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Kapitel 1
Eineiige Zwillinge, die sich auf den Tod nicht ausstehen können? Unvorstellbar! Aber wahr. Meine Schwester Jessica und ich sind aber auch nicht normal. Unsere Eltern noch weniger.
Sie trennten sich damals als wir zwei Jahre alt waren und da sich niemand der beiden komplett von uns trennen wollte, trennten sie uns auch. Ich lebte bei unserer Mutter und Jessica bei unserem Vater. Es schien als wären sie so glücklicher. Jessica erzählte mir später, dass unser Vater zahlreiche kleine Beziehungen und Affären hatte, die nie länger als ein halbes Jahr dauerten, jedoch war nie die richtige dabei. Meine Mutter hingegen war da ganz anders. Sie hatte in der Zeit nur zwei Männer. Der eine war einen totale Katastrophe. Er war dauernd besoffen und brüllte nur herum. Nach drei Monaten machte sie dann endlich Schluss, weil sie es nicht mehr ertragen konnte und ich davon aggressiv wurde. Ich war damals sieben. Der zweite Mann war Tom, er blieb fünf Jahre bei uns. Er behandelte mich wie seine Tochter und er war für mich der Vater den ich nicht kannte. Doch meine Mutter war nicht glücklich. Nach der Trennung schloss ich mich tagelang in meinem Zimmer ein. Ich war wütend auf meine Mutter, sie hatte mir meinen Vater weggenommen. Aber ohne dass meine Mutter es wusste, nahm ich wieder Kontakt zu ihm auf. Wir telefonierten regelmäßig und ich konnte mit ihm über alles reden. Doch vor ein paar Monaten erzählte mir meine Mutter von einem neuen Mann. Von meinem Vater. Sie waren wieder ein Paar und sie würde mir auch gerne bei einem gemeinsamen Abendessen meine Zwillingsschwester Jessica vorstellen. Ich war geschockt. Ich hatte eine Schwester. Ich bin mit dem Glauben großgeworden, dass ich ein Einzelkind sei. Es war vollkommen verrückt, aber widerwillig ließ ich mich darauf ein und zwei Tage später saßen wir im Auto auf dem Weg zu einem schicken Restaurant, wo ich dann meinen Vater und meine Schwester kennenlernen würde. Ich versuchte mich an sie zu erinnern, aber ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, was es Vorgestern zum Mittagessen gegeben hatte. „Na, Lissy, freust du dich?“ fragte meine Mutter scheinheilig. „Natürlich, was denkst du denn?“ antwortete ich sarkastisch und sah aus dem Fenster.“Lissy, bitte. Wir haben eingesehen, dass es ein Fehler war sich damals zu trennen und jetzt wollen wir alles wieder gut machen. Wir lieben uns und du wirst ihn bestimmt auch lieben, er ist dien Vater, genauso wie deine Schwester. Ich hab sie ewig nicht mehr gesehen. Also ich freue mich auf das Treffen!“ begann sie zu schwärmen. „Toll, Mama, ganz toll für dich.“ Erwiderte ich genervt ohne mich umzudrehen. Ich konnte mir ihr dummes Gerede nicht mehr anhören. Schon seit Tagen redet sie von nichts anderem mehr. Ja, gut. Ich freute mich auch ein bisschen darauf, endlich meinen Vater kennenzulernen, aber, dass sie mir all die Jahre nichts von meiner Schwester erzählt hatte, machte mich wütend. Endlich war diese Fahrt vorbei und wie stiegen aus unserem Auto. Ich kannte das Restaurant. Hier waren wir oft mit Tom gewesen. Mit weichen Knien betrat ich das Restaurant und sah einen relativ jung aussehenden Mann, der uns fröhlich zuwinkte. Neben ihm saß ein junges Mädchen und mein Herz setzte für einen kurzen Moment völlig aus.
