Leise öffnete ich die braune Holztür, welche ins Gästezimmer führte und blickte hinein. Gegenüber der Tür sah ich das große Doppelbett, welches mit blauem Bettzeug bezogen war. Darin lag er, schlief anscheinend und so wagte ich es, in das Zimmer zu gehen und die Tür wieder zu schließen. Es war dunkel und so trat ich zum Fenster, um die Gardinen zu öffnen und das Licht der aufgehenden Sonne hinein zu lassen. Jetzt erst konnte man die ganze Einrichtung sehen. Den Kleiderschrank gegenüber dem Fenster und den Tisch mit zwei Stühlen, der links von der Tür aus stand und auf dem eine Flasche Wasser und ein Glas standen. Ich sah zu den Fremden.
Er sah blass aus und seine dunklen Haare ließen ihn noch heller erscheinen, als er es eh schon war. Zögernd trat ich zu dem Bett und beobachtete ihn. Eigentlich gab es nicht viel zu sehen, denn noch immer waren seine Augen geschlossen und einzig allein das Heben und Senken der Bettdecke verrieten, dass er am Leben war.
Ich atmete tief durch und setzte mich auf die Bettkante. Da er eher auf der zweiten Hälfte des Bettes lag, war er weit genug von mir entfernt und ich glaubte ihn nicht zu stören. Tatsächlich regte er sich nicht einmal auffällig und ich konnte ihn weiterhin beobachten.
Ich musste hierher kommen, auch wenn es Madam, die Herrin des Hauses, verboten hatte. Dass er noch lebte war so gut, wie auch merkwürdig, denn noch nie hatte es jemand geschafft dieses Haus zu betreten, zumindest kein Mann. Hier wohnten nur junge Mädchen und Frauen. Männer, die auch nur in die Nähe kamen, waren bisher immer krank geworden oder gleich gestorben, als währen sie gegen etwas allergisch, was sich hier befand.
Doch ich kannte die Wahrheit, wusste dass es sich um einen alten Fluch handelte und so war ich umso mehr überrascht darüber, dass dieser Mann noch lebte.
Da er zumindest ohnmächtig geworden war, wussten wir weder, wer er war, noch sein Alter oder was er hier wollte. Vermutlich war er nur ein paar Jahre älter als ich. Wieder sah ich aus dem Fenster und erblickte das erste rot der Sonne. Hier ging die Sonne immer so auf. Blutrot. So blieb sie auch, bis sie am späten Abend wieder verschwand und der silberne Mond am Himmel auftauchte.
Nur aus Büchern wusste ich, dass in den anderen Teil der Welt die Sonne gelb war. so wie die Sonnenblumen, doch auch diese waren in unseren Garten rot. Es war beinahe so, als gäbe es hier kein gelb und um dem entgegen zu wirken, hatten alle Frauen hier blonde Haare.
Madam war die Einzige mit einer anderen Haarfarbe. Ihre langen Haare hatten die Farbe des Mondes.
„Auch er wird sterben.“, dachte ich und ein merkwürdiges Gefühl schlich in mir. War es Angst oder Mitgefühl. Ich wusste es nicht genau.
Schon viele Männer habe ich kommen sehen und ein paar sah ich sogar sterben. Doch wir konnten nichts daran ändern, denn sie hatten den Drachen der Dämmerung geweckt. Ein uraltes Wesen, das man zu unseren Schutz hierher gebracht hatte. Doch unsere Vorfahren, des Sonnenhauses, waren ungehorsam und so verfluchte man diesen Ort.
Dieser Fluch ist so alt, dass niemand mehr wirklich weiß, warum es tatsächlich geschah und wer uns verfluchte.
Wir waren hier gefangen und kannten oft nur diesen Ort. Selten kam eine Frau hierher und wurde vom Fluch getroffen, doch wenn dies geschah, handelte es sich immer um eine Schwangere.
Ich schaute auf den Fremden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sein Aussehen sei nicht wirklich echt. Da ich noch nie so nah an einen Mann heran kam, dachte ich, dass es daran lag. Männer waren Fremde für uns.
Erschrocken zuckte ich zusammen. Mein Anhänger, der einen Drachen darstellte, fing an zu leuchten. Ich musste von hier verschwinden, der Drache würde bald aufwachen und Madam rief nach uns, um das Futter zu ihm zu bringen.
Ich wollte gerade aufstehen, als etwas nach meiner rechten Hand griff und mich festhielt. Als ich mich umdrehte, blickte ich in die blauen Augen des Fremden. Er sah mich verwundert an, als wäre er total überrascht mich zu sehen.
„Wo bin ich hier?“, fragte er leise und sah plötzlich Hilfe suchend aus.
„Im Haus der roten Sonne! Wer bist du und was hast du hier gesucht?“, fragte ich neugierig und vergaß dabei das Rufen der Madam.
Er blieb stumm. Als ich erneut fragte antwortete er schließlich.
„Mein Name ist Michael! Ich bin vor Dieben geflüchtet und in einen Wald gelandet, in dem ich mich nicht aus kannte. Das letzte was ich noch weiß, ist das alles rot wurde und ich dann hier aufwachte!“
Er flüsterte und ich hatte das Gefühl als würde er ahnen, dass er hier eigentlich nicht erwünscht war, sich sogar in Gefahr befand.
„Was leuchtet da denn?“, fragte er dann und rief mir in Erinnerung zurück, was ich eigentlich machen sollte.
„Ich muss los!“, sagte ich nur, sprang auf und eilte zu Tür.
„Wer bist du eigentlich?“, fragte er lauter und ich bekam Angst jemand könnte uns hören. Deshalb antwortete ich auch nur, bevor ich das Zimmer verließ.
„Ich heiße Juna!“
Gerade noch rechtzeitig kam ich im Saal an, wo die anderen fünf schon warteten.
„Endlich bist du da! Ich dachte schon Madam würde vor dir hier sein! Das hätte Ärger gegeben! Wo warst du?“, fragte ein Mädchen mich. Es war Denna, die jüngste die mit gerade mal 14 für das Füttern mit zuständig war. Wir mochten uns und so wurde ich zu ihrer „großen Schwester“ und somit für ihre Ausbildung zuständig.
„Tut mir Leid, aber ich habe wohl etwas verschlafen!“, log ich. Sie nickte nur kurz und schwieg, denn im selben Augenblick kam Madam herein. Im Gegensatz zu uns, trug sie ein schwarzes Kleid, während wir sechs nur in dünnen weißen Kleidchen gehüllt waren.
„Guten Morgen!“, sagte sie freundlich und überreichte Nana, die zwei Jahre älter war als ich, ein Tablett mit vielen Früchten. Clara, die älteste von uns, reichte sie eine Flasche, die mit einer roter Flüssigkeit gefüllt war.
„Ist eine von euch heute nicht fähig unseren Drachen zu füttern?“, fragte Madam mit ernster Stimme und blickte uns alle abwechselnd an. Niemand meldete sich und so gingen wir zur Treppe, die hinab zum Keller führte. Ich blieb als letztes oben und wartete, bis die anderen verschwunden waren. Madam sah mich an und ich bekam kurz Angst. Hatte sie etwas von meinen heimlichen Besuch bei Michael bemerkt?
Zögerlich trat ich zu ihr. „Das nächste Mal kommst du aber nicht wieder als aller Letzte! Das macht doch sonst nur Fauna!“, sagte die ältere Frau und lächelte.
„Es kommt nicht wieder vor!“, sagte ich hastig.
Madam lächelte und küsste mich auf die Stirn.
„Dann ist gut und nun geh! Lass ihn nicht warten. Er freut sich schon darauf dich wieder zu sehen!“
Ich nickte und verschwand Richtung Treppe, um den anderen zu folgen. Noch gestern hätten mich diese Worte glücklich gestimmt, doch nun hatte ich ein merkwürdiges Gefühl dabei, beinahe so als würde ich jemanden betrügen.
Als ich unten ankam, waren die anderen schon längst im Salzbad, eine Quelle die Salzwasser hierher führte und badeten sich. Auch ich zog mich aus und stieg in das angenehm warme Wasser, dass der Drache mit seinen Feuer vorher erwärmt hatte.
Ich schaute durch die freien Stellen zwischen den Säulen hindurch, die bis zur Decke reichten. Es war zwar nicht gerade hell in diesen Raum, aber das Licht der Kerzen reichte, um den Drachen der Dämmerung sehen zu können.
Seine hellen Hautschuppen hoben sich von den dunklen Steinen der Wand ab und so schien er zu leuchten. Er war groß und so reichte sein Körper von einer Ecke bis zur anderen in dem neben liegenden Raum. Ruhig lag er, mit geschlossenen Augen, da und wartete darauf, dass wir herüber kommen würden. Seine Flügel, die sehr dünn waren und teilweise so zerrissen wirkten wie sprödes Papier, hatte er an seinen Körper eng angezogen, als wollte er sich damit zudecken.
Fauna und Fena, die beiden Zwillinge, standen auf und gingen aus dem Wasser. Nachdem sie sich abgetrocknet hatten, mit einen der Handtücher die auf einen großen grauen Stein lagen, zogen sie sich wieder ihre Kleider über und gingen barfuß zu den Drachen.
Nana und Clara folgten schon bald, nahmen jedoch das Tablett und die Flasche mit.
