Sie rufen nach dir!
„Lykia, kommst du? Wir wollen los!“, rief Dani sie. Dani war eine Freundin. Sie verstanden sich, aber Lykia hatte sich nur mit ihr angefreundet, um nicht zu sehr aufzufallen. Sie war eigentlich eher die Einzelgängerin. Aber, wenn man noch in der Schule ist und da immer nur alleine etwas macht, dann wird man schnell zum Opfer. Und das wollte Lykia sich ersparen. Also ließ sie es über sich ergehen mit ihr eigentlich fremden Menschen was zu machen.
„Lykia!!!“, Dieses Mal rief Draco sie. Dani und Draco waren Geschwister. Naja mehr oder weniger. Sie sind Stiefgeschwister. Draco war eher der muskulöse Matcho und Dani eher die zurückhaltende, schüchterne graue Maus. Sie war wirklich schön, trotz dass sie etwas fülliger war; das lange Haar fiel ihr wie Seide über die Schultern, bis fast zum Po. Es war beneidenswert.
Draco war der Schwarm einer jeden Frau. Naja. Fast jeder. Lykia hielt sich von ihm fern.
Er war ihr zu durchschaubar. Er hatte schon öfter versucht sie herumzukriegen, doch das interessierte sie nicht. Er hatte ein großes Geheimnis, dass sah sie ihm an. Aber ihr Desinteresse an allem und jeden hielt weiterhin an.
„Ey du geile 18 jährige Schnitte. Beweg deinen Prachtarsch jetzt endlich oder wir fahren ohne dich!“; Draco musterte sie neckend. Augen verdrehend und leise seufzend setzte sich Lykia in Bewegung.
„Du weißt, dass mir das egal ist.“, meinte Lykia gelassen und beobachtete seine Reaktion. Er schürzte die Lippen und murmelte beleidigt: „ Du solltest an deiner Einstellung deiner Freunde gegenüber arbeiten. Wir bemühen uns damit umzugehen, dass dir alles scheiß egal ist, aber wir lassen uns nicht alles gefallen.“. Er endete mit seiner Moralpredigt, indem er sie leicht in die Seite knuffte.
„Ja nu hört auf euch gegenseitig zu ärgern, ihr Turteltauben. Wir wollen jetzt los zum Strand. Sonst kommen wir heute gar nicht mehr an.“, rief Dani gespielt empört und lachte, als Draco sie vernichtend anguckte. Was Dani immer so lustig fand war Lykia ein Rätsel. Und auch, dass Draco immer wieder so Gefühlsgelenkt war. Das war Lykia unbegreiflich. Sie fühlte eigentlich nie was. Und wenn waren die Emotionen so kurz da, dass sie die gar nicht einordnen konnte, geschweige denn verstehen.
Sie setzten sich. Und keine zwei Sekunden später fuhr er mit durchdrehenden Reifen los. Warum mussten Kerle immer so angeben? Warum waren sie so Matcho mäßig drauf? Lykia verstand das nicht. Aber das war ihr egal. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben.
„Lykia?“, flüsterte Dani ihr ins Ohr.
Lykia drehte ihr den Kopf zu und musterte sie. Sie ahnte ihre Frage. Nein es stand in ihrem Gesicht. Sie fragte dies andauernd.
„Wann wirst du endlich in der Lage sein, Draco zu sagen was du fühlst?“, ihre Augen glitzerten immer bei dieser Frage.
„Ich kann mir nichts eingestehen was nicht existiert. Gefühle hindern am klaren Denken. Sie stören.“, murmelte Lykia und sah Dracos misstrauischen Blick im Rückspiegel. Es kam ihr immer vor, als würde er alles verstehen, was sie sagen, selbst wenn sie Meterweit von ihm entfernt sind. Er beobachtet sie immer, wenn sie über ihn reden. Beinahe unheimlich.
„Du bist so kaltherzig. Das ist ganz schön hart. Du solltest etwas an deiner Einstellung ändern.“, meinte Dani nun etwas geknickt. Sie erhielt nie die Antwort, die sie hören wollte und dennoch war sie jedesmal aufs neue beleidigt.
„Dani.“, sagte Lykia nur und drehte den Kopf weg. Eine Emotion von Schmerz huschte ihr durch den Körper, doch war gleich wieder verschwunden. Lykia konnte Emotionen nicht gebrauchen. Sie störten bloß.
Dani verstand sofort und ließ das Thema fallen. Sie wusste, wann es genug war. Und sie wusste wie gefährlich es war Lykias Grenzen zu überschreiten. Lykia besaß keine Gefühle weil sie wirklich Kalt war. Sie verdrängte diese und sperrte sie in einen Käfig. Solange, wie man ihre Grenzen nicht überschritt konnte sie sich unter Kontrolle halten. Doch das eine Mal trieb Dani es so weit, dass selbst Draco mühe hatte sie festzuhalten. Sie geriet außer Kontrolle. Seit diesem Vorfall hatte Dani sehr großen Respekt vor ihr bekommen. Aber dies ist mittlerweile irrelevant. Dani hielt sich dran. Draco ließ sie meist auch in Ruhe. Es war beinahe perfekt. Wenn dann nicht immer mal andere Leute waren die mit ihr sprachen. In der Schule oder auch, wenn sie unterwegs waren. Immer wieder wurde sie angesprochen. Und keiner kam mit ihrer Art klar. Draco war meist der der sie rettete. Warum wusste sie nicht genau. Sie fragte ihn aber auch nicht.
Sie hoffte inständig, dass nicht viele Leute am Strand waren. Aber bei diesem Wetter (30°C im Schatten), war die Annahme so unrealistisch, wie als wenn Schweine fliegen könnten. Und ihre Befürchtung wurde nach nicht mal 10 Minuten wahr. Lykia verdrehte die Augen. Menschen waren ihr zu anstrengend und nervig. Sie wollte Ruhe haben und die Menschen waren immer so laut. Sie schrien, lachten, lärmten.... Unvorstellbar nervig.
Seufzend drehte sie den Kopf vom Fenster weg. Dieser Anblick von all den Menschen allein reichte, um sie zu nerven.
„Sei nicht immer sofort genervt. Wir passen schon auf das du deine Ruhe hast.“, meinte Draco und hatte auf einmal einen sehr wachsamen Ausdruck in den Augen. Er musterte alles und jeden ganz genau. Er blieb auch die ganze Zeit mehr oder weniger in Lykias Nähe. Als wäre er ein Bodyguard. Und auch das war nervig.
Sie wollte alleine sein. Alleine mit ihren Gedanken.
Menschen sind manchmal schon merkwürdige Wesen, aber manchmal sogar noch begriffsstutziger als sie bisher gedacht hatte.
„Hey Draco, kommst du mal bitte?“, rief eine Mitschülerin von uns. Sie war in unserer Klasse. Und sie stand auf ihn. Das wusste die ganze Schule.
„Geh ruhig. Ich wollte eh ein wenig Zeit für mich.“, meinte Lykia, als sie seinen abschätzenden Blick sah. Er wusste, dass ihr das aufgepasse von ihm auch auf die Nerven ging, aber er ließ es sich nicht nehmen. Er war der erste, der es bisher geschafft hatte sie unter Kontrolle zu kriegen. Und das wusste er.
„Ich bin gleich wieder da.“, meinte er und duldete keine Widerrede. Entnervt rollte Lykia mit den Augen und ließ sich zurück in den Sand sinken.
Sie hatte für nicht mal fünf Minuten die Augen geschlossen, da spürte sie einen dumpfen Schmerz am Bein. Ein Ball hatte sie getroffen. Und der Besitzer kam auch schon auf sie zu.
Er war mindestens ebenso Muskulös wie Draco, doch seine Augen waren beinahe leer. Er lächelte, doch seinen Augen fehlte der Glanz. Gleichzeitig schienen sie zu strahlen. Als würden seine Augen reden, ohne dass er den Mund öffnete.
„Hey, sorry. Das war mein Kumpel. Er wollte fragen warum du hier alleine liegst. Er ist ein wenig schüchtern.“, meinte er, doch Lykia merkte, dass dies ein Standard Vorwand war, um mit ihr zu reden.
„Scher dich weg.“, meinte Lykia kalt und schloss wieder die Augen.
„Hey.. Komm schon. War doch nicht böse gemeint. Sei doch nicht so abweisend. Wenn du nen Freund hast sag das doch einfach.“, sagte der Fremde gespielt beleidigt.
„Ich habe keinen Freund. Und ich bin wie ich bin. Du nervst. Lass mich in Ruhe.“, meine Lykia nun leicht gereizt. Sie spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde. Ihre Selbstbeherrschung ließ bei vielen Menschen scheinbar noch schneller nach.
„Wenn du keinen Freund hast, warum bist du dann so abweisend zu mir? Ich habe dir nichts getan. Und das mit dem Ball war ich wirklich nicht.“, meinte er nun wirklich beleidigt. Lykia wurde unsicher, ob sie nicht etwas zu abweisend war, doch sie war wie sie war und das änderte niemand. „Ich hasse Menschen. Sie nerven. Ihre Gefühle nerven. Ihre lärmende Art nervt. Alles an ihnen nervt. Fertig. Würdest du jetzt bitte gehen?“, Lykias gespielte Höflichkeit ist so durchschaubar wie ein Glas. Er wusste sofort, wie sie das meinte. Aber sie sah ihm an, dass sie so nur umso mehr sein Interesse geweckt hat.
`Wo bleibt Draco, wenn man ihn mal braucht..`, dachte sich Lykia und fühlte sich immer unwohler.
„Du bist selber ein Mensch..“, meinte der Kerl nachdenklich. Er merkte, dass er sie nervte, doch er blieb.
„Meine Fresse. Hast du nichts besseres zu tun, als mir auf den Sack zu gehen?“, rief Lykia nun etwas lauter und um einiges genervter.
`Reiß dich zusammen, verdammt!!`, mahnte sie sich selbst.
„Nein nicht wirklich. Und mir ist neu, dass Frauen einen Sack haben. Ich glaube den haben nur Männer. Na gut Transgender vielleicht auch...“, er versuchte lustig zu sein. Nervig!
„Alter. Verpiss dich endlich! Ich habe kein Interesse da dran mich mit minderbemittelten zu Unterhalten!“, spie Lykia zwischen zusammen gebissenen Zähnen aus.
„Mädel, komm mal wieder runter! Was isn dein Scheiß Problem?!“, verlangte er nun auch leicht säuerlich zu wissen.
„Mein Scheiß Problem?!“, Lykia sprang auf. „Mein scheiß Problem ist es, dass mich ein Neandertaler wie du einfach anspricht und meinem Wunsch das du dich verpisst, nicht nachkommst. Verschwinde jetzt endlich und lass mich in Ruhe!“, Lykia war wütend. So unfassbar wütend und das wegen nichts. Das machte sie umso wütender.
Von Dani und Draco fehlte jede Spur. Verflucht sei dir Abhängigkeit von anderen...
„Ganz ehrlich.. Du hast doch eine an der Waffel! Du gehörst in ne Klappse. Du bist doch gestört!“, wütend stand er vor ihr und musterte sie herablassend. Jede Faser in ihrem Körper schrie danach, dass sie sich zusammen riss, doch ihre Hand hinterließ ihm nicht eine Sekunde später einen roten Handabdruck im Gesicht.
