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Prolog: Wide Awake

Schwerfällig setze ich einen Schritt vor den anderen. Mir fällt es nicht leicht, das Gleichgewicht zu halten. Die Sicht ist trübe, vom Alkohol geschwächt. Wie viel ich getrunken habe? Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, habe einfach nicht mehr darauf geachtet. Wozu? Interessiert doch eh keinen. Ich kann soviel trinken, wie ich will. Es interessiert niemanden.

Es ist kühl und so schlinge ich meine Arme um meinen Körper. Wieso musste ich auch meine Jacke zu Hause liegen lassen? Ein frischer Wind bläst mir ins Gesicht und am liebsten wäre ich schon daheim. Leider ist die Party ein ganzes Stück von meinem Haus entfernt gewesen und so muss ich leider zu Fuß gehen, da hier kein Bus mehr fährt, ganz zu schweigen von einem Zug.

Vielleicht hätte ich mir um diese Uhrzeit doch noch ein Taxi rufen sollen?

Man weiß ja nie, was sich so für Leute nachts auf den Straßen herumtreiben!

Beinahe stolpere ich über einen Stein und bleibe stehen. Ich drehe mich herum und starre den Gegenstand verständnislos an. Wieso liegt der hier mitten im Weg? Genau da, wo ich gehe?

Gereizt ziehe ich mein Bein nach hinten, nehme ordentlich Schwung und trete den Stein weg. Der Stoß klappt prima, nur den Stein treffe ich nicht. Stattdessen verliere ich mein Gleichgewicht und falle unsanft zu Boden.

„Aua...“, murre ich und bleibe sitzen. Der Stein liegt immer noch an Ort und Stelle. Wütend hebe ich ihn auf und werfe ihn so weit weg wie nur möglich.

„Schon besser!“, entfährt es mir, ehe ich mühsam aufstehe und versuche mein Gleichgewicht beizubehalten. Beinahe falle ich erneut zu Boden, kann mich jedoch an einer Straßenlaterne festhalten.

Müdigkeit steigt in mir auf. Ich halte mich an den Hauswänden fest und laufe weiter, wobei meine Beine eindeutig zu schnell für meinen Geschmack sind. Wahrscheinlich laufen sie vor mir davon.

„Komm schon, Clemens! So weit is' es nich' mehr...“, meckere ich und endlich erreiche ich die Brücke.

Unter der Brücke fließt trübes Wasser hindurch, das man in der Dämmerung kaum richtig sehen kann. Es wirkt schwarz, trüb und unheimlich. Mein Blick fällt auf die Brücke, an der man schon sehr deutlich die Alterserscheinungen, als breite Risse, sehen kann.

In der Mitte steht jemand. Ich kann es von meinem Standpunkt aus nicht richtig erkennen, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Ich kneife die Augen zusammen und gebe mein Bestes, doch irgendwie klappt es nicht so richtig.

Ich torkele weiter und betrachte im Gehen die Person auf der Brücke. Plötzlich beginnt sie sich in Bewegung zu setzen. Nur langsam. Sie läuft auf die andere Seite, ans Ufer und bleibt dort stehen.

Was soll das werden?

Ich gehe weiter und erreiche endlich die Brücke. Ich bleibe stehen, halte mich an der Brüstung fest, schwanke gefährlich und lalle der Person zu. „Selbstmord is' out!“

Die Person sieht zu mir auf, doch noch immer kann ich das Gesicht nicht richtig erkennen. Dazu steht diese Person einfach zu weit von mir entfernt. Nur mühsam schaffe ich das andere Ufer zu erreichen.

Die fremde Person ignoriert mich, schaut wieder ins Wasser und mich beschleicht das Gefühl, dass diese Person gleich nicht mehr lange leben wird, wenn ich nichts unternehme. So schnell ich kann, sehe ich zu, dass ich diesen Menschen vor einem großen Unglück bewahre und greife nach der Jacke dieser Person, gerade als diese sich umdrehen will und ich natürlich viel zu viel Schwung mitbringe.

Mehr als nur unglücklich landen wir mit einem lauten Platschen und einem Schrei meinerseits im Wasser.

Prustend komme ich wieder an die Oberfläche, plansche mit meinen Armen, wie ein Fisch im Trockenen und merke erst jetzt, dass ich noch locker stehen kann. Ich fahre mir mit den Händen durch das Gesicht und streiche meine Haare nach hinten.

Wasser spritzt mir ins Gesicht, als der Junge neben mir seinen Kopf schüttelt. Ein Junge also.

Ich drehe mich zu ihm um und starr sehen wir einander an.

„Andreas?“, frage ich ihn ungläubig. Bei näherer Betrachtung sieht er tatsächlich aus wie mein Klassenkamerad. Seine blonden Haare hängen ihm tropfend im Gesicht. Er sieht nicht minder überrascht aus.

„Du bist ganz nass...“, kommt es sehr klug von mir, ehe mir auffällt wie dämlich es sich anhört.

Andreas lächelt matt und nickt. „Du siehst auch nicht besser aus.“

Ich sehe an mir herunter und grinse. Keine Ahnung wieso, aber auf einmal finde ich das alles sehr witzig und fange an zu lachen. Andreas sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Muss wohl am Alkohol liegen.

„So ein Scheiß...!“, meine ich und wringe meine Ärmel aus. Andreas grinst und streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht.

Ich sehe ihm dabei zu und mit einem Mal überkommt mich dabei ein komisches Gefühl. Sein Blick, der kurz in die Ferne gerichtet ist, ehe er mich wieder ansieht, sein leicht geöffneter Mund...

Ich kann kaum meinen Blick von ihm abwenden.

Fragt sich nur, wieso?

Im nächsten Moment erhalte ich auch schon meine Antwort, denn ehe ich mich versehe, stehe ich auch schon vor Andreas, halte sein Handgelenk fest, damit er nicht weglaufen kann und beuge mich zu ihm vor.

Andreas sieht mich an, doch ehe er etwas erwidern oder machen kann, küsse ich ihn. DAS muss wirklich am Alkohol liegen!

Nicht minder verwirrt als Andreas drücke ich meine Lippen fester auf seine und ziehe ihn näher an mich heran. Mit beiden Händen halte ich den Jungen in meinen Armen fest und schiebe ihm frech meine Zunge in den Mund. Ich spüre, wie sich seine Finger in meine Kleidung krallen und zu meiner großen Überraschung beginnt Andreas den Kuss zu erwidern.

Was läuft hier nur falsch?

Kapitel 1: Inside and Out

„Morgen!“

Ich sehe zur Seite und starre direkt in das Gesicht, dass ich seit dem Kuss am Wochenende nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Erstaunlich, dass ich mich daran noch erinnern kann, dafür das ich so besoffen gewesen bin.

Ich erwidere nichts und weiche seinem Blick aus.

Fühlt er sich jetzt verpflichtet mit mir zu reden, nur weil wir uns geküsst haben? Ich meine, es war nur ein Kuss! Deswegen müssen wir nicht gleich Freunde werden.

„Hast du dich erholt?“, fragt Andreas und steht noch immer an Ort und Stelle.

Mürrisch zucke ich mit den Schultern. Kann er nicht jemand anderem auf die Nerven gehen?

„Schwirr ab!“, brumme ich und krame in meinem Rucksack, in dessen Tiefen sich irgendwo mein Kugelschreiber versteckt.

„O-okay...“, erwidert Andreas verunsichert und geht tatsächlich weg. Ich drehe mich herum und sehe ihm nach, wie er zu seinen Freunden geht.

„Natürlich habe ich mich erholt. Ich erinnere mich noch bestens an unser Treffen...“, brumme ich und wühle weiter in meinem Rucksack. Vergebens, der Stift ist einfach nicht zu finden. Ich lasse den Rucksack achtlos runterfallen und blicke zur Tafel.

Eigentlich sollte ich ihn lieber fragen, ob es ihm gut geht. Wir haben uns zwar geküsst, aber viel geredet haben wir nicht. Auch nicht, warum er mitten in der Nacht bei der Brücke am Wasser stand.

Wollte er sich wirklich umbringen?

Aus welchem Grund?

Ich schüttele den Kopf. Kann mir doch egal sein. Ich kenne den Kerl so gut wie gar nicht.

Mein Blick wandert wieder zu ihm. Er redet über irgendetwas und lacht. Im nächsten Moment sehe ich zu, wie seine sogenannten Freunde ihm das Geld abluchsen und damit verschwinden. Andreas bleibt allein zurück, lächelt dümmlich vor sich hin. So ein Idiot! Lässt der sich einfach von ihnen als Geldautomat benutzen.

Wie kann man nur so naiv sein? Das Geld sieht er in tausend Jahren nicht wieder!

Ich drehe mich hastig um, als er zu seinem Platz geht.

„Loser...“, flüstere ich leise.

Der Unterricht zieht sich unbarmherzig in die Länge und gelangweilt starre ich aus dem Fenster. Dieser Abend will mir wirklich nicht mehr aus dem Kopf gehen. Hey, immerhin habe ich meinen Klassenkameraden davon abgehalten sich zu ertränken, auch wenn ich glaube, dass das Wasser dafür nicht tief genug ist.

Vielleicht hat er auch nur etwas verloren und wollte es suchen? Nur, war es dafür nicht ein wenig zu dunkel so mitten in der Nacht?

Ich seufze und raufe mir die Haare. Dieser kleine Blondschopf soll endlich aus meinen Gedanken verschwinden! Was interessiert es mich, was er für Probleme hat? Da ist er immerhin nicht der einzige Mensch! Wieso sollte ausgerechnet ich mich dazu verpflichtet fühlen ihm zu helfen?!

Ich linse zu ihm rüber. Andreas knabbert an seinem Daumen, scheint mit den Aufgaben an der Tafel überfordert zu sein und radiert dauernd auf seinem Blatt Papier herum. Er bemerkt meinen Blick und sieht zu mir rüber. Einen Moment sehen wir uns einfach nur an, ehe er mir ein zögerliches Lächeln schenkt und ich prompt den Kopf abwende.

Ich gucke wieder aus dem Fenster und versuche dieses Lächeln aus meinem Kopf zu kriegen. Wie kann so etwas harmloses meinen Puls zum Rasen bringen?!