Der Drache öffnete seine Augen und hob seinen Kopf, den er bisher auf seinen vorderen Füßen hatte ruhen lassen. Seine gelben Augen leuchteten und so mancher hätte wohl die Flucht ergriffen, als er zu sprechen anfing.
„Es ist schön hier wieder jemanden zu sehen. Es langweilt mich, in diesen Gemäuer gefangen zu sein!“ Seine Stimme war tief, doch wirkte sie sanft und freundlich, wie zum Widerspruch gegenüber seinem Aussehen.
„Das tut uns Leid, Drache der Dämmerung!“, antworteten die Zwillinge, die sich nur durch ihre Augenfarbe unterschieden. Währenddessen legten die anderen Frauen das Tablett vor den Drachen und kippten die rote Flüssigkeit in einem großen Fass, das links vor dem Drachen stand und mit Wasser gefüllt war.
Es fiel ihm schwer sich zu bewegen und so dauerte es eine Weile, bis das Ungetüm auf seinen Beinen stand und zum Wasser ging, um etwas davon zu trinken. Kaum hatte er einen großen Schluck in sein Maul verschwinden lassen, floss neues Wasser aus einem silbernen Rohr, welches in der Wand darüber steckte.
Nachdem die Früchte vom Tablett verschwunden waren und die vier ausgiebig mit dem Drachen geredet hatten, verabschiedeten sie sich, kamen zurück zu Denna und mir und meinten, dass sie wieder nach oben gehen würden. Ich nickte und ging aus dem Wasser um mich abzutrocknen, was jedoch eh vergebens war. Denna folgte mir, schnappte sich einen langen Schlauch, der hinten den Felsen lag und ging zum Drachen.
Dieser blickte sie neugierig an und senkte den Kopf, als sie vor ihm stand. Zögerlich streckte sie ihre Hand aus und streichelte über die schuppige Haut, zwischen den Nüstern des Tieres.
„Du hast immer noch Angst!“, sagte ich und trat mit einen Eimer, in denen Schwämme waren, zu dem Mädchen. Sie nickte scheu und zog ihre Hand zurück.
Ich stellte den Eimer ab und streichelte den Drachen der Dämmerung, der seine Augen schloss und ein leisen knurren von sich gab, dass dem schnurren einer Katze nahe kam. Als er seine Augen wieder öffnete, stupste er meinen Körper an und gab mir so zu verstehen, dass ich mich festhalten sollte, was ich auch tat. Es tat mir zwar selbst in der Seele weh, doch ich griff nach dem kräftigsten, was für mich greifbar war; seine Ohren und lies mich auf seinen Rücken hochziehen.
Da saß ich nun, nackt, nur mit meiner Drachenkette um den Hals und gab Denna zu verstehen, dass sie den Schlauch hoch werfen sollte, was sie auch tat.
„Dann wollen wir dich mal sauber machen!“, sagte ich mit einem neckenden Unterton, stand vorsichtig auf und wartete darauf, dass Denna das Wasser anmachen würde.
Schnelle zeigte sich, warum wir zwei nicht wieder unsere Sachen angezogen hatten, denn das Wasser spritze nur so durch den sonst so kahlen Raum und ich hatte Mühe dafür zu sorgen, dass die Kerzen nicht getroffen wurden, die nur teilweise mit Glas geschützt waren.
Denna schnappte sich derweil einen der Schwämme und fing an die Krallen vom Drachen zu säubern, dem das Ganze sichtlich Spaß bereitete.
Eine halbe Stunde später musste ich nur noch die Flügel wieder abtrocknen und konnte dann, mit Hilfe des Untiers, wieder auf den Boden gelangen. Wie er jetzt so aufgerichtet vor mir stand, war er noch größer und ich reichte gerade noch so an seinen Kopf, um ihn nochmals zu streicheln.
Denna war schon längst wieder angezogen, als ich endlich im Salzbad saß und mich nun selbst säubern musste. Die Aktion hatte zwar den Drachen wieder zum strahlen gebracht, mich jedoch wie einen Dreckspatz aussehen lassen.
„Können wir gehen?“, fragte Denna als ich aus dem Wasser kam und mich abtrocknete. Ich wollte gerade sagen, dass wir dies gleich tun könnten, als der Drache sich zu Wort meldete.
„Juna? Könntest du noch etwas bleiben?“, fragte er leise und mit Wehmut in der Stimme. Da ich wusste, dass es ihm nicht gut ging, sagte ich zu.
Denna verschwand, nachdem sie das Tablett geholt hatte und ich blieb allein zurück.
Als ich, diesmal angezogen, zum Drachen ging, sah ich schon seine traurigen Augen, in denen sich Tränen bildeten.
„Was ist los alter Drache?“, fragte ich freundlich, auch wenn ich ihn mit der Bemerkung „alt“ eher neckte. Sonst hatte er immer abweisend reagiert und angefangen mir klar zu machen, dass er in Drachenjahren gar nicht so alt sei, doch diesmal seufzte er nur.
„Alter Drache? Es ist wohl war, dass ich nicht mehr das Jungtier von einst bin und so wundert es mich nicht, dass der Tod nun auch an meine Türe klopft!“
Ich erschrak über seine Worte. So deutlich hatte er es noch nie gesagt.
Es stimmte, dass es ihm nicht mehr so gut ging und ich fühlte es mehr als jeder andere in diesem Haus, dass sein Ende nahte. Doch bisher hatte er selbst es immer zu leugnen versucht.
Als ich vor ihm stand, lies er sich wieder zu Boden sinken, der teilweise noch nass war. Er sah mich durchdringend an. Plötzlich, total unerwartet, leckte er mir über mein Gesicht. Ich erschrak sehr und bekam eine Gänsehaut durch das Gefühl der rauen Zunge auf meiner Haut. So etwas mochte ich überhaupt nicht, doch bevor ich ihn tadeln konnte, entschuldigte er sich.
„Ich mag den Geruch von Salz. Tut mir Leid!“
Von mir bekam er nur ein Schweigen als Antwort. Er wusste, dass ich das nicht leiden konnte, mich sogar davor ekelte. Er schaute mich an. Ein mir bisher fremder Blick, untersuchte mich mit seinen Augen.
„Ein Mann ist im Haus!“, sagte er dann und klang überrascht und endlich wusste ich seinen Blick einzuordnen. Er war verwirrt, sogar mehr als durcheinander. Anscheinend, wusste auch er nicht, warum dieser Fremde überlebt hatte.
Ich nickte.
„Er tauchte gestern auf und brach bei uns im Haus zusammen. Madam meinte er könnte bleiben, solange bis ihn der Fluch treffen würde. Wir können das Haus nur zum Garten hin verlassen und ihn wohl kaum dort liegen lassen!“
Viel erwartete ich als Gegenreaktion, doch stattdessen wurde ich überrascht.
„Es ist gut, dass jemand die erste Mauer überwunden hat! Es bleibt nicht mehr viel Zeit!“
„Bis er stirbt?“, fragte ich und ich wusste ich würde besorgt klingen.
„Nein!“, antwortete der Drache. „Es bleibt nicht mehr viel Zeit zur Flucht!“
Es war spät am Abend, als ich endlich wieder in meinem Zimmer war und zur Ruhe kommen konnte. Den Ganzen Vormittag hatte ich bei den Drachen verbracht, was selbst Madam wunderte und sie dazu bewegte Denna zu mir zu schicken. Später erklärte ich, dass es dem Drachen nicht sehr gut ginge und er täglich länger Besuch erhalten müsste. Madam empfand es als eine gute Idee und verlängerte die Futterzeit um eine halbe Stunde. So würde er fünfmal am Tag, über eine Stunde lang, nicht alleine sein müssen.
Nachmittags suchte ich dann in der Bibliothek nach dem Buch, welches der Drache unbedingt sehen wollte. Ich fand es nicht, auch nachdem Denna ihre Hilfe anbot. Da ich ihr nicht erzählte, was ich vom Drachen erfahren hatte, dachte sie nur, ich bräuchte das Buch selbst.
Die Sonne ging unter und in meinem Zimmer wurde es immer dunkler, da ich kein Licht angemacht hatte. Ich lag auf meinem Bett und starrte zur Decke, während ich in Gedanken noch einmal hörte, was der Drache mir erzählt hatte.
„Schon bald werde ich nicht mehr kontrollieren können, was hier passiert. Wenn erst einmal das Drachenei gelegt ist, bleibt nicht mehr viel Zeit übrig, in der kein Drache im Haus ist und über den Fluch wacht.
Solange der neue Drache nicht schlüpft, der alte aber schon Tod ist, kann der Fluch nicht mehr aufrecht erhalten werden. Du bist dann frei Juna! Doch wenn du es nicht schaffst die ewig goldene Blume hierher zu bringen, so wird ein Feuer alles vernichten!“
Als ich fragte, warum wir nicht alle in der Zeit fliehen konnten, schüttelte er den Kopf und seine gelben Augen versprühten Angst. Er meinte, dass die Zeit zu kurz sei, um alle aus den Wald bringen zu können und der Abstand zwischen seinem Tod und der Geburt des neuen Drachen, immer kürzer werde, je mehr Frauen von hier verschwinden würden.
„Der neue Drache spürt nur die Leere. Wenn ihr alle das Haus verlasst, wird er aus Angst schlüpfen und der Fluch würde wieder in Kraft treten.
