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Pantha rhei



Nichts bleibt, wie´s ist, denn alles fließt,
wie man´s bei Heraklit schon liest.
Wenn alles fließt, fließt auch die Zeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit
im Fluss, der niemals stille steht
in steter Relativität.
Wer also durch die Zeiten schwimmt,
wird durch die Zeit zugleich bestimmt.
Besonders der Terminkalender,
die Uhr am Armband oder Ständer
erheben mitleidslos die Knuten
in Form von Stunden und Minuten,
von Jahren, Monaten und Tagen,
wie um ihr Opfer zu erschlagen.
Sie drücken dem Geschehenslauf
tyrannisch ihren Stempel auf,
weil weder Kind noch Frau noch Mann
dem Zwang der Zeit entrinnen kann,
so dass, wer durch die Zeiten irrt,
womöglich gar ihr Sklave wird.
Noch eine andre Zeitenteilung
beeinflusst die Gezeitenpeilung:
Vergangenheit und Gegenwart
und was die Zukunft offenbart.
Im Gestern, Heute und im Morgen
ist jedes Menschen Los verborgen,
und deshalb möchte er gern wissen:
Was tut sich hinter den Kulissen?
Warum bin ich so, wie ich bin?
Wo kam ich her? Wo geh ich hin?
Wie prägte mich Vergangenheit?
Was hält die Gegenwart bereit?
Wie lässt die Zukunft sich durchdringen?
Glück oder Leid? Was wird sie bringen?
Die Antwort darauf lautet schlicht:
Kein Mensch weiß nichts Genaues nicht.
Vergeblich sucht er im Gedränge
die tieferen Zusammenhänge,
und leider muss er sich begnügen
mit ziemlich allgemeinen Zielen:
Vergangenheit hat ihn geprägt,
ein Stück des Wesens festgelegt,
Erfahrung und Besitz vermehrt
und manche Tat mit Schuld beschwert.
Die Zukunft ist es, die bewegt,
Impuls und Hoffnung in sich trägt,
erneuert, überrascht, beschwingt,
vielleicht zu Änderungen zwingt.
Die Gegenwart ist ihm gegeben,
um dieses Leben auch zu leben:
Gewinnen, Unterliegen, leiden,
verstehen, träumen, sich entscheiden,
von Herzen weinen, herzlich lachen,
sich schlafen legen und erwachen.
Realität und Frömmigkeit:
Ein jedes Ding hat seine Zeit.
Gut ist es und zugleich auch klug,
nicht viel, doch allemal genug,
zu prüfen, was der Augenblick
enthält an Forderung und Glück;
was sich nicht ändern lässt, ertragen,
wenn´s darauf ankommt, Neues wagen.


Zum neuen Jahr



Nach altem Brauch beginnt das Jahr
meist mit dem Monat Januar –
nach Janus, jenem Gott benannt,
der Unheil von der Pforte bannt,
weil er mit zwei Gesichtern sieht,
was hinten und was vorn geschieht
und also, wenn er um sich blickt,
Rücksicht und Vorsicht eng verquickt.
Der Mensch besitzt nur ein Gesicht,
und selbst mit diesem sieht er nicht,
wenn Alkohol, der sehr beliebt,
den Blick mehr als gewöhnlich trübt.
Wer also mit beschwingtem Schritt
durch die Silvesterpforte tritt,
weil, keineswegs zu seinem Wohle,
er zu viel trank von Sekt und Bowle,
sieht nach der Jahresabschlussfeier,
falls überhaupt, durch einen Schleier.
Vom Zukünftigen sieht er nichts
im Schein des fahlen Neujahrslichts,
auch wenn ringsum Raketen knallen
und blendend hell zu Boden fallen.
Er steht, beschreibt man es genauer,
was das betrifft, vor einer Mauer,
die allenfalls verlockend wirkt,
wenn sie Erfreuliches verbirgt,
jedoch den Tapfersten erschreckt,
ist unklar, was dahinter steckt.
So angestrengt er starrt, er irrt.
Er macht die Rechnung ohne Wirt.
Weil nicht er selbst das Drehbuch schreibt
und mehr getrieben wird als treibt,
drum muss, von höh´rer Macht besiegt,
er eben nehmen, was er kriegt.
So sitzt er da und zieht Bilanz,
lutscht ohne Lust am Heringsschwanz,
der helfen soll, den Frust zu dämpfen
und seine Unlust zu bekämpfen,
und blinzelt wehmütig ein Stück
in die Vergangenheit zurück.
Vielleicht erkennt er halbwegs klar
Verschiedenes, was früher war,
zumindest, wenn er ehrlich ist
und nicht, was ihm nicht passt, vergisst.
Es bleiben manche Fragezeichen,
die auch im Nachhinein nicht weichen,
denn überall in den Annalen
erscheinen unten rote Zahlen.
Nach außen makellos und grade,
doch bröckelt´s hinter der Fassade
gleich den Pontemkinschen Kulissen:
Vorn glatt, dahinter arg verschlissen.
Weil jeder Mensch, Frau oder Mann,
dergleichen schlecht ertragen kann,
sucht er mit Tatkraft und Esprit
nach einer Antistrategie.
Sein Blick beginnt sich zu erhellen
und die Betrübnis abzuschwellen.
Wem dient und nützt es obendrein,
sich selbst so grausam zu kastein?
Bekanntlich wühlt nur ein Sadist
so quälerisch im eignen Mist.
Bei anderer Betrachtungsweise
kommt alles wieder ins Geleise.
Erforderlich zu seinem Glück
ist lediglich ein kleiner Trick:
Er wertet, was danebenlief,
nun kurzerhand als positiv.
Er sollte, bildet er sich ein,
bei sich nicht zu pedantisch sein.
Dann zeigt sich, dass das letzte Jahr
beileibe nicht so übel war.
Er lebt, was ja nicht jedermann
mit Recht von sich behaupten kann.
Zur schlichten Existenzbewahrung
kommt noch ein Zuwachs an Erfahrung.
Er wurde, sagt er sich voll Eifer,
ja nicht nur älter, sondern reifer.
Schnell fängt er an, sich an den schönen
Erfolgsgedanken zu gewöhnen.
Zudem erspäht er in der Runde
viel scheuslichere Schweinehunde,
und nichts beruhigt das Gewissen
so spürbar bei Gewissensbissen,
als wenn man dadurch Trost gewinnt,
dass andere noch schlechter sind.
Er sucht sich einfach als Erlöser
denjenigen, der noch viel böser.
Unglaublich scheint´s, doch funktioniert
der Mechanismus wie geschmiert.
Er schafft geschickt zu seinem Wohle
sich selbst die Heldengloriole
und zieht ins neue Jahr hinein
mit strahlend hellem Heil´genschein.
Gott Janus mit den zwei Gesichtern
steht unbemerkt und etwas schüchtern
am Eingangstor zum neuen Jahr.
Er sieht, was sein wird und was war.
Der Mensch dagegen stolpert blind
durch das Gezeitenlabyrinth
und lässt, wie Leidgeprüfte wissen.
Rücksicht und Vorsicht oft vermissen.