Als ich das Mädchen zur Tür hereinkommen sah, wusste ich sofort, dass da s meine Zwillingsschwester Lissy war. Sie hatte die gleichen dunkelroten Haare wie ich, das gleiche Gesicht und die gleiche Mutter. Ich kannte sie nur von Bildern. Wie oft hatte ich mir schon gewünscht, sie wieder zu sehen. Mein Vater hatte mir auch von Lissy erzählt. Er hatte mir erzählt, wir waren ein Herz und eine Seele. Doch daran konnte ich mich nicht mehr erinnern. Sie wahrscheinlich auch nicht. Ich freute mich darauf, sie kennenzulernen. Die Beiden kamen zu uns an den Tisch. „Schön, dass ihr kommen konntet, Lara.“ rief Papa und gab ihr einen Kuss. Lissy stand daneben und verdrehte nur genervt die Augen. Der erste Eindruck ist jetzt nicht gerade der beste, aber der Abend ist ja noch lang. „Lissy, schön dich zu sehen!“ Papa ging auf sie zu und wollte sie umarmen, doch sie streckte ihm nur die Hand entgegen und grinste sarkastisch. Papa war völlig irritiert, schüttelte ihr die Hand und setzte sich wieder hin. „das ist Jessica, deine Schwester.“ Sagte er zu Lissy und zeigte auf mich. Sie sah mich kurz an und nickte. Eingebildete Tussi. Meine Mutter kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. „Tut mir Leid, sie ist heute etwas schlecht gelaunt. Aber ich freue mich trotzdem dich zu sehen! Du bist groß geworden und so wunderschön.“ Sie strahlte mich an und strich mir übers Haar. Ich lächelte sie an und sagte: „Ich freue mich auch unglaublich dich endlich wiederzusehen.“ Glücklich ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und wir bestellten uns etwas zu Essen. Immer wieder versuchte ich Lissy ins Gespräch mit einzubringen, doch die gab mir entweder nur dumme Antworten oder beachtete mich erst gar nicht. Ich war enttäuscht, ich hatte mir das alles komplett anders vorgestellt. Dumme Gans Freute sie sich denn gar nicht, dass die Familie jetzt wieder vereint ist? Kein bisschen? Ich konnte Papa ansehen, dass er es genauso sah wie ich. Er war traurig. „Irgendwann wird sie es auch akzeptieren könne, Papa.“ Flüsterte ich im Auto und legte ihm meine Hand auf den Arm. Ich hoffte, dass ich Recht hatte.

„Hat das unbedingt sein müssen, Lissy?“ wütend sah sie mich an. Ihre Augen blitzten vor Zorn. „Tut mir wirklich Leid, Mama. Du hättest mir alles auch ein kleines bisschen früher erzählen können, meinst du nicht auch?“ rief ein bisschen zu laut. „Vielleicht hätte ein klein bisschen mehr Vorbereitungszeit nicht geschadet! Ich habe immer im Glauben gelebt, ich sei ein Einzelkind und mein Vater wäre sonst wo. Und dann kommst du und erzählst mir etwas von meinem Vater und meiner Zwillingsschwester! Glaubst du wirklich, dass ich dann da rein gehen kann und auf tolle Familie machen kann? Nein! Das kann ich nicht!!“ schrie ich sie an. Sie wurde auf dem Fahrersitz immer kleiner. Sie wusste, dass ich Recht hatte, doch jetzt war es zu spät es wieder gut zu machen. Ich war stocksauer. Als wir zu Hause ankamen, stieg ich ohne ein Wort aus, ging in mein Zimmer und sperrte die Tür zu. Ein paar Minuten später stand meine Mutter vor meinem Zimmer und redete auf mich ein.“Lissy, mach bitte die Tür auf! Es tut mir doch Leid! Was hätte ich denn tun sollen?