Nur du Juna, du und der Fremde, sollt das Haus verlassen und die goldene Blume finden. Suche das Buch der wahren Sonne! Darin steht der Weg, der zur Blume führt und so den Fluch bricht. Wenn du tust, was ich dir sage, dann habt ihr einen Tag und eine Nacht Zeit, bis der Jungdrache den Fluch verlängert und es wieder hunderte Jahre dauert, bis das Brechen vom Fluch möglich wird!“
Ich solle ihm vertrauen, hatte der alte Drache der Dämmerung gesagt und mich losgeschickt, dass Buch zu suchen, als auch schon Denna ankam. Noch war ich mir jedoch nicht ganz sicher, denn ich wusste nicht, warum der Drache uns helfen wollte. Was brachte ihn dazu, mir so etwas anzuvertrauen?
Nach einer Weile entschloss ich mich ihm zu vertrauen, sofern ich einen Beweis dafür in den Händen halten würde und so stand ich auf, schnappte mir eine Drachenlampe und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Irgendwo musste sich dieses Buch befinden, wenn die Geschichte des Drachen der Wahrheit entsprach.
Gerade, als ich den langen Flur entlang ging, in denen sich die leeren Schlafzimmer und das bisher ungenutzte Gästezimmer befanden, hörte ich einen dumpfen Knall und zuckte erschrocken zusammen. Langsam drehte ich mich einmal komplett und nutzte das Licht des Drachenfeuers, um jede dunkle Ecke besser sehen zu können. Doch ich fand nichts vor, was einen solchen Lärm hätte erklären können. Erst als jemand hustete, konnte ich den Ursprung des Geräusches zuordnen und trat vor dem, eigentlich verbotenen Zimmer. Da diese Tür über kein Schloss oder eine Verrieglung verfügte, konnte ich diese öffnen und in den Raum hinein sehen.
Das Licht der Lampe offenbarte mir eine seltsame Szene.
Michael, der schwarze Sachen trug, die ich vorher noch nie gesehen hatte und an einen Kimono erinnerten, der in einen der Bücher abgedruckt war, lag auf den Boden und hustete.
Ich trat zu ihm, stellte die Lampe neben ihn hin und bückte mich, um ihn besser sehen zu können. Er war nicht annähernd dazu in der Lage etwas zu sagen und so stand ich auf, ging zum Tisch um dort Wasser zu holen, was ich ihm entgegen streckte. Gierig trank er etwas davon und verschluckte sich fast dabei, was ihn wieder zum husten brachte. Diesmal jedoch blieb es bei einem kurzen Husten und er konnte sich endlich normal aufsetzten, ohne wie ein Embryo eingerollt herum zu liegen.
„Danke!“, sagte er dann, während ich das Glas wieder auf den Tisch stellte, auf dem auch einige Essensreste waren. Danach machte ich die Tür wieder zu, die bisher offen stand. Als ich wieder ins Licht der Lampe trat, sah er mich von oben bis unten an. Mir wurde das so peinlich, dass ich grob nach seinen Arm griff und ihn schon fast aufs Bett schleifte, was ihn sichtlich überraschte.
„Du solltest lieber hier bleiben, sonst geht es dir noch schlechter!“, sagte ich dann und klang wohl wütend und verärgert, denn er versuchte sich gleich zu erklären.
„Ich wollte nur etwas zu trinken!“
Mein Blick fiel Richtung Tisch, zu dem ich dann ging, die Flasche und das Glas nahm und beides neben seinem Bett auf einen kleinen Nachtschrank abstellte.
„Und warum hast du das nicht schon vorher gesagt? Schließlich war hier vorher schon jemand!“, meinte ich nur und deutete auf das Tablett mit den Essensresten.
„Ja, das stimmt!“, erwiderte er.
„Eine alte blinde Frau kam zweimal hierher und redete kein einziges Wort mit mir. Nur einen Zettel gab sie mir, auf dem stand, dass ich das Zimmer nicht verlassen darf, außer ins neben liegende, wo das Bad ist.“
Er deutete auf die unauffällige Tür, die sich neben den Kleiderschrank befand.
Ich schaute ihn überrascht an.
„Das war Madam!“, fing ich an zu erklären.
„Sie ist eigentlich nicht blind, doch der Fluch sorgt dafür, dass sie weder Männer, noch den Drachen der Dämmerung sehen kann!“
„Was?“, fragte Michael völlig durcheinander, als wäre er sich nicht darüber im Klaren, dass es der Wahrheit entsprach.
„Fluch? Ein Drache? Was geht hier vor? Willst du mich für blöd erklären?“, fragte er etwas gereizt.
Ich schwieg zunächst. Der Drache hatte zu mir gesagt, dass ich die Hilfe des Mannes brauchen würde, denn ich kannte nur dieses Haus, den Garten und die Welt aus den, zum Teil sehr alten, Büchern. Er musste es also erfahren, ob es mir gefiel oder nicht.
Ich atmete einmal tief durch, griff Halt suchend nach meiner Kette und fing an zu erklären.
Ich erzählte von dem ursprünglichen Besitzer des Hauses, der eine Leidenschaft für Frauen und Drachen hatte. Dann berichtete ich von der Legende, dass eine der Frauen einen fremden Mann verfiel und mit ihm verschwand und dass daraufhin ein Fluch über diesen Ort kam, der die Frauen hier festhielt und Männer tötete.
Da er mir zuhörte und nur selten dazwischen fuhr, um ein paar Fragen zu stellen, machte es mir schon bald nichts mehr aus und so erfuhr er auch von meiner Aufgabe, den Drachen zu umsorgen und von Denna, die für mich wie eine kleine Schwester war.
Schließlich erzählte ich sogar warum ich eigentlich, so spät noch, unterwegs war. Er war sehr verwundert und doch schien er gefallen an all dem gefunden zu haben und als ich, meiner Meinung nach, alles Wichtige berichtet hatte, kam er endlich wieder zu Wort.
„Suchst du das hier?“, fragte er mich, öffnete dabei die Schublade des Nachttisches und zog ein altes Buch hervor, auf dem kaum noch eine gelbe Sonne, auf dem vergilbten Hintergrund zu erkennen war.
Obwohl ich erst sehr spät wieder in mein Zimmer kam und endlich den wohlverdienten Schlaf fand, war ich rechtzeitig wach, um eigentlich beim Füttern des Drachen anwesend zu sein. Doch ich entschied mich anders zu handeln.
Madam stand gerade in der großen Küche und bereitete, zusammen mit drei anderen Frauen, die Mahlzeit für den Drachen und das Frühstück für Michael vor, als ich zu ihr ging.
„Guten Morgen Juna!“, sagten Madam und eine der Frauen fast gleichzeitig.
„Guten Morgen Flora. Guten Morgen Ma!“, antwortete ich und stellte mich neben Madam, die mich kurz tadelnd ansah.
Flora, die Mutter von Fena und Fauna lächelte, nahm das gefüllte Tablett und stellte es auf einen kleinen Tisch mit Rädern. Dann winkte sie die anderen zwei Frauen zu sich und verschwand mit ihnen aus der Küche.
„Du merkst dir wohl auch nicht gerne, wie man bestimmte Personen anspricht?“, fragte Madam, doch ihre Stimme klang dabei eher freundlich, so als würde sie mich nur ärgern wollen.
„Ich hätte dich auch bei deinen richtigen Namen nennen können!“, antwortete ich gelassen und mopste etwas von dem Frühstück, welches sie für uns vorbereitete.
Madam schwieg, legte das Messer bei Seite und stellte Schüsseln, verkehrt herum, über das Essen.
„Du weißt doch genau, dass ich diesen Namen hier nicht mehr trage!“, sagte sie schließlich, nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte und neben mir stand. Ich nickte.
„Heute gehe ich erst später zum Drachen!“, fuhr es einfach so aus mir heraus.
Madam schaute mich verwundert an.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie und schaute mich durchdringend an.
„Ich dachte nur, dass es an der Zeit sei, dass sich Denna mehr traut. Wenn ich dabei bin, dann ist sie noch sehr ängstlich und traut sich kaum den Drachen zu berühren.
Da sie aber meine Aufgabe machen soll, sofern ich nicht kann, müsste sie doch schon einmal allein die Führung übernommen haben!“, erklärte ich.
Madam, die für mich wie eine Mutter war, atmete erleichtert auf.
Als ich damals ins Haus gelangte, auf merkwürdigem Wege, nahm sie mich auf und adoptierte mich. Seit dem waren wir Mutter und Tochter. Wir verstanden uns so gut, dass sie mir sogar ihren richtigen Namen verriet; Hanna.
„Das ist eine gute Idee! Aber sorge dafür, dass die anderen darauf vorbereitet sind. Nicht dass sie einfach die Flucht ergreift!“, antwortete Madam schließlich und zwinkerte mir zu.
„Das habe ich schon getan!“, meinte ich nur, während Madam ein kleines Tablett nahm, was für Michael gedeckt worden war und das Zimmer verließ.
Ich folgte ihr noch ein Stück, bis sie meinte, dass ich die anderen runter schicken solle.
Da ich wusste, wo sich alles befand, tat ich worum ich gebeten wurde und ging zurück zur Küche.
Eine halbe Stunde, nachdem Denna und die anderen wieder oben waren, entschloss ich mich nach unten zum Drachen zu gehen. Ich schnappte mir das Buch, welches Michael durch Zufall im Gästezimmer gefunden hatte, wickelte es in Stoff ein, nahm ein weiteres Buch und trat aus dem Zimmer. Kaum hatte ich ein paar Schritte gemacht, stand auch schon Denna da und grinste mich freudestrahlend an.
