.
Nun war sie Jeff dankbar über den Rausschmiss. Sie freute sich, mit Carol in diesem wundervollen Club zu sitzen, Menschen beobachten zu können die offensichtlich Spass hatten, und selbst auch Spass zu haben. Einen ganzen Abend lang wollte sie nicht mehr über ihre Arbeit nachdenken. Und sie würde gleich damit anfangen. Entschlossen verbannte sie die Gedanken an den getöteten Jungen aus ihrem Kopf, und blickte stattdessen zu ihrer Freundin hinüber, die offenbar gerade dabei war, abzuchecken was der Club Heute an Männern zu bieten hatte. Anscheinend war die Auswahl zufriedenstellend, denn als sie wieder zurück zu Ashley sah, grinste sie selig.
„Du siehst aber auch toll aus, Carol!“ gab sie das Kompliment zurück.
Ashley musterte ihre Freundin, die in ihrem gewagt kurzen Rock und der niedlichen asiatisch gemusterten Bluse einfach hinreißend aussah. Es war kein Wunder, dass alle Männer auf sie abfuhren. Carol war groß, hatte langes, wallend blondes Haar, blaue Augen, eine süße Stupsnase und einen sinnlichen Mund, den sie stets knallrot schminkte. Dazu kam die typische 90-60-90 Figur eines Modells und die langen, schlanken Beine.
Im Vergleich zu Carol sah Ashley geradezu gewöhnlich aus, fand sie. Mit ihren 56kg Gewicht, verteilt auf 1,68m Körpergröße, ihrem braunen Haar und den dazu passenden braunen Augen, die je nach Lichteinfall manchmal einen Stich ins Olivgrün bekamen, entsprach sie zwar dem amerikanischen Durchschnitt, mehr aber auch nicht.
Carol machte eine abwertende Handbewegung. Obwohl sie so hübsch war, dass sie wohl Problemlos die Wahl zur Miss America würde gewinnen können, war sie keineswegs eingebildet oder überheblich. Ashley mochte das. Nichts verabscheute sie mehr, als eingebildete Zicken, die meinten sie seien was besseres, nur weil sie beim Highschool - Abschlussball die Königin gewesen waren.
„Na Mädels, was kann ich euch bringen?“ Der Kellner holte sie schließlich aus ihren Gedanken.
„Ähm, ...“ Ashley hatte keine Ahnung, was sie bestellen sollte.
„Ich mach das, Schätzchen.“ Carol hatte sich herüber gebeugt und wisperte ihr ins Ohr. Dann richtete sie sich wieder auf, und zum Kellner gewandt sagte sie: „Wir hätten gerne 2 Cosmopolitan.“ der Kellner nickte, zwinkerte Carol verführerisch zu, und machte sich auf, die bestellten Drinks zu mixen.
„Der war doch mal zu anbeißen, oder?“ Carol schaute dem Objekt ihrer Begierde nach und grinste breit. Ashley hatte unterdessen andere Sorgen.
„Was ist bitte ein `Cosmopolitan´??“ wollte sie wissen. Sie hatte keine Ahnung was das für ein seltsames Getränk sein könnte, das den Namen einer Zeitschrift trug.
Carol löste ihren Blick von dem Kellner, als sein Po endlich hinter der Bar verschwand, und beantwortete Ashleys Frage.
„In einen Cosmopolitan kommen Wodka, Cointreau, Preiselbeer- und Limettensaft. Schmeckt klasse das Zeug.“ Wie auch immer, Ashley würde es gleich erfahren.
„Komm, wir gehen ein bisschen Tanzen.“ forderte Carol sie auf, und erhob sich.
Ashley war entsetzt. Sie und tanzen? Kurz schweifte ihr Blick zur Tanzfläche, wo sich die Menge immer noch zum Rhythmus der Musik bewegte. Das konnte sie sicher nicht.
Entschieden schüttelte sie den Kopf, doch Carol dachte nicht daran, ein Nein zu akzeptieren. Stattdessen fasste sie ihre Freundin am Arm und schleifte sie hinter sich her, in Richtung Tanzfläche.
Ashley versuchte es mit Logik, und rief: „Unser Platz wird besetzt sein, wenn wir zurück kommen! Und wer passt auf unsere Drinks auf?“
Doch Carol ließ sich nicht erweichen. „Ach komm schon! Wir bleiben am Rand, wo wir unseren Tisch im Blick haben, und bis unsere Drinks kommen, sind wir längst zurück!“
Und dann stand Ashley plötzlich mitten auf der Tanzfläche. Carol wiegte sich bereits anmutig zu den Klängen der Musik, den Blick fordernd auf sie gerichtet.