“ Sie erwartete eine Antwort. Immer noch sauer sperrte ich die Tür auf, streckte meinen Kopf heraus und antwortete mit einem sarkastischen Grinsen: „Du hättest mir früher sagen können, das sich eine Schwester habe!“, zog den Kopf wieder zurück und bevor meine Mutter etwas erwidern konnte sperrte ich die Tür wieder zu. Sie blieb noch eine Weile schweigend vor meiner Tür stehen, doch dann hörte ich, wie sie langsam die Treppe hinunter ging. Ich warf mich auf mein Bett und brüllte so lange in mein Kissen bis die ganze Wut raus war. Das Telefon klingelte, ich warf mein Kissen zur Seite und hob ab. Es war Tom. „Hey, Lissy. Störe ich?“ ertönte seine dunkle, warme Stimme aus dem Hörer. „Nein, überhaupt nicht. Ich wollte dich gerade anrufen.“ Antwortete ich und lachte leise. „Wie geht’s dir?“ fragte er. Ich musste kurz überlegen wie es mir ging. „naja, es geht so. Das Treffen mit meinem Vater und meiner Schwester war ziemlich…anstrengend.“ Antwortete ich und machte eine kurze Pause bevor ich weiterredete.“Sie sieht genauso aus wie ich. Und sie hat es gar nicht gestört, dass sie wieder zusammen sind. Ich glaube, sie wusste es schon früher als ich. Vielleicht ist sie mit dem Wissen aufgewachsen, dass es mich gibt.“ Begann ich leise. „Ich weiß es nicht, Lissy. Lara hat nie etwas von deiner Schwester erzählt. Ich dachte auch du wärst ein Einzelkind. Es tut mir so Leid. Aber jetzt erzähl mal, wie es so war.“ Ich erzählte ihm alles was vorgefallen war. Dass Jessica sich so wohl bei meiner Mutter gefühlt hatte, als wären sie nie getrennt worden, dass mein Vater eigentlich ganz nett wäre und, dass Jessica im Grunde auch sehr nett wäre, wenn ich sie nicht ignoriert hätte. „Aber hör mal, wie wäre es, wenn du dich beim nächsten Treffen einfach für dein Benehmen entschuldigst und ihr wieder von vorne anfangt?“ sagte er und es entstand eine kleine Pause. „Ja, ich denke, das ist eine gute Idee, danke Tom“ antwortete ich und wir beide telefonierten noch ein bisschen weiter, bis mir schließlich die Augen zufielen und wir auflegen mussten. Ich versprach ihm, ihn auf dem Laufenden zu halten. Ich knipste das Licht aus und kuschelte mich in meine weiche Bettdecke. Ich dachte noch einen kurzen Moment an Jessica bevor ich einschlief.
Wir redeten noch sehr lange. Immer wieder musste ich Papa sagen, dass sie das nicht so gemeint hatte, doch er wurde immer trauriger. Er hatte sich so sehr gewünscht, dass es ein wunderbarer Abend werden würde, aber es war das genaue Gegenteil. Mama wollte Lissy immer wieder dazu auffordern am Gespräch teilzunehmen, aber sie wehrte ab. Ich weiß nicht, was sie gegen uns hat. Wir sind doch ihre Familie. Ja, es ist eine eigenartige Familie, aber es ist nun mal so! Vor allem habe ich gemerkt, dass sie mich nicht beachten wollte. „Papa, denkst du, sie mag mich nicht?“ fragte ich vorsichtig. „Um ehrlich zu sein Süße, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, ob sie mich mag.“ Antwortete er bedrückt und sackte in sich zusammen. Er tat mir so leid. Wie er da so saß und sich darüber Gedanken machte, ob ihn seine Tochter mochte, oder nicht. „Vielleicht hat Mama Recht und sie war heute einfach nicht so gut drauf. Wir werden es ja beim nächsten Treffen sehen.“ Eine kleine Pause entstand. „Es wird doch ein nächstes Treffen geben, oder?