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Prolog

Langsam lief Kira mit einem kleinen Strauß frischer Tulpen über den leeren und stillen Friedhof. Sie war auf dem Weg zum Grab ihrer Zwillingsschwester Lara. Nach einer Weile stand sie vor einem kleinen Grabstein, der die Inschrift "Mit dir ein Teil von mir" trug. Als Kira sich vor dem Grabstein niederließ und die Augen schloss, sah sie wieder das ganze schreckliche Szenario, das sie seit einem halben Jahr jede Nacht immer wieder durchleben musste.

Sie und Lara lagen schwer verwundet unter ihrem Auto begraben auf der Straße. Beide hielten sich an den Händen und sahen einander an. "Es tut mir so leid, Lara. Wir schaffen das zusammen, wir kommen wieder nach Hause." flüsterte Kira noch als sie schon die Lichter eines näherkommenden Autos sah und die quietschenden Reifen hörte, bevor sie ihre Schwester Lara für immer verlor. Kira aber konnte nach mehreren Wiederbelebungsversuchen ins Leben zurückgeholt werden.

Mit Tränen in den Augen kam Kira wieder zurück in die Gegenwart. Vorsichtig legte sie die mitgebrachten Blumen auf das Grab ihrer Schwester. "Ich bin hier, um mich von dir zu verabschieden, Lara. Ich werde nach Irland ziehen. Weißt du noch? Wir waren mal mit der Schule in County Kerry, die wundervolle Küste, das Meer, das kleine verträumte Städtchen. Ich hatte dir versprochen, dass wir mal dort zusammen Urlaub machen, aber jetzt ist ja alles anders gekommen. Ich werde trotzdem dorthin fahren, ich habe sogar schon eine Wohnung. Du wirst mir schrecklich fehlen, aber ich muss einfach weg. Alles hier erinnert an dich und das ist so verdammt schwer. Ich habe nur darauf gewartet endlich achtzehn zu werden, damit ich von hier weg und unseren Traum leben kann. Und heute ist es endlich so weit. Mein Flieger geht um sechs Uhr. Ich werde dich vermissen, kleine Schwester. Ich liebe dich." Ein kleines Lächeln huschte über Kiras Gesicht und langsam erhob sie sich. "Ich werde dich besuchen kommen. Halte du hier die Stellung." Sie drehte sich um und wollte schon gehen als sie sich noch ein Mal umdrehte. "Alles Gute zum Achtzehnten." flüsterte sie und ging mit schnellem Schritt in ihr neues Leben weit weg von all dem Schmerz.


Kapitel 1


Müde und erschöpft ließ Kira sich in einen roten weichen Sessel fallen. Der Tag war so aufregend gewesen. Alles war so anders hier. Die Straßen waren fast leer, niemand wollte wohl wirklich raus. Dabei war es doch wunderschön. Das Meer war noch genauso wie sie es in Erinnerung hatte. Dunkel und fast schon bedrohlich brach es sich an den riesigen Felsen. Von ihrem Zimmer aus konnte Kira hervorragend auf das Meer sehen. Am Horizont konnte sie ein kleines Boot sehen, das langsam dem Sonnenuntergang vorausschipperte. Von ihrem Telefon wurde sie aus ihren Träumen gerissen. Es war ihre Mutter. „Hallo, Mum. Wie geht es dir?“ fragte sie. „Danke mir geht’s gut und dir? Ich wollte hören, ob du auch gut angekommen bist.“ Hörte sie die fröhliche Stimme ihrer Mutter aus dem Hörer heraus. „Jaja, hier ist es umwerfend. Ihr müsst unbedingt mal herkommen!“ begann Kira zu schwärmen. Doch ihre Mutter blieb ruhig. „Mum, was ist denn los?“ fragte sie sofort nach. „Ach, nichts. Es ist nur so ungewohnt, dass du jetzt auch weg bist. Und wir hätten doch so gerne mit dir deinen Achtzehnten gefeiert. Aber nun gut, es ist ja deine Entscheidung. Ich wünsche dir noch mal alles Gute und viel Glück in deinem neuen Leben.