Wer älter wird, was weder Mann
noch Frau noch Kind vermeiden kann,
weil dieser Alterungsdefekt
verborgen in den Genen steckt,
die, statt den Körper zu erneuern,
ihn stracks dem Tod entgegensteuern,
braucht oft Jahrzehnte, eh´ er spürt,
wohin das Älterwerden führt.
Er altert ja nicht über Nacht,
ist plötzlich alt, wenn er erwacht.
Er altert pausenlos, indess
ist es ein schleichender Prozess
vom vorgeburtlichen Beginn
bis zum mortalen Ende hin,
so heimlich, dass es ihn nicht kümmert,
wenn sich sein Zustand leicht verschlimmert.
Es kommt, wie´s kommt, und ist halt so.
Mal ist er traurig, manchmal froh,
mal bis zum Hals in Arbeit steckend,
mal die erlitt´nen Wunden leckend.
Fast jeder Tag hat seine Plage,
doch gibt´s auch angenehme Tage.
Er weint und lacht, er hasst und liebt,
himmelhochjauchzend, tief betrübt.
doch in der Regel ziemlich heiter,
es geht ja aufwärts auf der Leiter.
Worüber sich denn Sorgen machen?
Jetzt zählen Geldverdienen, Lachen,
Erfolge, Reisen, Liebe, Lust.
Was sonst geschieht, bleibt unbewusst.
Vielleicht, wenn er Geburtstag hat,
dann ist er vor Erstaunen platt,
wie schnell und unabänderlich
das letzte Lebensjahr verstrich.
Doch das Erstaunen währt nicht lange,
der Alltag ist in vollem Gange.
Von Alter stets noch keine Spur,
anscheinend trifft es andre nur.
Die Oma, ja, die ist schon alt,
und Mama, die ist´s auch schon bald.
Die Runzeln und der krumme Rücken!
das merkt ein Blinder mit den Krücken.
Doch nimmt das Schicksal seinen Lauf,
das Älterwerden hört nicht auf,
weil´s wachsam in den Genen lauert,
selbst wenn das Lauern länger dauert.
Meist glückt es, nicht daran zu denken
und sich durch andres abzulenken.
Doch unaufhörlich tickt die Uhr
dem Ende zu und nie retour.
Die Zeit rennt weg wie im Galopp.
Es hilft nicht mehr zu tun, als ob.
Sie gleicht, bemerkte einst ein Denker,
dem gnadenlos brutalen Henker,
der, während wir durch`s Leben wandern,
die Jahre, eines nach dem andern,
leichthändig und gefühllos köpft,
bis sich der Kontostand erschöpft.
Wer Augen hat zu sehn, der sieht,
was sich im Untergrund vollzieht.
Er aber richtet seinen Sinn
jung, wie er ist, woandershin.
Alarmsignale gehn ins Leere,
als ob da überhaupt nichts wäre.
Tod spielt sich ab im letzten Akt.
Noch ist er fern, tabu, abstrakt,
Bei andern merkt er es genau:
Sie werden tüttelig und grau,
verliern die Haare, kriegen Falten,
bedauerswürdige Gestalten,
gebrechlich, klapprig, blass, morbid,
verbraucht, verknöchert, invalid.
Kein Zweifel, was da vor sich geht:
Fortschreitende Senilität,
Verfall von Geist und Schwung und Kraft,
abstoßend, hässlich, ekelhaft.
Das will er nicht erleben, nie,
niemals will er so sein wie sie.
Doch irgendwann an einem Tag
trifft ihn die Einsicht wie ein Schlag.
Verrostet ist der alte Glanz,
verwelkt der grüne Siegerkranz.
Die reine Haut ist nicht mehr rein,
das Feine nicht mehr ganz so fein.
Da gibt es Risse, Sprünge, Spalten,
auf Stirn und Wangen tiefe Falten.
Zum Lesen braucht eine Brille
und zum Verdauen eine Pille.
Es wird so mühsam, sich zu bücken,
die Hexe schießt ihn in den Rücken.
Und viele Hexen, große, kleine,
ziel´n auf Gelenke, Hals und Beine,
Organe, Knochen, Zellen, Glieder
erst ab und zu, dann immer wieder.
Zum ersten Mal, o Schreck und Graus,
wird er Patient im Krankenhaus.
Wie viele Stunden gehn verloren
in Apotheken, bei Doktoren?
Auch Drogen, Alkohol, Tabletten
sind nicht imstande, ihn zu retten.
Der du noch jung und kräftig bist,
noch alles hast und nichts vermisst,
ich will dich keineswegs erschrecken.
Doch möchte ich Verständnis wecken
für Hunderttausende von Alten,
oft noch erstaunlich gut erhalten,
die nach beruflichem Gerase
in ihrer dritten Lebensphase
versuchen, dem beschränkten Leben
Bedeutung, Inhalt, Sinn zu geben.
Ich kann und werde nicht bestreiten:
Das Alter hat auch schöne Seiten.
Davon ein andres Mal, nicht hier,
denn Schnaps ist Schnaps und Bier ist Bier.
Wer älter wird, stellt dabei fest,
dass Leben sich nicht horten lässt.
Es schleicht und läuft und rast vorbei,
als ob er nicht vorhanden sei,
so dass er schließlich einsehn muss:
Was anfängt, hat auch einen Schluss.
Nichts deutet auf Unendlichkeit,
begrenzt ist jede Lebenszeit
bei ständiger Veränderung:
Wer jung ist, bleibt nicht immer jung,
und kein Bemühn gebietet Halt.
Erst wird man älter, darauf alt.
Erst geht´s bergauf und dann bergab,
wer fit und munter ist, wird schlapp.
Die Schatten werden lang und länger,
der Horizont wird eng und enger.
Verdacht und Ahnung wird zu Wissen:
Auch er wird einmal sterben müssen, -
worauf der eine tief erschrickt,
als ob da eine Bombe tickt.
Der andre aber spricht ergeben:
Auch Tod gehört nun mal zum Leben.
Wie dem auch sei, wie man´s auch nimmt,-
wahrscheinlich ist, dass beides stimmt,-
es ist Gewohnheit, es hat Sinn
und bringt auch inneren Gewinn,
dass Menschen, sonderlich die alten,
nachdenklich-prüfend innehalten,
um irgendwie Bilanz zu ziehn:
Was ist? Was bleibt? Was wird entfliehn?
Und die Gedanken gehn ein Stück,
beziehungsweise weit zurück
an Lieb und Leid, an Lust und Gram,
warum und wie es dazu kam,
was er versäumt hat und geschafft,
wa quälend war und rätselhaft,
voll Wundern, aber auch voll Fragen:
Verluste, Ängste, Niederlagen,
Erfolge, Glücklichsein, Gelingen
und Höhenflug auf Adlerschwingen.
Er findet im Bekanntenkreise
genug erschütternde Beweise,
wie schnell sich alles ändern kann,
was gut und hoffnungsvoll begann.
Er mag sich noch so sehr bemühn,
dem bösen Schicksal zu entfliehn,
da helfen List und Schläue nicht,
nicht Vorsicht, Kühnheit und Verzicht.
Am Ende ist ihm auch nichts nütz
sein angesammelter Besitz,
weil er das meiste, was zerrann,
für Gut und Geld nicht kaufen kann:
Gewissensruhe, Lachen, Zeit,
Gesundheit und Zufriedenheit.
So richtet er voll Dankbarkeit
den Blick in die Vergangenheit,
kein ständiges und reines Glück,
doch oft genug ein kleines Stück
durch Tiefen, aber auch auf Höh´n.
Summa summarum war´s doch schön.
Und unvermeidlich schweift der Blick
auch auf das künftige Geschick:
Wie wird das Leben weitergehn?
Wird das Erworbene bestehn?
Selbst in den wichtigsten Bereichen
nur Fragezeichen, Fragezeichen.
Wenn er den Blick nach vorne lenkt,
dann ist der Horizont beschränkt.
Umrisse höchstens, Nebelschwaden,
nichts Greifbares, kein roter Faden.
Sich Schritt für Schritt nach vorne tasten,
beschwert von Schuld und Lebenslasten.
Vielleicht lässt sich in trüben Tagen
das Schwere einfacher ertragen,
wenn liebe Menschen ihn umgeben,
die ihn ermuntern, trösten, heben,
sobald sich mehren die Beschwerden,
jedoch die Kräfte schwächer werden,
obwohl, wie oft wird man betrübt
sogar von denen, die man liebt
und denen man so manches Jahr
vertrauensvoll verbunden war.
Dann bleibt nur Gott, der stützt und trägt,
der Festgefahrenes bewegt,
ermuntert, kräftigt und erneut,
und der sein Ja niemals bereut.
Mit Gottes Hilfe kann´s gelingen,
dem Alter Freude abzuringen,
Erfüllung und Zufriedenheit
selbst im Verzicht, in Schmerz und Leid.
Wer älter wird, ist auch gezwungen
zu Taten und Betätigungen,
die sozusagen jedem Kind
verständlich-selbstverständlich sind.
Jedoch was früher einfach schien,
erfordert nunmehr echte Mühn,
wird mehr und mehr zu einer Bürde,
sogar zur absoluten Hürde.
Am mühevollsten, sich zu bücken.
Es zwackt im Kreuz, es zwickt im Rücken.
Wie finden die Gedanken Ruhe
und seine Füße in die Schuhe?
Denn auch der lange Schuhanzieher
hilft dabei nicht so sehr wie früher.
Wie soll er eine Schleife binden,
um festen Halt darin zu finden?
Es ist erstaunlich, fast verrückt,
wie oft am Tag ein Mensch sich bückt, -
sich bücken muss, um aufzuheben,
was er verloren hat soeben,
was ihm entfällt und unten liegt,
fest an den Untergrund geschmiegt,
und außerdem aus vielen Gründen
oft lausig schwierig ist zu finden.
Dann wird das Glück in dieser Welt
durch Bücken wieder hergestellt.
Wer sich nach dem, was fällt, nicht bückt,
weil er´s nicht schafft und ihm´s nicht glückt,
verliert, womöglich unbewusst,
erst Wichtiges, dann Lebenslust.
Auf eine Zimmerleiter steigen
bedeutet fast, zum Selbstmord neigen,
weil unversehns ein Schwindel droht
und damit auch der Schwindeltod.
Glückt´s, einen Faden einzufädeln,
um so sein Nähwerk zu veredeln,
den Knopf, der ab ist oder lose,
erneut zu nähen an die Hose,
damit sie noch ein Weilchen hält
und nicht pardautsch! zu Boden fällt?
Die Antwort lautet eiskalt: Nein!
Drum lässt er, was er wollte, sein.
Teils sind die Finger schlapp und taub,
teils zittern sie wie Espenlaub.
Was täglich in der Zeitung steht,
wird irgendwie vom Wind verweht.
Denn all die Journalistenthesen
sind viel zu klein, um sie zu lesen.
Nur mit der Lupe mag´s gelingen,
dem Text noch etwas abzuringen.
Dazu kommt noch, er hört so schwer
und eines Tages gar nichts mehr.
Musik nicht mehr, nicht Vogelsingen,
kein Telefon, kein Klingelklingen.
Hörapparate sind im Trend,
doch mehr ein Folterinstrument.
Er hört damit, was er nicht will,
und schaltet ab, dann ist es still.
Wie steigt er in den nächsten Bus,
den er benutzen will und muss,
damit er nicht total versauert,
indem er bloß zu Hause kauert?
Um zu vermeiden dessen Stufen,
muss er am Schluss ein Taxi rufen,
obwohl, für einen derart Siechen
ist´s auch nicht leicht, hineinzukriechen.
Wer nicht verhungern will, muss essen.
Wer essen will, darf nicht vergessen,
für heute, möglichst auch für morgen
sich Essensvorrat zu besorgen.
Der fliegt nun nicht durch Zaubersprüche
vom Laden in die eigne Küche.
Er muss ihn mit den Händen schleppen
geradeaus und über Treppen,
in einer Karre, auf dem Rücken.
Da bleibt nicht aus, er muss sich bücken,
so dass es, ist er so bepackt,
auch hier im Rücken zwickt und zwackt.
Jedoch er rafft sich auf zu dem,
Verhungern ist nicht angenehm.
Ein Vorurteil ist ihm gegeben:
Es müsse schön sein, dieses Leben,
ein Paradies schon hier auf Erden
frei von Beschränkung und Beschwerden.
Doch stimmt die schöne Theorie
im Alter selten oder nie.
Es kommt ihm so viel in die Quere,
was, wie er meint, nicht nötig wäre,
was ihm missfällt, was ihm misshagt,
was piesackt, drangsaliert und plagt.
