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Prolog

Schon seit Jahrhunderten erzählt man sich Geschichten über sprechende Tiere, Feen, Zwerge und auch über böse Schatten und andere magische Wesen. Überall auf der Welt sorgten sie für Begeisterung und doch glaubte man nie an die Existenz dieser Wesen. Im Laufe der Zeit schafften es einige aus ihren Verstecken an die Oberfläche. Nach und nach folgten immer mehr ihrem Beispiel und überraschten damit jeden. Die Menschen wurden in viele Kriege verwickelt. Niemals hätten sie sich träumen lassen, dass sie ihre Herrschaft an, bis dahin ungeahnte, Wesen verlieren würden. Bei solchen Kriegen mussten beide Seiten große Verluste einsehen. Einige wenige Zwerge, Feen und Tiere kämpften tapfer Seite an Seite mit den Menschen, doch auch mit vereinten Kräften gelang es ihnen nicht, die dunkle Macht der übrigen Fabelwesen zu untergraben.Nach vielen Jahren unerbittlicher, blutiger Kriege mussten sich die Menschen geschlagen geben. Sie handelten einen Friedensvertrag mit den Siegern aus, dass sie weiterhin in Frieden in ihrem Land, das von nun an Rigola genannt wurde, leben durften. Damals übernahm eine gefährliche und gefürchtete Schicksalsfee namens Kembra die Herrschaft über das gewonnene Land. Allerdings war sie eine schreckliche Königin, die ihr Volk unterdrückte und auch jegliche Vermischung von magischem Blut mit Menschenblut mit dem Tod bestrafte. Doch zu dieser Zeit passierte es in der Hauptstadt Phyla, dass sich eine junger Malin, mit ausgeprägten dunklen Mächten in sich, unsterblich in eine Menschenfrau verliebte. Anfangs konnten sie ihre Liebe geheim halten, aber nachdem ihr Kind auf die Welt gekommen war, wurden sie von einem Schatten namens Atroc verraten und von den Behörden der Regierung geschnappt. Die kleine Lira jedoch überließen sie sich selbst, in der Hoffnung, sie würde nicht lange alleine überleben. Doch was niemand wusste, die Eltern der Kleinen hatten vor ihrem Verschwinden eine alte Feuerkatze namens Torano, ein Anhänger der Beschützer solcher Mischwesen, damit beauftragt, auf Lira aufzupassen. Er lehrte sie, wie man im Wald überleben konnte und so wuchs sie zu einem normalen Kind heran, ohne dass die Königin wusste, dass das Mischblut, so der abwertende Begriff, überlebt hatte und ganz in ihrer Nähe war. Niemand bemerkte irgendetwas, doch Lira wusste wer sie war und sie wusste auch, dass die Zeit bald kommen würde, in der sie sich gegen die Schreckensherrschaft und das große Unrecht wehren musste.

Kapitel 1

Mit leisen Schritten ließ ich das große, mächtige Schloss hinter mir. Die kühle Nachtluft wehte mir durch die Haare. Ich zog meinen Morgenmantel enger und verschränkte die Arme vor der Brust, um die Kälte abzuhalten. Vor mir erschien eine Baumgruppe hinter der ich mich gut verstecken könnte. Seit ich hier in dem alten Schloss wohnte, schlich ich mich jede Nacht hinaus, um einmal meine Ruhe zu haben. Als ich noch bei Torano im Wald wohnte, konnte ich meiner Gabe, oder Fluch wie man es auch nennen mag, freien Lauf lassen, ohne, dass es jemandem aufgefallen war. Doch hier wurde man fast ununterbrochen beobachtet. Meine nächtlichen Ausflüge blieben natürlich nicht ganz unbemerkt, meine Zimmergenossin und Freundin Tena bekam es jede Nacht mit, wenn mein Bett leer war. Nach einiger Zeit erzählte ich ihr dann, warum ich das tat. Anfangs war sie geschockt, doch dann stellte sie sich als eine tolle Freundin heraus, indem sie der Hausmutter immer Lügen auftischte, wenn sie plötzlich auftauchte und ich noch nicht da war. Bei Tena war ich mir sicher, dass mein Geheimnis gut aufbewahrt war. Ich ließ mich an einem dicken Baumstamm hinunter und setzte mich in das feuchte Gras. Der Wind hatte sich ein wenig verstärkt und ließ die Blätter über mir gespenstisch rascheln. Auf dem Boden zusammengekauert versuchte ich die Funken mit Hilfe meiner Gedanken zu erzeugen, die mir in so mancher eisigen Nacht schon das Leben gerettet hatten. Endlich wurde mein Bemühen von Erfolg gekrönt und ein kleiner Feuerball erschien vor mir. Wärmend schwebte er etwa in Augenhöhe. Vorsichtig hielt ich die Hände davor, um die steifen Finger aufzuwärmen. Schon wenige Minuten später war mein ganzer Körper mit einer angenehmen Wärme durchflutet.Wie aus dem Nichts erschien plötzlich eine große Gestalt hinter einem der Bäume. Vor Schreck fiel mir der Feuerball aus den Händen, der sofort erlosch und sich in Luft auflöste. Dann erkannte ich Umrisse und seufzte erleichtert. „Gott, Torano, du hast mich erschreckt! Ich dachte schon es wäre…ach egal.“ Flüsterte ich aufgebracht. Leise lachend kam er auf mich zu und schmiegte seinen Kopf an meinen Arm. Sein orangerotes Fell glitzerte sanft im schwachen Mondlicht. Ich fuhr mit der Hand durch sein weiches Fell, von dem eine Hitze aufging und ich die Hand darin vergrub. „Tut mir leid, meine Liebe. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte einfach nur sehen, wie es dir so ergeht, jetzt wo du vollkommen in diesem beängstigenden Schloss wohnst.“ Sagte Torano mit seiner dunklen Stimme und ließ sich in meinen Schoß fallen. „Ach, ja, es ist schön, aber so beengt. Hier bekomme ich gesagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich vermisse meine Freiheit, selbst du hast mir mehr Freiraum gegeben.“ Seufzte ich und lächelte in die Dunkelheit hinein. „Ich bin nun mal da, um dich zu beschützen, Lira. Deine Eltern haben mich vor ihrem Verschwinden damit beauftragt und wie du weißt, sehe ich das auch sehr ernst. Immerhin…“ setzte er weiter an, doch ich unterbrach ihn, wie jedes Mal. „…bist du unsere Zukunft. Du wirst uns einmal alle retten und bis dahin musst du am Leben bleiben. Ich weiß, Torano. Ich passe ja auch auf mich auf.“ Sagte ich und schüttelte genervt den Kopf. Torano rollte sich auf den Rücken und sah mich mit seinen großen Augen durchdringend an. „Ich habe dich wie mein eigenes Kind aufgezogen, Lira. Wenn dir etwas passieren würde, könnte ich mir das nie verzeihen. Und das sage ich jetzt auch nicht nur, weil es meine Aufgabe ist, nein, ich tue das, weil du mir sehr am Herzen liegst.“ Er setzte sich mir nun genau gegenüber. „Ich weiß. Danke.“ Flüsterte ich, beugte mich vor und nahm ihn ganz fest in die Arme. Sein Fell kitzelte mich in der Nase und ich musste laut niesen. In diesem Moment hörte ich ganz in der Nähe jemanden meinen Namen rufen. Wer könnte das sein? Voller Panik sprangen Torano und ich auseinander. Er sah sich erschrocken um und lief ängstlich zurück in den Wald, woher er gekommen war.Vorsichtig sah ich um den Baumstamm herum und konnte, nicht weit von mir, eine kleine Gestalt in einem leuchtend hellblauen Morgenmantel erkennen.Beim Näherkommen erkannte ich sie endlich.Erleichtert kam ich aus meinem Versteck. „Hier bist du also. Ich suche dich schon die ganze Zeit. Die Hausmutter war schon zweimal da, ich glaube so langsam glaubt sie mir die Geschichte mit der Übelkeit nicht mehr. Du solltest schnell mitkommen.