“ sagte sie mit betrübter Stimme. „Mama, du weißt doch, dass ich das wirklich gerne gemacht hätte. Aber du weißt auch, dass ich so schnell wie möglich weg wollte und das war eben heute. Und ich bin doch auch nicht aus der Welt! Ihr könnt immer zu mir kommen, wenn ihr wollt. Und ich komme euch auch ganz oft besuchen. Du weißt ja, dass ich nicht lange alleine überleben kann.“ Lachte sie und auch ihre Mutter bekam ein kleines Lachen zustande. „Ich muss auflegen, Mum. Ich melde mich wieder bei euch.“ Versprach sie ihrer Mutter und hatte schon aufgelegt, bevor ihre Mutter noch etwas sagen konnte. Kira wusste, dass es unhöflich war einfach so aufzulegen, aber sie konnte es nicht ertragen, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, nur weil ihre Mutter ihr vorwarf zu früh von zu Hause weg gegangen zu sein. An diesem Abend würde Kira sowieso nichts mehr tun können, also schaltete sie den Fernseher ein und ging in die Küche, um sich etwas zum Essen zu machen. „Am frühen Morgen dieses Tages geschah auf der Landstraße ein tragischer Unfall. Die vier Insassen waren auf dem Nachhauseweg einer Party. Der Fahrer hatte noch kurz zuvor Alkohol zu sich genommen und fuhr mit 2,1 Promille gegen eine Leitplanke. Das Auto wurde aber davon nicht gebremst und fiel etwa 10 Meter in die Tiefe. Dabei überschlug sich das Auto mehrmals. Zwei der Passagiere überlebten mit schweren Verletzungen am ganzen Körper, der Dritte wurde in ein künstliches Koma versetzt. Für den Fahrer jedoch kam jede Hilfe zu spät. Und nun weiter mit dem Wahlkampf…“ ertönte eine tiefe Männerstimme aus dem Fernseher. Bei diesem Bericht kam Kira aber wieder aus der Küche heraus und sah all die schrecklichen Bilder des Unfalls. Natürlich dachte sie dabei an Lara, und wie auch bei ihrem Unfall wurden die Bilder der Insassen gezeigt. Alle vier waren noch nicht so alt. Etwa Anfang zwanzig. Und für diese jungen Menschen würde auch dieser Unfall unvergesslich werden. Verstört schaltete sie den Fernseher aus. Hier in Irland wollte sie ein neues Leben anfangen und nicht dauernd an ihr altes erinnert werden.
Als sie fertig gegessen hatte und die Küche wieder blitze und strahlte legte sie sich in ihr Bett und versuchte zu schlafen. Das neue Bett war angenehm warm und kuschelig. Trotz allem schlief sie nicht sofort ein. Nach mehreren Stunden langweiligem herumwälzen wurden ihr die Augen allmählich schwer und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde Kira von einem ungewohnten Geräusch geweckt. Erst als sie sich klarmachte wo sie überhaupt war, konnte sie dieses Geräusch einordnen. Es waren die Wellen, die sich gerade ungewöhnlichheftig an den Felsen brachen. Mühsam schälte sie sich aus ihrem Bett. Heute musste sie sich einen Job suchen, sonst würde sie nicht lange hier durchhalten können.
Als sie gefrühstückt und aufgeräumt hatte, zog sie sich an und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Job.
Die Stadt schien völlig überfüllt zu sein, denn nirgends wo Kira sich vorstellte und nach einer Arbeit fragte, waren keine Stellen mehr frei. Deprimiert ließ sie sich auf eine kleine Holbank an der Küste nieder. Die Wellen hatten eine beruhigende Wirkung auf sie. Als sie und Lara noch jünger waren wollten sie immer zusammen um die ganze Welt segeln. Lara wollte sogar schon mit dem Segelschein anfangen, aber dann kam doch etwas dazwischen. Kira seufzte leise und lehnte sich auf der Bank zurück. Sie genoss diesen Moment der Stille in der nur sie und die Wellen einen Platz hatten.