Verehrter Leser, all dies kann
zu viel erscheinen irgendwann,
erklärt ein andrer, findest du.
Ganz im Vertrau´n, ich stimm dir zu.
Und nicht nur das, ich weiß sogar,
dass dies noch lang nicht alles war,
was Phantasie und Wirklichkeit
beim Älterwerden hält bereit.
Dir fällt speziell und allgemein
bestimmt auch selbst noch manches ein.
Wer älter wird, merkt hin und wieder,
er hat Gelenke, Knochen, Glieder,
Organe, Drüsen, Innereien,
wo immer sie im Körper seien,
die er jahrzehntelang nicht spürte,
weil alles bestens funktionierte,
und die Erfahrung lautet schlicht:
Was funktioniert, bemerkt man nicht.
Der Grund dafür ist leicht erkenntlich:
Was richtig läuft, wird selbstverständlich.
Es läuft, und das führt zu dem Schluss,
dass, weil es läuft, es laufen muss.
Tatsächlich, oft jahrzehntelang
läuft alles den gewohnten Gang.
Er denkt schon, alles bliebe so,
doch plötzlich knackt es irgendwo.
Es surrt, es quietscht, es knirscht, es pfeift,
es quetscht, es drückt, es juckt, es kneift.
Was immer lief und lief und lief,
ob er nun wach war oder schlief,
verhält sich anders als vorher,
genau gesagt, läuft gar nicht mehr.
Erst spürt er irgendwo in sich,
es ist da etwas hinderlich,
was die Bewegungen erschwert,
ja schließlich jeden Schritt verwehrt.
Ein zweites Stadium kann sein,
er wird gequält von Schmerz und Pein.
Erst in der Hüfte, dann im Knie
tut´s richtig weh, so weh wie nie,
selbst wenn er, in sein Bett geschmiegt,
sich freudig in der Hoffnung wiegt,
hier würd´s ihm wieder besser gehn
und jeder Schmerzenshauch verwehn.
Doch leider, ach, er hat geirrt.
Kein Zeichen, dass es besser wird.
Im Gegenteil, so wie fast immer,
was schlimm ist, wird sogar noch schlimmer.
Der Arzt bestätigt, was er weiß:
Verschleiß, nichts als der übliche Verschleiß,
so wie Maschinen sich verschleißen,
wie immer die Maschinen heißen,
Staubsauger, Auto, Rasenmäher,
WC und Dauerwellendreher.
Der Zahn der Zeit fängt an zu nagen
zwar langsam, aber mit Behagen.
Unwiderstehlich ist sein Biss,
er kennt da keinen Kompromiss.
Selbst Kupfer, Messing, Blei und Stahl,
verrosten irgendwann einmal
und werden darauf eingemottet,
beziehungsweise gar verschrottet,
es sei, in einer Werkstatt wird,
was wackelt, eiert, klappert, klirrt,
was sich verengt hat und verzogen,
geleimt, geschweißt, zurechtgebogen,
geflickt mit Röhrchen, Zäpfchen, Rädchen,
mit Schräubchen, Nägelchen und Drähtchen,
so dass es fast wie neu aussieht.
Kein Fremder sieht den Unterschied.
Natürlich hat die Wissenschaft
mit wachsender Erfindungskraft
in Wort und Tat, in Bild und Schrift,
auch was den Menschen anbetrifft,
geforscht nach neuen Möglichkeiten,
um seine Mängel zu bestreiten,
und hat in immer neuen Runden
Erstaunliches herausgefunden:
Um ein Ergebnis zu erreichen,
bedient sie sich teils frischer Leichen,
die, ehe sie total erkalten,
oft noch viel Nützliches enthalten
wie Leber, Lunge, Herz und Nieren.
Die lassen sich dann transplantieren,
so dass der Mensch, der danach strebt,
vielleicht noch etwas länger lebt.
Noch andere Methoden sind
bekannt inzwischen jedem Kind:
Die Technik produziert in Massen,
so wie BHs und Kaffeetassen,
wie Bücher, Filme, Fernsehschlager,
ein menschliches Ersatzteillager
aus Plastik, Stahl und Porzellan,
zum Beispiel einen Schneidezahn;
anstelle der verbrauchten Brille
die unsichtbare Glaspupille;
als nettes Muttertagsgeschenk
ein unrostbares Hüftgelenk.
Ein eingenähter Herzschrittmacher
macht alle Müden wieder wacher.
Ein Powerpenis? Aber gern!
Das Muss für den modernen Herrn.
Ein Superbusen, ein ganz neuer?
Nur zu! Denn Schaumstoff ist nicht teuer.
Ihr lieben Älteren und Alten!
Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten.
Die Aussichten sind fabelhaft,
dass es die Wissenschaft noch schafft,
den Menschen völlig zu ersetzen,
und zwar nicht nur an Arbeitsplätzen.
Denn solche künstlichen Roboter
sind billiger, robuster, flotter,
gewissermaßen fast perfekt,
wo doch der Mensch voll Fehlern steckt.
Sie tun gehorsam ihre Pflicht.
Sie klagen nicht, sie streiken nicht.
Wenn´s sein muss, wenn es einer will,
dann wirft man sie halt in den Müll.
Erfolg und Mut auf euern Wegen
der schönen, neuen Welt entgegen.
Wer älter wird, merkt, dass er`s wird,
auch an dem Umstand, dass er irrt,
dass er verlegt, vertauscht, vergisst,
mit einem Wort, ein Trottel ist,
obwohl, so schwört er laut und heiß,
er ganz genau weiß, dass er`s weiß.
Die Wahrheit wird zum bloßen Schein:
Er weiß es, doch ihm fällt´s nicht ein.
Er kann sein Großhirn noch so pressen,
wonach er sucht, das ist vergessen.
Gerade wusste er es noch,
jetzt ist da ein Gedächtnisloch.
Stehn andre Menschen ringsherum,
fühlt er sich so blamiert und dumm.
Was werden diese Menschen denken?
Wird man ihm noch Vertrauen schenken?
Vielleicht gelingt es ihm, mit Scherzen
den Makel wieder auszumerzen.
Doch jeder sah und merkte es:
Fortschreitender Verfallsprozess.
Meist ist die Sache nicht so schlimm
und weckt nur bei ihm selber Grimm:
Es herrscht die absolute Leere
dort, wo er hofft, dass etwas wäre.
Wie war doch der bekannte Name,
verdammt noch mal, wie hieß die Dame?
Wo war die oft gemalte Schlacht
und wer kam dadurch an die Macht?
Wann lag Karl-Heinz ins Krankenhaus?
An welchem Tag kam er heraus?
Wie hieß der dicke Mathelehrer
und wie Elisabeths Verehrer?
Er kann zum Konsumladen laufen,
um Lebensmittel einzukaufen.
Dort angekommen, wird er blass.
Er hat total vergessen, was?
Wo hat er, weil er sie nicht trägt,
die Lesebrille hingelegt?
Erkenntnis trifft ihn wie ein Schlag:
Ach, gestern war sein Hochzeitstag!
Es sind, wird man zu sagen wagen,
nicht die zentralen Menschheitsfragen,
die der Erinnerung entschwinden
und darum keine Antwort finden.
Zum Glück passiert der Fall nicht immer.
Doch manchmal ist die Sache schlimmer,
wenn er den Führerschein vergaß,
als er auf einer Parkbank saß.
Besonders ärgerlich auch dies,
wenn er den Schlüssel hängen ließ
und nun, wobei die Zeit vergeht,
im Regen vor der Haustür steht.
Zunächst hat er gequält gestöhnt,
jetzt hat er sich daran gewöhnt.
Schön wär es, wenn es nicht so wär,
doch irgendwie ging`s ja bisher.
Bloß davon ist er wie besessen:
Er darf das Atmen nicht vergessen,
weil, wenn er Atem hol`n vergisst,
Gedächtnis nicht mehr nötig ist.
Wer älter wird, merkt, dass die Augen
nicht mehr so gut wie früher taugen.
So ist er irgendwann gezwungen
infolge von Veränderungen
des inn´ren Aufbaus der Pupille,
sich zu bedienen einer Brille,
damit er fern und in der Nähe,
den Sachverhalt genauer sähe,
der, merkt er, irgendwie nicht stimmt,
weil das, was scharf sein soll, verschwimmt.
Dies Plastik- oder Blechgestell,
in dunklen Farben oder hell,
mit je zwei umklappbaren Griffen,
das Glas in Linsenform geschliffen,
kann die Erwartung in ihm wecken,
derart die Wahrheit zu entdecken,
die Wirklichkeit, so wie sie ist,
obwohl der Mensch dabei vergisst,
mit Hilfe sinnlicher Antennen
lässt Wirklichkeit sich nicht erkennen.
Und ist er darauf noch so wild,
er macht sich immer nur ein Bild.
Er sieht trotz aller Hilfen schief,
aus seiner Optik, subjektiv,
sich selbst, die andern und die Welt,
so wie´s ihm passt und ihm gefällt.
Doch ohne Brille geht es nicht.
Erst sie ermöglicht jene Sicht,
die ihm den Sinn des Seins erschließt,
zum Beispiel, wenn er Zeitung liest,
das Kleingedruckte in Kontrakten,
Rezeptverordnungen und Akten.
Bei einigen Gelegenheiten
lässt er die Brille gern entgleiten.
Sie würde jeden Spaß verpfuschen
beim Schlafen etwa und beim Duschen.
Dann braucht er diese Hilfe nicht.
Es reicht das innere Gesicht,
womit er vieles schon erspähte
auch ohne optische Geräte.
Wer älter wird, merkt dies gewiss
auch eines Tages am Gebiss.
Dies fehlte ihm am Anfang noch,
als er ans Licht des Kreißsaals kroch.
Doch für den unbezahnten Knilch
erfand Natur die Muttermilch.
Die lässt sich schlucken und verdauen,
auch ohne sie vorher zu kauen.
Darauf begann das Paar der Kiefern
die ersten Beißerchen zu liefern,
was meistens in der Nacht passierte
und arge Wachstumsschmerzen schürte,
was seinerseits mehr, als man glaubt,
den Eltern Schlaf und Ruhe raubt,
worauf er ohne Kompromiss
in alles, was ihn reizte, biss:
Waschpulver, Schnecken, fremde Finger,
Bonbons und Wagners Meistersinger.
Der Umfang dieses Schabernacks
trug bei zur Bildung des Geschmacks,
weil man in Lauf der Zeit entdeckt:
Nicht alles, was gut aussieht, schmeckt.
Doch Erdenpracht wird überall
bedroht von Schrumpfung und Verfall.
Der Zahn der Zeit ist sein Begleiter;
er nagt und nagt und nagt stets weiter.
Auch Zähnen, noch so fest und hart,
bleibt dieses Schicksal nicht erspart.
Das ehemalige Idyll
verkrümelt sich im Wohlstandsmüll.
Der erste Schultag mit der Tüte,
als er vor Stolz und Neugier glühte,
mit dem Tornister auf dem Rücken,
im Zahngehege breite Lücken.
Nichts blieb von dieser Doppelreihe.
Doch welch ein Glück, es wuchsen neue.
Die pflegte er mit Fluorpaste
und einer Schweineborstenquaste,
um alle schädlichen Bazillen
zu unterdrücken und zu killen.
Doch diese, keineswegs verloren,
begannen, bis ins Mark zu bohren.
Als dann der Schmerz im Schmelz rumorte,
blieb nur, dass ein Experte bohrte.
Das Opfer hing, betäubt vor Qual,
im zahnärztlichen Marterpfahl,
spie seine Angst in einen Kübel
aus Angst vor noch mehr Angst und Übel.
Der Zahn der Zeit beißt allgemein
zwar langsam, aber gründlich klein.
Die Zahl der Zähne schmolz zusammen,
wie Holz verkohlt in Feuersflammen,
und jetzt benutzt er ein Gebiss
gemäß dem Spruch: Stirb oder friss!
Er kann es leicht beiseite legen,
penibel reinigen und pflegen,
und hat, weil´s nicht vergammeln kann,
vielleicht noch lange Freude dran.
Hat ihn der Tod in seinen Krallen,
sind Fleisch und Knochen längst zerfallen,
dort in des Grabes Finsternis
bleibt eins erhalten: Sein Gebiss.
Wer älter wird, bemerkt oft trübe:
Es geht bergab, auch mit der Liebe,
genau genommen, mit dem Sex,
dem instinktiven Lustreflex,
der durch des Mannes Glieder fährt
und dort wie Most im Weinfass gärt,
sobald ein schönes Weib ihm naht
zu einem Liebesattentat.
Das war einmal und ist nicht mehr.
Sein Blick wird matt und tränenschwer.
