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Nur er kann es wissen



Er sieht mich an und sein Lächeln wirkt echt. „Niemand weiß, was Sie hier auf dem Friedhof immer leisten“, sagt er mit einem Augenzwinkern, „aber das, was Sie hier tun, ist großartig!“
„Oh, Sie wissen warum ich jeden Tag hier bin?“, frage ich erstaunt und hatte immer gedacht, dass ich unbemerkt die Streunerkatzen füttern würde. Tja, da sieht man mal, wie man sich täuschen kann. Wenn ich gelegentlich Gräber pflege, sehe ich die Katzenbande leider nur selten. Die Grufftis, wie ich sie liebevoll nenne, verstecken sich dann immer vor den Besuchern. Zu oft wurden die Katzen schon verjagt, weil sie auf der Suche nach Mäusen ein Loch in die Bepflanzung gegraben hatten.
Noch immer fließt das Wasser in meine Gießkanne. Unsere Stadt geizt mit neuen Hähnen und man steht ewig, bis man den Blumen ihr Lebenselixier bringen kann. Aber oft ergibt sich gerade darum, an einer der zahlreichen Zapfstellen, ein Gespräch. Man hat ja Zeit.
Noch immer beobachtet er mich.
Fast kommt er mir nach diesen wenigen Minuten vertraut vor. Ob er bei uns in der Straße wohnt? Oder er ist Mitglied im Gesangverein meines Vaters.
„Ich kannte Ihre Mutter gut“, meint er, als ich gerade mit meiner nassen Hand den Hahn zudrehe.
„Sie lebt doch noch!“ Meine Stimme klang bestimmt zu hart. Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass meine Mutter putzmunter ist! Doch der Mann schmunzelt nur über meine heftige Reaktion.
„Ich weiß, dass sie noch sehr lebendig ist“, sagt er. „Eine wunderbare Frau. So wie Sie!“ Als ich rot werde und mich rasch bedanke fügt er hinzu: „Grüßen Sie sie bitte ganz herzlich von mir und ich wünsche ihnen Beiden noch ein langes und gesundes Leben!“
Er geht. Bevor er völlig hinter der nächsten Abzweigung verschwindet rufe ich ihm noch hinterher: „Von wem soll ich meine Mutter grüßen - wie ist Ihr Name?“
„Friedrich Stern!“, verstehe ich nur schwach. Er winkt noch einmal und ist im nächsten Augenblick von der Pflanzen-
welt verdeckt.
Sein Name kommt mir bekannt vor. Woher kenne ich ihn?, frage ich mich, während ich die volle Gießkanne zu dem Grab schleppe.
Ich wechsle den Tragarm.
Wasser tropft auf meine Arbeitsschuhe und dringt in sie ein. Auf einer neuen Arbeitsstelle würde ich mit Sicherheit als erstes neue Sicherheitsschuhe bekommen, überlege ich und wünschte meine Arbeitslosigkeit sei endlich Schnee von gestern. Eine Gärtnerin ohne Job ist wie ein Fischer ohne Boot. Doch zum Glück weiß ich mich zu beschäftigen. Gräber zum Pflegen gibt es ja zu hauf und so kommt nie Langeweile auf! Ein literarischer Reim, denke ich grinsend und setze die Gießkanne zum Verschnaufen vor dem Grab ab. Die von mir frisch gepflanzten Geranien recken sich dem kühlem Nass entgegen und bekommen, als mir vor Schreck die Gießkanne auf die Umrandung fällt, eine volle Dusche ab.
Auf dem Grabstein steht ein Name. Doch mir wird ganz anders, denn der Name des Mannes, dessen Grab ich aus Langeweile hier umsonst pflege ist Friedrich, mit Nach-
namen Stern. Eine meiner Streunerkatzen lugt vorsichtig um den Grabstein.
Ein schneeweißer Schmetterling verschwindet in ihr Maul. Wenigstens sie scheint wirklich lebendig zu sein.

Impressum

Texte: Alle Rechte an der Geschichte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für jeden, der die Ruhe auf dem Friedhof liebt

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