„Das Meer ist wunderschön, nicht wahr?“ ruckartig fuhr Kira aus ihrer Tagträumerei. Neben ihr saß ein junger Mann, etwa Anfang zwanzig und sah hinaus auf das Meer. „Ehm, ja, wunderschön.“ Antwortete Kira verdutzt. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich bin William.“ Sagte er mit brüchiger Stimme, aber jetzt sah er ihr direkt in die Augen. „Ist nicht weiter schlimm. Ich heiße Kira.“ antwortete sie. Die beiden kamen langsam ins Gespräch und erzählten von ihrem Leben. Williams Mutter war eine Deutsche, weshalb er zwei Sprachen konnte und es Kira einfacher machte, sich mit ihm zu unterhalten. Sie redeten und redeten bis es dunkel wurde. „Ich muss jetzt leider gehen. Morgen wird für mich ein anstrengender Tag, ich muss mir noch einen Job suchen. Du weißt nicht zufällig wo noch etwas frei wäre?“ erklärte sie ihm. „Ja ich denke ich hätte da noch was Kleines. Ein Freund von mir hat ein kleines Bistro ganz am Ende der Stadt. Dort könntest du übergangsweise arbeiten. Er sicht immer neue Mitarbeiter.“ Antwortete William nach kurzem Zögern. Kira bedankte sich freundlich und verabschiedete sich von ihm. „Ich hoffe wir sehen uns bald wieder, William.“ Sagte sie noch. „Auf jeden Fall, Kira.“ Flüsterte er und war verschwunden.
Und tatsächlich, als Kira am nächsten Tag bei diesem Freund im Bistro vorbeischaute, bekam sie einen Job angeboten. „Ich bin eine Freundin von William, er meinte, sie könnten eine Arbeit für mich haben.“ Hatte sie gesagt. Daraufhin sah John sie nur komisch an, sagte aber nichts weiter. Das Gute war, Kira konnte sofort anfangen. Als sie dann am Abend wieder zur Küste kam, in der Hoffnung dort auf William zu treffen, wurde sie jedoch enttäuscht. Er war nicht da. Trotzdem setzte sie sich auf die Bank und wartete. Erst als es schon fast dunkel wurde tauchte er endlich auf. „Und ich dachte schon du würdest nicht mehr kommen.“ lachte Kira und drehte sich zu ihm um. Als sie aber den traurigen Blick in seinen Augen sah, verstummte sie. „Was ist denn passiert?“ fragte sie bestürzt. „Ich war heute auf der Beerdigung eines Freundes, er ist vor ein paar Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“ Antwortete er leise und ließ sich auf der Bank neben Kira nieder. Auf einmal hatte Kira das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. Aber sie unterdrückte es, sie kannte ihn ja kaum. „Weißt du, vor einem halben Jahr ist meine Schwester auch bei einem Autounfall gestorben. Ich dachte, das war es, aber du musst einfach immer weitermachen.“ Sagte sie und rückte näher zu ihm. Es tat gut einmal mit jemandem über Lara zu reden ohne zu hören, dass es nicht sein müsste, dieses Thema immer und immer wieder aufgreifen zu müssen.
Interessiert und erwartungsvoll sah William Kira in die Augen und sie wusste, dass es richtig war, ihm von Lara zu erzählen. Und so lernte William an diesem Abend nicht nur Lara, sondern, auch noch viel mehr, Kira kennen. Und bei beiden spürte man die Energie die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.
Am nächsten Morgen lag Kira wach in ihrem Bett und starrte die Decke an. Dauernd musste sie an William denken, denn sie hatte sich bis über beide Ohren in ihn verliebt. Und auch er schien das Gleiche für sie zu empfinden. Schon lange nicht mehr hatte Kira sich so gut gefühlt. Eigentlich nicht mehr seit dem Tod ihrer Schwester. Als sie auf die Uhr sah stellte sie erschrocken fest, dass sie an ihrem ersten Tag zu spät zur Arbeit erscheinen würde, wenn sie sich jetzt nicht beeilt.
Aber sie kam nicht zu spät. Ihre Laune war hervorragend und der Chef war mit ihr zufrieden. An diesem Tag lernte sie so viel, sie wollte das alles William erzählen. Nach der Arbeit beeilte sie sich mit dem Abwasch und lief so schnell sie konnte zur Bank an der Küste.

Kapitel 2

Dort wartete er bereits auf sie. Es war wie ein unabgesprochenes Treffen. Jeden Abend zur gleichen Zeit trafen sie sich und redeten. Sonst taten sie fast nichts. Sie saßen einfach nur da und redeten über ihr Leben, über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft.
Dann nach mehreren Treffen nahm Kira all ihren Mut zusammen und fragte ihn, ob sie sich mal zum Essen treffen könnten. Und er sagte ja. Also trafen sie sich am nächsten Abend nicht an der Bank sondern in einem kleinen Café mit Meerblick. Sie saßen direkt am Fenster und konnten wie gewohnt die Wellen beobachten, die heute von der stürmischen See angepeitscht wurden.
