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Der letzte Versuch

Sie werden es nicht glauben, heute findet mein letzter Versuch statt. Susie, habe ich zu mir selbst gesagt, wenn es heute nicht klappt, schwörst du der Männerwelt ein für alle Male ab.
Mein homosexueller Busenfreund Uwe hilft mir beim Auswählen der Kleidung, nicht zu aufdringlich, auch nicht hochgeschlossen sollte es sein, aber schon ein bisschen sexy. Die schicke weiße Bluse mit dem tiefen Ausschnitt und dazu eine sportliche Jeans. Das kommt immer gut an. Bloß nicht zu lotterig, auch nicht zu leger und mit Esoterik-Klamotten brauchst du erst gar nicht ankommen. Ich hoffe, dass ich vor Aufregung nicht so sehr schwitze, denn heute gehe ich das erste Mal zum Speed-Dating.

Sie hören richtig, ich werde die Gelegenheit haben, zehn Männer in der Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren innerhalb kürzester Zeit kennen zu lernen. Jeder bekommt genau drei Minuten Redezeit, um sich von seiner Schokoladenseite zu zeigen und den anderen zu begutachten.
„Du siehst Spitze aus“, sagt Uwe an der Tür. Küsschen links, Küsschen rechts.
„Sieh es einfach als Spiel an“, ruft er mir ins Treppenhaus nach. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“
Der hat gut reden. Mein Herz schlägt bis zum Hals und mein Puls rast.

In den letzten vier Jahren habe ich wahrlich eine Menge durchgemacht. Ich kenne sämtliche Single-Portale im Internet. Tatsächlich habe ich mit allen SuperLarries, TollenHechten und sonstigen Chameuren Berlins gechattet, geflirtet und geweint, wenn die Sache wieder im Sande verlief. Ich hatte so viele Blind-Dates, die in die Hose gingen, dass ich wirklich mal eine zeitlang in Erwägung zog, mir tatsächlich die Augen ausstechen zu lassen, nur um den ganzen gepiercten Glatzköpfen, den Pickelgesichtern oder den sabbernden Fettklösse nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. Dann kamen die Single-Parties: „Fisch sucht Fahrrad“ etc., alles ganz locker, ganz easy dort. Von wegen! Kaum bist du durch die Tür, wirst du von allen herumstehenden Männern wie ein Stück Kotelett in der Frischetheke gescannt und entweder gleich zurückgeworfen oder auf eine gedankliche Nicht-jetzt-aber-später-vielleicht-kommt-ja-noch-was-Besseres Liste gesetzt.
Meine Freundin Ulrike meinte auf einer solchen Party mal: „Hier stinkts nach Beziehungsangst!“
Womit sie wohl Recht hatte.

Ulrike kann mir heute Abend leider nicht beistehen. Umso nervöser bin ich, als ich das nette Lokal in der Uhlandstraße betrete. Ein Ober reicht mir sogleich ein Glas Sekt, was ich sehr aufmerksam von der Geschäftsleitung finde, denn Alkohol lockert ja bekanntlich die Zunge. Die Herrschaften – 10 Frauen, 9 Männer und eine Gesellschafterin – stehen alle locker in dem Lokal verteilt. Man wartet wohl noch auf den 10. Mann? Ich überlege gerade, ob man wohl seine Geld zurückbekommt, wenn man einfach wegrennt, als ein kleines Glöckchen läutet.
„Also, liebe Herrschaften“, die junge Gesellschafterin, die sich als Bettina vorstellt, ist höchstens Mitte zwanzig und hat ein süffisantes Lächeln auf den Lippen. Vermutlich wird sie sich heute Abend mit ihrem Freund im Bett köstlich über uns alternde Singles lustig machen.
„Wir kommen nun zu dem Grund, aus dem wir eigentlich hier sind“, sie lacht glockenhell. Die Anderen finden das wohl nicht ganz so lustig – die Spannung im Raum ist zum zerreißen. Auch ich beginne langsam zu schwitzen. Gleich, gleich muss ich mich an einen der Tische setzen und Fragen von einem Wildfremden bezüglich meines Privatlebens über mich ergehen lassen. Von jeher habe ich Prüfungsangst, die sich jetzt ins Unermessliche steigert, deshalb suche ich verzweifelt nach dem Notausgang.
„Wenn das Glöckchen läutet, setzen sich alle an einen Tisch. Natürlich nur Mann und Frau zusammen“, HaHa - es ist so lustig: „Wenn das Glöckchen ein weiteres Mal klingt, setzten sich - nur die Damen bitte - , einen Tisch weiter nach rechts von ihnen usw.. Alles verstanden?“ Bettina klatscht begeistert in die Hände.
In den Gesichtern der anderen sehe ich eine Mischung aus schierer Verzweiflung und Panik. Denken sie so wie ich? Ist auch für sie das hier die letzte Endstation?
„Dann los“, ruft Bettina munter und läutet mit dem Glöckchen.
Eher träge bewegen sich alle auf die Tische zu, jeder hält Ausschau nach dem attraktivsten Gesprächspartner. Nur Nr. 10 der Männer ist immer noch nicht erschienen. Deshalb drängele ich mich an Tisch Nr. 1, während eine Rothaarige mit wallenden Kleidern (Esoterik-Look!) allein an Tisch zehn strandet.