 

In der Pause stehe ich etwas abseits. Ich habe sowieso auf niemanden hier Bock. Wenn ich mit der Schule fertig bin, muss ich diese Idioten hier eh nicht mehr sehen, dann mache ich meine Ausbildung und dann geht’s an Geld scheffeln!

Ich grabe in meiner Hose nach meinen Kippen und verschwinde eine Hauswand weiter in eine Nische, wo man mich vom Schulhof aus nicht mehr sehen kann. Umringt von Büschen hocke ich mich hin und zünde mir eine Zigarette mit dem Zippo meines Vaters an, das ich ihm irgendwann mal abgeluchst habe. Genüsslich nehme ich einen Zug und schließe die Augen.

„Clemens?“, höre ich eine ruhige Stimme, zucke trotzdem heftig zusammen und sehe auf. Andreas schaut um die Ecke und sieht mich abwartend an.

„Ah! Komm her oder verschwinde! Sonst kommt noch irgendein dämlicher Lehrer hier vorbei!“, meckere ich ungehalten und so sieht Andreas über seine Schulter zurück, was mir tierisch auf den Sack geht, also packe ich ihn am Handgelenk und zerre ihn zu mir. Andreas stolpert und fällt auf den Boden zu meinen Füßen.

Er lächelt verlegen, hockt sich hin und klopft sich den Dreck von der Hose. Ich beobachte ihn dabei mürrisch und nehme noch einen Zug, blase den Rauch direkt in sein Gesicht, was Andreas zum Husten bringt.

Ich weiß nicht wieso ich das mache...

Will ich ihn zum Heulen bringen, ihn aus der Reserve locken oder ihn einfach nur provozieren?

Andreas sieht wieder zu mir, lächelt verlegen und kratzt sich am Nacken. „Wolltest du vorhin eigentlich was sagen? Ich meine im Unterricht? Du hast mich so angeguckt...“

Ich zucke genervt mit den Schultern. Was soll ich ihm schon sagen wollen?

„Sieht nicht so aus!“, brumme ich und betrachte Andreas Gesicht. Seine blonden Haare sehen ein wenig struppig aus, aber das hat seinen ganz eigenen Charme. Er trägt einen grauen Pullover und darüber ein kurzärmeliges blau verwaschenes Hemd zum Zuknöpfen. Seine dunkelblaue Jeans und die Turnschuhe sind nichts besonderes und doch irgendwie passt es zu ihm. Trotzdem ist es kein Vergleich zu meinem Aussehen. Meine Haare sind eigentlich braun, aber ich habe sie oben blond gefärbt, so dass trotzdem noch einige braune Strähnen stylisch hervorlugen. Heute trage ich ein schwarzes Shirt und einem blauen Fleck darauf und irgendeinem Spruch, den eh keine Sau interessiert. Hauptsache es sieht cool aus! Meine Jeans sind auch neu, sehen nicht so mitgenommen aus wie die von Andreas.

Und doch ist es mir scheiß egal, wie er angezogen ist, welche Marken er trägt oder wann er sich zuletzt neue Klamotten gekauft hat, denn wenn er mich anlächelt, so wie jetzt im Moment, dann verkümmern auch meine letzten Gehirnzellen und der Kuss taucht vor meinem Inneren Auge auf. Dieser eine kleine unbedeutende Kuss im Wasser.

Verlangend greife ich nach Andreas Arm und ziehe ihn zwischen meine Beine. Verwirrt sieht er zu mir auf und plumpst unsanft auf den Boden. Seine linke Hand greift in mein Bein und sucht dort nach Halt.

Ich drücke die Zigarette im Dreck neben mir aus, lasse sie dort achtlos liegen und ziehe Andreas Kopf zu mir. Ich lecke mir kurz über die Lippen und küsse ihn einfach weil mir gerade danach ist.

Andreas macht erst mal gar nichts, sitzt nur zwischen meinen Beinen und verstärkt den Griff in meinen Oberschenkel. Doch dann taut er langsam auf, erwidert den Kuss und greift mit seiner Hand, die mein Bein malträtiert hat in mein Shirt, lehnt sich mit seinem Körper an mich und genießt den Kuss seufzend.

Ich lasse mich ebenfalls zu Boden sinken und lasse meine rechte Hand unter Andreas' Shirt verschwinden. Seine Haut ist angenehm warm und neugierig erforsche ich seine weiche Haut, necke seine Brustwarzen und streiche mit der Hand an seinem Hosenbund vorbei.

Andreas genießt den Kuss genauso sehr wie ich, drückt sich fester an mich und so hören wir nur am Rande wie die Schulglocke läutet. Mit verklärtem Blick sieht Andreas zu mir auf und leckt sich über die feuchten, leicht geschwollenen Lippen.

„Lass uns schwänzen!“, fordere ich ihn mit rauer Stimme auf und räuspere mich hastig. Er nickt nur und küsst mich, öffnet seinen Mund leicht und grinsend schiebe ich ihm meine Zunge in den Mund, erforsche seine Mundhöhle ein weiteres Mal und umgarne seine Zunge.

Mit der Hand öffne ich flink seine Hose und lasse sie in seiner Boxershorts verschwinden. Andreas stöhnt in den Kuss hinein und drückt sich gegen meine Hand, während ich ihn befriedige.

Ich löse mich von seinen Lippen, lecke noch mal kurz darüber und küsse mich über seine Wange zum Hals hinunter und verstecke mein Gesicht in seiner Halsbeuge, küsse ihn dort ausgiebig und lausche den heißen Geräuschen, die der Junge in meinen Armen von sich gibt.

Andreas warmer Atem streift meinen Nacken, ehe er ihn mit Küssen bedeckt und ich seine weichen Lippen dort spüre.

„Ich mag dich...“, flüstert er leise, kaum hörbar, was mir jedoch einen Schauer nach dem anderen über den Körper jagt.

Ich umgreife seinen Penis fester, massiere ihn, damit der Junge auf andere Gedanken kommt und mich hier nicht noch mit Liebesschwüren vollsülzt. Im Grunde genommen gefällt mir der Gedanke, ihn hier in meinen Armen zu halten, aber ich habe keinen Bock mit ihm reden zu müssen oder irgendwelchen Dinge nachzugehen, die Paare für gewöhnlich zu tun pflegen.

Das ist einfach nicht mein Ding und ich fürchte Andreas ist zu naiv, um von alleine darauf zu kommen. Er braucht jemanden, der ihn wirklich liebt und nicht mich.

Allerdings kann ich ihn mir schlecht mit einem Mädchen vorstellen. So ein schüchternes Ding würde den Mund nicht aufkriegen und Andreas ist bestimmt zu dumm, um es zu bemerken. Dann würden sie nur schweigend rumsitzen und Löcher in die Luft starren wie Schweizer Käse!

Dann vielleicht ein energisches Mädchen? Nein, auch nicht. Sie würde ihn wohl nur herumkommandieren und Andreas würde es auch noch tun, weil er eh alles mit sich machen lässt.

Ich ziehe meinen Kopf zurück, sehe auf Andreas gesenkten Kopf, wie er den Mund leicht geöffnet hat, ihm ein leises Stöhnen entrinnt und wie er die Augen öffnet und zu mir aufsieht.

Ich küsse ihn erneut und drückte ihn fest an mich. Er ist mir doch schon längst verfallen...

Andreas küsst mich eindringlich und wird unruhig, bis er in meiner Hand kommt und sich entspannt, gegen meine Lippen atmet und sich an meine Schulter lehnt.

Ich ziehe meine Hand aus seiner Hose, besehe mir das Sperma und weiß irgendwie nicht wohin damit.

„Ich habe kein Taschentuch dabei...“, murmelt Andreas als er mein Dilemma bemerkt.

Grummelnd überwinde ich mich und lecke es mir einfach von der Hand, anschließend wische ich mir die Hand an meinem Shirt ab.

„Sorry...“, murmelt Andreas.

„Ist egal.“ Ganz so furchtbar hat es nun doch nicht geschmeckt, zumindest musste ich mich nicht übergeben, also ist es okay. Ich senke den Kopf und küsse ihn noch mal gierig. Andreas schlingt seine Arme um meinen Nacken und da wir beide keine Lust haben zurück in die Klasse zu gehen, bleiben wir einfach hier sitzen, küssen uns hin und wieder und sitzen einfach nur rum.

Grinsend lecke ich Andreas übers Ohr, woraufhin er zusammen zuckt und leise lacht. „Das kitzelt!“, meint er amüsiert und sieht zu mir auf, küsst flüchtig meine Lippen und lehnt sich dann an mich.

„Wieso lässt du dich von den Jungs so ausnehmen?“, frage ich ihn nun doch, einfach weil es mich interessiert, dass er so dumm ist und sich das Geld praktisch aus den Händen reißen lässt. Er sieht mir nicht danach aus, als hätte er Geld im Überfluss.

„Na ja, Freunden kann man doch mal was geben?“, meint er irritiert.

Ich lache laut auf. „Bist du echt so blöd?“

Verletzt sieht Andreas zu mir auf. „Ich bin nicht blöd!“, meint er gekränkt.

„Merkst du das nicht? Die nehmen dich nur aus! Die wollen nur dein Geld, du bist ihnen völlig egal! Wenn sie Geld von dir wollen, dann leihe es ihnen, am besten noch mit Zinsen!“, erwidere ich heftig.

Andreas knabbert auf seiner Unterlippe.

„Heulst du jetzt?“, frage ich ihn stirnrunzelnd.

„Nein, tue ich nicht!“, schluchzt er und wendet den Blick von mir ab, so dass ich ihm nicht ins Gesicht sehen kann.

„Doch, tust du...“, meine ich ruhig und streiche ihm durch die Haare.