„Alter, hackts bei dir?“, fuhr er sie an. All ihre Selbstbeherrschung ging nun flöten. Naja der letzte Rest. Ihr Verstand schaltete ab und ihr Instinkt kam zum Vorschein. Knurrend schmiss sie sich auf ihn. Sie schlug ihm eine blutige Nase.. Nein sie hörte wie sie brach. Sie schlug ihm ein blaues Auge und seine Lippe platzte auf. Sie bekam das alles kaum mit. Auch, dass sie von ihm weggezogen wurde bekam sie nicht mit. Sie trat und schlug um sich. Sie weinte vor Wut. Sie hatte Jahre nicht mehr geweint egal aus welchem Grund. Kurze Zeit später erschlafften ihre Bewegungen und sie verlor das Bewusstsein. Draco trug sie zum Auto. Er verfluchte sich, dass er sie alleine gelassen hatte. Er kannte sie. Und er wusste, wie sie war, wenn man sie nervte. Dani kam hinter ihm her. Sie hielt Abstand. Er konnte es ihr nicht verdenken. Es war schon unheimlich, wie Lykia einfach mal einen wesentlich kräftigeren Kerl so verdreschen kann. Sie hat ihn Krankenhausreif geschlagen. Und wenn sie wach wird, wird es auch erst wieder ein paar Minuten dauern, bis sie sich beruhigt hat. Sie hat die Kontrolle verloren und er war nicht da, um sie aufzuhalten.
„FUCK!“, fluchte er scheinbar ein wenig zu laut, denn Lykia zuckte zusammen und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Sie starrte ihn an. Aber er wusste sie sah ihn nicht. Ihre Augen waren noch leerer als jemals zuvor. Dieser Ausdruck bescherte ihm eine Gänsehaut.
Er lächelte sie leicht an. Der Ausdruck in ihren Augen änderte sich. Sie lächelte zurück.
Erstaunt musterte er sie, ging aber auch nicht weiter darauf ein. Er legte sie auf die Rückbank.
„Dani? Fährst du?“, fragte er knapp. Und setzte sich hinten zu Lykia, als sie einfach nur nickte.
Er hob ihren Kopf an und legte ihn bei sich auf den Schoß. Sie starrte ihn immer noch aus diesen leeren Augen an. Aber sie reagierte auf Emotionen, die er ihr zeigte. Es war faszinierend. Nie hatte sie so viele Emotionen gezeigt. Schon gar nicht so viele verschiedene. Sie weinte, ohne eine Miene zu verziehen. Sie lachte, ohne einen Ton von sich zu geben. Sie lächelte. Es war beängstigend.
„Ist mit ihr alles ok?“, fragte Dani nach 15 Minuten. Ihre Stimme zitterte leicht und es war ihr anzusehen, dass sie verwirrt und verängstigt war.
„Ja ich glaube schon.“, murmelte Draco leise, um Lykias Gefühlsausbruch nicht zu unterbrechen. Es tat gut zu sehen, dass sie nicht so kalt war, wie sie immer tat. Aber wieso? Wieso tat sie so? Sie war doch schließlich auch nur ein Mensch. Es musste ihr doch bewusst sein, dass sie das alles nicht alleine bewältigen und verdrängen kann.
Sorge spiegelte sich in ihrem Blick. Seine Sorge ging auf sie über. Sie sah ihn genauso sorgenvoll an, wie er sie. Als wäre sie ein Spiegel.
Kurze Zeit später schlief sie ein.
„Sie schläft.“, meinte Draco und beobachtete Dani genau. Ihre Anspannung viel sichtbar ab.
„Wovor fürchtest du dich so sehr?“, fragte Draco, nachdem ein paar Sekunden des Schweigens vergangen sind.
„Hast du nicht gesehen, was sie mit dem Typen gemacht hat? Das ist doch nicht normal!“, flüsterte Dani ganz leise und warf einen unsicheren Blick auf Lykia.
„Na und? Sie ist unsere Freundin! Du zeigst ihr richtig das du Angst vor ihr hast. Klar das sie sich dir nicht öffnen will!“, murmelte Draco und versuchte Dani ein wenig zu beruhigen.
„Klar ist sie meine Freundin, aber es macht mir nun mal Angst. Sie ist unmenschlich stark für ihre Figur.“, murmelte sie ohne wirklich nachzudenken.
„Es ist meine Schuld. Ich hätte nicht gehen dürfen. Sie hasst zwar alle Menschen und ist genervt von ihnen. Aber sie braucht uns. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen will... Aber mal was anderes. Wer war der Typ eigentlich?“, fragte Draco nachdenklich. „Er kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht zuordnen.“
„Er heißt Tom. Ist in der 12ten. An unserer Schule.“, Danis Gesicht verzerrte sich mehr und mehr vor Schreck.
„Shit... Das wird er nicht auf sich sitzen lassen.“, Während Draco überlegte, wie er ihr das gröbste vom Hals halten konnte. Allerdings blieb ihm keine andere Möglichkeit, als abzuwarten und zu hoffen, dass das alles möglichst schnell vergessen ist.
„Ich bringe Lykia gerade hoch.“, meinte er und hob sie auf seine Arme. Er wartete nicht auf eine Antwort von Dani, denn sie wusste, dass er bei ihr blieb, bis sie wieder wach wurde.
Somit fuhr sie direkt weiter.
Draco klingelte und setzte sich Erklärungen parat. Doch das war gar nicht nötig, denn die Mutter öffnete die Tür, sah auf ihre Tochter und ging wieder. Keine Fragen. Nur Kälte.
`Kein Wunder, dass sie so ist.`, dachte er sich.
Er ging hinein und schloss möglichst leise die Tür. Nun stand Lykias Vater vor ihm und musterte ihn. Aber auch in seinem Gesicht war keine Gefühlsregung zu erkennen.
„Es tut mir leid für die Störung. Ich wollte sie nur in ihr Bett bringen, weil sie schon eingeschlafen war.“, versuchte Draco mit fester Stimme zu sagen. Es gelang nicht ganz. Es schien allerdings, als hätte der Vater gar nicht wirklich zugehört, denn auch er ging einfach wieder ins Wohnzimmer. Es störte ihn weder, dass ein Fremder seine Tochter auf dem Arm hatte, noch dass er einfach in deren Haus stand.
Der Vater kam nach ein paar Sekunden wieder zurück. Er hatte eine Dose Bier in der Hand und deutete die Treppe hinauf.
„Ist dort ihr Zimmer?“, fragte Draco ein wenig verwirrt. Lykia hatte sie noch nie zu sich eingeladen. Und vom ersten Eindruck her konnte er es sogar verstehen.
Der Vater nickte und ging wieder.
Kopfschüttelnd ging Draco nach oben. Es gab nur zwei Türen. Die erste, die er öffnete, war das Badezimmer. Es war sehr sauber. Das zweite war Lykias Zimmer. Es war kalt eingerichtet. Keine schöne Farbe an den Wänden, keine Bilder, keine Bücher. Es war kahl. Nur ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Fenster ohne Vorhänge, ein Schreibtisch. Und es war ein recht großes Zimmer.
Er legte sie ins Bett, zog ihr die Schuhe aus und deckte sie zu. Er nahm sich ihren Schreibtischstuhl und setzte sich neben das Bett. Er wachte über sie ohne genau zu wissen was er hier tat. Es war seine Pflicht auf sie aufzupassen. Warum aber fühlte er sich ihr gegenüber zu so etwas verpflichtet? Sie war ein starkes Mädchen.. Aber er spürte, dass sie ihn brauchte. Diese Fassade konnte sie nicht ewig aufrecht erhalten. Und dafür war er da. Er versprach sich in Gedanken sie niemals alleine zu lassen. Immer auf sie aufzupassen. Und immer für sie da zu sein, selbst wenn sie seine Hilfe nicht wollte.
„Ich werde dich beschützen. Aber lass dir von mir helfen.“, flüsterte Draco Lykia ins Ohr. Ganz leise, doch sie schien es wahrgenommen zu haben, denn sie krallte sich sich wortwörtlich in seinen Arm und zog ihn zu sich. Sie schlief. Doch ihr Unterbewusstsein handelte. Und das wahrscheinlich gegen ihren Willen. Handelte das Unterbewusstsein nicht grundsätzlich gegen den Willen des Menschen? Irrelevant.
Sie zog ihn immer näher zu sich. Und das mit ungeheurer Kraft. Er kam kaum gegen sie an. Er wollte nicht, dass sie aufwacht und ihn neben sich liegen sah. Das würde sie vielleicht noch mehr irritieren, als die Tatsache allein, dass er da ist.
Es dauerte keine weitere Minute, wo sie so stark an ihm zog, dass er überrumpelt nachgab und neben ihr lag.
Er musterte ihr Gesicht, doch auch als sie kurz die Augen öffnete sah sie zufrieden aus. Auch wenn er bezweifelte, dass sie ihn wahrnahm. Sie schlang ihre Arme um ihn und kettete ihn sozusagen fest. Gleichzeitig kuschelte sie sich an ihn und verkeilte sich mit ihren Beinen so, dass er sie nicht bewegen konnte.
„Lykia...“, flüsterte er etwas lauter, doch sie reagierte da nicht drauf, sondern kuschelte sich nur noch enger an ihn.
Seufzend fügte Draco sich und blieb ruhig liegen. Auch bei ihm dauerte es nicht sonderlich lange, da ist er eingeschlafen.
Lykia schien die Sonne ins Gesicht. Vorsichtig blinzelte sie und schrak hoch, als sie merkte, dass sie gar nicht am Strand war. War sie eingeschlafen und Dani und Draco hatten sie nach Hause gebracht? Aber warum denn? Was war denn Gestern überhaupt passiert? Oder war das heute noch? Sie erinnerte sich kaum noch. Sie erinnerte sich da dran, dass sie zum Strand gefahren sind, dass Draco sie kurz alleine gelassen hatte und jemand zu ihr kam. Der Rest war weg. Hatte sie etwa wieder die Kontrolle verloren?
„Verflucht!“, flüsterte Lykia aufgewühlt. Sie hatte ihre Gefühlswelt immer noch nicht wirklich unter Kontrolle. Neben ihr bewegte sich etwas.
Erschrocken sprang sie auf, zog die Decke weg und stand gefühlte fünf Minuten mit offenem Mund da.
Ihre Gedanken drehten sich, doch klare Gedanken konnte sie nicht im geringsten fassen.
„Was zum Teufel machst du HIER und das auch noch in MEINEM Bett?“, Panik ließ ihre Stimme zittern und schrill klingen. Es war wieder ein Gefühlsausbruch. Dieses mal vor Überforderung, weil sie nicht wusste, wie sie die Situation einschätzen sollte. Sofort sah sie an sich herunter. Sie war angezogen. Ein Glück.
Draco wachte nicht auf. Somit zog sie das Kissen unter seinem Kopf hervor und schlug damit auf ihn ein. Es dauerte keine zwei Schläge und er schrak wie von der Tarantel gestochen hoch, was sie erschrocken zurück stolpern ließ.