“ rief Tena so leise wie möglich und kam auf mich zu gerannt. „Ja, es tut mir leid, aber ich musste Torano einfach wieder sehen, er fehlt mir so.“ seufzte ich. „Aber trotzdem sollten wir jetzt schnellstmöglich zurück, sonst bekommen wir beide noch riesigen Ärger.“ Gemeinsam gingen wir also zurück zum Schloss.Über uns schlug die große Turmuhr Mitternacht. Um uns herum hörten wir zuschlagende Fensterläden und Türen. Normalerweise traute sich um diese Uhrzeit niemand hinaus, da dann die dunklen Wesen, auch Schatten genannt, aus ihren Verstecken kamen und ihr Unwesen trieben. Man sollte ihnen also besser nicht über den Weg laufen. So schnell wir konnten rannten wir den restlichen Weg bis hinauf zu unserem Zimmer und ließen uns in die Betten fallen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon im nächsten Moment hörten wir die aufgeregten Schritte der Hausmutter, die direkt auf unser Zimmer zusteuerte. Wenige Sekunden später stand sie in unserem Zimmer und überprüfte, ob wir in unseren Betten lagen.Nachdem sie unser Zimmer wieder verlassen hat, drehte sich Tena in meine Richtung und sagte mit gedämpfter Stimme: „Kara, das muss aufhören, wenn sie dich erwischen bist du dran. Ich kann sie nicht dauernd anlügen, nicht jede Nacht. Bisher hattest du vielleicht verdammtes Glück, aber wenn ich einmal nicht da bin, um dich wieder rechtzeitig zurückzuholen, finden sie alles heraus. Und dann, was machst du dann?“ Kara, der Name meiner Mutter, diente mir hier zum Schutz, damit niemand zufällig auf meinen richtigen Namen aufmerksam wurde. Und natürlich hatte sie Recht, aber sie musste mich auch verstehen. Ich brauchte diese Auszeit. Ich brauchte Torano. Schon als ich von der Schulleiterin fast schon gezwungen wurde ins Schloss zu ziehen, war es für mich ein Schock. Ich konnte mir das Leben ohne Torano gar nicht vorstellen und jetzt, nach einem halben Jahr, war es immer noch schmerzhaft, daran zu denken. Und obwohl es immer eine Nerv tötende Angelegenheit war; das Training das Torano immer für mich hatte, bei dem ich lernte mit meinen Fähigkeiten umzugehen, fehlte mir hier auch.

Trotz aller Warnungen schlich ich mich in der nächsten Nacht wieder hinaus. Torano wartete schon auf mich. Von weitem konnte ich schon seinen besorgten Gesichtsausdruck erkennen. „Was ist denn los?“ rief ich vielleicht ein bisschen zu laut. Aber außer uns war niemand in dem großen Schlossgarten zu sehen. „Du bist schon wieder hier, Lira. Es könnte gefährlich werden, wenn du dich dauernd davon schleichst.“ Knurrte er und kam mir auf den letzten Metern mit großen Sprüngen entgegen, sodass wir jetzt ungeschützt auf der großen Wiese standen. Ängstlich sah ich zu den großen Fenstern des Schlosses hinauf, aber in der Dunkelheit konnte ich niemanden erkennen. „Lass uns zurück zu den Bäumen gehen, dort kann uns niemand sehen.“ Sagte ich und schob Torano sachte vor mir her. Kurz bevor wir die ersten schützenden Bäume des nahegelegenen Waldes erreicht hatten, sah ich aus dem Augenwinkel, wie ein Schatten an uns vorbei Richtung Schloss huschte. Mit vor Schreck geweiteten Augen verfolgten wir ihn, wie er mit schnellen und eleganten Bewegungen an der alten Mauer hinauf glitt, bis zu einem riesigen Fenster in der Mitte des obersten Stockwerks. Langsam öffnete es sich und die Schulleiterin der Zauberschule Madam Serva erschien. „Los, versteck dich. Lauf nach Hause!“ flüsterte ich mit aufgeregter Stimme und versteckte mich selbst hinter einem Baum. Ich konnte hören wie die beiden dunklen Gestalten am Fenster lautstark diskutierten. Gerade als ich einen Blick riskieren wollte, verstummten sie. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich sah, wie Madam Serva mit eleganten Bewegungen aus ihrem Fenster sprang und an der hohen Mauer hinunter kletterte. Sie kam direkt auf mich zu. Mein Körper war vor Schreck gelähmt, sodass ich mich nicht bewegen konnte. Mit jedem weiteren Schritt auf mich zu, vergrößerte sich meine Panik nur noch mehr. Ich versuchte mich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen, aber erst als sie den Anfang des Waldes fast erreicht hatte, rannte ich so schnell ich konnte in die entgegen gesetzte Richtung. Weg von meiner scheinbar sehr wütenden Verfolgerin. Seit sie vor ein paar Jahren die Leitung der Schule übernommen hatte, waren die Regeln härter als je zuvor. Überall auf dem Schulgelände waren Schatten zu finden, die auf uns aufpassen sollten, oder sollte man besser sagen, die uns verrieten, sollten wir einen Fehler machen. Unter der Leitung von Professor Aegis wurde das Fach der angewandten Magie noch unterrichtet. Jetzt wurden nur noch Zauberwesen darin unterrichtet, mit der Begründung, dass Menschen ein unnatürlich dummes Volk seien. Der Hass der auf die Menschen in meinem Land gerichtet wurde, ging schon fast so weit, dass sie schon beinahe von der Schule abgewiesen wurden, doch da hatten sich andere Mitglieder der Regierung, die noch ein kleines Fünkchen Loyalität besaßen, durchsetzen können.Und ich, da ich ein verstecktes Mischblut war, wurde dabei ausgeschlossen. Madam Serva duldete keine Verstöße gegen die Regeln, wozu auch gehörte, dass sich nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr außerhalb des Zimmers aufhalten durfte. Ich hatte gegen die Regeln verstoßen und musste jetzt dafür bestraft werden. Als ich so daran dachte, was sie wohl mit mir machen würden, merkte ich gar nicht in welche Richtung ich lief. Die Gegend kam mir vertraut vor, aber ich konnte sie in dem Moment der Verzweiflung nicht richtig einordnen. Wenn sie mich einholte, würde sie von mir wissen wollen, warum ich mich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb meines Zimmers aufhielt. Und da mich dieser verräterische Schatten zusammen mit Torano gesehen hatte, würden sie auch bald herausgefunden haben, wer ich wirklich war und ab dann wäre ich nirgendwo mehr in Sicherheit. Sie würden versuchen mich zu beseitigen, so wie sie es bei meinen Eltern getan hatten, aber damit würden sie keinen Erfolg haben, weil ich vorbereitet war und mich mit aller Kraft wehren würde. So wie Torano es mir jahrelang beigebracht hatte. Auf einen Schlag wurde mir bewusst in welche Richtung ich lief. Torano, ich lief direkt zu unserem kleinen Häuschen mitten im Wald. Wenn ich ihn rechtzeitig erreichen würde, könnte er mir helfen, aber wenn nicht, würde ich nicht nur mich, sondern auch ihn verraten. Ich durfte ihn da nicht mit hineinziehen.Kurz bevor ich die kleine Lichtung erreichte, bog ich links ab und sah bei dieser Gelegenheit über die Schulter, um meine Verfolgerin im Auge zu behalten. Aber anscheinend war sie nicht sonderlich daran interessiert mich einzuholen, da sie die Verfolgung abgebrochen hatte. Nach Atem ringend blieb ich stehen und gönnte mir eine kleine Verschnaufpause. Um mich herum war es still, nur mein hektischer Atem und das Rascheln der Blätter im Wind waren zu hören. Plötzlich sah ich einen kleinen Lichtschimmer zwischen den Bäumen aufblitzen. Vielleicht war sie mir doch gefolgt und versuchte