„Sie meinten, ich kriege das Geld wieder und dann kamen sie wieder an und wollten noch mehr. Das andere Geld kriege ich schon noch zurück. Sie sind dann immer so nett und irgendwie kann ich es ihnen auch nicht abschlagen, ich meine, wir sind doch in einer Klasse. Wir sind doch Freunde.“

„Andreas! Das sind keine Freunde, das sind Arschlöcher! Krieg das in den Kopf! Und leihe ihnen kein Geld mehr!“, erwidere ich unwirsch. „Die halten dich für dumm, weil du dich so von ihnen ausnehmen lässt. Die nehmen dich nicht ernst!“

Andreas schnieft und reibt sich kurz verstohlen über die Augen. „Aber sie haben gesagt...“

„Kein aber!“, meckere ich. „Scheiß drauf, was diese Deppen dir sagen! Ignoriere sie und gib ihnen kein Geld mehr!“

Andreas sieht mit verzogenem Mund zu mir auf. „Okay...“

„Braver Junge.“ Ich streiche ihm durch die Haare und ziehe Andreas wieder an mich.

„Du nimmst mich auch nicht aus?“, fragt er nach einer Weile.

Verwirrt sehe ich zu ihm herunter. „Wieso sollte ich so einen Bullshit machen?“

„Weiß nicht.“ Andreas wird wieder still. Er schmiegt sich an mich und lässt sich von mir kraulen. Der Junge ist ja richtig verschmust, muss ich feststellen.

Ein verstohlenes Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, ehe ich es bemerke und sofort wieder von dort verbanne.

Ich lehne meinen Kopf an die Wand hinter mir und fahre mir mit der Zunge über die Zahnreihen, während ich überlege, ob ich Andreas nicht doch mal fragen soll, was los ist. Ich kann mich nur nicht so richtig aufraffen. Wer sagt mir denn, ob er überhaupt mit mir darüber reden will und mal ehrlich, ich habe nicht wirklich Lust einen auf Seelsorger zu machen!

Das gehört einfach nicht zu meinen Stärken.

 

Den Rest des Schultages habe ich Andreas in der Klasse ignoriert und in den Pausen hinter den Büschen vernascht.

Wie soll das nur weitergehen? Auf Dauer kann das doch nichts werden!

Jetzt stehe ich hier an der Bushaltestelle, tausche mit Andreas Nummern aus und warte auf meinen Bus, während er mir Gesellschaft leistet.

Auf der einen Seite stoße ich ihn von mir weg und auf der anderen Seite kann ich einfach nicht genug von ihm kriegen. Das macht doch keinen Sinn!

Wenn er mir peinlich ist, dann sollte ich lieber auf Abstand bleiben. Ist es dafür nicht längst zu spät?

Andreas steht nahe neben mir, ich spüre, wie seine Finger vorsichtig nach meiner Hand suchen. Ich sehe zu ihm, wie er versucht sich nichts anmerken zu lassen und mir trotzdem nahe sein möchte.

Ich ziehe meine Hand zurück, gerade als er sie schüchtern umgreifen will und stecke sie in meine Hosentasche.

Andreas lässt seine Hand sinken und knabbert auf seiner Unterlippe. Ich sehe mich verstohlen um. Wir sind zurzeit die einzigen Leute hier, der Bus ist nur noch wenige Meter von uns entfernt und wartet an einer Ampel. Als er sich wieder in Bewegung setzt, beuge ich mich zu Andreas und küsse ihn, ehe ich mich wieder von ihm abwende und warte bis der Bus ankommt.

Die Tür öffnet sich, ich steige ein und laufen nach hinten durch, setze mich an einen freien Fensterplatz und sehe zu Andreas, der mir leicht verlegen zulächelt.

Ich presse meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Stört es mich wirklich so sehr, dass ich mich zu einem Jungen hingezogen fühle? Eigentlich nicht. Es stört mich nicht. Genauso wenig würde es mich stören, wenn es nun ein Mädchen wäre. Ich habe mir da von Anfang an keine Gedanken gemacht, auch nicht als ich Andreas geküsst habe. Um solche Dinge mache ich mir keine Gedanken, ich will nur nicht in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, dass andere es nicht so toll finden, wenn ich mit einem Jungen zusammen bin. Also gehe ich dem Problem gleich aus dem Weg, indem ich es heimlich mache.

Dass ich Andreas damit verletze ist mir klar. Ich bin nun mal ein Egoist.

Ich lehne meinen Kopf gegen die kalte Scheibe und starre auf die Rückenlehne vor mir.

 

Als ich Zuhause ankomme ist natürlich niemand da. Meine Eltern sind beide berufstätig und ich Einzelkind.

Ich ziehe mir am Eingang die Schuhe aus, lasse meinen Rucksack zu Boden fallen und gehe direkt in die Küche um mir mein Mittagessen aus dem Kühlschrank zu holen und in der Mikrowelle aufzuwärmen. Ich setze mich damit an den Küchentisch und schiebe das karge Mahl in mich rein, als hätte ich schon tagelang nichts Vernünftiges mehr zu essen bekommen. Na ja, diese Fertiggerichte sind auf Dauer auch nicht so wirklich das Wahre.

Nicht wirklich satt, aber auch nicht mehr total hungrig, schiebe ich den Teller von mir, nehme mir die Fanta aus dem Kühlschrank und gehe in mein Zimmer, wo ich mich aufs Bett werfe und den Fernseher anschalte.

Gelangweilt zappe ich durch die Kanäle, bleibe auf einem Musikkanal hängen und schließe meine Augen. Die Fernbedienung fällt mir aus der Hand und landet auf dem Boden. Ich lausche der Musik und drehe mich auf den Rücken, ziehe mein Hemd hoch und streichele meinen Oberkörper. Langsam wandert meine Hand tiefer. In Gedanken erinnere ich mich an diesen verrückten Tag, vor allem an die heißen Pausen, an Andreas harten Schwanz, seine zarten Lippen und sein Sperma, dass ich tatsächlich mehr oder weniger geschluckt habe, also indirekt.

Ich öffne hastig meine Hose, gleite mit meiner Hand hinein und verschaffe mir Befriedigung.

Nur leider reicht mir das irgendwie nicht. Irgendwie sehnen sich meine Hände nach Andreas Körper, der weichen Haut und meinen Penis würde ich nur zu gerne tief in ihm versenken.

Seufzend versuche ich mir seinen Körper vorzustellen und lasse meiner Fantasie freien Lauf, bis ich erschrocken zusammenzucke, als mein Handy eine Melodie abspielt.

Mürrisch ziehe ich meine Hand aus meiner Hose und greife mit der anderen nach dem Handy. Eine neue Mitteilung. Verwundert öffne ich sie, bis mir wieder in Sinn kommt, dass ich ja heute Andreas meine Nummer gegeben habe.

Bist du schon zuhause? Ich würde dich jetzt so gerne sehen.

Verwirrt sehe ich auf die Nachricht. Himmel, der Junge hat sich scheinbar total in mich verguckt und das nur weil ich ihn geküsst und befriedigt habe?

Ich raufe mir die Haare und tippe schnell eine Nachricht ins Handy, um sie abzuschicken und warte angespannt auf seine Antwort. Kurz darauf trifft wieder eine Mitteilung ein.

Ich kann jetzt nicht zu dir kommen. Ist ein schlechter Zeitpunkt. Wir sehen uns morgen in der Schule.

„Was soll das denn? Erst faselt er was von wegen er will mich sehen und wenn ich ihn schon einlade, kann er doch rüberkommen! Warum passt es ihm jetzt nicht?“ Irritiert werfe ich das Handy aufs Bett und lege mich wieder auf den Rücken. „Komischer Kerl!“, murre ich.

„Ist ein schlechter Zeitpunkt...“, murmele ich leise vor mich hin. „Was meint er damit?“

Ich greife ächzend nach meinem Handy und schreibe ihm zurück. Wenn, dann will ich wenigstens einen Grund wissen.

An diesem Tag erhalte ich keine Nachricht mehr von ihm.

Kapitel 2: Waiting in vain

Am nächsten Morgen warte ich am Schultor auf Andreas, was ich mir allerdings nicht anmerken lassen will, also rauche ich noch eine Kippe, immerhin stehe ich vor der Schule und nicht auf dem Grund und Boden davon. Dann kann ich auch eine Zigarette rauchen. Trotzdem halte ich wachsam die Augen offen, damit mich doch kein Lehrer erwischt.

Scheinbar lässt Andreas sich Zeit. Also tue ich dasselbe und rauche genüsslich meine Zigarette und zeige allen den Mittelfinger, die Naserümpfend an mir vorbei laufen.

Als es klingelt gehe ich schulterzuckend zu meinem Schulgebäude, werfe die Kippe auf den Boden zertrete sie und suche meine Klasse auf.

Auch als die Lehrerin endlich eintrifft ist Andreas noch nicht erschienen. Verwundert sehe ich auf seinen leeren Platz neben mir, denke mir jedoch nichts weiter dabei. Vielleicht ist er nur einfach krank oder so?

Ich widme mich dem Unterricht, der genauso langweilig ist wie gestern und sich endlos lange hinzieht. Ich starre mehr aus dem Fenster und betrachte die Umgebung, als dass ich mich auf die Lehrerin konzentriere.

Die Tür wird auf einmal grob aufgerissen und alle schauen synchron zum Unruhestifter.

Verlegen lächelnd steht Andreas im Türrahmen und entschuldigt sich bei der Lehrerin. Warum habe ich mir noch gleich Sorgen gemacht? Ist doch alles in Ordnung!

Also ignoriere ich ihn wieder, auch wenn mir aufgefallen ist wie blass der Junge heute aussieht.

Andreas läuft durch die Tischreihen und rückt seinen Stuhl zurück, lässt seinen Rucksack zu Boden fallen und setzt sich auf den Stuhl.

Schulterzuckend sehe ich wieder aus dem Fenster, bis ich ein Scharren höre und zu Andreas sehe, der wieder aufgestanden ist.

„Andreas? Was ist los?“, fragt unsere Lehrerin ihn.

Andreas sieht wirklich blass um die Nase aus, stelle ich fest. „Mi-mir geht’s irgendwie nicht so gut...“, murmelte er leise und hält sich den Bauch. Er geht einen Schritt zur Seite, scheint den Raum verlassen zu wollen und sackt zu Boden.

Ohne lange zu überlegen, stehe ich auf und hocke mich neben ihn, ehe die Lehrerin ihn erreicht.

„Ist dir schlecht?“, frage ich ihn. Andreas sieht apathisch auf den Boden, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst.