Kira war aufgeregt wie noch nie in ihrem Leben und auch William hatte seine Gelassenheit, die sie so sehr an ihm bewunderte, gegen eine gewisse Angespanntheit ausgetauscht. Vielleicht spürten beide an diesem Abend, dass etwas anders werden würde als sonst. „Darf ich ihnen etwas bringen?“ fragte die freundliche Bedienung. „Einen Kaffee für mich und für William einen Cappuccino.“ Sagte Kira abwesend und vertiefte sich wieder in die Karte, um sich etwas zum Essen herauszusuchen. „Soll ich den Cappuccino später bringen oder wollen sie ihn gleich?“ fragte die Bedienung zu Kiras Erstaunen. „Wie bitte? Sie könnten ihn schon gleich bringen.“ Lachte Kira sie an und diese drehte sich um und verschwand in der Küche. „Die war ja komisch, nicht wahr?“ flüsterte Kira William zu, der in Gedanken versunken auf seinem Stuhl saß. „Hm?“ fuhr er erschrocken hoch. „Was ist denn los, Will?“ fragte Kira besorgt und legte ihm eine Hand auf seinen Unterarm. „Es ist nichts, ich fühl mich nur nicht so gut.“ Antwortete dieser leise und stand auf. „Wo willst du hin?“ rief ihm Kira bestürzt nach. „Es tut mir leid, Kira.“ Und schon war er verschwunden. Was war nur mit ihm los fragte sich Kira und setzte sich wieder zurück auf ihren Platz. Als die Bedienung mit dem Kaffee und dem Cappuccino kam, legte Kira nur das Geld auf den Tisch, nickte ihr zu und verließ mit Tränen das Café.
So hatte sich Kira ihr erstes richtiges Date mit William nicht vorgestellt. Alles war schief gelaufen. Eigentlich wollte sie ihm an diesem Abend ihre Gefühle offenbaren, aber dazu kam es ja nicht einmal. Weinend saß Kira auf ihrem Bett und dachte nach. Vielleicht hatte sie sich getäuscht und er hatte gar nicht die gleichen Gefühle für sie wie sie für ihn. Aber dann wäre er doch nie zu diesem Treffen gegangen. Und was sollte das mit der Bedienung? Wieso hatte sie das überhaupt gefragt? All das wurde Kira dann doch zu viel und sie legte sich einfach ins Bett und schlief auf der Stelle ein.
In dieser Nacht träumte sie einmal nicht von Lara. Einerseits beruhigte es sie, aber andererseits war sie auch nicht glücklich mit diesem neuen Traum. Sie stand an der Küste und sah hinunter auf die Wellen, die an den Felsen getrieben wurden. „Weißt du, es war mein Lieblingsplatz. Hier habe ich immer gestanden, wenn ich nachdenken musste. Und auch als meine Freunde und ich den Unfall hatten, habe ich hier gestanden du nachgedacht. Über Tom, der im Auto starb, bevor die Rettungskräfte kommen konnten. Er hat sein Leben für uns gegeben. Trina und Jenna lagen auf der Straße und konnten sich nicht von der Stelle bewegen. Tom versuchte noch das Herankommende Auto aufzuhalten, aber der Fahrer hatte ihn zu spät gesehen. Tom hat ihnen das Leben gerettet. Meines ist jetzt dem Schicksal überlassen, aber ich werde stark sein. Für dich, weil du der erste Mensch bist, der mich versteht, der all den Schmerz in mir kennt und mir helfen kann, wieder ins wahre Leben zurückzukommen.“ Flüsterte Williams Stimme Kira direkt ins Ohr. Doch als sie sich umdrehen und ihn fragen wollte, was damit gemeint hatte, war er weg. Sie war sich nicht mal sicher, ob er überhaupt da war.
Verwirrt wachte Kira auf und setzte sich senkrecht im Bett auf.
„Für dich, weil du der erste Mensch bist, der mich versteht, der all den Schmerz in mir kennt und mir helfen kann, wieder ins wahre Leben zurückzukommen.“ Hörte sie seine Stimme noch nachhallen. Dieser Traum war realer als jeder andere. Und doch schien er so unwirklich zu sein.