sich jetzt hinterhältig anzuschleichen, um mich wieder einzufangen. Jetzt versuchte ich, so ruhig wie möglich zu atmen. Hinter mir hörte ich einen Ast knacken. Panisch drehte ich mich um, aber niemand war zu sehen. Vorsichtshalber produzierte ich in meinen Gedanken einen Feuerball, nur um mich im Notfall verteidigen zu können. In diesem Moment dachte ich gar nicht daran, dass das ein schwerer Fehler sein könnte, denn bisher hatte ich nur gegen eine Regel der Schule verstoßen, doch jetzt würden sie herausfinden, wer ich wirklich war. Auf einmal schien sich von jeder Seite jemand zu nähern, doch dann entdeckte ich sie. An einen Baum gepresst, die Augen vor Schreck weit geöffnet. Oder war das etwa Überraschung, ich konnte es nicht genau sagen. Als sie langsam auf mich zukam, verlor ich die Nerven und warf einen Feuerball in ihre Richtung, doch sie wich geschickt aus und kam immer näher. „Ich wusste doch gleich, dass mit dir etwas nicht stimmt. Jetzt weiß ich wenigstens auch, was. Erstaunlich, dass du überlebt hast. Aber noch erstaunlicher ist, dass wir dich die ganze Zeit nie bemerkt haben. Natürlich bis du uns mehrfach negativ im Unterricht aufgefallen, weil du dauernd eingeschlafen bist, aber dass es damit zusammenhängt, dass du nachts deine Tarnung auffliegen lässt, wäre niemandem eingefallen. Wirklich, alle Achtung, du warst gut, aber jetzt musst du dich leider ergeben. Also komm schon, lass das mit diesen Feuerbällen und komm mit. Wenn du dich gleich ergibst, kommt niemand zu Schaden.“ Säuselte Madam Serva und baute sich direkt vor mir auf. Ich hätte wissen müssen, dass sie es sofort herausfinden würde. Aber ich dachte gar nicht daran, mich zu ergeben. „Das werde ich sicherlich nicht. Ich werde nicht einfach sagen, na gut, nehmen sie mich mit und töten mich, so wie sie es mit meinen Eltern gemacht haben, nein das werde ich nicht. Ich werde kämpfen! Ich werde dafür sorgen, dass endlich Gerechtigkeit in diesem Land herrscht.“ Sagte ich mit erstaunlich selbstsicherer Stimme, obwohl meine Beine zittern, als wären sie aus Pudding. „Ach, sei nicht dumm, Kara, oder sollte ich lieber sagen, Lira White. Ja, ich weiß wer du bist. Und wie du redest. Davon hast du überhaupt keine Ahnung. Du weißt nicht, dass wir das alles nur zum Schutz der Bewohner tun. Es ist notwendig, um Leben zu sichern. Außerdem werde ich dir nichts tun, genauso wenig wie ich deinen Eltern etwas getan habe, ich will dich lediglich vor dir selbst schützen und somit auch dein Umfeld. Wir wollen doch nicht, dass irgendjemand zu Schaden kommt.“ Flüsterte sie und sah mich an, als könnte sie mich mit ihren Schlangenaugen hypnotisieren. Einen kurzen Moment sah ich einen fast flehenden Blick in ihren Augen, aber das bildete ich mir wohl nur ein. Warum sollte sie so etwas beabsichtigen wollen. „Sie lügen! Sie wollen sich doch nur selbst retten!“ schrie ich und warf ihr einen weiteren Feuerball, der sich die ganze Zeit in meinen Handflächen unruhig hin und her bewegt hatte, direkt vor die Brust. Im nächsten Moment sah ich, wie sie sich schreiend auf dem Boden herumwälzte, um das Feuer zu löschen. Wie versteinert sah ich sie eine Weile an, doch dann wurde mir eiskalt bewusst, was ich gerade getan hatte. Ich hatte meine Schulleiterin tätlich angegriffen. Eines war klar, ich konnte fürs Erste nicht mehr zurück zur Schule. Also würde ich mich erst bei Torano verkriechen müssen, um das weitere Vorgehen zu planen. Ab jetzt wurde ich gejagt, und sie würden nicht eher aufgeben, als dass sie mich gefunden hatten.

 

Kapitel 2

 In dieser Nacht konnte ich kein Auge zumachen. Immer wieder musste ich daran denken, was ich getan hatte. Meine Tarnung, die ich so viele Jahre zu verbergen versucht habe, flog auf und jetzt musste ich mich hier verstecken. Das alles kam so überraschend, ich konnte nicht mal Tena Bescheid geben. Sie würde einen Schock bekommen, wenn ich am nächsten Morgen nicht in meinem Bett liege, das wusste ich. Sie würde sich unheimliche Sorgen machen. Ach, hätte ich doch nur auf sie gehört. Ich hatte mal wieder gedacht, ich wüsste es besser und war ihnen somit direkt ins Netz gegangen. Ich schlug die Decke zur Seite und stand auf. Unschlüssig sah ich mich im Zimmer um. Nichts hatte sich verändert seit ich ausgezogen war. Ich vermisste mein altes Zuhause, dieses Haus, in dem ich aufgewachsen war. Im Schloss hatte ich mich nie willkommen gefühlt, so als ob es nur ein Zwang wäre hier Kinder zu unterrichten, dass sie sich nach den Vorstellungen der Regierung entwickelten. Als meine Mutter noch lebte, erzählte sie mir Geschichten über eine Welt ohne die magischen Wesen, als die Menschen noch die alleinigen Herrscher der Welt waren. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, warum diese Welt besser gewesen sein soll. Wie haben sich diese Menschen im Falle eines Krieges verteidigt, ohne magische Kräfte? Sie waren schwach, aber eine Zeit lang konnten sie ihr Land gut verteidigen. Das weiß ich nur von meiner Mutter, in der Schule ist es verboten, über dieses Thema zu sprechen. Würden wir nicht jeden Tag Seite an Seite miteinander leben, würden wir dieses Kapitel der Geschichte womöglich irgendwann vergessen. Die meisten Menschen flüchteten damals vor der Unterdrückung und dem Friedenskompromiss, der nie eingehalten wurde, in die Berge, wo sie ganz auf sich allein gestellt waren. Ob sie überlebt haben oder nicht, weiß niemand, nie hat jemand versucht sie zu finden. Die Vermischung des magischen Blutes mit einem Menschenblut war strengstens untersagt und jeder, der dieses Gesetz brach, wurde gejagt und beseitigt, um die Autorität der Regierung nicht zum Einsturz zu bringen. Ich spürte, wie mein ganzer Körper bei dieser Überlegung zu zittern begann. Langsam tastete ich mich im Dunkeln zur Tür und hinaus auf die kleine Lichtung. Der alte umgekippte Baum lag immer noch hier. Er fühlte sich kühl an. Ich schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete die frische Nachtluft ein. Sie war so anders, als um das gesamte Schloss herum. Es roch nach Freiheit, gemischt mit dem Duft der frischen Bäume und Feuer. Der Baumstamm zitterte und ich hörte wie Torano leise hinauf sprang und sich neben mich setzte. „Es wird alles gut, Lira. Ich verspreche es dir, wir finden eine Lösung.“ Sagte er traurig und schmiegte sich an mich. Heiße Tränen liefen mir übers Gesicht. Langsam öffnete ich die Augen, ich konnte nicht es nicht mehr zurückhalten. Ich vergrub mein Gesicht in Toranos weichem Fell. „Was soll ich jetzt nur machen? Jetzt wissen sie, wer ich bin und werden mich jagen. Ich kann nie wieder zurück!“ seufzte ich und umklammerte ihn ganz fest. „Jetzt, Lira, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns aufrichten und zeigen müssen, dass wir stark genug sind, um uns zu verteidigen. Du willst dich ihnen doch nicht einfach so ausliefern, oder?“ entsetzt sah er mich an, doch ich bekam ein Lächeln zustande. Seine Züge entspannten sich und er sank zurück an meine Schulter. „Aber was ist, wenn ich noch nicht bereit bin? Ich fühle mich nicht gut dabei, weißt du. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es würde eine Revolution bedeuten, ein Kampf gegen die Regierung, alles würde sich verändern und ich soll der Auslöser sein. Wir könnten das niemals alleine schaffen.“ Sagte ich. „Natürlich nicht, aber wir haben Verbündete, Menschen und magische Wesen, wir sind nicht alleine, wir müssen sie nur rufen und sie werden uns folgen. Am besten brechen wir so schnell wie möglich auf, um sie zu informieren.“ Aufmunternd blickte er mich mit seinen großen friedlichen Augen an und richtete sich auf. „Warte, Torano. Erst muss ich noch zu Tena. Und überhaupt, sag mir, wer diese Verbündeten sind.“ Ich erhob mich und lief in einer Bahn vor dem Baumstamm auf und ab. „Aber bitte sei vorsichtig, wenn du zu ihr gehst. Sie dürfen dich nicht sehen.“ Besorgt begann er die Rinde des Baumes mit seinen Krallen zu zerkratzen, woraufhin ich zustimmend nickte. „Die Anderen sind welche, die sich jahrelang versteckt halten mussten, da sie sich nicht der neuen Regierung beugen wollten. Und natürlich auch die Mischblüter.“ Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte ihn an. „Sagtest du gerade Mischblüter? Das heißt, es gibt noch mehr die so sind wie ich?“ „Also so genau stimmt das nicht. Die anderen Mischblüter sind von Grund auf gut. Sie paarten sich nur mit Feen und anderen nicht verachteten Wesen. Trotzdem wurden sie von der Regierung gejagt und bevor man sie gefangen nehmen konnte, flohen sie in die Wälder hinter dem Beguin-Gebirge. Aber du Lira, du bist einzigartig. Vor deinem Vater gab es nie jemanden, der versuchte sein Schicksal zu verändern, um Gutes zu tun. Er wollte der Tradition des Bösen entfliehen, selbst wenn es ihn töten würde. Er wollte ein Zeichen setzen. Lira, dein Vater war ein bewundernswerter Mann und er hat diese Gabe und auch seinen unglaubliche Mut an dich weiter gegeben.“ Torano sprang auf und bedeutete mir mit einer Kopfbewegung wieder ins Haus zu gehen. „Gut, wie sieht der Plan aus?“ fragte ich voller Tatendrang. „Geh schlafen, Kleines. Morgen sehen wir weiter. Du bleibst erst einmal hier und wir versuchen einen Plan zu schmieden, der uns aus dieser misslichen Lage helfen kann. Ich werde mir etwas überlegen, um dich zu beschützen. Aber jetzt, leg dich in dein Bett, du solltest wirklich schlafen.“ Befahl er mir. Ohne Widerrede tat ich, wie mir geheißen und legte mich in mein Bett. Da ich nun wusste, dass ich auf Toranos Schutz bauen konnte, ging es mir schon viel besser. Langsam wurden meine Augen schwer. Ich kuschelte mich in die warme vertraute Bettwäsche und schlief direkt ein, während die Sonne bereits begann, das Land in ein helles Licht zu hüllen.

Tena

Müde und noch immer im Traum der letzten Nacht gefangen, trottete die junge Fee ins Badezimmer. Dort ließ sie sich ein wenig Wasser ins Waschbecken laufen, während sie ihre mächtigen blütenblätterähnlichen Feenflügel aus ihrer nächtlichen Gefangenschaft befreite. Wie ein überdimensionaler Fächer schnellten sie auseinander und zeigten sich nun in voller glänzender Pracht. Tena hielt kurz ihr müdes Gesicht in das eingelaufene Wasser und zog es schnell wieder heraus. Jetzt konnte der Tag beginnen.Fertig angezogen ging sie zurück ins Zimmer. „So, Kara, du kannst jetzt auch mal aufstehen.“ Rief sie schon, als sie die Tür öffnete. Mitten im Zimmer blieb sie wie angewurzelt stehen. Karas Bett war leer und im selben Zustand, wie sie es letzte Nacht zum Treffen mit Torano zurückgelassen hatte. Was war nur passiert? In heller Aufregung rannte Tena über den Flur. Überall tummelten sich Feen, Halbmenschen und Menschen dicht gedrängt vor den Badezimmern. „Habt ihr Kara irgendwo gesehen?“ Doch sie erntete nur entschuldigendes Kopfschütteln und fragende Blicke. Niemand hatte sie gesehen. Sie haben sie enttarnt! Schoss es Tena durch den Kopf. Wenn das der Fall wäre…sie hatte Angst weiterzudenken.Auch beim Frühstück bemerkte außer ihr niemand Karas Abwesenheit. So langsam machte sie sich ernsthafte Sorgen. Sie hatte noch einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass sie noch rechtzeitig zum Unterricht erscheinen würde und es vielleicht nur ein Missverständnis wäre, dass sie nicht zurückgekommen war.Die Schulklingel, die zur ersten Stunde rief, riss Tena aus ihren Gedanken. Falls sie Kara nachts aufgeschnappt hätten, würde man sie wohl als allgemeine Bedrohung vor der gesamten Schule bloßstellen.Völlig unter Strom setzte Tena sich auf ihren gewohnten Platz in der letzten Reihe, unbeobachtet von allen. Sie hoffte, dass sie heute nicht die Nachricht erreichen würde, Kara wäre gefangen genommen worden.Bis zur dritten Stunde konnte sie ihre Hoffnung aufrechterhalten. Zu Beginn dieser Stunde betrat die Schulleiterin Madam Serva, dicht gefolgt von Atroc, den Klassensaal. Bei ihrer bloßen Anwesenheit wurde es schlagartig still im Raum. Sie umgab eine Aura, die jedem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Den Respekt hatte sie sich dadurch verdient, dass sie es als gewöhnlicher, einfacher Mensch geschafft hatte, sich das Vertrauen der Herrscherin Kembra zu erarbeiten. Es wurden sich viele Geschichten erzählt, wie sie dies geschafft haben soll, aber niemand kannte die komplette Wahrheit. Man sagte sich, sie habe sich auf eigene Faust auf gemacht, um Mischblüter zu vernichten. Die genauen Gründe dafür kannte niemand. Dieses Verhalten hatte Kembra imponiert und bat sie, das in ihrem Namen zu machen und schon nach kurzer Zeit war Madam Serva nicht mehr von Kembras Seite zu denken. Sie wurde zu ihrer engsten Vertrauten, was auch dazu führte, dass sie die Schule, die vorher Professor Aegis geführt hatte, übernahm und sie im Namen Kembras weiterführte. Man sagte sich auch, sie hätte früher einen großen Ehrgeiz gehabt, der ihr das Vorhaben erleichterte. Doch davon war nur noch wenig übrig geblieben. Das Alter und der Umgang mit den bösen Mächten, hatten ihr sehr zugesetzt.Mit schellen, großen Schritten schlängelte sie sich nun geschickt durch die Tischreihen, wobei ihr langer schwarzer Umhang einschüchternd wie eine Gewitterwolke hinter ihr her waberte. Eine Weile fixierte sie uns schweigend mit ihren eisigen Augen, bevor sie zu sprechen begann. "Es gibt Neuigkeiten und ich bitte euch, sie äußerst ernst zu nehmen. Letzte Nacht haben wir ein weiteres Mischblut aufspüren können." Ein erstauntes Raunen ging durch die Klasse. Überall wurde diskutiert, welche Folgen es nun haben könnte. Verzweifelt schloss Tena die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Sie hatten sie wirklich gefunden. Im Endeffekt bedeutete das, dass sie Kara nie wieder sehen würde oder noch viel schlimmer, dass sie schon gar nicht mehr am Leben war. Sie durfte sich nichts anmerken lassen und versuchte die Tränen herunter zu schlucken, die sich den Weg nach oben zu bahnen drohten. Tena hatte schon fast aufgehört daran zu glauben, es könnte noch ein gutes Ende mit ihrer besten Freundin nehmen, als Madam Serva weiter sprach. "Allerdings muss ich euch auch leider mitteilen, dass es uns nicht gelungen ist, sie einzufangen. Das bedeutet, sie ist noch immer auf freiem Fuß und daher benötigen wir eure Hilfe. falls sie hier auftauchen sollte, bitte ich euch, mir sofort Bericht zu erstatten. Sie hat mächtige Kräfte, wer weiß, ob sie sie kontrollieren kann. Also nehmt euch vor ihr in Acht." Erklärte sie in einem sachlichen Ton ohne jegliche Emotionen zu zeigen. Ein Hoffnungsschimmer zeigte sich und Tena richtete sich wieder auf, um nichts von Madam Servas Informationen zu verpassen. Kara konnte also entkommen, sie war noch am Leben! "Wer ist es?" Rief jemand aus der erste Reihe. 