„Mein Bauch tut weh...“, murmelt er etwas neben der Spur und verwundert sehe ich zu ihm.

„Darf ich mal?“, fragt unsere Lehrerin und tastet vorsichtig seinen Bauch ab. „Wo genau tut es weh?“, fragt sie ihn, sieht zu Andreas auf, bis er zusammenzuckt und hebt sein Shirt an.

Mit großen Augen starre ich auf seinen Körper.

Wieso zum Teufel habe ich das gestern noch gar nicht bemerkt?

Sein Körper ist mit blauen Flecken und Hämatomen übersät. Hat er es sich nur gestern nicht anmerken lassen? Ich habe ihn da doch berührt, wieso...?

Verwirrt sehe ich in sein blasses Gesicht, während er noch immer auf den Boden zu den Füßen meiner Lehrerin starrt und sich plötzlich doch noch übergibt. Bei dem Anblick des Blutes krampft sich mein Magen zusammen.

Was für eine Scheiße ist das denn?

„Dein Handy!“, meint meine Lehrerin hastig und hält mir ihre Hand hin. Mit erschrockenem Gesicht sehe ich sie einen Moment einfach nur an.

„Clemens! Gib mir dein Handy! Ich muss einen Krankenwagen rufen!“, brüllt sie mich auf einmal an und aus meiner Starre gerissen, greife ich in meine Hosentasche und reiche es ihr. Sie steht auf und wählt den Notruf, während alle unserer Mitschüler auf Andreas gucken, der noch immer benommen auf dem Boden neben mir sitzt.

Hilflos sitze ich neben ihm und starre auf das Blut. Andreas hält sich den Magen und bricht noch einmal, doch zum Glück kommt nicht mehr so viel Blut.

„Was ist passiert?“, frage ich ihn mit leiser zittriger Stimme.

Andreas wischt sich mit den Handrücken über den Mund und atmet tief durch. Seine Hand zittert.

Danach geht alles ganz schnell. Meine Mitschüler werden alle aus der Klasse geschickt, nur ich beharre darauf bei ihm zu bleiben. Kurz darauf hören wir die Sirene des Krankenwagens, Sanitäter kommen in die Klasse, untersuchen Andreas kurz und legen ihn anschließend auf eine Trage, um ihn im Krankenwagen zu verfrachten, der das Schulgelände verlässt.

Noch immer völlig durch den Wind stehe ich mit meiner Schulklasse auf dem Schulhof und sehe dem Krankenwagen hinterher, während die anderen alle leise hinter meinem Rücken tuscheln.

„Okay, die Stunde fällt aus! Ich werde die Klasse sauber machen, verhaltet euch bitte ruhig und stört die anderen Klassen nicht!“, meint unsere Lehrerin und verschwindet im Gebäude. Sie macht auf dem Absatz kehrt. „Ich muss ja noch die Eltern benachrichtigen...“, murmelt sie gedankenverloren und geht zum Hauptgebäude. Ich sehe ihr nach und gehe zu meiner heimlichen Raucherecke.

Dort angekommen zünde ich mir eine Kippe an und nehme einen tiefen Zug, lehne mich an die Wand und schließe die Augen.

„Waren das die Jungs? Nein, kann gar nicht sein. Die waren doch als erste in der Klasse...“, überlege ich. „Außerdem sieht das aus, als wären die schon länger da gewesen. Wer hat ihn so verletzt?“

Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten und schnippe meine Kippe weg. Ruhig bleiben, ich muss ruhig bleiben!

Ich gehe in die Hocke und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich habe schon mal die Kontrolle über mich verloren, noch mal darf das nicht passieren!

Ich meine, so gut kenne ich ihn ja auch gar nicht und von ein bisschen rumfummeln und küssen, sollte ich mich nicht so aufregen. In ein paar Tagen geht es ihm sicher wieder besser. Da bin ich mir sicher! Bestimmt! Es muss einfach so sein!

Innerlich zerfrisst mich diese Unruhe, die Ungewissheit, dass ich nicht weiß, was mit ihm passiert ist und wie es ihm gerade geht. Was ist, wenn er innere Blutungen hat? So was kann nicht immer gestoppt werden? Was, wenn er längst tot im Krankenhaus liegt? Ist er verblutet, lebt er noch?

Ich versuche tief ein- und auszuatmen.

Ich darf mich da nicht reinsteigern. Wir sind nur normale Klassenkameraden, mehr nicht.

Ich kann jetzt nicht zu dir kommen. Ist ein schlechter Zeitpunkt. Wir sehen uns morgen in der Schule.

Ein schlechter Zeitpunkt. Wieso? Wieso? Wieso?

„Scheiße, sag mir doch, was los ist!“, murmele ich und überlege krampfhaft. Wer tut denn so einem naiven Jungen was an? Es sei denn...

„Seine Familie?“, entfährt es mir und eine Gänsehaut überkommt mich. „Behandelt seine Familie ihn etwa so?“

Ich fahre mir mit der Hand über den Nacken. Was kann ich da großartig machen? Häusliche Gewalt ist das Problem der Polizei, die müssen sich darum kümmern.

Wie lange das wohl schon so geht?

Leise lache ich auf. Was sind das für kranke Leute, die ihr eigenes Kind krankenhausreif prügeln?

Was stimmt nur nicht mit solchen Leuten?

Krankenhausreif prügeln. Ich habe gut reden. Ich bin doch auch nicht besser, immerhin habe ich dafür im Jugendknast gesessen.

Zu meinem Leidwesen weiß das so gut wie jeder hier an der Schule, deswegen gehen mir auch alle aus dem Weg und keiner redet mit mir. Allerdings kann ich darauf auch gut und gerne verzichten.

Ich nehme eine weitere Zigarette aus der Packung und zünde sie an. So langsam werde ich wieder ruhiger.

Ich rauche die Zigarette in Ruhe fertig, drücke sie in den Boden und stehe wieder auf. Dann komme ich aus meinem Versteckt und suche meine Lehrerin, die im Lehrerzimmer telefoniert.

Ich warte bis sie auflegt und mich bemerkt. Sie lächelt, zumindest versucht sie es und streicht sich eine braune Locke aus dem Gesicht. „Alles in Ordnung?“, fragt sie mich. Ich nicke. „Wissen Sie wie es ihm geht?“, frage ich sie, doch sie schüttelt nur den Kopf.

„Ich habe eben mit den Eltern telefoniert, konnte aber niemanden erreichen. Ich hoffe, sie hören sich heute noch den Anrufbeantworter an...“

Ich lehne mich gegen den Türrahmen. „Wieso sollten sie das tun? Sind sie nicht schuld an seinem Zustand?“, frage ich meine Lehrerin, die mich erschrocken ansieht. „Was?“

„Na, ich denke, jemand aus der Familie verprügelt ihn.“ - „Bist du dir da sicher?“, fragt sie mich misstrauisch.

„Hier in der Schule gibt es niemanden, der ihn so behandeln würde, also muss es im familiären Umkreis sein!“

Meine Lehrerin überlegt, presst die Lippen aufeinander und sieht angestrengt an mir vorbei.

„Geh zurück auf den Schulhof. Ich werde ein paar Anrufe machen!“, fordert sie mich auf und scheucht mich aus dem Lehrerzimmer.

Mit hochgezogenen Augenbrauen drehe ich mich um und verlasse das Gebäude.

 

Angepisst stehe ich im Flur und sehe die Frau vor mir wütend an. „Können Sie das noch mal wiederholen, ich glaube, ich höre ganz schlecht!“

„Wie gesagt, zurzeit dürfen nur Familienangehörige zu dem Patienten!“, meint die Krankenpflegerin nicht weniger genervt und erwidert standhaft meinen Blick.

„Können Sie nicht eine Ausnahme machen?“, bitte ich sie inständig, doch die Frau schaltet auf stur.

„Verdammt!“, fluche ich, als sie ihres Weges zieht.

Ich lege den Kopf schief und grinse. Als sie aus dem Flur verschwindet, gehe ich schnell zum Zimmer, öffne die Tür und schlüpfe durch den Spalt.

Leise schließe ich sie hinter mir und vernehme nur die leisen steten Geräusche der Maschinen, an denen Andreas angeschlossen ist.

Verarschen kann ich mich auch selber. Zur Hölle mit solchen dummen Regeln!

Ich schleiche mich zum Bett, schiebe den Vorhang zurück und sehe Andreas im Bett liegen. Er ist immer noch blass und trägt eine Atemmaske.

Ich greife nach einem Besucherstuhl und ziehe zum Bett, um mich zu ihm zu setzen. Ich ergreife seine Hand, die ganz kalt ist und reibe sie leicht zwischen meinen Händen.

„Was machst du mir nur für Sachen?“, frage ich ihn leise. „Wieso sagst du niemandem was los ist?“

Ich beuge mich vor und streiche ihm eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Er sieht aus wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe. Wie kann man so ein harmloses Geschöpf nur so verletzen? Er hat doch niemandem etwas getan?

Ich knabbere nervös an meinem Fingernagel. Es ist ein Scheißgefühl, wenn man nichts tun kann!

Man will helfen und kann nichts machen. Mir sind die Hände gebunden. Klar, ich kann zur Familie gehen, sie zur Rede stellen, ihnen drohen, handgreiflich werden. Was bringt mir all das? Letztendlich bin ich es der dann hinter Gittern sitzt und damit leben muss. Wahrscheinlich würde ich damit nur noch alles schlimmer machen, weil Andreas sich dann dadurch schlecht fühlen würde. Nein, das will ich nicht riskieren.

Noch mal so einen Bockmist verzapfen will ich einfach nicht.

Ich fahre mir mit den Händen über mein Gesicht. Ich hätte ihn gestern nicht an der Haltestelle stehen lassen sollen. Dann wäre all das gar nicht passiert. Jetzt ist es geschehen und rückgängig machen kann ich es auch nicht mehr.

„Verdammt!“, fluche ich leise und sehe auf. Andreas regt sich leicht, liegt dann wieder ruhig da, nur um im nächsten Moment wieder die Augen aufzuschlagen. Er blinzelt ein paar Mal und dreht dann den Kopf in meine Richtung. Müde schaut er aus und erschöpft, obwohl er sicher einige Stunden geschlafen hat.