Da heute Dienstag war und das Bistro an diesem Tag Ruhetag hatte, blieb sie im Bett liegen und schaltete den Fernseher an. William hatte von diesem Autounfall gesprochen, den sie letztens im Fernsehen gesehen hatte. War es möglich, dass er daran beteiligt war, oder war das nur eine kranke Fantasie von Kiras Hirn? „Tom hat ihnen das Leben gerettet. Meines ist jetzt dem Schicksal überlassen.“ Nein, es war unmöglich. Als Kira aus ihren Gedanken kam liefen wieder die Nachrichten. Es wurde vom Krieg im Irak und der Finanzkrise in Amerika berichtet. Als sie die Hoffnung auf weitere Informationen über den Autounfall schon aufgegeben hatte, kam doch noch ein kleiner Bericht, in dem erklärt wurde, dass die beiden Mädchen Trina Mitchell und Jenna Ortega außer Lebensgefahr waren und William Moore immer noch im Koma lag. Kira lief es bei dieser Nachricht eiskalt den Rücken herunter. William Moore. Das war doch völlig unmöglich… Doch es war die Wahrheit. Es wurden Bilder von Trina, Jenna, Tom und William gezeigt. Die ganze Zeit über hatte sie sich mit einem Geist getroffen, mit jemandem, der im Koma lag und ums Überleben kämpfte. Aber das wollte sie nicht dem Schicksal überlassen so wie es William gesagt hatte, sie wollte um ihn kämpfen, ihn ins wahre Leben zurückholen. In der Hoffnung den richtigen Namen zu erreichen, telefonierte sie sich durch alle Moores, die in County Kerry wohnten und schließlich hatte sie Glück und hatte seine Eltern am Telefon. Gott sei dank konnte seine Mutter noch einwandfrei Deutsch, sodass es Kira gar nicht schwer fiel, ihr zu erklären, dass sie eine Freundin von William wäre und ihn gerne im Krankenhaus besuchen würde, sie aber wissen müsste, wo er denn stationiert ist. Nach vielen Fragen die seine Mutter verständlicher Weise stellte, gab sie schließlich auf und gab Kira die Adresse des Krankenhauses und Zimmernummer von William.
Als Kira sich dann am frühen Mittag auf zum Krankenhaus machte, dass nur wenige Minuten von ihrer Wohnung entfernt war, wurde ihr ganz mulmig, denn sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen könnte.
Endlich hatte sie doch sein Zimmer erreicht und klopfte an. Natürlich würde sie niemand bitten hereinzukommen, aber vielleicht war ja noch jemand anderes im Zimmer. Doch niemand antwortete. Vorsichtig öffnete Kira die Tür einen Spalt breit und sah ins Zimmer. William lag still in seinem Bett und das Einzige das sie hören konnte war das gleichmäßige Piepen der Geräte mit der William am Leben gehalten wurde. Langsam ging sie auf ihn zu setzte sich auf die Bettkante. „Ich habe es verstanden. Und ich bin hier um dir zu helfen, aber ich weiß nicht wie. Du hast mir nicht gesagt wie.“ flüsterte Kira mit gebrochener Stimme. „Aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde dich nicht dem Schicksal überlassen.“ Als das Piepen der Geräte plötzlich schneller wurde, wusste Kira, dass er sie verstanden hatte. Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Was machst du hier?“ ertönte eine wütende Stimme hinter ihr. Ruckartig drehte sich Kira um und sah in seine wunderschönen braunen Augen. „Ich…Ich dachte, ich könnte dir irgendwie helfen. Du wolltest doch, dass ich das tue, oder?“ rief Kira verwundert. „Ich wollte dich nur davor warnen, auf was du dich da eingelassen hast. Ich wollte nicht, dass du hierher kommst. Das ist mein Platz. Hier bin ich alleine. Und das kann mir niemand nehmen. Niemand. Also bitte geh jetzt, du kannst mir hier sowieso nicht helfen.“ Erwiderte er noch wütender. Doch plötzlich hatte Kira eine Idee. Als sie auf William zuging wich er zuerst zurück doch dann blieb er stehen. „Was hast du vor?“ zischte er sie an. Kira streckte die Hand nach ihm aus und piekste ihn etwas zu fest in den Oberarm. Die Geräte hinter ihr wurden wieder hektischer und sie wusste, dass sie mit ihrer Vermutung recht hatte. William konnte durch seine umherwandelnde Seele spüren, was seine Seele spürte. Er würde sich also an alles später erinnern können. „Ich habe das in meinem Körper gespürt?