“ fragte ich vorsichtig. Ich wollte nicht, dass meine Mutter jetzt wieder aus meinem Leben verschwand. Das durfte nicht sein. „Ja, natürlich wird es ein nächstes Treffen geben.“ sagte mein Vater und sah mich lächelnd an. „Als ich deine Mutter vor kurzem wieder traf, war mir bewusst geworden, dass ich die ganze Zeit nach ihr gesucht habe, sie aber nie gefunden habe. Sie ist so wundervoll. Ja, sie hat ihre Macken, aber, das ist nicht schlimm. Ich kann damit leben. Ich will damit leben können. Und ich weiß nicht, ob ich noch einmal ohne sie leben könnte. Ich könnte sie, glaub ich mal, nicht mehr loslassen.“ Sagte er und seine Augen leuchteten. Ich wusste, dass er die Wahrheit sagte und dass er es genauso meinte. Er liebte sie von ganzem Herzen. Ich musste dafür sorgen, dass Lissy nichts daran ändern würde, oder es kaputt machte. „Papa, kannst du mir sagen, wo Mama und Lissy wohnen?“ fragte ich vorsichtig. Papa sah mich skeptisch an, antwortete mir aber doch. Ich erfuhr, dass sie am anderen Ende der Stadt wohnten. Am nächsten Tag würde ich sie besuchen und mit Lissy reden. Ich wusste zwar nicht genau, was ich sagen sollte, aber ich wollte es hinter mich bringen. Ich wollte Papa helfen. Und das war das Einzig wichtige. „Ich geh jetzt schlafen, Papa.“ Sagte ich schläfrig und gähnte. „Gute Nacht, Süße.“ Sagte auch er und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Müde schleppte ich mich in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Bevor ich mich noch umziehen konnte, war ich auch schon eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte ich schon früh auf. Die Sonne schien durch die kleinen Lücken meines Rollladens. Das Gespräch mit Tom von gestern Abend ging mir wieder durch den Kopf. Aber konnte ich einfach zu ihnen gehen, um mich zu entschuldigen? Wie würden sie reagieren? Ich setzte mich aufrecht in meinem Bett auf und knipste die Nachttischlampe an. Ich konnte die Liebe doch nicht aufs Spiel setzten nur weil ich so stur war. Ich stand auf und zog mich an. Meine Mutter rief von unten zum Essen. Schnell lief ich die Treppe hinunter in die Küche. Auf dem Tisch stand alles Mögliche. Meine Mutter machte sogar Rührei. Das tat sie sonst nie. Als sie mich bemerkte drehte sie sich zu mir um und lächelte schüchtern. Um ihr zu zeigen, dass ich nicht mehr sauer war, lächelte ich sie versöhnlich an. Erleichtert widmete sie sich wieder dem Rührei. „Hast du dich wieder beruhigt, Süße?“ fragte sie vorsichtig. „Ja, schon. Aber ich meine, jetzt kann man auch nichts mehr daran ändern, oder?“ antwortete ich und lächelte wieder. „Habe ich noch Geschwister, von denen ich nichts weiß?“ fragte ich sarkastisch. Eine kleine Pause entstand. „Ehm, also…Du hast noch einen Bruder. Er ist jetzt 17 er wollte aber lieber bei eurer Tante leben.“ Flüsterte sie. Mir blieb das Stück Brot, das ich gerade gegessen hatte im Hals stecken, dass ich husten musste. „Stimmt das?“ fragte ich vorwurfsvoll. „Nein, natürlich nicht. Tut mir Leid, aber ich finde es einfach zu lustig, das zu machen.“ Lachte sie und brachte das Rührei an den Tisch.“Das war nicht witzig, Mama!“ rief ich verärgert. Ich wollte ernst bleiben, aber das Lachen meiner Mutter war so ansteckend, ich konnte einfach nicht anders als mit zulachen. Wir aßen fertig und danach ging ich in mein Zimmer, drehte die Musik lauter als sonst und tanzte.