„Hey...“, murmelt er. Ich lächele ihm zu und gebe ihm einen Kuss auf den Handrücken, behalte seine Hand fest in meiner.

Andreas lässt den Blick umherschweifen, bis er schließlich mit seiner freien Hand die Decke anhebt und hinunter lugt. Er lässt sie wieder fallen und atmet tief durch. Er blinzelt ein paar Mal und ich merke wie er versucht die Tränen zurückzuhalten.

„Ist schon okay. Lass es einfach raus...“, flüstere ich ihm zu. Andreas sieht zu mir und als die erste Träne über seine Wange rinnt, beuge ich mich zu ihm vor und streiche sie ihm aus dem Gesicht. Andreas lehnt seinen Kopf an meine Hand. Ich erhebe mich vom Stuhl und setze mich zu ihm aufs Bett.

„Tut's weh?“, frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf. „Ich habe Schmerztabletten bekommen, vorhin.“

„Sag, wenn es wieder weh tut.“

Andreas nickt und schließt für einen Moment die Augen.

„Was ist passiert?“, frage ich ihn so taktvoll wie möglich, auch wenn ich vor Neugier schier zerplatze und am liebsten jeden verprügeln würde, der ihn auch nur noch einmal schief anguckt!

Andreas' Mundwinkel ziehen sich herunter und ich kann ihm ansehen, dass es ihm schwer fällt und er nicht wirklich darüber reden möchte. Er schließt die Augen und kann die Tränen nun doch nicht mehr zurückhalten.

Ich presse meine Lippen aufeinander, weil mich diese ganze Situation einfach nur wütend macht!

„Rede mit mir, Andreas!“, rede ich eindringlich auf ihn ein und streichele ihm durch die Haare. Er beißt sich auf die Unterlippe und weint unterdrückt, so dass ich es aufgebe und meine Stirn an seine lege, beruhigend und leise mit ihm spreche und versuche ihn irgendwie zu trösten.

Langsam lege ich mich auf die Seite und ziehe ihn vorsichtig in meine Arme. Andreas vergräbt sein Gesicht in meinem Shirt und nach und nach beruhigt er sich. Das Schluchzen klingt ab, er wird ruhiger und irgendwann ist er eingeschlafen.

 

Als ich die Augen öffne, sehe ich in den strengen Blick der Krankenschwester. Verschlafen gähne ich und sehe aus dem Fenster. Es ist bereits helllichter Tag!

„Wie spät ist es?“, frage ich müde und reibe mir über die Augen.

„Spät!“, meint sie kurz angebunden und schüttelt den Kopf. „Ich bin eigentlich hier um den Patienten zu waschen. Sie hoffentlich nicht!“

Grinsend sehe ich zu der breiten wie stämmigen Frau hin, welche die Hände in die Hüften gestützt hat und aussieht als wäre sie einem Boot Camp entsprungen.

Ich sehe neben mich. Andreas schläft noch, eng an mich gekuschelt und sieht richtig friedlich aus, wenn man mal absieht, wie blass er ist und das wir uns gerade in einem Krankenhaus befinden. „Schon gut, ich mache das!“, meine ich.

Die Krankenschwester hebt eine Augenbraue an, sagt jedoch nichts weiter und legt uns ein paar Handtücher aufs Bettende. „Na dann viel Spaß!“ Den Satz kann sie sich nicht mehr verkneifen und verlässt das Zimmer.

Ich widme mich wieder Andreas und küsse ihn auf die Wange. „Clemens?“, murmelt er leise ohne die Augen zu öffnen. „Ja, ich bin noch da. Ist schon morgens und in zwei Stunden muss ich in der Schule sein.“

Andreas öffnet verschlafen seine Augen.

„Tja, unser erstes Mal habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. So mit Sex, weißt du?“, witzele ich zwinkern und küsse ihn kurz auf den Mund. „Ich darf dich übrigens waschen!“

Andreas sieht mich entgeistert an, ehe er sein Gesicht ins Kissen drückt und bis zu den Ohren rot anläuft. „Das ist ja fast wie in den Flitterwochen!“, raune ich ihm ins Ohr und weil es ihm alles zu peinlich ist drückt er mir die Hand auf den Mund, damit ich endlich die Klappe halte.

Grinsend setze ich mich im Bett auf und strecke mich ordentlich. Ich greife nach meinem Handy, aber es sind keine Nachrichten darauf. Wäre ja auch zu schön, wer schreibt jemandem wie mir schon.

Ich kralle mir ein Handtuch und gehe damit ins Badezimmer, schalte das Licht ein und halte es unter den Wasserhahn, warte bis es wärmer wird und greife nach der Seife, die ich ebenfalls mitnehme.

„Dann mach dich mal nackig, mein Hübscher!“, meine ich grinsend und halte beides in die Höhe. Andreas sieht mich verlegen an und beginnt in Zeitlupe sich auszuziehen.

„Komm her, so sind wir ja nächste Woche nicht fertig!“, murre ich und ziehe ihm das Krankenhaushemd vom Körper. Andreas zieht die Beine beschämt an und weicht meinem Blick aus.

„Dir ist schon klar, dass ich deinen Schwanz schon in der Hand hatte?“, frage ich ihn amüsiert und setze mich neben Andreas aufs Bett. Sieht man mal von all den Blessuren an seinem Körper ab, sieht er ziemlich heiß aus.

Sanft fahre ich mit meiner Hand über seine Brust hoch zum Schlüsselbein. Andreas sieht mich an und krallt seine Finger in die Bettdecke. Ich greife nach dem nassen Handtuch und beginne damit seinen Körper abzureiben. Was gar nicht so einfach ist, wenn man einige Körperstellen nicht so stark berühren darf, sonst würde Andreas wohl das ganze Krankenhaus wach brüllen.

Wenigstens gehe ich komplett in meiner neuen Aufgabe auf und kümmere mich hingebungsvoll um den Jungen, dem ich seit dem Wochenende ziemlich nahe gekommen bin, ohne es richtig zu merken. Das realisiere ich allerdings erst jetzt.

Ich sehe in sein Gesicht und als er den Blick erwidert, runzelt er die Stirn. „Musst du mich da so lange waschen?“, fragt er mich und linst nach unten. Ich tue es ihm gleich und bemerke erst jetzt, dass meine Hand einfach zwischen seine Beine gewandert ist. Hastig lasse ich von seinem Penis ab und wasche artig seine Beine.

„Du bist rot!“, stellt er kichernd fest.

„Gar nicht wahr!“, erwidere ich ruppig und versuche meinen Blick von seinem besten Stück zu lösen, was mir echt schwer fällt.

„Lass uns warten, bis es mir wieder besser geht...“, meint er und greift nach meiner rechten Hand. Ich sehe zu ihm und nicke. Klar, als ob ich einen kranken Patienten jetzt überfallen würde.

Himmel, ich glaube, dass würde ich auch fertig bringen!

Vorsichtig helfe ich ihm sich auf die Seite zu legen und wasche Andreas den Rücken.

Nach dem Waschen helfe ich ihm wieder in dieses grässliche Krankenhaushemd und ziehe ihm die Decke über. Ich hänge die Tücher ins Badezimmer und gerade als ich es verlasse, öffnet sich die Tür. Meine Lehrerin sieht mich blass im Gesicht an, hinter ihr stehen zwei Polizisten.

„Was ist los?“, frage ich sie verwirrt.

„Komm kurz mit raus...“, meint sie leise.

„Andreas, ich bin kurz draußen! Unsere Lehrerin ist da!“, rufe ich dem Junge zu und gehe mit ihr vor die Tür. „Also, was ist los?“ Abwartend sehe ich die drei Erwachsenen vor mir an.

„Heute morgen wurden Andreas Eltern gefunden. Sie sind tot!“

Mit großen Augen sehe ich meine Lehrerin verständnislos an. „Wie... Aber ich dachte...?“ Verwirrt schüttele ich den Kopf.

„An der Tatwaffe wurden die Fingerabdrücke von Andreas Eyck gefunden!“, meint einer der Polizisten und noch immer völlig durch den Wind sehe ich ihn an.

„Das... Das ist ein Scherz oder? Haben wir schon April?!“, frage ich nervös lachend. Mit verzogenem Gesicht schaue ich in drei ernste Gesichter. „Auf keinen Fall! Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun! Ich meine, seine Eltern haben ihn doch misshandelt! Vielleicht ist nur jemand eingebrochen und hat sie getötet!“

Meine Lehrerin legt mir eine Hand auf die Schulter. „Clemens!“

Ich sehe in ihre Augen und verstehe noch immer nicht, was hier passiert. „Nein, nein, nein! Andreas macht so was nicht!“

Ich kann jetzt nicht zu dir kommen. Ist ein schlechter Zeitpunkt. Wir sehen uns morgen in der Schule.

„Nein...“, flüstere ich leise. Auf einmal ist mir kotzübel. Ich lehne mich an die Wand und rutsche daran herunter, vergrabe mein Gesicht in den Händen und unterdrücke ein Würgen.

Wieso ausgerechnet Andreas?

Er ist nicht zu so etwas imstande, dazu ist er doch viel zu naiv und nett!

Oh Gott! Was ist, wenn er sie gestern schon getötet hat und mir dann seelenruhig die SMS geschickt hat? Hat er eine gespaltene Persönlichkeit, ist das sein wahres Gesicht?! Hat er mir die ganze Zeit nur etwas vorgespielt?

Nein, das kann nicht sein! Die vielen Verletzungen an seinem Körper. Vielleicht hatte er es nur einfach satt so behandelt zu werden und hat sich gerächt?

Ich stehe langsam auf und sehe auf den Boden. „Ich muss hier raus!“, murmele ich und renne den Gang entlang.

Andreas ist ein Mörder! Der süße, kleine Andreas, der sonst keiner Fliege etwas zuleide tun kann! Der Andreas, der sich am Wochenende das Leben nehmen wollte. Mein Andreas, der seine Eltern kaltblütig ermordet hat!

Ich rempele einige Besucher an und stürze zur Tür, reiße sie auf und sofort schlägt mir frische, kalte Luft entgegen. Ich atme tief durch, gehe einige Schritte und bleibe mit geschlossenen Augen mitten auf dem Weg stehen.