“ flüsterte er traurig. „Ja, ich glaube schon. Und so werde ich dich retten können. Vertrau mir, bitte.“ Sagte Kira in einem beschwichtigen Ton. Als sie noch etwas anderes ausprobieren wollte, öffnete sich die Tür und eine aufgeregte Krankenschwester stürmte ins Zimmer. „Darf ich fragen was sie hier machen?“ fragte sie wütend und schob mich zur Seite. „Der Patient braucht Ruhe. Sehr viel Ruhe und sie dürften eigentlich gar nicht ohne Erlaubnis hier sein.“ Sagte diese während sie Williams Kopfkissen aufschüttelte. „Ich bin eine Freundin der Familie. Ich habe die Erlaubnis seiner Mutter.“ Entgegnete Kira genauso schroff. „Tut mir leid, das wusste ich nicht. Aber trotzdem muss ich sie bitten jetzt das Zimmer zu verlassen.“ Sagte sie in einem zerknirschten Ton und schob Kira langsam zur Tür. Ein letzter Blick über die Schulter zeigte ihr, dass William neben seinem schlafenden Ich auf der Bettkante saß und leise weinte. Am liebsten wäre sie wieder zurück gegangen und hätte ihn in den Arm genommen und ihm gesagt, dass alles wieder gut werden würde, aber sie wollte sich nicht mit der Krankenschwester anlegen. An diesem Abend erschien William nicht zur gleichen Zeit an der Bank an der Küste und Kira beobachtete die Wellen wie sie sich auftürmten und im selben Moment wieder in sich zusammenfielen. Als Kira sich auf den Heimweg machen wollte, bemerkte sie ein wenig von ihr entfernt eine junge Frau mit dem gleichen langen Haarschopf den sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen hatte. Als diese sich umdrehte und Kira zulächelte verschwamm alles um sie herum. Als Kira sich wieder gefangen hatte war sie verschwunden. Kira hatte es vermasselt. Innerlich hatte sie immer gehofft diesen Moment einmal zu erleben und als er dann endlich da war, machte sie wieder alles kaputt.
Es war wie ein Teufelskreis, doch dieses Mal wusste sie, dass es wirklich passieren konnte, dass es diesmal realer war, als jemals zuvor. Sie konnte ihr Leben ändern und nur wegen ihr. Weil sie ihr die andere Welt zeigte, die für andere Menschen nicht zu sehen war und für sie unreal schien. Aber sie war da. Vor ihren Augen.




Kapitel 3

In dieser Nacht schlief Kira zum ersten Mal seit sechs Monaten
traumlos. Es war wie eine Erholung. Als Kira früh am Morgen von ihrem Wecker geweckt wurde, war sie ausgeschlafen und guter Dinge. An diesem Tag ging sie motiviert und lernwillig zur Arbeit. Aber nur, um dann zu William ins Krankenhaus zu fahren, um ihm dort zu helfen. Sie hatte sich als neues Ziel gemacht, ihn wieder ins Leben zurückzuholen, wie die Sanitäter es damals bei ihr selbst auch getan hatten.
„Da bin ich wieder. Und dieses Mal werde ich etwas Effektives finden, um dich zum Leben zu erwecken.“ Lächelte sie den scheinbar schlafenden William an. Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, zwei von ihm zu sehen. Es war immer noch unwirklich für sie und doch so real. Kira beugte sich vor und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich liebe dich, William.“ Flüsterte sie ihm ins Ohr. „Wirklich?“ hörte sie eine leise Stimme hinter sich. William war gekommen und saß nun auf einem kleinen Stuhl in der Ecke. Kira lächelte und nickte. „Ich liebe dich auch, Kira. Bei dir fühle ich mich gänzlich lebendig, obwohl ich es natürlich besser weiß.“ Sagte er und kam auf sie zu. Als er hinter ihr stand lehnte Kira ihren Kopf an seine Brust. Sie konnten seinen Herzschlag spüren. Als Kira sich aus seiner Umarmung löste und ihn ansah, wusste sie auf einmal was sie tun musste. Weder beugte sie sich über den schlafenden William und küsste ihn dieses Mal. Neben ihr hörte sie ein leises Seufzen und als sie sich zu ihm umdrehen wollte, war er verschwunden.