„Ich habe mich getraut!“, sagte sie dann.
„Es war gar nicht so schlimm! Der Drache war ganz nett und ich konnte ihn sogar Obst ins Maul legen!“, fügte Denna hinzu.
„Das freut mich!“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Ich habe dir schon oft gesagt, dass er knorriger aussieht und mächtiger, als er eigentlich ist. Er ist auch nur ein Tier, was gute und schlechte Tage hat!“
Denna nickte und schaute dann auf das Buch, welches ich über das Bündel gelegt hatte.
„Was willst du damit?“
„Der Drache möchte etwas vorgelesen bekommen!“
„>>Drachengeschichten<<?“, las Denna von dem Buchdeckel ab.
„Passt doch!“, antwortete ich und lächelte sie an, während ich versuchte nicht merkwürdig zu wirken. Ich hatte keine Lust darauf das Buch zu verlieren, nachdem es gerade erst aufgetaucht war. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass es jemand in diesem Haus gab, der nicht wollte, dass ich diese Seiten im Besitz hatte.
Als Denna endlich wieder gegangen war, trat ich ins dunkel, das mich zum Drachen führen sollte. Unten angekommen zog ich mich, wie immer, zuerst aus und ging ins Salzbad, das noch immer angenehm warm war. Danach zog ich eines der unten liegenden neuen Kleider an, nahm das Bündel und ging zum Drachen, der schon auf mich wartete.
„Es freut mich dich zu sehen!“, sagte der alte Drache und funkelte mich mit seinen leuchtend gelben Augen an.
„Ich habe etwas für dich!“, antwortete ich und öffnete das Tuch, um das Buch hervor zu holen. Als ich es schließlich in der Hand hielt und dem Drachen vor das Gesicht, änderte sich dessen Gesichtsausdruck, dass es beinahe so aussah als würde er lächeln.
„Du hast es gefunden!“, sagte er freudig und bewegte seinen langen Schwanz so sehr, dass man sogar einen Windhauch spüren konnte.
Ich nickte nur, öffnete das Buch und schaute ihn dann an. Er sah wohl deutlich, dass ich nicht gerade erfreut war und sein Blick, der auf die eigentlich vorhanden sein müssenden Seiten fiel, glich einer brennenden Fackel.
„Es sind kaum noch Seiten vorhanden, als habe man sie mit Absicht heraus gerissen!“, sagte ich dann, mit enttäuschter Stimme. Als ich von Michael das Buch bekam, hatte ich mich so sehr gefreut, doch als ich das wenige gelesen hatte, was noch in dem Buch stand, war dies in Enttäuschung und Wut übergegangen. Das der Fremde dahinter steckte, stellt sich schnell als unmöglicher heraus, denn im ganzen Zimmer waren sonst keine der Seiten zu finden und er beteuerte, das Buch schon so gefunden zu haben.
Ich erzählte den Drachen davon und was in dem Buch sonst noch vorzufinden war.
„Hier steht nur immer wieder etwas von einer goldenen Blume, die alles ändern kann und von dem Fürst, der den Fluch ausgesprochen hatte. Außerdem sind Bilder von Sonnenblumen vorhanden und auf dem Rest einer heraus gerissenen Seite, steht etwas von Drachenaugen, doch mehr kann man nicht entziffern.“
Der Drache schwieg kurz und überlegte.
„Die goldene Blume muss wohl eine der Sonnenblumen sein, die außerhalb des Gebietes der roten Sonne wachsen. Eine der früheren Frauen hatte mir davon erzählt. Sie war nicht von hier und hatte sich im Wald verlaufen, nachdem sie dort nach Essen gesucht hatte. Wenn das stimmt, dass es noch andere Sonnenblumen, als die unseren gibt, so werden diese wohl die Lösung für des Rätsel´s Fluch sein!“, murmelte der Drache vor sich hin.
„Ich habe in anderen Büchern schon darüber gelesen und ähnliche Bilder dort vorgefunden, wie in diesem!“, sagte ich und unterbrach den Drachen.
„Dann musst du danach suchen!“, antwortete er entschlossen und stand auf um sich anderes hinlegen zu können. Meine Augen weiteten sich, als ich das grau-rosa etwas sah, was hinter ihm zum Vorschein kam. Dort lag das Ei eines Drachen.
Zwei, für mich endlos lange wirkende, Tage waren vergangen, seitdem ich das Ei vom Drachen zum ersten Mal gesehen hatte. Außer Denna, Madam und mir durfte nun erst einmal niemand mehr zum Drachen, was besonders Nana und Clara überhaupt nicht gefiel.
Da sie um einiges älter waren als Denna und ich, meinten sie, dass sie das Recht hatten den Drachen weiterhin sehen zu dürfen. Doch Madam war dagegen.
Nachdem ich ihr am nächsten Morgen erzählte der Drache hätte nach mir gerufen, ging ich nochmals allein in den Keller. Als ich wieder oben war erklärte ich meiner Ziehmutter von dem Ei und dass der Drache nur noch uns drei sehen wollte, damit niemand sonst von seinem bevorstehenden Tod etwas erfahren würde.
In der ganzen Zeit hatte ich kaum eine Möglichkeit unbeobachtet zu bleiben und so zog ich es vor nicht nach Michael zu sehen. Clara und Nana beäugten mich missmutig und suchten wohl nach einer Möglichkeit mich bei Madam unbeliebt zu machen, um meinen Platz einnehmen zu können. Doch auch Denna bekam ihre kalten Krallen zu spüren und so war sie öfters bei mir, um heimlich Kriegsrat zu führen. Ihrer Meinung nach sollte ihre große Schwester sich wehren und nicht zulassen, dass man versuchte sie aus zuspielen.
Ich hatte andere Probleme, denn mit jedem Tag, an dem der Drache sein Ei bewachte, rückte der Tag näher, vor dem ich Angst hatte. Der Tag meiner Flucht.
Mittlerweile konnten wir es kaum noch im Keller aushalten, denn der alte Drache musste für eine gleich bleibende Temperatur für das Ei sorgen und so benutzte er seinen Feueratem, den ich noch nie so groß hatte gesehen. Aufgrund der Quelle, die verdunstete, herrschte dort unten Nebel und es wurde zunehmend gefährlicher dorthin zu gehen.
Die Wärme hatte sich schon im Haus ausgebreitet und so war es überall sommerlich warm, im Erdgeschoss sogar so heiß, dass wir die Küche nach oben verlagern mussten.
Ich zog mir gerade ein neues, diesmal gelbes Kleid an, welches mit blauen Stickereien verschönert war, als mein Amulett anfing zu leuchten. Ich wartete und betrachtete das Stück Metall, das immer wärmer wurde. Dann hörte es wieder auf.
Mein Herz fing an schneller zu schlagen und gerade als ich meine, bisher hoch gesteckten, Haare öffnete und die langen Locken wieder fast bis zur Hüfte reichten, fing der Drachenanhänger erneut an rötlich zu leuchten.
Hektisch ging ich zu meinem Schrank, holte hinter diversen Kleidungsstücken ein Bündel hervor, dass ich mir notdürftig zusammen genäht hatte, ging zum Tisch um meine Lampe zu nehmen und lief eilig auf und ab, vor der Tür, die zum Flur führte.
Als zum dritten Mal die Kette heller wurde, öffnete ich leise die Tür und sah mich um. Niemand war zu sehen und so beeilte ich mich, um zwei Türen weiter im Zimmer zu verschwinden. Hier befand sich seit gestern die Küche und so nahm ich etwas von dem Obst, eine Flasche mit Wasser und verstaute beides in dem Bündel, wo ich noch eine Jacke, eine Decke und einen Dolch eingepackt hatte.
Erneut ging ich zur Tür, öffnete diese einen Spalt und blickte mich um. Niemand schien etwas bemerkt zu haben und so trat ich auf den Flur, schloss die Tür wieder und ging weiter, bis ich am Ende des Ganges erneut vor einem Zimmer stehen blieb. Ich klopfte leise, öffnete die Tür dann und hielt die Lampe in dem Raum.
„Juna?“, hörte ich jemand fragen, dann ging die Tür ganz auf und vor mir stand ein dunkelhaariger Mann. Er lächelte mich an, zog mich etwas zu sich, um die Tür wieder schließen zu können.
„Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr hierher!“, sagte Michael dann und ging zu dem Bett, wo er einige seiner Sachen zu einem Bündel geschnürt hatte.
„Was hast du vor?“, fragte ich, als ich sah dass er sogar Schuhe und einen kurzen dünnen Mantel trug, der wahrscheinlich sein eigener war.
„Abhauen! Ich kann nicht hier bleiben. Es geht mir besser, doch ich weiß nicht für wie lange und so muss ich es wohl ausnutzen!“
Tatsächlich sah Michael besser aus. Er war nicht mehr so blass und obwohl ihn nur das Licht der Lampe erhellte, konnte man deutlich sehen, dass er nicht mehr so angeschlagen war wie noch vor zwei Nächten, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Als er anscheinend alle Sachen beisammen hatte, kam er zu mir und sah mich ernst an.
„Ich würde dich gerne mitnehmen!“, sagte er dann und mir versagte zunächst meine Stimme.
