Cover

Prolog: Liebe, fertig, los!




Es ist alles so schwer zu erkennen. Es wirkt surreal und irgendwie ist alles so verschleiert, wie in einem dichten Nebel. So viele Menschen um mich herum. Aber ich kann ihre Gesichter nicht erkennen. Sie haben keine Gesichter und doch habe ich das Gefühl, sie zu kennen. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich. Ich bekomme Angst, fühle mich etwas unwohl. Vielleicht sollte ich diesen Raum wieder verlassen? Trotz der vielen Menschen, wirkt es so beengend und gleichzeitig so groß auf mich.
„Herzlichen Glückwunsch!“ Ein Mann gibt mir die Hand, ich sehe sein Gesicht nicht, aber ich kenne seine Stimme.
Wieso sagt er so etwas?
Verwirrt sehe ich mich um, es ist als würde alles viel langsamer an mir vorbeilaufen, als normalerweise. Wie in Zeitlupe. Ich verstehe diese Menschen nicht. Sie reden alle auf mich ein, scheinen freundlich gesinnt.
„Was ist los? Was passiert hier?“, frage ich und erhalte doch keine Antwort.
Sie lächeln, aber das bilde ich mir wohl nur ein. Sie haben keine Gesichter, wie können sie da lächeln?
Bin ich in einem Traum? Ich weiß es nicht, es fühlt sich so real an.
Da vorne sehe ich jemanden. Ich laufe den Gang zwischen den vielen Menschen entlang. Es nimmt kein Ende. Die Person steht dort hinten und kommt einfach nicht näher. Egal wie schnell ich laufe, dieser Weg nimmt einfach kein Ende! Verwirrt bleibe ich stehen.
Das alles hier macht einfach keinen Sinn!
Wo zum Teufel bin ich hier?!
Ich sehe mich um, aber es ist, als wäre ich kein Stück gelaufen, hätte mich keinen Zentimeter bewegt. Ich sehe zu Boden. Es ist, als würden meine Füße langsam von dem Teppich eingesogen werden.
Ich will hier weg, aber ich komme nicht von der Stelle!
„Hilfe!“, schreie ich panisch. Keiner antwortet oder kommt mir zu Hilfe.
Ich sehe auf, zu der Person dort vorne. Bilde ich mir das nur ein, oder sehe ich die Person nun klarer als zuvor? Ich merke wie sich meine Beine befreien. Ich laufe und laufe. Keiner hält mich auf. Ich fühle mich wie auf einer Rolltreppe, nur dass ich weiterlaufe. Die Person kommt immer näher, ich spüre eine Leichtigkeit um mich herum. Ich fühle mich wohl, aber ich weiß nicht wieso. Ich strecke meine Hand aus, um nach dieser Person zu greifen. Tränen bilden sich in meinen Augenwinkeln, werden vom Laufen nach hinten gesogen und verlieren sich in der Luft. Sie bleiben dort einfach stehen. Wie kleine Bläschen.
Die Person dreht sich zu mir um. Ich lächle, doch mein Lächeln gefriert. Plötzlich finde ich mich vor einem Altar wieder. Und diese fremde Person kenne ich. Nur zu gut. Ich kann ihr Gesicht ganz deutlich vor mir sehen. Ich will es nicht wahrhaben. Die Person küsst mich und hält mich bei den Händen.
„Ich freue mich so.“ Verwirrt schaue ich in dieses dämliche Lächeln.
Und auf einmal sehe ich total klar. Ich stehe hier in einer Kapelle. Meine Familie und Freunde, sogar Leute aus der Schule sind anwesend!
Und vor mir steht Peter, mein verhasster nerdiger Mitschüler!!!
„Wir wünschen dem Ehepaar alles Gute und viel Glück für die Zukunft!“, rufen alle.

WAS ZUM TEUFEL MACHE ICH HIER?!!!!!!

L_Leider




Da sitzt er! Boah, wieso muss es ausgerechnet der da sein?! Blonde Haare, eine riesige Brille, die ihm nicht mal steht und dann diese nichtssagenden Klamotten! Und den hab ich in meinem Traum auch noch geheiratet und sogar geküsst?! Hat sich jetzt die ganze Welt gegen mich verschworen?!
Das Leben ist aber auch ungerecht!
Ich sitze hier in meinem Versteck, hinter einem blauen Mülleimer und einigen Bücherregalen und sehe zu meinem nächtlichen Alptraum. Der Nerd namens Peter Harmon, von allen aber nur Pete genannt, geht leider auch noch in meine Klasse. Sehr zu meinem Kummer. Da kann ich ihm ja nicht einmal aus dem Weg gehen! Wir sehen uns also fünf Tage die Woche und das ungefähr acht Stunden täglich. Das ist einfach nicht fair!
Wieso habe ich überhaupt von ihm geträumt?! Ich stehe noch nicht mal auf Kerle! Schon gar nicht auf solche Streber wie Pete!
Wimmernd sitze ich hier in meiner Ecke und bemerke sehr wohl die skeptischen Blicke meiner Mitschüler. Die wissen ja auch nichts von meinem Leid! Immerhin wurde ich in der letzten Nacht zwangsverschwult! Die wissen ja gar nicht, wie schlimm das ist!
Jemand hat sich gegen mich verschworen! Er oder sie da oben hat mich zu einem Spielball gemacht, den es nun ins gegnerische Tor zu schießen gilt. Aber ohne mich! Da mache ich nicht mit! Hätten die Beiden da oben wohl gerne! Ich hab sie durchschaut und ohne mein Zutun kann mir keiner etwas in die Schuhe schieben, was ich nicht will! Und ich will Pete nicht!!!!
Oh Gott! Hat er gerade hergesehen?! Tatsächlich! Wie hat er mich entdeckt? So auffällig bin ich doch gar nicht! Hey, ich bin komplett schwarz! Wie soll ich da bitte in meiner kleinen Ecke großartig auffallen? Hängt über mir in der Luft ein Pfeil, der direkt auf mich zeigt?!
Nein...! Jetzt kommt er auch noch zu mir. Pete, bleib wo du bist! Ich will nichts von dir! Lass mich in Ruhe! Du stellst dich nicht auf die Seite der beiden Idioten da oben, die sich gegen mich verschworen haben! Glaub mir, das willst du nicht!
„Hallo, Ewan!“, begrüßt er mich freundlich, bleibt vor mir stehen und schaut auf mich herunter. Wie konnte er mich nur finden? Liegt das an seiner Intelligenz? Oder liegt es daran, dass ich an ihn gedacht habe? Natürlich habe ich nicht an ihn gedacht! Soweit kommt es noch! Er ist immerhin schuld an meinem Alptraum!
„Hey!“, murre ich ihn zickig an und sehe bitterböse zu ihm, durch meine Sonnenbrille, auf. Der hat mich immerhin geküsst! Ohne meine Erlaubnis! Doofer Pete!
Peter geht vor mir in die Hocke, seine Schulbücher auf den Knien abgelegt. „Ich freue mich schon auf unseren Schulausflug.“, erzählt er mir freudig.
Schön für ihn. Ich freue mich so gar nicht! Was ist daran überhaupt toll? Dann muss ich ihn nämlich einen ganzen Tag lang ertragen. Das überlebe ich bestimmt nicht!
Ich bleibe stur in meiner Ecke sitzen und sage kein Wort mehr. Wenn er noch irgendetwas von mir will, soll er es sagen. Mir wäre es jedenfalls lieber, wenn er geht, damit ich endlich meine Flucht antreten kann. Wenn er so vor mir sitzt, ist es irgendwie unheimlich. Er könnte sich immerhin jeden Augenblick vorbeugen und mich küssen! Das wäre furchtbar!
Moment! Der kleine Peter ist ja gar nicht schwul! Hah! Was rege ich mich da also so sehr auf? Ist doch alles in bester Ordnung! Er will nichts von mir!
Mit einem dümmlichen Grinsen sitze ich nun vor Peter, der mich besorgt mustert. Ja, der Ärmste weiß auch nichts von meinem Leidensweg. Wie gut, dass von dem Traum keiner außer mir weiß. Sonst hält mich wirklich noch jemand für schwul!
Peter greift mit seiner Hand nach meiner Wange. Moment mal! Was macht er da? Was soll das? Ist der doch plötzlich schwul? Nein, Peter! Tu' mir das bitte nicht an! Du willst das doch gar nicht!
„Alles in Ordnung? Du siehst so blass aus.“, stellt er besorgt fest. Er legt den Kopf schief und seine Hand gleitet von meiner Wange, hoch zu meiner Stirn.
Perplex sehe ich ihn an. Natürlich! Was mache ich mir hier auch für Gedanken. Er will wirklich nichts von mir. Ist auch gut so.
„Ich bin nicht krank.“, erkläre ich ihm beruhigt. Und ich dachte schon, der will mir an die Wäsche gehen! Was mache ich mir hier überhaupt ständig für Sorgen? Ist doch alles in Butter!
Peter nimmt lächelnd seine Hand von meiner Stirn, scheint aber noch immer nicht aufstehen und weggehen zu wollen.
Okay, dann muss ich das wohl machen. Ciao, meine kleine Ecke! Du warst mir nicht sehr hilfreich.
Ich erhebe mich und wieso auch immer, Pete macht es mir gleich. Leicht verwirrt sehe ich ihn an. Er scheint es zu bemerken, denn er deutet auf die Uhr, die in der Schulbibliothek hängt.
„Du gehst doch auch zur Klasse, oder? In fünf Minuten klingelt es.“, klärt er mich auf. Noch immer leicht verwirrt nicke ich. Er grinst und geht voran. Empört sehe ich ihm nach. Wie kann er entscheiden, wo ich hingehen will?! Was wäre denn, wenn ich woanders hingegangen wäre? Aber nein, Pete weiß es mal wieder besser!
Na und, dann muss ich eben in die gleiche Richtung! Purer Zufall! Immerhin gehen wir in dieselbe Klasse.