Die Ärzte kamen in Scharen, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen. Eigentlich hatten sie William schon längst aufgegeben, aber er hatte seine kleine Chance genutzt. Niemand beachtete Kira wie sie sich leise und unbemerkt aus dem Zimmer stahl. Als William dann zwei Tage später aus dem Krankenhaus entlassen wurde fuhr er zuerst zu Kira, die noch arbeitete. „Kira, meine Retterin.“ Flüsterte er ihr unbemerkt ins Ohr. Erschrocken fuhr diese herum und musste laut lachen. Sie hatte nicht bemerkt, wie er herein gekommen war. „Hey, William.“ Sagte sie und drehte sich ganz zu ihm um. „Ich dachte schon du würdest nie kommen.“ Lächelnd nahm er sie in den Arm und küsste sie sanft. „Wie könnte ich nur so etwas tun?“ erwiderte er sanft.
Als beide später Arm in Arm nach Hause gingen, bemerkte Kira wieder diese Frau an der Küste. „Ich bin gleich wieder da.“ Flüsterte sie William ins Ohr und löste sich von ihm. Langsam ging sie auf sie zu und stand nun direkt neben ihr. „Du bist wieder da.“ Flüsterte Kira. „Ich war nie weg, Kira. Du hast mich nur nie wahrgenommen.“ Antwortete Lara und drehte sich zu ihrer Schwester um. Ihr Lächeln war noch genauso strahlend, wie Kira es in Erinnerung hatte. Nichts schien sich verändert zu haben. Und doch war alles anders. „Ich habe dich vermisst, Lara.“ Flüsterte sie leise und legte ihren Kopf auf Laras Schulter. „Ich dich auch, aber es ging nicht früher. Du hast mich nie wahrgenommen. Du wolltest mich nie richtig sehen. Immer hast du gedacht, dass du verrückt wärst wenn du mich sehen kannst. Aber du bist nicht verrückt, Kira. Ich bin wirklich da. Und weißt du, jetzt, wo du sicher sein kannst, dass du auch etwas bewirken kannst, siehst du mich auch richtig. Es war kein Zufall, dass William zu dir kam. Du kannst als einer der wenigen Menschen auf dieser Welt, die Seelen der Menschen sehen, weil du selbst fast gestorben wärst bei unserem Unfall.“ Sagte sie beruhigend und legte ihren Kopf auf den ihrer Schwester. Eine einsame Träne lief Lara übers Gesicht. „Du musst dich trotzdem damit abfinden, von geliebten Menschen Abschied zu nehmen. Ich kann nicht ewig bleiben.“ Fügte sie noch hinzu. Kira hob ihren Kopf und sah Laras traurigen Blick. „Aber du musst doch nicht gleich gehen.“ Fragte Kira bestürzt. Doch Lara senkte den Kopf und sah wieder hinaus aufs Meer. „Es wird sich nichts ändern, du dachtest die ganze Zeit, dass ich endgültig weg bin.“ Versuchte Lara ihre Schwester zu trösten. Doch diese begann leise zu weinen. „Ich muss gehen, meine Zeit ist vorüber. Es tut mir leid, Kira, aber damals hat die richtige von uns beiden überlebt.“ Flüsterte sie noch. „Vergiss das nie. Ich liebe dich.“ Als Kira noch erwidern wollte musste sie mit ansehen wie sich Lara vor ihren Augen langsam in Luft auflöste. Das letzte was Kira von ihrer Schwester jemals sehen würde, war ihr trauriges Lächeln, das bald still in der Luft hing. Weinend setzte sich Kira auf die Bank und stützte ihren Kopf auf die Hände. Hinter sich hörte sie Schritte, William legte ihr von hinten die Arme um den Oberkörper und hielt sie ganz fest. Tief im Inneren wusste er wahrscheinlich wen Kira getroffen hatte, doch er fragte nicht weiter nach. Er wollte einfach nur für Kira da sein, genauso wie sie für ihn da war.
