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Feuer verzehrt, Wasser ernährt.

Unruhig wälze ich mich hin und her. Irgendetwas stimmt hier nicht. Noch im Halbschlaf überlege ich wie spät es wohl sein mag. Erst vor wenigen Stunden bin ich ins Bett gegangen. Es kann also noch nicht allzu lange her sein.

Nur, was stimmt denn jetzt nicht?

Es ist doch alles so wie immer. Mit einem genervten Stöhnen wälze ich mich auf die Seite, lasse meine Hand über die Bettkante hinaus hängen, so dass es 'Platsch' macht.

Moment...

Wieso 'Platsch'?

Gähnend öffne ich langsam meine Augen, blinzle bis ich richtig sehen kann und starre in die Dunkelheit meines Zimmers. In der Tat, dort wo meine Hand hängt ist es nass. Wie kann das sein?

Beunruhigt setze ich mich im Bett auf, ziehe meine Hand zurück und befühle sie. Sie ist nass.

Ich greife nach meinem Handy, das schon eher in meiner Reichweite liegt, als der Lichtschalter neben der Tür und schalte die Taschenlampe ein.

Ein matter Lichtschein schwirrt durch mein Zimmer und im ersten Moment fällt mir nichts weiter auf, bis ich das Handy senke und das Wasser sehe.

„Scheiße! Wo kommt das denn her? So viel?!“, entfährt es mir überrascht und Panik macht sich in mir breit.

Ist das nur ein schlechter Traum?

Ich bücke mich und tauche meine Hand ins Wasser. Nein, das ist definitiv real!

Ist eine Wasserleitung kaputt gegangen?

Hektisch klettere ich aus meinem Bett, spüre das kalte Wasser, wie es sich um meine Beine schmiegt und wate zur Zimmertür.

Im Flur höre ich die Stimmen meiner Nachbarn. So wie es aussieht, bin ich nicht als einziger von dem Wasser überrascht worden.

Ich verlasse meine Wohnung und bleibe draußen im Flur stehen. Meine Nachbarn reden wirr durcheinander, versuchen sich zu beruhigen und laufen planlos durch das Haus. Andere Nachbarn von oben kommen hinzu und sehen sich das Spektakel an. Ich wate zur Haustür, öffne sie und blicke hinaus in die dunkle Nacht.

„Ich habe die Feuerwehr angerufen! Die sollen das Wasser aus dem Haus pumpen!“, ruft jemand hinter mir.

Ich drehe mich zu meinen Nachbarn um. „Dann können sie gleich die ganze Stadt auspumpen.“

Verwirrt sehen meine Nachbarn mich an. „Was?“

„Wieso das denn?“

„Rede nicht so einen Unsinn!“

Ich trete einen Schritt zur Seite. „Die ganze Stadt steht unter Wasser.“

Ich sehe wieder nach draußen, während meine Nachbarn aufgeregt zu mir kommen und hinaus schauen. Ich verschränke die Arme vor der Brust und starre auf die Wassermassen.

Anwohner aus der Gegend laufen mit Gummistiefeln durch das Wasser, andere stecken bereits mit ihren Auto's mitten im Wasser fest. Wer weiß was da noch alles im Wasser lauert, da bleibe ich lieber hier stehen, um mir nicht irgendwo eine Verletzung zu holen.

Ich gehe zurück in den Flur, in meine Wohnung und sehe mir das Chaos an. Den Teppich in meinem Flur habe ich erst vor zwei Wochen verlegt. Das halbe Mobiliar ist dahin. Ich bin zwar versichert, aber all das neu zu kaufen...

Das Geld macht es nicht wett, was mir die Dinge in meinem Haus bedeuten. Die kann mir keiner ersetzen. Dinge, die ich geschenkt bekommen habe, Möbel meiner längst verstorbenen Großmutter...

Ich gehe in die Hocke, ignoriere, dass meine Klamotten dadurch nur noch nasser werden und vergrabe mein Gesicht in den Händen.

Der Deich hat nicht gehalten.

Was, wenn noch mehr Wasser kommen wird?