Ganz toll! Jetzt stehe ich hier im Regen und werde bis auf die Haut klatschnass. Ich war so schlau und hab nur meine dünne Jacke angezogen. Mir ist jetzt schon eiskalt. Die Anderen haben sogar einen Regenschirm dabei und keiner lässt mich mit drunter! Nennt man so etwas etwa Klassengemeinschaft?! Ja, meine Klasse ist voller Egoisten! Natürlich bin ich die Ausnahme!
Plötzlich legt sich ein Schatten über mich und ich sehe zu der Person neben mir. Endlich ist jemand so nett und lässt mich unter seinen Schirm.
Mein Herz sackt augenblicklich in den Keller.
Peter!
Das war ja so was von klar!
„Morgen, Ewan! Schade, dass heute so schlechtes Wetter ist, nicht wahr? Dabei habe ich mich so sehr auf den Ausflug gefreut!“, erzählt er mir enttäuscht und mit heruntergezogenen Mundwinkeln.
Wer will das wissen? Ich bestimmt nicht. Ich bin froh, wenn der Ausflug nicht stattfindet, umso weniger muss ich Pete ertragen. Also brumme ich nur auf seinen Kommentar hin. Leider bekomme ich ihn damit auch nicht zum Schweigen.
„Weißt du? Ich habe mich im Internet informiert und wir hätten wirklich viel zusammen unternehmen können. Ich habe alles ausgedruckt! Wenn du möchtest, zeige ich es dir nachher mal.“, erzählt er und sieht mich mit einem aufforderndem Lächeln an.
Seit wann ist er denn schon beim Wir? Muss ich mir jetzt etwa doch noch Sorgen machen? Ich will doch gar nichts von ihm! Wann bekommt er das endlich in seinen Kopf? Ich meine, er ist doch so intelligent, dann müsste er doch eigentlich von selbst drauf kommen?!
Und nun wartet er immer noch auf eine Antwort von mir. „Nee, lass stecken.“, antworte ich ihm abweisend. Vielleicht versteht er dann endlich, dass ich nicht mit ihm reden möchte. Genervt stecke ich meine Hände in die Hosentaschen und ziehe die Schultern hoch. Mir ist so kalt. Gestern ging es mir noch gut!
Wie lange dauert das denn noch? Wo bleibt der dämliche Bus? Ich will endlich nach Hause! Und dann muss ich unbedingt mit Sarah reden! So geht das nicht weiter. Ich habe schon wieder nicht schlafen können. Immer wieder dieser dämliche Traum! Irgendwann kippe ich noch mal um.
„Ewan, kannst du mal kurz den Schirm halten? Ich muss meine Fahrkarte suchen.“, bittet Pete mich und holt mich somit aus meinen Gedanken heraus. Wie gerne wäre ich bei ihnen geblieben. Ich nicke nur und nehme ihm fröstelnd den Schirm ab. Geschäftig wühlt er in seiner Tasche herum. Wie kommt es eigentlich, dass er mich dauernd mit meinem Vornamen anredet? Ich weiß selber, wie ich heiße. Da braucht er mich nicht ständig daran zu erinnern!
„Hab sie!“, meint Pete triumphierend und sieht mich mit strahlenden Augen an. Ganz toll, Pete! Willst du jetzt einen Keks haben? Pech gehabt, die sind aus.
Stur sehe ich wieder auf die Straße vor mir. Bus, wo bleibst du? Ich vermisse dich. Und ich will ganz schnell nach Hause!
Überrascht sehe ich zum Griff des Schirms. Peter will ihn mir wieder abnehmen und berührt dabei meine Hand. Es ist eiskalt! Wie kann es dann sein, dass seine Hand so herrlich warm ist?
Wie paralysiert sehe ich auf seine Hand, bemerke gar nicht, dass er mich ansieht, weil ich den Schirm nicht loslasse.
„Ewan?“
Noch immer starre ich auf seine Hand. Wieso sehne ich mich auf einmal so sehr nach Wärme? Liegt es daran, dass ich klatschnass bin? Ob der Rest von ihm auch so warm ist? Ich hab das Gefühl, dass meine Klamotten längst ganz aufgeweicht sind.
Ewan! Reiß dich zusammen! Woran denkst du da überhaupt?!
Abrupt lasse ich den Schirm los und beinahe fällt er zu Boden, weil Peter so überrascht ist. Im Reagieren ist er jedenfalls schon mal ziemlich schnell. Ich sehe ihn noch einen Moment an, bevor ich meinen Blick wieder auf die Straße richte. Meine Hand schiebe ich zurück in die Hosentasche. Da, wo Pete mich berührt hat, kribbelt es stark.
Ich rümpfe angesäuert die Nase. Bei Peters Anwesenheit mutiere ich noch zu einem Weichei. Was soll das? So bin und will ich gar nicht sein!
Das ist doch sowieso nur die Schuld von diesem Traum! Wenn ich den nicht gehabt hätte, würde ich auch ganz sicher nicht so über Pete denken. Das ist doch der reinste Schwachsinn! Ich habe keine Gefühle für Pete und dabei soll es auch bleiben!
Endlich kommt der Bus. Ich lasse Peter stehen und gehe direkt vorne zum Einstieg, kaufe ein Ticket und stemple es ab. Nach einem kurzen Blick durch den Bus beschließe ich, wie immer, nach ganz hinten zu gehen. Irgendwie habe ich ein mieses Gefühl und meine Nackenhaare richten sich auf. Peter folgt mir! Ich hab es im Gefühl! Noch drehe ich mich nicht um, zwinge mich weiterzugehen. Wieso verfolgt er mich? Was will er denn nun schon wieder von mir?
Ich setze mich in eine Ecke in der letzten Reihe und sehe mich um. Was war das denn? Er ist mir ja gar nicht gefolgt! Er ist nicht mal im Bus drinnen! Überrumpelt sehe ich nach draußen. Ah, er scheint einen anderen Bus zu nehmen. Auch gut, dann habe ich meine Ruhe!
Trotzdem sehe ich wie gebannt zu ihm hin. Er starrt auf den Boden und als hätte er es bemerkt, sieht er auf einmal zu mir. Ich erschrecke und sehe schnell zur Seite. Was soll das? Wieso benehme ich mich auf einmal so zimperlich? Das ist ein freies Land, ich kann hinsehen wo ich will! Ich sehe wieder nach draußen und schon wieder treffen sich unsere Blicke. Kann er nicht woanders hinschauen? So interessant bin ich nun auch wieder nicht. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich hier im Bus, wie ein Tier im Zoo fühle. Ich bin hier gefangen und kann seinem Blick nicht entweichen.
Mit einem Ruck fährt der Bus plötzlich los. Ich sehe überrascht nach vorne, aber als ich wieder zu Pete sehen will, ist er bereits aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich seufze und lehne mich in meinem Platz zurück. Schön tief in den Sitz hinein und schließe meine Augen. Ein bisschen dösen tut mir sicher gut. Ich fühle mich immer noch nicht besser. Habe ich mich erkältet?
Ich erinnere mich plötzlich wieder an gestern. Woher wusste Pete, wie es mir ging? Es scheint als hätte er schon vorher bemerkt, dass ich krank werden würde. Schon komisch.

Der Bus hält an meiner Haltestelle an und beinahe verpasse ich meinen Ausstieg. Mühsam rappel ich mich auf und verlasse den Bus. Ich bin etwas wackelig auf den Beinen. Das ist doch einfach nur nervig. Ich habe keine Lust krank zu werden!
Ich schlurfe, wieder die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Straße entlang und biege in eine Seitenstraße ab, die lediglich für Passanten zugänglich ist. Ich öffne die Tür des Zaunes, der mein Familienhaus umgibt und gebe mir nicht die Mühe, ihn hinter mir zu schließen. Dann gehe ich den kurzen Weg zur Haustür über den Kies, vorbei am Vorgarten. Ich lebe in einem blauen Haus. Wer kommt auf die Idee und malt sein Haus blau an? Ich bin doch kein Schlumpf! Obwohl ich mich gerade so fühle.
Ich schließe die Haustür auf und betrete das Einfamilienhaus. Zwei Stockwerke, auf denen ich mich kaum aufhalte. Man glaubt es kaum, aber in diesem winzigen Haus gibt es sogar eine Sauna und einen Pool. Mein Reich befindet sich auf dem Dachboden. Dort habe ich sogar mein eigenes Badezimmer. Okay, im Sommer ist es die Hölle. Man hat das Gefühl da oben einzugehen, aber ansonsten habe ich wenigstens meine Ruhe. Und die ist mir heilig!
Meine Eltern stecken mitten in einer Scheidung. Das ist einfach nur nervig. Sie streiten zwar nicht ständig, aber es ist immer ein komisches Gefühl, mit den Beiden unter einem Dach zu leben. Sie leben einfach aneinander vorbei, als gäbe es den jeweils anderen nicht. Was ist nur passiert? Früher haben sie sich geliebt und waren unzertrennlich. Haben sie sich einfach nur auseinander gelebt? Ich weiß es nicht. Mit mir redet ja auch keiner darüber. Sie wollen nur wissen, bei wem ich leben möchte. Wenn es nach mir geht, wohne ich lieber alleine. Dann muss ich mich auch nicht entscheiden. Welche Eltern stellen ihr Kind vor solch eine Entscheidung?! Das ist doch selten dämlich!
Jedenfalls will ich davon nichts wissen. Die sollen mich bloß mit ihren Problemen in Ruhe lassen und sie mir nicht auch noch aufhalsen. Wissen die überhaupt, wie es gerade in mir aussieht?! Ich stecke mitten in einer Krise und die Beiden haben nichts Wichtigeres zu tun, als einen Krieg auszufechten, wer das Haus behalten darf und zu wem das Sorgenkind kommt. Scheinbar will mich nämlich keiner von ihnen haben. Was soll das? Bin ich auf einmal nichts mehr wert? Zur Hölle, ich bin ihr Kind!
Okay, ich bin ziemlich mies in der Schule und strenge mich auch nicht wirklich an. Wozu auch? Über die Hälfte davon brauche ich später sowieso nicht mehr. Wenn überhaupt. Schule ist die reinste Zeitverschwendung. Am Besten ich sage ihnen gar nicht, dass ich schon wieder eine Arbeit nachschreiben muss. Sonst liegen sie mir damit auch noch in den Ohren. Momentan läuft es nämlich so weit, dass sie gar nicht mehr mit mir reden. Als würde ich überhaupt nicht existieren. Und so was schimpft sich Eltern!
Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie im Flur an den Haken. Das Licht ist ausgeschaltet und so ist es ziemlich düster im Haus. Scheint noch keiner außer mir daheim zu sein. Ich streife mir die dreckigen Schuhe ab und pfeffere sie in die nächste Ecke, direkt gegen die polierten Lederschuhe meines Vaters. Na, der wird sich freuen.
Ich schleppe mich in die Küche und sehe im Kühlschrank nach, ob sich dort etwas Essbares befindet. Ich schnappe mir einen Joghurt und suche in einer Schublade nach einem Löffel. Dann setze ich mich an den Esstisch und beginne meine karge Mahlzeit. Wahrscheinlich muss ich mir später noch etwas Richtiges kochen. Eigentlich habe ich gar keine großen Appetit. Mit einem flauen Gefühl im Magen, schiebe ich den Joghurt von mir, nachdem ich die Hälfte gegessen habe. Ich stehe auf und gehe die Treppe nach oben. Im zweiten Stock hieve ich meinen Körper noch eine weitere Treppe hoch und dann bin ich endlich in meinem Zimmer. In die kurzen Seiten der Dachschräge habe ich Bücherregale eingebaut, die bis ganz nach oben reichen. Direkt neben der Tür steht eine Leiter. Im vorderen Bereich ist mein Schreibtisch mit einer ganzen Reihe an Kommoden. Ich gehe weiter nach hinten und lasse mich auf mein Bett fallen. Das Bett, dass mich hinterrücks von Pete hat träumen lassen! Sogar meine Möbel hintergehen mich und lassen ihren armen Besitzer im Stich! Dabei pflege ich sie doch immer so gut! Und das ist dann der Dank dafür.
„Pete...“, murmele ich und schließe meine Augen. Der Junge tut mir wirklich nicht gut. Als ob mein Leben nicht schon kompliziert genug wäre, werde ich noch von Alpträumen geplagt.
Es hat sich wirklich jemand gegen mich verschworen!