Januar



Nach altem Brauch beginnt das Jahr
meist mit dem Monat Januar –
nach Janus, jenem Gott benannt,
der Unheil von der Pforte bannt,
weil er mit zwei Gesichtern sieht,
was hinten und was vorn geschieht
und also, wenn er um sich blickt,
Rücksicht und Vorsicht eng verquickt.
Der Mensch besitzt nur ein Gesicht,
und selbst mit diesem sieht er nicht,
wenn Alkohol, der sehr beliebt,
den Blick mehr als gewöhnlich trübt.
Wer also mit beschwingtem Schritt
durch die Silvesterpforte tritt,
weil, keineswegs zu seinem Wohle,
er zu viel trank von Sekt und Bowle,
sieht nach der Jahresabschlussfeier,
falls überhaupt, durch einen Schleier.
Vom Zukünftigen sieht er nichts
im Schein des fahlen Neujahrslichts,
auch wenn ringsum Raketen knallen
und blendend hell zu Boden fallen.
Er steht, beschreibt man es genauer,
was das betrifft, vor einer Mauer,
die allenfalls verlockend wirkt,
wenn sie Erfreuliches verbirgt,
jedoch den Tapfersten erschreckt,
ist unklar, was dahinter steckt.
So angestrengt er starrt, er irrt.
Er macht die Rechnung ohne Wirt.
Weil nicht er selbst das Drehbuch schreibt
und mehr getrieben wird als treibt,
drum muss, von höh´rer Macht besiegt,
er eben nehmen, was er kriegt.
So sitzt er da und zieht Bilanz,
lutscht ohne Lust am Heringsschwanz,
der helfen soll, den Frust zu dämpfen
und seine Unlust zu bekämpfen,
und blinzelt wehmütig ein Stück
in die Vergangenheit zurück.
Vielleicht erkennt er halbwegs klar
Verschiedenes, was früher war,
zumindest, wenn er ehrlich ist
und nicht, was ihm nicht passt, vergisst.
Es bleiben manche Fragezeichen,
die auch im Nachhinein nicht weichen,
denn überall in den Annalen
erscheinen unten rote Zahlen.
Nach außen makellos und grade,
doch bröckelt´s hinter der Fassade
gleich den Pontemkinschen Kulissen:
Vorn glatt, dahinter arg verschlissen.
Weil jeder Mensch, Frau oder Mann,
dergleichen schlecht ertragen kann,
sucht er mit Tatkraft und Esprit
nach einer Antistrategie.
Sein Blick beginnt sich zu erhellen
und die Betrübnis abzuschwellen.
Wem dient und nützt es obendrein,
sich selbst so grausam zu kastein?
Bekanntlich wühlt nur ein Sadist
so quälerisch im eignen Mist.
Bei anderer Betrachtungsweise
kommt alles wieder ins Geleise.
Erforderlich zu seinem Glück
ist lediglich ein kleiner Trick:
Er wertet, was danebenlief,
nun kurzerhand als positiv.
Er sollte, bildet er sich ein,
bei sich nicht zu pedantisch sein.
Dann zeigt sich, dass das letzte Jahr
beileibe nicht so übel war.
Er lebt, was ja nicht jedermann
mit Recht von sich behaupten kann.
Zur schlichten Existenzbewahrung
kommt noch ein Zuwachs an Erfahrung.
Er wurde, sagt er sich voll Eifer,
ja nicht nur älter, sondern reifer.
Schnell fängt er an, sich an den schönen
Erfolgsgedanken zu gewöhnen.
Zudem erspäht er in der Runde
viel scheuslichere Schweinehunde,
und nichts beruhigt das Gewissen
so spürbar bei Gewissensbissen,
als wenn man dadurch Trost gewinnt,
dass andere noch schlechter sind.
Er sucht sich einfach als Erlöser
denjenigen, der noch viel böser.
Unglaublich scheint´s, doch funktioniert
der Mechanismus wie geschmiert.
Er schafft geschickt zu seinem Wohle
sich selbst die Heldengloriole
und zieht ins neue Jahr hinein
mit strahlend hellem Heil´genschein.
Gott Janus mit den zwei Gesichtern
steht unbemerkt und etwas schüchtern
am Eingangstor zum neuen Jahr.
Er sieht, was sein wird und was war.
Der Mensch dagegen stolpert blind
durch das Gezeitenlabyrinth
und lässt, wie Leidgeprüfte wissen.
Rücksicht und Vorsicht oft vermissen.