Wieso habe ich nicht daran gedacht, als ich hierher gezogen bin? Ich hätte doch ganz einfach in eine höhere Etage ziehen können. Dann wäre all das nicht passiert und doch ist es geschehen. Ich werde es nicht mehr rückgängig machen können. Das kann niemand. Ich muss mich damit abfinden und das Beste aus der Situation machen. Die wichtigsten Sachen retten und dann...

Hektisch stehe ich auf, wühle in den Schubladen und suche meine Papiere heraus, alles ist durchweicht. Meine Fotos!

Ich laufe durch die Wohnung, versuche all die wichtigen Dinge oben auf die Schränke zu stellen, auch wenn ich nicht mehr viel retten kann.

 

An Schlaf ist in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Ich bleibe bis zum Morgengrauen wach, sehe erst dann richtig den Schaden und stehe mitten in meiner beschädigten Wohnung.

Es ist hoffnungslos...

Ich schniefe, fühle mich völlig unterkühlt, erst jetzt, wo ich endlich mal dazu komme, inne zu halten und laufe zu einer Schublade, doch all die Kleidung ist inzwischen völlig mit Wasser vollgesogen. Ich laufe ins Schlafzimmer. Das Bett steht unter Wasser. Es ist also, ohne dass ich es mitbekommen habe, gestiegen.

Vor dem Bett bleibe ich stehen und so langsam macht sich die Müdigkeit bemerkbar. Nur, hier kann ich mich nirgendwo ausruhen. Ich wate in die Küche und setze mich auf die Platte neben der Spüle. Sie ist eiskalt, aber wenigstens kann ich so mal ein wenig aus dem kühlen Wasser kommen. Ich ziehe die Beine an und rubbele mit den Händen über die kalte Haut, versuche meinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen und wünsche mir nichts sehnlicher als eine heiße Dusche.

Ich lehne mich gegen das Fenster, sehe nach draußen und bemerke all die Menschen, die draußen zugange sind.

Nur am Rande bemerke ich, wie mein Körper vor Erschöpfung und Kälte zittert. Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper und beobachte die Leute draußen, ehe mir langsam immer wieder die Augen zufallen, bis ich ganz weg nicke.

„Hey, ist hier jemand?! Sorry, die Tür war offen! Kann ich reinkommen?!“

Ich erschrecke und sehe auf. Verwirrt sehe ich mich um, realisiere, dass all das kein Traum war und fühle mich einfach nur schlapp und müde. Ich bin völlig entkräftet.

Ein fremder junger Mann betritt meine Wohnung, ich kann ihn hören oder zumindest das Wasser und wie er leise flucht. Das erste, was ich von ihm sehe, sind lockige halblange braune Haare. Der Fremde lässt seinen Blick durch die Küche schweifen, ehe er mich ansieht und prüfend mustert. Sein Blick ist mir egal. Momentan ist mir alles egal.

„Wow, wer hat dich denn so durch den Mixer gezogen?“, fragt er und lächelt mich freundlich an. Der Mann kommt zu mir, bleibt vor mir stehen und stellt seinen Rucksack auf den Tisch.

„Was machst du hier?“, frage ich ihn.

„Na, dir helfen! Sieht man doch.“

„Ich brauche keine Hilfe!“, murre ich abweisend.

Er sieht mich stirnrunzelnd an. „Das sehe ich anders.“

Ich betrachte ihn, in dem Shirt, der Jeans und den Gummistiefeln. Seine Arme sind voller Tattoo's, die ich mir nun eingehender ansehe.

„Gefällt's dir?“, fragt er schmunzelnd und hastig sehe ich wieder aus dem Fenster. „Wie gesagt, ich brauche keine Hilfe!“

„Jetzt bin ich aber schon mal hier und so leicht wirst du mich nicht mehr los!“, meint der junge Mann breit grinsend. „Wie heißt du?“

„...“

Also gut! Ich heiße Peer und es wäre echt nett, wenn du mir deinen Namen sagen würdest!“

„... Matthis...“

„Na, geht doch!“, meint er und wühlt in seinem Rucksack herum. Peer holt allerlei Dinge heraus und stellt sie auf meinen Küchenschrank.