Ein durchdringendes Klingeln reißt mich aus meinem Dämmerschlaf. Ich bleibe liegen und rege mich keinen Zentimeter. Ich bin nicht da. Mich gibt es gar nicht. Ich bin nur eine Einbildung. Leider scheint es die Person an der Haustür anders zu sehen, denn es wird unbarmherzig weiter auf die Klingel gedrückt.
„Geh weg, ich bin nicht da!“, jammere ich und wälze mich ächzend vom Bett. Doch mir wird der Gefallen nicht getan und so schlurfe ich von meinem Zimmer wieder den ganzen Weg runter zur Haustür. Tja, heutzutage wird auf kranke Leute auch keine Rücksicht mehr genommen. Wenn es der Postbote wäre, würde ich ihn einfach ignorieren, aber bei dieser Person geht das einfach nicht.
Schwerfällig öffne ich die Tür und sehe das Mädchen vor mir grimmig an.
„Na, alles fit im Schritt?“, begrüßt Sarah Cabot mich fröhlich und betritt einfach das Haus. Wozu auch an Formalitäten halten? Sie geht hier inzwischen ein und aus, als würde sie hier wohnen.
„Ich bin krank, aber da unten ist noch alles funktionsbereit.“, erwidere ich müde und schließe die Haustür. Wieso nur komme ich mir gerade vor, wie ein Butler?
Ich folge Sarah nach oben in mein Zimmer, wo sie erst mal ihren Rucksack entleert und alles auf meinem Bett verstreut. Ich schnappe mir die Chipstüte, während sie noch einmal in die Küche läuft, um uns Cappuccino zu machen. Wenigstens eine Person umsorgt mich, wenn es mir mal nicht so gut geht.
Mit zwei dampfenden Tassen bewaffnet kommt sie wieder zurück. Bevor ich mir auch noch die Zunge verbrenne, warte ich aber lieber noch eine Weile, bis der Cappuccino nicht mehr ganz so heiß ist. Sarah fläzt sich neben mir aufs Bett und sieht mich an. Ich kenne diesen Blick. Sie will wissen, was wirklich mit mir los ist. Wieso merken Frauen immer sofort, wenn etwas nicht stimmt? Irgendwie scheinen die dafür ein Gespür zu haben.
„Ich habe Peter geheiratet.“, bringe ich mühsam heraus. Sarah sieht mich mit großen Augen an. Dann fällt sie mir plötzlich um den Hals.
„Herzlichen Glückwunsch!“, meint sie freudig. Doch ich wehre sie ab und schiebe sie von mir weg. „Gar keinen Glückwunsch! Das ist die Hölle! Ich habe von ihm geträumt, dass ich ihn heirate! Das ist doch krank!“, erkläre ich ihr entgeistert.
Sie sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. „Wer ist eigentlich Peter?“, fragte sie mich.
Sprachlos sehe ich sie an. Dann seufze ich. „Mein Mitschüler, dieser Nerd von dem ich dir erzählt habe.“, kläre ich meine Freundin auf.
„Ah, von dem Klassenfoto! Der ist süß!“, meint sie und zwinkert mir verschwörerisch zu.
„Für dich vielleicht! Ich stehe nicht auf Kerle!“, beharre ich auf meine sexuelle Neigung und stopfe mir einen Stapel Chips in den Mund.
„Eine Freundin hast du aber auch nicht.“, merkt sie an und schlürft genüsslich ihren Cappuccino. Ich sehe Sarah schmollend an. „Musst du mir das auch noch auf die Nase binden?“ Ich lasse mich nach hinten aufs Bett fallen und sofort kommt sie angekrochen und kuschelt sich an mich.
„Willst du nicht meine Freundin werden?“, frage ich sie. Sie schüttelt heftig den Kopf. Es ist ein unausgesprochenes Gesetz, dass zwischen uns beiden nie etwas laufen würde. Sie will nichts von mir und ich will nichts von ihr. Wir sind Freunde, nicht mehr und nicht weniger.
„Aber ich träume neuerdings ständig denselben Alptraum. Ich stehe mit ihm in der Kirche, er küsst mich und dann wache ich auf. Ich meine, was soll das? Hat das irgendetwas zu bedeuten? Ich will nichts von diesem Nerd mit der dämlichen Brille! Ich kriege davon nicht mal eine Erektion. Es ist ein richtiger Alptraum!“, meckere ich und sehe Sarah neben mir an. „Sag mal, schläfst du?“, frage ich sie empört. Sie schlägt die Augen auf und sieht mich an.
„Stör mich nicht, ich denke nach.“, meint sie und dreht sich um. Ihr Kopf liegt auf meinem Arm und sie scheint wirklich zu überlegen. Dann sieht sie mich ernst an und ich werde unruhig. Was hat sie mir zu sagen?
„Ich habe keine Ahnung.“, meint sie schlicht, setzt sich wieder auf und schnappt sich ihre Tasse. Wie jetzt? Das war es? Mehr hat sie nicht zu sagen?
Perplex starre ich auf Sarahs Rücken.
„Das muss doch etwas bedeuten! Ich meine, man träumt doch nicht alle Tage davon seinen Mitschüler zu küssen!“, werfe ich beharrlich ein.
Sarah dreht sich zu mir um und sieht mich einen Moment lang schweigend an. „Vielleicht willst du ihn ja küssen? Also, unterbewusst. Du bist längst in ihn verliebt, aber das ist in deinem Gehirn noch nicht angekommen.“, meint sie und trinkt ihren Cappuccino, während sie mir weiterhin in die Augen sieht.
„Ich bin nicht in Pete verliebt und ich will ihn ganz sicher nicht küssen!“, murre ich und ziehe die Stirn kraus. Den will ich ganz sicher nicht küssen. „Aber ich glaube, der will was von mir. Der läuft mir ständig hinterher.“, brumme ich.
Sarah sieht mich lachend an. „Du hast einen Stalker!“
„Oh Gott! Nein! So was kann ich nicht gebrauchen! Außerdem benimmt er sich nicht wie ein Stalker. Ich hab nur immer das Gefühl, dass er da ist und wenn ich mich umdrehe, sehe ich ihn. Das ist ein ganz komisches Gefühl. Er wusste gestern schon, dass ich krank bin. Das ist doch merkwürdig! Meinst du nicht?“, erzähle ich ihr und richte mich auf.
„Ein Alien!“, meint sie plötzlich mit großen Augen. Ich muss lachen. Sarah ist wirklich eine verrückte Nudel. Selbst wenn es mir mies geht, schafft sie es doch tatsächlich mich von meinem Kummer abzulenken.
„Ich glaube, ich bin ein Alien und nicht Pete.“, überlege ich und nehme mir meinen Cappuccino. Ich puste und trinke langsam einen Schluck. „Ist doch so. Mir geht’s scheiße und ich kippe mich hier mit lauter ungesundem Zeug zu. Wie kann es mir da noch gut gehen?“ Ich sehe zu Sarah und die nickt mir bestätigend zu. Ich grinse und boxe ihr leicht gegen die Schulter. „Du darfst mir da doch nicht zustimmen!“, erwidere ich lachend.
„Ich hab Hunger.“, jammert sie plötzlich. Als ich ihr jedoch die Chipstüte vor die Nase halte, schüttelt sie den Kopf. Ich seufze.
„Okay, ich rufe den Lieferservice an. Chinesisch?“, schlage ich vor und Sarah stimmt mir begeistert zu. Sie liebt die asiatische Küche genauso sehr wie ich. Am Besten, ich bestelle gleich etwas für meine Eltern mit, dass sie dann nur aufwärmen müssen, wenn sie heimkommen. Also schnappe ich mir mein Handy und gebe die Bestellung auf.
Plötzlich beugt Sarah sich zu mir vor und sieht mir in die Augen.
„Wa-was ist?“, frage ich sie überrascht.
„Soll ich dir mal was sagen?“, fragt sie und ich sehe ein gefährliches Leuchten in ihren Augen. Skeptisch nicke ich.
„Du bist verliebt, Emo Boy.“