Februar




Zwölf Monate umfasst das Jahr;
der zweite ist der Februar,
gelegen in der Jahreszeit,
wo´s mehr als vorher friert und schneit.
Doch mit den achtundzwanzig Tagen
lässt er sich einfacher ertragen,
selbst wenn er, weil´s ein Schaltjahr ist,
gar neunundzwanzig Tage misst.
Wird manchmal auch der Winter strenger,
die Tage werden wieder länger.
Wer morgens aus dem Schlaf erwacht,
tut´s nicht mehr mitten in der Nacht,
weil ab und zu am Horizont
ein Wölkchen, rosarot besonnt,
geheimnisvoll und unbegründet
den Anfang eines Tags verkündet.
Doch Aussichten, die sich entfalten,
sind, wie so häufig, zwiegespalten,
nicht logisch und nicht rational,
mit andern Worten, ein Skandal,
Andeutung nur, ein schwacher Hauch,
voll Widerspruch, sowohl - als auch.
Nun kommt, - wie soll es anders sein? –
auch hier ein Unglück nicht allein.
Gefrässig-gierig lauert schon
im Hinterhalt die Depression,
die keinen, der in Stockholm wohnt,
im Monat Februar verschont,
die bohrt und plagt und piekst und quält,
obwohl´s nach außen an nichts fehlt.
Dergleichen macht den Stärksten mürbe
so sehr, dass er am liebsten stürbe,
wenn Suizid nur nicht so schwer
und risikobehaftet wär.
Sobald die Sonne höher steigt
und Licht sich überall verzweigt,
dringt damit zwar ein Hoffnungsschein
ins winterkalte Herz hinein.
Licht lindert nämlich die Misere, -
Wenn da nicht noch das andre wäre,
das Öde, Triste, Totenblasse,
das Langweilige, Graue, Nasse,
das Oberflächliche, Banale,
Verschwommene, Stupide, Fahle,
das vor dem Fenster unverhohlen
umherschwirrt wie ein Schwarm von Dohlen.
Wer aus dem Bett durchs Fenster schaut,
hüllt sich sofort in Gänsehaut,
und auch sein Innerstes erstarrt
beim Anblick dieser Gegenwart,
so dass er sich erneut einrollte,
wenn er nur könnte, wie er wollte.
Doch leider, ach, er kann es nicht,
unüberhörbar ruft die Pflicht,
und nur die wenigsten der Pflichten
kann einer ja im Bett verrichten.
Meist muss er dazu aus dem Haus,
das heißt, auch aus dem Bett hinaus.
Er schnäuzt mit einem stillen Fluch
Zähschleimiges ins Taschentuch,
schlüpft in die sonst bedeutungslosen
schafwollnen langen Unterhosen;
schluckt reichlich Vitamintabletten,
die, hofft er, vor Erkältung retten;
beschließt, es sei ein Schnaps vonnöten,
um die Bazillen abzutöten,
und lutscht zu seiner Kehle Wohl
kaugummiartiges Menthol.
Er fasst den mutigen Beschluss
zu tragen, was er tragen muss.
Da Klagen sowieso nichts nützen
und vor dem Wetter nicht beschützen,
erscheint es klüger, ohne Klagen
das Unvermeidliche zu tragen,
wozu, auch wenn es noch so stört,
der Monat Februar gehört.
Doch wer von so viel Grau umgeben,
sehnt sich nach Farbe, Duft und Leben,
nach Vogelzwitschern, grünen Wiesen,
exotisch-fernen Paradiesen,
Begeisterung, Unendlichkeit,
nach einem Aufbruch der befreit.
Noch tut sich nichts, er wird nicht froh,
die Welt als solche ist nicht so.
Nein, diese Gegenwart ist wahrlich
nichts anderes als februarlich.
Da hilft nicht zornig sein, nicht toben;
nichts, gar nichts hilft mehr … siehe oben.
O Mona, warte noch ein Weilchen,
dann blühn im Garten erste Veilchen,
und hier in Schweden zwischen Klippen
blühn weisse oder blaue Zippen; x
die Kräfte blühn, die Liebe blüht,
es grünen Birken und Gemüt.
Der Dichter (richtig, dieser hier)
ergreift ein neues Blatt Papier,
denn auch in ihm steigt dann der Saft.
Es grünt und blüht die Dichterkraft
Doch leider, noch ist Februar.
Es ist so, wie es immer war:
Apathisch, trostlos, trist und fahl,
genau genommen stinknormal,
normaler Frust, normaler Schmerz.
O komm doch endlich, lieber März,
und komm, für alle deine Fans,
auch du recht bald, geliebter Lenz.

März



März ist nach guter alter Sitte
im Lauf der Monate der dritte,
nach Mars, dem Römergott benannt,
der immer einen Anlass fand,
Senat und Bürger zu verleiten
zu kriegerischen Streitigkeiten.
Licht kämpft nun gegen Finsternis.
Wer siegen wird, ist ungewiss.
Die heimische Großwetterlage
gleicht eher einer Schicksalsplage.
Nur selten trifft das Wetter ein,
das die Propheten prophezein,
denn unbeeinflussbare Mächte
entfachen himmlische Gefechte,
wenn Wolken sich zusammenballen,
sich erst entladen, dann zerfallen.
Man spricht in solchen Fällen halt
mit Recht von höherer Gewalt.
In jener guten alten Zeit.
die weit zurückliegt, ach, so weit,
hat jeder Bauer auf dem Land
noch echte Rösslein eingespannt,
um kunst- und mühevoll mit diesen
instand zu setzen Feld und Wiesen.
Heut aber füllen sich die Ohren
mit dem Geratter von Traktoren,
und penetranter Gülleduft
durchzieht die frische Frühlingsluft.
Doch zwischen ländlichen Schikanen
verbreitet sich ein stilles Ahnen
von Wachstumsfreude, Lebensmut,
von dem, was freundlich ist und gut.
Wo vorher Tod und Schweigen schien,
ertönen Vogelsinfonien,
und aus der Tiefe treiben Triebe,
getrieben von Natur und Liebe -
Bewegung, Aufbruch, Neubeginn,
noch unklar oft, woher? Wohin?
Schneeglöckchen, Krokusse, Narzissen
erblühen, weil sie blühen müssen,
in all dem Trüben, Grauen, Bleichen
demonstrative Lebenszeichen.
Es raschelt so verheißungsvoll.
Man fragt sich, was noch werden soll.
Bestimmt, ein Wunder wird geschehn,
und was man ahnt, wird jeder sehn,
kann hinter den gewohnten Ecken
Geheimnisse des Seins entdecken
und rastlos wie ein Maulwurf wühlen
in unterirdischen Gefühlen.
Man möchte Purzelbäume schlagen,
sein Innerstes nach außen tragen
und sich mit Herzen, Mund und Händen
ganz an den Augenblick verschwenden.
Auch in den muffigsten Gemäuern
riecht´s provokant nach Abenteuern,
wobei´s mit Macht ins Freie lockt
selbst den, der vor´m Computer hockt,
um zwischen Kindern, Hunden, Katzen
nach dem verborgnen Schatz zu kratzen,
der jetzt im Frühling jedem winkt,
der nicht im alten Trott versinkt.
Es juckt die Nase, juckt das Fell.
Man dreht sich wie im Karussell
und fängt am Ende irgendwann
zu taumeln und zu schwindeln an.
Doch plötzlich wird der Himmel grauer.
Es bricht hervor ein Hagelschauer,
und alles rennet, rettet, flüchtet;
die Aufbruchstimmung ist vernichtet.
Nichts wie nach Haus, die Wohnung reizt,
gemütlich und zentralgeheizt.
Man hüllt sich fester in die Jacke.
Noch hat der Frühling eine Macke.
Auf Erden gilt sogar dem Frommen:
Glück ist beschränkt und unvollkommen.
Ist was Erfreuliches im Gange,
dann dauert´s meistenteils nicht lange.
Verheißung nur, nicht Wirklichkeit,
ein Hauch des Himmels in der Zeit.
Es bleibt es bisschen Schmerz zurück,
doch klar wird auch: Es gibt das Glück,
nicht irgendwo in weiten Fernen,
nicht unerreichbar in den Sternen,
nein, ohne Aufwand und Trara,
zum Greifen und Betasten nah,
kein Zaun, kein Hindernis versperrt´s
an irgendeinem Tag im März.

