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Vater
Silke M. Jacob
-Kurzgeschichte-
1
„Bitte nicht...“, dringt die gebrochene Stimme an mein Ohr.
Ich zögere kurz.
Ich spüre wie mir die Tränen der Wut und Trauer über die Wangen laufen.
Doch meine Hände, die die sorgfältig gereinigte Waffe halten, zittern nicht. Ohne die geringste Abweichung halten sie auf ihr Ziel. Ich weiß, dass ich das Richtige tue, denn mein Vater hat es mich gelehrt.
Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem mein Vater mich endlich wahrnahm. Es war mein fünfter Geburtstag. Ich war mit meiner zweijährigen Schwester alleine im Haus. Es war früher Morgen und die Sonne schien schon heiß auf unser kleines Dach. Da Kadri noch immer schlief ging ich zum Fenster, kletterte auf den Schemel und schaute hinaus in den heißen Wüstensand.
Wie beinahe jeden Tag konnte ich dort draußen meinen Vater sehen. Er erteilte seinen sechs anderen Söhnen ihre Lektionen. Sie mussten lernen ihre Waffen zu zerlegen, zu reinigen und schnell wieder zusammen zu bauen.
Immer und immer wieder. Dabei predigte er ihnen ohne Unterlass, wie wichtig ein sauberer Lauf war und wie wichtig es war, sein Gewehr zu kennen. Denn diese antiquarischen Teufelsdinger aus alten Armeebeständen konnten einem bei unsachgemäßer Handhabung schnell eine Hand oder schlimmstenfalls den Kopf von den Schultern reißen.
Waren meine Brüder zu unkonzentriert, setzte es Schläge von unserem Vater. Dabei schrie er von der Wichtigkeit der Ausbildung, davon wie Onkel Abdullah samt seiner Familie auf dem Markt beim Einkaufen niedergemetzelt worden war. Er schritt vor ihnen auf und ab und zeigte auf die Narbe über seinem rechten Ohr, wo ihn als Kind, eine Kugel beinahe das Leben gekostet hätte. Allah, so sprudelte es mit verklärtem Gesicht aus ihm heraus, hatte ihm das Leben gerettet, um eine Armee zu bilden. Groß genug um uns von den Ungläubigen zu befreien. Er predigte von unserem Geburtsrecht und der Schande, die wir von unserem Land tilgen müssten. Solange bis meine Brüder, mit der fertig geladenen Waffe in der Hand stillstanden, damit Vater sie überprüfen konnte.
Heute erhielten sie ein Ziel, auf das sie mit teurer Munition schießen durften. Unsere Essensration der vergangenen drei Wochen war dafür draufgegangen. Die dünnen
Schultern meiner jungen Geschwister krümmten sich unter den schweren Waffen, Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Albi, der nur ein Jahre älter als ich selbst war bekam immer noch eine Kiste, auf die er die belastete Schulter stützen konnte.
Doch trotz aller Härte gingen sie mit Eifer daran die Weisungen zu befolgen. Voller Stolz, da Vater sie für würdig erachtete in seinem Krieg zu kämpfen.
Ja und ich, ich wollte so unbedingt dazugehören, würdig sein und wert, beachtet zu werden.
Ohne noch mal nach Kadri zu sehen, trat ich aus dem Haus. Bis heute weiß ich nicht, ob es daran lag, das ich nun fünf war, oder an der Entschlossenheit, die ich an diesem Tag zeigte, als ich allen Mut zusammen nahm und meinen Vater bat seine Waffe alleine halten zu dürfen. Jedenfalls war dies der Tag, an dem er mich ernst musterte, dann nickte und ich mein eigenes Gewehr bekam. Er hatte es schon am Tage meiner Geburt gekauft. Begierig schwor ich ihn nie zu enttäuschen und Allah zu dienen. Seinen glücklichen Gesichtsausdruck werde ich wohl nie vergessen, denn da verspürte ich erstmals wie ees ist den Vater stolz zu machen.
Sieben Jahre später brach mein bröckeliges Leben in Stücke.