Er musste eines Tags erkennen:
Von nun ist er nicht mehr im Rennen.
Jedoch erträgt er diese Bürde,
so wie auch anderes, mit Würde.
Es reizt nicht mehr wie ehedem.
Er ist im Grund auch zu bequem.
Nicht immer zeigte sein Gefühl
sich derart abgeklärt und kühl;
im Gegenteil, der Ofen kochte,
sobald er sie und sie ihn mochte.
Es gab da selten Hindernisse
und störende Gewissensbisse,
wenn´s galt, ein Stelldichein zu planen
und sich den Weg zu ihr zu bahnen.
Jetzt ruht der Wein in einer Flasche,
die Glut verbirgt sich unter Asche.
Die Leidenschaften sind bezwungen.
Er nährt sich von Erinnerungen,
die wie die Abendsonnenstrahlen
Gold in den grauen Alltag malen.
Das wilde Leben war einmal.
Jetzt herrschen Ordnung und Moral.
Nun endlich gibt´s Gelegenheit,
mehr Kraft und Konsequenz und Zeit,
zu werden, was er stets gewollt:
Ein vorbildlicher Tugendbold.
Nur eine Sehnsuchtsträne fließt,
wie jeder merkt, der dieses liest.
Wer älter wird, der arme Tropf,
merkt´s in und an und auf dem Kopf,
der einserseits stets schwerer wird,
so wie er immer leerer wird,
vergleichbar einem Vakuum
im Kopf und um den Kopf herum:
Hirnmasse auf der Innenseite
und außen gehn die Haare pleite.
Solange jemand Haare hat,
da findet deren Wachstum statt
in blonden Locken oder braunen
zu aller Freude und Erstaunen.
Frau kann zur Linken und zur Rechten
sich dann womöglich Zöpfe flechten,
beziehungsweise wieder kürzen
und so die Männerwelt bezirzen.
Zeigt sich jedoch an deren Platze,
beim Mann besonders, eine Glatze,
stellt sich das Wachstum von allein
gemäß Natur und Logik ein.
Solange ihm noch Haare sprießen,
muss er sich leider auch entschließen,
den Schopf der Hygiene wegen
zumindest minimal zu pflegen,
zum Beispiel waschen, kämmen, schneiden,
um Filz und Läuse zu vermeiden.
Sofern er sich dabei entscheidet,
dass er die Haare selber schneidet,
erscheint es anderen oft eher,
als ob ein stumpfer Rasenmäher,
beziehungsweise an der Stätte
ein Wirbelsturm gewütet hätte.
Deswegen muss er sich bequemen,
die Hilfe Fremder anzunehmen.
Abhilfe schafft für dies Malheur
gern und begeistert der Frisör,
Hand-Werker, Meister, Künstler gar,
nicht selten ein berühmter Star.
Als Figaro in Opernszenen
versucht er sich in Kantilenen,
wogegen, wenn die Schere klappert,
er ständig mit dem Kunden plappert.
Derselbe sitzt mehr stumm als locker
in seinem hochstellbaren Hocker,
für diesen Vorgang unbebrillt,
in einen Umhang eingehüllt,
vor spiegelblanken Spiegelwänden,
mit sorgenvoll verkrallten Händen,
weil ihn umständehalber leicht
die Angst vor Kastration beschleicht,
(nicht richtig, aber immerhin
vielleicht im übertrag´nen Sinn),
dazu der Zwang zu phantasieren,
der andre wolle ihn skalpieren.
Auch diese Folter geht vorbei,
dann ist er endlich wieder frei.
Sein Skalp sitzt fest, das andre auch
zu künftig weiterem Gebrauch.
Der Schreck blieb aus, um Haaresbreite.
Erleichtert sucht er nun das Weite.
Nun muss man allerdings gestehn,
dass manche Leute gerne gehn,
zum einen weil sie darauf hoffen, -
jedoch das Resultat bleibt offen, -
dass sie am Ende schöner sind,
als wenn die Prozedur beginnt,
zum anderen erhoffen sie
sich mitmenschliche Therapie.
Ein Mensch leiht ihnen da sein Ohr,
das kommt ansonsten kaum noch vor.
Wie dies im einzelnen auch sei,
beschwerdevoll, beschwerdefrei,
es kommen irgendwann die Tage,
da endet von allein die Plage,
wenn er kein einz´ges Haar mehr hat,
wenn alles platt ist, alles glatt.
Dann reicht es einfach und bequem
mit Seife und Niveacreme.
Wer älter wird, bemerkt dies schlicht
womöglich in Jahrzehnten nicht,
Erfolg und Fortschritt sind normal..
Unendlich scheint sein Kapital
an Tatkraft, Neugier, Hoffnung, Zeit,
der blaue Himmel endlos weit
und Glück so endlos wie das Meer,
voll bis zum Rande, niemals leer.
Allmählich oder plötzlich doch
zeigt sich im schönen Bild ein Loch,
dann weit´re Schrammen, Kratzer, Risse,
Verletzungen, Gewissensbisse.
Es fehlt an Stärke, Mut und Schwung,
er fühlt sich alt und nicht nicht mehr jung.
Dass jemand älter wird im Leben,
dagegen hilft kein Widerstreben.
Kaum ist geboren er, sie es,
beginnt der Alterungsprozess,
zunächst nur intrakorporär.
Dies zu bemerken, fällt erst schwer,
weil etwas nicht sofort veraltet,
dagegen Neues sich entfaltet
und alles Neue in der Welt
das Alte in den Schatten stellt.
Der Mensch wird größer, langsam groß,
doch lebt anscheinend alterslos.
Wenn irgendwer vom Alter lallt,
dann lässt ihn die Erkenntnis kalt,
zumal für ihn das Älterwerden
verursacht keinerlei Beschwerden.
Er fühlt sich hoffnungsvoll und stark
vom großen Zeh bis in das Mark.
Was sind schon zwanzig Jahre? Nichts,
erklärt er frohen Angesichts.
Er macht verschiedene Examen,
dazu Erfahrungen mit Damen,
und der Solist wird zum Duett,
nachdem er eine heiratet.
Er arbeitet beruflich fleißig,
und mir nichts, dir nichts ist er dreißig,
Im Grunde keinerlei Zäsur.
Von Altersschwäche keine Spur.
Höchst schaffensfreudig fühlt er sich,
besonders aber: Jugendlich.
Doch bald zeigt sich im Lebensglück
ein kleiner, noch verdrängter Knick.
Es macht ihm Mühe zu verstehn,
wie Jüngere durchs Leben gehn.
Die ihrerseits verstehen nicht,
wie er so klug und weise spricht.
Doch in der Regel scheint die Sonne,
es herrscht persönlich eitel Wonne.
Die Zeit verkrümelt sich im Flug.
Es scheint beinahe wie Betrug:
Erst schwebt er noch von Jahr zu Jahr
und wird des Wechsels kaum gewahr.
Dann nimmt das Tempo weiter zu.
Ist`s Sinnestäuschung? Ist es Schmu?
Er hat und nimmt sich keine Pause
im täglichen Berufsgesause,
weil ständig eine Stimme schreit:
Denk an die Zeit… die Zeit… die Zeit.
Nun wird der Mensch schon vierzig Jahre,
laut schallt die jubelnde Fanfare.
Zwar war`s bisher nicht immer leicht.
Doch hat er mancherlei erreicht.
Weit ist er durch die Welt gestreift,
er ist erfahren und gereift,
hat sich zuweilen wohl verzettelt,
doch irgendwie durchaus gesettelt.
Vielleicht erfreut der Jubilar
sich einer großen Kinderschar
und ist bei Freund und Feind im Land
weithin bekannt und anerkannt.
Er hat in vielen neuen Runden
den Lebensweg herausgefunden,
den er, von anderen begleitet,
entschlossen-mutig vorwärtsschreitet.
Die Zeit eilt unaufhaltsam weiter,
der Mensch wird weiser und gescheiter,
an Einsicht und Vermögen reicher.
Die Ernte sammelt sich im Speicher.
Doch immer wieder muss er spüren:
Was jemand hat, kann er verlieren,
allmählich oder über Nacht,
auch wenn er´s noch so scharf bewacht.
Krankheiten melden sich und Schwächen,
Freundschaft und Harmonie zerbrechen.
Der Tod, bisher ein Schatten bloß,
wird schlagartig bedrohlich groß.
Gesundheit wankt, es flieht die Zeit,
und Zukunft wird Vergangenheit.
Nichts bleibt, nichts dauert, nichts macht Halt.
Schon ist er fünfzig Jahre alt.
Und öfters geht ihm durch den Sinn:
Stimmt wohl die Richtung? Wo geht`s hin?
Was gilt? Was will ich gelten lassen?
Was soll ich lieben, muss ich hassen?
Ich muss mich besser konzentrieren,
um mich nicht selber zu verlieren.
Zu kostbar ist die kurze Zeit
für Tändelei und Nichtigkeit.
Hier endet leider das Gedicht.
Wie´s weitergeht, ich weiß es nicht.
Doch eines gilt in jedem Falle
für dich, für mich, das heißt, für alle:
Das Zeitguthaben wird geringer,
schnell rinnt die Zeit Dir durch die Finger
ganz sanft und schmerzlos, nicht gewaltsam,
doch unaufhörlich … unaufhaltsam.
Am Schluss zählt nicht die Jahresmenge,
nicht blendend äußeres Gepränge,
nicht Geld, nicht Gut, nicht Macht, nicht Pracht,
nur dies: Was hast Du draus gemacht!
Wer älter wird, bemerkt dies schlicht
womöglich in Jahrzehnten nicht,
Erfolg und Fortschritt sind normal..
Unendlich scheint sein Kapital
an Tatkraft, Neugier, Hoffnung, Zeit,
der blaue Himmel endlos weit
und Glück so endlos wie das Meer,
voll bis zum Rande, niemals leer.
Allmählich oder plötzlich doch
zeigt sich im schönen Bild ein Loch,
dann weit´re Schrammen, Kratzer, Risse,
Verletzungen, Gewissensbisse.
Es fehlt an Stärke, Mut und Schwung,
er fühlt sich alt und nicht nicht mehr jung.
Dass jemand älter wird im Leben,
dagegen hilft kein Widerstreben.
Kaum ist geboren er, sie es,
beginnt der Alterungsprozess,
zunächst nur intrakorporär.
Dies zu bemerken, fällt erst schwer,
weil etwas nicht sofort veraltet,
dagegen Neues sich entfaltet
und alles Neue in der Welt
das Alte in den Schatten stellt.
Der Mensch wird größer, langsam groß,
doch lebt anscheinend alterslos.
Wenn irgendwer vom Alter lallt,
dann lässt ihn die Erkenntnis kalt,
zumal für ihn das Älterwerden
verursacht keinerlei Beschwerden.
Er fühlt sich hoffnungsvoll und stark
vom großen Zeh bis in das Mark.
Was sind schon zwanzig Jahre? Nichts,
erklärt er frohen Angesichts.
Er macht verschiedene Examen,
dazu Erfahrungen mit Damen,
und der Solist wird zum Duett,
nachdem er eine heiratet.
Er arbeitet beruflich fleißig,
und mir nichts, dir nichts ist er dreißig,
Im Grunde keinerlei Zäsur.
Von Altersschwäche keine Spur.
Höchst schaffensfreudig fühlt er sich,
besonders aber: Jugendlich.
Doch bald zeigt sich im Lebensglück
ein kleiner, noch verdrängter Knick.
Es macht ihm Mühe zu verstehn,
wie Jüngere durchs Leben gehn.
Die ihrerseits verstehen nicht,
wie er so klug und weise spricht.
Doch in der Regel scheint die Sonne,
es herrscht persönlich eitel Wonne.
Die Zeit verkrümelt sich im Flug.
Es scheint beinahe wie Betrug:
Erst schwebt er noch von Jahr zu Jahr
und wird des Wechsels kaum gewahr.
Dann nimmt das Tempo weiter zu.
Ist`s Sinnestäuschung? Ist es Schmu?
Er hat und nimmt sich keine Pause
im täglichen Berufsgesause,
weil ständig eine Stimme schreit:
Denk an die Zeit… die Zeit… die Zeit.
Nun wird der Mensch schon vierzig Jahre,
laut schallt die jubelnde Fanfare.
Zwar war`s bisher nicht immer leicht.
Doch hat er mancherlei erreicht.
Weit ist er durch die Welt gestreift,
er ist erfahren und gereift,
hat sich zuweilen wohl verzettelt,
doch irgendwie durchaus gesettelt.
Vielleicht erfreut der Jubilar
sich einer großen Kinderschar
und ist bei Freund und Feind im Land
weithin bekannt und anerkannt.