„Du solltest dir was anderes anziehen, allerdings habe ich keine Klamotten dabei. Hier, erst mal das!“, sagt Peer und holt eine komische Folie aus seinem Rucksack. Sieht fast so aus, wie diese Folie, in der meine Mutter früher meine Schulbrote eingepackt hat. Jedenfalls bin nun ich es, der in so eine komische Folie eingewickelt wird. Peer scheint keinerlei Berührungsängste zu haben und beginnt meine Füße zu massieren. Seine Hände sind angenehm warm. Ich sehe Peer zu, ziehe die Folie enger um mich und ehe ich es mich versehe, hält er mir kurze Zeit später einen Becher mit dampfendem Tee vor die Nase, den er in einer Thermoskanne mitgebracht hat. Peer setzt sich neben mich und lässt die Beine baumeln.

„Was machst du hier?“, frage ich ihn nach einer Weile und nippe an dem heißen Getränk. So langsam kehren meine Lebensgeister zurück.

„Ich wohne ein paar Häuser weiter und habe einfach beschlossen in der Nachbarschaft auszuhelfen. Wirklich hilfreich war ich noch nicht. Einer alten Frau sollte ich die Katze einfangen. Hier siehst du? Das Biest hat mir die Arme zerkratzt! Bei einer anderen Familie war der Hauseingang mit Schutt versperrt, dass musste geräumt werden. Tja und jetzt bin ich hier bei dir!“, erklärt Peer munter.

„Deine Wohnung hat es ja echt übel erwischt!“, meint Peer nach einer Weile des Schweigens. Ich zucke mit den Schultern. „Und deine?“, frage ich ihn.

„Ich habe Glück gehabt. Ich wohne direkt unterm Dach.“

Tja, da hätte ich mir auch mal eine Wohnung suchen sollen. Ich reiche Peer die leere Tasse und spontan gießt er nach. Irritiert halte ich sie fest, ehe ich wieder damit meine Hände wärme.

„Hast du jemanden zu dem du eine Weile hinziehen kannst?“, fragt Peer und sieht mich an. Ich hebe den Blick, während ich den Tee schlürfe und schüttele leicht den Kopf.

Wohin sollte ich schon gehen? Ich habe niemanden.

„Deine Familie?“

„Ich habe keine Familie. Ich...“, ich halte inne und schweige lieber. „Ist nicht so wichtig.“ Ich trinke einen Schluck vom Tee und starre vor mich hin.

„Also, wenn du einen Schlafplatz brauchst, kannst du eine Weile bei mir wohnen, bis das Haus hier wieder bewohnbar ist.“ Überrascht sehe ich Peer an.

„Wieso? Ich meine, du kennst mich nicht. Ich bin ein Fremder!“, meine ich entgeistert.

Peer grinst breit. „Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe das Gefühl, dass du ein ehrliches Kerlchen bist und mich schon nicht in der Nacht bestehlen oder umbringen wirst.“

Ich schlucke und sehe aus dem Fenster. „I-ich kann nicht gut mit anderen Menschen.“

„Keine Sorge, ich bin nicht sonderlich anspruchsvoll. Wenn du ab und an im Haushalt mithilfst reicht mir das.“

Peer grinst charmant und unwillkürlich nicke ich. „Okay...“

 

So viel dazu. Wir haben meine wichtigsten Sachen mitgenommen und haben uns zu Peer's Wohnung vorgekämpft. Gar nicht so einfach, wenn einen das Wasser beinahe von den Beinen reißt und lauter Schutt einem den Weg versperrt.

Ich stehe nun also in Peer's Wohnung und sehe mich um. Sie ist nicht sehr groß, dafür aber komfortabel eingerichtet, eben alles was man zum Leben braucht ohne viel Luxus.

Seufzend gehe ich zu dem einladenden Bett, dessen Bettlaken noch völlig zerwühlt sind, aber das ist mir momentan völlig egal, denn ich will einfach nur schlafen!

Ich ziehe mich einfach nackt aus, krabbele in das Bett, ziehe mir die Decke über den Kopf und gebe mich der Müdigkeit hin.