Doch als er sah, was ich in meiner rechten Hand hielt, erhellte sich sein Gesicht und seine Augen leuchteten vor Freude.
„Du willst auch von hier fliehen?“
Ich nickte, schon beinahe schüchtern. Ehe ich mich versah, hatte er auch schon nach meiner Hand gegriffen, öffnete die Tür und wir beide rannten Richtung Treppe.
„Ich kenne mich hier nicht aus!“, flüsterte er, während wir versuchten schnell und doch leise die Treppe nach unten zu nehmen.
Im großen Saal der Eingangshalle angekommen, sah er sich erstaunt um. Der Boden, welcher aus Marmor war, strahlte eine unangenehme Wärme aus, die schon heiß war und so tropfte Wasser, welches aus dem Keller durch den Nebel kam, von der Decke herunter und lies alles wie eine Tropfsteinhöhle erscheinen. Doch kaum erreichte einer der Wassertropfen den Boden, verdunstete er auch schon wieder. Aus diesem Grund war es auch neblig.
So sah ich auch die große, mit Gold verzierte Pforte, welche zum Drachen führte und nun war ich diejenige, welche Michael mit sich zog. Die Tür knarrte kurz, trotzdem ging ich weiter, gefolgt von dem Mann, der mich schon bald fragte, ob dieser Weg wirklich nach draußen führte.
„Nein! Aber wir müssen vorher noch zum Drachen! Er will dich sehen!“, erklärte ich und prompt blieb Michael stehen. Trotz meiner Lampe konnte man wenig sehen, denn der Nebel wurde immer dichter. Ich fasste nach den Schatten und hatte bald ein Stück Stoff in der Hand, was ich festhielt.
„Er will dir nichts tun, sondern um deine Hilfe bitten!“, sagte ich ruhig und ging weiter. Er hatte keine andere Wahl als sich loszureißen oder mitzukommen und zu meinem Glück folgte er mir.
Die Luft hier war so feucht, dass meine Haare und Kleidung nass wurden und an mir klebten. Vorsichtig suchte ich den richtigen Weg, darauf bedacht nicht versehentlich in die Quelle zu fallen. Ich schaffte es und so standen wir kurze Zeit später vor den Drachen, dessen gelbe Augen fast genauso hell leuchteten, wie meine Lampe.
Michael, der das Untier vor sich ebenfalls erblickte, stand wie zur Salzsäule erstarrt da und blickte mit Angst gefüllten Augen in die des Drachen.
„Es bleibt nicht mehr viel Zeit Juna!“, hörte ich den Drachen sagen. Seine Stimme klang rau und heiser, als hätte er sie zu lange benutzt.
„Hast du ein Messer dabei?“, fragte er und sah mich fragend an. Ich nickte und fragte wozu er dieses haben wollte.
„Verletzte mich damit und fange mein Blut auf!“, sagte er dann entschlossen und lies seinen Blick auf ein Tablett schweifen, was neben einer Flasche, wohl hier vergessen wurde. Energisch schüttelte ich den Kopf, als Michael sich endlich wieder löste und zu Wort meldete.
„Ich mach es!“, vernahm ich seine entschlossenen Worte.
Angewidert drehte ich meinen Kopf weg, um die Szene nicht mit ansehen zu müssen.
Ich hatte mich dagegen gestellt und Michael nicht den Dolch gegeben, um ihn daran zu hindern den Drachen zu verletzten. Trotzdem tropfte jetzt das Blut des mystischen Wesens in die Flasche, während ich mit mir selbst kämpfte, um das alles zu ignorieren.
Doch das Tropfen des Blutes konnte ich nicht überhören und so kam mir wieder in den Sinn, was ebben passiert war.
Gerade als ich zum wiederholten Male sagte, dass ich ihn nicht die Klinge geben würde, riss der Drache sein Maul auf und lies uns zwei erstarren. Als wollte er uns auffressen, stand er vor uns, doch anstatt einen von uns zu verschlingen, biss er sich selbst ins eigene Fleisch, dass einige Blutstopfen sogar gegen mein Gesicht spritzen.
„Du wirst es sicher brauchen!“, sagte er dann, während Michael scheinbar instinktiv nach der Flasche griff und das Blut damit auffing.
„Sie ist voll!“, sagte Michael und riss mich aus meinen Gedanken, doch noch immer wollte ich mich nicht wieder umdrehen.
„Wozu soll das überhaupt gut gewesen sein?“, fragte ich dann skeptisch nach.
„Drachenblut heilt menschliche Wunden, doch vor allem kann seinen Geist in einen anderen Körper schicken, trinkt man davon!“, erklärte der Drache.
Ich war so verwundert, dass ich mich umdrehte und ihn erstaunt ansah. Das noch immer Blut aus seinem Maul tropfte, konnte ich diesmal sogar fast ignorieren.
„Nur etwas von meinem Blut und du kannst in den Körper gehen, an den du vorher denkst. Es hält nicht sehr lange, aber falls ihr es nicht rechtzeitig schafft hierher zu kommen, könntest du wenigstens deine Seele hierher schicken!
Nur die Juna, traue ich es zu den neuen Drachen zu besänftigen, damit ihr es schafft die goldene Blume hierher bringen zu können.“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf, nahm dann jedoch die verschlossene Flasche von Michael entgegen und verstaute sie in meinen Beutel.
Ich war durcheinander, mir war heiß und langsam merkte ich, wie mir schwindlig wurde.
„Du wirst sie begleiten?“, richtete der Drache sich dann an den einst Fremden.
„Ja!“, antwortete er nur und fasste nach meiner rechten Hand. Als sich die beiden nochmals in die Augen sahen, funkelten die des Drachen so hell, dass der Nebel förmlich verschwand.
„Dann geht und brecht den Fluch!“
Kaum hatte er das gesagt, zog mich Michael auch schon in Richtung Treppe und als ich mich umdrehte, konnte ich gerade noch so erkennen, wie die Augen des Drachen langsam zufielen und er in sich zusammen sackte.
„Wir kommen wieder Ryû!“, rief ich, als wir auch schon oben angekommen waren.
Leider hatte ich nicht wirklich auf die Lautstärke geachtete und so war jemand aus dem Haus wach geworden und kam gerade die Treppe herunter. Mir blieb der Atem glatt weg, als ich die silbernen Haare in der Dunkelheit bemerkte.
„Wer ist da?“, hörten wir die Stimme von Madam.
Michael schien am meisten etwas Ungutes zu befürchten und so lief er mit mir weiter zu der großen Tür, die ich vorher noch nie hatte verlassen können.
Erneut hörten wir es knarren und ich drehte mich Richtung Treppe um, wo ein Licht auftauchte. Es war Denna, die mich verblüfft ansah, dann Madam und sich schließlich zu Wort meldete.
„Ich bin es nur! Denna!“, sagte sie und Madam drehte sich zu ihr um.
„Was machst du hier noch!“, fragte sie mit tadelnder Stimme.
„Ich konnte nicht schlafen!“, antwortete sie und sah mich direkt an.
„Ich bringe sie wieder ins Zimmer!“, sagte Denna und lächelte mir kurz zu.
„Danke. Keine Ahnung warum, aber ich kann kaum noch etwas sehen.“
„Vielleicht liegt es am Drachen!“, gab Denna als Antwort und hakte sich bei Madam ein, um ihr so den Weg zeigen zu können, den sie vorher mühevoll gesucht hatte.
„Das kann gut möglich sein!“, hörten wir Madam noch sagen, bevor sie und Denna außer Sichtweite waren.
„Was war das?“, flüsterte Michael.
Ich zuckte mit den Schultern, denn auch mir war es ein Rätsel.
Endlich war es soweit. Wir standen beide vor der Tür, die Michael geöffnet hatte und sahen schon den Wald, der nach nur wenigen Metern anfing.
„Können wir?“, fragte er dann nach und sah mich so an, als wüsste er selbst nicht, was er da machte oder besser vorhatte.
Ich nickte entschlossen und er nahm wieder meine Hand und nur wenige Sekunden später stand ich auf den Weg, wo so viele Männer schon ihr Ende gefunden hatten. Dann liefen wir auch schon so schnell wir konnten Richtung Wald, um in Richtung Süden zu laufen, wo der Drache, dem ich den Namen Ryû gegeben hatte, die goldene Blume vermutet hatte.
Eine leichte Brise wehte und es war recht frisch, was ich mehr zu spüren bekam als Michael, da mein Kleid noch immer nass vom Nebel war. Er dagegen hatte nur nasse Haare, denn sein Mantel war Wasser abweisend.
Wie lange wir liefen wusste ich nicht, denn eine Uhr hatte niemand von uns beiden. Wenigstens konnten wir schnell einen Pfad finden und da Vollmond war, konnte man wenigstens etwas in der Dunkelheit der Nacht sehen.
So erkannte ich Bäume und Sträucher, die nie zuvor real gesehen hatte, doch durch Bücher und Erzählungen von den anderen Frauen, wusste ich einige der Pflanzen zu benennen.
Mittlerweile hatten wir unser Tempo spürbar gesenkt und gingen nur noch nebeneinander. Irgendwann durchbrach Michael die Stille, die doch eigentlich keine war und aus dem Knistern der Äste unter unseren Füßen, dem Rauschen des Windes, in den Blättern der Bäume und ab und an, aus den Rufen einer Eule bestand.