Vorfrühling




Noch scheint der Lenz unendlich weit,
noch herrschen Dunst und Dunkelheit.
Das Rohe, Harte, Grobe, Raue,
das Monotone und das Graue
behalten meist die Oberhand
zu Luft, zu Wasser und zu Land.
Wer draußen ist, tut´s, weil er muss,
und ohne jeglichen Genuss.
Was lebt, sucht Wärme zu gewinnen
im Haus, im Stall, im Nest, tief drinnen.
Der Dichter friert bis zu den Ohren.
Der Gartenteich ist zugefroren.
Gefühle drohen zu erstarren
vom langen unerfüllten Harren.
Sogar sein Herz scheint Eis und Stein.
Es fällt ihm überhaupt nichts ein.
Doch gibt es da gewissen Zeichen,
dass Kälte und Erstarrung weichen.
Als ob der Schöpfer selber riefe,
quillt neues Leben aus der Tiefe
in Knospen von Gebüsch und Strauch
und wunderbar im Dichter auch.
Die ersten Himmelschlüssel sprießen,
wie um das Leben zu erschließen,
das jetzt, Idee und Hoffnung bloß,
sich noch verbirgt im Mutterschoß.
Und Vögel zwitschern in den Zweigen
solistisch jubelnd und im Reigen,
von Sehnsucht und von Lust getrieben,
geliebt zu werden und zu lieben.
Es drängt den Dichter mitzusingen
und sich zu Höh´rem aufzuschwingen,
zu Leidenschaft, Affekt, Ekstase,
wahrhaftem Pathos ohne Phrase.
Er kommt nicht hoch und kommt nicht weit
in dieser Angelegenheit,
was ihm die Lust noch mehr vermiest, -
wie jeder merkt, der dieses liest.

April



April ist schon seit altersher
bei Dichtern nicht so populär.
Es fehlt ihm das Vibrierende,
Begeisternd-Inspirierende,
verständlich ausgedrückt und schlicht:
Man möchte zwar, doch kann man nicht.
Der Dichter saugt, was das betrifft,
zwar intensiv am Drehbleistift,
doch ist die dichterische Kraft
bereits beim zehnten Vers erschlafft.

O ´ -- ach, -- ´ Erfüllung,
-- unvollendet ´ -- .

(Hier hat der Dichter zwar noch einen weiteren Anlauf genommen, aber das Ergebnis ist, wie selbst der Laie erkennt, mager. Die Schlussfolgerung ist ebenso eindeutig wie betrüblich: Es geht nur, wenn die Muse will.)

Frühlingsmorgen




Vom Süden her weht lau und sanft der Wind,
nach Abenteuern duftet es und Weite.
Es scheint beinah, als ob verwandelt sind
die Alltagsdinge und sogar die Leute.

Die Seelen und Gesichter waren lange grau,
nichssagend, zugeknöpft und unverbindlich,
und wie durch Zauber wird der lahme Körperbau
lebendig und für Zärtliches empfindlich.

Auf starre Züge tritt geheimnisvoll
ein Lächeln, aufgestiegen aus der Tiefe,
als ob Verlor´nes wiederkehren soll
und Mutters Stimme heim zum Essen riefe.

Zu kurz erscheint der Tag, zu eng die Welt.
Doch ahnt man, hinter allen Horizonten
und hinter allem, was zu Nichts zerfällt,
ist mehr, als Menschen je erahnen konnten.

Was unabänderlich erstorben schien,
erstarrt in Frost und Hoffnungslosigkeiten,
strahlt glitzernd hell wie ein Rubin,
und neuer Mut glüht auf voranzuschreiten.

Vom Süden her weht lau und sanft der Wind.
Er weht hinweg die winterlichen Schrecken.
Zurückbleibt voll Erwartungen ein Kind
voll Neugier, täglich Wunder zu entdecken.