„Beruhige dich, Lykia. Ich habe dir nichts zu leide getan oder sonst etwas. Du hast mich während du geschlafen hast ins Bett gezogen. Ich saß erst auf dem Stuhl dort.“, murmelte er und gähnte erst mal herzhaft.
„Was … Häh?“, aufgebracht und verwirrt sah sie zu dem Stuhl. Der stand direkt neben dem Bett.
„Was ist denn passiert, dass du bei mir zu Hause bist?! Ihr wisst genau das ich das nie wollte, dass ihr zu mir kommt!“, rief Lykia immer noch leicht erschrocken. Aber allmählich bekam sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle. Nach und nach kehrten sie in ihr Gefängnis zurück.
Lykia schloss kurz die Augen, ignorierte die Rufe und verschloss sich ihrer Gefühlswelt wieder.
Diese Rufe waren lauter als je zuvor. Sie riefen nach ihr. Ihren Namen. Es war gruselig. Aber nicht mehr wichtig. Sie waren nur da, wenn sie die Kontrolle verlor.
„Um auf deine Frage zu kommen, was passiert ist... Nunja. Du hast gegenüber eines Typen die Kontrolle verloren und ihn fast Krankenhausreif geprügelt.“, murmelte Draco locker und musterte Lykia eindringlich. Sie war genauso wie vorher. Sie ließ sich nichts anmerken, doch ein Schatten huschte ihr übers Gesicht.
„Achso.“, das war das einzige was sie dazu sagte, doch Draco merkte, dass sie das mehr beschäftigte.
„Erinnerst du dich nicht?“, fragte Draco unverzüglich.
Lykia schüttelte bloß den Kopf.
Nachdenklich musterte er die Uhr. 7:33 Uhr. Es war Freitag. Heißt langer Tag. Wir haben heute bis 16 Uhr Schule.
„Ich möchte das du eines weißt Lykia. Du bleibst heute in meiner Nähe. Den du da verprügelt hast der war in der 12ten. Und ich glaube er hieß Tom, Torben oder irgendwie so was. Keine Ahnung. Aber es hat ein großer Teil der Schule mitbekommen und er ist einer der beliebtesten Kerle. Letztendlich heißt es alle werden auf dir rumhacken. Ich werde mit Dani die Plätze tauschen. So werde ich neben dir sitzen. Wenn du das Gefühl hast, dass du die Kontrolle verlierst oder so, krall dich in meinen Arm. Egal wie fest. Du hast die Erlaubnis mir weh zu tun.“, irgendwie klang das perverser, als er es bezweckte. Aber sie nickte. Er ließ sich nicht anmerken wie überrascht er war.
`Hoffentlich klappte das alles irgendwie beziehungsweise geht glimpflich aus.`, dachte sich Draco und stieg aus dem Bett.
Beide machten sich fertig. Wo eigentlich die Frauen im Bad doch länger brauchten, brauchte Draco nun länger. Lykia duschte in einer Rekordzeit von 10 Minuten. Wusch sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Zum Schluss kämmte sie sich schnell die Haare und damit war sie bereit. Draco duschte auch recht schnell. Allerdings brauchte er für seine Haare ein wenig länger. Ja er war in der Hinsicht schon etwas eigen. Er konnte sich nicht vernünftig fertig machen, da er kein Gel hatte und musste so Lykia um eine Cap bitten.
Sie schüttelte seufzend den Kopf, doch er merkte, dass sie innerlich lachen musste. Er verstand nicht wirklich warum sie sich so versteckte.
Keine 10 Minuten später machten sie sich schweigend auf den Weg zur Schule.
Lykia gab sich alle Mühe ihren Unmut zu verbergen, doch er spürte es.
„Mach dir keine Sorgen. Ich weiche dir nicht von der Seite!“, murmelte Draco leise, als sie das Schultor passierten.
Schlagartig griff Lykia seinen Arm. Sie spürte die Feindseligkeit. Sie drückte einem die Luft aus der Lunge. So schwer hing sie schon über dem Schulhof.
Er blieb bei ihr wie versprochen, aber gegen die Blicke und das getuschel, konnte er nicht sonderlich viel ausrichten. Egal was alle sagten. Er würde sie nicht verlassen. Selbst wenn sie es auf kosten der Freundschaft verlangten.
Dani kam auf uns zu. Sie sah unsicher aus.
„Was hast du?“, fragte Draco misstrauisch. Er witterte in allen eine Gefahr. Gefahr für Lykia.
„Wir sollten uns nicht mit ihr abgeben. Es zerstört nicht nur unseren guten Ruf, sondern auch den unserer Eltern. Sie haben schließlich viel zum Bau der Schule beigetragen.“, flüsterte Dani, doch Lykia verstand jedes Wort.
„Vergiss es! Ich lasse sie nicht im Stich. Es ist doch nicht Absicht von ihr gewesen. Und wenn der Typ nun mal nicht die Fresse halten kann und sie nicht in Ruhe lassen kann ist er selber Schuld!“, Draco hatte alle Mühe sich zusammenzureißen, weil er solche Worte nicht von seiner Schwester erwartet hatte. Sie schockte ihn. Und das zutiefst!
„Dann tut es mir leid. Ich hoffe du kannst mir irgendwann verzeihen, Lykia.“, murmelte Dani traurig. Ihr stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, aber mit ihren 17 Jahren konnte man doch wohl ein wenig Meinungsfreiheit erwarten. Das sie sowas tat, nur wegen ihrer Eltern oder der `Freunde`, die sie hatte, konnte Draco nicht verstehen.
Sauer sah er zu Lykia. Sie zitterte leicht. Ob sie auch sauer war? Oder eher versuchte nicht zu weinen?
Um dies festzustellen nahm Draco ihr Gesicht zwischen beide Hände und lächelte sie leicht an. Tränen standen ihr in den Augen.
„Sie ist dumm. Sie wird zurück kommen.“, meinte er und versuchte so Lykia etwas Mut zu geben.
Sie nickte nur und blinzelte ihre Tränen weg. Sie schenkte ihm sogar ein kleines schüchternes lächeln, was aber so schnell wieder verschwunden war, wie es kam.
Er drückte sie an sich. Er wusste nicht warum, doch er konnte nicht anders.
„Komm wir gehen rein. Vielleicht wird es dann etwas besser.“, meinte er hoffnungslos, denn er wusste das das nicht stimmte. Nichtmal im geringsten. Es wurde sogar noch wesentlich schlimmer. Er hatte noch nie so viel Feindseligkeit auf einem Haufen gespürt. Unfassbar. Nur wegen einem Vorfall... Mal ehrlich. Wie oft prügeln sich Kerle und die werden dafür sogar noch bejubelt. Das ist doch unmenschlich was die hier veranstalten...
Wachsam blieb Draco an Lykias Seite und hielt alle von ihr fern. Niemand wagte sich in ihre Nähe und wenn doch reichte ein Blick von ihm und die machten einen großen Bogen um sie.
Es wurden Worte wie Monster gemurmelt. Leise, aber darauf bedacht, dass sie diese Worte hörte.
„Ey Draco! Bist du mit dieser Bitch jetzt zusammen? Die hat doch gestern Tom ins Krankenhaus geprügelt. Was willst du mit so nem Miststück?“, fragte einer aus der Football Mannschaft.
„Verpiss dich, Angelo. Du hast mir nichts und auch ihr nichts zu sagen. Tom oder wie der Sack hieß ist selber schuld, wenn er sie nicht in Ruhe lässt! Was soll sie dann tun? Sich belästigen lassen? Ich finde sie hat alles richtig gemacht. Und wenn sie es nicht getan hätte dann hätte ich das getan. Er ist nen Bastard. Genau wie du, wenn du denkst mich von ihr trennen zu können.“, spie Draco unter zusammen gebissenen Zähnen hervor. Während er das sagte stellte er sich schützend vor Lykia. Sie fing an sich in seinen Arm zu krallen. Er musste irgendwo mit ihr hin, wo sie alleine waren. Sonst liegt gleich der nächste im Krankenhaus. Aber nicht unbedingt weil Lykia die Person zusammenschlug.
„Du bist doch ein Wixxer! Er ist einer der beliebtesten Typen hier und sein Einflussreichtum ist auch nicht gerade gering. Diese Hure hat es nicht verdient, dass jemand an ihrer Seite ist.“, gehässig starrte er auf Lykia herab.
Bevor Draco noch etwas erwiedern konnte, sprang Lykia hervor. Aber nicht um ihn anzugreifen. Sie riss Dracos Kopf zu sich herunter und küsste ihn. Er war überrascht und ließ es zu. Gut er hätte sonst auch nicht nein gesagt, aber wenn er so überrumpelt wurde, hätte er wer weiß wie reagieren können. Und auch das wusste Lykia. Sie ging das Risiko jedoch ein. Sie spürte, dass es um seine Selbstbeherrschung beinahe geschehen war.
Angelo ging schnaubend an ihnen vorbei.
Als sie ein wenig Luft hatten, weil es zur Stunde geklingelt hatte, nahm Draco Lykia beiseite.
„Was sollte das gerade eben?“, diese Frage musste er einfach stellen.
„Ich habe gespürt wie du deine Muskeln immer mehr angespannt hast und deine Hände zu Fäusten geballt hast. Ich wusste nicht anders dich wieder runter zu bringen, als dich mit einer Handlung die dich so sehr überrascht, dass du gar nicht mehr daran denkst auszurasten. Ja und dann hab ich dich geküsst. War das schlimm?“, fragte Lykia ein wenig unsicher.
„Nein alles gut. Ich war wirklich sehr überrascht. Ich hätte ihn wahrscheinlich sonst wirklich verprügelt. Angelo ist aber auch ein Hurensohn.“, seine Stimme wurde bitter, doch er ließ sich nicht wieder von den Gefühlen mitziehen. Er musste stark sein für Lykia.
„Danke.“, murmelte er, als sie den Klassenraum betraten.
Schlimmer hätte man sich das alles gar nicht vorstellen können. Zu sagen, dass das drückende Gefühl vorhin schlimm war ist gelogen. Hier ist es mindestens 10 Mal schlimmer. Diese Feindseligkeit staute sich im Raum, selbst bei geöffnetem Fenster. Der Raum war sogar recht groß. Es mussten ja schließlich auch 30 Schüler reinpassen. Zwei von den drei langen Fenstern waren offen. Man konnte sie mit einem Hebel hochschieben, wie eine Schalosie. Wind kam rein, aber raus ging nichts. Der Druck der in der Luft lag war unmenschlich. Lykia versteckte sich leicht hinter seinem Rücken, um der Feindseligkeit zu entgehen. Doch Draco spürte, dass das nichts brachte.
Hauptsächlich die Mädchen starrten sie hasserfüllt an. Aber auch die Jungs tuschelten. Manche bewunderten sie, laut den Gesichtsausdrücken, sogar.
Misstrauisch bewegte sich Draco mit Lykia zu den Sitzplätzen. Dani saß auf ihrem Platz, doch sobald sie sah, dass Draco mit Lykia auf sie zuging und sie mit einem Blick zum aufstehen zwang, war sie auch schon verschwunden. Sie musterte ihn enttäuscht und verletzt, doch sagte nichts. Lykia setzte sich hin und Draco auch.