„Was hast du eigentlich vor, wenn der Fluch tatsächlich gebrochen ist?“
„Das weiß ich noch gar nicht so genau!“, antwortete ich ehrlich.
„Ich würde gerne ein paar Orte sehen, von denen ich vorher nur gelesen habe!“, fügte ich hinzu.
„Das hört sich gut an! Vielleicht könnte man zusammen auf Entdeckungstour gehen!“, sagte er dann und sah mich kurz an, als würde er aus meinen Gesichtsausdruck eine Antwort lesen wollen.
„Erstmal müssen wir dafür den Fluch brechen!“, sagte ich ernst, wobei ich versuchte mein Zittern zu unterbinden.
„Warum hilfst du mir eigentlich?“, fragte ich dann unsicher und leiser. Mir war kalt und ich war müde, doch ich wollte diesen Fluch brechen, für die Frauen des Hauses, für Ryû und für mich, doch wusste ich nicht, warum Michael dies hier tat.
„Erstens komme ich nicht aus dem Wald heraus, solange der Fluch über diesen Ort hängt, zweitens würde ich gerne diese goldene Blume sehen und drittens.“, er brach ab und schwieg, schien zu überlegen, wie er es sagen sollte.
„Und drittens könnte ich nicht den Gedanken ertragen eine Frau wie dich einfach so zurück gelassen zu haben!“, sagte er schließlich, so leise, dass man es kaum verstehen konnte. Doch ich hörte es und merkte wie ich rot wurde. Zum Glück war es dunkel, dachte ich nur.
Irgendwann, es muss nach Mitternacht gewesen sein, landeten wir auf einer Lichtung, die sich in fünf verschiedenen Wegen teilte. Obwohl wir unter Zeitdruck standen, entschlossen wir uns, eine Pause zu machen.
Anscheinend war ich sehr erschöpft, denn schnell schlief ich ein und das so tief und fest, dass ich nicht mitbekam, wie die Geister des Waldes uns beschützten und Michael seine wahre Gestalt zeigte.
Erst als die Vögel lauter anfingen zu zwitschern, um die aufgehende Sonne zu begrüßen, wachte ich langsam auf. Ich saß neben Michael, oder lehnte eher gegen ihn, während er einen Baum, als Halt, hinter sich zu stehen hatte.
Mein erster Blick fiel auf die Lichtung vor uns, auf der ein Eichhörnchen sich immer wieder zeigte und emsig nach Nahrung suchte. Es schien überhaupt kein Problem damit zu haben, dass zwei Menschen ganz in seiner Nähe waren und so wollte ich es auch nicht mutwillig verscheuchen.
Ich setzte mich ordentlich auf und streckte mich, dann drehte ich mich um und konnte kaum glauben was ich da sah. Es war zwar nicht einmal ein Tag vergangen, seitdem ich Michael das letzte Mal im Licht gesehen hatte, doch nun schien er ein ganz anderer zu sein. Hatte ich vorher immer das Gefühl gehabt, er würde nicht sein wahres Aussehen zeigen, so empfand ich, dass er nun passend aussah.
Warum wusste ich nicht, doch seine jetzt roten Haare, schien besser zu ihm zu passen. Da er schon wach war und mich direkt ansah, fragte er schließlich, warum ich ihn so seltsam ansehen würde, beinahe sogar anstarre.
„Deine Haare! Sie sind rot!“, versuchte ich mich zu erklären. Sofort griff er sich selbst in die Haare und da sie zu kurz waren, damit er sie hätte sehen zu können, riss er ein paar davon aus, was mir mehr Schmerzen zu bereiten schien, als ihm selbst.
Er schien selbst sehr überrascht und fing an vor sich hin zu murmeln. Ich verstand nur Bruchteile davon. Irgendetwas von „dieser Mistkerl“ und „er hatte gesagt es hält ewig“, vernahm ich, bevor er verstummte, die Haare in seiner Hand weg schmiss und tief durch atmete.
„Jetzt ist es sowieso egal!“
Eine Weile blieben wir noch bei der Lichtung, stärkten uns an den von mir mitgenommenen Vorrat und gingen schließlich weiter in südlicher Richtung. Wir hatten nur noch das notwendigste miteinander beredet, die letzten paar Minuten sogar ganz geschwiegen. Obwohl er mit den rötlichen Haaren für mich glaubwürdiger aussah, fragte ich mich, warum er diese versucht hatte zu verstecken.
War er auf der Flucht? Doch wovor? Hatte er ein Gesetz gebrochen?
Je mehr ich mich selbst danach fragte, desto unsicherer wurde ich. War ich vielleicht gerade mit einen Verbrecher unterwegs und seine Freundlichkeit war nur eine Fassade? Doch irgendwie wollte ich es nicht wahrhaben.
Schließlich blieb Michael stehen und da ich noch ganz in Gedanken war, lief ich glatt gegen ihn, da ich hinter ihm war.
„Entschuldigung!“, sagte ich und trat neben ihn, um zu sehen, was ihm zum stehen bleiben gebracht hatte.
Mir stockte der Atem. Vor uns lag eine riesige Fläche, die ohne Bäume war, vom Wald jedoch umrandet wurde und mit jeder Menge Steine ausgestattet war. Als wir langsam näher gingen, erkannten wir die erste Gravur in den Felsen und einige wenige Holzkreuze.
Wir waren auf einen Friedhof gelandet.
Ich stand vor einen der größeren Steine, die mit Zeichen verziert waren, die ich noch niemals zuvor gesehen hatte. Einzig die Worte und Zahlen, welche noch dastanden, konnte ich wieder erkennen.
So stand dort; „906 – 1327 Hier ruht der Drache mit den roten Flügeln“
Auch Michael sah sich die Steine an und las ab und an laut vor, was er noch entziffern konnte, denn einige der Felsen waren voll Moos oder hatten durch den Regen ihre Grabinschriften fast völlig verloren.
„1665 – 1943 In ewiger Erinnerung, des Fürsten Leibwächter.“, hörte ich Michael vorlesen.
„Das sind Drachengräber!“, rief ich ihm zu und ging weiter.
„Nicht nur!“, bekam ich als Antwort.
„1864 – 1940 Fürst des Hauses der roten Sonne – gestorben durch den Verlust einer seiner geliebten Frauen.“, fügte Michael hinzu, dann zeigte er auf ein Grab, drehte sich um und zeigte auf ein anderes. Ich blieb stehen und wartete, bis er bei mir war.
„Dies sind beide Gräber von Menschen!“
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Doch kaum war diese verschwunden, fiel mein Blick auf einen riesigen Stein, der wie ein Block dastand. Im Gegensatz zu den anderen Grabsteinen, war jener wirklich gigantisch und mindestens doppelt so hoch, wie ich groß war. Anstatt dieses jedoch das Ende war, prangte auf dem mit Efeu überwucherten Fels, eine Art Statue, die man durch das viele grün kaum noch erkennen konnte.
Auch Michael schien es bemerkt zu haben und ging schnellen Schrittes dorthin, während ich ihn zwischen den schmalen Wegen, die schon von der Natur eingenommen worden waren, folgte.
Als er dort angekommen war, ging er langsam daran entlang, bis er dahinter verschwand und für mich nicht mehr sichtbar war. Eine Weile später hörte ich seine Stimme.
„Hier geht es nach oben!“
Kurz darauf stand er auch schon auf den Felsen und sah zu mir runter.
„Juna, das musst du dir unbedingt ansehen!“, rief er mir zu. Ich beeilte mich und ging ebenfalls hinter den Felsen, wo eine alte Treppe den Weg nach oben ermöglichte. Als ich endlich oben ankam, was durch Ranken und Äste der nahe liegenden Bäume gar nicht so leicht war, entfernte Michael gerade das Gestrüpp von der vermeintlichen Statue, die tatsächlich einen goldenen Drachen offenbarte, der eine Sonnenblume im Maul hatte.
Michael nahm meine Hand und ging mit mir bis zum Rand des Felsen.
„Siehst du das?“
Ja, ich konnte es sehen.
Die für mich vorher sinnlos angeordneten schmalen Wege, offenbarten nun, wozu sie gedacht. Vor uns, oder vielmehr unter uns, zeigte sich die Kontur von einen Bild, die wie die Statur, einen Drachen zeigte.
„Unglaublich!“, sagte ich und betrachtete die Darstellung genauer.
Selbst die Grabsteine, hatten ihre Anordnung nicht per Zufall erhalten, sondern sorgten dafür, dass die Konturen des Drachen besser zu erkennen war und ein bisschen erinnerten sie sogar an die schuppige Haut eines solchen Untieres.
Dann sah ich es.
Das gelbliche etwas, welches direkt an der Stelle war, wo das Auge des Drachen sein sollte, genau gegenüber von der Stelle, wo wir auf den Friedhof gelangt waren.
„Ist das eine Sonnenblume?“, fragte ich und deutete auf die Stelle.
„Lass uns nachsehen!“, entschied er einfach, denn auch er schien sich nicht sicher zu sein und so gingen wir wieder die Treppe hinunter und machten uns auf den Weg dorthin.
„Ob wir die goldene Blume gefunden haben und den Fluch lösen können?“, fragte ich mich in Gedanken und sollte schon sehr bald erfahren, weshalb ich wirklich hier war.