„Hey, kannst du nicht wenigstens die nassen Klamotten in die Waschmaschine stecken?!“, mault Peer leise herum und klaubt alles zusammen, was ich jedoch nur noch am Rande wahrnehme.

Leise murmele ich irgendwas vor mich hin und spüre, wie Peer mir durch die Haare wuschelt.

 

Als ich aufwache, zeigt mir die Uhr an der Wand gegenüber vom Bett an, dass es schon Nachmittag ist. Ich strecke mich und hebe die Decke an. Ach ja, ich bin ja noch nackt...

Ich hebe den Blick und erschrecke zu Tode, als ich bemerke, dass Peer auf einem Stuhl neben dem Bett sitzt und mich anlächelt, als würde er etwas aushecken!

„Wa-was ist?“

„Nichts, aber es ist lustig zuzusehen, wie du beim schlafen sabberst!“, meint Peer lachend.

Hastig wische ich mir über die Mundwinkel. „Ich sabbre nicht!“, murre ich beschämt und setze mich im Bett auf.

„Hier ein paar ältere Klamotten von mir. Ich hoffe, sie passen dir.“ Peer hält mir einen Stapel Klamotten entgegen und so nehme ich sie ihm zögernd ab und lege sie auf meinen Schoß, um sie mir eingehender anzugucken.

„Ähm, ich sollte dir vorher noch was sagen...“, meint Peer und bleibt unschlüssig auf seinem Stuhl sitzen.

„Und was?“, frage ich ihn und ziehe die Boxershorts unter die Decke, um sie anzusehen ohne dass Peer mir mein bestes Stück wegguckt.

„Ich stehe auf Männer!“

Ich halte inne und sehe ihn einen Moment erstarrt an.

„Keine Sorge, ich falle schon nicht über dich her! Ich wollte nur, dass du es weißt.“ Peer hebt beschwichtigend die Hände.

„Du siehst nicht so aus, als würdest du über mich herfallen...“, murmele ich und ziehe mir die hässliche grün karierte Boxershorts über. Besser als nichts.

Ich schlucke. „Ich... Ich habe nichts gegen Schwule.“

„Das freut mich!“, meint Peer und atmet aus. „Da bin ich beruhigt!“ Er steht vom Stuhl auf und geht auf die andere Seite der Wohnung.

Das ganze Appartement scheint aus einem Raum zu bestehen. Die Küche ist in das Schlaf- und Wohnzimmer integriert und scheinbar auch das Esszimmer. Einzig das Badezimmer und ein Abstellraum befinden sich hinter je einer Tür.

Ich betrachte Peer's breiten Rücken, als er den Kühlschrank öffnet und sich hin hockt, um etwas von unten herauszunehmen. „Ich mache uns eine Gemüsepfanne mit Reis, okay?“, ruft er mir zu ohne mich anzusehen.

„J-ja!“, meine ich hastig und werde aus meinen Gedanken gerissen.

„Wenn du möchtest, kannst du dich noch ausruhen. Ich will nachher zum Deich und helfe ihn abzudichten.“

Soll ich hier bleiben oder mitgehen? Ich weiß es nicht. Ich kralle meine Finger in die Kleidung und atme tief durch. Ich sollte besser hier bleiben.

Ich ziehe die Bettdecke weg und ziehe mich an. Die Klamotten sind angenehm warm und riechen leicht nach Waschmittel.

Ich stehe auf und geselle mich zu Peer, der den Reis in den Reiskocher gibt. „Reiskocher sind schon genial! Noch nie war Reis kochen so einfach!“, witzelt er und fügt Wasser hinzu. „Holst du die Pfanne aus dem Schrank?“, fragt Peer und deutet mit seinem Fuß auf eine Schranktür vor mir. Ich schiebe die Tür zur Seite und sehe einen Haufen Töpfe und Pfannen.

„Die Große da!“, fordert er mich auf und so gebe ich ihm, was er verlangt. Ich schließe die Tür und stelle mich wieder neben ihn. Ich linse zu ihm. Wenn ich so neben Peer stehe, dann wirkt er so groß auf mich. Mein Blick wandert wieder über seine Tattoos.