Er hat in vielen neuen Runden
den Lebensweg herausgefunden,
den er, von anderen begleitet,
entschlossen-mutig vorwärtsschreitet.
Die Zeit eilt unaufhaltsam weiter,
der Mensch wird weiser und gescheiter,
an Einsicht und Vermögen reicher.
Die Ernte sammelt sich im Speicher.
Doch immer wieder muss er spüren:
Was jemand hat, kann er verlieren,
allmählich oder über Nacht,
auch wenn er´s noch so scharf bewacht.
Krankheiten melden sich und Schwächen,
Freundschaft und Harmonie zerbrechen.
Der Tod, bisher ein Schatten bloß,
wird schlagartig bedrohlich groß.
Gesundheit wankt, es flieht die Zeit,
und Zukunft wird Vergangenheit.
Nichts bleibt, nichts dauert, nichts macht Halt.
Schon ist er fünfzig Jahre alt.
Und öfters geht ihm durch den Sinn:
Stimmt wohl die Richtung? Wo geht`s hin?
Was gilt? Was will ich gelten lassen?
Was soll ich lieben, muss ich hassen?
Ich muss mich besser konzentrieren,
um mich nicht selber zu verlieren.
Zu kostbar ist die kurze Zeit
für Tändelei und Nichtigkeit.
Hier endet leider das Gedicht.
Wie´s weitergeht, ich weiß es nicht.
Doch eines gilt in jedem Falle
für dich, für mich, das heißt, für alle:
Das Zeitguthaben wird geringer,
schnell rinnt die Zeit Dir durch die Finger
ganz sanft und schmerzlos, nicht gewaltsam,
doch unaufhörlich … unaufhaltsam.
Am Schluss zählt nicht die Jahresmenge,
nicht blendend äußeres Gepränge,
nicht Geld, nicht Gut, nicht Macht, nicht Pracht,
nur dies: Was hast Du draus gemacht!
Wer älter wird, der kann entdecken,
das Leben geht um viele Ecken
und selten bloß, niemals beinah
die Via direttissima,
schnurstracks, geradewegs, sofort,
direkt bis zum Bestimmungsort,
Es kommt entsprechend Wilhelm Busch
ganz unerwartet husch, husch, husch
oft völlig anders, als er denkt,
was ihn befremdet, beinah kränkt,
weil er als Mensch, der aufgeklärt,
die Hoffnung und Gewissheit nährt,
er selbst sei seines Glückes Schmied
bei dem, was ist und was geschieht,
er lenke seines Schicksals Lauf,
und zwar stets vorwärts und bergauf.
Doch irgendwie und irgendwo,
da fällt ihm auf, es ist nicht so.
Womit er fest gerechnet hat,
das findet schließlich doch nicht statt,
wogegen das, was nicht sein sollte,
ihn wie ein Panzer überrollte -
unlogisch, unbegreiflich fast,
was ihm natürlich gar nicht passt.
So sucht er endlich notgedrungen
nach notwendigen Folgerungen,
die sich daraus für Leib und Leben,
für Zeit und Ewigkeit ergeben.
Ist eines Menschen Tun und Lassen,
sein Handeln, Denken, Lieben, Hassen,
die Richtung, die sein Leben nimmt,
vom Schicksal schon vorherbestimmt?
Liegt auch das Ziel entsprechend fest,
so dass sich nichts mehr ändern lässt?
Wie kommt er einer Antwort nah?
Deterministen sagen ja.
Das Fatum hat prädestiniert,
wohin der Lebensweg ihn führt.
Er mag sich wenden, mag sich drehn,
ausweichen oder widerstehn,
er wird gestoßen und gezerrt,
auch wenn er zetert oder plärrt.
Drum füge er sich fromm und still,
auch wenn er, was er soll, nicht will.
Dazu sagt er entschieden nein,
setzt selbst die Ziele, er allein.
Er ist doch keine feige Memme
und zieht sich selber aus der Klemme.
Klar, dass sich Widerstände finden.
Die gibt´s, um sie zu überwinden.
Er möchte Grenzen überschreiten
hinaus in unbekannte Weiten,
auch wenn sich Hindernisse türmen,
die Höhen des Olymps erstürmen.
Das glückt ihm auch zum grössten Teile -
am Anfang und für eine Weile,
bis er bemerkt und konstatiert,
es läuft nicht alles, wie geschmiert.
Er bleibt auf halber Strecke stecken.
Verwirrung packt ihn und Erschrecken.
Die Kraft versagt, der Kopf ist leer.
Er scheint am Ende, nichts geht mehr.
Melancholie, ein Trauerlied
durchzieht sein Herz und sein Gemüt:
Es reift, so wie beim Apfelbaum,
nicht jeder Lebensblütentraum.
So klug er auch die Schritte lenkt,
er kommt nicht dort an, wo er denkt.
Und kaum hat er sich eingestellt
auf etwas, was ihm nicht gefällt,
da geht`s in eine neue Richtung
mit völlig anderer Gewichtung.
Der zweifellos perfekte Plan
erwies sich als perfekter Wahn.
Wie viele Wege sind vergebens!
Der Umweg ist der Weg des Lebens.
Es wird ihm immer öfter klar,
er ist, wo er schon früher war,
wie jener, der total verwirrt
im Kreis durch eine Wüste irrt
und plötzlich merkt auf seiner Tour,
er folgt nur seiner eignen Spur.
Er läuft, doch bleibt auf einer Stelle
und kommt sich vor wie in der Hölle,
Es tut sich nichts an diesem Ort,
nichts tut sich, gar nichts tut sich dort;
im Grund ist´s weder schlecht noch gut,
langweilig nur, weil sich nichts tut.
Er scheint für alle Zeit verlorn, -
da reißt ihn eine Kraft nach vorn.
Es ist, als fliegt er, leicht und weit,
mit Überschallgeschwindigkeit,
und ohne viel zu überlegen,
dem heiß erstrebten Ziel entgegen.
Und irgendwann sieht er dann ein,
was er sich wünschte, muss nicht sein.
Es gibt ja außerdem noch viele
erstrebenswerte andre Ziele,
die vorher scheinbar nicht vorhanden,
weil sie versteckt im Schatten standen.
Das Fazit lautet also, oft
kommt´s knüppeldick und unverhofft,
obwohl er auch nicht selten sieht,
dass leider, leider nichts geschieht.
Wer älter wird, der wird erkennen,
er muss sich immer wieder trennen,
noch trauriger, er wird getrennt
hart, rücksichtslos und vehement
von großen Dingen oder kleinen,
die ihm fast unentbehrlich scheinen,
teils freiwillig, erleichtert, froh,
teils, weil es Zeit war, einfach so,
teils unter hartem, bittrem Zwang,
der Wunden riss ein Leben lang,
ein unvorhergesehner Bruch
und schmerzerfüllter Widerspruch,
der Atem, Halt und Hoffnung raubt
und ihm entreißt, woran er glaubt.
Ein jeder Mensch kommt irgendwann
ganz unbedarft im Leben an
und wurde nicht einmal befragt,
ob dieser Zustand ihm behagt,
wenn er durch den Geburtskanal
zu seiner und der Mutter Qual
sich dorthin einen Weg gebahnt,
wovon er vorher gar nichts ahnt.
Die Nabelschnur wird durchgeschnitten.
Das muss geschehen, unbestritten.
Doch ist´s brutal und voll Beschwerden,
mit dem Skalpell getrennt zu werden.
Sich loszulösen von der Bindung,
erfordert häufig Überwindung,
bereitet Widerstand und Schmerz,
ist keineswegs nur Spiel und Scherz.
Wer sich abnabelt, macht sich frei
mit Schmerzens- und Triumphgeschrei.
Doch gilt nicht nur am Lebensschluss,
dass der, der kommt, auch gehen muss.
Denn jeder Mensch steht viele Male
an diesem Abschiedsmarterpfahle:
Um einen Herbsturlaub zu buchen,
um Onkel Wilhelm zu besuchen,
muss er das eigne Heim verlassen,
mag er das gern tun oder hassen.
Wir trennen uns aus vielen Gründen,
um anderswo das Glück zu finden:
Der Embryo im Uterus
verschwindet, weil er will und muss,
und gründet damit letzten Ends
sich eine neue Existenz.
Aus Reiselust, zum Studium,
beruflich, und wer weiß, warum,
damit das Leben uns gelingt,
Veränderung und Freude bringt,
bewegen wir uns, Gott sei Dank;
wer stets im Bett bleibt, der ist krank.
Nicht nur von Menschen trennt man sich,
lässt sie womöglich gar im Stich,
auch von Tapeten, Kleidern, Uhren,
von Brillen, Zähnen und Frisuren
trennt man sich früher oder später
teils wehmütig, teils mit Gezeter;
von Lebensmustern, die beengen;
von Wünschen, die ins Abseits drängen;
Erfahrungen und Werturteilen,
die schädigen, anstatt zu heilen;
von Illusionen und Idolen,
dem Zwang, sich stets zu wiederholen;
vom Drang, sich selber zu verletzen
und sich nicht richtig einzuschätzen.
Es gilt für jeden, der da lebt
und an Vorhandenem so klebt,
oft wider Willen und Verstehen:
Wer kommt, der muss auch wieder gehen.
Kaum hat er mühsam oder leicht
ein ganz bestimmtes Ziel erreicht,
lockt irgendwo ein neues Ziel,
und weiter geht das alte Spiel:
Abschied von allem, was man kennt,
kurzfristig oder permanent.
Zum guten oder bösen Schluss
kommt´s auch bei ihm, wie´s kommen muss:
Er sagt mit Freude oder Weh
dem Leben und der Welt ade,
obwohl wie einst beim kleinen Kind
noch viele Fragen offen sind.
Vielleicht macht dieser Trost es leichter,
hilft dir kein andrer, vielleicht reicht er:
Dann hört es auf mit den Problemen,
er muss nie wieder Abschied nehmen.
Auch wenn er noch so gerne bliebe,
da hilft nicht Hass, da hilft nicht Liebe.
Bejahung oder Widerstreben,
der Trennungsschmerz gehört zum Leben.
Wer älter wird – wir wissen es:
Ein automatischer Prozess,
dem keiner, weder Frau noch Mann,
sich irgendwie entziehen kann, -
entwickelt und verändert sich
teils innerlich, teils äußerlich,
nach einer unsichtbaren Uhr
gemäß der menschlichen Natur.
Doch leider ist in unserm Land
durchaus nicht ebenso bekannt,
bestimmt noch nicht bekannt genug:
Man wird nicht automatisch klug,
nicht einfach so, nicht von allein.
Von nichts kommt nichts, gilt allgemein.
Gescheit zu werden ist indess
ein lebenslanger Lernprozess,
verbunden oft mit sehr viel Fleiß,
mit Denken, Übungen und Schweiß,
was einige aus diesen Gründen
als viel zu mühevoll empfinden,
weil sie es vorziehn, nichts zu tun
und sich hauptsächlich auszuruhn.
Dagegen spricht: Die Zeit ist endlich,
dadurch das Ende unabwendlich.
Denn keinem Menschen ist gegeben
Unsterblichkeit und ew´ges Leben.
Lang währt die Kunst, das Leben nicht.
Beispiele zeigen´s klar und schlicht:
Ein Ziegel fällt ihm auf den Kopf.
Am Herd zerplatzt ein Wassertopf.
Verhängnisvoll wirkt eine Gräte,
die er beim Kau´n zu spät erspähte.
Ein Tiger, der dem Zoo entsprungen,
sucht frischen Fraß für seine Jungen.
Es trifft ihn auf dem Wochenmarkt
der gnadenlose Herr Zinfarkt.
Auch kann es sein, dass er vergisst,
wie wichtig Atemholen ist.
Dies sind nur sechs von tausend Gründen,
den nicht gesuchten Tod zu finden.
Er kommt, kein Zweifel ist erlaubt,
und zwar oft eher als man glaubt.
Drum schläft der Mensch am Abend ein,
dann kann es leicht der letzte sein.
Falls diese Einsicht tiefer dringt
und ihn zu Konsequenzen zwingt,
die knappe Zeit gut anzuwenden
und nicht mit Nichtstun zu verschwenden,
dann dient, was wenige vermuten,
sogar der böse Tod zum Guten.
Drum sei dir deines Tods bewusst
und lebe dann mit Lieb und Lust.
Wer älter wird, schaut von Natur
fast automatisch auf die Uhr.
Die Neigung, auf die Uhr zu kucken,
wird schließlich zum nervösen Zucken,
meist ohne jeglichen Genuss.
Er will nicht, doch er meint, er muss,
weil ständig sein Verdacht besteht,
er käme irgendwo zu spät.