Ich lache, aus irgendeinem Grund. Ich weiß es nicht. Die Nervosität? Die Enttäuschung? Weil mir gerade klar wird, dass ich für einen Mörder Gefühle habe?

Mit dem Lachen kommen die ersten Tränen, die ich hastig weg wische. Ich greife in meine Hosentasche und zerre mit zitternden Fingern meine Zigaretten und das Zippo heraus. Ich stecke mit eine Kippe in den Mund und versuche das Zippo zu benutzen, aber es klappt irgendwie nicht. Immer und immer wieder versuche ich es, atme tief durch und versuche das Zittern in meinen Händen loszuwerden, bis ich es aufgebe und die Kippe zurück in die Hosentasche stopfe.

Ich gehe zur Glasscheibe und lehne mich dagegen, sehe in die Cafeteria, wo Gäste, Patienten und Ärzte gemeinsam sitzen und sich arglos miteinander unterhalten. Die keine Ahnung haben, dass unter ihnen ein Mörder verweilt.

Aber ist er wirklich ein Mörder? Was ist, wenn er nur aus Notwehr gehandelt hat?

Was ist wirklich passiert?

Kapitel 3: White Flag

„Da stehen zwei Polizisten vor meinem Zimmer. Ich komme mir vor wie ein Schwerverbrecher...“, meint Andreas leise und sieht mich lächelnd an.

Ich knabbere auf meiner Unterlippe. Seit gestern weiß ich, dass seine Eltern tot sind und ich habe immer noch keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber jetzt verhalten soll.

„Wer bist du wirklich?“, rutscht es mir ungewollt heraus.

Überrascht sieht Andreas mich an. „Na, ich bin ich. Andreas Eyck. Wer soll ich denn sonst sein?“, meint er ein wenig verwirrt.

„Hast du deine Eltern wirklich getötet oder war Notwehr?“

Andreas sieht mich schweigend an. „Glaubst du wirklich, ich töte zwei Menschen aus Notwehr?“, stellt er mir eine Gegenfrage.

„Hör mir zu! Das ist mein Ernst!“, meine ich mürrisch und beuge mich vor. „Haben sie dich verletzt, so dass du dich aus Notwehr verteidigt hast oder hast du sie umgebracht? Hast du das geplant?“

Andreas sieht mich schweigend an.

„Was denkst du?“, fragt er nach einer Weile.

„Was ich denke spielt hier keine Rolle! Ist dir klar, dass du in den Knast wanderst?!“

Andreas sieht mich unglücklich an.

„Sag es mir endlich! Wenn du von der Polizei verhört wirst, musst du ihnen sowieso die Wahrheit sagen!“, rede ich auf ihn ein.

Andreas Lippen zittern. „We-wenn ich es sage... Ich will nicht, dass du mich für ein Monster hältst. Ich mag dich... Ich will dich nicht verlieren...“, schluchzt er, dreht den Kopf von mir weg und heult leise in sein Kissen.

Ich setze mich zurück in den Stuhl, an die Lehne und seufze.

„In der achten Klasse war da dieser Junge, der mir ziemlich auf die Nerven gegangen ist.“ Ich sehe zu Andreas, der mir den Rücken zugedreht hat. „Irgendetwas an ihm hat mich total gestört, aber ich weiß nicht was. Vielleicht war es seine Art, wie er andere so überheblich behandelt hat, seine schwulen-feindlichen Witze oder das er ein übergewichtiges Mädchen schikaniert hat. Keine Ahnung.“

Andreas wischt sich über das Gesicht und dreht sich mir zu. Er sieht mich mit verheulten Augen an.

„Irgendwann ist bei mir wohl eine Sicherung rausgeflogen!“, erzähle ich und lache leise auf. „Ich habe ihn mitten auf dem Schulhof verprügelt, vor allen Leuten, habe ihm das Gesicht zertrümmert, ein paar Zähne rausgeschlagen und ziemlich schlimme Sachen gemacht. Als ich wieder zu Sinne kam, lag er in einer Blutlache vor mir. Irgendwelche Leute haben mich von ihm weggezerrt, Schüler und Lehrer. Er ist im Krankenhaus gelandet und lag wochenlang im Koma. Deswegen habe ich im Jugendknast gesessen.“ Ich halte inne und sehe Andreas direkt in die Augen. „Weißt du was das Schlimme an der ganzen Sache war?“, frage ich ihn.

Andreas schüttelt den Kopf und reibt sich mit der Hand über die Augen.

„Als ich ihn verprügelt habe, hat es mir Spaß gemacht. Ihn so wehrlos am Boden liegen zu sehen, in all dem Blut... Gleichzeitig hat es mir auch Angst gemacht. Es hat sich ziemlich schnell herumgesprochen, was ich getan habe. Klar, ich hätte die Schule wechseln können, aber wieso sollte ich auch noch klein beigeben?“ Ich schüttele den Kopf. „Ich musste mit einem Psychiater reden und danach habe ich mir geschworen, nie wieder jemanden zu verletzen! Verstehst du? Ich habe nur ein Leben und das will ich mir nicht verbauen! Ich will nicht zu jemandem werden, der Spaß daran hat, andere Menschen zu verletzen.“

„Ist er gestorben?“, fragt Andreas mich zögernd.

Ich schüttele den Kopf. „Nein, zum Glück nicht. Nach meinem Aufenthalt im Jugendknast habe ich ihn besucht und mich entschuldigt. Weißt du, das ist so absurd! Ich war bei ihm Zuhause, habe gesehen, wie er mit seiner Familie umgeht, was er für ein Leben geführt hat und in der Schule war er so anders, so gehässig.“ Ich raufe mir die Haare und sehe zu Andreas auf. „Er hat mir gestanden, dass er selber schwul war und einfach nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Er hatte Angst, dass er ein Opfer werden würde und alle würden sich über ihn lustig machen, also hat er den Spieß umgedreht, bevor es dazu kommen konnte und ist vom Opfer zum Täter geworden.“

„Vom Opfer zum Täter...“, murmelt Andreas gedankenverloren.

Als ich klein war, haben sie mich nie richtig beachtet. Irgendwie war ich immer nur im Weg. Ich habe länger gebraucht als andere, um eine Antwort zu geben, deswegen haben sie mich gleich für dumm gehalten.“, erzählt er und sieht an mir vorbei aus dem Fenster. „Ich wusste die Antwort, aber ich musste nachdenken, weil mein Kopf immer voller Gedanken war und ich konnte nicht sofort wie aus der Pistole geschossen antworten.“ Andreas sieht mich an und schaut mir fest in die Augen. „Ich bin nicht dumm!“

Ich schüttele den Kopf. „Nein, das bist du nicht.“

Andreas presst seine Lippen aufeinander, knabbert daran herum und scheint zu überlegen. „Mein Vater war schon immer etwas jähzornig. Er konnte sich auch nicht lange auf eine Sache konzentrieren. Wenn etwas nicht sofort geklappt hat, dann ist er sofort ausgeflippt. Er war kein schlechter Mensch, er hatte sich nur nicht gut unter Kontrolle und meine Mutter hat das auch noch gefördert, weil sie ihn herablassend behandelt hat. Er hat sie damals geschwängert und Verantwortung für das Kind, für mich übernommen. Dann ist er doch kein schlechter Mensch oder? Schlecht wäre er, wenn er Mum damals hätte sitzen lassen. Ich weiß nicht, woher genau seine Wut kam. Er hatte so viel Wut in sich aufgestaut... Durch die Arbeit, Mum, ich weiß es nicht. Irgendwas lief nicht richtig. Er hat mich nicht immer verprügelt. Er hat anfangs immer nur Sachen durchs Haus geworfen. Die Blätter hat er mal vom Tisch gefegt, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Kleine Sachen waren es anfangs nur, eine Tasse, die er an die Wand schlug, Schuhe hat er herumgeworfen...“ Andreas zuckt mit den Schultern. „Jeder hat mal einen Wutanfall, aber... Man lässt es nicht an anderen aus. Seine Wut oder? Die lässt man andere nicht spüren, das ist schlecht und man verletzt damit nur Leute, die man liebt.“

Nachdenklich nicke ich. „Ich war nur im Weg, zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich war doch schuld an der ganzen Misere. Hätte Mum mich nicht bekommen, dann hätte er ein ganz normales Leben führen könne, so wie er es wollte.“

„Hey, sag so was nicht! Du kannst doch nichts dafür!“, meine ich und greife nach seiner Hand. „Du bist nicht schuld daran! Dich trifft keine Schuld!“

Andreas lächelt und erwidert den Griff um meine Hand. „Er hat mich anfangs nur geschubst, ich sei im Weg, dann hat er mich gerempelt, mich heftiger geschubst und Sachen nach mir geworfen. Dabei hat er gelacht und immer gesagt: Mist! Vorbei!“ Andreas knabbert auf seiner Unterlippe und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich dachte, dass geht auch irgendwann wieder vorbei, dass er sich schon wieder beruhigt und dann sind wir wieder eine heile Familie, aber... Er hatte so eine tiefe Wut! Verstehst du, an irgendjemandem musste er sie ja auslassen und Mama war nicht so oft Zuhause. Es hat weh getan, aber ich habe nicht geheult, doch am Anfang, aber irgendwann gewöhnt man sich daran und nimmt es hin, dass man nicht mehr geliebt wird. Man spürt den Schmerz nicht mehr. Von seinem wutverzerrtem Gesicht habe ich immer noch Alpträume. Ich weiß schon gar nicht mehr wie er damals ausgesehen hat, als er immer am Lachen war. Er war früher so lieb und verständnisvoll. Er hat mich in den Arm genommen und war ein toller Vater! Aber... aber irgendwas in ihm ist kaputt gegangen...“

„Andreas, was ist passiert? Was ist Zuhause passiert?“, frage ich ihn eindringlich.

