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Sie traute sich nicht, ihn anzurufen. Der Arzt hatte ihren Verdacht bestätigt. Draußen herrschte Stille. Der Nebel legte sich um die Häuser und hüllte die Straße in ein trostloses Grau. Der Garten wirkte verschwommen und trüb. Die Köpfe der Rose, die Caroline für ihre Mutter gepflanzt hatte, hingen nach unten, gedrückt von der gewaltigen Masse des Nebels. Sie fasste all ihren Mut zusammen und griff zum Telefon. Bitte geh ran, bitte geh ran.

Sie hörte das Freizeichen, jetzt gab es kein Zurück mehr. „Hallo mein Schatz, wie geht es dir? Warum hast du dich nicht gemeldet?“ „Tom. Können wir uns an unserem Platz treffen? Wir müssen reden.“ „Aber was ist denn los? Du klingst so...“ „Erkläre ich dir später.“ Ihre Stimme zitterte. „Tom, beeile dich bitte.“
Sie drückte ihn weg.

Rasch flogen ihre Schritte über das Grauschwarz der Pflastersteine. Der kalte Wind blies ihr unbarmherzig ins Gesicht, sodass Caroline die Tränen in die Augen stiegen.
Der Weg war gesäumt vom fahlen grün der Wiese. Einige Lampen am Wegesrand flackerten nur, andere dagegen waren ganz erloschen. Caros Blick war starr auf den Boden geheftet. Eine Elster, die aufschrie und sich panisch aus der Linde erhob, die zu Carolines Rechten lag, ließ sie aufschrecken. Eine rot getigerte Katze huschte über die kleine Mauer und verschwand im Dickicht der Bäume. Caro eilte weiter. Geradewegs am Brunnen vorbei, in dessen Wasser die Regentropfen ihre Kreise hinterließen. Dann war Caroline da. Die Klosterkirche lag vor ihr, mitsamt ihren Geschichten die sich dort in den Jahrhunderten abgespielt hatten. So vieles hatte das Kloster erlebt und noch immer stand es fest an Ort und Stelle, sich trotzig der Zeit wiedersetzend und auf neue Geschichten lauernd. Die Fenster, wie Augen die jedes Geschehen gierig aufsaugten, nur damit die Glocken am nächsten Tag das Ereignis prompt und unverhohlen in die Welt schicken konnten.
Caroline schaute zum Klosterturm hinauf. Er war schon da. Ihre nassen blonden Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie ihren Blick abwandte, um zum Klostereingang zu laufen. Schritt für Schritt erklomm sie die Treppe. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen. Die Kälte schnitt ihr die Luft ab. „Caro, du bist so blass, was ist los?“ Sie wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen. Tränen brannten auf ihrer Wange. Ihre Hände umschlossen das kalte Geländer. „Ich bin schwanger.“ Es wurde still, nur der Regen war zu hören, der auf den Boden klatschte. Caroline hörte seine Schritte, als er auf sie zukam. Sie sah nur noch, wie er ausholte. Ihr Schrei zerschnitt die Stille. Sie verlor den Boden unter sich und sah nur noch seinen entsetzten Blick. Dann wurde es schwarz.

Der Pulli war kratzig und roch vertraut – zu vertraut. Toms Pulli.
Es war falsch, den ganzen Tag im Bett zu sitzen und nichts zu tun, außer ab und zu an ihrem kaltgewordenen Tee zu nippen, das wusste sie. Aber was tun, wenn es den Anschein machte, als würde ihre Welt nur noch verworrener? Heulen? Schreien? Oder sich weh tun? Wie es so viele andere Mädchen taten aus Verzweiflung? Nein, das wollte sie nicht. Sie stand nicht auf, als es an der Tür läutete. Caro wusste, ihr Vater würde öffnen. Der Summer ertönte und das Geräusch der zufallenden Haustüre drang in ihr Zimmer.
Ihre Zimmertür öffnete sich einen Spalt. „Caro, kann ich mit dir reden?“ „Was zum Teufel willst du denn hier?“ „Caro, komm doch bitte einfach mit. Bitte.“ „Und wohin willst du gehen? Wenn es dir so wichtig ist, warum reden wir nicht einfach hier? Dann haben wir es wenigstens hinter uns.“ „Nein, nicht hier. Bitte komm mit.“