Am Anfang kümmert´s ihn nicht viel;
es fehlt total an Zeitgefühl.
Er kennt die Uhr nicht, nicht die Zeit,
egal, wie spät es ist, er schreit.
Es gelten seine Interessen
allein dem Saufen und dem Fressen.
Ob morgens, mittags, mitternachts,
er quäkt und quält und kräht. Was macht`s,
dass Mama, völlig überlastet,
bald hierhin und bald dorthin hastet
und dann ihr Zeitgefüge prompt
genauso durcheinanderkommt!
Nimmt er allmählich zu an Jahren,
wird zwar gewitzter sein Gebaren,
doch hält er es für selbstverständlich:
Des Lebens Dauer währt unendlich.
Was morgen sein wird, übermorgen,
macht ihm nicht die geringsten Sorgen.
Mit voller Brust und stolzgeschwellter
frohlockt er, wird er ein Jahr älter.
Die Zeit gleicht einem Riesenmeer:
Er schöpft und schöpft, es wird nie leer.
Sobald er etwas reifer wird,
bemerkt er, dass er darin irrt.
Sein Tun und Lassen ist komplett
hineingepresst ins Zeitkorsett:
Minuten, Stunden, Tage, Wochen,
die ihn beinahe unterjochen.
Geht er zum Abendessen aus,
zum Gottesdienst, ins Krankenhaus,
zum Schwimmbad oder Tete-a-tete,
fragt er zunächst einmal: Wie spät?
Fängt irgendetwas für ihn an,
stellt er bestimmt die Frage: Wann?
Genauso häufig fragt er bange:
Wie lange dauert das, wie lange?
Terminkalender sowie Uhren
vollbringen offenbar Dressuren
von Menschen, die beharrlich glauben,
nichts könne ihre Freiheit rauben.
Der Fahrplan für die Eisenbahn
und für den Flugverkehr ein Plan
und ungezählte andre Pläne,-
du weißt schon, diese oder jene,-
bewirken schließlich, dass er ahnt,
der Mensch sei seinerseits verplant.
Die Uhr, die er am Armband trägt,
auch die, die auf dem Kirchturm schlägt,
der Wecker morgens früh am Tage,
im Radio die Zeitansage,
sie machen deutlich selbst dem Kind:
Die Zeit ist flüchtig, sie verrinnt.
Zwar hört man oft in froher Runde:
Dem Glücklichen schlägt keine Stunde,
doch was sich zeigt als Freudenquell,
verflüchtigt sich besonders schnell,
wogegen, was das Sein versauert,
meist ausgesprochen lange dauert.
Geburtstage und Jubiläen
auch keineswegs nur Freude säen.
Sie machen unumwunden kenntlich:
Des Menschen Lebenszeit ist endlich.
Sie saust, nach Busch, im Sauseschritt,
der Mensch kommt manchmal kaum mehr mit.
Die Zunge hängt ihm aus dem Hals
und manches andre ebenfalls.
Schon wieder ist ein Tag vergangen!
Es scheint, er hat kaum angefangen.
Verliebtheit, Urlaub, Jugendzeit,
im Nu sind sie Vergangenheit.
Es lichtet sich des Haupts Behaarung,
er sammelt Fotos und Erfahrung,
Gerümpel, Kummerspeck und Gold,
auch Niederlagen, ungewollt.
Die Zeit verrinnt in einer Tour
wie Sand in einer Eieruhr.
Erst kämpft und ficht er wie verrückt,
damit ihm, was er möchte, glückt.
Sobald sein Kampfesmut versiegt,
dann will er nur noch, was er kriegt.
Das Haben wächst, zugleich das Soll.
Mehr ängstlich als erwartungsvoll
schaun er, was ihm die Zukunft bringt,
ob ihm ein weit`res Jahr gelingt.
Da ist etwas, das ihn bedroht
und voller Schrecken scheint, der Tod,
obwohl er, sagen wir es platt,
bestimmt auch guten Seiten hat:
Ob er im dunklen Grabe modert,
ob im Verbrennungsofen lodert,
kein Ticken einer Uhr stört mehr,
kein Zeitverlust macht ihm Beschwer,
kein Wechselspiel von Tag und Nacht,
kein Auftrag: Morgen um halb acht.
Nun darf er jeden Buss verpassen,
den Wecker einfach klingeln lassen
und, statt um sechs Uhr aufzustehn,
sich auf die andre Seite drehn,
dreihundertfünfundsechzig Tage
das ganze Jahr lang ohne Plage.
Wer älter wird, denkt ab und zu:
„Nanu“, denkt er, er denkt: „Nanu!
Ick kieke, staune, wundre mir,
ick globe fast, ick phantasier.
Erst war ich nicht, nun aber bin ich,
wie rätselhaft und hintersinnig.
Wie kam es dazu, dass ich bin?
Wo kam ich her? Wo geh ich hin?
Wer oder was hat mich gemacht?
Hat mich vielleicht der Storch gebracht?
Wer steckte mich in Muttis Bauch?
Wie kam ich durch den engen Schlauch?
Bin ich zurück, erfrischt und jung,
nach langer Seelenwanderung?
Belohnung oder Strafe gar
für etwas, das längst früher war?
War´s Zufall, war es Gottes Willen?
Lässt sich das Rätsel je enthüllen?“
Tief aus dem Innern quell´n die Fragen,
in Nächten mehr noch als an Tagen,
beim Liegen, Sitzen oder Stehn,
beim Essen und Spazierengehn,
gleich, ob er liest und träumt und ruht,
gleich, ob er, was er tun muss, tut;
wenn Krankheit die Bewegung hemmt
und Schmerz die Freude überschwemmt,
wenn der Gedanke an den Tod
die Alltagssicherheit bedroht,
besonders, wenn der Tod direkt
die Knochenhände nach ihm streckt.
Entsprechend Aristoteles
führt solches Fragen zum Prozess,
der einen Menschen über Nacht
zum kleinen Philosophen macht.
Denn wer sich wundert, tut damit
den ersten wesentlichen Schritt,
danach zu fragen, was die Welt
im Innersten zusammenhält.
Zwar gehn die Fragen oft ins Leere,
ins Ungewisse, Ungefähre,
und was am Schluss vor Augen steht,
ist oft nicht deutlich und konkret.
Doch fördert dieses Überlegen
die Lust, den Mut und das Vermögen,
jenseits von Selbstverständlichkeiten
auch neue Wege zu beschreiten;
Neugier nach dem, was sich verbirgt,
was hinter den Kulissen wirkt,
nach unbekannten Dimensionen,
die Mühen und Entbehrung lohnen.
Wer sich und andere nicht fragt,
nicht permanent nach Antwort jagt,
nicht wissen will: Wieso? Warum?
bleibt leider unerträglich dumm.
Dummheit ist nicht erstrebenswert,
weil sie das Leben nur erschwert.
Wer clever ist, lenkt Tun und Lassen,
der Dumme hat sich anzupassen.
Schon wer gescheit ist, hat es schwer;
wer dumm ist und es bleibt, noch mehr.
Verstand ist Gottes beste Gabe
vom Schulbeginn bis hin zum Grabe,
wonach er allerdings zerfällt
wie schließlich alles in der Welt.
Ist erst vorbei des Lebens Lauf,
dann hört die Lust am Denken auf.
Drum nutzt er seine grauen Zellen,
um etwas Ordnung herzustellen
im Stress und Trubel und Geschrei
und bunten Alltagsallerlei,
was oft dem Chaos ähnlich ist,
das jeden, der nicht aufpasst, frisst.
Wohl dem, der nach Erkenntnis strebt.
Denn nur, wer fit ist, überlebt
im harten Überlebensstreit,
wie schon Charles Darwin prophezeit.
Es sind Alltagsbegebenheiten,
die unentwegt vorübergleiten,
doch meistens ohne Spur verwehn,
weil sie im Trubel untergehn,
die seine Phantasie beschwingen.
So sucht er in den kleinen Dingen
am Weg, im Wald, am Strand, auf Plätzen
nach Wundern und geheimen Schätzen,
und siehe da, er findet sie
geheimnisvoll und irgendwie.
Zwar bleiben viele Fragezeichen
in allen menschlichen Bereichen.
Wie oft hat er vor Schmerz geschrien?
Wie oft zerbrach, was ewig schien?
Wie vieles Schöne ging verloren?
Wie viele Blüten sind erfroren?
Doch wird er ständig weiterfragen
in guten und in bösen Tagen,
obwohl ein Denken, das gelingt,
dem Denker nicht nur Freude bringt.
Da hilft kein Vorsatz, kein Verbot.
Wer keine Fragen hat, ist tot..
Wer älter wird, dem kann´s gelingen,
zu freuen sich an kleinen Dingen,
an dem, was früher unscheinbar,
gering und nebensächlich war.
Er sucht und findet ringsumher
im Alltag, oft so grau und leer,
Erfahrungen, die jetzt im kleinen
ihm wahrhaft wunderbar erscheinen
und ihm im oft beengten Leben
von neuem Kraft und Hoffnung geben.
Ein heimliches Refugium,
kein Freund, kein Feind, kein Publikum,
im Park, im Herzen, nebenan,
wohin er sich zurückziehn kann;
wo ihn das Störende nicht stört,
so dass er Unhörbares hört
und Unsichtbares vor sich sieht,
Geschehenes, was neu geschieht;
wo Wünsche, Träume und Gedanken
sich ständig umeinanderranken,
Erinnerungen und Figuren,
vergessene, verwehte Spuren
aus Zukunft und Vergangenheit,
Enthüllungen der Ewigkeit.
Ein Wort der Liebe, das aus Scham
nie über seine Lippen kam,
ein Dank, der ungesprochen blieb,
und Briefe, die er niemals schrieb;
Schuld und Vergebung, Lust und Leid,
Antwort, die tröstet und befreit;
Zeit, die zurück ins Nichtsein tropft,
sein Herz, das regelmäßig klopft;
Tau, der sich auf die Erde senkt,
und Wind, der sich in Bäumen fängt,
der Bienen summendes Gewimmel
und Lerchenschlag am Sommerhimmel,
spazierengehn, ein schönes Buch,
ein doch gelungener Versuch;
im Bett die müden Glieder strecken,
Geheimnisse in sich entdecken;
zu einem neuen Ziel aufbrechen
und lächeln über eigne Schwächen,
an Geld gemessen gar nicht viel,
ein bisschen kauzig und skurril,
ganz subjektiv und unreal,
ein Märchen fast „Es war einmal“,
und doch gebraucht, gesucht, geliebt,
einfach das Schönste, was es gibt.
Wer älter wird, braucht Medizin,
um Schmerz und Krankheit zu enfliehn,
die sich stets mehr nach vorne drängen
und sich wie Kletten an ihn hängen:
Tabletten, Salben, Tropfen, Pillen,
verdauuungsfördernde Pastillen,
Plazebos, Psychopharmaka,
Impfstoffe gegen Cholera,
buddhistischer Verjüngungstee,
ein Antiinfektionsdragee,
Intimgesundheitspräparate,
gehackte Zwiebeln mit Tomate;
Ginseng für Seelenharmonie,
Gelenkeschmieröl für das Knie,
Weißmacher für die Weisheitszähne,
Tinkturen zur Gebisshygiene;
auch das, was bei Reklamesendung
rekommandiert wird zur Verwendung
teils für den Schlaf, teils zum Erwachen
und nicht so oft ins Bett zu machen,
damit das Herz im Rhythmus schlägt
und wenn man keine Milch verträgt -
und wie die Mittel alle heißen,
womit die Ärzte um sich schmeißen,
wenn sie im Grund nicht weiterwissen,
doch Handlungskraft beweisen müssen
bei Unwohlsein, Unpässlichkeit,
Kopfschmerzen oder Herzeleid,
bei Fußschweiß, Schnupfenreiz, Migräne,
Verstopfung, Seuchenquarantäne,
Geschwülsten, Leistungsüberdruss,
Klaustrophobie im Autobus,
Myasthenie, Gedächtnisschwund,
Schulschwierigkeiten und, und, und ...
Auch darf er keineswegs vergessen,
was gut schmeckt, darf er nicht mehr essen,
wie Eisbein, Butter, Marzipan,
am besten gar nichts mehr spontan
so schlicht nach Laune und Belieben,
nein, nur was ärztlich vorgeschrieben,
kein Nikotin, kein Alkohol,
kein Kaffee, kein Cholesterol;
dagegen Löwenzahn, Zitronen,
Bananen, Knoblauch, Pferdebohnen,
Kohl, Müsli, Wurzeln, Dinkelbrot,
am besten purer Schweineschrot
mit Leitungswasser, frisch und roh,
auf wissenschaftlichem Niveau.