„Ich glaube, ich muss dich wieder nerven.“ Peer sieht kurz zu mir, ehe er das Gemüse in die Pfanne gibt. Ich sehe verwirrt zu ihm.

„Mir geht das irgendwie nicht aus dem Kopf, was du heute morgen gesagt hast. Du meintest, du kannst nicht gut mit Menschen...“

Ich schlucke und sehe auf das Gemüse, das in der Pfanne vor sich hin brutzelt.

„Du musst nicht...“ - „Ich...“

Meine Hände schwitzen und ich bin mir nicht sicher, ob ich es ihm erzählen will. Ich habe Angst vor seiner Reaktion.

„Was ist mit deiner Familie?“, fragt Peer ausweichend.

Ich nestele mit meinen Fingern an dem Pullover. Mir ist auf einmal so kalt. „Ich habe ein paar Sachen gemacht, worauf ich nicht so stolz bin. Ich hatte Angst meine Eltern würden es erfahren, also habe ich mich lieber von ihnen fern gehalten, auch wenn sie den Kontakt zu mir halten wollten. Sie wären bestimmt enttäuscht von mir...“, erzähle ich ihm mit einem mulmigen Gefühl. „Ich bin in der Schule damals ziemlich übel gemobbt worden. Nicht verbal, sondern richtig verprügelt und so weiter, jedenfalls haben die Jungs und Mädchen aus der Schule dafür gesorgt, dass ich irgendwie wohl einen Knacks weg habe, deswegen halte ich mich von anderen Menschen fern. Ich kann nicht so einfach vertrauen zu jemandem fassen.“

Peer nickt. „Verstehe und was hast du gemacht, was du deinen Eltern nicht erzählen kannst?“

Ich sehe zu Peer auf und spüre wie meine Wangen in Flammen stehen. „Das ist peinlich...“

„Schon gut, ich werde nicht lachen!“, meint er breit grinsend.

„Ich habe, um Geld dazu zu verdienen...“ Ich atme tief durch. „Ich habe mich befriedigt und andere Leute haben mir durch eine Webcam dabei zugesehen. Sie haben dafür bezahlt...“

Ich habe das Gefühl total rot im Gesicht zu sein.

Peer sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wow, so etwas hätte ich dir gar nicht zugetraut. Du wirkst gar nicht so auf mich, also, dass du solche Sachen tun würdest.“

Ich zucke mit den Schultern. „Du siehst auch nicht wie ein Homosexueller aus.“

„Touché!“

Peer leckt sich über die Lippen und sieht zu mir. „Nur so aus Interesse, du hättest nicht zufällig Lust mir so den Abend zu versüßen?“

Ich ziehe einen Schmollmund und weiche seinem Blick aus. Ich hätte es besser für mich behalten sollen!

„Hey, hey, das sollte nur ein Scherz sein!“, meint Peer und klopft mir auf die Schulter. Er lächelt schief und seufzend nicke ich. „Ist gut...“

Der Reiskocher piept und so stelle ich ihn aus. „Das Gemüse ist auch fertig!“, meint Peer zufrieden. Wir nehmen Teller und Besteck aus den Schränken, füllen die Teller und verkrümeln uns mit dem Essen auf Peer's Bett vor den Fernseher, wo wir die Nachrichten verfolgen.

Das Wasser hat sich über eine ziemlich weite Fläche erstreckt und wie es scheint ist also nicht nur meine Stadt davon betroffen.

„Wie lange es wohl dauert, bis das Wasser sich wieder zurückzieht?“

Peer sieht zu mir. „Keine Ahnung, aber du kannst wirklich so lange hier bleiben. Ich habe gerne Gesellschaft. Ich mag dich.“

Ich sehe zu ihm und nicke, nur um wieder zum Fernseher zu sehen. So viel Wasser, überall.

Es ist schrecklich ansehen zu müssen, wie viele Menschen ihr Heim verloren haben. Wer weiß, wie viel Geld und Zeit sie darin investiert haben und mal so eben über Nacht ist alles dahin. Ich spüre den Kloß in meinem Hals. Meine Wohnung, meine Möbel, das ist mein Zuhause, mein Zufluchtsort.