An diesem Abend lag Kira schweigend in ihrem Bett, den Kopf auf Williams Brust gelegt, und lauschte der Stimmen der Vergangenheit, die in ihrem Kopf umherschwirrten. William hatte seit der Begegnung von Kira und ihrer Schwester nichts mehr gesagt, genau wie Kira selbst. „Du bleibst bei mir, oder?“ fragte Kira in die Stille hinein. William drehte den Kopf zu in ihre Richtung und sah sie an. „Natürlich, ich werde dich nie wieder alleine lassen.“ Flüsterte er und küsste ihr das Haar. „Lara meinte, dass ihre Zeit vorbei war als sie ging. Ich habe Angst, dass du gehen musst.“ Erwiderte sie mit gebrochener Stimme. „Irgendwann wird auch meine Zeit ablaufen, aber bis dahin haben ich noch Zeit.“ Antwortete er leise und schloss seine Arme um Kira.


Epilog

Nach der Begegnung mit Lara war Kira wie ausgewechselt. Sie war engagierter und hilfsbereiter als je zuvor. Irgendetwas hatte sich in ihr getan. Als Lara sagte, dass die richtige der beiden überlebt hätte, hatte Kira ihre Lebenseinstellung vollkommen auf den Kopf gestellt. Nach Laras Tod dachte sie, dass ihr Leben ohne sie gar nicht weitergehen könnte, aber niemand hatte auf sie gehört. Damals hatte Kira sich zurückgezogen und das innige Band zwischen ihrer älteren Schwester Violetta und ihr zerstört. Der Kontakt brach ab, was beiden sehr leid tat, aber niemand mehr darauf einging.
Einige Wochen später stand Kira zusammen mit William am Flughafen und warteten auf Violetta. Kira hatte sie eingeladen, um sich mit ihr auszusprechen und die Bindung wieder herzustellen. Endlich konnte Kira ihre Schwester in der Menge entdecken und rannte voller Freude auf sie zu. Beide begrüßten sich herzlich und nachdem William und Violetta sich kennengelernt hatten, gingen sie zu Kira nach Hause. William verabschiedete sich höflich an ihrer Haustür und ließ die Schwestern alleine.
„Ich weiß, du hältst mich für verrückt, wenn ich dir sage, dass ich Lara gesehen habe, aber ich schwöre dir, das bin ich nicht, sie war da.“ Sagte Kira und setzte sich auf den Stuhl gegenüber ihrer Schwester. „Kira, ich habe Psychologie studiert, ich glaube dir. Du bist damals fast gestorben, du hast das Recht darauf sie zu sehen.“ Flüsterte sie und legte ihre Hand auf Kiras Unterarm. „Das heißt, du hältst mich nicht für verrückt. Und auch nicht, wenn ich dir sage, dass ich William so kennengelernt habe?“ fragte sie vorsichtig. Violetta schüttelte den Kopf und sah sie interessiert an. „Also, ich habe William, Williams Seele, an der Küste getroffen. Wir haben uns unterhalten und uns angefreundet. Dann nach ein paar Tagen habe ich herausgefunden, dass er eigentlich nach einem Autounfall im Koma liegt und habe ihn im Krankenhaus besucht. Dort habe ich herausgefunden, dass er auf alles reagiert, was mit seiner Seele passiert und habe ihm dann so viel Adrenalinstöße verpasst, dass er endlich aufgewacht ist. Und jetzt sind wir ein Paar und wir sind so glücklich.“ Erklärte Kira und lächelte verlegen. Auch Violetta lächelte sie an und langsam standen beide auf. „Ich habe dich so vermisst, kleine Schwester.“ Sagte Violetta und ging auf Kira zu um sie in den Arm zu nehmen. Unter Tränen nickte Kira und beide lagen sich weinend in den Armen.
Von da an wurde für Kira alles besser. Sie wurde von einem großen Restaurant entdeckt und abgeworben, William machte ihr einen Heiratsantrag und sie hatte wieder regelmäßigen Kontakt zu ihrer ganzen Familie.
Der Tod kann das Leben nicht nur negativ verändern. Auch die positiven Seiten sollte man nicht außer Acht lassen. Jeder Mensch hat nur ein Leben das man schützen und in vollen Zügen genießen sollte. Man weiß nie, was das Leben für einen bereithält. Und trotzdem sollte man nicht allzu oft die Toten außer Acht lassen, denn sie sind immer da, egal wo man hingeht. Wenn man es so will, begleiten sie einen ein ganzes Leben lang, jedoch nur im Herzen. Jeder lebt im Herzen eines anderen eine ganze Ewigkeit.


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Tag der Veröffentlichung: 10.08.2011

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