Erhöhtes Alter, neue Kraft
dank dem Erfolg der Wissenschaft.
Der Senior kann sich vor Tabletten
an manchen Tagen kaum mehr retten.
Bei jedem Arztbesuch wird´s mehr,
die Übersicht fällt oft schon schwer.
Der Mensch, der nach Gesundheit drängt
und überhaupt am Leben hängt,
am liebsten frei von aller Bürde
allzeit unsterblich leben würde,
schluckt mühsam, doch in aller Stille,
auch diese bittre Lebenspille,
obwohl er oft zusammenzuckt,
was er im Leben alles schluckt,
wobei ihn keiner danach fragt,
ob ihm die Schluckerei behagt.
Er hat schon oft erfahren müssen,
das Leben baut auf Kompromissen.
Da hilft kein Widerspruch, kein Nein,
nur eines hilft: Man willigt ein
und schluckt, was kluge Professoren,
Haartherapeuten und Doktoren,
Hausärzte, Quacksalber, Dentisten,
Heilpraktiker und Internisten,
Kurpfuscher, Allopathen, Healer,
Operateure, Drogendealer,
Hals-, Nasen-, Ohrenmediziner
und andere Gesundheitsdiener,
Chirurgen und Ophthalmologen
unleserlich in Bausch und Bogen
auf Zettel und Rezepte schmieren,
um alle Schäden zu kurieren.
Mund auf, hinein damit, Mund zu,
dann hat die liebe Seele Ruh.
Doch nicht genug mit den Problemen,
noch eine Hürde ist zu nehmen.
Er muss das Zeugs vor allen Dingen
hinunter in den Magen bringen,
obwohl der Schluckdarm sich vermehrt
aufgrund von Überlastung wehrt.
Er holt tief Luft und schließt die Augen,
um Flüssigkeit hervorzusaugen,
im Volksmund „Speichel“ oder „Spucke“,
gemäß dem Spruch: Stirb oder schlucke!
für jeden, der es muss und mag,
ein Opfergang, dreimal am Tag.
Erfolg und Glück sind Dir zu gönnen.
Mögst Du noch lange schlucken können.
Wer älter wird, sucht allgemein
stets engeren Kontakt zum Wein.
Es schmeckt zwar auch und tut ihm wohl
gewisser andrer Alkohol.
Doch höheren Genuss verschafft
ihm diese Form von Traubensaft.
Bei einem festlichen Diner
und abend auf dem Kanapee,
allein und in Gesellschaft weckt
der Wein besonderen Effekt.
Er kitzelt Lippen, Zunge, Kehle,
beruhigt Körper, Geist und Seele,
beruhigt und belebt zugleich
so zart und sanft, so mild und weich.
Allmählich wachsen Adlerschwingen,
und selbst, wer´s nicht kann, möchte singen.
Ein andrer Vorteil kommt dazu.
Er kann erfahren, ich und du,
dass Wein, wo immer in der Welt,
ein selten edles Gut enthält,
die Wahrheit, die sich oft versteckt
und außerdem recht bitter schmeckt.
Sie offenbart sich von allein,
dazu noch angenehm im Wein,
so wie er´s im Gymnasium las
ganz knapp: In vino veritas.
Er ist ganz Flamme und ganz Feuer.
Welch wunderbares Abenteuer!
Er weiß, dass Sprichwörter der Alten
oft tiefe Weisheiten enthalten,
und zieht die Folgerung: Zum Spaß
genehmige ich mir ein Glas.
So komm ich sicherer und eher
der eigentlichen Wahrheit näher.
Gesagt, getan. Der Korken knallt.
Weg frei dem wahren Sachverhalt!
Er lässt die Flüssigkeit nach innen
ins Dunkel seiner Kehle rinnen
und harrt der kommenden Erleuchtung
aufgrund empfohlener Befeuchtung.
Jedoch die Wahrheit bleibt verschleiert,
anstatt dass sie Triumphe feiert.
Es tut sich nichts, und er beschließt,
dass er noch mehr des Weins genießt,
damit er gleichsam mit der Flasche
die Wahrheit banne und erhasche,
wie´s irgendwo im Märchen heißt
vom so genannten Flaschengeist.
Der Zeiger dreht sich an der Uhr.
Von Wahrheit nirgends eine Spur.
Er kippt den Wein in seinen Schlund
und stößt hinab zum Flaschengrund,
jedoch trotz aller Zuversicht,
zum Grund der Wahrheit stößt er nicht.
Im Gegenteil, so konstatiert er,
die Sache wird noch komplizierter,
weil schließlich das Gefühl entsteht,
dass sich, was vorher feststand, dreht,
und jemand ohne Fundament
ohnmächtig ins Verderben rennt.
Die Wahrheit scheint nach allen Seiten
ins Wesenlose zu entgleiten.
Um welches Thema ging es doch?
Die Wahrheit scheint ein Riesenloch,
ein Nichts, von Seiendem umringt,
wo alles in den Abgrund sinkt.
Er ahnt es, spürt es, kann es schmecken,
dort in der Tiefe muss sie stecken.
Er braucht, um sie herauszuschürfen,
nur noch ein wenig Wein zu schlürfen,
dann findet er im Bodensatz
den goldenen vergrab´nen Schatz,
den sogenannten Stein der Weisen,
den seine Sehnsüchte umkreisen.
Er schlürft und schluckt, er schürft und scharrt,
die Wahrheit bleibt im Nichts erstarrt.
Die Gegenwart verschwimmt im Rauch,
Vergangenheit und Zukunft auch,
wo Kundige im Trüben fischen
und Gut und Böse sich vermischen.
Nur eines zeigt sich klipp und klar:
Auch dies bleibt nicht, so wie es war.
Der letzte Akt im Welttheater
verwandelt sich in einen Kater.
Der Vorhang fällt. Im ganzen Haus
gehn Lampen und Laternen aus,
und Finsternis legt sich auf jene
schon sowieso recht trübe Szene.
Ob Wahrheit, Wunschtraum oder Schwindel -
verschnürt bleibt das Geheimnisbündel,
worin die Wahrheit darauf ruht,
was falsch und wahr ist, schlecht und gut.
Wird je, was nie gelang, gelingen,
zum Kern der Dinge vorzudringen
und sämtliche Erkenntnislücken
zu stopfen und zu überbrücken?
Die Lichter gehen aus im Saal,
ihm ist es piepe, schnurz, egal.
Er kuschelt sich besinnungslos
und voll gepumpt in Morpheus Schoß.
Die Wahrheit aber bleibt verborgen,
zumindest bis zum nächsten Morgen,
wenn im Gedankenlabyrinth
die Wahrheitssuche neu beginnt.
Wer älter wird, merkt mit Bedauern,
ja manchmal mit geheimen Schauern:
Es zeigen sich beim Älterwerden
in Seele, Geist und Leib Beschwerden,
die in vorangegangnen Jahren
nicht spürbar und vorhanden waren.
Unglaublich beinah, was ihm dann
weh tun und hinderlich sein kann,
was klemmt, was streikt, was sich verrenkt,
sich hebt, sich auflöst und sich senkt;
was den gewohnten Dienst verweigert
und sich zur Katastrophe steigert;
was klappert, scheppert, rasselt, knarrt,
sich plötzlich lockert, dann erstarrt;
was juckt und kratzt, was zwickt und zwackt,
was unerklärbar knickt und knackt,
was ihn am hellen Tag beschwert
und in der Nacht beim Schlafen stört,
Kein Seelen-, Geist- und Körperteil
bleibt eigentlich so richtig heil:
Pupille, Zunge, Backenzahn,
Gehirnhautlappen, Riechorgan,
Hals, Gaumen, Stimmband, Nase, Ohr,
Zwölffingerdarm, Entsorgungsrohr,
Milz, Magen, Lunge, Muskeln, Sehnen,
die Hauptschlagader samt den Venen,
Herz, Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse
samt all dem anderen Gemüse,
was, ineinander dicht verkeilt,
sich dieses Leibes Hülle teilt;
der Eierstock, die Prostata,
der ganze Unterleib beinah,
einschließlich Schenkel, Kniee, Waden
erleiden unaufhaltsam Schaden.
Der Blutkreislauf füllt sich mit Schlacken,
die Hexe schießt ihm in den Nacken
und manchmal kommt ihm in den Sinn,
sie schießt ihn auch woandershin
Was sie auch trifft, wohin auch immer,
es wird allmählich krumm und krümmer,
schrumpft ineinander, wackelt, schwindet,
erbleicht, erstickt, erschöpft, erblindet
verrutscht, zerreißt, verstopft, zerbricht.
Ade, du schönes Gleichgewicht!
Auch ändert sich zum Teil frappant
allmählich der Gesamtzustand:
Wer morgens in den Spiegel schaut,
fragt sich mit einer Gänsehaut:
Wer ist bloß dieses Schreckgespenst,
so unbekannt, obwohl du´s kennst?
So grau, so faltig und so schief,
ein echtes Draculamotiv.
Ob innen, außen, unten, oben,
das Menschliche ist eng verwoben.
Dann tut ein Schmerz im kleinen Zeh
womöglich in der Nase weh.
Kratzt oder kribbelt es am Kragen,
schlägt´s auf Gedächtnis oder Magen.
Nichts existiert allein für sich,
das Innere wirkt äußerlich.
Der Breite nach und in der Länge
gibt´s deutliche Zusammenhänge.
Denn was sich körperlich vollzieht,
schlägt irgendwie auch aufs Gemüt.
Psychosomatisch nennt man dies,
was positiv sein kann - und mies:
Entzündet plötzlich und spontan
zum Beispiel sich ein Backenzahn,
entsteht ein bisschen später schon
womöglich eine Depression,
darauf Neurosen und Phobien,
die neues Übel nach sich ziehn,
das eines Tags, durch nichts gehemmt,
den schönen Garten überschwemmt.
Dann bleiben, feststellbar für jeden,
die typischen Tsunamischäden.
Es zeigt sich praktisch überall
Abstieg, Vergänglichkeit, Verfall.
In dem, was einst so glatt und frisch,
so lecker und verführerisch,
da zeigen sich nun Kratzer, Spalten,
Abschürfungen, Stichwunden, Falten,
Verbrennungsbeulen, Schrammen, Risse,
Insekten- und Gewissensbisse,
Geschwülste, Warzen, Knoten, Krusten
im Hautbereich und Unbewussten,
trotz strikter Hygienepflege
Ekzeme, Bläschen, Hautausschläge.
Dazu entstehen hier und da
unausrottbare Traumata.,
so dass die Psyche haltlos taumelt
und wie ein Blatt im Herbststurm baumelt.
Der Mensch starrt freudenlos ins Leere,
ins Wesenlos-Imaginäre,
und welkt, mit jedem Tage blasser,
wie eine Primel ohne Wasser.
Es handelt sich, wie jeder weiß,
um den natürlichen Verschleiß,
der alles, was entstanden ist,
erst anhaucht, dann benagt, dann frisst.
Selbst Diamanten, Stahl und Gold
vergehen einmal, ungewollt.
Wie widersteht da Fleisch und Blut
dem Zahn der Zeit, des Schicksals Wut?
Kein Wunder, lachen fällt ihm schwer.
Woher nimmt er den Mut, woher?
Er lebt, so scheint´s, um zu verrecken.
Das Lachen bleibt im Halse stecken.
Doch wem das Lachen nicht mehr glückt,
wird außerdem auch noch - verrückt.
Wer älter wird, sieht überall
ein Stück moralischen Verfall.
Weltübergreifend und lokal
blüht und gedeiht die Unmoral.
Wohin er hört, wohin er schaut,
Zustände, dass es einem graut.
Ein Segen beinah, nicht zu wissen,
was vorgeht hinter den Kulissen.
Doch manche Blätter zeigen frei -
und nackt das winzigste Detail.
Sie wissen, viele lesen´s gerne,
sei´s aus der Nähe, sei´s von ferne.
Je blutiger die frischen Leichen,
doch jene auch, die schon verbleichen,
je scheusslicher, je widerlicher,
Verkaufserfolg ist ihnen sicher.
Wer älter wird, den packt die Wut:
Gewalt verkauft sich allzu gut.
Verbrechen scheinen sich zu lohnen,
damit verdient man Millionen.
Nein, früher war es nicht so schlimm.
Da gab es Anstand und Benimm.
Und wer sich trotzdem schlecht benahm,
den quälten Reue oder Scham.
Er nahm sich vor, verfehlte Sachen
schnellstmöglich wieder gut zu machen,
und sprach, war er auch noch so jung:
Es tut mir leid, Entschuldigung!
Heut grinst er unverschämt und frech
und sagt: Hej Alter, du hast Pech!