Die Mädchen tuschelten und die Jungs sahen sich immer wieder um.
Er nahm Lykias Hand und drückte leicht zu, damit sie spürte, dass er auch jetzt nicht von seiner Seite wich. Sie drückte ebenfalls leicht zu, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte.
Lykia legte sich auf ihre Arme und starrte aus dem Fenster. Das war typisch für sie. Sie passte nie wirklich auf, doch schlechte Noten hatte sie trotzdem nie.
Es dauerte auch keine halbe Stunde, da merkte er, wie sie einschlief. Ihre Atmung wurde langsamer und regelmäßig. Der Druck von ihrer Hand fiel ab und ließ seine fast fallen. Aber er ließ nicht los. Auch im Schlaf sollte sie wissen, dass er da war.
Er benahm sich ihr gegenüber, als würde er auf sie stehen. Bei diesem Gedanken musste er lächelnd mit dem Kopf schütteln. Was war nur los mit ihm? Er stand nicht wirklich auf Frauen, die so hilflos waren wie Lykia, doch ihm gefiel es aber auch, dass sie so sehr Schutz bei ihm suchte.
„Reines durcheinander...“, flüsterte Draco so leise es ging.
Er sah auch aus dem Fenster, bis sich Lykia bewegte. In ihrer Gegenwart wurde es auf einmal ganz kalt. Ihre Augen waren offen, doch es sah so aus, als würde sie nichts sehen.
`Ob sie wohl schlafwandelt?`, fragte er sich und musterte sie unsicher.
„Höre ihre Rufe.“, flüsterte Lykia ihm zu. Doch er hörte nichts. Sie sah wieder aus dem Fenster und stand plötzlich auf.
„Was möchtest du, Lykia?“, fragte die Lehrerin, Frau Reeson. Lykia reagierte nicht. Die Schüler in der Klasse drehten sich alle zu ihr um.
Draco sah, wie sich Lykias Körper anspannte, ihre Nackenhaare sich aufstellten. Ihr Blick wurde wild und unberechenbar. Sofort stand Draco auf, nahm sie bei der Hand und zerrte sie auf den Flur. Wortwörtlich zerrte er sie hinaus. Sie war anormal aggressiv. Und das merkte jeder. Die Mädchen bekamen große Augen, als Lykia anfing zu knurren. Es klang so echt, als würde ein wildes Tier hier im Zimmer sein.
Mit wesentlich mehr Kraft musste Draco sie nun komplett aus dem Zimmer zerren.
Kaum waren sie aus der Klasse raus beruhigte sie sich wieder und schmiegte sich wie eine Katze an ihn.
„Lykia was ist los mit dir?“, fragte Draco leicht geschockt. Sein entsetzen unterdrückte er erfolgreich. Sie sollte nicht spüren was er alles gerade fühlte.
„Höre doch. Sie rufen nach mir. Sie brauchen mich. Ich muss zu ihnen.“, murmelte sie und machte große Augen, damit er nicht mehr sauer war. Aber er war nicht sauer oder so. Er fühlte sich überrumpelt. Aber mehr auch nicht.
„Wer ruft dich?“, fragte er weiter.
„Hör doch hin. Sie rufen nach mir. Ihr Lied klingt ganz laut in meinen Ohren.“, sagte sie und starrte Richtung Ausgang.
„Lykia, wer ruft nach dir? Ich höre nichts!“, meinte Draco nun doch besorgt. Lykia jedoch antwortete ihm nicht. Sie ging wie hypnotisiert auf den Ausgang zu.
Verwundert ging er hinter her.
Er folgte ihr bis zu einem nahegelegenen Waldrand. Naja was heißt nahegelegen? Es gibt eindeutig nähere Wälder, doch sie ging zum größten hier. Der Wald fasste um die 70 Hektar, laut Karten und so weiter.
„Lykia bitte bleib stehen!“, rief Draco ihr hinter her, doch sie drehte sich nur kurz um und ging dann weiter. Augenverdrehend lief er ihr hinter her. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Sie war nicht sie selbst und lief in den Wald hinein. Sie wusste doch, das dieser Wald hier gefährlich war. Es gab hier Bären, Wölfe und weiß der Kuckuck was noch alles.
Sie jedoch schien das gar nicht zu interessieren. Egal wie oft er nach ihr rief. Egal wie oft er ihr sagte wie gefährlich das war. Sie ging einfach weiter. Und obwohl sie langsam ging, kam Draco kaum hinterher. Es schien, als würde sie sich hier perfekt auskennen.Über Stöcker wo er im Nachhinein drüber stolperte, stieg sie ohne hinzugucken drüber.
`Was hat sie bloß...`, fragte er sich.
In Gedankenversunken achtete er nicht auf den Weg. Er stolperte und keine zwei Sekunden später war Lykia verschwunden. Er saß mitten im Wald, und hatte keine Ahnung wo er war. Weder wie weit er von der Stadt weg war, noch wo er lang musste, um hier wieder raus zu kommen. Und gleichzeitig wurde ihm das zweite Problem bewusst.
„LYKIA!!! Wo bist du?“, schrie er, doch er bekam keine Antwort.
Fluchend stand er auf und lief einfach in die Richtung in der sie verschwunden war. Sorge machte sich in ihm breit. Er irrte mittlerweile eine halbe Stunde in diesem verfluchten Wald umher, doch es war keine Spur von ihr zu finden. Zwischendurch sah er abgebrochene oder abgeknickte Äste, doch ob das wirklich zu ihr führte wusste er nicht.
„Verflucht noch mal! Wo bist du Lykia!?“, schrie er immer wieder. Seiner Ungeduld stieg mit jedem Mal, da er keine Antwort bekam.
„Scheiße, scheiße, scheiße, SCHEIßE!!!“, rief er wütend und besorgt. Er war so sauer auf sich selbst, das er einzelne Äste abriss und weg warf, oder Blätter vor sich her trat. Er war so wütend. Wie konnte er sie hier verlieren?! Die Vorwürfe die er sich machte ließen ihn an sich zweifeln. Er hasste sich dafür, dass er sie verloren hatte. Aber noch mehr hasste er sich dafür, als er sie fand. Sie lag bewusstlos im Wald. Auf den ersten Blick schien es ihr gut zu gehen, doch als er auf sie zu lief, sah er, dass um sie herum eine kleine Blutlache entstanden war.
„Scheiße!“, fluchte er und drehte Lykia vorsichtig zu sich.
Sie war an Armen, Beinen und am Hals mit Bissen übersät. Fluchend tätschelte er ihr die Wange und bemerkte ihren Blutverschmierten Mund.
`Scheint als hätte sie ihren Gegner ebenfalls verletzt.`, dachte sich Draco und hob Lykia auf die Arme. Behutsam stapfte er durch den Wald in der Hoffnung schnell die Straße zu erreichen. Es dämmerte mittlerweile.
`So lange konnten sie doch gar nicht hier gewesen sein.`, überlegte er, als er aus dem Unterholz stieß und auf die Straße gelang. Beinahe wäre er gestolpert, hätte er nicht damit gerechnet, dass vor ihm auf einmal ein Graben auftauchte. Er war zugewachsen von Unkraut.
„Nervig dieses Gestrüpp.“, flüsterte Draco und musterte Lykias Gesichtsausdruck. Besorgt seufzte er.
„Wach doch endlich auf... Ich flehe dich an, Lykia..“, flüsterte er ihr ins Ohr und ging weiter. Er musste sie zum Arzt bringen. Sie verlor zwar nicht mehr sonderlich viel Blut, aber der vorherige Blutverlust und die Bisswunden... Das musste alles untersucht werden. Und eventuell muss sie ne Tetanusspritze bekommen.
Es dauerte knapp zwei Stunden, bis er sie beim Arzt abgeliefert hatte. Dieser bat ihn draußen zu warten. Er verstand die Welt nicht mehr. Er konnte Lykia hier doch nicht alleine lassen?! Er war die ganze Zeit bei ihr, doch nun musste er sie alleine lassen. Hoffentlich nahm sie ihm das nicht allzu böse. Der Arzt schloss sie an diese Piepsgeräte an, eine Assistentin säuberte währenddessen ihre Wunden, legte eine Infusion und redete mit dem Arzt.
Lykias Augen blieben weiterhin geschlossen.
Der Arzt gab ihr eine Spritze. Tetanus wahrscheinlich..
Doch diese Annahme war falsch. Das sah Draco keine Sekunde später. Lykia krampfte, sie krampfte so sehr, dass all ihre Muskeln aus dem Körper herauszuspringen drohten. Man sah jede Faser ihres Körpers so deutlich, dass es schon ekelig war.
Draco stürmte sofort ins Zimmer, ließ sich nicht wieder von den Ärzten vertreiben, nahm ihre Hand und mit der einen und streichelte ihr übers Haar mit der anderen Hand.
„Beruhige dich, Lykia. Ich bin da. Ich bin doch bei dir.“, flüsterte er ihr immer wieder ins Ohr und mit jedem weiteren Wort entspannte sich ihr Körper.
„Wie haben sie das denn gemacht? Unser Beruhigungsmittel hat nicht mal im geringsten angeschlagen.“, meinte Dr. Fredecii verwundert.
„Ich habe ihr ein versprechen gegeben immer bei ihr zu bleiben. Ich schätze das soetwas mehr Macht hat, als jede Spritze der Welt.“, meinte Draco und kümmerte sich liebevoll um sie.
„Ihre Freundin kann sich glücklich schätzen. Es gibt selten Männer, die sich so sehr um ihre Liebe kümmern.“, meinte die Assistentin bewundernd.
Fragend sah er sie an und zuckte dann mit den Schultern. Er ließ es so stehen. Warum wusste er nicht genau, aber stören tat es ihn nicht.
„Keine Sorge, Lykia. Ich bleibe bei dir. Ich lasse dich nicht allein. Bleib ganz ruhig.“, flüsterte er ihr ins Ohr, als er spürte, wie sie sich in seine Hand krallte. Eine woge an Gefühlen brach über ihn herein. Es waren nicht seine Gefühle.
Schmerz, Eifersucht, Glück, Freude. Es schienen Lykias Gefühle zu sein. Aber weshalb sollte sie Eifersüchtig sein? Er warf seine Gedanken beiseite und strich ihr wieder übers Haar. Es dauerte auch keine Stunde, da schlief er bei ihr ein. Sein Kopf lag auf seinem Arm. Sein Gesicht lag in Richtung Lykias.
Lykia öffnete vorsichtig die Augen. Das erste, was sie überfiel war eine woge an Schmerzen und Übelkeit. Sie schlug die Augen auf, als sie das regelmäßige piepsen hörte. Nervös sah sie sich um.
Was war nur passiert? Sie erinnerte sich da dran, wie sie in einem Wald zusammenbrach, aber weder warum, noch wie sie hier her gekommen war.
Ihr Blick wanderte weiter durch den sterilen Raum. In der linken Ecke Richtung der Decke hing ein Fernseher. Er war nicht eingeschaltet. Weiter auf der linken Seite waren große Fenster und eine Balkontür, die auf den Balkon führte. Direkt neben ihrem Bett waren die EKG-Geräte. In ihrer Hand steckte eine lange Nadel, wo am anderen Ende die Infusion dran hing.