I_immer




Peter hängt in der Pause immer mit zwei Mädchen herum. Loana und Selena. Anfangs haben wir alle gedacht, sie sind lesbisch, weil sie unzertrennlich sind. Sie hängen auch extrem aneinander und machen alles gemeinsam. Nach einiger Zeit haben sich die Gerüchte gelegt. Wie es scheint, sind sie wirklich nur gute Freundinnen.
Von meinem Platz aus, kann ich die Drei nur allzu gut beobachten. Ich bin eher ein Außenseiter. Ich bin nun mal ein guter Zuhörer und wenn man nicht so viel redet, denken die Meisten sofort, mit dieser Person ist einfach nichts anzufangen. Na und? Ich brauche nun mal einige Zeit, bis ich mich jemandem öffnen kann. Was ist so schlimm daran? Wem wirklich etwas an mir liegt, der wird auch Geduld aufbringen können und mich so nehmen, wie ich nun mal bin.
Ich weiß, dass ich Pete anstarre. Er bemerkt es und sieht mich nun ebenfalls an. Ein zaghaftes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. Das hat er in dieser Pause schon öfter gemacht. Ich weiß nicht, was er sich dabei denkt. Ich tue zwar so, als wäre es mir egal, aber das ist es nicht. Ich weiß nicht, wieso es mir so wichtig ist, was er von mir denkt.
Vielleicht liegt es daran, was Sarah mir gesagt hat? Das ist ein abstruser Gedanke. Ich stehe nicht auf Pete!
Trotzdem überkommt mich ein komisches Gefühl, sobald ich ihn ansehe. Natürlich versuche ich meinen Blick auch nicht abzuwenden. Wer wegsieht ist schwach. Das würde doch nur erst recht zeigen, dass ich in ihn verknallt wäre und das bin ich definitiv nicht!
Ich grummele vor mich hin und knabber an meinem Sandwich. Appetit habe ich noch immer nicht wirklich. Ganz gesund scheine ich wohl noch nicht zu sein. Ich trinke einen Schluck aus meiner Wasserflasche hinterher und sehe dann wieder zu der kleinen Gruppe rüber.
So langsam scheinen Loana und Selena auch zu merken, dass ich ständig zu ihnen sehe. Sie werfen mir schon warnende Blicke zu. Ich verstehe nur nicht, was sie damit bezwecken wollen? An den beiden Mädchen bin ich genauso wenig interessiert wie an Pete. Denken die noch, ich lasse gleich den Macker raus hängen und mobbe Klein-Pete? Für wen halten die mich eigentlich? So gestört bin ich auch wieder nicht, dass ich meinen Frust an Anderen auslassen muss!
Menno, jetzt sehen die schon alle drei zu mir. Bin ich so interessant? Ah, Klein-Pete kommt zu mir rüber. Wieso trägt er eigentlich ständig diese überdimensionale Brille? Gibt doch auch hübschere Brillen. Er sollte es mal mit Kontaktlinsen probieren.
Pete bleibt vor mir stehen. Scheinbar weiß er nichts mit seinen Händen anzufangen, denn er setzt sie ständig woanders ab. Junge, lass sie einfach hängen, wenn du schon nichts damit machen kannst!
„Morgen, Ewan!“, begrüßt er mich lächelnd.
Ich nicke nur. Wieder beiße ich von meinem Sandwich ab. Ich lehne mich nach hinten und stütze mich mit der Hand ab, damit ich nicht hinter mir im Brunnen lande. Ja, wir haben einen Brunnen mit Fischen. Ich brauche nur noch eine Angel und schon kann ich mir mein Mittagessen selber fischen.
„Kann ich mich zu dir setzen?“, fragt er zaghaft. Scheinbar wirke ich auf ihn, als wäre ich an seiner Gesellschaft nicht sehr interessiert. Wieder folgt nur ein kurz angebundenes Nicken von mir. Wieso nicke ich? Er lächelt wieder und setzt sich neben mich.
Schweigen.
Und jetzt? Was will er hier? Von da hinten konnte ich ihn viel besser beobachten. Das heißt jetzt nicht, dass ich irgendetwas von ihm will! Ich muss nur auskundschaften, woran es liegen könnte, dass ich von ihm geträumt habe.
„Ich wollte dich mal fragen, ob du die Aufgabe zu unseren Zukunftsplänen schon gemacht hast?“, fragt er mich plötzlich.
Was soll das? Wieso fragt er ausgerechnet mich danach? Ich meine, da kann man schlecht abschreiben und außerdem bringt es ihm doch nichts, dass zu wissen. Ich schüttle meinen Kopf. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich auf diesen ollen Wisch schreiben soll. Ich weiß einfach noch nicht, was ich später mal werden will. Was bringt es meinen Lehrern, jetzt schon zu wissen, was ich später mal werden möchte? Vielleicht ändere ich ja noch plötzlich meine Meinung? Was wollen sie dann bitte machen? Ist das nicht sowieso egal?
„Ich auch nicht.“, meint er nachdenklich.
Okay, das überrascht mich dann doch! Ich habe immer gedacht, dass jemand wie Pete genau weiß, was er später für einen Beruf ausüben will? Ich meine, er hat ziemlich gute Noten, er ist gebildet und ein umgänglicher Mensch. Nein, das sind bestimmt keine Komplimente! Das ist lediglich eine Feststellung! Genau!
Ich spüre schon wieder seinen Blick auf mir ruhen und als ich zu ihm sehe, liege ich wirklich richtig. Wieso merke ich es immer, wenn er mich ansieht? Irgendwie ist mir das unheimlich! Als ob ich eine Antenne dafür habe. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Und zwar gewaltig!
„Ist ja auch dumm, wie soll ich jetzt schon wissen, was ich erst in ein paar Jahren machen möchte?“
Irritiert sehe ich zu ihm. Wieso spricht er jetzt auch noch meine Gedanken aus? Der Junge macht mir Angst!
„Hast du keinen Traumberuf?“, rutscht es aus mir heraus.
Er sieht mich überrascht an. Wahrscheinlich hat Pete nicht damit gerechnet, dass ich heute noch mal mit ihm rede. Er lächelt leicht.
„Ich mag Bücher. Ich würde gerne irgendetwas in der Richtung machen. Vielleicht im Buchhandel oder so. Ich bin mir aber noch nicht ganz sicher.“, erzählt er mir mit leuchtenden Augen.
Wieso sagt er dann, er hätte nichts? Dann geht er eben in den Buchhandel. Ist doch auch ein Job.
„Ich habe mich mal selbst an einigen Geschichten versucht, aber ich glaube, dass liegt mir nicht so wirklich.“, meint er leicht deprimiert.
Ah, okay. Pete will also lieber Romane schreiben.
„Hast du was dabei?“, frage ich ihn. Wieso nur interessiert es mich auf einmal, was er schreibt? Und wieso stelle ich ihm eine Frage? Wieso zum Teufel rede ich überhaupt mit ihm?!
Pete sieht mich genauso verblüfft an, wie ich es gerne tun würde. Er nickt zögerlich, scheint nicht sicher zu sein, ob er es mir überhaupt zum Lesen geben will. Dann gibt er sich einen Ruck und beugt sich runter zu seinem Rucksack, den er scheinbar nie irgendwo unbeobachtet liegen lässt. Geschäftig wühlt er darin herum und befördert einen Hefter mit mehreren Zetteln hervor. Er reicht ihn mir. Als ich den Hefter jedoch an mich nehmen will, lässt Pete nicht los. Ich sehe zu ihm. Was ist los? Dann lässt er doch los. Ich öffne den Hefter und überfliege kurz alles, bevor ich mich daran mache, die Geschichte zu lesen.
Pete sagt gar nichts. Er scheint aufgeregt zu sein, was mein Urteil aussagen wird. Das wird sich ja noch zeigen. Ich lasse mir Zeit. Wir haben sowieso die große Pause. Ich merke beim Lesen, wie Pete ungeduldig auf seinem Platz herum rutscht.
„Hm.“, meine ich nach einer Weile. „Die ist nicht schlecht. Aber die Erotikszenen sind komisch beschrieben. Also, irgendwie macht das keinen Sinn.“, kläre ich Pete auf. Er zuckt leicht zusammen. Das merke ich sofort. Ich sehe zu ihm auf.
„Du weißt doch wie es geht. Wieso schreibst du dann nicht auf, was du beim Sex fühlst und wie der Ablauf ist?“, schlage ich vor. Denn mit der Szene in seiner Geschichte wird er bestimmt nicht sehr weit kommen.
Schlagartig wird Pete rot. „Da-das kann ich nicht machen!“, stammelt er.
Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe und sehe ihn durch meine Sonnenbrille an. „Und warum nicht? Ist doch nichts dabei?“, frage ich ihn.
„Na, weil...“, er bricht den Satz ab und sieht mich mit großen Augen an. „Also, ich hab noch nie...“, meint er und sieht beschämt zu Boden.
„Was hindert dich daran?“, frage ich ihn. Okay, bei Pete kann ich mir auch irgendwie nicht vorstellen, dass er schon übermäßig viel Sex hatte. So wirkt er auch gar nicht. Er ist also noch unerfahren. Na und? Dann macht er eben etwas später seine Erfahrungen. Ist doch kein Grund sich dafür zu schämen. Bei den Einen, wie ich zum Beispiel, passiert es halt früher und bei den Anderen später.
„Keine Sorge, du wirst auch noch zum Zug kommen.“, meine ich leichthin und halte kurz inne. „Aber geküsst hast du schon?“, frage ich ihn. Er läuft noch roter an. Also auch nicht. „Was ist mit Selena und Loana? Hast du noch keine der Beiden geküsst?“ Ich sehe zu den Mädchen rüber, die uns immer mal wieder komische Blicke zuwerfen. Ich kann sie nur nicht deuten und habe keinerlei Ahnung, was es zu bedeuten hat.
„Nein, das geht doch nicht!“, meint Pete entsetzt.
„Wieso sollte das nicht gehen?“ Skeptisch sehe ich ihn an. Sind sie doch lesbisch? „Ist doch nichts dabei.“
„Aber wir sind Freunde und Freunde küssen sich doch nicht!“, meint er beharrlich.
Ich zucke nur mit den Schultern. Was ist schon dabei? Üben kann man doch mit jedem. „Mit wem hattest du denn deinen ersten Kuss?“, fragt er mich neugierig.
Was ist denn nun kaputt? Wieso bin ich plötzlich im Mittelpunkt? Was geht es ihn überhaupt an, mit wem ich was hatte? Ich meine, wir sind nicht mal befreundet! Da kann er mich doch nicht solche Sachen fragen?
„Mit der Austauschschülerin aus Rumänien. Mit der hatte ich auch meinen ersten Sex.“, erzähle ich ihm und im nächsten Moment würde ich mich am liebsten nach hinten in den Brunnen fallen lassen und mich selbst ertränken. Wieso erzähle ich ihm das überhaupt?
Pete sieht mich bewundernd an. Seine Augen scheinen sogar zu leuchten. Was soll das? Was ist daran so interessant? Ja, okay, sie war eine heiße Schnecke, aber da lief nichts weiter zwischen uns. Sie war ja auch nur ein paar Wochen in Deutschland.
„Wie fühlt es sich an? Wie war dein erstes Mal?“, fragt er mich ganz aufgeregt. Ich weiche etwas zurück. Ja, der Junge macht mir eindeutig Angst!
„Na ja, gut halt.“, meine ich ausweichend und habe nicht vor weiter darauf einzugehen. Geht ihn auch nichts an!
„Hoffentlich dauert es bei mir nicht mehr so lange.“, meint er und sieht mich verlegen an. Was soll dieser Blick? Will er etwa doch was von mir? Bestimmt nicht! Nein, nichts da! Pete und ich sind nicht schwul! So weit kommt's noch!
„Ich kann nicht mal küssen.“, meint er bedauernd. Will ich das wissen? Den Wunsch erfülle ich ihm ganz sicher nicht!
„Wie soll ich das dann umschreiben? Hilfst du mir dabei?“, fragt er mich auf einmal hoffnungsvoll.
„Ich weiß nicht...“, meine ich wage und bin nicht so begeistert von der Idee. Ich habe keine Lust noch mehr Zeit mit Pete zu verbringen.
„Aber nur bei den Erotikszenen. Den Rest machst du selbst!“, fordere ich ihn auf. Pete nickt begeistert und ich habe das Gefühl, er würde mir am liebsten um den Hals fallen. Bloß nicht! Darauf verzichte ich lieber.
„Kommst du in die Buchhandlung an der Ecke?“, fragt er mich lächelnd. Verwirrt sehe ich Pete an. Was soll ich denn da?
„Wieso?“, frage ich ihn irritiert.
„Na ja, die gehört meinem älteren Bruder und ich gehe nach der Schule immer zu ihm und schreibe dort an meinen Geschichten. Die Atmosphäre passt einfach, weißt du?“, erzählt er mir.
Aha, so sieht das also aus. Der Junge will mich in die Enge treiben! Ich hab es gewusst! Er will mich hinterrücks benutzen und wer weiß, was er noch alles mit mir anstellt?!
Moment! Sein Bruder? Soll das ein Dreier werden? Ohne mich!
„Ich kann heute nicht!“, antworte ich ihm hastig. Na, ganz toll! Jetzt sieht er mich enttäuscht an. Nicht wirklich, aber irgendwie erkenne ich es in seinen Augen. Ich presse meine Lippen aufeinander. Was mache ich jetzt? Nicht, dass er mir auch noch die Ohren voll heult und seine beiden Bodyguards da drüben auch noch zu mir herüberkommen!
„Ende der Woche habe ich zeit.“, murmele ich und sehe auf meine Schuhe. Es ist vage und ich mache ihm damit Hoffnungen. Ich kann nur hoffen, dass er es einfach vergessen wird.
Pete nickt glücklich. Wieso freut er sich jetzt so sehr darüber? Irgendwie kann ich sein Verhalten gerade so gar nicht nachvollziehen. Muss ich etwa schon wieder mit Sarah reden? Lieber nicht, irgendwie scheint sie ja der Meinung zu sein, dass ich auf Pete stehe. Das nächste Mal sagt sie mir noch, dass Pete auf mich steht. Davon will ich gar nichts wissen!
Wieso sitzt er eigentlich immer noch neben mir? Ist das Gespräch nicht längst vorbei? Pete, deine Bodyguards warten schon auf dich.
Ich greife nach meiner Wasserflasche und kippe mir den Inhalt hinter die Binde. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Der Junge wird wohl hoffentlich nicht an mir kleben und ich werde ihn womöglich nie wieder los?! Ich will doch nur meine Ruhe haben! Ist das denn zu viel verlangt?
Pete scheint irgendwie mit sich zu hadern? Was ist denn mit dem los? Wenn er etwas sagen will, soll er damit raus rücken.
„Wieso bist du eigentlich immer allein? Willst du nicht mit uns zusammen die Pause verbringen?“, fragt er mich dann endlich und ich wünschte, er würde mir diese dämliche Frage nicht stellen. Ich schüttle mürrisch den Kopf.
„Nein, will ich nicht. Ich will meine Ruhe haben.“, sage ich klipp und klar. Pete nickt einfach nur und sieht betreten auf den Boden. Wieso ist er jetzt so geknickt? Er hat doch nichts Falsches gemacht?
„Liegt nicht an dir.“, rutscht es mir raus. Er sieht mich mit großen Augen an. Ich sehe ihn nicht an, aber wieder spüre ich seinen Blick auf mir ruhen.
„Okay.“, meint er nur und scheint nicht vorzuhaben, wegzugehen. Den Rest der Pause sitzt er einfach nur schweigend neben mir. Ich weiß nicht wieso, aber es ist irgendwie ganz angenehm. Er ist bei mir, aber er geht mir nicht auf die Nerven. Nicht, dass ich es jetzt in dem Sinne schön finde, dass er bei mir bleibt. Das bestimmt nicht!
Ich ignoriere es, dass mich die beiden Mädels mit ihren Blicken töten. Was soll das? Ich tue ihrem Küken doch nichts! Die sollen sich mal schön von mir fern halten. Ich habe keine Lust auf Ärger.
„Ich glaube, deine Freundinnen haben was gegen mich.“, sage ich Pete nach einer Weile. Er schreckt auf. Der Junge hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich noch ein Wort von mir gebe.
„Ah, ähm, sie machen sich nur Sorgen.“, meint er lächelnd.
Ich sehe ihn verwirrt an. Nicht das erste Mal heute. Worüber sorgen sie sich? Dass ich jeden Augenblick über Klein-Pete herfalle und ihm seiner Jungfräulichkeit beraube?
Ich sehe grimmig zu den Beiden rüber, was sie natürlich dank meiner Sonnenbrille nicht sehen können. Die sollen sich mal nicht so haben. Ich bin nicht scharf auf ihn und sogar Pete hat von sich aus gesagt, er will möglichst bald Sex haben. Woran soll ich also schuld sein?
„Na ja, du bist hier ja nicht allzu beliebt und eher ein Außenseiter. Sie sind nicht so sehr darüber erfreut, dass ich mit dir rede.“, meint Pete und sieht mich schulterzuckend an.
Und wieso erspart er uns nicht all den Ärger und bleibt bei seinen Freundinnen, damit ich meine Ruhe habe? Ich verstehe diesen Jungen einfach nicht.