Nun gab´s nach alter Tradition
das Böse ganz am Anfang schon.
Die Schlange einst im Paradies,
zugleich verführerisch und fies,
verführte, denn sie war auch schlau,
weil´s leichter ging, zunächst die Frau,
die ihrerseits gleich danach gierte,
dass sie den armen Mann verführte.
Der machte, dies am Rande nur,
zwar eine traurige Figur,
Verlierer, keine Spur von Sieger,
doch fand er sich erheblich klüger, -
womit die Leute ihre Sünden
dummdreist auch heute noch begründen.
Wie dem auch war, wie dem auch sei,
die Wahrheit ist ein Kuckucksei.
Der Mensch hat, Faust hat´s schon gewusst,
zwei Seelen, ach, in seiner Brust,
die gute nämlich und die schlechte,
die führen heftige Gefechte.
Wer dabei stärker ist, wer schlapp,
hängt oft genug vom Zufall ab.
Nach außen wirkt der Mensch tipp topp,
doch häufig tut er nur, als ob.
Denn innerlich gleicht er im Grunde
viel eher einem Schweinehunde.
Den meisten ist der Tatbestand
als doppelte Moral bekannt.
Fühlt sich der Mensch beobachtet,
erscheint er liebenswert und nett,
als Unschuldslamm und Tugendschwengel,
der weder Laster kennt noch Mängel.
Das Gute ist sein höchster Wert,
wie er voll Überschwang erklärt;
sie trüge ihren Lohn in sich,
behauptet er geflissentlich.
Man müsse auch, hört man ihn reden,
Betrug und Heuchelei befehden.
Er brauche weder Dank noch Lohn,
sei sein Prinzip seit jeher schon.
Wer´s hört, hat Mühe, es zu fassen,
und möchte fast vor Neid erblassen,
weil er trotz aller seiner Kraft
es nie in solche Höhen schafft.
Doch bei der Probe aufs Exempel
zerfällt der edle Tugendtempel.
Die Szene hinter den Kulissen
wirkt eher wüst und abgerissen.
Schaut nämlich einmal keiner zu,
zerbröckelt die Moral im Nu.
Der Mensch versucht, an Nachbars Kirschen,
ist dieser weg, heranzupirschen
sowie durch seinen Zaunes Lücken
sich einen Blumenstrauß zu pflücken.
Er bohrt mit wachsender Exstase
in seiner ungeputzten Nase
und schmatzt, wenn er Kartoffeln kaut,
vernehmlich lustbetont und laut,
obwohl es Knigge widerspricht,
der klar betont: Dies tut man nicht.
Er prüft verzückt in Liebeslädchen
die Fotos ziemlich nackter Mädchen
und wagt es gar, sich am Kamin
vollkommen nackend auszuziehn,
wodurch du, Leser, leicht erkennst:
Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Ich nehme an. Du stimmst mir bei:
Dies ist viel eher Schweinerei.
Das Schlussergebnis ist in sich
betrüblich und bedauerlich:
Um die Moral in dieser Welt
ist´s nicht sehr positiv bestellt.
Man kennt sie zwar, jedoch im Grunde,
führt man sie folgenlos im Munde.
Wer älter wird, der kann entdecken:
Krankheiten gibt´s an allen Ecken.
Im Krankenhaus auf jeden Fall,
auch in der Nähe überall,
Fernsehn und Zeitung sind gefüllt
mit den Details in Wort und Bild,
so dass sich selbst dem stärksten Mann
manchmal der Magen umdrehn kann.
Nun starrt man darauf nicht mehr bange
wie das Kaninchen auf die Schlange,
nein heute, hofft man, rettet ihn
die Wissenschaft der Medizin.
Welch Fortschritt, Zuversicht und Kraft
geht aus von dieser Wissenschaft!
Krankheit, da kann man ja nur lachen.
Der Doktor meuchelt jeden Drachen,
der drohend seine Zähne fletscht,
womit er jeden Feind zerquetscht.
Im Notfall friert man sich halt ein,
um ein paar Jährchen tot zu sein.
Ist dann der Fortschritt fortgeschritten, -
das tut er stets und unbestritten, -
taut er sich einfach wieder auf
für einen neuen Lebenslauf.
Allmählich merkt, wer älter wird,
dass leider auch Fortschritt irrt
und macher Blütentraum nicht reift,
wenn ihn der Hauch des Todes streift.
Erst wird er blass, dann immer blasser,
denn auch sein Arzt kocht nur mit Wasser.
Kleinlaut gesteht er irgendwann,
dass er kein Wunder wirken kann.
Im medizinischen Geflechte
scheint alles klar, doch höh`re Mächte,
genau genommen ausgerottet
vom Menschen, der sich selbst vergottet,
sind unerwartet wieder da,
obwohl sie vorher keiner sah.
Dann heißt´s: Operation gelang, -
doch endet sie mit Grabgesang.
Der Fortschritt zeigt, so wie ein Dichter,
verschiedenartige Gesichter.
Das eine lacht, das andre weint,
eins zeigt sich fröhlich, eins versteint.
Nichts Gutes, das nicht irgendwann
zu Tod und Ende führen kann.
Wer Wasser trinkt, kann sich vergiften,
wer keins trinkt, geht genauso stiften.
Milchtrinker päppeln den Verstand,
doch sind der Fettsucht zugewandt.
Die Lage ist im wesentlichen
gekennzeichnet von Widersprüchen:
Arzt A sagt das, Arzt B sagt dies,
und was Professor C bewies,
so sagt der Forscher Dr. X,
ist dilettantisch, einfach nix,
nur Phantasie, in Bausch und Bogen,
total erstunken und erlogen.
Wem soll er da Vertrauen schenken,
worauf die letzte Hoffnung lenken?
Er fühlt sich als Versuchskarnickel.
Egal, ob Schweißfuß, Aknepickel,
Fäulnis im linken Weisheitszahn,
Malaria, Verfolgungswahn,
Heuschnupfen und wer weiß noch was,
der rät ihm dieses, jener das.
Der erste macht es mit Skalpell,
sofort, direkt und möglichst schnell.
Ein anderer bevorzugt stur
die Heilungskräfte der Natur,
wie Lindenblüten, Löwenzahn,
Ameisensäure, Lebertran,
dagegen heute nicht und nie,
was produziert ist mit Chemie.
Der dritte lenkt und legt den Fokus
auf Hexenguruhokuspokus.
Der vierte schweift in weite Ferne:
Astrologie, die Kraft der Sterne.
Der fünfte schwört allein auf sie,
die sanfte Homöopathie,
die Gleiches nur mit Gleichem heilt,
ist die Substanz nur recht verteilt.
Der sechste findet alle Übel
in seiner Psychologenbibel.
Psychosomatik soll erlösen
von allen Bindungen des Bösen.
Der siebente spricht ein Gebet
im Glauben, dass es besser geht.
Sind selbst Experten so verschieden,
dann schlägt das auf den Seelenfrieden,
und jeder, der bisher gesund,
kommt nun endgültig auf den Hund.
Verwirrung fördert Depression,
erst bei der Mutter, dann beim Sohn,
wodurch er ungewollt am Schluss
zum Psychiater gehen muss.
Dazu kommt noch der Tatbestand,
der seit Hippokrates bekannt,
dass jede Medizin, die wirkt,
auch Nebenwirkungen verbirgt,
so dass im Grunde keiner weiß,
lohnt sich´s, zu zahlen diesen Preis?
Wer älter wird, neigt mit der Zeit
zu größerer Gelassenheit.
Er kann sich freun, wenn etwas glückt,
wird andrerseits nicht gleich verrückt
und fällt hinab ins Bodenlose,
geht´s wieder einmal in die Hose.
Vielleicht gelingt´s, vielleicht auch nicht.
Zumindest glückt es im Gedicht.
Im Leben, das der Leser kennt,
fehlt leider oft das Happy End.
Wer älter wird, ist oft gezwungen,
zu leben mit Behinderungen.
Sein Horizont wird eingeengt,
Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
So unternimmt er beispielsweise
nicht mehr wie früher jede Reise.
Denn Ungewohntes kann ihn schrecken
und nicht mehr solche Neugier wecken.
Schon Kofferpacken fällt ihm schwer,
Gepäck zu schleppen noch viel mehr.
Im Unterschied zu den Gesunden
ist er vielleicht ans Haus gebunden,
und wenn die Ärzte es gebieten,
muss er sein Bett für immer hüten.
Weil weder Kraft noch Willen reichen,
kann er kaum von der Stelle weichen
und ist sogar in manchen Krisen
auf fremde Hilfe angewiesen.
Doch auch wer keine Hilfe braucht,
weil er aus eignen Kräften kraucht,
fühlt sich besonders wohl zu Hause
in seiner altvertrauten Klause.
Das eigne Bett ist am bequemsten,
das eigne Nest am angenehmsten.
Es hört und sieht nicht mehr so gut,
was sich in der Umgebung tut,
und hat´s nicht leicht aus diesen Gründen,
sich anderswo zurechtzufinden.
Bei sich weiß er im Handumdrehn,
wo Dinge liegen oder stehn.
Er hat die Kleidung, die er braucht,
vielleicht sein Eckchen, wo er raucht,
kann ohne Umstände und still
sich schlafen legen, wann er will,
am Morgen aufstehn, wann´s ihm passt,
fällt keinem anderen zur Last,
kocht leichtes und gesundes Essen
und isst nach eigenem Ermessen.
Bei Fremden muss er Rücksicht nehmen
und sich zu mancherlei bequemen,
was ihn nicht unbedingt erfreut,
eventuell am Ende reut:
Er isst zu viel und trinkt zu viel,
Schlaf und Verdauung sind labil.
Besuche werden aufgeschoben
und mit der Zeit gar aufgehoben.
Zu schreiben ist ihm eine Last
und eines Tages ganz verhasst.
Allein das Telefon bleibt dann,
wodurch man ihn erreichen kann;
wenn alles andre wankt und fällt,
sein einziger Kontakt zur Welt.
Er spricht kaum mehr mit andern Leuten,
selbst wenn sie ihm noch viel bedeuten,
hat nur sich selber mit der Zeit,
sich selbst und die Vergangenheit.
Ein Vogel bleibt ihm ganz zuletzt,
der menschlichen Kontakt ersetzt.
Am Schluss von seinem Erdensein
ist er verlassen und allein.
In Zukunft aber, darf er hoffen,
steht ihm der ganze Himmel offen.
Den Engeln gleich, den Schmetterlingen
kann er sich auf und niederschwingen,
ganz schwerelos und schmerzensfrei
Wer älter wird, ist davon heut
wie andre vor ihm nicht erfreut.
Seit Gott Adam und Eva schuf,
steht Ältersein in schlechtem Ruf.
Beim Auszug aus dem Paradies,
erst dann, doch dann erkannten sie`s:
Dornen und Disteln, weiter nichts.
Im Schweiße seines Angesichts
erfuhr das erste Menschenpaar:
Es wurde älter Jahr für Jahr.
Und heute ist gemäß der Mode
ein Mensch mit dreißig nah dem Tode,
und keiner will, das sieht man ein,
so früh dem Tode nahe sein.
Gern bliebe er, den Göttern gleich,
stets jung, noch lieber jung und reich,
am liebsten und aus gutem Grund
jung, reich und außerdem gesund,
jung, reich, gesund, erfolgreich, froh -
doch leider, ach, es ist nicht so.
Vielleicht dereinst im Himmelreich,
doch nicht sofort und nicht sogleich.
Die Erde war und ist nun mal
im Grund ein echtes Jammertal
sogar für den, der frisch geboren,
und noch viel stärker für Senioren.
