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Mann inklusive
Von Silke Jochen

Ich schwöre den Männern ab! Keine Männer mehr in meinem Leben! Nie mehr ein Mann! Immer und immer wieder wiederholte ich diese Sätze wie Mantras in meinem Kopf, denn ich verliebe mich immer in die Falschen. Es ist wie ein Fluch!

Mein Letzter war gerade weg, seine restlichen Klamotten hatte ich aus dem Fenster geworfen, denn dieses untreue A......loch hatte es nicht anders verdient, da klingelte es an der Tür.
„Ein Einschreiben für Sie! Vom Gericht – soso ...“, sagte der Postbote süffisant und wedelte mit dem Brief vor meiner Nase. Ich musste mich zurückhalten, um ihm nicht eine zu Langen. Stellvertretend für alle Männer sozusagen.
Etwas unentschlossen blieb ich mit dem Brief in der Tür stehen. Hatte mich etwa jemand verklagt? War ich irgendwo wieder mal zu keck gewesen? Schließlich siegte meine Neugier und ich riss das Kuvert auf.
Oh Gott! Meine Tante Marianne war gestorben. Zuletzt nannte sie sich ja nicht mehr Marianne, sondern Soleil (Sonne) und so war sie auch: voller Lebensenergie, dabei schrill und extravagant und war damit für die Figur des „Schwarzen Schafes“ unserer spießigen Familie prädestiniert. Meine Mutter meinte immer, jemand hätte sie als Baby in einem Körbchen vor der Haustür gefunden. Ich hatte sie immer gemocht.

Ich las weiter. Offenbar hatte sie mir ihr gesamtes Vermögen vermacht und das bestand aus einem Hausboot, das in Berlin auf der Spree lag, und ca. 50.000,00 Euro in bar.
Ich überlegte, ob sie wohl tatsächlich auf dem Hausboot gewohnt hatte? Das waren doch nur 200 km von mir entfernt, verdammt noch mal! Und ich dachte immer, sie wäre in der weiten Welt unterwegs und daher nicht greifbar. Seit Jahren hatte niemand mehr von ihr gesprochen. Und mir war sie nur als Erscheinung aus Kindertagen mit großen bunten Gewändern in Erinnerung. Sie hatte bestimmt keine Probleme mit Männern! Aber was wusste ich schon, ich hatte sie ja kaum gekannt. Eine plötzliche Trauer überflutete mich.
Jetzt würde ich nicht mehr die Möglichkeit haben, sie näher kennen zu lernen. Ja, mir war nichts weiter von ihr geblieben als vielleicht das Hausboot. In dem Brief stand, ich müsste mich innerhalb von vier Wochen entscheiden, ob ich das Erbe annähme oder nicht. Sollte ich meine Mutter anrufen und um Rat fragen? Ich hörte schon ihre gehässigen Kommentare: „Das sieht Mary ähnlich, vermacht alles dir, obwohl du nicht diejenige warst, die ständig für sie gerade stehen musstest. Grässlich! Diese Ungerechtigkeit!“
Also, ein Hausboot in Berlin - das war die Gelegenheit, mal aus dem Kaff hier rauszukommen, dachte ich mir und rief meinen Chef an, um Urlaub zu bitten.