`Gute Güte, was ist denn bloß passiert?`, fragte sie sich.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als sich etwas an ihrem Arm bewegte.
Erleichtert seufzte sie, als sie Draco bemerkte, der etwas unruhig schlief.
„Draco, wach auf.“, flüsterte sie und stupste ihn vorsichtig in die Wange.
„Ich bleib hier, Lykia. Ich bleib bei dir.“, nuschelte er im Schlaf.
Überrascht und berührt legte sie eine Hand an seine Wange.
Er zuckte unter der Berührung leicht zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Kurz darauf schlug er die Augen auf und sah wie eine kleine einsame Träne an Lykias Wange herunter lief.
„Warum weinst du?“, fragte Draco und wischte ihr sanft die Träne von der Wange.
Ihre Augen wurden groß und eine ungewöhnliche Röte stieg ihr in die Wangen. Sie drehte den Kopf weg und murmelte: „Ich weine nicht.“.
Sie klang total niedlich, als wäre sie auf einmal ein junges kleines Mädchen, welches beleidigt war.
Lächelnd stand er auf und goss sich und ihr ein Glas Wasser ein. Er reichte es ihr, denn er wusste, dass sie Durst hatte.
„Was ist passiert?“, fragte sie nach drei kleinen Schlücken und mindestens fünf Minuten des Schweigens.
„Ich weiß nicht genau wie ich das erklären kann. Ich weiß ja auch gar nicht woran du dich noch erinnerst.“, meinte Draco nachdenklich.
„Ich erinnere mich im Grunde nur da dran, wie wir die Klasse betreten haben und da dran, wie ich im Wald zusammen gebrochen bin. Aber alles dazwischen und danach... Wie weg.“, schuldbewusst senkte sie den Kopf.
„Warum fühlst du dich denn jetzt schuldig?“, fragte Draco überrascht.
„Naja... scheint als hätte ich dir Probleme und Sorgen bereitet. Das wollte ich nicht.“, nuschelte sie leise mit gesenktem Kopf.
Sofort nahm er ihr Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und hob so ihren Kopf an, dass sie ihm in die Augen sehen musste.
„Lykia... Vergiss niemals, dass ich dir ein Versprechen gegeben haben. Ich werde dich niemals alleine lassen! Nichts auf der Welt wird mich davon abhalten dir von der Seite zu weichen. Kein Geld, keine Frauen. Einfach nichts. Mein Versprechen gilt für mein Leben. Und wenn du mal Ruhe vor mir haben möchtest. Egal wann, du kannst mich immer erreichen, oder besuchen.“, sagte er mit ernster Miene. Während Draco diese Worte aussprach, brach in Lykia ein Wall. Sie warf sich in seine Arme und ließ ihrer Trauer, Verzweiflung und was noch alles an Gefühlen freien Lauf. Sie äußerte diese in wimmern, schluchzen und weinen. Zwischendrin wurde sie wütend auf sich selbst, dass sie vor jemanden einen solchen Gefühlsausbruch bekam und schlug ihn leicht gegen die Brust. Als sie fertig war mit weinen versteckte sie ihr Gesicht an seiner Hals beuge. Sie wollte nicht, dass er sie so sah. Niemand sollte sie jemals so sehen. Aber bereuen tat sie es auch nicht wirklich. Im Gegenteil. Sie war ihm Dankbar. Sowohl für seine Worte, sein Versprechen, als auch dafür, dass er sie nicht alleine gelassen hatte, als sie ihren Gefühlsausbruch bekommen hatte. Sie spürte, dass er seine Worte mehr als ernst nahm, dass er eher sterben würde, als dass er sein Versprechen vergaß. Und das bedeutete Lykia noch viel mehr. Sie war nie die Person von großen Gefühlen gewesen, doch gerade jetzt spürte sie wie gut es tat sie zu teilen und raus zu lassen.
„Ich hasse dich.“, flüsterte sie, doch Draco spürte ihr lächeln, sodass er als Antwort nickte und ebenfalls lächelte.
Nachdem Lykia sich wieder beruhigt hatte, überlegte Draco wie er am besten anfing zu erzählen.
„Nun mir fällt nicht wirklich was besseres ein, als es dir gerade heraus zu erzählen. Also als wir in der Klasse waren, bist du erst eingeschlafen. Dann mit einem mal ganz plötzlich aufgestanden, hast irgendwas von Leuten die nach dir Rufen gesagt und aus dem Fenster gestarrt. Deine Augen sahen gefühlt durch mich hindurch, wenn du mich angesehen hast. Das war schon ein wenig gruselig. Als Frau Reeson dein begehren wissen wollte hast du nicht reagiert und alle anderen haben dich dann angestarrt. Daraufhin hat sich dein ganzer Körper angespannt und ich habe dich so schnell es ging aus der Klasse gezerrt. Leider konnte ich nicht verhindern, dass du die ganze Klasse an geknurrt hast. Du musst mir gleich unbedingt verraten wie du das gemacht hast, das war der Hammer! Naja egal. Als ich dich auf den Flur gezogen hatte warst du das komplette Gegenteil. Die Anspannung fiel sofort von dir ab. Dann habe ich dich immer wieder gefragt wer dich ruft, aber wirklich geantwortet hast du mir nicht. Naja. Dann bist du wie hypnotisiert aus dem Schulgebäude gegangen. Irgendwann kamen wir am Waldrand vom Heavery-Forest an. Du weißt schon der größte hier in der Gegend. Naja egal. Auf jedenfall bist du da schnurstracks drin verschwunden. Ich natürlich hinterher. Irgendwann bin auf die Fresse geflogen und habe dich verloren. Es dauerte dann etwas bis ich dich gefunden habe, doch als ich dich gefunden hatte hatte ich schon schiss das du Tod wärst. Du warst über und über mit Biss- und Blutspuren bedeckt. Eine kleine Blutlache war auch unter dir entstanden. Dann habe ich dich hier her getragen. Und naja. Jetzt bist du hier.“, Draco lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck.
„Du hast mich echt den ganzen Weg getragen?“, ihr Staunen wurde immer größer.
„Aber natürlich. Ich konnte dich da doch nicht liegen lassen.“, meinte Draco grinsend.
„Verständlich.. Aber wurde ich nicht zu schwer?“, fragte Lykia und sah auf ihre Finger mit denen sie zu Ablenkung spielte.
„Wie kommst du denn auf so nen Schwachsinn? Du bist eigentlich sogar viel zu dünn. Hör auf zu denken, dass du dick wärst. Das hast du nun wirklich nicht nötig.“, meinte er bestimmt und duldete keine Widerrede. Das spürte sie und deswegen ließ sie das Thema fallen und dankte ihm mit einem unsicheren Lächeln, welches eher einer Grimasse ähnelte.
„Du bist es wirklich nicht gewohnt deine Gefühle zu zeigen.“, stellte Draco unnötiger Weise fest und verfiel in einen Lachkrampf, als sie ihn wütend und beleidigt anstarrte.
„Es tut mir leid, aber du siehst so süß aus, wenn du nicht genau weißt wie du deine Gesichtszüge einsetzen musst.“, brachte er unter einem Lachanfall nach dem anderen raus.
„Du bist gemein.“, nuschelte Lykia mit geschürzten Lippen.
„Ach komm. Ein bisschen Spaß muss sein, sonst denkst du zu viel nach. Und großartig viel anderes darfst du glaube ich noch nicht machen. Der Arzt hat noch nicht wirklich was gesagt.“, meinte Draco und sah Gedankenverloren aus dem Fenster.
„Ich darf machen was ich will und wann ich will!“, antwortete Lykia spöttisch und setzte sich auf. Kurz danach streckte sie die Füße aus dem Bett und stand auf.
Draco sprang sofort an ihre Seite, als sie drohte umzukippen.
„Überstürze doch nicht alles.“, meinte dieser, ließ sie jedoch gewähren.
„Ich kann das!“, meinte sie stur und drückte ihn zur Seite, und versuchte alleine zu laufen.
„Lykia, bitte überanstrenge dich nicht. Du hast viel Blut verloren.“, meinte Draco und folgte ihr besorgt.
„Ich kann das allei...“, fauchte Lykia und fiel fast hin, wenn Draco nicht sofort bei ihr gewesen wäre und sie aufgefangen hätte.
„Wie war das?“, neckte Draco sie und bekam eine beleidigte Schnute zur Antwort. Es wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer dem Drang in sich zu widerstehen sie zu küssen. Ihre großen Augen schienen zu Ahnen, was passieren würde, wenn beide weiter so verharrten. Aber sie tat dagegen auch nichts. Wollte sie das das passiert? Oder war sie überfordert? Sollte er die Chance nutzen? Oder nutzte er die Hilflosigkeit dann aus? Unsicherheit spiegelte sich in ihren Augen wieder. Er strich ihr sanft eine verlorene Strähne aus dem Gesicht. Kurz, als würde sie dieses Gefühl genießen, schloss sie die Augen.
Er konnte nicht anders. Er konnte sich nicht länger beherrschen. Er musste sie Küssen.
Und er tat es auch. Erst vorsichtig, doch als er spürte, dass sie ihn zurück küsste dann wurde er ein wenig fordernder. Er wollte sie nicht wieder vergraulen. Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie sprunghaft war. In der einen Sekunde duldete sie seine Nähe und in der anderen stieß sie ihn von sich.
Dieses mal jedoch war es anders. Er spürte was sie fühlte, noch intensiver als je zuvor. Sie genoss es. Sie genoss nicht nur den Kuss, sondern auch die Zweisamkeit, dass sie ihren Gefühlen freien lauf lassen konnte. Und dann kam eine Woge an Schmerzen. Unbeschreibliche Schmerzen, die sie keuchen ließen.
„Lykia, was hast du?“, fragte er und drückte gleichzeitig auf das Knöpfchen, welches die Ärzte alamiert.
Sie hielt sich den Kopf und wimmerte leise. Zwischendurch keuchte sie und schrie sogar richtig.
„Scheiße, Lykia! Komm. Ich trag dich zum Bett.“, meinte er, wurde jedoch von Lykia weggestoßen, als er sie berührte.
„Tut mir leid... Aber jede Berührung und Bewegung tut ungeheuerlich weh.“, murmelte sie bevor die nächste Schmerzenswelle sie überkam. Diese war schlimmer als zuvor. Lykia schrie sich die Seele aus dem Leib. Ihr ganzer Körper spannte sich ungeheuerlich an. Sie bekam Nasenbluten, weil Äderchen dort platzten von den Anstrengungen.
Kleine Äderchen in ihrem rechten Auge platzen ebenfalls. Das sah wirklich creepy aus.
Draco konnte nicht länger zusehen. Er musste etwas unternehmen. Er erinnerte sich an das gestrige Geschehen, als sie die Krämpfe hatte.
„Es tut mir leid, falls du jetzt wieder Schmerzen haben solltest.“, flüsterte er und umarmte sie. Nicht fest, aber so, dass sie sich nicht daraus winden konnte. Sie schrie und kämpfte. Ihre Schmerzen mussten unvorstellbar schlimm sein.