An der Bushaltestelle bin ich diesmal allein. Nur einige Passanten warten auf den Bus. Ich musste noch eine Arbeit nachschreiben. So eine lästige Zeitverschwendung. Wer braucht den Müll schon. Die bewerten mich nach Noten! Bin ich in der Gesellschaft nur eine Note unter Tausenden!
Ich nehme mein Handy aus der Hosentasche und tippe eine Nachricht an Sarah. Eigentlich will ich sie nicht damit nerven, aber ich habe niemand Anderen, den ich mit meinem Kummer belästigen kann.
>Ewaaaaan!!!!!!! Was gibt’s? Alles gut? Wenn nicht, ist auch nicht weiter schlimm. XD Wie süß! Freut mich für dich, ein Mof weniger auf der Erde. Wie schöööööön. XD lol Und wie läufts bei dir? :-P ...Kopfweh =.= und laaaaaaangweilig.

E_eine




Es regnet mal wieder. In letzter Zeit merkt man nur allzu deutlich, dass der Herbst im Anmarsch ist. Aber wen interessiert das schon? Es passt perfekt zu meiner miesen Stimmung.
Wütend und frustriert stehe ich vor meinem üblichen Platz in der Schule. Dem Brunnen. Der Regen prasselt auf mich herunter und ich werde mal wieder klatschnass, da ich wieder keinen Regenschirm dabei habe.
So ein dummer Fisch glubscht mich an und scheint gefallen an mir gefunden zu haben. Wenigstens einer hier mag mich noch. Mit Sarah und Pete habe ich es mir schon mal gewaltig verscherzt. Die Beiden reden kein Wort mehr mit mir. Kein Wunder! Was ich ihnen gesagt habe, war ziemlich verletzend.
„Glotz' mich nicht so an! Du hast ja noch deine Freunde!“, murre ich den Fisch an, der langsam seine Bahnen um mich herum zieht. Irgendwie unheimlich. Als ob er nur darauf wartet, mich anzufallen!
„Du hast bestimmt keine Probleme und verstehst dich prächtig mit den Anderen, was?!“, meckere ihn zu und lasse nun all meinen Frust an dem wehrlosen Fisch aus. Was soll ich sonst machen? Er kann mir wenigstens nicht widersprechen.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen noch einmal mit Pete zu reden, aber ich habe keine Ahnung, wie ich es angehen soll. Ich habe nicht mal mit Sarah gesprochen! Und die kenne ich wesentlich länger. Ich sollte mich schleunigst bei ihr entschuldigen! Außerdem streite ich mich nicht sonderlich gerne. Da kriege ich meist schlechte Laune von. Ich seufze und spiele mit meinem Haustürschlüssel in der Hosentasche.
Ich stehe hier schon sicher eine halbe Stunde. Wahrscheinlich habe ich Pete verpasst. Wenn er früher Schluss hatte, wird er längst zuhause sein. Oder er ist in der Buchhandlung seines Bruders. Ich muss zwar mit ihm reden, aber mir ist nicht danach ihn dort aufzusuchen. Könnte ja sein, dass sein Bruder erst mal wie ein Wachhund auf mich losgeht! Nein, danke!
Ich drehe mich um und will gerade losgehen, als ein Schüler mich unsanft anrempelt. Ich verliere mein Gleichgewicht und lande mit einem heftigen Aufplatschen im Brunnen, der zum Glück nicht sonderlich tief ist und in dem sogar ein Nichtschwimmer überleben würde. Also jemand wie ich. Ist ja klar, dass ausgerechnet mir so etwas heute noch passieren muss! Hab ich nicht schon genug Dreck am Stecken? Dann brauche ich nicht noch mehr Pleiten, Pech und Pannen!
Ächzend rappel ich mich auf und bin nun wirklich von Kopf bis Fuß nass. Wütend und ziemlich aufgebracht sehe ich dem Typen hinterher und bemerke, dass es auch noch der Schulschwarm meiner Parallelklasse ist. Dieser Möchtegernmobber! Den würde ich auch gerne mal in den Brunnen schubsen und unter Wasser drücken.
Ihm läuft ein Junge mit Brille hinterher und da ich davon ausgehe, dass es Pete ist, stapfe ich ungelenk aus dem Brunnen heraus und renne hinterher. Ich halte ihn an der Schulter zurück und drehe ihn zu mir herum. Ich atme tief durch, ehe ich ihm in die Augen sehe.
„Ah, sorry!“, meine ich überrascht und lasse den Jungen los. Es ist nicht Pete.
Der Junge schüttelt den Kopf und läuft weiter. Diese Brille! Wie kommt es, dass neuerdings alle Jungs, diese hässliche grobe Brille tragen? Es gibt auch Kontaktlinsen. Wie wäre es denn damit? Dann würden diese Nerds vielleicht auch mal eine Freundin abkriegen.
Ich sehe den beiden Jungs hinterher und schüttle genervt den Kopf.
Wie kommt Sarah nur auf die Idee, dass ausgerechnet jemand wie ich mit Pete zusammen sein und ihn sogar lieben würde? Niemals!
„Hatschi!“, schniefend reibe ich mir meine Nase und so langsam merke ich, wie mir die Kälte in die Glieder steigt. Ich fröstle am ganzen Körper und reibe mir mit den Händen über die Arme.
Was soll ich denn jetzt machen? Pete habe ich wohl wirklich verpasst. Jedenfalls habe ich keine Lust mehr zu warten. Es bringt mir auch nichts, außer einer ordentlichen Lungenentzündung, die ich mir nicht leisten kann.
Ich schnappe mir mein Handy aus dem Rucksack und rufe Sarah an. Sie antwortet aber nur mit einem Brummeln. Klar, sie ist noch ziemlich sauer auf mich. Ist ja auch verständlich. Ich habe mich noch immer nicht mit ihr ausgesprochen.
„Hey, tut mir Leid. Ich wollte nicht all meinen Frust an dir auslassen. Das hast du echt nicht verdient! Schon gar nicht, weil du meine einzige und beste Freundin bist.“, versuche ich sie milde zu stimmen.
„Schon vergessen.“, meint Sarah, klingt aber immer noch etwas verstimmt. Ich kann also nur hoffen, dass sie es mir nicht allzu lange übel nimmt. Jetzt muss ich nur noch mit Pete reden. Das würde weitaus schwieriger werden.
„Hast du schon mit Pete...?“ - „Das habe ich noch vor!“, falle ich ihr hastig ins Wort und bin jetzt schon fieberhaft am Überlegen, wie ich es angehen soll. Ich habe nicht die geringste Ahnung und werde es auf mich zukommen lassen müssen.
„Ich rufe dich dann heute Abend an und erzähle dir, wie es lief.“, kläre ich Sarah nicht sehr zuversichtlich auf. Ich habe jetzt schon ein mulmiges Gefühl. Immer dieses miese schlechte Gewissen!
„Wehe, wenn nicht!“, ermahnt sie mich und dann legen wir beinahe zeitgleich auf.
Fahrig gleiten meine Finger durch meine Haare, die mir im Gesicht kleben. Ich streiche einige Strähnen nach hinten und trete von einem Bein aufs Andere. Mir ist kalt. Vielleicht sollte ich besser heimfahren und ein anderes Mal mit Pete reden? Allerdings will ich es auch nicht länger hinauszögern, auch wenn ich nicht einsehe, dass ich mich bei ihm entschuldigen sollte. Ist doch nicht mein Problem, wenn er nicht damit klar kommt, was ich ihm gesagt habe. Mich nervt nur mein dummes Gewissen, das sich ständig im falschen Moment meldet.
Ich stecke meine eiskalten Hände zurück in die Hosentaschen, was natürlich auch nicht viel bringt, da meine Taschen ebenfalls nass sind. Ich bin überall nass! Ganz toll!
Ich gehe geschäftig und zielstrebig los. Ich weiß ja wo der Buchladen ist. Was ich nicht weiß, ist, wo Pete wohnt. Ich würde ja lieber mit ihm unter vier Augen reden, als mit ihm im Laden, wo uns jeder belauschen kann. Da kommt man sich doch einfach nur dämlich vor!
Mit schnellen Schritten gehe ich die Straße entlang, vorbei an den blöden Autos, die mich nur noch nasser machen, wenn sie durch Pfützen fahren. Ständig bin ich am Niesen und ich kann nur hoffen, dass ich das Gespräch mit Pete schnell hinter mir habe. Ich will einfach nur noch in mein Bett!
Wie weit weg ist dieser Laden überhaupt? Ich habe das Gefühl, dass es Ewigkeiten dauert, bis ich endlich mal ankomme. Liegt es daran, dass ich eher selten bis gar nicht dorthin gehe? Oder es liegt einfach nur daran, dass es mir total mies geht.
Eigentlich ist es ganz einfach zu der Buchhandlung zu gelangen, denn man muss immer nur geradeaus gehen. Vorbei an all den Läden und Häusern. Der Regen prasselt unaufhörlich auf mich nieder und ich glaube, die nächste Zeit werde ich wohl im Krankenhaus verbringen, wenn ich nicht bald ins Trockene gelange.
Ich würde jetzt zu gerne mit diesem Fisch tauschen, der wird bestimmt nie krank. Fisch müsste man sein.
Hm? War da nicht gerade ein Geräusch? Irritiert bleibe ich stehen und sehe mich um. Dann zucke ich mit den Schultern und will weitergehen, als ich es schon wieder höre. Eine Katze. Ich sehe mich um und versuche dem Geräusch zu folgen, was gar nicht so einfach ist. Trotzdem kann ich nichts erkennen. Es ist einfach zu dunkel. Dabei haben wir Nachmittag. Wie kann nur so schlechtes Wetter sein? Ist heute etwa schon der Weltuntergang? Nicht der, von dem alle denken. Sondern meiner. Mein ganz persönlicher Weltuntergang.
Da ich keine Katze entdecken kann, beschließe ich einfach weiterzugehen. Was bleibt mir auch anderes übrig? Vielleicht hat die Katze auch nur gemeckert, weil sie genauso wenig nass werden will wie ich? Katzen mögen immerhin auch kein Wasser.