'Ihr Name ist Lira White." Aufgeregtes Gemurmel erfüllte den Raum. Ungläubige Blicke wurden ausgetauscht. Erleichtert sackte Tena in ihren Stuhl zurück. Kara war einfach ohne Grund verschwunden, aber immerhin wurde sie nicht erwischt und enttarnt. "Wahrscheinlich kennt ihr sie aber besser unter dem Namen Kara Sim. Sie ist eines der berühmtesten und meistgesuchten Mischblüter der Geschichte, da sie aus einer Verbindung von einem Menschen und einem Malin entstand. Man kann also sagen, dass sie eines der stärksten Wesen dieser Erde ist." Sie hatte also einen Decknamen benutzt, um unerkannt zu bleiben. Philia, Tenas Tischnachbarin drehte sich zu ihr und sah sie mit entsetzte Blick an. "Hast du gewusst, dass sie ein Mischblut ist? Gott sei Dank ist dir nichts passiert, sie hätte dich töten können!" Bevor Tena sich zu dieser Unverschämtheit äußern konnte, sprach Madam Serva bereits wieder weiter. "Bereits gestern Nacht stand ich ihr gegenüber und war kurz davor, sie zu fangen, aber sie ist mir entwischt. Falls ihr sie findet, sagt mir sofort Bescheid und tut einfach gar nichts, ich kümmere mich um diese Angelegenheit." Für Tena war klar, sie musste Kara zuerst finden, bevor es jemand anderes tat und sie an Madam Serva auslieferte. Gleich nach der Schule würde sie Torano suchen und ihm alles berichten. Vielleicht würde sie sich bereits dort aufhalten. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass sie wieder von Philia beobachtet wurde. "Tena, es tut mir so leid, dass sie dich so hintergangen hat. Du musst doch sehr enttäuscht sein." Plötzlich baute sich in Tena eine solche Wut auf. Wie konnten sie es wagen, so über Klara zu reden? Alle in diesem Raum waren bedingungslos bereit sie auszuliefern, das wusste Tena nur zu gut. Energisch stand sie auf. Im selben Augenblick verstummten alle Gespräche und die Augen waren auf sie gerichtet. Sie wusste selbst nicht, was sie da tat. Sie wollte doch nur ihre beste Freundin vor einer Hetzjagd schützen. Sie nahm sich allen Mut zusammen und begann hemmungslos zu reden. "Ihr glaubt ihr das alles? Benutzt doch euren eigenen Verstand! Wäre Kara wirklich diese Lira White, hätte man das nicht schon vorher an ihrem Verhalten merken müssen?" Alle starrten sie ungläubig an, niemand sagte etwas. Erst jetzt wurde Tena bewusst, was sie gerade getan hatte. Sie hatte sich öffentlich gegen die Schulleitung aufgelehnt, indem sie diese als Lügnerin bezeichnet hatte. Ihr wurde ganz mulmig zumute. Hoffentlich konnte sie damit wenigstens ihre Mitschüler überzeugen. Madam Serva fand als Erste die Sprache wieder. "Tena, komm mit in mein Büro, sofort!" Während wir in schnellem Tempo den Flur zu ihrem Büro hasteten, flüsterte sie mir zu: "Ich mache dir ein Angebot, das dich sicher aus dieser brenzligen Lage bringen wird." Später am Abend schlich Tena unbeachtet aus dem alten Schloss. Sie wollte zu Kara. Doch sie war nicht alleine. In sicherem Abstand folgte ihr Atroc, der die missglückte Mission endlich zu Ende bringen wollte. 

Kapitel 4

Als ich am späten Nachmittag erwacht war, dachte ich im ersten Moment, ich sei alleine. Die Fensterklappen waren geschlossen und kein einziges Geräusch drang durch die kleine Hütte. Ich sah, dass ich im Traum meine Bettdecke in die gegenüberliegende Zimmerecke geworfen hatte. Zu meiner Enttäuschung sah ich auch kleine Schmauchspuren daran. Ich hatte meine nächtlichen Attacken also immer noch nicht unter Kontrolle. Nur noch vereinzelt konnte ich mich an meinen Traum erinnern. Ich rannte über eine riesige Wiese, sie schien endlos lang. Von der Angst getrieben rannte ich vor etwas davon. Als ich mich umdrehte, um zu sehen vor was ich weglief, sah ich meine Eltern, die von einem Schatten getrieben wurden, der ihnen dicht auf den Fersen war. Ihre verängstigten und mitleidigen Blicke starrten nur auf mich. Plötzlich blieben sie unverhofft stehen. Ich sah, wie meine Mutter mir ein „Es tut mir leid“ zuflüstern wollte. Noch bevor sie es aussprechen konnte, verschmolz sie mit meinem Vater und ich sah mir plötzlich selbst in die Augen. In der Zwischenzeit hatte der Schatten sein Gegenüber eingeholt und öffnete sein, mit zwei Reihen Zähnen besetztes Maul, um mich zu verschlingen. Doch auch er löste sich in Rauch auf und nun stand Madam Serva vor mir. Sie legte meinem Spiegelbild die Hand auf die Schulter und führte mich in Richtung eines riesigen Tunnels. Ich starrte ihr noch lange hinterher, auch nachdem ich sie nicht mehr sehen konnte. Und schon hüllte sich meine Umgebung in ein mattes schwarz und ich erkannte, dass ich langsam erwachte und mein Zimmer vor mir sah.Ich hörte Schritte auf dem Flur und Torano erschien in der Tür. Er war doch da. Natürlich, er war immer da.Einige Stunden später, saß ich auf dem Baumstamm vor der Haustür und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Ich wusste, dass es ab nun schwieriger wurde sich gut zu verstecken. Mit meiner Unüberlegtheit hatte ich alles ins Schwanken gebracht. Ich konnte mir denken, dass Torano wahnsinnig wütend auf mich war. Es war sein gutes Recht, immerhin hatte er 17 Jahre lang versucht, mir einzutrichtern, dass meine Tarnung das Wichtigste sei. Und ich hatte sie in einem schwachen Moment so sehr aufs Spiel gesetzt. Es war nun wieder an Torano mich aus diesem Schlamassel zu holen. Das musste er so oft in den letzten Jahren. Ich konnte einfach nicht aus meinen Fehlern lernen und achtsam sein, was gut und was schlecht war. Ich wusste, dass unser beider Leben auf dem Spiel stand. Und das wieder nur meinetwegen.Während ich frei in der Sonne saß und mir selbst Vorwürfe machte, lief Torano in unmittelbarer Nähe zum Haus Patrouille.„Lass uns wieder hinein gehen, diese Ruhe ist mir nicht ganz geheuer.“ Flüsterte Torano, der soeben wieder zwischen den Bäumen hervorkam. Und kaum saßen wir wieder drinnen, hörten wir Rascheln und knackende Äste. Dann war es kurz still. Vor Angst hielt ich die Luft an. Ich wusste, jetzt hatten sie uns gefunden und sie würden keine Gnade kennen.Doch anders als erwartet, klopfte es kurz darauf zaghaft an der Tür. Nein, sie würden nicht klopfen, wenn sie uns umbringen wollten. Also, wer war es dann?„Versteck dich in deinem Zimmer, Lira.