An diesem unheiligen Tag hatten wir eine Versammlung der Mahiras, dehnen ich mich vor zwei Wochen angeschlossen hatte. Während ich an den Lippen von Haris hing zerstörte eine Bombe unser Haus und meine ganze Familie wurde zerfetzt. Mit einem Schlag ausgemerzt aus meinem jungen Leben. Als ich Minuten später dort ankam brannten die Mauern schon lichterloh. Ich war in diesem Moment so hilflos, so voller Hass. Doch als das Feuer aus war und ich ein paar verkohlte Leichenteile fand wurde mir bewusst, dass mir wenigstens ihre Schreie erspart geblieben waren!
Mein Gewehr hatte ich wie immer mit mir genommen und ich schwor, dass ich es keinem dieser Ungläubigen, die allesamt daran Schuld waren, verzeihen würde, was sie meiner Familie angetan hatten.
Allah hatte mich für die Rache verschont.
Heimatlos ging ich noch in der selben Nacht fort, meiner Bestimmung entgegen.
Nun zwei Monate später finde ich mich hier wieder, in diesem unbekannten Haus, dass nach Reichtum stinkt. Heute werde ich mit diesen Landesräubern und Meuchelmördern meine Rache beginnen.
„Nicht sie...“, stammelt er wieder und holt mich aus der
Vergangenheit zurück.
Ich sehe in das Gesicht dieses widerwärtigen Juden, mit seinem schon ergrauten Bart und der Angst in seinen falschen, Augen. Ich glaube darin einen Hoffnungsschimmer aufflackern zu sehen und erneuter Hass steigt in mir hoch. Dieser dreckige Bastard glaubt wohl, mich hereinlegen zu können. Ich weiß, er meint seine Frau. Sie sitzt mit den drei Bälgern eine Armlänge von ihm entfernt in der linken hinteren Ecke des Raumes. Mein Lauf zielt auf ihre Stirn. Wahrscheinlich ist ihnen Allah erschienen, denn sie schreien nicht mehr, sondern weinen nur noch still vor sich hin. Ich muss mehrfach blinzeln, denn mein Blick ist von den Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Wochen verschwommen. Salziger Schweiß brennt in meinen Augen.
Der Boden unter meinen Füßen scheint zu schwanken. Ich fixiere die Menschen vor mir um an etwas festzuhalten. Um mein Ziel nicht zu verlieren. Mein Magen verkrampft sich und mir wird übel. Mir ist, als sehe ich meine eigene Mutter, zusammen mit meinen Geschwistern dort sitzen. Sie haben solche Angst.
„Schhh...“, höre ich mich plötzlich beschwichtigend auf sie einwirken.
Ich strecke meine Linke besänftigend von mir. Plötzlich hat das Töten für mich keinen Sinn mehr, Hass und Leid kämpfen im Angesicht der Frau, die mich vor zwölf Jahren gebar. Ich möchte mich an ihre Brust legen und weinen. Einfach nur von ihren geliebten Armen festgehalten werden und Frieden finden.
Die Waffe gleitet mir aus der Hand.
„Schhhh, ist schon gut“ schluchze ich, während ich auf sie zu wanke.
Dann löst sich ein Schuss. Mir ist gar nicht klar, was da gerade passiert ist. Ich drehe mich um und verliere den Halt. Plötzlich habe ich einen brennenden Schmerz, der sich durch meinen gesamten Brustkorb zieht. Meine Beine fühlen sich dumpf an und ich sinke auf die Knie. Nur durch einen Nebel sehe ich die Waffe in der Hand des Juden. Er scheint mich anzugrinsen. Ich versuche zu atmen, aber unaufhörlich strömt Blut in meine Lungen und ich röchle, während mir mein Leben aus Mund und Herzen tropft. Aus weiter Ferne höre ich eine Frauenstimme.
„Ist das Schwein tot“?
„Schwein“, denke ich benommen.
Dann sehe ich das angewiderte Gesicht meines Vaters vor meinem geistigen Auge.
„Warum hast du gezögert? Nun bist du nicht mehr mein Sohn, du hast uns verraten“!
Meine Augen suchen in der Leere nach dem Vater.
Ein Letzter, röchelnder Versuch zu Atmen, dann sacke ich nach Hinten. Den Aufschlag spürte ich schon nicht mehr.
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2010
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