„Verzeih mir, bitte.“, murmelte er und hielt jeden Schlag, jeden Kratzer, sogar die Bisse aus. Egal wie fest sie Biss. Er sah es als Strafe dafür, dass er sie jetzt so leiden ließ.
Ihre Schreie wurden schriller und taten richtig in den Ohren weh. Was war nur los mit ihr?
Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. Ihr Gesicht sah gequält aus, doch es schien allmählich besser zu werden.
„Ich bleibe bei dir, Lykia! Vergiss das nicht. Ich werde dich niemals verlassen!“, murmelte er ihr immer wieder ins Ohr und allmählich entspannte sich ihr Körper wieder.
Sie fing an zu weinen und entschuldigte sich unentwegt.
„Es ist alles gut. Sccccchhhhhhhhschhhhhh. Nicht weinen. Es ist alles wieder gut.“, flüsterte er ihr ins Ohr, doch sie schüttelte den Kopf und musterte die Wunde an seiner Schulter. Direkt danach fing sie wieder an zu weinen.
„Es ist alles gut, Lykia. Ich bin dir nicht böse. Und es tut auch gar nicht weh. Mach dir deswegen keine Sorgen. Du bist mir wichtig, deswegen stehen wir das gemeinsam durch. Verstanden?“, meinte Draco und sah ihr direkt in die Augen. Es sah wirklich unheimlich aus. Das eine normal und bei dem rechten Auge ist das, was normalerweise weiß war, Blutunterlaufen. Dennoch sah er ihr in die Augen, damit sie sah, dass er jedes Wort ernst meinte. Und ihr niemals etwas schlechtes will.
„Du hast Gefühle für mich.“, murmelte sie ohne über ihre Worte wirklich nachzudenken. Dracos Augen wurden groß und ein wenig Röte schoss ihm ebenfalls ins Gesicht.
Es vergingen zwei, drei Sekunden, bis Lykia ihre Worte bewusst wurden. Ihre Augen wurden riesig. Ihr ganzes Gesicht wurde Rot und sie versuchte sich irgendwie aus der Umarmung, in der er sie noch hielt zu befreien.
„Ja.“, murmelte Draco und senkte ein wenig den Kopf. Lykia erstarrte in der Bewegung. Es schien, als würde sie gar nicht mehr Atmen. Sorge überkam Draco.
„Lykia? Geht es dir gut? Antworte doch bitte.“, flüsterte Draco und drehte ihr Gesicht zu seinem. Sie sah ihm direkt in die Augen.
„Mir geht es gut. Mir geht es wirklich gut.“, flüsterte sie mit leicht zitternder Stimme und fing leicht an zu lächeln. Schüchtern lehnte sie sich gegen ihn und flüsterte wieder, dass es ihr wirklich gut ginge.
Erstaunt blieb Draco eine Minute noch so sitzen.
Dann hob er Lykia hoch und legte sie wieder ins Bett.
„Ich will aber nicht.“, nuschelte sie beleidigt. Und versuchte es mit dem berühmten Hundeblick. Er musste sich wirklich zusammen reißen, damit er nicht schwach wurde, doch als die Tür mit einem Ruck aufgerissen wurde, zuckte er zurück, als hätte er etwas verbotenes getan.
„So wie geht es unserer Patientin denn?“, fragte der Arzt.
„Ich habe ihr Notknöpfchen gedrückt, aber es kam keiner.“, meinte Draco leicht gereizt.
Er war wütend, dass die Ärzte hier scheinbar echt langsam reagierten.
„Ja das tut mir leid. Wir hatten einen Notfall.“, meinte der Arzt ein wenig zu desinteressiert für Dracos Geschmack.
„Wo ist der Arzt von Gestern?“, fragte er unvermittelt und schien diese Person eiskalt erwischt zu haben. Sofort versperrte Draco ihm den Weg. Das misstrauen verstärkte sich, als dieser ihn einfach nur belustigt musterte.
„Wir können dem Mädel nicht helfen, wenn Sie uns im Weg stehen.“, die Art wie der Typ diese Worte Aussprach, erweckten in Draco einen Beschützerinstinkt, wie er ihn vorher nie zuvor verspürt hatte.
„Pfoten weg!“, meinte er brummend und versperrte dem Möchtegern Arzt wieder den Weg, als er versuchte an ihm vorbei zu gehen.
„Draco was ist hier los?“, fragte Lykia unsicher. Nein.. Das war keine Unsicherheit mehr. Sie hatte Angst.
„Geh mir aus dem Weg, Mischling!“, forderte der Kerl vor ihm.
„Vergiss es!“, knurrte Draco aggressiv. Was zum Teufel war hier los? Warum nannte der Pisser ihn Mischling? Und was wollten die von Lykia?!
„Geh mir aus dem Weg, Mischling! Du hast in ihrer Nähe nichts verloren. Hast du mich verstanden?!“, knurrte der Typ einschüchternd. Und warum auch immer, aber diese Präsenz die von ihm ausging schüchterte Draco ein. Und das nicht zu knapp. Er senkte den Kopf und ließ diesen Kerl an ihm vorbei.
„Draco.. Wer ist das? Bitte... Du hast es versprochen!“, Panik stieg in Lykia hoch. Und als wäre er in Trance gewesen, weckte ihn diese Panik auf. Sofort griff er nach der Schulter des Typen und riss ihn von Lykia weg.
„Fass sie nicht an, du Penner!“, knurrte er wild.
Überrascht taumelte er zurück. Doch nach nicht mal einer Sekunde fasste er sich wieder und ging mit wütend funkelnden Augen auf Draco zu. Nein es war keine Wut die in seinen Augen funkelte. Es war die Entschlossenheit ihn zu töten, um an Lykia heran zu kommen.
Aber Draco war ebenfalls entschlossen. Entschlossen sie zu beschützen, egal was es kostet.
Keine Sekunde später musste er den ersten Schlag einstecken. Der nächste ließ seine Lippe platzen. Er verstand nicht warum er sich nicht wehren konnte, doch etwas in ihm hinderte ihn.
„Lass ihn! Hör endlich auf ihn zu schlagen du Bastard!“, schrie Lykia. Wutentbrannt schmiss sie sich auf den Rücken von dem Typen. Sie zerkratzte ihm das Gesicht, biss ihm in den Hals und schlug ihm ins Gesicht. Sie hatte keine Hemmungen davor sich gegen ihn zu wehren.
Sie sprang mit einer Katzenähnlichen Eleganz von ihm herunter und landete auf dem Bett.
„Wage es ja nicht ihm auch nur noch ein Haar zu krümmen.“, knurrte Lykia wütend.
„Du bist echt ne kräftige Bitch. Hätte nicht erwartet, dass du in deinen jungen Jahren schon solche Kräfte entwickelt hast. Das werden bestimmte Leute bestimmt interessieren. Nun... Ich ziehe mich für heute zurück. Pass gut auf unsere Prinzessin auf. Wenn ich das nächste Mal komme, bin ich nicht alleine. Und du wirst uns folgen. Bis dann.“, gab er in Begleitung eines warnenden Knurrens von sich und verließ den Raum.
„Was zur Hölle....“, murmelte Draco und zuckte zusammen, als Lykia plötzlich vor ihm auftauchte und sich um seine Wunden kümmerte.
„Es tut mir leid. Aber ich halte es für besser, wenn du dich erst mal von mir fern hälst.“, meinte sie kühl. Da war sie wieder. Die Lykia, die er kannte.
„Nein. Ich habe eine bessere Idee. Komm mit.“, meinte Draco bloß und zog sie auf die Beine und hinter sich her.
„Wohin gehen wir?“, fragte sie wieder ohne jegliche Emotion.
Es ging ihm gerade ganz schön auf die Nerven, dass sie erst so viele Gefühle zeigte und dann wieder so war. Das war fast wie ein Schleudertrauma. Egal er musste sie jetzt erst mal zu seinem Bruder bringen. Der wusste oft mehr als er zugeben wollte. Und wahrscheinlich wusste er auch hier drüber mehr als er zugeben würde. Aber dieses mal würde sich Draco nicht abwimmeln lassen. Es ging dieses mal um mehr, als nur ihn.
Sie liefen schnell durch die Straßen. Und keine halbe Stunde später kamen sie am Haus von seinem Bruder an. Es war heruntergekommen und sah eher nach einer Absteige für Obdachlose aus, doch sein Bruder liebte es natürlich. Deswegen ließ er das Haus auch mehr oder weniger in sich zusammenfallen. So wie es die Natur vorgesehen hatte.
„Draco, wer wohnt hier?“, fragte Lykia desinteressiert.
„Mein Bruder.“, meinte er bloß und öffnete die Tür. Sie gingen ins noch einigermaßen passable Wohnzimmer. Es gab weder Tv noch sonst irgendwas. Holzbänke dienten als Sofa und Sessel. Fenster gab es nicht mehr wirklich. Entweder waren sie zersplittert oder gar nicht erst vorhanden.
„Dein Bruder lebt aber merkwürdig.“, flüsterte Lykia verunsichert.
„Ich würde es nicht merkwürdig nennen. Ich lebe einfach so wie die Natur es vorgesehen hatte. Irgendwann vergeht alles. Und deswegen sieht es hier so aus.“, meinte eine dunkle Stimme plötzlich hinter ihnen.
Lykia zuckte zusammen und fing unwillkürlich an zu knurren. Dracos Bruder hob interessiert eine Augenbraue. Lykias misstrauen ihm gegenüber wuchs immer mehr.
„Na was haben wir denn hier? Einen kleinen Wildfang?“, spottete er weiter und beobachtete sie.
„Ist in Ordnung, Lykia. Das ist mein Bruder, Marco.“, meinte Draco und legte beschwichtigend eine Hand auf ihre Schulter. Sofort war Lykia ruhig. Zumindest hatte es den Anschein, doch in ihrem inneren war sie immer noch so wachsam wie zuvor.
„Keine Sorge, kleiner Wildfang. Ich bin keiner der dir irgendwas tun würde.“, meinte Marco mysteriös.
„Ist jetzt auch vollkommen irrelevant. Wir haben ein Problem und ich will das du diesesmal endlich Klartext sprichst und mich nicht wieder zum Narren hältst.“, forderte Draco ungeduldig.
„Ich habe dir zu jeder Frage Antworten geliefert. Wenn du den tieferen Sinn nicht verstehst dann ist das dein Problem. Wenn ich mich noch einfacher ausdrücke kommen mir die Gedanken, dass ich mit einem Neandertaler rede.“, neckte Marco seinen kleinen Bruder.
Leises Grollen kam aus Lykias kehle.
Erstaunt musterte Marco sie. Er musterte sie eindringlich.
Lykia wurde unsicher und zog sich ein wenig zurück.
„Ihr seit zu jung um zu erfahren, welches Schicksal ihr auf euren Schultern tragt.“, meinte Marco nach einer kurzen Schweigeminute.
„Alter. Ich wurde vorhin zusammengeschlagen. Sie ist gestern von irgendwas angefallen worden und jetzt wird sie verfolgt. Ich will jetzt endlich wissen was hier gespielt wird. Warum hat der Wixxer mich Mischling genannt und warum sie Prinzessin?“, forderte Draco nun leicht säuerlich zu erfahren.