“ Zischte Torano. So leise ich konnte schlich ich auf den Flur und konnte dort einen Blick aus dem Fenster werfen, das die Sicht zur Tür freigab. Erleichtert atmete ich laut aus und ging zurück zur Tür. „Es ist Tena, wir können sie reinlassen. Sie ist meine Freundin.“ Sagte ich und öffnete die Tür, bevor Torano etwas erwidern konnte.In eine warme Decke gehüllt und mit einer warmen Tasse Tee in der Hand erzählte Tena uns von den Ereignissen in der Schule. Die Tatsache, dass nun jeder in der Schule über mich und meine Identität Bescheid wusste, beunruhigte nicht nur mich. Torano hatte gehofft, Madam Serva würde es für sich behalten, da es eigentlich eine peinliche Angelegenheit der Regierung war, dass sie Lira erst jetzt nach 17 Jahren gefunden hatten. Aber dem war nicht so und es wurde eine regelrechte Hetzjagd auf sie veranstaltet. Damit hatte er nicht gerechnet. Wem konnten sie also jetzt noch trauen?„Wieso hast du dich nur gewehrt? Du hättest alles abstreiten können und du wärst vielleicht weiterhin in Sicherheit gewesen.“ Fuhr Tena in einem besorgten Ton fort. Ich wusste genau, dass sie Recht hatte. Es wäre nicht einmal notwendig gewesen Madam Serva anzugreifen. Ich hätte einfach weglaufen können, so wie Torano es mir immer für diesen Fall geraten hatte. So hätte es wohl auch jedes vernünftig denkendes Lebewesen getan. „Sie wollte mich fesseln!“ erwiderte ich stattdessen in trotzigem Ton. Doch schon im selben Moment bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich log tatsächlich meine besten Freunde an, diejenigen, die mir am meisten geholfen hatten, um mich zu verstecken. Aber ich wollte ihnen doch nur verschweigen, dass es nur herauskam, weil ich wieder einmal unvorsichtig gewesen war und ich die einzige plausible Verteidigung eingesetzt hatte, die mir gerade in den Sinn gekommen war, nämlich meine Fähigkeiten, diese verräterische Gabe. Mein Fluch.Aber all das wollte ich ihnen nicht erzählen, ich wollte doch nur nicht, dass sie mich für einen naiven Schwachkopf hielten. Natürlich wäre das deren gutes Recht, es war immerhin die Wahrheit. Innerlich könnte ich schreien, wegen allem was ich falsch gemacht hatte und ich nie mehr rückgängig machen konnte. „Ich sah in diesem Moment einfach keinen anderen Ausweg.“ Immerhin das war die Wahrheit. „Na gut, so ist es nun einmal, Kara.“ Seufzte Tena und nahm noch einen Schluck aus ihrer Tasse. „Oh, ich habe völlig vergessen, du heißt ja gar nicht Kara. Lira White ist dein richtiger Name, oder?“ fügte sie noch hinzu. Zur Antwort nickte ich nur noch matt. So vieles, was ich ihr nicht gesagt hatte und ich jetzt nicht zugeben konnte. So viele Lügen hatte sie wirklich nicht verdient, wenn man bedachte, dass sie immer die einzige in der Schule war, die mir immer den Rücken freigehalten hatte. „Aber dir ist doch auch bewusst, dass sie jetzt nicht eher ruhen werden, bis sie dich gefunden haben und dich…“ bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte, brach sie ab, da ihre Stimme zu versagen drohte. Sie wollte es nicht aussprechen, aber jeder in diesem Raum wusste, was sie sagen wollte und auch, dass es so sein würde. Ein betretenes Schweigen breitete sich im Raum aus. Es gab viele Geschichten von Mischblütern und deren Eltern, die an die Regierung verraten worden waren und danach nie wieder gesehen wurden. Nachdem Tena einmal durchgeatmet hatte, redete sie weiter. „Du kannst nicht ewig hier bleiben. Sie werden alles nach dir absuchen, den ganzen Wald, das ganze Land. Sie könnten schon jeden Moment hier sein, das weißt du.“ Besorgt ging sie hinüber zum Fenster und sah hinaus. Sie hatte Recht, das Haus könnte bereits in diesem Moment umstellt werden. Ich beobachtete sie, wie sie angestrengt in die Dunkelheit starrte, als würde sie etwas suchen. Niedergeschlagen versuchte ich mich zusammenzureißen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich dem ganzen Druck nicht standhalten könnte. Ich wusste, dass Torano sehr viel auf mich gab und auch, dass er alles für mich tun würde, egal wie aussichtslos es auch wäre, nur damit ich weiterleben konnte. Er setzte sein ganzes Vertrauen in mich. Und ich wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen.„Da draußen bewegt sich etwas!“ flüsterte Tena beunruhigt und duckte sich unter den Fensterrahmen. Torano sprang auf und spähte aus dem Fenster. „Ich halte sie auf und ihr verschwindet durch den Geheimgang im Keller“ rief er nur und entfernte sich hektisch vom Fenster. Sie waren also gekommen. Ich hatte gehofft, sie würden länger brauchen, um mich zu finden. „Falls ich nicht nachkomme, lauft zum Beguin-Gebirge. Dort werdet ihr Unterschlupf bei den Menschen finden. Solange du nur beweisen kannst, wer du bist, werden sie euch aufnehmen.“ Mit seinem Kopf zeigte er in Richtung Kellertreppe. „Geht schon!“ brüllte er wütend. Sein Blick ließ keinen Widerspruch zu. Doch ich lief zu ihm, drückte ihn fest an mich und hauchte ihm ein „ich liebe dich“ zu. Ich konnte nicht zulassen, dass er hierblieb und sich der Gefahr aussetzte, die ich verursacht hatte. Mir wurde ganz schlecht, wenn ich daran dachte, was ihm alles zustoßen konnte. „Es tut mir alles so leid.“ Flüsterte ich, während ich draußen schon den Gleichschritt der Soldaten hören konnte, der immer näher kam. Mit einem wütenden Fauchen bedeutete er uns, jetzt endlich zu verschwinden. Ich betete nur, ich würde ihn an diesem Tag nicht zum letzten Mal sehen. Wir hatten die kleine Falltür, die zu einem unterirdischen Tunnel führte, gerade erreicht, als wir hörten, wie über uns die Tür eingetreten wurde und die Soldaten ins Hausinnere strömten. Mit pochendem Herzen schob ich Tena in das modrige Loch und sah noch ein letztes Mal nach oben. Sie hatten Torano schon umzingelt, der versuchte, sich mit seinen Krallen gegen seine Angreifer zu wehren. Am liebsten wäre ich nach oben gerannt und hätte ihm geholfen, auch wenn ich nichts hätte ausrichten können. Das war ich ihm schuldig. Ich konnte ihm ansehen, dass er all seine Kraft aufbringen musste, um die Soldaten von mir fernzuhalten. Aber es waren einfach zu viele, er würde es wohl nicht schaffen. Wildes Fauchen und Schmerzensschreie hallten durch das ganze Haus. Innerlich zerriss es mir mein Herz ihn so hilflos zu sehen. Mit Tränen in den Augen nahm ich Abschied von meinem besten Freund, Vaterersatz und Wegbegleiter. Ich nahm Abschied von dem besten Beschützer und Lehrer, den ich kannte und den es je geben könnte. Leise schluchzend stieg ich hinab in den dunklen Tunnel und verschloss die Tür hinter mir. Nie würde es dem Soldaten gelingen, die Tür zu öffnen, da es mit schwarzer Magie verriegelt worden war. Im sicheren Dunkel unseres Verstecks glitt ich an der Wand hinunter und begann hemmungslos zu weinen. Ich weinte aus Wut. Aus Wut über mich selbst, dass ich immer so handeln musste, wie es mir gerade in den Sinn kam, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken. Durch mein unverantwortliches Verhalten hatte ich das einzige Familienmitglied in Gefahr gebracht, das ich noch hatte. Ich hoffte nur, er würde uns bald einholen. Ich hoffte nur, er blieb am Leben. 