„Sie haben schöne Augen!“ Bumm, das sitzt. Tatsächlich? Mir beginnt, der erste Mann sympathisch zu werden. Marke Polizist, kurz geschnittene Haare, Schnurrbart, stramme Figur.
„Nun, wo siehst du dich denn in ca. 5 Jahren selbst?“ fragt er forsch.
Keine Ahnung? Fieberhaft überlege ich. Allein auf meiner Couch zu Hause, umringt von 25 Katzen?
„Äh, wo siehst du dich denn?“ frage ich zurück, um Zeit zu gewinnen.
„Ich hab zuerst gefragt!“ sagte er streng und zieht die Stirn kraus. Augenblicklich wird er mir unsympathisch.
„Wie heißt du eigentlich?“ frage ich.
„Ich bin der Peter und du?“
Habe ich schon erwähnt, dass man nur drei Minuten Zeit hat? Jedenfalls bin ich erleichtert, als endlich das Glöckchen läutet.

„Hi, i bin der Jens!“ jovial reicht mir der Nächste seine Bärentatze und steht sogar dabei auf.
Ah, ein echter Lausbub aus den Alpen.
„Du bist also nicht aus Berlin?“ Man tastet sich so vor.
„Nein, also, ich bin schon seit zwea Jahren hier und jetza… i moan… ma braucht halt a Mädel an seiner Seite ...“
Während seines Redeschwalls schaue ich verstohlen rüber zu Tisch 10, der immer noch halbleer und jetzt mit einer blonden Bohnenstange besetzt ist. Pfui Deibel, denke ich, wie schnell man doch zur Konkurrentin wird!
„...und nun wohn I an der Schönhauser Allee, ist ne wunderbare Gegend, auch zum Shoppen gehen, das haben die Madels doch ...“ und schon läutet das Glöckchen.
Erstaunt schüttelt er mir noch mal die Hand. Seine Augen leuchten, als ich gehe.

Das Aftershave von Mann Nr. 3 betäubt mich umgehend, als ich am Tisch Platz nehme.
„Und wie heißt du?“ sagt er und guckt dabei auf meine Brüste.
Beinahe bin ich versucht, ihm deren Namen (nämlich Tina und Betsy) zu nennen, aber das würde ihn vermutlich noch aufreizen. Die Namen entstanden übrigens bei einer durchzechten Nacht mit Uwe, wir hatten nur gelacht und rumgealbert und dann verriet er mir den Namen von seinem Ding (Karl). Im Gegenzug dazu musste ich meinen Brüsten Namen geben. Egal, wo oder wann, wenn die Namen Tina oder Betsy fallen, kommen wir fast um vor nicht endendem Gekicher.