„Wer hat dich angefallen, Lykia?“, forderte Marco zu wissen. Als er sie direkt ansprach zuckte sie zusammen und sah scheu von einer Ecke in die Nächste. Zum Schluss zuckte sie leicht mit den Schultern und signalisierte so, dass sie keine Ahnung hatte.
„Du siehst nicht aus als wärst du zusammen geschlagen worden.“, meinte er an Draco gewandt. Erstaunt drehte Lykia sich um und stellte fest, dass jede Wunde die er gehabt hatte verheilt war. Wie war das denn möglich?
„Du hast keine Verletzungen.“, meinte Lykia erstaunt, auf Dracos fragenden Blick.
„Nun. Wo wurdest du angefallen, Lykia?“, fragte Marco etwas belustigt.
„Wald.“, meinte sie bloß, war aber weiter zu Draco gewandt. Sie fuhr mit ihrem Finger über die eigentlich kaputte Lippe, doch da war nichts.
„Woran hast du erkannt, dass sie angefallen wurde?“, fragte Marco weiter und räusperte sich eindringlich.
„Sie hatte am ganzen Körper Bisswunden.“, murmelte Draco und führte Gedankenverloren seine Hände zu den Verbänden. Erst entfernte er den am Hals, dann die an ihren Armen. Dann folgten die Beine und dann der Bauch. Ihnen fiel nicht auf, dass sie noch im Patientenkittel war. Es war ihnen auch egal. Sie hatten gerade eher unendlich viele Fragen dazu, warum die Wunden verschwunden waren. Selbst die Bisswunden waren bis auf die kleinste Rötung verschwunden.
„Was passiert hier?“, fragte Lykia nun etwas hysterisch. Sie verstand nicht was hier passierte. Sie verstand die Welt nicht mehr.
„Was hat das hier zu bedeuten? Was ist hier los? Was passiert mit mir?“, schrie Lykia hysterisch.
„Beruhige dich. Lykia, Marco kann es uns bestimmt alles erklären. Bitte beruhige dich jetzt!“, rief Draco und nahm sie schützend in die Arme. Doch dieses mal ließ sie sich nicht beruhigen. Es verschlimmerte die ganze Situation nur noch.
Lykia stieß mit einer unglaublichen Kraft Draco von sich. Bewaffnete sich mit dem nächsten was sie finden konnte und sprang auf die nächst gelegene Kommode. Drohend hielt sie ihnen einen spitzen Holzpfahl entgegen.
Mitfühlend musterte Draco sie. Es ging ihm nicht anders, doch sie schien das noch etwas mehr zu treffen.
„Jetzt beruhige dich doch, Lykia. Wir tun dir sicher nichts.“, meinte Marco überrascht, doch ein gewisses Interesse blitzte in seinen Augen auf.
„Geh weg. WEG! Ich will jetzt wissen was für nen Scheiß hier läuft! Ich hab keinen Bock auf irgendwelche Rätsel! Ich will jetzt wissen was hier abläuft.“, schrie Lykia wie von Sinnen.
Marcos Geduld neigte sich allmählich dem Ende und das merkte man, doch das ließ Lykia kalt. Im Gegenteil. Das machte das alles sogar noch schlimmer. Lykia fühlte sich noch bedrohter und fing an zu knurren. Marco kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung.
„Lykia. Zum letzten Mal. Beruhige dich, oder ich zwinge dich dazu!“, murmelte Marco durch zusammen gebissenen Zähnen.
„Pah! Wie willst du mich denn dazu zwingen?“, die Herausforderung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Und diese Herausforderung nahm Marco an. Es ging so blitzschnell, dass Draco weder zeit hatte zum einschreiten, noch Zeit hatte das zu begreifen was passierte.
„Ich habe dich gewarnt.“, murmelte Marco und stürzte los. Erschrocken schrie Lykia auf und sprang von der Kommode. Sie sah sich nicht um, doch sie wusste, dass Marco direkt hinter ihr war.
Sie hörte die Melodie wieder in ihrem Kopf. Dieses mal jedoch war sie lauter als jemals zuvor.
Sie versuchte vor dieser Melodie weg zu laufen, doch das wurde nichts. Sie blieb immer auf gleicher Lautstärke. Als wäre sie ganz nah dran herauszufinden, woher sie wirklich kommt.
Auch Draco hörte eine leise Melodie. Allerdings ignorierte er diese, da es interessanter war den beiden zuzugucken. Marco hatte sich im Sprung in etwas großes verwandelt. Aber er sah nicht genau was. Er sah nur noch Schatten, da die beiden Unmengen an Staub und Dreck aufwirbelten.
Sein Kiefer klappte herunter. Er konnte sich vor Schock und Staunen nicht mehr bewegen.
Lykia blieb stehen. Die Melodie in ihrem Kopf wurde immer lauter. Mit jedem Schritt den Marco näher kam wurde die Melodie lauter. Sie spürte den heißen Atem in ihrem Nacken. Ein leises eindringliches Knurren brachte die Luft hier zum vibrieren.
Lykia fasste ihren letzten Mut zusammen und holte mit Schwung aus. Gleichzeitig drehte sie sich zu Marco herum, doch bevor sie ihn traf, erstarrte sie in mitten in der Bewegung. Sie starrte in goldgelbe tierische Augen. Der Kopf war von Fell überzogen und spitze Ohren waren Aufmerksam auf sie gerichtet. Die Schnauze war leicht geöffnet, die Zunge hing an der Seite herunter und teile von spitzen weißen Zähnen waren zu erkennen.
Die Melodie in Lykias Kopf wurde immer lauter, schon fast unangenehm Schrill, umso näher sie diesem Tier kam. Was war es? Ein Hund? Ein Wolf? Nein zu groß. Viel zu groß.
Sie strich dem Tier übers Fell. Die kurze Berührung reichte aus, um in Lykia eine Welle an ungeheuren Schmerzen heraufzubeschwören. Ängstlich und voller Schmerzen schrie sie los.
`Wehre dich nicht.`, sprach auf einmal etwas in ihren Gedanken. Panik erfasste sie. Blitzschnell sprang sie auf, ihre Schmerzen ignorierend und rannte los.
Marco verwandelte sich zurück, fluchte und zog Draco hinter sich her. Dieser konnte es immer noch nicht begreifen und schien so sehr in Gedanken zu sein, dass er gar nichts wirklich wahrnahm.
„DRACO!“, schrie ihn sein Bruder an. Überrascht blickte Draco auf und bemerkte erst jetzt, dass sie weit ab von Marcos Wohnung waren.
Irritiert sah er sich um, doch Marco zwang ihn schnell wieder nach vorne zu gucken.
„Na endlich wieder bei dir? Jetzt reiß dich aber mal zusammen! Lykia braucht dich jetzt dringender als je zuvor! Sie steht kurz davor sich zu verwandeln. Bei dir kann es sein, dass es entweder in ein paar Tagen passiert oder erst in Jahren. Vielleicht auch gar nicht. Ich weiß nicht wie deine Gene aussehen. Lykia ist von Königlichem Blut. Deswegen waren die hinter ihr her. Also gib jetzt verflucht nochmal Gas, sonst verlieren wir sie noch.“, rief Marco und Draco spürte unter was für einem Druck er stand. Er verstand zwar nicht einmal im geringsten was hier vor sich ging, doch es ging um Lykia. Und allein das spornte ihn immer mehr an.
Lykia war flink. So schnell hatte er sie bisher nicht laufen sehen.
„Was meinst du mit Verwandlung?“, fragte Draco, als sein Bruder auf seiner Höhe war.
„Ist dir etwas an ihr auf gefallen in der letzten Zeit?“, fragte Marco ohne auf seine Frage zu antworten. Nachdenklich rannte Draco weiter.
„Sie hat mittlerweile schneller die Kontrolle verloren. Und sie hat Gefühle gezeigt. Das hatte sie früher nie getan. Zudem hatte sie früher mehr Kontrolle über sich.“, fiel ihm ein.
„Das ist ihr Instinkt. Er will jetzt endlich frei sein. Allerdings ist da ein Problem...“, meinte Marco und wurde mit jedem Wort besorgter.
„Wie meinst du das?“, fragte Draco und stolperte beinahe über seine eigenen Füße.
„Ich erkläre dir das später. Wir müssen sie einholen, bevor sie sich hier verwandelt.“, meinte Marco, verwandelte sich und blieb vor Draco stehen. Wieder hörte dieser eine leise Melodie in seinem Kopf. Aber das was sein Bruder gerade getan hatte erschrak ihn mehr, als dass er sich auf irgendwas anders konzentrieren konnte.
Marco legte sich vor seine Füße und bedeutete ihm auf seinen Rücken zu steigen. Zögernd und verunsichert kam Draco der Aufforderung nach.
Als Draco saß ging alles ganz schnell. Marco sprang direkt los, sodass er sich in das Fell krallen musste, damit er nicht vom Rücken flog.
Sie schossen durch die Straßen, beinahe zu schnell für das menschliche Auge, doch wenn sie einer bemerkte, waren sie schon zwei-drei Straßen weiter.
Selbst jetzt hatten sie Probleme Lykia einzuholen. Marco war unglaublich schnell, doch Lykia kannte sich hier aus. Teilweise musste Marco seine Nase einsetzen, um sie wiederzufinden.
„Sie ist unglaublich schnell. Hat sie sich etwa schon verwandelt?“, fragte Draco seinen Bruder. Er antwortete mit einem Brummen, aber genau was dies bedeutete, konnte Draco nicht sagen. Er hoffte inständig, dass es bedeutete das sie sich noch nicht verwandelt hatte, doch sein Gefühl sagte ihm etwas ganz anderes. Beunruhigt trieb er seinen Bruder an, dass er schneller laufen sollte. Doch egal wie viel er auch drängelte, ihm schien es, als würde Lykia sich weiter entfernen.
„Kannst du noch ein wenig schneller?“, fragte Draco vorsichtig, weil sein Bruder so schon sehr genervt war.
Marco musterte ihn, doch er konnte nicht erkennen was sein Blick genau zu bedeuten hatte. Er fletschte die Zähne, als würde er grinsen und dann machte er einen sprunghaften Satz nach vorne und rannte noch schneller in Richtung des Waldes, wo Lykia zusammengebrochen war.
Marco bremste abrupt vor dem Waldrand.
„Was hast du?“, fragte Draco ihn und spürte wie unruhig er wurde. Sofort sprang er von seines Bruders Rücken und musterte den Waldrand und ihn abwechselnd.
Marco verwandelte sich zurück und beobachtete unsicher den Wald.
„Was siehst du?“, fragte Draco und wurde nun auch sichtlich nervös.
„Es geht nicht darum was ich sehe... Ich kann nicht einfach in diesen Wald. Es ist das Terrotorium eines anderen Rudels. Wenn ich das ohne ihre Erlaubnis betrete werden sie mich töten...“, murmelte Marco und rang innerlich mit der Entscheidung, ob er ihr folgen sollte, oder ihm sein Leben doch wichtiger war.
„Ich war da schon drin. Ich bin ein Mensch. Sie werden mich nicht töten.“, meinte Draco und rannte los, ohne auf die weiteren Warnungen von seinem Bruder zu hören.