Mai



Ein Glück, April ist bald vorbei.
Willkommen, lieber Monat Mai,
denn Dichterherz und Dichtermund
füll´n sich mit Worten, süß und bunt.
Das Herz ist voll, der Mund läuft über,
der Dichter dichtet wie im Fieber.
Als ob es von alleine dichtet,
so wirbelt auf, was zugeschichtet.
Spontan drängt sich´s ans Licht empor,
ein Lob, ein Dank, ein Musenchor,
mit schier vulkanischen Gewalten,
durch nichts und niemand aufzuhalten.
Gesang wird laut in Moll und Dur,
es singt der Mensch, es singt Natur.
Es singt nicht nur, wer singen kann,
auch wer nicht singen kann, fängt an.
So ähnlich, wie bei unsern Ahnen,
Normannen, Wikingern, Germanen,
wenn sie nach grauen Wintertagen
voll Hunger, Enge, Frost und Plagen
die bleiche Haut nun wieder sonnten
und dabei sangen, wie konnten,
noch ungewaschen und verdreckt,
von Kunstverständnis unbeleckt,
meist zur Gewinnung einer Braut,
nicht schön und edel, aber laut.
Genau genommen sind zwei Triebe
hier wirksam: Sangeslust und Liebe.
Aus allen Bäumen, Büschen, Hecken,
an allen Rundungen und Ecken,
durch alle Schnäbel, Mäuler, Kehlen,
in allen Herzen, allen Seelen,
im Wasser, in der Luft zu Land,
soweit das Firmament sich spannt,
da blökt es, muht es, kräht es, summt es,
miaut es, wiehert es und brummt es,
da schnattert´s, zwitschert´s, klappert´s, knurrt´s,
girrt´s, quakt´s, quiekt´s, krächzt´s, zirpt´s, pfeift´s und surrt´s,
so wunderschön, so wunderbar,
so kunstvoll und elementar,
dass selbst die größten Komponisten
erblassen und verstummen müssten:
Ein tausendstimmiger Akkord
in Ost und West, in Süd und Nord.
Die Liebe ist´s, die Himmelsmacht,
gebündelt und vertausendfacht
in jeder Knospe, jeder Blüte,
in jedem menschlichen Gemüte
entfacht und angespornt vom Streben
nach Leben, Leben, Leben, Leben.
Der Zauberstab des Monats Mai
macht Riesenenergieen frei,
die vorher in verborg´nen Tiefen
untätig warteten und schliefen.
Was immer sich entfalten kann,
fängt jetzt zu blühn und wachsen an,
und all das heftige Geschiebe
entspringt aus Liebe, Liebe, Liebe.
Selbst jene, die sonst niemals sangen,
beginnen, damit anzufangen:
Der Bauer fährt auf seinem Trecker
ein Liedchen singend durch die Äcker.
Die Bäuerin, die Forke schwingend,
entfernt den Mist des Kuhstalls singend.
Es singen Mägde, singen Knechte,
getrieben durch geheime Mächte.
Ein Baby, das am Schnuller lutscht,
fühlt sich zum Singen aufgeputscht.
Die Oma singt im Altersheim,
und fröhlich singend schlürft sie Schleim.
Ihr Mann singt in der Badewanne,
denn in ihm singt das Kind im Manne.
Auch ich sing mit, wenn alles singt,
weil Dankbarkeit mein Herz durchdringt,
in bunt gemischten Jubelchören.
Wer Ohren hat, der kann es hören.
Es tönt und klingt voll Überschwang
ein unaufhörlicher Gesang,
womit die Lebewesen proben.
gemeinsam ihren Herrn zu loben,
der im Beginn durch seinen Ruf
dies Wunderwerk aus nichts erschuf.
O Leser, tu doch auch den Schritt:
Sing einfach mit den andern mit.

Maimorgen




Heut ist ein Tag, der anders ist,
als all die Tage vorher waren.
Man fühlt sich wie von einer Fee geküsst.
Es kribbelt von den Zeh´n bis zu den Haaren.

Schon morgens früh im Bett beginnt´s.
Durch´s Fenster fluten Sonnenstrahlen.
Dann steigen aus dem Grau des Labyrinths
Gedanken auf in farbigen Spiralen.

Der Himmel glänzt unendlich blau,
ein Wölkchen schwimmt in weite Fernen.
Wer bleibt, verdummt; wer sich bewegt wird schlau.
Es lohnt sich, aufzubrechen und zu lernen.

Die Seele spannt die Flügel aus,
als sei sie es gewohnt zu fliegen,
verlässt ihr tristes Einpersonenhaus,
um Müdigkeit und Schwäche zu besiegen.

Der Körper, totes Matrial
aus Flüssigkeit und Molekülen,
wird aufgewühlt von Leidenschaft und Qual,
zu schmecken, zu berühren und zu fühlen.

Kastanien blühn am Straßenrand
und Wunder hinter allen Ecken.
Bekanntes zeigt sich plötzlich unbekannt,
und überall gibt´s Neues zu entdecken.

Was gestern war, ist weit, so weit.
die gierige Verfolgermeute
von Sorgen, Angst, Verdruss und Einsamkeit,
vergeblich schüffelt sie nach Beute.

Heut wird geschehn, was nie geschah,
ein Tag von tausend Möglichkeiten.
Das Glück ist spürbar und erreichbar nah,
pack zu und lass es nicht vorübergleiten.

Blaues Band



Der Frühling lässt sein blaues Band,
durch Möricke uns wohlbekannt,
durch lind erwachte Lüfte flattern.
Sperlinge tschilpen, Enten schnattern.
Der Hahn wirft unverschämte Blicke
auf die gesamte Hühnerclique,
und diese, statt wie sonst zu fliehn,
umgirren und ermuntern ihn.
Ein Spitz beschnuppert hundertmal
den Stammlaternenpinkelpfahl.
Selbst meine flache Männerbrust
erfüllt und rundet sich mit Lust,
Lust, mich ins grüne Gras zu schmeißen
und hemmungslos hineinzubeißen;
vom Grund der Erde abzuheben
und federleicht empor zuschweben.
Noch liegt im Grunde alles brach.
Es duftet ahnungsvoll. Wonach?
Ich weiß es nicht, doch allenthalben
geschieht es, dass die Schafe kalben.
Die Lämmlein blöken auf den Weiden
so wollig, hilflos und bescheiden
und nuckeln an der prallen Zitze.
Mich juckt es in der Nasenspitze.
Ein Düftchen streift das Riechorgan,
Lavendel, Veilchen, Majoran.
Ein Wahn, der das Bewusstsein blufft?
Nein, irgendwas liegt in der Luft,
ein Vorgeschmack des Happy Ends.
Verliebt und luftig lockt der Lenz,
durch nicht erzwungen und geplant,
geheimnisvoll und ungeahnt;
undefinierbar, unaussprechlich,
jungfräulich, zärtlich und zerbrechlich,
Entfaltungen des Wunderbaren.
Es ist, um aus der Haut zu fahren.
Ich ahne, nein, ich weiß genau:
Heut ist nicht nur der Himmel blau,
der strahlend diese Welt umspannt,
denn Frühling lässt sein blaues Band.