Ein Makel hängt dem Alter an,
den´s scheinbar nie verlieren kann:
Es gilt, wie viele Leser wissen,
als widerwärtig und besch...eiden 1) 2)
1) Ich gehöre ja noch zu der Generation, die gewisse unappetitliche Worte um keinen Preis in den Mund nimmt, geschweige im literarischen Zusammenhang verwendet. Zwar würde ich wohl, wenn ich einem normalen Zeitgenossen auf der Straße begegne, ohne zu erröten, „beschissen“ sagen, aber da meine Leser auch vorwiegend zu den Senioren gehören, bin ich mir nicht ganz sicher und schreibe also „bescheiden“, obwohl es sich dann überhaupt nicht mehr reimt. Meine Leser, sollen selbst entscheiden dürfen, wie weit sie gehen wollen, mit anderen Worten, wie tolerant sie sind. Ich will da keinem etwas vorschreiben, weder den Anschein erwecken, als wolle ich den moralischen Zeigefinger erheben, noch mich in rein persönlichen Angelegenheiten einmischen. Wie käme ich dazu? Ich will ja natürlich auch nicht, dass andere mir vorschreiben, welche Worte ich gebrauchen darf und welche nicht. Ich könnte natürlich für mich die sog. künstlerische Freiheit in Anspruch nehmen, also falls es mir passte, das Wort „beschissen“ sogar mehrmals in einem Gedicht verwenden, und es wäre immer noch Kunst, so richtig scheißfuckinggeil oder so ähnlich. Aber so etwas sei ferne von mir! Ich wage es höchstens und ausnahmsweise einmal in einer Fußnote. Wie die meisten Senioren bin ich von meiner Erziehung geprägt, und diese Prägungen sitzen bekanntlich so tief, dass sie fast unauslöschlich und Teil des Charakters sind. Solche Prägungen haben viele Vorteile, - ja natürlich auch Nachteile, wie alles im Leben. Sie verleihen eine gewisse Sicherheit in den Stürmen des Lebens, können aber auch zu Verengung und Erstarrung führen. Und dies letztere hasse ich wie die Pest. Alles möchte ich sein, nur nicht erstarrt, einseitig, mit Scheuklappen rechts und links und oben und unten. Nun ist ja leider nicht gesagt, dass, was ich nicht möchte, nicht ist, mit andern Worten, vielleicht bin ich erstarrt, weiß es aber nicht oder tue nur so, als sei ich es nicht. So etwas lässt sich leichter von außen beurteilen, also etwa durch Sie, verehrte Leser. Sie könnten mir doch offen mitteilen, was Sie von der Sache halten. Ich bitte Sie geradezu darum. Denn das weiß man ja heute, wo man viel klüger ist als früher: Wer keine Kritik hört und annimmt, der droht zu erstarren.
2) Leider bin ich durch das Schreiben der Fußnote deutlich aus dem Takt und ins Stocken geraten. Ich wollte davon schreiben, dass Alter nicht nur, wie das gemeine Volk meint, Negatives mit sich bringt; dass die Angst vor dem Alter völlig überflüssig und unangebracht ist. Aber plötzlich ist Sand im Getriebe. Die gelegentlich von mir zitierte Muse, für Sie wohl eher eine recht blasse Erscheinungt, für mich aber eine Garantin für die ganz hohe Dichtung, hat sich wohl durch all die banalen Erörterungen gestört oder beleidigt gefühlt und scheint auf Nimmerwiedersehen verschwunden, ohne zu verraten, wann sie zurückzukehren gedenkt. So eine Muse ist ja eine Art Fee, im wahrsten Sinn etwas schleierhaft. Sie kommt und geht, wie es ihr passt. Der Dichter ist schlechthin ihrer Willkür ausgeliefert. Und jetzt ist sie also weg. Ich weiß nicht einmal, wohin. Ich weiß überhaupt herzlich wenig von ihr. Wo hält sie sich normalerweise auf? Warum hilft sie mir eigentlich? Warum hilft sie mir oft nicht, besonders dann nicht, wenn ich einem einem poetischen Loch stecke? Wieso schaffe ich es nicht ohne ihre Hilfe? Was kann ich tun, um sie zu locken? Eins ist mir allerdings inzwischen klar geworden: Sie hat sehr viele weibliche Eigenschaften, die Muse. Was weibliche Eigenschaften sind? Selbst die Frauen scheinen das heute nicht zu wissen. Für mich allerdings bestehen da Zusammenhänge zwischen weiblich einserseits und undurchschaubar, rätselhaft, widerspruchsvoll, unzuverlässig andrerseits, da bin ich mir sogar ganz sicher. Ich behandele sie doch äußerst zuvorkommend. In harmonsichen Zeiten nenne ich sie „mein Müschen“ (gesprochen: Müs-chen) oder „Musilein“. Ehrlich, klingt das nicht wie zärtliche Musik? Aber diese treulose Tomate, diese trübe T ...
Wer älter wird, der konstatiert,
dass Leben nur zu etwas führt,
wenn er bereit und fähig ist
und diesen Vorsatz nie vergisst,
eifrig zu lernen und voll Lust,
im Zweifelsfall auch unbewusst.
Erblickt ein Mensch das Tageslicht,
da weiß er vieles einfach nicht.
Dies ist erklärbar und plausibel,
drum nimmt es ihm auch keiner übel.
Er lernt ja individuell
erstaunlich wirkungsvoll und schnell.
Teils kriegt er´s automatisch mit,
teils macht er selbst sich dafür fit,
im steten Kampf ums Überleben
sich aus dem Sumpf emporzuheben.
Versuch und Irrtum führen weiter
auf seiner Lebensstufenleiter.
Charles Darwin ist dafür zu loben:
Geebnet wird der Weg nach oben
zum echten Homo sapiens
durch höhere Intelligenz.
Es zeigt sich auf der Lebensreise:
Er wird normalerweise weise,
teils weil er´s will, zum Teil getrieben
von Schicksal, Wollen, Hassen, Lieben,
wahrscheinlich nicht so ganz und gar,
wie´s Buddha einst in Indien war,
der dort, allein zu seinem Spaß,
mit quer gekreuzten Beinen saß.
Bemerkenswert, was er da fand
im Lotussitz am Indusstrand:
Das Lebensziel, der Weise spricht´s,
das A und O der Welt ist: Nichts.
(Nirvana sprach er auf Sanskrit,
das heißt, nichts ist, und nichts geschieht.)
Dem kommt ein echter Europäer
nur selten nah, nicht einmal näher,
weil er´s im Grund langweilig findet,
begründet oder unbegründet,
kontemplativ herumzukauern,
zumal er fürchtet zu versauern.
Die Zeit, die er darauf verwendet,
scheint ihm vergeudet und verschwendet.
Er möchte lieber etwas tun,
statt tatenlos im Nichts zu ruhn,
Aktivität und irgendwie
am liebsten auch Publicity.
mit andern Woten, alt und jung
sucht erst nach Selbstverwirklichung.
Ein bisschen klüger, als er war,
wird er durch all sein Lernen zwar,
doch zeigt sich auch, sobald er klug,
er ist nie wirklich klug genug.
Er hängt noch stets an vielen Dingen,
die längst verschwanden und vergingen;
beansprucht, was er nicht besitzt,
und klagt, obwohl es ihm nichts nützt.
Er sagt: ”Ich hätte” und: ”Ich wäre”,
zieht selbst aus aus gar nichts eine Lehre,
hält`s aber für der Mühe wert,
dass er die anderen belehrt.
Dahinter steckt im wesentlichen:
Der Mensch ist noch nicht ausgeglichen,
wie er es eigentlich erstrebt,
besonders wenn er länger lebt.
Er lässt im Handeln, Fühlen, Denken
sich von den Widersprüchen lenken,
die sich in ihm seit Jugendzeiten
so wie ein Krebsgeschwür verbreiten.
Er wär so gerne tolerant,
entgegenkommend und charmant,
voll Geist, Talent, Esprit, Bravour,
doch in der Praxis keine Spur.
Gelegentlich schafft er es auch.
Dann löst sich alles auf in Rauch.
Er wird so bissig, ruppig, kratzig,
so besserwisserisch und patzig,
dass mancher fragt: Was will der bloß?
Sind etwa ein paar Schrauben los?
Und auch er selbst, der Missetäter,
schämt sich womöglich etwas später.
Logisch und mathematisch lässt
sich etwas rechnen ohne Rest,
kein Widerspruch und kein Kontrast,
wo alles gut zusammenpasst,
so konstruiert, dass es am Schluss
restlos zusammenpassen muss.
Harmonische Einstimmigkeit
erfrischt die Seele, heilt, befreit.
Doch wie gesagt und apropos:
Die Welt als solche ist nicht so.
Ich wünsch dir Kraft in solchen Lagen,
die Widersprüche zu ertragen.
Bedenke, wenn du andern grollst,
auch du bist nicht so, wie du sollst.
Du bist, ich hoffe, du verzeihst, ...
Ich glaube, dass du´s selber weißt.
Drum lass dich nicht zu Boden boxen
von all den vielen Paradoxen,
die dich von außen überfallen
und sich in dir zusammenballen.
Wer weise ist und nicht ein Ochs,
lebt trotz und mit dem Paradox.
Wer älter wird, der wundert sich
nicht täglich, doch gelegentlich,
wie unbemerkt und federleicht
ein Jahr, ein ganzes Jahr verstreicht.
Zweitausendsechs, zweitausendsieben,
wo sind die Jahre nur geblieben?
Monate, Wochen, Tage, Stunden
beinahe spurenlos entschwunden,
verblasst, verraucht, verhallt, verklungen
Einbildungen, Erinnerungen.
Wie holt er das, was war, zurück,
Erfahrungen, Erfolg und Glück?
Und wie wirft er das Schwere ab
was ihn so müde macht und schlapp,
was er da mitschleppt an Gepäck
so ohne Sinn und ohne Zweck,
das, eigentlich schon längst verjährt,
Gedanken und Elan erschwert?
Am Anfang scheint der Vorrat groß,
unausschöpfbar und grenzenlos,
bis er erkennt, der Schatz zerrinnt
wie Schnee und Eis im Frühlingswind.
Beängstigend der Sachverhalt:
Erst ist er jung, dann ist er alt,
ein unaufhaltsamer Prozess,
der wie das Schwert des Damokles
sein Dasein Tag und Nacht bedroht:
Erst lebt er noch, dann ist er tot.
Der Mensch erfährt ja von Natur
Zeiträume anders als die Uhr,
die, wenn sie leise tickt und tackt,
die Zeit in gleiche Stücke hackt,
und objektiv-mechanisch misst,
egal, ob´s schön, ob´s traurig ist.
Der Mensch misst individuell:
Ist`s schön, verrinnt die Zeit zu schnell.
Verliert das Leben Lust und Sinn,
dann zieht sie sich unendlich hin.
Auch wird er dann im Lauf von Jahren
wahrscheinlich folgendes erfahren:
Am Anfang scheint er durch die Zeiten
im Schneckentempo hinzugleiten.
Allmählich kriegt die Zeit Propeller,
von Jahr zu Jahr verfliegt sie schneller.
Darauf beginnt sie wegzustieben
wie von Raketen angetrieben.
Zuletzt verkrümelt sich die Zeit,
so scheint´s, mit Lichtgeschwindigkeit.
Wohl seit die Menschheit existiert,
hat sie die Macht der Zeit gespürt,
die strenge Diktatur der Zeit -
und ihre Rätselhaftigkeit,
der nichts und niemand sich entzieht,
obwohl sie scheinbar ständig flieht.
So wie die Luft, die um uns flutet
auch dort, wo man sie nicht vermutet,
ist Zeit, obwohl sie keiner sah,
beharrlich, unentrinnbar da.
Christoph, ein Dichter und ein Denker,
vergleicht die Zeit mit einem Henker,
der, während wir durch´s Leben wandern,
die Jahre, eines nach dem andern,
leichthändig und gefühllos köpft,
bis sich der Kontostand erschöpft.
Wir wissen´s zwar, doch spüren`s kaum.
Es scheint uns eher wie ein Traum
und so, als ging es uns nichts an;
wenn doch, viel später irgendwann.
Ganz ähnlich, ja gerade so
sah´s auch der weise Salomo:
Kein Zweifel, alles in der Runde
hat seine Zeit und seine Stunde.
Geboren werden oder sterben.
erneuert werden und verderben,
Gewächse pflanzen und ausreißen,
zertrennen und zusammenschweißen.
Zeit ist zum Töten und zum Heilen,
nach vorn zu stürmen, zu verweilen,
zu suchen oder zu verlassen;
Zeit auch zum Lieben und zum Hassen;
Zeit zu verstummen und zu sprechen,
für Kraftentfaltung und für Schwächen.
Realität und Frömmigkeit:
Ein jedes Ding hat seine Zeit.
Gut ist es und zugleich auch klug,
nicht viel, doch allemal genug,
zu prüfen, was der Augenblick
enthält an Forderung und Glück;
was sich nicht ändern lässt, ertragen,
wenn´s darauf ankommt, Neues wagen.
Zeit ist ein knappes, teures Gut.
Drum, Leser, sei auf deiner Hut.
Verfalle nicht dem eitlen Wahn,
Zeit sei ein Riesenozean,
unendlich tief, unendlich weit
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Die Zeit füllt eher einen Krug,
der so voll ist und voll genug,
dass sie uneingeschränkt und leicht
für tausend gute Taten reicht,
zehntausend, hunterttausend gar,
bestimmt an jedem Tag ein paar.
Zeit gibt es, doch verschwend sie nicht.
Schnell endet sie – wie dies Gedicht.
Texte: Deutsche Literaturgesellschaft
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2012
Alle Rechte vorbehalten