Kapitel 5

 Durch den dunklen Schacht, den mein Vater gebaut hatte, als er mit meiner Mutter zusammenkam, bahnten Tena und ich uns einen sicheren Weg ins Freie. Zum Glück strahlten Tenas Flügel ein sanftes Licht aus, sodass wir uns in der Dunkelheit mühelos zurecht finden konnten. Wir mussten über etliche Steine und Wurzeln klettern. Hoffentlich würden wir das Ende bald erreichen, es wurde immer stickiger und unerträglicher noch länger in diesem Tunnel zu bleiben. Doch endlich konnten wir ein kleines Licht weiter hinten erkennen. Es war eine Öllampe, die an der Wand hing und einen größeren Raum erhellte. Bis auf einen Stapel alter Bücher und von Hand gezeichneter Karten, war der Raum leer. Neugierig begutachtete ich die Karten. Es handelte sich um genaue Zeichnungen der verschiedenen Gebiete Rigolas. Es gab eine zu Phyla, eine die das Gebiet rund um das Beguin-Gebirge und auch das gesamte Feenreich war bis ins kleinste Detail aufgeführt. „Wow, das ist fantastisch.“ Hauchte Tena ehrfürchtig und nahm die Karte vom Feenreich hervor. Mit traurigem Blick starrte sie darauf. „Da bin ich aufgewachsen.“ Sie zeigte mir ein kleines Waldgebiet im Osten der Karte. „Es ist lange her, seit ich das letzte Mal dort war.“ Widerwillig legte sie sie zurück auf den Stapel. Plötzlich fiel mir eine vierte Karte ins Auge, die unter einem dicken Buch hervorlugte. Behutsam zog ich sie heraus und betrachtete sie. Es war eine Zeichnung von Kembras Palast mit allen unterirdischen Wegen und Gängen. Wie konnte jemand einen Plan davon erstellen, wenn niemand, der einmal dort gewesen war, je wieder zurückkam? Auf einmal hörte ich hinter mir ein Geräusch und drehte mich um. Im letzten Moment konnte ich noch erkennen, wie eine dunkle Gestalt in einem weiteren Gang verschwand. Nur kurz konnte ich einen Blick auf denjenigen werfen, doch ich konnte erkennen, dass es kein Mensch war. Und außerdem blieb ein leichter Schwefelgeruch zurück. „Komm, lass uns hier verschwinden, das ist mir nicht ganz geheuer. Aber nehmen wir die Karten mit, sie könnten uns vielleicht weiterhelfen. Nimm so viel mit wie nur geht.“ Sagte ich beunruhigt und half Tena alles aufzuheben. Schnell liefen wir den Tunnel weiter, bis wir nach einiger Zeit endlich den Aufstieg erreicht hatten. Mit schnellen eleganten Bewegungen zog sich Tena vor mir an den Wurzeln nach oben und öffnete die Luke über uns. Der Mond schien in den Tunnel hinein und tauchte den Boden in ein kaltes weißes Licht. Als ich die Oberfläche erreichte, wusste ich genau, wo wir uns befanden. Ich wusste nur nicht genau, welchen Sinn es hatte, den Tunnel an genau dieser Stelle enden zu lassen. Hinter uns erhob sich das imposante Schloss bis in den Nachthimmel hinauf. Es wurde vom Mond angestrahlt, der gespenstische Schatten auf den Rasen warf. Die umstehenden Bäume raschelten leise in der leichten Brise, die uns frösteln ließ. Bei diesem Anblick wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich, obwohl ich dieses beängstigende Schloss nie sonderlich gemocht hatte, nie wieder zurückkehren konnte, was mich ehrlich gesagt etwas traurig stimmte. Und vor uns erstreckte sich das dunkle endlose Meer. Zu jener Menschenzeit, von der meine Mutter immer erzählt hatte, nannte man es noch den Atlantik, genauso wie man das Land in dem ich aufgewachsen war, Schottland nannte. Als ich noch klein war, hatte sie mir immer wieder Geschichten aus der Zeit erzählt, als die Menschen noch glaubten, sie wären die einzige Spezies auf ihrem Planeten. Schon damals war ich von den Mythen fasziniert gewesen, die sich um Schlösser oder auch um Loch Ness rankten. Ich wollte sie immer alle erforschen und da man nun wusste, dass es Fabelwesen wirklich gab, waren diese Mythen auch nicht zu weit hergeholt.„Lira, wir wissen zwar jetzt wie es dort aussieht, aber woher sollen wir wissen, wo sich dieses Gebirge befindet?“ Tena riss mich aus meinen Gedanken. Wir hatten zwar die Karten, die uns alles zeigten, was wir brauchten, aber nicht, wo sich dieses Gebiet genau befand. Der einzige Anhaltspunkt waren die Landesgrenzen, die der Zeichner eingetragen hatte. Vielleicht konnten wir sie mit einem Vergleich zusammenbringen und eine vollständige Karte erhalten. Wir breiteten unsere Karten vor uns auf dem Boden aus. Die Grenze zwischen dem Feenreich und Phyla konnten wir schnell finden, immerhin wusste Tena, wo es sich befand. Die Karte eines mir unbekannten Gebiets namens Latibra grenzte ebenfalls an Phyla und im Norden an Opina, Kembras Hauptsitz. Als Verbindungsstück zwischen dem Feenreich und Opina konnte sich das Beguin-Gebirge nur im Norden deren befinden. Somit hatten wir eine genaue Karte von ganz Rigola und konnten unseren Weg zum Gebirge fortführen, so wie es Torano uns geraten hatte. Ich erkannte einige der alten Länder wieder. Nach einem Kontinentaldrift vor vielen Jahren, der die Lage komplett verändert hatte, mussten die Karten erneuert werden. Zwischen jedem Kontinent gab es eine Meerstraße, die sie miteinander verband. Die ganze Welt bestand also sozusagen aus Kontinentinseln. Die Länder Großbritannien und Irland drifteten aufeinander zu und es entstand ein weiterer großer Kontinent, der die gesamten britischen Inseln umfasste. Island schloss sich demnach Grönland an. Dadurch hatten sich alle Gebirge mit der Zeit abgetragen, da keine neue Aktivität vorhanden war. Außer eines, das so hoch war, dass es noch Jahrmillionen dauern würde, bis es dort Flachland gab. Durch das langsame Abtauen der Polarkappen, in diesem Fall Grönland, vor Jahrtausenden wurden die riesigen Berglandschaften unter dem „Ewigen Eis“ sichtbar. Der immer weiter sinkende Meeresspiegel, gab, wie durch ein Wunder, das größte und höchste Gebirge der Welt, das je existiert hatte auf dem Gebiet des ehemaligen Grönlands preis. „Wir müssen über den Atlantik bis nach Grönland, dort befindet sich das letzte noch existierende Gebirge, nämlich das Beguin-Gebirge.“ Voller Aufregung über das neu erworbene Wissen sprudelte es nur so aus mir heraus. Auch wenn ich merkte, dass Tena kein Wort von dem was ich sagte, verstanden hatte, da sie diese veralteten Begriffe nicht kannte, zog ich sie mit mir. Niemand hatte sich damals die Mühe gemacht, den Gewässern Namen zu geben, da nur das fruchtbare Land zählte. Also nannte ich sie einfach so, wie ich sie kennengelernt hatte. Und um die neue Regentschaft zu demonstrieren hatte man den Ländereien komplett neue Namen gegeben. „Wir müssen nach Voilee!