„Dickkopf!“, fluchte er und rannte ihm hinter her.
Es dauerte auch keine Minute, da hatte er ihn eingeholt. Sofort schnappte er sich den Arm von Draco und zog ihn weiter. Draco hörte scheinbar das hecheln und die knackenden Äste nicht.
Aber das lag da dran, dass seine Sinne nicht so ausgereift sind wie Marcos.
„Sie sind hinter uns her. Sie haben uns quasie erwartet und in einem Halbkreis unsere Fluchtwege zur Straße abgeschnitten. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiter in den Wald zu laufen. Und wenn wir Pech haben, wird Lykia in deren Rudel aufgenommen. Du hast ja gesagt, dass sie gebissen wurde. Somit wurde der Prozess der Verwandlung verschnellert. Und da sie sie schon gebissen haben brauch sie sich nur noch ihrem Alpha unterwerfen und so gehört sie zu deren Rudel. Sie akzeptiert dann auch keinen anderen in ihrer Nähe. Zumindest was Wandler angeht. Menschen sind in der Hinsicht außen vor. Sie stellen keine Bedrohung da. Zumindest die meisten.“, erklärte Marco und musterte seine Umgebung eingiebig. Sie kamen immer näher, aber nicht weil sie sie töten wollten, sondern weil sie sie zu Lykia trieben. Marco wurde das bewusst, als er merkte, das ihr Geruch immer intensiver wurde. Auch Draco schien etwas zu bemerken.
„Wir sind nah dran. Sie wollen uns zu ihr treiben. Quasie als Gäste und Zuschauer, oder als ...Opfer..“, murmelte Marco und wurde immer leiser, sodass Draco Schwierigkeiten hatte ihn zu verstehen, doch er verstand.
„Opfer?“, flüsterte Draco und wurde nervös.
„Ja. Bei der ersten Verwandlung wird sowas wie ein Vertrag mit dem Wesen geschlossen. Damit man es Kontrollieren kann. Umso größer und außergewöhnlicher das Opfer umso größer ist die Kontrolle. Natürlich lernt man das auch mit der Zeit, aber so geht es schneller und von vorn herein. Wie erkläre ich dir das am einfachsten?... Nehmen wir einen Hasen. Da kannst du dann deine Verwandlung kontrolliert hervorrufen, aber das Tier übernimmt dann die Führung. Du kannst dann nicht mehr kontrollieren was du jagst oder wo du hin läufst, außer du folgst dem Befehl eines Alphas.“, Marco hatte wirklich versucht es vereinfacht darzustellen, aber es verwirrte ihn ungemein.
„Wir sind da.“, murmelte Marco nach ein paar Minuten des Schweigens.
Erschrocken blieb Draco stehen, als er sah was sich dort abspielte. Dort saßen fünf Wölfe. Genauso groß und größer als Marco. Der größte schien der Alpha zu sein. Sein Blick war stur geradeaus gerichtet, doch man sah, dass er alles im Blick hatte. Seine komplette Umgebung. Sein Ohr drehte sich leicht in unsere Richtung, doch sein Blick blieb weiterhin auf Lykia hängen. Sie sah aus als würde sie schreien, doch kein Ton verließ ihren Mund.
„Sie hat schmerzen!“, rief Draco und wollte los rennen, doch Marco hielt ihn auf.
„Du kannst nicht dort hinunter rennen. Wenn du das tust werden sie dich töten. Du darfst die erste Verwandlung nicht unterbrechen. Die erste ist immer die schlimmste. Der Körper wehrt sich und will diese Veränderung nicht, aber das Tier will frei sein. Es will durch die Wälder rennen und jagen.“, erklärte Marco und sah mitleidig zu Lykia.
„Die Wölfe sehen unruhig aus.“, stellte Draco nach ein paar Sekunden fest.
„Sie sind die schwächsten wie es scheint. Sie werden den Neulingen scheinbar zum fraß vor geworfen. Dieses Rudel scheint ein brutales zu sein. Ich habe es vor langer Zeit zum ersten Mal gesehen. Es war schrecklich. Das ist einer der Gründe, weswegen der Alpha dort sitzt. Mit seiner Präsenz hält er die Wölfe davon ab wegzulaufen oder so.“, murmelte Marco und konnte seinen Schrecken nicht verbergen. Es war grausam.
Der Alpha sah nun zu uns hoch und beide spürten, was der Wolf verlangte. Er wollte, dass sie hinsahen und nicht weg schauten. Und das taten sie. Sie sahen nicht weg. Sie sahen zu, wie auf einmal Lykias Haut aufriss und darunter Fell hervor kam. Sie sahen wie sich ihre Arme und Beine veränderten. Die Knochen brachen und setzten sich neu zusammen. Der Wald war erfüllt von aufgeregtem Hecheln und das Bersten der Knochen. Es war faszinierend als auch vollkommen widerlich. Draco hatte mehr als einmal große Mühe seinen Würgereiz zu unterdrücken. Als sie sich dann doch endlich verwandelt hatte, war ihr nachtschwarzes Fell tropfnass. Es war Blut. Der ganze Boden unter ihr war eine einzige große Pfütze.
Sie sah zu dem Wolf herauf. Er musterte sie auf eine Art die Draco gar nicht gefiel.
„Er wiegt ab, ob sie für das Rudel nützlich ist, oder ob seine schwachen Wölfe sie töten sollen.“, flüsterte Marco.
Lykia fing an zu knurren. Der Alpha hob den Kopf und richtete sich auf. Er war riesig. Draco schätzte ihn ungefähr einen Kopf größer, als Marco.
Der Alpha ging langsam und provozierend auf Lykia zu. Sie war wackelig auf den Beinen, doch sie ließ sich nicht unterkriegen. Ihr Schwanz war leicht zwischen die Hinterbeine geklemmt, doch sie ließ sich von niemandem Befehle erteilen. Egal ob Alpha oder nicht. Das wusste Draco besser als jeder andere. Ihre Ohren waren vor Aufregung und Aggressivität dicht am Kopf angelegt. Ihr Nackenfell war so sehr gesträubt, dass sogar der Rest ihres Fells sich aufzustellen begann. Ihr Lefzen waren bis zum Anschlag hochgezogen, sodass das Zähne fletschen nicht mehr wie ein halbes Grinsen aussah, sondern eher wie eine Grimasse.
„Du musst ihr helfen, Marco!“, rief Draco voller Sorge. Marco jedoch schüttelte den Kopf und hielt Draco gerade noch rechtzeitig am Arm.
„Ich kann mich da nicht einmischen. Sie hat unglaublicher weise den Alpha herausgefordert. Sie muss diesen Kampf jetzt alleine schaffen. Wenn sie gewinnt gehört ihr sein komplettes Rudel. Je nachdem wie sie sich schlägt und verliert wird er darüber entscheiden was mit ihr passiert.“, erklärte Marco und musterte das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Er wollte Lykia in seinem Rudel haben. Er wollte sie unbedingt! Nicht weil sie zu ihm passte, sondern weil er ahnte, dass es noch einiges gab, was Lykia besonders machte.
Knapp unter ihnen wurden die unterschiedlichen Kräfte eines Alphas und `Welpen` zur schau gestellt. Lykia war ihm Kräftemäßig um einiges Unterlegen, doch sie machte es mit Intelligenz wieder wett. Zudem war sie unglaublich Flink. So wie es aussah hatte sie eine kleine Chance. Doch wenn sie der Alpha einmal richtig erwischte war es das schnell wieder mit der Chance. Der Alpha wurde nicht ohne Grund Alpha genannt. Er war unglaublich stark. Ebenso Intelligent. Er war Größer, Massiger, wenn es ihm auch an der Schnelligkeit von Lykia fehlte, so machte er dies mit dem Vorausschauenden Denken eines Menschen wett und traf dennoch. Auch wenn nicht mit 100 Prozentiger Kraft. Dennoch sah man, dass Lykias Ausdauer schnell abnahm. Sie war noch nicht sonderlich trainiert und hatte vorher einen Marathon und eine Verwandlung hinter sich. Aber dafür hielt sie sich unglaublich gut und das wusste der Alpha auch.
„Er wird sie haben wollen...“, meinte Marco und achtete gar nicht wirklich auf Dracos ungläubigen Blick. Es war ihm lieber, dass sie weiter lebte, doch unter diesem Tyrann hatte sich Draco das nicht gewünscht.
Ohne ein weiteres Wort ging Draco auf die beiden Wölfe zu. Die Aufmerksamkeit des Alphas blieb weiter nur auf Lykia gerichtet. Er konnte es sich nicht leisten, dass sie gewann.
„Lass von ihr ab! Sie gehört zu mir. Ich bin ihr Rudel.“, rief Draco ohne nachzudenken.
Sofort wurde es still. Selbst Lykia musterte ihn verwirrt. Marco schlug sich geschockt die Hand vor den Mund. Er konnte nicht glauben, dass sein Bruder solch eine Dummheit doch wirklich begangen hatte.
„Lass deine dreckigen Pfoten von ihr!“, rief Draco mit fester Stimme, doch man konnte seine Unsicherheit fast Meilenweit riechen. Man konnte fast sagen, dass ihm der Angstschweiß in Litern am Rücken und dem Gesicht herunter rann.
Nun blickte ihn der Alpha durchdringend an. Lykia erkannte ihre Chance und griff an. Sie verbiss sich in seinem Hals, doch den Alpha schien das kalt zu lassen. Er verzog nicht eine Miene. Das Blut lief an seinem Fell herunter, doch auch das schien er gar nicht richtig war zu nehmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er seine linke Pfote an und schlug Lykia damit kräftig auf den Kopf. Jaulend ließ sie los und taumelte ein wenig umher. Erschrocken rannte Draco auf sie zu und streichelte ihr über den Nacken.
Verunsichert musterte sie den Alpha des ihr fremden Rudels. Sie hatte nun gespürt was eine Kraft er besaß, doch sie wollte sich auch nicht geschlagen geben. Aber wie sollte sie hier vernünftig kämpfen können? Zudem wahr sie erschöpft.
Draco sah wie es in ihrem Kopf arbeitete. Aber es dauerte länger als zuvor. Zudem schien sie ihn gar nicht wahrzunehmen. Was passierte, wenn sie sich erschrak und ihn sah? Ob sie ihn angriff?
Unschlüssig stand er da, als Lykia plötzlich vorsprang und einen angriff von rechts andeutete. Der Alpha reagierte. Aber er war nicht dumm. Es schien, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er täuschte eine Verteidigung nach rechts vor und griff dann selber mit den Hinterbeinen an. Draco war fasziniert von dieser Kombination. Ihm stand wortwörtlich der Mund offen. Auch Lykia war überrascht, denn sie sah sich auf einmal in der Luft geschleudert wieder und knallte schmerzhaft gegen einen Baum. Draco sog scharf die Luft an, doch als er zu ihr hin rennen wollte versperrten ihm ein Paar der Wölfe den Weg. Erschrocken zuckte er zurück.
Texte: Die Rechte an diesem Buch liegen einzig und allein bei mir, der Verfasserin/Autorin!
Tag der Veröffentlichung: 13.07.2016
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