Andreas schluckt und seine Mundwinkel ziehen sich herunter. „Er hat Mum nie angefasst. Er hat immer nur mich verprügelt, aber Mum nicht, die hat er verschont, obwohl sie so schlecht über ihn geredet hat!“

Andreas schluchzt auf. „Ich wollte doch nur, dass er mich auch lieb hat...“, schluchzt er und vergräbt sein Gesicht in den Händen. Hilflos sehe ich zu ihm und habe keine Ahnung, was ich machen soll. Abwartend sehe ich zu ihm, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hat und sich die Tränen aus dem Gesicht wischt.

„Warst du eifersüchtig, hast du ihn deswegen...?“ Ich wage es kaum den Satz zu beenden. Andreas schüttelt vehement den Kopf.

„I-ich habe doch nur...“ Andreas schnieft. „Sie hat doch nur getrunken und... Sie ist da einfach in der Küche zusammengesunken. Sie hat nur getrunken und er war so wütend. Er meinte, sie geht ihm fremd und hat ihm das Kind aufgehalst, damit sie ihren Spaß haben kann. Ich weiß nicht, irgendwie ist alles eskaliert und ich war so sauer auf die beiden! Nicht wegen der Schläge, sondern weil sie nichts getan haben, um es wieder besser zu machen oder sich wenigstens zu trennen. Ich weiß, dass ich das nicht hätte sagen sollen und das es ihn nur wieder wütend gemacht hätte, aber irgendwie wollte ich auch nicht immer alles runterschlucken und du hast doch in der Schule gesagt, dass ich mir nicht alles gefallen lassen soll...“

Ich schlucke. Ist es jetzt meine schuld? Ist das alles passiert, weil ich ihm in der Schule dazu ermutigt habe?

„Er ist wieder auf mich losgegangen und hat mich verprügelt und dann hat sie sich dazwischen geworfen! Verstehst du? Das erste Mal, hat sie sich getraut mich zu beschützen! Weist du, wie man sich da fühlt? Ich war so glücklich, dass sie mich in Schutz genommen hat, dass sie nicht mehr einfach nur die Augen davor verschließt und teilnahmslos daneben sitzt, wenn er mich mal wieder schlägt.“ Andreas lächelt traurig und schluckt heftig. „Er hat sich ein Küchenmesser genommen und war auch Mum losgegangen. Ich wollte es ihm wegreißen, habe es sogar bekommen, aber sie war plötzlich mitten im Weg und als ich... Ich wollte das doch nicht. Sie war nur plötzlich da und dann habe ich... Ich hatte zu viel Schwung...“ Andreas presst sich die Handflächen gegen die Augen. „Da war so viel Blut und Paps hat mich angeschrien. Er hat geschrien und er war so laut, viel zu laut!“ Andreas schluchzt auf und dreht mir den Rücken zu. „Es war alles so laut...“

Ich stehe auf und setze mich zu ihm aufs Bett. Mit zitternder Hand greife ich nach seiner Schulter. Andreas atmet tief durch, nimmt die Hände vom Gesicht und sieht starr zur Wand. „Er hat nichts gemacht. Gar nichts, nur geschrien. Ich weiß aber nicht mehr was er gesagt hatte. Ich kann mich nicht erinnern. Da war so viel Blut, so vieles dunkles Blut. Alles war dreckig...“ Andreas schluckt und räuspert sich, dann dreht er den Kopf zu mir und sieht mich erschöpft an. „Er war nur viel zu laut...“, flüstert er. Mechanisch nicke ich und habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Eine einzelne Träne rinnt ihm über die Wange. „Es sollte doch keiner was merken. Ich wollte bei meiner Familie bleiben. Es sollte doch alles wieder gut werden...“

„Wie ist das mit deinem Bauch passiert? Du hast so viel Blut gespuckt. Kommt das von den Schlägen?“, frage ich ihn.

„Hasst du mich jetzt?“, fragt Andreas mich unerwartet.

„Was? Nein. Nein, ich hasse dich nicht!“

Andreas presst die Lippen zusammen und weicht meinem Blick aus.

„Du bist kein schlechter Mensch, nur weil du deine Mutter beschützen wolltest, glaub mir!“ Bei der Sache mit dem Vater bin ich lieber still. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. In den Nachrichten hört man immer wieder wie Eltern ihre Kinder umbringen, wegwerfen oder sie im Kinderzimmer verhungern lassen. Kann man es einem Kind dann übel nehmen, wenn die Situation eskaliert?

Andreas wollte bestimmt nicht so ein Leben führen. Seine Eltern sicher auch nicht. Von einer Minute auf die nächste ist es vorbei, aber macht es das besser? Was erwartet ihn jetzt? Ein Leben im Gefängnis, als Mörder seiner Eltern? Er wollte nur ein normales Leben führen, seinen Spaß haben, die erste Liebe, Freunde finden, studieren oder Geld verdienen, wie jeder andere auch.

Ich senke den Kopf und lehne ihn an Andreas' Schulter.

Wer bin ich schon, dass ich über ihn urteilen kann?

 

Die nächsten Tage erholt sich Andreas sichtlich. Täglich kommt eine Frau vom Jugendamt, die Gespräche mit Andreas führt, wie es mit ihm weitergeht, was ihn vor Gericht erwartet, zusätzlich wird er ständig von der Polizei befragt, was stark an seinen Nerven zehrt.

Meistens kann ich nur still da sitzen, draußen vor der Tür warten und ihm nicht großartig zur Seite stehen.

Die Schule habe ich auch gewaltig schleifen lassen, was wiederum meinen Eltern nicht in den Kram passt. Natürlich haben sie Wind davon bekommen, dass ich meine Zeit im Krankenhaus mit einem Mörder verbringe und heißen es nicht gut, aber sie kennen nur die Hälfte, was in den Nachrichten berichtet wird, sie wissen gar nichts.

Keiner weiß, was wirklich los ist, sie verstehen ihn nicht so wie ich!

Für alle anderen ist er nur der Junge, der seine Eltern auf dem Gewissen hat, aber ich habe ihn kennengelernt, weiß wie er tickt und ich habe seinen Blick gesehen, als er mir erzählt hat, was passiert ist. Er ist kein brutaler Mörder. Es war nur eine Scheißsituation, die eskaliert ist! Dafür muss er jetzt gerade stehen, weil seine Eltern ihr Leben nicht auf die Reihe gekriegt haben!

Ich greife nach meinem Handy und schaue auf die letzte SMS, die er mir geschickt hat. Stirnrunzelnd setze ich mich im Bett auf.

„Was hat er dann den ganzen Tag lang gemacht?“ Die Nachricht habe ich am späten Abend bekommen. Wenn es davor passiert ist, was hat er dann die ganze Zeit gemacht? Hat er sich das Blut abgewaschen? Saß er apathisch in der Küche und hat seine Eltern angesehen? Was hat er bis zum Morgen gemacht? Als er in der Schule ankam, sah er aus wie sonst auch, ganz normal, bis er zusammengebrochen ist.

Ich lege mein Handy aufs Bett und lehne mich gegen die Wand. Ich werde es wahrscheinlich nie erfahren.

Was soll ich jetzt machen? So tun, als wäre nichts gewesen, damit sich jeder wieder dem Alltag widmen kann? Andreas ignorieren, ihn nicht mehr besuchen?

Ich schüttele den Kopf. Nein, das kann ich nicht. Dafür wurde ich schon viel zu tief in diese Scheiße reingezogen. Himmel, ich habe Gefühle für ihn! Ich stehe auf ihn, auch wenn ich es mir anfangs nicht eingestehen wollte. Vielleicht habe ich es auch nicht richtig gemerkt. In Liebesdingen war ich noch nie auf der Überholspur.

Ironisch lache ich auf. „Wir sind doch das perfekte Paar! Wir sind beide Außenseiter und keiner kann uns leiden.“

Träge lasse ich mich wieder ins Bett fallen. Mir kommt der Abend wieder in den Sinn, als ich Andreas an der Brücke gesehen habe. Hätte er sich an dem Abend umgebracht, hätte es mich wahrscheinlich nicht so sehr gestört oder?

Klar, in dem Moment, in dem man es hört ist man bestürzt. Man tauscht sich mit anderen aus, aber irgendwann vergisst man die Sache, weil man sich eh nicht nahe gestanden hat. Dann beginnt wieder der Alltagstrott und man wird mit neuen Problemen beschäftigt, so dass man diese Person nach und nach vergisst, nicht mehr an sie denkt. Vielleicht manchmal noch, in ruhigen Momenten, aber dann...? Irgendwann denkt man nicht mehr daran.

Ich wette in meiner Klasse hätten die Jungs nur sein Geld vermisst. Er wäre ihnen völlig egal gewesen.

Nein, es wäre mir nicht egal gewesen.

Gut, wir waren nicht die besten Freunde und ich habe ihn auch nicht so gut behandelt, ihn ignoriert und manchmal auch mit Worten verletzt, aber seit dem Kuss...

Ich verstehe es nicht wirklich. Vielleicht sind wir ja so etwas wie Seelengefährten, wenn es so etwas wirklich gibt. Wir haben es nur nicht so schnell bemerkt, dass wir einander brauchen.

„Was für eine miese scheiße...“, murmele ich und stehe vom Bett auf. Ich gehe zum Fenster und ziehe die Vorhänge zu, ehe ich mir die Klamotten ausziehe und sie auf dem Stuhl ablege. Ich gehe zum Lichtschalter, neben der Tür und lösche das Licht, ehe ich mich zum Bett taste und unter der Bettdecke verschwinde.

 

Es ist ein komisches Gefühl einen leeren Sitzplatz in der Klasse zu haben, wenn man weiß, dass da jemand war, dem dieser Platz gehört, der aber nicht mehr jeden morgen in die Klasse kommen wird und sich dort hinsetzt.

Ich schaue auf den leeren Platz und wende den Blick nach einigen Sekunden wieder ab.

Es ist skurril, aber der Unterricht geht völlig normal weiter, als wäre nichts gewesen. In den Pausen redet man noch von dem Vorfall, Gerüchte kursieren und inzwischen weiß wohl nur noch ich, was wirklich passiert ist.

Es klingelt zur Pause und so suche ich wie immer meine kleine geheime Raucherecke auf. Ich hocke mich vor die Wand, lehne mich dagegen und suche nach meinen Zigaretten. Blöde Angewohnheit, vielleicht sollte ich damit aufhören?

