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Zum Inhalt:
Herbstwesen
Ich bin's
Lieber Harvey
Gedankenjäger
Café Satz
Still ist der Abend geworden
Eiszeit
Ich bin keine Rose mit Dornen
Silberriegel für Schweigestunden
Akte: Geliebtes Leben
Sternreich
Matrosenherz
Alleinsein
Was Menschen im Sommer so reden
Garten der Gedanken
Schlag-Zeilen
Kein Kind von Traurigkeit
Wege


Zur Autorin

   

 

 


Herbstwesen

Mich hat
der Herbst geboren

mich stürmisches
Oktoberkind

mich schaukelte
verloren

eine Waage
auf und ab
im Wind

Der Herbst
hat mich genommen
so
wie ich nunmal bin

bin launisch
bin besonnen

und gebe mich
dem Leben hin
und meine Augen
blicken herbstlich

mal strahlend klar
und himmelblau

und dann mal wieder
melancholisch

so wie das Leben
grau in grau

Das ist der Herbst
das bin ich

nur wer den Herbst
liebt, der liebt mich.


(1978)                                                    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Ich bin's


Ob ich
meine Intensität
aus einem früheren Leben
beziehe,
weiß ich nicht.

Aber sollte ich
nochmal wiederkommen,
dann als Regentropfen.

Keiner wird sich
mir entziehen
- nicht so leicht -

Wenn ich wiederkomme,
gibt es keine Regenschirme,
keine Capes usw.

Ich niesel herab
auf die, die ich liebe -
und alle Feinde schwimmen
in mir davon
im Prasselwetter.

 

 

 

 



Nicht aus Rache,
Aggressivität und so,
sondern aus Jux.

Aus Liebe zum
"sich fallenlassen"
!
!
!
plopp!

Regentropfen hüpfen
fröhlich,
platzen,
und sind ein Fleck,
wie der See.


1981

 

 

 

 

 


Müßiggang

Er saß
auf seinem Canapeé

und trank ne Tasse
Lotustee und rauchte

Eine Zigarette und las
dabei in der Gazette

und seine Schwestern
Mutter, Base, sie alle
rümpften nur die Nase

ob seines exzentrischen
Hanges des unverdienten
Müßigganges, und später

dann beim Néscafé, kam
ihm eine Schnapps-Idee,

er griff zum Zettel und
zum Füller, und seine
Story wurd ein Knüller.

 

 

 

 

 



Doch dies war diesen
Superpimpfen ein neuer
Grund zum Naserümpfen.

Sehr verbissen, konzentriert
hat er sich so hochsinniert,

und als ers zu Erfolg
gebracht, hiess es, dies

kam über Nacht und er
wurd mit Neid bedacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Lieber Harvey,

 


ich wiege wieder 46 kg

Bei der Einberechnung
der Himmelsflüge
bitte einkalkulieren
als Auflast.

Ich halte Dich
ständig auf dem neuesten
Stand,

esse Rosinen
mit Milchschokolade

und gehe gleich
in die Badewanne.

Soll ich für Dich
gleich Wasser mit einlassen?
ein Handtuch mit hinlegen,
und die rechte Bettseite
abdecken?

1981

 

 

 


Gedankenjäger



Die Feder im Anschlag

Ein Patronengeschoß
für Volltrefferlyrik!

Ein Sarkasmusgemisch
-gefriergetrocknet-
verpulverisiert

in westlicher Wildnis.

Schriftstellerparfüm.

Elektrischer Silbenhagel
erschreckt Besserwisser

die Schriftstellerwaffen
entwaffnend belächeln
und Lyriktrophäen
belustigend


1986




Café Satz




Manche Leute lesen
in den Augen, blicken.

Intensivmomente.

Manche Leute sitzen
oder stehen zwischen
Stühlen. Lauschend.

Leise klirren Wimpern-
Schläge zwischen Zweien
blitzen Augenblicksmomente.

Kaffeetassen fassen
Mokka. Milch und mehr.

Kaffeehausfliegen
schlagen ihre Zeit tot.

Langeweile stirbt,
fällt dem Gespräch
zum Opfer.

Erinnerungen bleiben
im Kaffeesatz hängen.

Bis zur nächsten Spülung.
Kaffeesätze wechseln
schlürfend den Besitzer
dieser Tasse.

Schlürfend schleicht
die Zeit von dannen.
Vertrieben.


1987




Still
ist der Abend geworden



Still
naht
die laue Sommernacht

elegant: tintenblau

Still
entnehme ich ihr
meine Feder
eintauchend

Satz für Satz.

Will
nicht
mit elektrischem
Silbenhagel

ihre Stille
zerstören.

Will
dir schreiben
was ich denke

was ich fühle
was ich meine

Will
ihr danken

und
dem Froschkonzert
lauschen

das sie mir

durch geöffnete
Fensterflügel

zuträgt

und den
Mitternachtskirchglockenschlag

akzeptieren.




Eiszeit




Das Eis zu brechen
war meine Absicht,
mit der ich kam...
bevor es Winter war.

Als kleines Mädchen
kam ich in die Arktis
nordischer Gefühle,

in eine sogenannte
Nordpol-Gesellschaft.

Das Eis schmolz nicht,
es wollte gelutscht,
geknackt, zerbrochen
sein.

Da half auch kein Sommer
77 Jahre müssten vergehen
sagte man mir

77 mal müsste es Sommer
werden, hörte ich

Die Hälfte ist geschafft
Dass ich so alt werden muss,
um die Schmelze mitzuerleben,
hätte ich nie gedacht


1990




Ich bin
keine Rose
mit Dornen

 



nicht bescheiden
nicht sittsam
nicht rein

Kein
Schleierkraut
das sich
verhüllt

lass mich
dein Mohn
sein

Sei meine Sonne
die mich wärmt,
die sich
ans Gatter
lehnt

Wind,
Luftzug
&
Windstoss

der Blatt für Blatt

mein Blätterwerk
mein Blumenkleid
entblättert

Bau Mohn an
und ich
werde immer
bei dir sein

und in dir
sein

und in deinen
Adern pulsieren

und dich
der Zeit
entführ'n




Silberriegel
für
Schweigestunden




Alles legte ich beiseite
wenn von dir die Rede war

Es sprach für dich
daß du nicht Heini bist
und dein Gesicht
nicht
Egon's Züge trug.

Ich war ganz dicht bei dir
du Freund
du naher Fremder

du gehörtest zu mir
wie ein Garantieschein
zur Damenuhr.

Ich legte die Hand
auf die Sonnenuhr
und spürte
die Wärme
die von der Sonne kam
als käme sie von dir

Da liegen noch
die weißen Kiesel
darauf die
Schlüsselblumen

und die
Silberriegel
die du mir hinlegtest

damit ich
schweigen lerne




Akte: Gel(i)ebtes Leben



Briefe - Dokumente

Bündelungen
der
Erinnerung

Gefaltet - Geheftet - Geklebt

Gehalten
von
Schleifen

Gesammelt - Sortiert

Vergilbt - Vergraut - Verstaubt

Das Schöne
Das Schlimme
Das Entsetzliche

Beantwortet - Bearbeitet -Beurteilt

Geklärt
heißt nicht
gelöst

Balletschuhe
vom letzten Tanz
der Seele

Rosen
lachsfarbene
Zeichen

Sogar der Vergleich
Gestern Heute
schmerzt,

weil die Gegenwart
die Vergangenheit
zu beschönigen
versteht.

Die Bilder
zu
Retuschieren
versucht.

Eine Maske
Ein Zweig.


1995




(K)ein unbeschrieb'nes Blatt



Papier ist geduldig
was ich von mir
nicht sagen kann.

Ich bin
(k)ein unbeschrieb'nes Blatt
lest das, was ihr wollt.

Ich habe viele Seiten
(K)ein leeres Blatt
ist vor mir sicher,
nur vor sich selbst.

Ich nehme
kein Blatt vor meinen Mund
(ent)blättere alles und nichts
und halte mich
dennoch bedeckt

Das Rauschen im Blätterwald
ist für mich wie das Rauschen
des Meeres.

Stille Wasser
sind bekanntlich
tief.

Möge meine Feder
vom Anfang bis zur Vollendung
der Wahrheit dienen

Reden ist Silber,
Schreiben ist hold,


1999




Sternreich



Die meisten neuen Tage
liebe ich
wie die Nächte vor ihnen.

Die meisten neuen Nächte
liebe ich
wie die Tage nach ihnen.

Würde Frust leuchten
wie ein Stern
wäre ich sternreich

Tag und Nacht
haben nicht verdient
gehasst zu werden

wie die Menschen
die sie (zu dem)
gemacht haben

was sie sind


2004

 

 


Matrosenherz


Wäre ich

ein Matrose zur See

könnte meine Seele,
könnten meine Blicke,
könnten meine Gedanken

wie eine Möwe
wie eine Boje
wie eine Welle

dahinfliegen
dahinschaukeln
dahinwiegen

Segeln wie Wellen

Vielleicht
ist mein Herz
ein Matrosenherz?

Denn es will mehr

viel Mehr.

 

 


Alleinsein


Im Hintergrund
Uriah Heep

Orgelklänge - LalalaGesang

eine brennende Zigarette
im kippengefüllten Aschenbecher.

Tabakgeschmack
auf der Zunge

Keine Küsse - Keine Konflikte

Alleinsein
Allein mit dir selbst

Eine Kette
vor dem Haustürschloß
Rolläden
Sicherheitsverschlüsse

Angst?

vor Träumen,
die dich nicht
mehr freigeben.







Was Menschen
im Sommer
so reden!



Neulich,
es ist eine Weile her,
sagte Jemand,
mit mir sei
nicht gut
Kirschen essen.

Dabei war
noch nie
Jemand
mit mir
Kirschen essen.

Mir fiel ein,
warum niemand
mit mir Kirschen essen
gehen wollen würde...

Ich esse nämlich
immer
die Kirschkerne mit!

Ich ignoriere
den Kern!

Ich schlucke zuviel!

Mir fiel ein,
dass ich mal
mit Jemandem

Oliven essen war

Plötzlich fragte der:
"Haben Oliven
keine Kerne?"

Ich sah ihn,
erstaunt an
und fragte:
"Haben Oliven
etwa Kerne?!"

Vorsichtig nahm er
eine meiner Oliven,
verschluckte sich
und sagt seither:
mit mir sei nicht
gut Oliven essen!





Garten der Gedanken


wo Phantasien zart ranken,

Ideenreichtum zuhause ist
hier darfst du so sein, wie
du bist

tritt ein durch bunte
Regenbogen und all dein
Kummer ist verflogen

Nimm Platz auf weissen
Sommerbänken und lass
dir Illusionen schenken

im Wunschtraum-Pläne-
Ziele-Reich, wo Veilchen
stehn, Vergissmeinnicht,

Fuchspfennigstrauch,
schreib ein Gedicht.





Schlag-Zeilen



Früher schrieb ein
Au-Tor
mit Kugel-Kopf

das klang wie
ein Maschinengewehr

täglich neue Anschläge
immer mitten ins Herz

heute übernehmen
Computer

Herz & Hirn
Nerven & Nier'n

Hirn-rissig bissig

Attacken
Buch-Druck

Druck-Werke
erst Deadline

dann Headline
dann Online

Satz-Spiegel
Wort-Wechsel

Zeile für Zeile

manchmal
bist du wie
vor den
Kopf gestossen

manchmal
stösst du
auf Nachrichten

die dir bekannt
vorkommen





Kein Kind von Traurigkeit



Weltschmerz?
Dass ich nicht lache!

Bin ich traurig, dass es mich gibt?
Dass man mich nicht liebt, macht
mich frei, denn mein Herz schlägt
für mich selbst, & die, die ich liebe

Mein Herz kann ich verschenken,
aber meinen Kopf nicht verlieren
niemand, ausser mir, beherrscht ihn
so wie ich, durchdacht, in Gedanken
verloren, aber meine Seele ist mein
Besitz, bleibt Eigentum.

Den Kopf hängen, die Seele baumeln
zu lassen, kann auch eine Kunst sein
Überlebenskunst, zeugt von Können
sie können nichts, nicht meine Seele
amputieren, mich nicht köpfen oder
rückgängig machen.

Ich halte mich an das Grundgesetz,
nämlich die Grundverfassung des
21. Jahrhunderts

Sie wird Melancholie heißen,
prophezeien Berliner Kuratoren,
Melancholie hat nichts gemein
mit Depression, Depression ist
ein Leiden, Melancholie Chance.

So danke ich denen, die mich mir,
& meinem Leben geschenkt haben
und damit der Chance zu mir selbst.

2006

Geschrieben anlässlich der
Melancholie-Ausstellung Berlin
Melancholie
Genie und Wahnsinn in der Kunst
17.2. - 7.5. 2006
Neue Nationalgalerie






Wege



Der lange Weg
zu dir selbst

Mein längster Weg
war der zu mir selbst

wo Himmel und Erde
sich treffen, sogar
das Nichts eine Farbe
hat: Himmelblau

Je näher ich meinem
Ziel kam, umso weiter

rückte ich in die
Ferne meiner Seele,
weil nichts so weit
entfernt ist, wie du

dir selbst




Ulrike M. Dierkes

* 9.10.1957 in Münster/Westf., absolvierte nach der Mittleren Reife eine journalistische Ausbildung und gleichzeitig ein Schriftstellerseminar mit Unterricht in Lyrik und Shortstory. Ihre literarischen Arbeiten erschienen in zahlreichen Anthologien, Frauenzeitschriften und Literaturmagazinen, z.B. "Hasenliebe", eine erotisch-satirische Fabel in "Unbeschreiblich weiblich" (1981, rororo), erotische Shortstories in "PLAYGIRL". 1995 erschien ihr erstes Buch "Melina's Magie" (Roman, Georg Bitter verlag), 1997 "Meine Schwester ist meine Mutter - Inzestkinder im Schatten der Gesellschaft" (Sachbuch, Patmos Verlag), zuletzt 2004 "Schwestermutter" (Biografie, Lübbe Verlag). Viele ihrer lyrischen Werke wurden in die Bibliothek deutscher Gedichte, Frankfurter Bibliothek, Wiener Staatsbibliothek, Schweizer Nationalbibliothek, Französische Nationalbibliothek und National Library of Congress in Washington aufgenommen und veröffentlicht. 2007 gelang sie mit kabarettistischer und satirischer Lyrik ins Finale des "Spökenkieker-Kabarett-Wettbewerbs" der Theaterbühne Münster. 2007 Bundesverdienstkreuz für ihr soziales Engagement für  Inzestkinder.

Ein Stuttgarter Wochenblatt bezeichnete die Autorin Ulrike M. Dierkes nach einer Lesung als "vielseitige Sprachkünstlerin" und schrieb:"Schreiben hat viele Facetten. Ulrike M. Dierkes kennt wohl die meisten davon...ist in allen Sprachformen sattelfest."


 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.09.2008

Alle Rechte vorbehalten

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