Ich gehe also weiter die Straße hinunter und komme zu einer Kreuzung. Mir scheint, als dauert es eine halbe Ewigkeit, bis die Ampel auf grün springt. Ich laufe hastig über den Zebrastreifen und plötzlich höre ich schon wieder eine Katze. So langsam wird mir das Ganze dann doch unheimlich. Ich sehe mich um, kann aber schon wieder nichts wahrnehmen. Zumindest fällt mir nichts auf. Fange ich etwa an zu halluzinieren? Leide ich schon unter einem Fieberwahn?
Mit mulmigem Gefühl gehe ich die letzten paar Meter zu dem hell erleuchtetem Laden. So langsam kriecht die Angst in mir hoch. Das wird doch wohl nicht der Geist einer Katze sein, der mich nun verfolgt, oder?
Ich betrete den Laden. Sofort schlägt mir die warme Luft entgegen, fängt mich ein und umgarnt meinen Körper. Ich seufze wohlig auf. Viel angenehmer als draußen. An der Tür macht eine kleine Klingel auf mich aufmerksam. Was ich nicht bemerke, ist die Leiter direkt neben der Tür, gegen die ich pralle und plötzlich gerate ich unter Beschuss. Einige Bücher fallen auf mich herunter und panisch versuche ich meinen Kopf mit den Armen zu schützen. Ich versuche noch auszuweichen, aber das endet nur in einem kläglichen Fall zu Boden.
„Aua...“, murmle ich und halte meinen brummenden Schädel. Irgendwie hat es wirklich jemand nicht sehr gut mit mir gemeint. Mühsam rappel ich mich auf und bemerke das Desaster auf dem Boden. Überall liegen Bücher verstreut.
„Kannst du nicht aufpassen?!“, meckere ich die Person auf der Leiter an und sehe erst jetzt auf. Mein Blick wird starr und augenblicklich verspüre ich die Lust den Laden, so schnell ich kann, zu verlassen. Meine Beine bewegen sich aber keinen Zentimeter.
Vor mir, auf der Leiter, steht Pete. Vielmehr hängt er irgendwie krampfhaft am Regal, weil er das Gleichgewicht verloren hat und nun hangelt er halb in der Luft, weil er versucht, seinen Fuß zurück auf die Sprosse zu setzen. Ein merkwürdiger Anblick.
„Sorry!“, meint er mit gepresster Stimme und schafft es doch noch, sich in Position zu bringen und die Leiter herunter zu klettern. Er bleibt etwas unschlüssig vor mir stehen und geht dann in die Hocke, um die Bücher einzusammeln. Keiner von uns sagt auch nur ein Wort. Mein Kopf ist auf einmal wie leer gefegt. Mit dem Anschlag habe ich nun mal einfach nicht gerechnet. Kann doch jedem mal passieren!
Ich höre schon wieder eine Katze und sehe mich mürrisch um. Meine Augen weiten sich. Direkt neben mir sitzt eine Katze. Schwarzweißes Fell. Sie sieht mich aus ihren dunklen Augen an und maunzt mich von der Seite zu.
„Mahabba!“, meint Pete aufgeregt und lässt beinahe die Bücher fallen, die wahrscheinlich auf meinen Beinen gelandet wären. Er legt den Bücherstapel ab und greift nach der Katze, um sie auf den Arm zu nehmen. „Wo hast du dich denn schon wieder herumgetrieben? Du bist ja ganz nass!“, meint er besorgt.
Und was ist mit mir? Ich meine, ich bin auch bis auf die Knochen nass. Nur mal so am Rande bemerkt. Zählt wohl nicht so viel, wie bei einer Katze.
Erst jetzt sieht Pete mich an. Er lächelt zaghaft. Wieso lächelt er? Ist er etwa gar nicht mehr wütend auf mich? Hat er schon vergessen, was ich ihm gesagt habe?
„Hast du Mahabba gefunden? Du bist auch ganz nass.“, stellt Pete fest und fährt mir mit der Hand durch die Haare. Moment mal! Was macht er da?
Pete scheint meinen ungläubigen Blick zu bemerken, denn er zieht seine Hand schnell wieder zurück. „Mahabba gehört meinem Bruder. Sie geht ständig auf Streifzüge und wenn wir nicht aufpassen, verlässt sie auch schon mal den Laden.“, erklärt Pete und wirkt auf einmal ziemlich schüchtern auf mich.
Irgendwas muss ich wohl verpasst haben. Normalerweise ist Pete doch eher zugänglich und recht offen. Hat er es doch noch nicht vergessen, was ich ihm gesagt habe?
Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Ich spüre schon wieder die Kälte in mir aufsteigen, dabei befinde ich mich in einem warmen Raum. Pete lässt Mahabba zu Boden, schiebt die Bücher zur Seite und greift dann nach meinem Arm, um mich hochzuziehen. Meine Beine scheinen ihren Dienst zu versagen, denn irgendwie haben sie keine Lust mehr sich zu bewegen. Mit wackeligen Beinen stehe ich mühsam auf und folge langsam Pete, der mich durch den Laden nach hinten in ein angrenzendes Zimmer führt. Es ist dunkel, für einen Moment, bis Pete das Licht anschaltet. Es riecht überall nach Büchern. Sogar in diesem Raum. Es scheint ein kleiner Aufenthaltsraum zu sein, denn hier steht ein Sofa mit Fernseher und im hinteren Teil ist eine Pantryküche.
„Du musst erst mal aus den nassen Sachen raus! Ich hab noch meine Sportklamotten dabei. Die sind zwar benutzt, aber immer noch besser, als in der nassen Kleidung.“, meint Pete und lässt mich mitten im Raum stehen. Er geht in den hinteren Teil und wühlt in einer Sporttasche herum. Dann fördert er einen Jogginganzug in schwarz hervor, der an den Seiten weiße Streifen hat. Pete dreht sich zu mir herum und sieht mich aufmerksam an. Ich muss schlucken. Ist doch wohl nicht sein ernst? Ich ziehe mich ganz sicher nicht vor ihm aus! Das hätte er wohl gerne!
Pete steht auf, geht mit den Klamotten zu mir und überreicht sie mir in meine klammen kalten Hände. Es fällt mir schwer sie festzuhalten und erst jetzt merke ich, wie sehr mein Körper am zittern ist. Da Pete sich nicht vom Fleck bewegt, bin ich wohl oder übel dazu gezwungen mich auszuziehen. Wehe, er guckt mir irgendetwas weg!
Mühsam öffne ich den Reißverschluss meiner Jacke, aber es will mir nicht so recht gelingen. Ich schaffe es einfach nicht. Ehe ich noch einen Wutausbruch darüber bekomme, geht Pete mir zur Hand. Er schiebt meine Hände zur Seite und zieht den Reißverschluss herunter. Dann streift er mir die Jacke von den Schultern. Ich beobachte ihn dabei und er scheint es zu merken, denn er wirkt etwas nervös auf mich. Kein Wunder, ich habe ihn nicht gerade nett behandelt, bei unserem letzten Treffen.
Etwas unsicher greift er nach meinem dünnem Pullover und zieht ihn mir vom Kopf. Dasselbe macht er mit meinem Shirt. Es ist schon ein komisches Gefühl, seinen Blick auf meinem nacktem Körper zu spüren. Beim Ausziehen berühren seine Fingerspitzen meine Haut und ich kriege sofort eine Gänsehaut.
Pete öffnet meinen Gürtel, den Hosenknopf und zieht mir den Reißverschluss meiner schwarzen Jeans herunter. Kommt mir das nur so vor, oder hat das gerade irgendwie etwas Verruchtes?
Ich streife mir mit Pete's Hilfe die Schuhe von den Füßen und schon im nächsten Moment zieht er mir die Hose in die Kniekehlen. Jetzt ist es an mir rot zu werden. Ich trage zwar noch meine Boxershorts, aber mich beschleicht so ein komisches Gefühl. Liegt es am Fieber?
Oder ist es einfach nur die Position von uns Beiden, die mich verrückt macht? Immerhin stehe ich hier leicht bekleidet im Raum und Pete hockt vor meiner Körpermitte, mit dem Kopf direkt vor meinem besten Stück!
„Peter, wieso liegen die Bücher auf dem Boden? Du solltest sie doch ins Regal einräumen!“ Hinter mir dringt eine Stimme in den Raum und überrascht drehen wir uns um. Vor mir steht wie erstarrt ein junger Mann. Er ist größer als ich, hat blonde Locken und einen leichten Rotschimmer im Gesicht. „Ähm, also, das kann auch noch warten. Ich komme wieder, wenn ihr fertig seid!“, meint er hastig, dreht sich um und schließt die Tür.
Erdboden tu' dich auf! Wo ist er nur immer, wenn man ihn am dringendsten benötigt? Geht’s eigentlich noch Schlimmer?
Ich drehe mich zu Pete um. „Das war dann wohl dein Bruder?“, frage ich mit zittriger Stimme. Pete nickt und ist ebenfalls knallrot im Gesicht. Unbeweglich verharren wir und sind kaum in der Lage etwas von uns zu geben. Ich gebe mir einen Ruck, nehme den Jogginganzug an mich und ziehe ihn mir schnell über, bevor mich noch jemand sieht. Ich setze mich aufs Sofa und weiß nicht, was ich jetzt noch machen oder sagen soll. Pete steht auf und geht noch einmal zu seiner Sporttasche. Er nimmt ein Handtuch heraus und kommt zurück zu mir. Unschlüssig bleibt er vor mir stehen, bis er sich überwindet und damit beginnt mir die Haare trocken zu rubbeln. Dabei geht Pete so vorsichtig vor, als wäre ich aus Porzellan.
Wir schweigen uns an, aber irgendwie ist es gar nicht so unangenehm. Ich sehe zu ihm auf und Pete schaut mir direkt in die Augen. Noch immer erkennt man eine leichte Röte auf seinen Wangen. Ich habe keine Ahnung wieso, aber mir wird auf einmal ganz warm. Ich weiß auch nicht genau woran es liegt, aber im Moment ist es mir auch völlig egal. Ich kann sowieso nicht klar denken. Mein Kopf ist leer. Da drinnen ist zurzeit gar nichts.