Mich überkam ein merkwürdiges Gefühl, als wir endlich vor der Stelle standen, an der wir die Sonnenblume vermutet hatten. Ich hockte mich hin und berührte vorsichtig die zarten Blätter der Pflanze und konnte meinen Blick nicht von den schönen gelb abwenden, dass trotz der roten Sonne, deutlich zu erkennen war.
„Wir haben sie gefunden!“, hörte ich eine männliche Stimme flüsterte und vermutete natürlich, da es Michael war der dies sagte. Doch ich irrte mich und wurde eines besseren belehrt, als ich mich wieder aufrichtete und zu den Rothaarigen umdrehte.
Überrascht blickte ich direkt in die Augen einer Fremden und doch konnte ich dahinter verschwommen erkennen, dass auch Michael erschrocken dastand. Mir entwich ein Schrei und die Frau, welche mir so ähnlich sah, dass ich glaubte einen Spiegel vor mir zu haben, wich zurück.
Auch ich nahm einige Schritte Abstand und stand nun fast direkt neben Michael, der auf eine ähnliche Gestalt blickte. Seine Augen waren geweitet, als würde er den Teufel selbst sehen, doch stattdessen sah er zu einem Mann, der in edle Kleidung gehüllt war und ein paar Ähnlichkeiten zu Michael hatte.
„Vater?“, hörte ich Michael fragen, während ich damit beschäftigt war die Frau nicht aus den Augen zu verlieren, da sie sich um mich herum bewegte. Ich hatte so etwas zwar noch nie gesehen, meinte aber zu wissen, dass es sich um Geister handelte.
Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit genau wir verloren hatten, als wir endlich wieder auf den Weg zurück waren, mit der Blume und dem Wissen, dass dies hier mehr war als ein Zufall.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und wir rannten regelrecht, um noch rechtzeitig wieder zurück zu kommen. Doch meine Kleidung stellte sich als sehr unpassend heraus und so blieb ich an einen Ast hängen und fiel hin.
Michael, der kurze Zeit später stehen blieb und sich umdrehte, kam zu mir und half mir auf.
„Kannst du mir das Messer geben?“, fragte er mich und ich gab ihn den Beutel, während ich nun die Blume in den Händen hielt. Ich dachte er wollte damit den Ast durchtrennen, stattdessen fing er an knapp über meine Knie, den Stoff meines Kleides abzutrennen. Mir war das Ganze äußerst peinlich doch waren die Vorteile davon ersichtlich.
Kurz darauf waren wir auch schon wieder unterwegs und versuchten unser Ziel zu erreichen, ehe die Zeit abgelaufen war. Obwohl ich aufpassen musste, nicht wieder durch ein Hindernis aufgehalten zu werden, versank ich bald darauf in Gedanken.
„Sie haben sich gefunden!“, sagte die Frau und lächelte, während sie über die Gräber schwebte. Der Mann, deren Kleidung am Bauch einen großen dunklen Fleck aufwies, nickte. Dann kamen sie beide zu uns und stellten sich vor uns hin, erinnerte ich mich.
Wie sich heraus stellte, war der männliche Geist, der Vater von Michael, der als flüchtig, nicht jedoch als Tod galt.
„Man hatte uns gesagt, dass er feige mit einer fremden Frau davon gegangen sei und ihn niemand wieder gesehen hatte!“, erklärte mir Michael. „Meine Mutter fühlte sich erniedrigt und so war sie froh darüber, dass sich wenigstens mein Onkel, der Bruder meines Vaters, sich um uns kümmerte.“
Der Geist verzog sein Gesicht und wurde so zornig, dass er anfing kurzzeitig zu flackern, wie eine Kerze im Wind.
„Mörder!“, fauchte der Geist und in Michael wurde es klarer.
„Juna, ich bin so glücklich dich noch einmal sehen zu dürfen!“, fing die Frau an zu reden, die mir so ähnlich sah.
Ich war erschrocken und bekam Angst. Woher kannte sie meinen Namen? Erst kam mir der Gedanke, dass sie diesen gehört hatte, als Michael mich gerufen hatte.
„Ich hatte Angst um dich und war mir bis heute nicht sicher, ob du dein Ziel erreicht hattest!“, fing sie an zu erzählen und mir blieb beinahe die Luft weg.
Der Geist, welcher mir so ähnlich sah, stellte sich als meine Mutter heraus. Nachdem sie mich geboren hatte, bat sie den Fremden, der bei ihr geblieben war um Hilfe. Sie hatte auf ihren Weg hierher ein Haus gesehen, doch geglaubt sie würde es nach Hause schaffen. Da sie zu schwach war, gab sie ihr Kind den Mann, der eigentlich selbst verletzt war und doch versprach er, das kleine Mädchen dorthin zu bringen.
„Ein Muttermal, was aussieht wie eine Blume!“ Du hast es, oder?“
Ich nickte, denn es stimmte tatsächlich.
Licht erhellte auch mich.
Der Mond zeigte sich am Himmel, als wir an der Lichtung vorbei waren, an der wir am frühen Morgen unsere erste Rast gemacht hatten. Noch immer schwirrten mir die Worte der beiden Geister im Kopf herum und ich war mir nicht sicher, ob ich nun glücklich darüber sein sollte, meine Mutter wenigstens einmal gesehen zu haben, oder traurig darüber, dass sie tot war.
Ich wusste nicht, was in Michael vorging, aber das Versprechen, dass er vor unseren Aufbruch gab, lies ihn wahrscheinlich auch nicht los.
„Sorge dafür, dass mein Bruder die gerechte Strafe bekommt!“, hatte sein Vater gesagt.
Schließlich traute ich mich und fragte Michael, ob er tatsächlich wegen Diebe in diesen Wald geraten war. Wie ich mittlerweile vermutet hatte, war dies nicht der Fall.
„Ich wollte meinen Vater suchen, nachdem ich erfahren hatte, dass er in diesen Wald verschwunden war. Der Wald ohne Wiederkehr!“
„Warum hast du das riskiert? Vor allem, wenn du wusstest, was dich erwartet? Ich meine damit den Namen, den ihr diesen Ort geben habt!“
Michael blieb stehen und auch ich stoppte. Dann sah er zu mir und blieb für ein paar Minuten still, als würde er überlegen oder sich einfach sammeln.
„Meine Mutter glaubte nicht, dass mein Vater wirklich mit einer anderen Frau abgehauen sei. Er hatte doch viel zu verlieren, schließlich war er nicht gerade arm.
Auch ich glaubte nicht daran und nachdem mein Onkel sich als neuer Landherr aufspielte, wurden die Zweifel immer größer. Zwar erinnerte ich mich kaum an meinen Vater, aber meine Mutter konnte sich doch nicht so sehr irren!
Deshalb wollte ich ihn für sie suchen!“, erklärte er und drehte sich wieder um.
Ich sagte erst einmal nichts dazu. Die Situation war verworren genug, da wollte ich mit meiner Antwort nicht noch mehr Dinge heraufbeschwören.
Es war gegen Mitternacht, als wir durch die Bäume hindurch das Haus entdeckten. Wir waren beide geschafft und müde und doch war ich froh darüber, dass dies nun endlich alles ein Ende haben würde. Wir hatten die Blume, noch etwas Zeit übrig und so rief ich alle Reserven in mir zusammen, um die letzten Schritte machen zu können. „Wir sind bald da Ryû!“
Eilig betrat ich die große Eingangshalle, welche noch immer nass war, aber durch die offen stehende Tür zumindest nicht mehr vom Nebel verhangen war. Ich nahm meine Umgebung trotzdem nur schemenhaft war, zog meine Schuhe aus und rannte die Treppe zum Keller herunter.
Unten angekommen standen Denna, Fauna und Nana bei den alten Drachen, der reglos da lag und Clara, sowie Fena hatten sich neben den Ei hingestellt. Ich fragte mich erst gar nicht, warum sie plötzlich wieder hier unten waren und ging zu dem Drachenei, wo schon die ersten Risse zu erkennen waren. So erschrak ich auch, als Nana anfing zu schreien und drehte mich um.
Schnell wurde mir bewusst, dass es Michaels Anwesenheit war, die Nana irritierte. Ich wollte gerade etwas sagen, als ich die energische Stimme von Denna hörte. So hatte ich sie noch nie erlebt.
„Sei still! Es ist doch nur ein Mann!“
Tatsächlich verstummte Nana sofort, wich nur zurück, als hätte sie Angst er wäre ansteckend. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Als ich zu Denna sah, nickte ich ihr zu und bedankte mich. Zum Glück war auch hier der Nebel fast völlig verschwunden, es war jedoch noch immer sehr warm, nicht jedoch heiß, in den alten Kellerräumen.
Denna trat zu mir und lächelte überglücklich, als ihr Blick auf die Sonnenblume in meiner Hand fiel. „Ihr habt sie gefunden?“, fragte sie mich und brachte mich zum stutzen.
„Woher weißt du etwas davon? Was meinst du damit?“
In kürzester Zeit erfuhr ich, dass Denna das Buch der roten Sonne gefunden hatte, sich nur nicht getraut hatte mir davon zu berichten, da sie es in dem Zimmer versteckt hatte, wo Michael war.
„Hast du die Seiten heraus gerissen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte es schon so gefunden! Eigentlich wollte ich mich auf die Suche nach der Blume machen, aber leider wusste ich nicht, wie ich von hier fliehen sollte!“
Denna blickte mich von oben bis unten an.