Na gut

, dachte Ashley. Augen zu und durch

.
Sie schaute sich ein paar der um sie herum tanzenden Menschen genauer an, und versuchte, deren Bewegungen zu imitieren. Carol nickte ihr aufmunternd zu, und so wurde Ashley bald mutiger, entwickelte eigene Bewegungen, ließ sich vom Rhythmus mitreißen, und tanzte schließlich aus vollem Herzen zusammen mit dem Rest der Menge mit.
Carol hatte bald mehrere männliche Tanzpartner um sich herum versammelt, die versuchten, mit besonders sexy Bewegungen ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ihr schien das sichtlich Spass zu machen, denn sie drehte sich zwischen ihren Verehrern hin und her, so dass jeder von ihnen mal in den Genuss ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit kam.
Ashley kümmerte sich nicht großartig darum. Sie hatte die Augen halb geschlossen, lauschte den Bässen, die aus den Boxen drangen, und bewegte ihren Körper im völligen Einklang zur Musik.
Sie bekam nicht mal mit, wie sich auch zu ihr ein Tänzer gesellte, bis sie versehentlich mit ihm zusammen stieß.
„Oh, verzeihen Sie, hübsche Lady! Das war mein Fehler!“
Ganz aus dem Takt gekommen und ein wenig verwirrt darüber, dass sie aus ihrer Trance gerissen wurde, schaute Ashley sich um. Sie stellte fest, dass Carol noch immer mit ihren Tanzpartnern zu Gange war. Ein prüfender Blick zu ihrem Tisch verriet ihr, dass sich in ihrer Abwesenheit eine andere Gruppe dort niedergelassen hatte. So ein Mist.
„Bitte, machen Sie doch weiter, Miss. Es tut mir Leid dass ich Sie gestört habe.“ Der Mann, der sie angerempelt hatte, wollte sich offenbar bei ihr entschuldigen.
Sie wollte nicht unhöflich sein, darum wandte sie sich zu dem Mann um. Auf ihrer Augenhöhe befand sich seine muskulöse Brust, die sich unter dem eng anliegenden Rip-Shirt deutlich abzeichnete. Ashley musste ihren Kopf ein ganzes Stück heben, um ihm ins Gesicht zu sehen.
Als erstes fiel ihr Blick auf sein markantes Kinn, welches die vollen Lippen besonders gut zur Geltung brachte. Weiter oben saß eine perfekt geformte, gerade Nase, flankiert von kräftigen, hoch angelegten Wangen. Kein Barthaar verunstaltete das ebenmäßige Gesicht, das von kurz geschnittenem, schwarzen Haar umrahmt wurde.
Zuletzt schaute sie dem Mann in die Augen, und stellte verblüfft fest, dass sie ebenfalls vollkommen schwarz aussahen. Das musste eine optische Täuschung aufgrund der Lichtverhältnisse sein. Wer hatte denn bitteschön schon schwarze Augen?
Sie räusperte sich verlegen und schaute dann schnell zu Boden, als sie sich dabei ertappte, wie sie sich jede Einzelheit seines Gesichts einprägte. Er hatte ein schönes Gesicht, das stand fest. Stark und männlich und … herrjeh! Was tat sie denn da!
Hilfesuchend schaute sie zu Carol hinüber, die mittlerweile bemerkt hatte, dass ihre Freundin die Aufmerksamkeit eines recht attraktiven Mannes auf sich gezogen hatte. Sie winkte zu ihr herüber, und teilte ihr anschließend mithilfe eines hoch erhobenen Daumens ihre Zustimmung mit. Offensichtlich war sie äußerst zufrieden mit dem Fang ihrer Freundin. Na toll! Von ihr konnte Ashley sich wohl keine Hilfe erhoffen.
Der Mann stand noch immer neben ihr und beobachtete sie. Mittlerweile erhellte ein breites Grinsen seine Züge. Auch das noch! Er hatte also mitbekommen, wie sie ihn angeschmachtet hatte, und sich anschließend auch noch das OK ihrer Freundin eingeholt hatte.