Was mache ich hier eigentlich? Ich gaffe Pete an und irgendwie steht er viel zu nah an mir dran!Junge, nimm Abstand, bevor noch ein Unglück geschieht! Ich stehe überhaupt nicht auf Pete, wieso also sollte es mir gefallen, wenn er so vor mir steht? Das ist Irrsinn! Nicht mit mir!
Mit mir vielleicht nicht, aber irgendwie macht sich mein Körper gerade selbstständig und das geht mir mächtig gegen den Strich!
Das muss am Fieber liegen. Natürlich! Wieso ist mir das nicht schon früher eingefallen? Das ist doch so offensichtlich! Ist ganz einfach! Das Fieber ist schuld. Ich bin schon länger krank, dann ist es auch kein Wunder, wenn mal die Hormone verrückt spielen. Das muss ich unbedingt Sarah erzählen! Von wegen Liebe!
Aber ich muss schon sagen, dass Pete gut aussieht. Zumindest, wenn er einfach mal diese blöde Brille absetzen würde. Die steht ihm sowieso nicht! Okay, doch. Es gibt ihm so einen unschuldigen Blick, den ich einfach nie ertrage, aber dennoch irgendetwas an sich hat.
Wir sehen uns noch immer an, wobei ich mich schon beinahe wie in Trance fühle. Gerade als ich mit meiner Hand nach Pete's greifen will, geht er zur Seite und setzt sich neben mir auf das Sofa. Es reicht gerade mal für zwei Personen. Das hat doch wieder irgendjemand mit Absicht gemacht!
Und mein Körper macht jetzt auch was ihm gefällt. Ist nun jeder gegen mich? Was hab ich bloß verbrochen, dass mir das Leben so unfair mitspielt? Kann ich vielleicht auch mal eine Runde aussetzen? Ich bin nun mal nicht scharf drauf, Pete näher zu kommen. In jeglicher Hinsicht!
Jetzt sitzt er auch noch so nahe an mir dran, das ist wirklich fies. Ich kann sogar sein Parfum riechen. Moment mal! Der Knirps benutzt Parfum? Ja, eindeutig. Ein Männerduft. Oh Mann, wieso muss das so gut riechen? Das kann doch nicht wahr sein! Ich will das alles doch gar nicht!
Ich versuche etwas Abstand zu nehmen, aber auf dieser kleinen Couch ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Immer, wenn ich versuche etwas von Pete abzurücken, rutsche ich auf dieser bescheuerten Couch zurück zu ihm. Missmutig bleibe ich also an Ort und Stelle sitzen, auch wenn ich am liebsten aufstehen und die Fluch ergreifen würde. Kann ich aber nicht, denn ich habe noch eine Mission zu erfüllen. Ich muss Klein-Pete klar machen, dass ich einen Fehler gemacht habe und wenn ich eines nicht mag, dann ist es meine Fehler auch einzugestehen. Das ist einfach nicht mein Ding. Und ich bin nicht gut darin.
Noch immer schweigend sitzen wir nebeneinander. Kann er nicht den Anfang machen und irgendetwas sagen? Muss ja keinen Sinn machen, aber wenigstens etwas. Dann müsste ich vielleicht nicht die ganze Zeit an sein Parfum denken. Das Zeug macht mich noch irre!
Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er starrt auf seine Hände und scheint auf etwas zu warten. Meine Entschuldigung. Ich fürchte nur, da muss er lange drauf warten. Schon wieder rieche ich seinen Duft. Was ist das nur? Da muss doch irgend so ein Aphrodisiakum drin sein. Sonst würde es mir nicht so zusetzen.
Ich lecke mir nervös über meine trockenen Lippen. Er wirkt ja schon etwas mädchenhaft. Das muss der Grund sein, wieso alle denken, ich will was von ihm. Genau! Dass wird es sein!
Ich erstarre und merke erst jetzt, dass ich viel näher an ihm dran bin. Wie ist das denn passiert? Habe ich was verpasst? Ich will doch gar nichts von ihm, geht das nicht irgendwann mal in meinen Schädel rein? Mein Verstand verabschiedet sich langsam und das gefällt mir gar nicht!
Pete sieht mich scheu an und öffnet seine Lippen um etwas zu sagen, aber ich kann nicht anders und muss die ganze Zeit auf diese zierlichen Lippen starren. Im Licht schimmern sie leicht und schon wieder muss ich mir über meine eigenen Lippen lecken. Ich schlucke.
Das Fieber, die Hormone, das Parfum! Alles ist schuld! Pete ist schuld!
Mit einem Ruck reiße ich den Jungen nach hinten und durch die plötzliche Wucht fällt Pete beinahe seitlich von der Couch. Er sieht mich mit großen irritierten Augen an. Diese blöde Brille! Ich nehme sie ihm ab und lasse sie zu Boden fallen. Pete liegt unter mir, ich kann ihn riechen, fühlen und beuge mich zu ihm herunter, kann meinen Blick einfach nicht von ihm abwenden. Pete, was machst du nur mit mir?
„Ewan? Was machst du da?“, fragt er mich überrumpelt.
Ich presse meine Lippen auf seine, die so schön weich und zart sind, wie ich es nie gedacht hätte. Ich spüre, wie er unter mir erstarrt. Trotzdem kann ich nicht von ihm ablassen, presse meinen Mund immer wieder gegen seinen und halte ihn an seinen Handgelenken ins Polster gedrückt. Mein Körper sinkt langsam auf seinen.
„N-nicht...ngh~...hör...auf...“ Pete versucht seinen Kopf wegzudrehen, aber ich lasse sein Handgelenk los und greife nach seinem Kinn, lasse ihn nicht flüchten. Meine Lippen liegen wieder auf seinen und ich kann nicht anders, als mit meiner Zunge dazwischen zu gehen und sie voneinander zu trennen, nur um gierig seine Mundhöhle zu erforschen. Ich dränge meine Zunge immer wieder gegen seine, aber er geht nicht darauf ein, so angespannt ist er. Ich merke es kaum, schmecke nur ihn auf meiner Zunge und kann nicht von dieser Süße ablassen. Wie in einem Rausch fühle ich mich. Meine Hände gehen auf Wanderschaft, schlüpfen flink unter sein Shirt und liebkosen die warme Haut mit meinen eiskalten Fingern. Er bekommt eine Gänsehaut und keucht erschrocken auf. Meine Hand wandert tiefer, über seinen Bauch und runter zu seinem Hosenbund. Erregt lasse ich meine Hand in seine Hose gleiten und greife nach seinem Penis. Er drückt seine Beine zusammen, aber auch das kann mich kaum davon abhalten, ihn zu berühren. Seine Hände greifen in den Pullover. Sein Geruch, das ich nun an mir trage. Er versucht mich wegzuschieben. Mein Körper schiebt sich nur noch weiter auf ihn herauf. Meine Faust drückt fester auf seinen Penis und stöhnend spreizt er seine Beine. Einen Moment lang bin ich unaufmerksam, er dreht seinen Kopf weg und verpasst mir eine schallende Ohrfeige.
Als wäre ich aus einem Traum erwacht, sehe ich wieder klar. Klarer, als mir lieb wäre. Was mache ich hier? Ich sehe runter auf Pete, unfähig mich zu bewegen. Er liegt schwer atmend unter mir. Seine Wangen sind ganz rot und er hat Tränen in den Augenwinkeln. Entgeistert wird mir bewusst, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Verkrampft liegt Pete halb auf der Couch und hat noch immer seine Hände in den Pullover des Trainingsanzuges festgekrallt.
Statt mich bei ihm zu entschuldigen, hätte ich ihn beinahe vergewaltigt. Meine Nackenhaare richten sich auf. Leicht außer Atem sehe ich Pete an.
„Peter! Du hast die Bücher in das falsche Regal eingeräumt!“, ertönt plötzlich eine Stimme und erschrocken sehen wir zur Tür, die gerade lautstark aufgerissen worden ist. Entsetzt sehe ich Pete's Bruder an. Er scheint genauso überrascht zu sein und bleibt im Türrahmen stehen. „Ni-nicht schon wieder...“, stammelt er. „Tut mir echt Leid!“ Sich immer wieder entschuldigend verzieht er sich aus dem Zimmer und läuft wieder knallrot an. Die Tür geht zu. Schweigen erfüllt den Raum und ich wage es kaum wieder zu Pete zu sehen.
„Geh runter.“, meint er ruhig. Seine Stimme zittert und er hat Mühe seine Fassung zu wahren. Ich sehe nun doch zu ihm und lasse von dem Jungen ab. Fahrig streichen meine Hände durch meine Haare. Mir ist so heiß und ich kann noch immer keinen klaren Gedanken erfassen. Mit einem Blick nach unten, bemerke ich, wie erregt ich bin.
Pete richtet sich auf und rückt seine Kleidung zurecht. Angespannt sitzen wir wieder nebeneinander. Ich weiß nicht wie lange ich so neben ihm sitze, vor mich hin starrend und völlig in Gedanken versunken.
„Ka-kannst du bitte gehen?“, fragt Pete mit zitternder Stimme neben mir und versucht es krampfhaft zu unterdrücken. Langsam erhebe ich mich von der Couch, greife nach meinem Rucksack und gehe zur Tür. Ich greife nach der Klinke und halte einen Moment inne.
„Es tut mir Leid.“, murmele ich und öffne die Tür. Knarzend schließt sie sich hinter mir. Ich verlasse den Laden, ignoriere den verwunderten Blick, den Pete's Bruder mir zuwirft und stehe wieder draußen im Regen. Es ist kalt und in wenigen Sekunden bin ich wieder bis auf die Knochen nass.
„Ich hab meine Klamotten vergessen.“, fällt mir ein, aber ich kann da jetzt nicht zurück gehen. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen und gehe zügig über die Straße.
Nur weg von diesem Laden, weg von Pete, weg von der erdrückenden Stille.
Einfach nur weg.