Peer's Hand krault mich am Kopf, wuschelt mir durch die Haare und leicht lehne ich mich dagegen. Es tut gut, nicht alleine sein zu müssen. Zu wissen, dass da jemand ist, der einem beisteht, egal, ob es nun Familie ist oder nicht.

„Ich komme nachher mit zum Deich.“

Entschlossen sehe ich Peer an und der nickt mir lächelnd zu. „Wir können jede helfende Hand brauchen!“, meint er und vertilgt den Rest des Mittagessens.

 

Kurz nach dem Essen ziehen wir uns warm an und machen uns auf den Weg zum Deich. Es sieht wirklich nicht gut aus, aber einige Leute sehen es positiv und sind sich scheinbar sicher, dass wir ihn mit Sandsäcken abdichten können, um größeren Schaden zu vermeiden.

Ein Laster steht in der Nähe, von dem Sandsäcke fleißig zum Deich weitergereicht werden. Peer und ich gesellen uns zu den freiwilligen Helfern und geben unser Bestes.

Irgendwie fühle ich mich gut, der Stadt zu helfen, meinen Teil beitragen zu können. Peer grinst mir zu und ermutigt lege ich mich ins Zeug.

Immer mehr Leute kommen und helfen, neue Sandsäcke werden mit Lastern gebracht, Anwohner verwöhnen uns mit Essen und Getränken, die zum Teil auch von Hilfsorganisationen kommen und obwohl die Situation so viel Schaden verursacht hat, hat sie uns Menschen nur tiefer miteinander verschweißt. Wir machen alle dasselbe durch, können nachempfinden wie es den Nachbarn geht und so langsam wird mir klar, dass die Menschen keine gefühlskalten Egoisten sind, auch wenn ich es vorher immer dachte. Wenn es hart auf hart kommt, halten wir zusammen!

 

Völlig geschafft lehne ich am Laster und trinke in großen Schlucken aus einer Wasserflasche. Ich sehe wie Peer zu mir kommt. „Genug für heute! Du siehst aus, als würdest du mir hier gleich zusammen brechen!“, meint er mahnend, muss aber schmunzeln. Peer lehnt sich neben mir an den Laster und sieht zu den anderen Helfern, die noch dabei sind den Deich abzudichten.

„So langsam taust du wieder auf, was? Ich habe dich beobachtet. Scheinbar muss man dir nur einen kleinen Schubs geben, dann kannst du auch mit anderen Leuten zusammenarbeiten.“

Ich sehe zu Peer und lächele kurz, kaum merkbar. Gut möglich, dass er Recht hat.

„Gehen wir?“ Peer nickt.

 

Ich kann mir nichts besseres vorstellen, als ein warmes Bad, nach so einem anstrengenden Tag. Genüsslich räkele ich mich in der Wanne von Peer und puste den Schaum durch den Raum. Ich lehne meine Arme auf den Wannenrand und wiege den Kopf nach links und rechts.

Irgendwie muss ich mich wohl bei Peer erkenntlich zeigen. Nur wie?

Immerhin darf ich hier eine Weile leben und wer weiß, wie lange das dauern wird?

„Matthis! Kann ich kurz reinkommen?“

Ich sehe auf und sehe mir das verwüstete Bad an. „Äh, okay...“, erwidere ich zögerlich.

Peer öffnet die Milchglastür und staunt nicht schlecht, was ich in der kurzen Zeit aus seinem Bad gemacht habe. Schuldbewusst sehe ich zu ihm. „Ich mache das noch sauber...“

Peer winkt ab. „Schon gut!“, meint er grinsend und geht zum Schrank. Er wühlt in dem Medizinschrank herum und sieht sich die kleinen Dosen mit den Tabletten an. „Wo habe ich die nur wieder hingestellt?“, murmelt er leise.

Verwundert sehe ich zu ihm. „Bist du krank?“

Scheinbar hat Peer gefunden, wonach er gesucht hat. Er hält eine Dose in der Hand, kommt zu mir und setzt sich auf den Badewannenrand.