Es dämmerte schon. Der nasse Asphalt schimmerte. Vögel kreisten am Himmel und setzten sich auf die kargen Äste der Bäume. Die Wolken hingen tief. Schwer legte sich der graue Schleier um die Windungen der Straße und schien diese fast zu verschlucken. Verschwommen zeichnete sich am Horizont der Klosterturm ab, spitz zulaufend und gekrönt mit einem Kreuz. Caroline stockte, ihr Blick war an den Turm geheftet, der ihr alle die von Pein erfüllten Bilder wieder ins Gedächtnis rief. Sie zögerte. Mit geschlossenen Augen tat sie den nächsten Schritt direkt auf ihn zu. Tom zuckte, als sich ihre Hände berührten. Er wandte sich von ihr ab. Schweigend liefen sie in Richtung Friedhof.
Der Regen rann langsam von den Ästen der Trauerweide herab auf das triste Grab ihrer Mutter. „Tom, warum sind wir ausgerechnet hierher gekommen?“ „Der Ort bedeutet mir viel.“ „Deine Eltern sind auch hier begraben, wie meine Mutter.“ „Nein, das ist es nicht.“ „Was meinst du dann?“ „Ich habe hier etwas gefunden. Etwas, das ich hoffe, nicht verloren zu haben.“ „Tom, was redest du da?“ „Caro, ich rede von dir.“ Sie wandte sich dem Grab ihrer Mutter zu. Nie würde sie vergessen, was hier an diesem Ort passiert war. Aber sie wusste im Moment nicht, wie sie sich verhalten sollte.
Unsicher lief sie los. Tom folgte ihr.

Maria und Peter Jenkovic

stand auf dem tristen Marmor. Tom kniete sich nieder und stützte sich auf der nasskalten Erde ab. Er begann zu weinen. Caro schluckte. Ihn so zu sehen, war noch viel schmerzvoller als jener Sturz. Sie spürte einige Regentropfen auf ihrer Hand und schaute gen Himmel. Das Grau der vorbeiziehenden Wolken vermischte sich und ließ die Wolken ineinander übergehen, sodass man sie nur noch als eine große schwimmende Masse sah. Caroline beugte sich vorsichtig über ihn. Ihre Haare fielen nach vorne und streiften Toms Wange. Er drehte den Kopf und schaute sie mit feuchten Augen an. Er raffte sich auf und gab Caroline die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Tom strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper, der Regen hatte sie völlig durchnässt. „Hier.“ Tom reichte ihr seine Jacke. Sie war ihm dankbar. „Caro, es tut mir so leid. Ich war einfach damit überfordert. Die Vorstellung, dass ich Vater werden würde, ICH!?“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und starrte zu Boden. „Tom.“ „Ja, Caro was ist los?“ Sie drehte sich zu Tom um und ging vorsichtig einen kleinen Schritt auf ihn zu. Dort blieb sie stehen, sah ihn an und schwieg. Tom erwiderte ihren Blick, sah ihr in die Augen. Dann zerbrach er die Stille. „Ich habe Angst um dich. Du kennst die Geschichte der Irene genauso gut wie ich.“ „Sicher. Irene von Byzanz, die Stauferkönigin. Tochter vom Kaiser Isaak II. Angelos. Vier Kinder und zwei Männer hatte sie. Der erste, Roger, ist gestorben und der zweite, Heinrich VI., wurde einige Monate vor ihrem Tod ermordet. Sie hat hier ihre letzten Wochen verbracht, ist im Kloster Lorch gestorben und begraben.“ „ Krank und hochschwanger kam sie hier am Kloster an. Sie hatte eine Fehlgeburt Caroline. Und soweit ich weiß, ist sie genau daran auch gestorben.“ Carolines Blick war an den Grabstein geheftet. „Caro, du weißt, dass ich dich brauche.“ Sicher wusste sie das, denn sie war schließlich diejenige, die zu ihm gehalten hatte, nach dem Unfall. „Ich war immer für dich da. Hab dir zugehört, dich getröstet, wenn dir alles zuviel wurde.“ „Das ist mir bewusst und ich bin dir sehr dankbar dafür.“ Sie zögerte. Caroline wusste nicht genau, was sie sagen sollte. Eine Böe erfasste die beiden. Der Wind fuhr durch Carolines Haare. Die Äste der Trauerweide bogen sich und einige ihrer Blätter wurden davongerissen. Caros Sorgen, alle ihre Ängste nahm die Böe mit sich. „Tom. Du hast mich verletzt, mir wehgetan.“ „Ich weiß. Ich bin untröstlich deswegen.“ Sein Blick schweifte unruhig ab. Tränen stiegen in seine Augen. Instinktiv ging sie auf Tom zu und nahm seine Hand. Sie konnte es nicht ertragen zu sehen, wie er litt. Das konnte sie noch nie. Vorsichtig verschränkte er seine Finger mit ihren. Sie waren wieder eine Einheit, gegen die niemand etwas ausrichten konnte. Sie hatten schon so vieles zusammen erlebt. „Und? Wie willst du es nennen?“ Tom lächelte und gab Caro einen sanften Kuss. „Das heißt, wir..“ „Schh, wir schaffen das. Zusammen.“ Caroline ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken. Sie seufzte erleichtert. Zusammen kann uns nichts geschehen. Gemeinsam stehen wir alles durch.


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Tag der Veröffentlichung: 01.05.2011

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