Ich grinse und muss wieder an unseren Kuss denken, wie ich Andreas hier befriedigt habe und wie viel Spaß es mir gemacht hat, ihm an die Wäsche zu gehen.

Tja, das war es dann wohl auch erst mal gewesen. Ich habe keine Ahnung, wann wir uns wieder nahe sein können und irgendwie vermisse ich ihn schon jetzt.

Dank der Umstände mit den Misshandlungen, wurde er vorerst in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Wie es danach mit ihm weitergehen wird, weiß ich nicht.

Ich weiß auch nicht, wann ich ihn wiedersehen kann.

Ob ich ihn überhaupt je wieder sehe...

Ich will nicht, dass du mich für ein Monster hältst. Ich mag dich... Ich will dich nicht verlieren...

„Scheiße...“, murmele ich leise. Ich will ihn ja auch nicht verlieren. Ich schließe meine Augen und genieße die frische Brise in meinem Gesicht.

Am liebsten würde ich ihn mir einfach schnappen und ihn irgendwo hinbringen, wo ihn nie jemand finden wird. Nur er und ich. Wir ganz allein.

Schön wär's. Was bringt es uns ein Leben auf der Flucht zu führen, uns immer verstecken zu müssen, um von niemandem erkannt zu werden?

Ist es das wirklich wert?

Aber was haben wir sonst noch für Möglichkeiten? Viel bleibt ja nicht übrig. Ich muss warten, bis die Ergebnisse von der psychiatrischen Klinik kommen, damit man sehen kann, wie es mit Andreas weitergehen wird.

Muss ein blödes Gefühl sein, von einem auf den anderen Tag Waise zu sein. Er ist ja noch nicht mal volljährig. Dann wird er wohl entweder zu Verwandten oder einer Pflegefamilie abgeschoben oder? Und wenn die ihn auch nicht wollen? Wenn sie keinen Mörder in ihrer Familie haben wollen?

Nein, in meinen Augen ist er kein Mörder. Er hat seine Mutter beschützen wollen und sein Vater hat nur dafür gesorgt, dass alles eskaliert. Er hätte niemals nach dem Messer greifen sollen...

Mir rinnt ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, dass Andreas' Vater ihn genauso gut hätte abstechen können, hätte Andreas nicht nach dem Messer gegriffen. Wollte sein Vater ihn wirklich umbringen?!

Wollte ich den Jungen damals auch umbringen? Ich war so in Raserei verfallen, habe ihn einfach mechanisch verprügelt und konnte nicht mehr klar denken. Hätten mich die Schüler und Lehrer nicht zurückgehalten, wäre bestimmt ein Unglück geschehen und so im Nachhinein bin ich wirklich froh, kein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. Diese Last will ich nicht tragen.

Wie es Andreas wohl damit geht?

Es klingelt zum Pausenende und während alle anderen ihre Klassen aufsuchen, bleibe ich in meiner kleinen Ecke sitzen und hänge meinen Gedanken nach. Schon komisch, früher habe ich mir nie Gedanken um einen meiner Mitschüler gemacht und jetzt denke ich pausenlos an Andreas.

„Tja, das nennt man dann wohl Liebe...“, murmele ich und sehe grinsend nach oben, in den wolkenfreien Himmel.

Epilog: Stay

Mit verzogenem Mund stehe ich vor dem unsympathischen Baukasten, der sich Klinik schimpft und trete nervös von einem Bein aufs andere. Dank der Klausuren hatte ich eine ganze Weile keine Zeit Andreas zu sehen, aber heute ist ein besonderer Tag für uns beide und leider müssen wir ihn hier in der Klinik verbringen.

In der Schule wurde Andreas schon für Geistesgestört erklärt. Den Idioten, der das in Umlauf gebracht hat, würde ich zu gerne kastrieren.

Mürrisch gehe ich auf die Tür zu, öffne sie und gehe den Flur entlang zur Anmeldung. Eine ernst drein blickende Frau mit schmaler Brille und braunen Haaren, die mit einer Klammer zusammengehalten werden, schaut auf und mustert mich eingehend.

„Morgen, ich will zu Andreas Eyck.“

Sie nickt und gibt irgendwas in ihren Computer ein. „Sie können zu ihm, die Papiere sind schon unterschrieben. Er befindet sich zurzeit im Aufenthaltsraum. Den Gang runter, die letzte Tür links.“

Ich nicke und gehe den Flur entlang. Okay, ich bin mehr als nervös. Ich fahre mir mit der rechten Hand durch die Haare und sehe auf das Päckchen in meiner Hand. Ob es ihm gefallen wird?

Ich bleibe einen Moment unschlüssig vor der Tür stehen und hole tief Luft, ehe ich nach der Türklinke greife, sie herunter drücke und die Tür öffne.

Ich sehe mich um, lasse den Blick durch den Raum schweifen und beobachte die Leute. Andreas sitzt etwas abseits an einem Tisch, blickt abwesend zur Wand und scheint in Gedanken versunken zu sein. Worüber er wohl nachdenkt?

Ich gehe gemächlich zu seinem Platz und bleibe vor dem Tisch stehen. Andreas bemerkt mich nicht und schaut auch nicht auf.

„Ich hoffe doch sehr, dass du gerade an mich denkst!“, meine ich und räuspere mich.

Andreas zuckt zusammen und sieht endlich zu mir auf. Er versucht sich zusammenzureißen, aber ich sehe ihm an, dass er mir nur zu gerne um den Hals fallen würde und noch viel mehr. Oder geht es nur mir gerade so?

„Clemens...“, meint er mit ruhiger Stimme, steht vom Stuhl auf, umrundet den Tisch und schlingt seine Arme um meinen Hals. Ich grinse und erwidere die Umarmung. Er versteckt seinen Kopf in meiner Halsbeuge, so dass sein warmer Atem meine Haut streicht.

Er hat ein wenig abgenommen, aber es ist immer noch ein tolles Gefühl, ihn in den Armen zu halten.

„Ich habe dich vermisst.“

„Ja, ich dich auch!“, murmele ich und verwuschele ihm die blonden Haare.

Andreas löst sich lächelnd von mir und erblickt die Tüte. „Was hast du da?“, fragt er neugierig.

„Ein Geschenk. Weißt du, welcher Tag heute ist?“, frage ich ihn grinsend.

Andreas sieht mich stirnrunzelnd an, schüttelt dann jedoch den Kopf. „Nein, welcher?“, fragt er.

Ich stelle die Tüte auf dem Tisch ab und hole eine kleine Schachtel heraus, die ich vor ihn hoch halte und langsam öffne.

„Wie kannst du nur unseren Jahrestag vergessen, Süßer? Ja, ich weiß! Unheimlich kitschig, aber was besseres ist mir echt nicht eingefallen!“, murre ich und Andreas lacht auf, hält sich die Hand vor den Mund und weicht einen Moment meinem Blick aus, bis er wieder auf den Schokoladenkuchen in der Schachtel blickt und verlegen zu mir auf.

Bei dem Blick, würde ich liebend gerne über ihn herfallen!

„Das ist... Danke!“ Andreas lächelt und beugt sich vor, um mich zu küssen. Ah, das habe ich vermisst!

Seufzend erwidere ich den Kuss, ignoriere, dass wir hier nicht alleine im Raum sind und genieße den Moment mit meinem Freund, in dem ich ihm nahe sein kann.

„Können wir den woanders essen?“, fragt Andreas leise und nestelt an meinem Kragen herum.

„Hast du alles gepackt?“ Andreas nickt und zeigt auf eine Tasche am Boden. Ich nicke, lege die Schachtel mit dem Kuchen zurück in die Tüte und greife nach der Tasche. Andreas greift nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hängt und folgt mir. Zusammen verlassen wir die Klinik und nachdem wir sie verlassen haben, bleibt Andreas stehen und sieht in den Himmel, die Augen mit der Hand schützend, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Er lässt die Hand sinken, schließt die Augen und genießt den Moment unter freiem Himmel.

„Wann kommt dein Bewährungshelfer?“, frage ich ihn.

Andreas schaut zu mir und setzt sich in Bewegung, um zu mir aufzuholen. „Übermorgen.“

Ich nicke, halte Tasche und Tüte in der rechten Hand, um meine freien Hand Andreas hinzuhalten. Freudig ergreift er sie und verschlingt seine Finger mit meinen.

„Dann lass uns mal nach Hause gehen!“

„Nach Hause... Das klingt schön!“, meint Andreas und lacht. Wir laufen quer über den Platz und verschwinden in einer Seitenstraße. Von dort ist es nicht mehr weit, bis zu dem Wohnheim, in dem wir ab jetzt gemeinsam leben werden.

Nachwort

Ich habe mich die letzten drei Tage mal zusammengerissen und endlich diese Geschichte fertig geschrieben. Teilweise ging es mir ziemlich an die Nieren, aber ich bin froh, doch irgendwie ein Happy End hinbekommen zu haben. Die letzten zwei Seiten von Kapitel 3 haben mir großes Kopfzerbrechen bereitet, weil ich einfach nicht mehr wusste, was ich schreiben sollte.

Trotzdem hat es Spaß gemacht und ich bin wahnsinnig froh, mal wieder eine Geschichte beendet zu haben. Das ist ein klasse Gefühl! =9

Leider habe ich auf die Schnelle niemanden gefunden, der mir ein paar Ratschläge zu dem Thema geben konnte, deswegen habe ich aus eigenem Wissen geschrieben und war lange am Überlegen, wie ich die Geschichte beende, wie ich sie für Andreas enden lasse und ich denke mit dem Ende kann ich gut leben, ihr hoffentlich auch.

Ich habe zwar einiges auf Wiki nachgelesen, da stand aber leider auch nicht allzu viel und auch nicht wirklich das, wonach ich gesucht habe.

Die Geschichte ähnelt kaum noch meinen ersten beiden Entwürfen, was mich aber nicht sonderlich stört, denn wieder nur eine Schulstory ohne Inhalt, wäre doch ein wenig fad gewesen. ;D

Bis zur nächsten Geschichte! ♥

Impressum

Texte: Sandra Marquardt
Bildmaterialien: Google
Lektorat: Lihiel
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2013

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