Das Boot lag am Ufer der Spree zusammen mit einigen anderen kleinen Hausbooten. Es war nicht so groß, wie ich es mir vorgestellt hatte, lag aber idyllisch unter einer Weide, die etwas Schatten spendete und den Eindruck erweckte, als handele es sich um ein Haus mit Garten. Meine Tante hatte überall an der Reling Pflanzen aufgehängt und am Bug gab es eine gemütliche Sitzecke mit Grill. Alles schien so, als wäre sie nur mal schnell zum Einkaufen weg. Ich musste hart gegen die Tränen anschlucken.
Vom Vermögensverwalter hatte ich mir einen Schlüssel besorgt und ich bahnte mir damit einen Weg über die steile Böschung runter zum Boot, als ich plötzlich aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf dem Boot wahrnahm.
„Willkommen! Willkommen!“, rief mir ein kleiner dunkler Mann in heller Kleidung vom Bug aus zu. Er streckte mir einen Arm entgegen, und ich folgte ihm, wie ein Magnet. Was machte er auf dem Boot meiner Tante?
„Kommen Sie nur“, sagte er mit leicht rollendem Akzent. Und ich hätte ihn vielleicht für einen Inder oder Tamilen gehalten. Ich folgte ihm durch die große Glastür in den vorderen Bereich des Schiffes. Der Raum musste als Wohnzimmer gedient haben, er war rundherum verglast und mit Büchern, Zeitschriften und Papieren vollgestopft. Trotzdem wirkte er aufgeräumt und eine runde Sitzecke mit bunten Kissen lud zum Verweilen ein.
„Setzen sich. Ich hole Tee“, sagte der dunkle Mann und verschwand.
Langsam wurde ich wütend.
„Wer sind Sie? Und was machen Sie hier überhaupt?“ rief ich, aber bekam keine Antwort. Ich folgte ihm, aber er kam mir schon mit einem Tablett entgegen.
„Erst trinken Tee und beruhigen. Dann ich erzähle!“ sagte er und lächelte und zeigte mir eine Reihe großer weißer Zähne. Irgendwie gefiel er mir.
Umständlich füllte er den Tee ein und setzte sich auf die äußerste Kante der Sitzecke.
„Setzen! Setzen!“ befahl er und klopfte auf die Kissen.
Innerlich raste ich vor Wut, aber ich konnte nicht unhöflich zu ihm sein. Vielleicht war er ein Freund meiner Tante und passte auf das Boot auf? Derweil ich den Tee trank, überlegte ich trotzdem krampfhaft, wie ich ihn loswerden könnte. Heraus komplimentieren? Oder einfach über Bord werfen?

Auf der Herfahrt hatte ich mir überlegt, dass ich in Ruhe meiner Tante nachspüren und einfach vier Wochen das ungewohnte Leben auf dem Boot ausprobieren wollte, um danach weiter zu entscheiden. Und dabei konnte ich eben keinen Mann gebrauchen.
„Also, wer sind sie eigentlich? Und was haben Sie mit meiner Tante zu tun?“ fragte ich angriffslustiger als gewollt.
Er lächelte immer noch freundlich: „Ich Danny. Ich bin Hausboy von Tante.“
„Wie meinen Sie?“
„Ich HAUSBOY!“, sagte er überdeutlich. „Mache Essen, räume auf, koche Tee.“
„Aha, und was verdienen Sie hier?“
Er guckte mich verständnislos an.
„Wie viel Geld bekamen Sie von meiner Tante? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich bin die Erbin von dem Boot hier und ich brauche keinen Hausboy!“
„Ich Geschenk von Tante!“ sagte er bestimmt und mir entging nicht das kurze schalkhafte Aufblitzen in seinen Augen, derweil seine Miene ganz ernst blieb.
„Geschenk für dich!“, jetzt kam er richtig in Fahrt. „Sie sterben, sie sagen, Danny, du arbeiten weiter für meine ... wie sagt man ...?“
„Nichte!“
„Ja, NICHTE, du arbeiten weiter für sie bis an Lebensende ...“, jetzt lächelte er charmant und zeigte wieder seine Zähne. Mir brach der kalte Schweiß aus.
„Was? Aber ich brauche Niemanden! Sagen sie einfach, was sie bekommen und dann lassen sie mich bitte alleine!“
„AHHH, Tante wusste, Sie sagen das“, er klatschte in die Hände und freute sich, wie ein Kind. Mir ging er mächtig auf die Nerven und mir wurde schnell klar, dass er anhänglicher als eine Klette war. Aber da war noch etwas anderes, etwas undurchschaubares, Geheimnisvolles an ihm.
„Ich führe dich am Besten einmal um Boot“, er stand auf und nahm das Tablett mit. Ich folgte ihm in eine winzige Küche mit Herd und Spüle. Dann gingen wir durch einen schmalen Gang und kamen an der eigentlichen Eingangstür vorbei. Das Schloss war irgendwie verdreht und sah herausgebrochen aus. Bevor ich Danny danach fragen konnte, war er schon in dem nächsten Raum verschwunden, offenbar das Schlafzimmer. Er zeigte auf die Decke über dem Bett. Wenn man lag, konnte man durch ein Glasdach direkt in den Himmel schauen. Das gefiel mir sehr und einen Augenblick hatte ich das Gefühl, als musterte mich Danny sehr intensiv von der Seite. Als ich hinschaute, guckte er schnell weg.
Dann führte er mich in ein kleines Bad mit Dusche und dann unter Deck.
„Hier wohnen Danny!“ sagte er stolz.
Ich musste mich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Sein „Zimmer“ war nicht mehr als eine kleine Nische mit Matratze. Sofort tat Danny mir leid, denn er lebte hier, wie ein Sklave aus einem anderen Jahrhundert. Das passte überhaupt nicht zu meiner immer liberal eingestellten Tante!
„Ist alles Maschinen, für Wasser, Heizung ...“, er zeigte rundherum.
Wenn alle Maschinen liefen, konnte es hier unten sicherlich richtig laut werden, dachte ich.
„So, Danny macht jetzt Schlafen. Sie rufen, wenn Sie brauchen“, sagte er bestimmt und schmiss mich aus seiner Kammer. Benommen torkelte ich die Treppe zum Oberdeck hinauf. Das war es also, der letzte Wohnort meiner Tante. Ich stand wieder vor dem Bett und überlegte einen Augenblick, ob meine Tante und Danny wohl jemals hier...? Nein, ich verwarf den Gedanken schnell wieder, dass wäre, als würde man sich eine Orchidee mit einem Grashalm vorstellen.
Und den Grashalm wieder loszuwerden, würde eine harte Nuss werden, dachte ich.
Ob er wirklich ein Geschenk meiner Tante war? Irgendwie hätte sie mir doch vorher Bescheid geben müssen, oder? Menschen verschenkte man doch nicht einfach so? Und wann hatte sie überhaupt beschlossen, mich als Alleinerbin einzusetzen? Wusste sie, dass sie sterben würde? War sie sehr krank? Warum war sie in Berlin gelandet und hatte sich nicht einmal bei mir gemeldet?
Ich hatte so viele Fragen und mir wurde plötzlich klar, dass vielleicht der Einzige, der darauf eine Antwort wusste, Danny war. Am Liebsten hätte ich ihn gleich gerufen, wollte ihn aber nicht beim Nickerchen stören und beschloss, ein wenig herumzustöbern.