November



November: Dunkel sind die Tage
und wechselhaft die Wetterlage,
die, wenn das Radio nicht irrt,
demnächst noch wechselhafter wird,
bis sie so mies ist irgendwann,
dass sie nicht mieser werden kann.
Der Herbststurm heult in kahlen Zweigen
wie ein Konzert verstimmter Geigen.
Erwartung, Leben, Farbe, Glück
ziehn sich ins Innere zurück.
Was bleibt, ist die von Schmuck befreite,
erstarrte, blasse Außenseite,
Gespinst von Angst- und Nebelschwaden,
kein Sonnenlicht, kein roter Faden.
Der Tod spielt auf zum Grabgesang
kurz vor dem Weltenuntergang.
Man merkt es hier und überall:
Was existiert, ist Rauch und Schall,
kurzlebig, hohl, vergänglich, nichtig,
vorübergehend, endlich, flüchtig.
Die Autos schleudern Schmutzfontänen,
Schneematsch mischt sich dabei mit Tränen
des Zorns, der Ohnmacht und der Wut –
Weinen erleichtert und tut gut! -,
denn wenn die Elemente toben
kommt Nass von unten und von oben.
Es tropft von Bäumen und aus Rinnen,
erst tropft es draußen, später drinnen.
Es tropft die halb verschleimte Nase,
dann tropft womöglich gar die Blase,
und schließlich macht es tropf, klopf, tropf
im fiebrigen Gehirn im Kopf.
Die neuste Form der Hongkonggrippe
schwächt Lunge, Denkkraft und Gerippe,
weil wir beständig importieren
die neuesten Erkältungsviren,
die andre rücksichtslos verpusten
durch lautes Niesen, feuchtes Husten.
Wir füh´n uns innerlich verschnupft
und außen wie ein Huhn gerupft,
beziehungsweise Gänsehaut
schon mittags, wenn der Morgen graut.
Lust, Mut und Hoffnung sind gebrochen,
gelähmt sind Muskeln, Sehnen, Knochen,
so dass wir durch die Gegend schleichen
gleich lebenden Beinaheleichen.
Ja selbst die Katze und der Hund
tun so, als wär´n sie nicht gesund.
Wir seufzen tief und sind verbittert,
weil in und um uns alles zittert
bis in das innerste Gedärme.
Verzweifelt suchen wir nach Wärme,
vielleicht mit langen Unterhosen
und doppelt viel Spirituosen,
und kriechen fast in den Kamin,
um Frost und Grauen zu entfliehn.
Doch trotzdem werden wir nicht heiter.
Wir frieren, und es friert stets weiter.
Die Antiinfluenzaspritze
tat weh, doch war zu sonst nichts nütze.
Wir lutschen Eukalyptusdrops
zwecks baldigen Bazillenstopps.
Doch die vermehr´n sich wie die Hasen
in solchen Katastrophenphasen.
Sie fressen quer durch das Skelett
sich unbehindert rund und fett
und machen sich´s total bequem
im menschlichen Immunsystem.
Trotz aller Mühen will´s nicht glücken,
was uns bedrückt, zu unterdrücken.
Melancholie zerfurcht die Seele,
und Heiserkeit zerkratzt die Kehle,
so dass wir wie die Raben krächzen
und sehnlichst nach Befreiung lechzen.
Ich selbst zieh mich ab nun ein Stück
aus diesem Jammertal zurück
so wie zum Winterschlaf die Schnecke,
verkriech mich unter meiner Decke,
verträume Grauen, Grau und Plage
und warte dort auf bess´re Tage.
Verehrte Schwestern, liebe Brüder,
wir sehen uns im Frühling wieder,
wenn hell und mild die Sonne lacht.
Auf Wiedersehn und gute Nacht.
Gern wach ich auf im warmen Licht.
November, nein, den mag ich nicht.