Ich stand extra früh auf, damit Papa mich nicht von meinen töchterlichen Plichten abhalten konnte. Er würde nicht wollen, dass ich das tat. Rasch zog ich mich an und verschlang noch eine Scheibe Toast bevor ich das Haus verließ. Ich hinterließ Papa noch einen Zettel auf dem draufstand, wo ich war. Es war frisch und eine hartnäckige Windböe zerzauste mir das Haar. Ich stellte mich an die nächste Bushaltestelle und wartete au f einen Bus, der in meine Richtung fuhr. Lange musste ich nicht warten und 20 Minuten später stand ich mit klopfendem Herzen vor einemwunderschönen großen, weißen Haus. Vom oberen Stock her konnte man laute Musik hören. Ich klingelte zaghaft. Die Tür wurde sofort geöffnet und meine Mutter stand mit einem überraschten Lächeln vor mir. „Hallo, Jessica! Was machst du denn hier? Komm doch rein.“ Sagte sie freundlich und trat eine n Schritt zurück. Ich betrat einen großen, hellen Eingangsbereich. „Ich war gerade in der Nähe. Ist Lissy da? Ich würde gerne mit ihr reden.“ Fragte ich und lächelte kurz. „ Ja, sie ist oben in ihrem Zimmer. Geh einfach immer der Musik nach. Du kannst es nicht verfehlen.“ Lachte sie. Ich ging in den oberen Stock zu dem Zimmer aus dem die laute Musik kam. Ich stand vor einer Tür, die mit Postkarten und Schildern verklebt war. Ich klopfte, doch niemand reagierte darauf. Also öffnete ich die Tür und betrat ein unverkennbares Jugendzimmer. An den Wänden hingen Unmengen von Bildern und Postern. IN der Mitte des Zimmers tanzte meine Schwester Lissy ausgelassen.

Plötzlich war sie da. Sie stand da wie eine Pappfigur in meiner Zimmertür und starrte mich an. Ich hörte auf zu tanzen und schaltete die Musik aus. „Hey, Jessica.“ Sagte ich freundlich. „Hey.“ Die Anspannung wich aus ihrem Körper und sielächelte. „Komm doch rein und mach bitte die Tür hinter dir zu.“ Sagte ich und warf mich aufs Bett. Jessica setzte sich neben mich und sah mich an. „Ich muss mit dir reden.“ Begann sie. Es kam mir etwas komisch vor, aber ich wartete ab. „Es ist wegen unseren Eltern.“ Fuhr sie fort. „Papa liebt Mama wirklich von ganzem Herzen und er will sie nie wieder verlieren. Ich glaube er könnte ohne sie gar nicht mehr leben. Er braucht sie. Er weiß aber auch, dass sie sehr an dir hängt und sie nie etwas tun würde, was dir nicht gefällt.“ Sie stand auf und blieb vor mir stehen. Sie schluckte erst bevor sie fortfuhr.“Und deshalb bin ich hier. Ich weiß nicht warum, aber ich weiß, dass es so ist. Versuche doch wenigstens nett zu uns zu sein. Was haben wir dir denn getan? Papa war gestern Abend total verzweifelt. Er macht sich Gedanken darüber, wie er es dir Recht machen kann. Und ich denke auch, dass du ein Trennungsgrund sein könntest. Er denkt darüber nach, dir noch ein bisschen Zeit zu geben, indem er sich von Mama trennt.“ Sie sah mich erwartungsvoll an. Ist sie wirklich der Meinung, ich könnte ein Trennungsgrund sein? Ich glaube, es geht noch! Das ist eine Unverschämtheit! Ich wusste, ich hatte Tom versprochen, dass ich mich bei ihr entschuldigen würde. Aber das ging einfach zu weit. Das war eine offizielle Kriegserklärung. Langsam stand ich auf und baute mich vor ihr auf. Sie wurde immer kleiner. „Du glaubst also, unsere Eltern könnten sich wegen mir wieder trennen? Vielleicht haben sie sich ja vor 13 Jahren deinetwegen getrennt. Vielleicht hast du zu laut gebrüllt. Denkst du, du könntest jetzt einfach so in mein Leben kommen und alles auf den Kopf stellen? Denkst, du könntest mir vorschrieben was ich tun soll und was nicht? Das ist meine Sache. Ich mache was ich will! Was denkst du eigentlich wer du bist?“ flüsterte ich mit leiser scharfer Stimme. Jessica sah mich nur aus böse funkelnden Augen an. Sie drehte sich um und wollte gehen. Doch bevor sie die Tür hinaus ging drehte sie sich noch einmal um. „Du willst Krieg? Du bekommst Krieg.“ Flüsterte sie und ging ohne ein Wort aus dem Haus. „Was wollte sie denn, Lissy?“ rief meine Mutter von unten. „Ach, nichts, Mama!“ rief ich zurück und ging zurück in mein Zimmer. Dort drehte ich die Musik lauter und tanzte weiter, als wäre nichts gewesen.