„Wie war es da draußen?“, fragte sie dann neugierig, während ich die Eierschalle abtastete.
Ich kam nicht dazu ihr zu Antworten, denn plötzlich knackte es sehr laut und ich zog erschrocken meine Hand zurück, als auch schon eine Kralle durch die Schalle kam und ein immer größeres Loch bohrte. Michael, der hinter mir stand, zog mich etwas zurück. Hatte er Angst um mich?
Während das Drachenbaby sich mühevoll aus seiner schützenden Hülle befreite, trat ich zu den alten Drachen, der aussah als würde er schlafen. Vorsichtig berührte ich seine schuppige Haut. Er reagierte nicht, blieb reglos liegen und ich sackte in mich zusammen. Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein paar Tränen entwichen.
Denna sah zu mir und ihr Lächeln wandelte sich in einen traurigen Gesichtsausdruck. Sie fing an etwas zu erzählen, doch bei mir kam nur ein Flüstern an, was bald zu einem Rauschen wurde.
Alles um mich herum schien sich aufzulösen, bis es dunkel wurde und ich nur noch das weiß des Drachen schemenhaft wahrnehmen konnte. Die Zeit schien still zu stehen, als ich plötzlich die Stimme des Drachen vernahm.
„Warum hast du mich Ryû genannt?“
Reflexartig antwortete ich. „Es stand in einen der Bücher. In einen Land mit Namen Nippon, nennt man so die Drachen. Ich fand es schöner und ich wollte dir so eine Möglichkeit geben dich von den anderen Drachen zu unterscheiden!“
„Ich finde den Namen gut.“
Diese Worte erst holten mich in die Wirklichkeit zurück. Das erste was ich sah, war der Drache, der mit geöffnetem Maul vor mir lag und Michael, der die Flasche, in der das Drachenblut war, in sein Maul kippte. „Es hatte ihm gehört!“, erklärte er sich und ich sah mich um.
Keine zwei Meter von mir entfernt, tapste unbeholfen ein kleiner Drache umher, dessen Augen noch halb geschlossen waren. Langsam stand ich auf und ging zu den Drachen, der mir gerade Mal bis zur Hüfte reichte. Ich kniete mich hin und streckte meine Hand aus, um ihn streicheln zu können.
Beinahe hätte ich mich wieder zurückgezogen, als der Drache seine Augen öffnete und ich direkt in die gelben Flammen sah.
„Juna!“, hörte ich ihn sagen. Die Stimme war nicht so tief wie ich sie vom alten Drachen gekannt hatte, doch als er mir über die Hand leckte, wusste ich, wenn ich vor mir hatte.
„Ich wusste gar nicht mehr, wie es ist einen jungen Körper zu haben!“, sagte der Kleine und öffnete seine Flügel, um sie, beinahe stolz, zu präsentieren.
„Wir haben sie gefunden! Hier, isst das!“, sagte Michael und kam mit der Sonnenblume an, die schon leicht orange war. Wann hatte sie sich verfärbt? Oder irrte ich mich nur?
Ryû schnupperte an der Pflanze, stupste sie kurz mit seiner Zunge an, eh er sie ganz nahm und auffraß.
Er hustete und ich zuckte zusammen. Denna verschwand derweil nach oben. Wenige Minuten später kam sie zurück und schüttelte ihren Kopf.
„Es hat nicht funktioniert!“, sagte sie mit Tränen in den Augen, dann fiel sie auch schon in die Arme von Clara, die ihr entgegen gegangen war.
„Ihr habt es nicht geschafft?“, hörten wir eine Stimme.
„Madam!“
„Nein!“, sagte die Frau mit silbernen Haaren und tastete sich an der Wand entlang nach unten.
„Hana, nicht Madam! Hana, die Erbin des Fluchs, dessen Vorfahren den Fürst betrogen und dann verlassen haben. Die letzte Erbin!“
Den letzten Satz flüsterte sie, dann zog sie einen Dolch hervor und setzte ihn an ihren Hals an.
„Nein!“
Ich schloss meine Augen. Als ich es endlich wagte sie wieder zu öffnen, sah ich zunächst, dass auch Denna und Nana weggesehen hatten. Dann sah ich ihn.
Michael stand vor Hana. Als er sich ein paar Schritte zur Seite bewegte, sah ich Blut, dass von seiner Hand tropfte. Eisern hielt er die Klinge fest, während Madam stumm weinte, schließlich ihre Hand und den Dolch sinken lies.
Es schepperte kurz, als dieser zu Boden fiel, dann verschwand Madam, doch diesmal folgten ihr Clara, mit Denna und Nana, die Michael kurz einen Blick zuwarf, der wie „Danke“ wirkte.
Nachdem Fena und ich die Wunde an Michael seiner Hand versorgt hatten, kam der kleine Drache zu uns und sah uns fragend an.
„Was ist Ryû?“, fragte ich, denn mir war bewusst, dass er irgendetwas wollte.
Schließlich fing er leise an zu erklären.
„Das Drachenblut wird nicht ewig halten und mein Körper ruft nach mir. Doch bevor ich gehe, würde ich gerne einen letzten Wunsch erfüllt wissen.
Ich weiß, ihr werdet bleiben und es tut mir Leid, dass ihr alle hier weiterhin gefangen seit, doch hoffe ich, dass ihr einen Weg findet, den Fluch doch noch zu brechen!“
„Wie lautet dein letzter Wunsch?“, fragten Michael und ich fast gleichzeitig.
„Ich möchte einmal in meinen Leben die Sonne aufgehen sehen!“
Wir hatten Glück, dass Ryû nun in einen viel kleineren Körper war und so konnten wir ihn tatsächlich die Treppen hochbringen. So saßen wir vor der offenen Tür in der großen Halle und warteten darauf, dass die Sonne endlich aufging.
Ich war so müde, dass ich zwischenzeitlich in den Armen von Michael einschlief. Auch der Drache, hatte es sich neben uns bequem gemacht und schnell hatte sich herum gesprochen, was wir vorhatten und alle, bis auf Madam und Nana, waren ebenfalls hierher gekommen. Einige standen an den Fenstern und andere hatten sich sogar ihre Bettdecke mitgebracht und saßen oder lagen auf den warmen Boden, denn wir vorher notdürftig trocken gelegt hatten.
„Hey, die Sonne geht auf!“
Ich öffnete meine Augen und sah nach draußen. Tatsächlich, hinter den Bäumen konnten wir die ersten Strahlen sehen. Denna trat zu Tür und schaute hinaus.
„Wie schön“, sagten sie und einige andere stimmten zu.
„Ryû, wach auf!“, kam es von mir, nachdem ich bemerkt hatte, dass dieser eingeschlafen war.
Blinzelst öffnete er die Augen und sah mich an.
„Die Sonne geht auf!“
Der Drache wendete seinen Blick und sah Richtung Tür.
Dann passierte es.
Plötzlich wurde alles hell und ich musste die Augen schließen um nicht geblendet zu werden. Den anderen erging es nicht besser.
„Was ist das?
„Ah, so grell!“
„Ich sehe nichts mehr!“
Scheinbar endlose Minuten vergingen, bis ich meine Augen wieder öffnen konnte und staunend den Himmel betrachtete. Über den Bäumen stieg langsam eine gelbe Sonne auf, so wie ich sie nur aus Büchern kannte.
Denna war die erste, die mutig ihre Hand nach draußen streckte und Schritt, für Schritt ins Freie trat, noch ehe sie jemand abhalten konnte. Drei oder vier folgten und auch ich wollte aufstehen, doch das Gewicht des Drachen lag auf meinen Beinen. Ich schüttelte ihn und als er mich schließlich ansah, starrte ich in fremde rote Augen.
Ein Rumpeln lies mich Richtung Treppe sehen, wo Hana und Nana gerade herunter kamen.
„Ist alles in Ordnung Madam?“
Sie jedoch schwieg erst und betrachtete ihre Hände, als hätte sie diese nie zuvor gesehen, dann blickte sie zu den Drachen, Michael und mir.
„Ich kann wieder sehen! Ich sehe wieder alles!“, sagte sie dann freudig und kam die Treppe runter, um aus dem Fenster sehen zu können. Dort erblickte sie, wie ich, die tanzende Denna und Fauna und Fena, sowie andere, die sich benahmen, als hätten sie nach einer langen Schiffsreise endlich wieder Boden unter den Füßen. Ich drehte mich um und lächelte Michael glücklich an und ehe ich mich versah, wurde ich auch schon von ihm geküsst.
„Drrrrrrrrr.“, das schrille Geräusch des Weckers riss mich aus meinen Träumen. Mühevoll stand ich auf, packte das Drachenstofftier auf dem Regal zurück, wo es wohl hinunter gefallen war und streckte mich. Erst danach trat ich zum Fenster, öffnete die rote Gardine und sah hinaus, auf Bäume und Pflasterweg, Straße und Autos.
Ich wollte gerade gehen und mich umziehen, als ich ihn sah.
Seine roten Haare hoben sich von den vielen grün und grau regelrecht ab und wieder einmal wurden mir die Knie weich, wie ich ihn so entlang laufen sah.
Ich atmete tief durch. Heute würde alles anders sein! Der Fluch, den ich selbst erschaffen hatte, war gebrochen, ich musste nur noch hinaus gehen und es ausnutzen.
Texte: Liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: von Silizia Albrecht
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2012
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