Ashley wandte sich ihm wieder zu, fest entschlossen, das Missverständnis aufzuklären, und ihm anschließend einen Korb zu geben. Sie war ja schließlich nicht her gekommen, um sich einen Typen anzulachen (auch wenn der Typ echt gut aussehend war). Sie hatte ja überhaupt keine Zeit für einen Freund.
Doch bevor sie seinen Blick fangen und etwas sagen konnte, streckte ihr der Unbekannte seine rechte Hand hin.
„Miss, darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Alec.“ ohne zu wissen, was sie sonst tun sollte, ergriff sie seine Hand und schüttelte sie.
„Ich bitte Sie nochmals aufrichtig um Verzeihung, Miss. Es tut mir sehr Leid, dass ich Ihren wunderbaren Tanz unterbrochen habe. Darf ich Sie als Wiedergutmachung vielleicht zu einem Drink einladen?“
Ashley schaute ihm endlich wieder ins Gesicht. Seine schwarzen Augen waren fest auf sie gerichtet. Irgend etwas an diesen Augen verwirrte sie. Sie konnte nicht sagen warum, aber langsam beschlich sie ein unheimliches Gefühl.
Sie musste dieser Sache jetzt ein Ende bereiten.
Da er ihre Hand noch immer fest hielt, machte sie einen kleinen Schritt nach hinten, in der Hoffnung, er würde sie loslassen. Das tat er auch, rückte gleichzeitig aber auch einen Schritt vor, so dass er wieder ganz nah bei ihr stand.
„Hören Sie, Alec. Es tut mir Leid, falls Sie etwas falsch verstanden haben. Wir sind zusammen gestoßen, das ist nicht schlimm. Schon vergessen. Aber ich bin Heute Abend mit meiner Freundin hier – Sie wissen schon, Frauenabend. Und ich möchte sie ungern einfach hier stehen lassen.“
Der Mann – Alec – schaute kurz rüber zu Carol, die sich gerade an einem ihrer vielen Verehrer festklammerte, und einen absolut synchronen Hüftschwung mit dem Typen abzog, lupfte eine Augenbraue, und schaute sie dann wieder an.
„Also, so wie ich das sehe, hat Ihre Freundin im Moment genügend Unterhaltung, im Gegensatz zu Ihnen. Sie wird sicherlich nicht böse sein, wenn Sie ein paar Minuten Pause machen, um sich einen Drink an der Bar zu genehmigen. Vermutlich wird sie gar nicht bemerken dass Sie fort sind. Kommen Sie, Miss, bitte lassen Sie mich Ihnen einen Drink spendieren! Machen Sie mir eine Freude und sehen es einfach als Entschuldigung für den Rempler vorhin. Ich würde mich sonst den ganzen Abend unwohl fühlen.“
Während er das gesagt hatte, war sein Blick starr auf ihr Gesicht gerichtet geblieben, fast so als würde er versuchen, sie mit seinen Augen umzustimmen. Ashleys unangenehmes Gefühl verstärkte sich zu unterdessen einem dumpfen Pochen im Magen, dass sie als Angst deutete.
So funktionierte das nicht. Er wollte nicht aufgeben. Sie musste also deutlicher werden.
„Alec, bitte, hören Sie. Ich möchte mit Ihnen keinen Drink nehmen! Ich bin nicht auf der Suche nach männlicher Gesellschaft. Also seien Sie so gut, und suchen sich eine andere Begleitung für Heute Abend!“
Gerade wollte sie sich umdrehen, und diesen Alec stehen lassen, als er sie am Handgelenk packte, und sie festhielt. Mit der anderen Hand packte er grob ihr Kinn, und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
„Na gut, so funktioniert das nicht. Ich hab begriffen!“ Ashley wollte schreien, doch in dem Moment wo sie seinen Blick erwiderte, verwandelten sich seine schwarzen Augen in scheinbar bodenlose Löcher, die sie unaufhaltsam in die Tiefe zogen. Sie hatte das Gefühl als würde sie fallen, tief fallen. Aber sie hatte keine Angst. Sie konnte sich nicht erklären, warum. Normalerweise hatte sie im Dunkeln doch immer Angst. Diesmal nicht. Die Dunkelheit umgab sie, schützte sie.
Das wunderbare Gefühl von Geborgenheit genießend, ließ sie sich in die schwarze Tiefe fallen, und hatte keine Angst …

Impressum

Texte: Copyright: Sandra M.
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /