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Wenn du von diesen klaren und lichten, überall so deutlich ausgeschilderten Wanderwegen, wie sie sich munter durch Berg und Tal ziehen, wo munter Groß und Klein spazieren geht um die schöne Waldeslust in der herrlich frischen Luft und der stillen Abgelegenheit zu genießen, von diesen Wegen, denen die Schilder klare Ziele weisen, die aber doch als Ziel immer nur wieder sich selbst finden und kreuz und quer und im Kreis wieder in andere Wege münden, wenn du von diesen plötzlich heruntertrittst …


Der Wald ist dort von einer dunklen Milde durchgangen; dämmertrübes Licht zieht durch die Wipfel seine Fäden, dringt in die gehaltende Stille ein und versickert bald im düsteren und moosigen Wurzelgrund. Es scheint dann sogar im Tann, der wie in dunklen und tiefen Träumen versunken, stets gruppenweise in sich verkeilt und verwachsen vor deiner Sicht auftaucht, die den einsam und verklärten Blick nach vorne treibt –

Was siehst du?
Der Wald weiter hinten ist dichter und stiller, das Licht dort rieselt verspielt ins Moos; der Dunst zeichnet vor der Dunkelheit rätselhafte Figuren, tanzend vor deinem unruhigen Auge, lockend, ziehend, gespensterhaft, wie von einem alten und vergessenen Zauber –
Wo du stehst dagegen ist alles in seinen gewöhnlichen Bahnen, nichts ist dort mehr besonders, nichts hält dich dort wirklich – du gehst, dem ungesagten Bann der Figuren ganz ergeben, stetig nach vorn, durch tiefes Geäst, über verwachsene und tiefe Gräben, wo sich in alle Vertiefungen die Spuren der Tiere verirren, durch schweigende Tannenhölzchen – wie wild rennst du darauf los, irrst durch die phasenartig sich verschiebenden und doch allgegenwärtigen Einsamkeiten hindurch, verlierst unter den weitreichenden Baumwipfeln, die sich über dir verschließen, die Sicht auf den Himmel –
Hast du sie je gehabt?

Du gelangst zur Stelle, die du aus der Ferne gesehen hast, doch nichts scheint sich dort an der Umgebung zu verändern; so zauberhaft sie dir von Fernem erschien, so traurig ordinär kommt sie dir nun vor, als eine bloß trüb beschienene, von Wurzeln und Felsen zerklüftete einsame Böschung inmitten des Waldes.
Wo du aber so stehst, nicht recht weißt, wohin, siehst du durch den einziehenden Dämmer unweit, noch ein Stück tiefer ins Gehölz hinein, umwildert von alten Erlen und durchschienen von lebendigem Licht, einen plätschernden Quell zwischen den weiten Moosbetten hervorspringen. Da du weder vor noch zurück weißt, gehst du darauf los, hast außer jenem einen stillen Ort das andere, das dich umgibt, zeitweilig aus dem Blick verloren. Und da liegt sie vor dir, die stille Quelle irgendwo an den Rändern des lichteren Waldes zum tieferen hin, unter dem tiefen Schatten hoher Baumkronen weit über dem dichteren, nach oben wie die Pfeiler einer Kapelle sich verschließenden Laub der Sträucher rings darum. Sieh da, leg dich ins weiche Moos, ruhe dich aus, entspanne und kühle die müden Glieder, trinke von dem herrlich kühlen, süßlichen und so reinen Quellwasser, genieße den über dir ziehenden Schatten, leg dich hin, berge deinen unruhigen Kopf endlich auf kühles Moos –

Wanderer, du schläfst den Schlaf der Angekommenen, die nach wilder Reise endlich ihre innere Ruhe gefunden haben; und bist du angekommen? Durch das wirre Geäst und Gesträuche beobachtest du in den freiliegenden Stücken fernen Himmels den langsamen Niedergang der schon roten Sonne. Hier unten im Wald aber zieht Düsternis ein; die Hände vor deinen Augen siehst du bald noch fahl beschienen, die Farbe schwindet aus ihnen. Ehrfürchtig beugen die Wipfel langsam ihre vergrauten Häupter, strecken ihre Zweige weit in die schwere Luft der späten Stunde. Du setzt dich auf – mit wachsendem Unbehagen siehst du nun langsam der Schatten gespensterhafte Schemen um dich ziehen und die Blüten manch einsamer Sommerblume erbleichen; du schaust auf die Erde um dich, Wanderer, wo du deinen eigenen Schatten langsam länger werden siehst …

Wanderer, sieh! Vor dir liegt sie, die uralte und fantastische Waldesnacht;
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Es wird schon Abend über den Bergen; und wie mit einer uralten Macht, die das Leben ausblasen will, das auf ihnen ist, streichen von Mal zu Mal heftiger die bitterkalten Winde über den Grat, auf dem ich wandere. Hohe Felsengipfel, die um mich über den Tälern thronen und in die niedrig hängenden Regenwolken ragen, welche ihre Nasskälte schon schleichend an ihren Steinhängen bis nieder an die Wipfel der Tannen herabsickern lassen, starren behäbig herab auf meine Einsamkeit.

Ich habe meine Gruppe verloren, wandere nun seit einer halben Ewigkeit auf diesem unwirtlichen Grat weit oberhalb der Täler, in die ich gehöre, die grün und freundlich sind und in denen Menschen leben, vielleicht auch solche, die mich kennen oder vermissen; wandere nun aber auf jenem Grat, umblasen von den feindlichen Winden, die mich auslöschen wollen, und friere, einsam und leer an der Offenheit des Himmels, friere ich bitterlich. Und ich habe zu meiner Reise keine Vorkehrungen getroffen, keine Pläne geschmiedet, bin keiner Vorsehung gefolgt, habe die Einsamkeit in Kauf genommen, die mich nun umgibt, wandere aus eigenem Mutwillen an den Gletschern dieser Gipfel entlang, auf einem wolkenverhangenen Grat, der nicht die kleinste Aussicht lässt auf ein warmes und vielleicht glückliches Tal, das darunter liegt; und siehe da, ich befinde mich so nah am Himmel, um zu sehen, dass es hier noch weniger gibt als in den finsteren Schluchten der Bergeskanten, dass diese Grenzwelt karg und verlassen und der Himmel grau und leer ist; ich bin so nah am Himmel um die eisigen Winde zu spüren, die um seine Gipfelthrone ziehen, die auch in die Täler schleichen und jedem Menschen dort ewig ins Herz blasen; nur bemerkt man sie im Tal nicht, diese Winde, man spürt zuweilen bloß einen lauen Atemhauch aus ihren allmächtigen Nüstern.

Und ich bin allein, völlig allein. Es gibt hier oben niemanden, der Weg vor mir ist rein und leer, eine leere Wüste aus nassem Geröll, zu dem sich in höheren Feldern die flachen Schneefelder mischen, eine offene Ödnis, eine unverschlossene Weite, die einen in ihrer Offenheit doch gefangen setzt. Und ich wandere über einen Grat, welcher selbst mich nie zu einem Ziel führen wird.


Ohne an die Täler zu denken, die auf der anderen Seite warten, fliehe ich über einen Kamm auf einen abseitigen Hang, der sich an hohe Felsrücken schmiegt und streng abschüssig bis hinab in die Baumregionen führt; ich laufe, renne fast schon über das dünne Gras, das ihn bedeckt, hoffe vergebens, dort vor dem Wind geschützt zu sein; aber auch hier wehen die Böen mit ungebremster Macht, streifen in meiner wirren Marschrichtung immer wieder den öden Hang hinunter; und bald muss ich auf meiner einsamen und wilden Flucht bemerken, dass der Abend sich nicht aufhalten lässt, der sich wie eine weit gehülltes, bald tiefrotes Tuch über die Hänge senkt, mich elend und einsam zurücklässt auf meiner sich verfinsternden Hochwiese, auf deren weiten Grasböden mein wirrer Schatten immer länger wird.

Ich komme bis in die oberen Tannenwälder hinab, mal gehend, mal stolpernd, mal eilend, mal rennend, umgehe die Steinfelder auf den Wiesenflächen ringsherum, strebe dem Tal zu. Ich sinniere, welchen Weg meine Gruppe wohl eingeschlagen, welches Tal sie ihrerseits gesucht hat, ob man sie wohl noch finden könne – doch zurück ins Tal! Nichts erscheint mir dringlicher und ich stürme beständig darauf los, bald müde, erschöpft, die Knie schon schwankend vom rasanten, rennenden Abstieg. Und ich sehe von einer niederen Felsenkante, die mir Aussicht auf das gibt, was darunter ist, dasselbe Tal, auf das ich hoffte, als eine dunkle, verdrehte, verworrene und in ihrem ganzen unwirklichen Verlauf verkehrte Schlucht, durch die harte und strenge Winde fegen, und auf deren Grund bloß ein kleiner und wilder Bach plätschert.
Es ist unmöglich, ihr zu entkommen oder von dort aus irgendwo hin zu gelangen.