Im Lauf der Zeit



Der Mensch, soeben erst geboren,
noch Eierschalen hinter`n Ohren,
versteht vom Lebenssinn nicht viel;
auch fehlt es ihm an Zeitgefühl.
Es gelten seine Interessen
allein dem Saufen und dem Fressen.
Ob morgens, mittags, mitternachts,
er quäkt und quält und kräht. Was macht`s,
dass er die Eltern übermächtigt,
die sowieso schon übernächtigt,
so dass ihr Zeitgefüge prompt
von Grund auf durcheinanderkommt!
Nimmt er allmählich zu an Jahren,
wird zwar gewitzter sein Gebaren,
doch hält er es für selbstverständlich:
Des Lebens Dauer währt unendlich.
Was morgen sein wird, übermorgen,
macht ihm nicht die geringsten Sorgen.
Mit voller Brust und stolzgeschwellter
frohlockt er, wird er ein Jahr älter.
Die Zeit gleicht einem Riesenmeer:
Er schöpft und schöpft, es wird nie leer.
Sobald er etwas reifer wird,
bemerkt er, dass er darin irrt.
Sein Tun und Lassen ist komplett
hineingepresst ins Zeitkorsett:
Minuten, Stunden, Tage, Wochen,
die ihn beinahe unterjochen.
Geht er zum Abendessen aus,
zum Gottesdienst, ins Krankenhaus,
zum Schwimmbad oder Tete-a-tete,
fragt er zunächst einmal: Wie spät?
Fängt irgendetwas für ihn an,
stellt er bestimmt die Frage: Wann?
Genauso häufig fragt er bange:
Wie lange dauert das, wie lange?
Terminkalender sowie Uhren
vollbringen offenbar Dressuren
von Menschen, die beharrlich glauben,
nichts könne ihre Freiheit rauben.
Der Fahrplan für die Eisenbahn
und für den Flugverkehr ein Plan
und ungezählte andre Pläne,-
Du weißt schon, diese oder jene,-
die führen dazu, dass er ahnt,
der Mensch sei seinerseits verplant.
Die Uhr, die er am Armband trägt,
auch die, die auf dem Kirchturm schlägt,
der Wecker morgens früh am Tage,
im Radio die Zeitansage,
sie machen deutlich selbst dem Kind:
Die Zeit ist flüchtig, sie verrinnt.
Zwar hört man oft in froher Runde:
Dem Glücklichen schlägt keine Stunde,
doch was sich zeigt als Freudenquell,
verflüchtigt sich besonders schnell,
wogegen das, was uns versauert,
meist ausgesprochen lange dauert.
Geburtstage und Jubiläen
auch keineswegs nur Freude säen.
Sie machen unumwunden kenntlich:
Des Menschen Lebenszeit ist endlich.
Sie saust, nach Busch, im Sauseschritt,
der Mensch kommt manchmal kaum mehr mit.
Die Zunge hängt ihm aus dem Hals
und manches andre ebenfalls.
Schon wieder ist ein Tag vergangen!
Es scheint, er hat kaum angefangen.
Verliebtheit, Urlaub, Jugendzeit,
im Nu sind sie Vergangenheit.
Es lichtet sich des Haupts Behaarung,
wir sammeln Fotos und Erfahrung,
Gerümpel, Kummerspeck und Gold,
auch Niederlagen, ungewollt.
Wir würden gerne alles geben,
bekämen wir: Mehr Zeit zum Leben.
Doch die verrinnt in einer Tour
wie Sand in einer Eieruhr.
Erst wehren wir uns noch und schmollen,
wenn wir nicht kriegen, was wir wollen.
Doch später, müde der Intrigen,
da wollen wir nur, was wir kriegen.
Das Haben wächst, zugleich das Soll.
Mehr ängstlich als erwartungsvoll
schaun wir, was uns die Zukunft bringt,
ob uns ein weit`res Jahr gelingt.
Es gibt etwas, das uns bedroht
und voller Schrecken scheint, der Tod,
obwohl er, sagen wir es platt,
bestimmt auch guten Seiten hat:
Ob wir im dunklen Grabe modern,
ob im Verbrennungsofen lodern,
kein Ticken einer Uhr stört mehr,
kein Zeitverlust macht uns Beschwer,
kein Wechselspiel von Tag und Nacht,
kein Auftrag: Morgen um halb acht.
Wir dürfen jeden Buss verpassen,
den Wecker einfach klingeln lassen
und, statt um sechs Uhr aufzustehn,
uns auf die andre Seite drehn.
Wir haben eine Ewigkeit
zum Ausruhn und Verschnaufen Zeit.

Einst und jetzt



Wer älter wird, bemerkt zu Recht:
Die Welt, in der er lebt, ist schlecht,
beängstigend, indiskutabel,
ein Saustall und ein Sündenbabel.
Dies plagt und trifft ihn umso schlimmer,
denn so verhielt es sich nicht immer.
Als er noch jung war, schön und jung,
voll Tatkraft und Begeisterung,
da zeigte es sich nämlich klar,
dass damals alles besser war,
einst, früher, in der Jugendzeit.
und goldenen Vergangenheit,
noch unberührt von der Moderne,
in unerreichbar weiter Ferne
im kleinen Häuschen auf dem Land.
Ganz nah ein Bach am Waldesrand.
Forsythien blühn im Sonnenschein,
Wind aus dem Süden, mild und rein;
stolz und zufrieden kräht der Hahn,
nachdem er seine Pflicht getan.
Die Henne freut sich ebenso
und pickt sich einen leckren Floh,
Faul liegt der Hund am Gartentor
und kratz sich hinter´m linken Ohr.
Die Schwalben turnen durch die Luft,
es mischt sich Stall- und Blütenduft.
Bei dem Idyll darf auch nicht fehlen
Großmutter beim Kartoffelschälen,
wenn sie dem Huhn, schon reichlich ledern,
entrupft hat die verblieb´nen Federn,
wonach sie nicht mit Knoblauch spart
und alles auf dem Holzherd gart.
Das gab nicht nur genügend Kraft,
es schmeckte auch noch fabelhaft.
im stillen heimatlichen Tal.
Dies ist vorbei, es war einmal.
Jetzt aber weht ein rauher Wind,
jetzt zeigt sich, wie die Menschen sind:
Halunken, Schufte, Bösewichter,
gemeingefährliches Gelichter,
Hochstapler, Gauner, Scharlatane,
Schaumschläger, Sauf- und Spielkumpane,
gewohnheitskriminelle Strolche,
Triebtäter, Rohlinge und solche,
die faul sind, nichts tun, Däumchen drehn
am Bahnhof sitzen oder stehn,
mit irgendwelchen Hunden spielen,
sich Drogen spritzen, saufen, dealen,
krank feiern, faulenzen, schmarotzen,
dabei halbnackten Fraun nachglotzen,
die über blöde Witze lachen
und selbst noch dümmre Witze machen,
Nichtsnutze, Taugenichtse, Flaschen,
teils primitiv, teils ungewaschen,
von jenen Schurken abgesehn,
die oben an der Spitze stehn,
nackt in der Nacht, jedoch an Tagen
versehn mit einem weißen Kragen,
der auf den ersten Blick bescheinigt,
sie sei´n auch innerlich gereinigt.
O Leser, noch nicht ganz so alt,
du liest dies nur mit Vorbehalt?
So spräche nur ein Tattergreis,
viel zu nostalgisch, zu schwarz-weiß;
ein typisches Senilgehabe,
nur ein, zwei Schritte vor dem Grabe,
anscheinend schon halbblind, halbtaub,
nicht ernst zu nehmen, mit Verlaub.
O Leser, der du jünger bist,
von Kopf bis Fuß ein Optimist,
der meint, es gehe auf der Fortschrittsleiter
stets vorwärts und stets schneller weiter,
auch ohne ein Prophet zu sein,
will ich dir hiermit prophezein:
Dein hartes Urteil wird sich rächen,
bald wirst du selbst ganz ähnlich sprechen
von trauter Kindheit, Jugendzeit
und goldener Vergangenheit,
wie´s einst und damals offenbar
viel friedlicher und schöner war
im Gegensatz zur Gegenwart,
in der das Leben ächzt und knarrt,
wie eine Dampfmaschine schnaubt
und dem, was lebt, die Ruhe raubt.