Kapitel 2
In der nächsten Woche war es ziemlich ruhig um mich und Lissy. Unsere Eltern gingen nur noch alleine aus. Vielleicht wussten sie, dass Lissy und ich auf dem Kriegsfuß standen. Bei jeder Gelegenheit wollte Lissy mich schikanieren, aber es gelang ihr nicht wirklich. Es war eher lächerlich. Immer wieder machte sie mir klar, dass ich ihr Krieg versprochen hatte. Natürlich konnte ich jetzt nicht aufgeben. Egal ob ich davor Angst hatte oder nicht. Ich hatte Angst, Angst davor, dass jetzt alles nur noch schlimmer werden würde. Aber am Meisten hatte ich Schuldgefühle. Ich wollte doch nur helfen. Stattdessen hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Ich wusste nicht, wie ich es Papa erklären sollte, dass ich Mist gebaut hatte. Sollte ich es ihm überhaupt erzählen? Oder sollte ich es einfach so aussehen lassen, dass Lissy generell so unverschämt war? Ich entschied mich für die letzte Variante. Sie schien mir am Besten. Sie ließ mir die Zeit die ich brauchte, um den Mut aufzubringen mit Papa darüber zu reden. Gott sei Dankhatte er noch keine Veränderung an unserem Verhalten bemerkt. Anscheinend hielt er es für eine ganz normale pubertäre Phase. ER wurde von Treffen zu Treffen immer glücklicher. Er machte mir sogar ein lang ersehntes Geschenk. Eines Mittags kam er mit einem Hund im Arm von der Arbeit zurück. Es war ein Australien Shepherd, den ich mir schon seit Ewigkeiten gewünscht hatte. Für einen Moment vergaß ich Lissy und unseren Krieg, während ich mit Marley spielte. Doch ich wurde immer wieder daran erinnert, wenn Papa mir sagte, wie toll er es von mir fand, dass ich mit ihr geredet hatte. Er dachte, es wäre alles wieder in Ordnung. Doch das war es nicht. Ich denke, ich hätte es ihm früher sagen sollen, denn nur deshalb trafen unsere Eltern diese Entscheidung. Hätten sie gewusst, was auf sie zukommen würde, hätten sie das denke ich, nicht gemacht.