Und so verging die Zeit. Ich fand etliche nichtssagende Aufzeichnungen, alte Hefte, Bücher – aber komischerweise keine sonstigen persönlichen Dinge meiner Tante. Ich sortierte haufenweise Kleidung, kitschige Andenken und Sammlungen von Kochrezepten aus. Und Danny kochte exotische Gerichte, machte Tee und räumte auf. Ja, er reparierte sogar das Türschloss und zuckte nur mit den Achseln, als ich ihn nach einer Erklärung fragte. Abends ermunterte er mich, über meine Kindheit zu reden. Und ich mochte ihn von Tag zu Tag mehr. Meine innere Stimme, die mich immer wieder an meinen Vorsatz erinnerte, mich nie mehr mit Männern einzulassen, verdrängte ich gekonnt. Danny gefiel mir eben, konnte gut zuhören und machte keinerlei Annäherungsversuche.
Ehe ich mich versah, waren drei Wochen vergangen. Die Zeit drängte, ich musste entscheiden, was weiter zu tun sei.
„Danny! Wir müssen reden. Kannst du mal bitte kommen?“
„Keine Zeit zu reden, muss aufräumen!“
Es waren genau diese Antworten, die mich wütend machten. Er konnte zwar gut zuhören, aber auf meine Fragen antwortete er immer ausweichend.
„Danny!“ ich schrie fast. „Es geht darum, wie lange du noch hier bleiben kannst!“
Keine Antwort. Ich sprach mit der Wand.
„Danny!“ ich lief ihm hinterher.
„Ich immer hier bleiben, Missu Anna. Ich Geschenk von Tante zu Nichte. Geschenk kann man nicht zurückgeben!“
Er hatte ja auch Recht und ich wollte ihm nicht weh tun, aber ich wusste immer noch nichts Genaueres über ihn. Vielleicht wurde er politisch verfolgt? Vielleicht wurde seine ganze Familie ermordet? Vielleicht mochte ihn meine Tante so gerne, dass sie mir auch was Gutes tun wollte?
„Ich werde nicht auf dem Boot bleiben, Danny und du auch nicht!“
Er horchte das erste Mal auf.
„Wieso Missu? Ist schönes Boot. Guter Ort zu leben. Tante konnte hier leben. Du können hier leben! Was soll aus Danny werden?“ seine Stimme überschlug sich fast.
„Ich weiß nicht. Ich werde das Boot wohl verkaufen.“ Ich wollte nur sehen, wie er reagierte, ich wollte ihn aus der Reserve locken, ihn wütend machen.
Aber er verzog nur traurig das Gesicht und ich stellte erschrocken fest, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Ein Mann, der weinte?
„Vielleicht verkaufe ich es“, sagte ich deshalb schnell. „Es steht noch nicht 100-prozentig fest.“
Sofort hellte sich seine Miene wieder auf. Machte er mir was vor? Warum war es so schwer für mich, ihn direkt nach seinem Leben zu fragen? Vielleicht, weil er es mir die ganze Zeit nur Recht machen wollte und mich umsorgte, wie kein anderer Mann zuvor?
„Woher kanntest du eigentlich meine Tante?“
„Ich mache Tee“, er sprang auf. Oder lag es daran, dass er der Meister des Ausweichens war?