„Ich gehe gerne Segeln, mein Boot liegt am Wannsee. Bist du denn seetauglich?“ wieder spricht der Typ nur mit meinen Brüsten.
Als ich gerade Luft für eine passende Antwort hole, klingelt das Glöckchen.
Wie schade. Inzwischen routiniert wechsle ich zum nächsten Tisch.
„Ich bin die Susie, ich bin 37 Jahre alt und in fünf Jahren sehe ich mich in Mexiko in meinem eigenen Haus am Pool liegen, derweil ein durchtrainierter Latino-Gärtner die Hecke trimmt “, platze ich heraus und setze mich.
Mein Gegenüber verzieht keine Miene, nur seine Nase kräuselt sich angewidert, die im übrigen so groß ist, dass mir gleich ein alter Spruch einfällt: An der Nase eines Mannes…
„Nur ein Scherz. Wie geht es so?“ Ich reiche ihm die Hand. Angeekelt guckt er auf meine Rechte, als hätte ich gerade vorher damit einen Hundehaufen aufgelesen.
Oh Mann, der geht wohl auch zum Lachen in den Keller.
„Und, was machst du beruflich?“ frage ich daher aus Konservationsgründen, denn Rumpelstielchen hier hat bisher noch kein Wort gesagt. Wie lang können drei Minuten sein! Ich schicke Bettina Stoßgebete: Bitte lass das Glöckchen klingeln!!!
So geht es weiter mit Tisch vier, fünf, sechs, sieben, acht. Als ich an Tisch neun sitze, habe ich sämtliche Hoffnung verloren. Gelangweilt gucke ich zu Tisch zehn rüber – der ist immer noch unbesetzt und überlege, ob ich mein Geld vom Veranstalter zurückverlangen kann und was ich anstatt der Männersuche jetzt in meiner Freizeit machen könnte. Ich würde das nachher in Ruhe mit Uwe besprechen.
Uwe, die Seele meines Haushalts (und im Übrigen die einzige Seele dort, denn ich hasse Hausarbeit), hatte sicher schon für mich die Küche aufgeräumt. Dafür bekoche ich ihn die ganze Woche und er kommt jeden Abend zum Abendbrot vorbei.

Plötzlich reißt mich ein Läuten aus meinen Gedanken, es ist aber nicht Bettinas Glöckchen, sondern die Glocke über der Tür. Eine schemenhafte Figur betritt das Lokal, leider fragt mich Nr. 9 in dem Moment:
„Und was hältst du so von One-Night-Stands?“, was mich so verblüfft, dass ich nur unter Schock das echte Glöckchenläuten wahrnehme und wie in Trance zum nächsten Tisch gehe. Und da sitzt tatsächlich plötzlich Jemand, dessen dunkler Wuschelkopf und verschmitztes Lächeln mir seltsam vertraut vorkommen.
„Du? Ja, was machst du denn hier?“ ich bin erleichtert ein vertrautes Gesicht zu sehen.
„Ich bin dir hinterher gegangen, habe einen der Teilnehmer bestochen und dich die ganze Zeit durch die Scheibe beobachtet“, er lächelt mich an.
„Aber, warum?“
„Weil ich dir schon lange was sagen will“, sagt er und nimmt meine Hände, wobei mir Böses schwant: „dass ich nämlich...eigentlich vom ersten Tag an... in dich verliebt bin“, platzt er heraus.
Ich denke an unser erstes Treffen zurück, es war der 14. August 2005 in der Hafenbar. Er, enge weiße Hose, silberglänzendes Oberteil, Goldohrring.
„Aber du bist doch schwul?“ kreische ich entsetzt.
Er lacht: „Das denkst du! Aber das war doch damals eine 70er-Jahre-Party, weißt du nicht mehr?“
Ich erinnere mich nicht, war wohl zu betrunken. Weiß nur, dass es ein toller, lustiger Abend war, mit Uwe.
„Aber ich kann nicht“, ich entziehe ihm meine Hände. Der Gedanke, unsere Freundschaft für eine Beziehung aufzugeben, macht mich fertig. Meine Gedanken rasen. Das Glöckchen läutet. Ich will aufstehen, aber Uwe hält mich fest.
Erst jetzt bemerke ich, dass es totenstill im Raum ist und uns 19 Augenpaare beobachten.
Uwe sieht mir fest in die Augen und sagt sanft: „Ich liebe dich.“
Tja, was soll ich sagen, es hat Klick gemacht und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Impressum

Texte: copyright by Silke Jochen
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2008

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