„Ihr wollt was?“ rief ich mit hysterischer Stimme. „Mama, bitte sag mir, dass du mich gerade auf den Arm nimmst.“ Nein, ihr Blick war so ehrlich und gequält. Sie meinte es ernst. Sie wollte meine Zustimmung. Aber das durfte sie nicht tun! Bitte nicht. „Ich meine das vollkommen ernst, Lissy. Lass es uns doch wenigstens versuchen! Wenn es nicht funktioniert, können wir es immer noch rückgängig machen. Versprochen!“ sagte sie beschwichtigend. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich das nicht wollte. Sonst würde ich ihre Beziehung gefährden, wie Jessica schon angedeutet hatte. Ich hasste es, wenn sie Recht hatte. Also musste ich wohl oder übel zustimmen. „Ja, ok. Mir egal.“ Gab ich nach. „Oh, danke, Lissy!“ sie strahlte mich an und umarmte mich. „Ich hab dich lieb.“ Flüsterte sie. „Hm…“ erwiderte ich und löste mich aus ihrer Umarmung. „Und wo wird Jessica dann wohnen?“ fragte ich vorsichtig. „ich dachte, vielleicht könnte sie in deinem Zimmer…“ ihre Stimme brach ab. „Nein! Mama, nein! Bitte! Tu mir das nicht an!“ erschrocken riss ich die Augen auf und wich einen Schritt zurück. „Lissy, jetzt reicht’s! Du übertreibst! Du machst ja fast so, als wäre sie ein schreckliches Monster!“Oh. sie wusste gar nicht wie recht sie hatte. Jessica war ein Monster. Ein Monster mit riesigen Klauen, mit denen sie sich alles unter den Nagel riss. Im wahrsten Sinne des Wortes! „Du hast ja keine Ahnung…“ murmelte ich. Das reichte meiner Mutter. „Du beherrschst dich jetzt und akzeptierst es oder ich muss dich rauswerfen! So geht das hier ja wohl nicht. Das andere ging ja noch gerade so. Aber das, Lissy, geht eindeutig zu weit!“schrie sie. Der Schmerz saß tief. Sie war bereit mich aus dem Haus zu werfen, weil sie wollte, dass mein Vater und meine Zwillingsschwester hier einzogen, die sich 13 Jahre lang nicht gemeldet hatten. Ich war enttäuscht von meiner Mutter. Das hätte ich ihr nicht zugetraut. „Dann macht doch alle was ihr wollt!“ schrie ich und rannte in mein Zimmer. Tränen rannen über mein Gesicht. Das war so unfair. Ich knallte die Zimmertür hinter mir zu und schloss ab. Ich wollte niemanden sehen. Schwer atmend stand ich in meinem Zimmer. Ich war wütend und verzweifelt. Was sollte ich nun tun? Ich wollte schreien, doch meine Stimme wurde von den Tränen erstickt. Ich schnappte mir eine Zeitschrift und warf sie quer durchs Zimmer. Verzweifelt sank ich an der Tür zu Boden und weinte. Hemmungslos. Sie wusste ja gar nicht, was sie mir damit angetan hatte. Und sie wusste auch nicht, dass das die schlimmste Entscheidung war, die sie in der Situation treffen konnte.

Ich wollte gar nicht daran denken, was wohl passieren würde, wenn sie das wirklich durchziehen würden. Lissy und ich in einem Zimmer! Das gäbe bestimmt Tote! Ich hatte Angst. Am Ende würden wir uns so in diesen Krieg vertiefen, dass wir am Schluss vergessen würden, warum wir das taten. Ich wusste es jetzt schon nicht mehr. Papa sah so glücklich aus, als er es mir erzählt hatte. Mein Herz schien für eine kleine Ewigkeit still zu stehen, aber er merkte es nicht. Das hoffte ich zumindest. Ich wollte nicht, dass er mitbekam, wie sehr ich mich dagegen streubte mit ihm zu kommen. In solchen Fällen haben Scheidungskinder ja immer die Möglichkeit zum anderen Elternteil zu ziehen. Aber das war in meinem Fall völlig sinnlos. Ich wusste aber auch, dass es Lissy damit nicht besser ging. Vielleicht würden wir uns durch das gemeinsame Zimmer besser kennenlernen und uns dann besser verstehen können. Aber ich wusste, dass das eher unwahrscheinlich war. MIr war nicht