Und die vernichtenden Böen schlagen mir in den Rücken, durchtreiben mein Innerstes, fahren durch meinen Kopf, blasen mir ins Gehirn – ich bebe vor Kälte, kauere mich verloren auf die Steine, will weinen, doch es gibt keine Tränen mehr. Ich streife über den Hang, habe kein Ziel mehr. Einzig um dem ewigen Wind zu entfliehen, welcher feindlich verschmilzt mit der über mir fallenden Nacht, einzig um endlich Zuflucht zu finden, suche sich die Einsamkeit des Waldes.

Ich fliehe in ein abgelegenes Tannenwäldchen, das verwildert an eine Öffnung des Hanges zur Seite hin und zwischen zwei hohe Felsenwände sich schmiegt, und aus dem aus der Ferne die Ruhe zu mir dringt, als wäre in ihr Substanz. Ich laufe wie wild hinein, spüre das Moos unter meinen zitternden Füßen, spüre die feste Umgebung der Bäume – und ich renne weiter, denn auch durch diesen stillen Wald streichen ungehemmt die Winde, ich wandere rastlos, suche den tieferen Tann. Ich kauere mich an einer Stelle, die ich windstill glaube, zur ganzen Länge hin in das weiche Moos, rolle mich zusammen, schlinge verloren die Arme um meinen Körper; doch der Wind holt mich wieder ein, durchtreibt mein Wesen, frisst es von innen; ich bleibe einen Augenblick einfach liegen, weiß weder vor noch zurück, dann erhebe ich mich wie aufgejagt, werfe den haltlosen Blick in alle Richtungen, taumle weiter;


Du weißt es noch nicht, aber du bist schon tiefer in den Wald gelangt. Du hast die stillen Orte gesucht, wo die Umgebung der alten Bäume und deren umwildertes, weltfernes Zweigdach dich in sein altes Schweigen bergen. Und du hast sie gefunden. Du gehst durch den tieferen Wald, der sich durch die schmale Felsenkluft drückt, die du von außen schon vermutetest zu sehen, beengt von hoch aufragenden Steilwänden, finster, dicht und geschlossen, den Wald, in den kein Wind sich mehr verirrt. Ergriffen und verklärt wandelst du unter seinem Wipfeldach; und trotz der einziehenden Nacht glaubst du dort ein ganz eigenes Licht scheinen zu sehen. Du gehst durch moosige Haine, über umwucherte Böschungen, siehst stille Lichtungen;
und du siehst auf der anderen Seite eine rätselhaft Öffnung der Bäume, durch die ein fernes Abendlicht rieselt. Du gehst hin und findest dich auf der Kante einer hohen Felsenklippe wieder.


Und du siehst auf das Meer. Unüberwindbar erstreckt es sich bis in die offenen und fernen, ja in ebendiese unendlichen Weiten, die sich vor und noch hinter den fremden Inseln erstrecken, die irgendwo jenseits der Himmelskante sich verbergen müssen, verstreut liegen bis an die Ränder deiner fernsten Träume. Und weit hinten, über dem Rand des Horizontes siehst du unter den sanft sich wiegenden Zweigen hindurch den fernen Niedergang der roten Sonne, die auch jene Inseln in ihre tiefen Schleier tauchen wird. Vielleicht, so denkst du, vielleicht sind es glückliche Inseln -
Unten aber prallen die Wogen auf spitze und schroffe Felsen, dass ihr Rauschen zu dir nach oben dringt, so fern und verloren wie auch dein eigenes Schicksal dir vorkommt.
Du bist am Meer – und plötzlich glaubst du den Wind zu spüren wie einen ungebetenen Gast, der sich von hinten angeschlichen hat und dir sacht von hinten die Hand auf die Schulter legt.

Und siehe da – schon wieder stehst du auf einem Grat.

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Tag der Veröffentlichung: 05.08.2010

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