“ Ich warf noch einen letzten Blick zurück in den Tunnel, um mich zu vergewissern, dass wir alleine waren, bevor ich voller Tatendrang zur steinigen Küste hinunterrannte, ohne überhaupt einen genauen Plan zu haben. Genau genommen hatte ich nie einen Plan.Voilee war sozusagen ein Deckname, der vom gemeinen Volk benutzt wurde, um die Stadt im Innern des Beguin-Gebirges zu bezeichnen. Offiziell sollte es dort keine Siedlungen geben, aber dennoch hatte es das Menschenvolk geschafft, sich über Jahre hinweg erfolgreich dort zu verstecken. Doch wie wir es bis dorthin schaffen sollten, war mir noch unklar. Nirgends an der Küste lag ein Boot an, mit dem man das Meer hätte überqueren können. Zwar wussten wir jetzt, wo wir hinmussten, doch es nutzte uns reichlich wenig. „Einige aus unserem Dorf, in dem ich vorher lebte, sind Fischer. Ich glaube sogar, jemand hatte mal von einer Gebirgsinsel erzählt, bis zu der er vorstoßen musste, um einen angemessenen Fang einzufahren. Wenn wir bis dorthin kommen, kann uns vielleicht jemand mitnehmen!“ erzählte Tena zuerst zögernd. Doch nachdem sie mein breites Grinsen als Zustimmung sah, musste sie lachen. „Es ist nicht sehr weit von hier entfernt. Wir müssen nur über die Hügel bis zu einem See den mein Volk Gaya-See nennt, benannt nach unserer größten und tapfersten Kriegerin im ersten Menschenkrieg, die dort im See von den Feinden ertränkt worden war und von uns dort später beigesetzt wurde. Von dort aus geht es über einen, für Außenstehende unsichtbaren, Pfad, der direkt zu unserem Dorf durch den Wald führt. Dort wird es ein leichtes sein, Hilfe zu finden. Ohne weitere Fragen zu stellen, machten wir uns also auf den Weg zum Feendorf. Immer begleitet vom stetigen Rauschen des Meeres zogen wir Richtung Norden zur Spitze der Insel, wo unser neu angestrebtes Ziel lag. Eine gefühlte Ewigkeit mussten wir deckungslos die ehemaligen Highlands passieren. Mit der Zeit wurde es immer heller und tauchte die Landschaft in einen atemberaubenden Goldschimmer. Für einen Moment blieb ich stehen und ließ mir die aufgehende Sonne aufs Gesicht scheinen. Ich genoss den seltenen Moment der Ruhe und der Gelassenheit, die herrschte. All die Anspannung der letzten Stunden fiel von mir ab und ich vergaß, weshalb ich außerhalb meines Zuhauses in der Natur umherstreifte. Doch die Wirklichkeit hatte mich schnell wieder eingeholt. Als ich die Augen wieder öffnete, überkam mich das plötzliche Gefühl, mich einfach nur auf das warme Gras zu legen und nie wieder aufzustehen. Sollten sie mich doch gefangen nehmen. Mich hielt sowieso nichts mehr in dieser Welt, sie hatten mir alles genommen, was ich je geliebt hatte, also konnten sie mich jetzt auch endlich von meinem Leid befreien. Tena trat einen Schritt an meine Seite und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Wir müssen weiter. Torano wird noch nachkommen, da bin ich mir sicher.“ Flüsterte sie. Ich war dankbar, dass sie dabei war. Sie gab mir einen Weg vor und redete mir ein, dass Torano noch am Leben war, obwohl ich selbst schon nicht mehr daran glauben konnte.In einer dunklen Höhle an der Küste fanden wir Unterschlupf, damit wir uns ein wenig ausruhen konnten. Immerhin hatten wir beide eine anstrengende Nacht hinter uns. Ich hielt die erste Wache, sodass Tena sich beruhigt schlafen legen konnte. Während sie im Land der Träume verschwand, saß ich beinahe hellwach am Ausgang der Höhle und spähte hinaus aufs Meer. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte keine Gebirgsinsel in der Ferne erkennen. Es musste eine halbe Ewigkeit dauern, bis wir endlich dort ankommen würden. Ob wir bis dahin überhaupt noch leben würden? Vielleicht wären wir aber auch dort in Sicherheit und müssten nie wieder vor irgendjemandem fliehen. Ich konnte mir nicht genau vorstellen, wie meine Zukunft aussehen würde. Womöglich könnte ich in ein paar Jahren über all die Panik, die ich in der Zeit verspürte, lachen. Wahrscheinlich aber auch nicht. Wer konnte schon sagen, was die Zukunft bringt. Missmutig drehte ich mich auf die Seite und beobachtete ein paar Vögel, die nach und nach Fische aus dem Meer zogen. Nach einer viel zu kurzen Zeit, hörte ich in der Ferne ein beunruhigendes Geräusch. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber ich wusste, dass es nichts Gutes bedeuten würde. Es hörte sich fast an, wie ein monotones Trommeln. Viele Trommeln. „Tena!“ Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Wir mussten uns beeilen von hier weg zu kommen. Ich hatte solche Angst, dass sie uns jetzt doch noch gefangen nehmen würden.Vorsichtig spähte ich aus der Höhle hinaus in die Richtung aus der wir gekommen waren. In der Ferne konnte ich dunkle Gestalten erblicken, die vor der Sonne auftauchten. Kembras Truppen, sie hatten uns gefunden. Verzweifelt sprang ich hinüber zu Tena und rüttelte an ihren Schultern. „Tena, bitte, steh auf! Sie haben uns gefunden!“ flüsterte ich angestrengt leise. Endlich bewegte sie sich langsam und stützte sich schlaftrunken auf ihren Arm. „Was ist denn los?“ Mein Blick fiel hinter ihr auf einen kleinen Gang im hinteren Teil der Höhle, der gerade von Tenas Flügeln beleuchtet wurde. „Komm schnell mit, Kembra hat uns gefunden!“ Sofort schien sie wieder hellwach zu sein und sprang auf. Währenddessen kam das Stampfen immer näher und ich hatte schon fast die Befürchtung sie wären nur noch wenige Meter von der Höhle entfernt. So schnell und lautlos wir konnten liefen wir in den dunklen Gang hinein. Wir waren noch nicht weit gekommen, da hörte das Trommeln plötzlich auf. Sie waren stehen geblieben. „Sie sind hier in der Höhle!“ brüllte jemand hinter uns. Einer nach dem anderen kletterte den kleinen Felsvorsprung zur Höhle hinauf und marschierte weiter auf uns zu. Doch auf einmal begann der Boden unter uns zu zittern. Auch das noch, ein Erdbeben! Es wurde immer stärker, so dass Tena mich an die Felswand drückte, um mir ein bisschen Halt zu geben. 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.11.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Tief in mir lag etwas verborgen Etwas, das ich nie hätte freigeben dürfen Doch jetzt, da es frei ist Fühle ich mich Als wäre ich ein neues Wesen

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