bewusst, dass es noch schlimmer werden würde, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich stand zusammen mit Papa an der Straße und wartete auf den Umzugswagen, der uns zu unserem neuen Zuhause bringen würde. Am Tag zuvor war mein letzter Tag auf meiner alten Schule gewesen. Sie war zu weit weg, um sie noch weiter besuchen zu können. Es tat mir so weh, weil ich dort meine Freunde hatte, die ich jetzt alle verlassen musste. Es bedeutete aber auch, dass ich jetzt mit Lissy auf eine Schule gehen würde. Ich sagte mir dauernd, dass alles nicht so schlimm war, aber es gelang mir nicht, auch daran zu glauben. Endlich war der Umzugswagen da und wir verfrachteten unsere wenigen Sachen in das riesige Fahrzeug. Noch ein Mal sah ich zurück zu unserer kleinen Wohnung, in der ich 13 Jahre lang gelebt hatte. Ich wollte nicht weg. Ich dachte daran wegzurennen, aber das wäre feige. Außerdem würde Papa mich dann für einen Feigling halten. Er freute sich total darauf, und ich konnte es ihm nicht kaputt machen. Schweigend kamen wir unserem neuen Zuhause immer näher und schließlich waren wir da. Wieso ging die Zeit nur so schnell vorbei. Papa zückte einen Schlüssel und sperrte die Tür auf. Oh mein Gott, er hatte schon einen Schlüssel! Wir mussten hier wohnen. Im Hausflur wurden wir schon von Lissy und Mama erwartet. Lissy sah müde und kaputt aus. Gar nicht wie ich sie kenne. Für sie war die ganze Sache wahrscheinlich noch schlimmer, als für mich. Sie musste ihr Zimmer hergeben, sie musste nun ihre Mutter teilen, für sie war nichts mehr wie vorher. Für mich aber auch nicht. Daran mussten wir uns jetzt endlich gewöhnen. Wir wurden jetzt behandelt, als wären wir nie getrennt worden. Es war so, als wäre man auf einmal ein völlig anderer Mensch.

Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich wollte es ausnutzen, noch ein letztes Mal ohne eine Fremde in meinem Zimmer, in meinem Zimmer zu sein. Meine Mutter lief den ganzen letzten Tag fröhlich singend durchs Haus. Es war nicht zum aushalten gewesen. Manchmal denke ich wirklich, was ich in meinem leben falsch gemacht habe, dass ich so etwas verdient hätte. Und dann kamen sie. Mit ihren wenigen Sachen in ihrem riesigen Umzugswagen. Mein Got, sind das Angeber. Der einzigste Trost dabei war, dass Jessica genauso müde und unglücklich aussah, wie ich. Ich wusste, dass es eine harte Zeit werden würde, aber ich wusste auch, dass ich das nicht einfach auf mir sitzen lassen konnte. ich musste etwas dagegen unternehmen. Ich wusste, ich konnte es, aber ich hatte Bedenken. Bedenken, dass sich unsere Eltern wieder trennen würden, Bedenken, dass sie dann alles mir in die Schuhe schieben würden. Als sie unser Haus betraten, kochte ich vor Wut. Sie würde mir meine Mutter, mein Haus und vielleicht auch meine Freunde wegnehmen. Aber ich nahm mir vor, in der Schule am nächsten Tag alles rauszulassen, was ich mir zu Hause nicht leisten konnte. Sonst würde ich wahrscheinlich keine bessere Gelegenheit finden. Doch vielleicht würde sich die Situaton durch das Zusammenleben verbessern. Ich glaubte aber schon fast nicht daran. Ehrlich gesagt hatte ich an diesem Abend Angst vor dem nächsten Tag. Ob Jessica die Gelegenheit beim Schopfe packen wollte, um mich fertig zu machen? Ich wusste es nicht, deshalb wollte ich mich ein bisschen ablenken und hielt ein ausgedehntes Telefonat mit Tom. Er war der Einzigste, der mich verstand.

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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2010

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