Später genoss ich den Sonnenuntergang. Das erste Mal war es warm genug, um an Deck zu grillen und ich wollte Danny bitten, für uns Fisch zu kaufen. Beim Essen wollte ich ihm mitteilen, dass ich mich entschieden hatte, auf dem Boot zu bleiben, um mich endlich von meinen Spießereltern abzunabeln und ein freies Leben, ähnlich meiner Tante, zu führen. Erschrocken stellte ich fest, dass ich mir schon jetzt ein Leben ohne Danny gar nicht mehr vorstellen konnte. Deshalb wollte ich ihn bitten, zu bleiben, wenn auch erst mal auf Probe. Ich war entschlossen und glücklich, wie selten zuvor! Also ging ich (nein, ich hüpfte), um Danny zu holen. Als ich zur Treppe kam, die Unterdeck führte, hörte ich seine aufgeregte Stimme:
„Ich kann noch nichts sagen. Die ist zäh, wie ihre Tante. Offenbar hasst sie auch alle Männer. Aber ich habe sie bald soweit! Warte nur ab. Wir gehen einmal ins Bett und dann.... Du kannst dich auf Danny verlassen! Und dann gehört das ganze Geld uns! Oh! Ich höre was, ich muss Schluss machen!“

Ich schlich leise zurück an Deck und konnte nur mühsam die Tränen unterdrücken. Er wollte also nur an mein Geld ran!
„Missu Anna traurig?“ plötzlich stand er vor mir und lächelte sein Danny-Lächeln.
„Nein, Missu Anna ist glücklich!“ am Liebsten hätte ich ihn meine Wut voll spüren lassen. Aber noch wusste ich nicht, ob er irgendwie gefährlich werden könnte.
Sein Gesicht zeigte erst Verwirrung, dann lächelte er wieder.
„Stell dir vor: mein Freund und ich, wir haben uns wieder versöhnt!“ gequält zwang ich mich zu einem Lächeln und konnte beobachten, wie Danny mühsam mit seinem Lächeln kämpfte.
„Du weißt doch, der Polizist. Hatte ich nicht schon mal von ihm erzählt?“
Langsam machte es mir Spaß, in Dannys Gesicht zu lesen.
„Du wirst verstehen“, fuhr ich fort: „dass für uns alle drei auf dem Schiff kein Platz ist, oder?“
Seine Mundwinkel gingen langsam nach unten und seine Augen verengten sich wütend. So gut er sich auch bisher verstellt hatte, an seinen Gesichtszügen musste er eindeutig noch arbeiten.
„Was soll das bedeuten!“ kreischte er fast und sprach dabei ein perfektes Deutsch.
„Du musst gehen! Und zwar sofort!“
Eine Weile fixierte er mich und ich dachte, gleich greift er sich das Grillmesser und sticht mich ab. Aber er sprang nur fluchend ans Ufer und rannte die Böschung nach oben.
Ich bin verflucht, dachte ich traurig.
Erst Wochen später räumte ich Dannys „Zimmer“ aus und fand unter seiner Matratze die Tagebücher meiner Tante.
Im letzten Buch stand, wenige Tage vor ihrem Tod geschrieben:
... Danny ist für mich zu einer Plage geworden. Ich verfluche den Tag, an dem er mich um den Finger gewickelt hat. Er hat meine Einsamkeit ausgenutzt. Seine ständigen Geldforderungen sind einfach zu viel für mich geworden. Zuletzt wollte er mich sogar heiraten! Ich habe ihn rausgeschmissen und mir in Berlin ein Hausboot gekauft. Er hat mich verfolgt und mich angefleht, ihn mitzunehmen, aber dort ist nur Platz für mich und niemanden Anderen, habe ich ihm gesagt. Zum Glück ist er gegangen...
Mir tat nur sein nächstes Opfer leid...

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Texte: Copyright by Silke Jochen
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2008

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