Es war kalt. Seit Jahren war es im Dezember nicht mehr so eisig. Selina war froh, als sie die Tür ihrer Zweizimmerwohnung aufschloss. Sie schmiss ihren Mantel auf den zerschlissenen Sessel. Die Stiefel flogen durch die Luft und landeten mit lauten Tack mitten im Wohnzimmer. Die Jeans, der dicke rosa Pulli folgten.
Sie schnappte sich die Jogginghose, die immer noch auf der Couch rumgammelte. Mit einem Job hatte es schon wieder nicht geklappt. Sie war am Ende und hatte keine Lust mehr. Seit über einem Jahr bekam sie immer wieder Absagen. Sie hasste es. Das einzige, was ihr noch half, war Bewegung und schwitzen. Sie schnappte ihre Sportschuhe, hangelte nach der Jacke, knallte die Tür ins Schloss und lief einfach los. Die Straße entlang, über die kleine Brücke, Richtung Feld.
Sie rannte bis zum Ende des Viertels, wo dann der betonierte Feldweg anfing. Es dämmerte schon, als Selina am letzten Haus ankam. Beinahe hätte sie eine Frau im schwarzen Mantel umgerannt, die etwas in die graue Tonne warf. Selina murmelte ein sorry, und joggte weiter. Nach einer halben Stunde kam sie wieder bei der Mülltonne an. Plötzlich hörte sie ein leises Wimmern, das aus dieser Tonne kam. Sie knipste die kleine Taschenlampe an und leuchtete hinein.
Da zappelte etwas, in einer Papiertüte, nackt, grau, mit geschlossenen Augen. Sie hangelte nach der Tüte. Es war ein Katzenbaby, es schien gerade erst geboren. Wütend dachte sie an die Frau im schwarzen Mantel. Zuhause holte sie eine warme Decke, packte das Katzenbaby darin ein. Was sollte sie jetzt tun, sie hatte überhaupt keine Erfahrung mit Tierbabys. Eigentlich war sie kein Katzenmensch. Sie fand Katzen zwar niedlich, aber hätte sich nie eine angeschafft. Die Katze fing an zu jammern. Instinktiv nahm sie das Tier samt Decke hoch. Bestimmt hatte es Hunger. Selina hatte Angst, das kleine Wesen anzufassen. Es war so winzig, nackt und sie fand es hässlich. Sie brauchte Hilfe. Ihre Freundin hatte auch Katzen. Sie rief sie an.
Eine halbe Stunde später schob sich ihre wuchtige Gestalt durch den Türrahmen. Sie schüttelte ihren karottenfarbigen, lockigen Kopf. Karo studierte Jura. Und für diese Tierquälerei plädierte sie auf mindestens zehn Jahre. Karo nahm die Katze hoch, entsetzt kreischte sie "Das arme Tier, ist ja ganz kalt!" Sie hieß mich eine Wärmflasche zu machen. Karo machte in einer kleinen Flasche Milch warm. Selina sah neugierig zu, wie das Kätzchen gierig an der Flasche saugte. Trotz, dass sie kein Katzenmensch war, berührte sie diese Szene.
Selina holte den großen Einkaufskorb, legte die Wärmflasche, ein weiches Kissen und eine Decke hinein. Als das Baby fertig war mit Trinken und im warmen Korb lag, schlief es zufrieden ein. Bei einer Tasse Kaffee gab Karo ihr noch ein paar Tipps. Danach machte sie sich auf den Heimweg. Es war ein seltsames Gefühl, mit der Katze alleine zu sein. Sie war müde, und es war schon weit nach Mitternacht. Sie ließ den Korb in der Küche stehen. Wälzte sich in ihrem Bett hin und her, bis sie sich dann doch entschloss, den Korb zu holen. Das leise Schnaufen der Katze wirkte beruhigend, und sie schlief ein.
Zwei Stunden später weckte sie ein lautes Jaulen. Erschrocken und gereizt machte sie das Licht und schaute die Katze grimmig an. Widerwillig hob sie sie hoch, dabei griff sie in eine nasse, stinkende Decke. "IIIH!" schrie sie, ging ins Bad und holte ein paar saubere Handtücher. In der Flasche war noch ein Rest Milch.
So ging es wochenlang. Das kleine Tier hielt sie den ganzen Tag auf Trab. Nach drei Tagen öffnete die Katze die Augen, sie waren blau. Selina fand es sensationell. Nach zwei Wochen bekam die Katze ihren ersten schwarzen Flaum. Es sah süß aus. Wacklig tapste sie ihr überall hinterher. Sie wuchs erstaunlich schnell. Selina taufte sie Roxanne, denn irgendwie hatte die Katze einen Hauch von Mystik, fand sie.
Mittlerweile war die Katze ein halbes Jahr alt. Sie hatte sich gut entwickelt. War verspielt, schlau und eine Schönheit geworden. Selina fand das Leben wieder schön. Eins stand für sie fest, sie würde Roxanne nie wieder hergeben. Sie liebte sie innig. Das hätte sie vor einem halben Jahr nicht gedacht, dass ein Tag ihr ganzes Leben verändern würde.
M.S.
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Tag der Veröffentlichung: 20.02.2010
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