„Ich habe HIV. Ich werde wahrscheinlich nicht immer so gut aussehen!“, witzelt er und schüttelt die Dose mit den Tabletten ein wenig. „Ein Freund hat mich damit angesteckt. Wir wussten damals nicht, dass er krank war und von wem er es hatte.“

Ich nicke und weiche ein wenig zurück. „HIV ist übertragbar...“

„Keine Sorge, ich passe schon auf, dass du es nicht bekommst. Es reicht, wenn ich so zugrunde gehen muss.“

Ich sehe zu Peer auf und irgendwie tut er mir Leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll und knabbere stattdessen auf meiner Unterlippe herum.

„Ich hänge das nicht an die große Glocke, weißt du... Das ist nicht mein Ding und ich will auch kein Mitleid. Im Grunde genommen bin ich selber schuld, weil ich die Krankengeschichte meines Freundes nicht kannte. Ich hätte von ihm verlangen sollen, dass er sich vorher abchecken lässt, aber ich habe es nicht gemacht, weil ich meinen Spaß wollte und keine Rücksicht auf meine Gesundheit genommen habe. Tja, jetzt habe ich die Quittung dafür bekommen.“

Ich kauere mich in der Wanne zusammen. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus dem Wasser, betrachte sie eingehend und greife zögernd nach Peer's Hand. Sie ist warm.

„Ich beneide dich irgendwie...“, murmele ich.

Peer lacht auf. „Wieso?!“

„Ich bin gesund, aber ich verstecke mich in meiner Wohnung, weil ich Angst vor Menschen habe. Du bist krank, aber du versteckst dich nicht. Du gehst nach draußen und zeigst der Welt, das die Krankheit vielleicht deinen Körper beherrschen kann, aber nicht dich. Du bist stark!“

Peer lächelt. „Du machst mich ganz verlegen!“

„Ich bin froh, dass du heute morgen in meine Wohnung gekommen bist!“, meine ich und sehe ihm das erste Mal richtig in die Augen. „Ich wüsste nicht, was ich sonst hätte tun sollen! Wahrscheinlich gar nichts. Ich hätte nur dumm herum gesessen und mich bemitleidet.“

Peer sieht auf meine Hand, wie mein Daumen seinen Handrücken streichelt.

„Du bist, mit deiner offenen Art, seit langem der erste Mensch, mit dem ich wirklich geredet habe und es tut gut, weißt du? Heute am Deich, da hatte ich das Gefühl, dass ich Berge versetzen kann und ich bin mir sicher, dass ich auch bald in der Lage bin, vielleicht wieder mit meinen Eltern zu reden. Ich brauche noch ein wenig Zeit, aber irgendwann kann ich es bestimmt wieder, weil sie mir fehlen.“

Peer nickt und presst die Lippen aufeinander. „Weißt du was? Wäre ich nicht krank, würde ich dir jetzt einen Knutscher verpassen, den du nicht so schnell vergisst!“ Er grinst, als ich ihm empört mit Badeschaum bewerfe. „Hey, das war ein Kompliment! Also daran müssen wir aber noch arbeiten!“, meint er lachend und flüchtet aus dem Badezimmer. Bevor er die Tür schließt, steckt er noch schnell seinen Kopf durch die Tür. „So nackt, bist du echt ein Hingucker!“

„Jetzt reicht's aber!“ Lachend reiße ich ein Handtuch vom Haken, knülle es zusammen und werfe damit nach ihm.

Ich lasse mich zurück in die Wanne sinken und mache es mir wieder gemütlich. „Auf schlechte Zeiten, folgen auch wieder gute...“, murmele ich leise. Ich summe eine Melodie, die mir in den Kopf kommt und tauche kurz im Wasser unter und lächele.

Wasser kann so viel zerstören, aber in einer Badewanne wirkt es so harmlos.

Und wenn schon, meine Wohnung ist vielleicht unbewohnbar geworden, aber mir geht’s gut und das ist das Wichtigste!

Impressum

Texte: Sandra Marquardt
Bildmaterialien: Google
Lektorat: Lihiel
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2013

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