Frühling




Der Frühling kommt. Er ist nicht aufzuhalten,
obwohl der Winter weiter ficht.
In tausend überraschenden Gestalten
treibt Leben aus dem Tod ans Licht.
Noch gibt es Tage voll von Sturm und Regen,
die Nächte sind meist lausekalt.
Dann tut es gut, in heimischen Gehegen
Zuflucht zu finden vor Gewalt.
Doch täglich mehr liegt in der Luft ein Hoffen.
Man kann es hören, riechen, sehn.
Hemdkragen, Fenster, Herzen stehen offen;
was hässlich war, wird fotogen.
Die Sonne gibt sich Mühe zu gewinnen,
sanft streichelt sie die schlaffe Haut.
Warm wird´s erst draussen und allmählich innen.
Aus trocknem Holz spriesst frisches Kraut.
Im Garten dichte Büschel von Narzissen.
Leicht schwankend träumen sie im Wind.
Ob sie es ahnen, ob sie´s etwa wissen,
wie schön und farbenfroh sie sind?
Verliebte Amseln zwitschern in den Zweigen,
beschwingter als Musik aus Wien.
Die Töne mischen sich, um aufzusteigen
in Auferstehungssinfonien.
Ein lockender Geruch umspielt die Nasen,
es schnuppern Katze, Kind und Hund.
Sie fangen an, im Kreis herumzurasen,
und kennen nicht einmal den Grund.
Genüsslich – lüstern leckt man sich die Lippen.
Es schmeckt nach Kaviar und Sekt,
und selbst in ausgedörrtesten Gerippen
wird neue Leidenschaft erweckt.
Undefinierbar zärtliche Gedanken
entströmen dem gequälten Herz
und schweben ohne Unterlass und Schranken
aus Abgrundtiefe himmelwärts.
Es drängt den Mann, sich schleunigst zu beweiben,
das Weib sehnt sich nach einem Mann.
Er plant voll Kühnheit, ein Gedicht zu schreiben,
obwohl er´s eigentlich nicht kann.
Es müssen Verse werden, die sich reimen.
Normale Worte reichen nicht,
wenn überall Natur und Liebe keinem.
Der Frühling selbst ist ein Gedicht.
Der Dichter räkelt sich in Lustgefühlen,
ergreift dann Bleistift und Papier,
beginnt in seinem Künstlerhaar zu wühlen,
und was er produziert, steht hier.

Herbst des Lebens




Es mag gefallen, mag missfallen,
dies ist das Schicksal von uns allen:
Wir kommen scheinbar aus dem Nichts,
gelockt vom Schein des Sonnenlichts.

Entstehen, Wachsen und Gedeihn
voll Blüten, voll von Früchten sein –
das frohe, satte Fest des Lebens!
Fürwahr, wir leben nicht vergebens.

Doch einmal endet der Genuss,
dann ist unwiderruflich Schluss.
Die Frucht verfault, das Laub fällt nieder,
der Schoß der Erde hat uns wieder.

Neujahrsmorgen



Ein neues Jahr liegt in der Luft;
das alte ist mit Lärm verpufft.
Nach langer, meist durchzechter Nacht
wird hier und da Bilanz gemacht.
Man überschlägt, berechnet, schreibt,
ob Plus, ob Minus übrigbleibt;
ob all die reichlichen Talente
erbrachten ebenso viel Rente.
Es ist zum auf-die-Bäume-Klimmen,
das Endergebnis will nicht stimmen:
Die Konten wachsen Tag für Tag,
doch menschlich beibt ein Fehlbetrag.
Gott Janus nur blickt ohne Zorn
teils rückwärts, andrerseits nach vorn.
Ihm offenbart sich auch das Morgen,
was unsern Sinnen ist verborgen.
Schön wär´s, wir wüssten, was er sieht,
was dermaleinst mit uns geschieht.
Wir wissen leider nur, was war,
jetzt zu Beginn im Januar,
bestimmt nicht alles nur erfreulich,
im Gegenteil, oft höchst abscheulich.
Doch was Beruhigung gewährt,
es ist vergangen und verjährt.
Die Zukunft aber, wie gesagt,
durchaus nicht jedermann behagt,
denn was am wenigsten geheuer:
Sie ist verhüllt mit einem Schleier.
Als aufgeklärte Zeitgenossen
sind wir verärgert und verdrossen
und fangen an, intim zu leiden,
wenn wir nicht alles selbst entscheiden.
Passt etwas nicht in unser Hirn,
dann muss es ärgern und verwirr´n.
Intelligenz, Verstand, Kalkül
und ja kein Anstrich von Gefühl!
Denn dieses irritiert, so scheint´s,
das Hirncomputereinmaleins.
Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten.
Ein Paradies wird sich entfalten,
Erfolg und Leistung als Propeller,
Noch schöner, höher, grösser, schneller.
Das bisschen Angst – um Gottes Willen,
wofür gibt´s Alkohol und Pillen?
Der Tod – auch alles halb so schlimm,
ein Märchen der Gebrüder Grimm,
Legende höchstens, Mythos, Sage,
nicht ernst zu nehmen heutzutage.
Wie dem auch sei, noch leben wir.
Einladend steht sie auf, die Tür
zu ungezählten Möglichkeiten.
Lasst uns entschlossen vorwärtsschreiten!

Impressum

Texte: Christoph Hartlieb
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

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