B_bittere




Ich sitze mal wieder am Brunnen. Es ist frühmorgens und ich bin noch gar nicht richtig wach. So langsam füllt sich der Schulhof, aber von Pete ist noch weit und breit nichts zu sehen. Ob er heute überhaupt kommt?
So ganz kann ich es mir ja nicht vorstellen. Nicht nach dem, was ich gestern gebracht habe. Ich schätze mal, jetzt habe ich es komplett versaut. Dabei wollte ich mich lediglich für mein Benehmen entschuldigen.
Ein dunkler Schatten legt sich auf mich und als ich aufsehe, erkenne ich Pete's Bodyguards, Selena und Loana. Sie sehen mich fordernd an. Was wollen sie von mir? Eine Erklärung? Pete's Wachhunde nerven mich jetzt schon, dabei haben sie nicht mal den Mund aufgemacht. Aufmerksam sehe ich die beiden Mädchen durch meine Sonnenbrille hindurch an.
„Was hast du mit Peter gemacht? Seit du letztens hier am Brunnen mit ihm geredet hast, ist er total komisch! Erst war er richtig gut gelaunt und im nächsten Moment total traurig!“, fährt mich Loana an. Ich war schon immer der Meinung blonde Mädchen sind dumm. Loana belehrt mich eines Besseren.
„Ich habe echt nichts dagegen, wenn ihr euch anfreundet. Ich finde es schön, wenn Peter auch mal mit einem Jungen zusammen abhängt und nicht immer nur mit Mädchen, aber wage es ja nicht ihn zu verarschen! Ich weiß ja nicht, was du da für ein Spiel mit ihm treibst, aber so wie er sich gestern am Telefon angehört hat, vergeudet er nur seine Zeit mit dir!“, keift sie mich an.
Mir sackt das Herz in den Keller. Hat Pete ihr etwa alles brühwarm erzählt? Nein! So etwas würde ich dem Kleinen nicht zutrauen. Obwohl, ich könnte es schon verstehen, wenn er die Beiden vor schickt, nachdem was ich gestern getan habe. Ich würde es ja selbst machen in seiner Lage.
„Loana hat Recht!“, schaltet sich nun auch die dunkelhaarige Selena ein. „Peter hat das gar nicht verdient. Er ist wirklich ein netter Junge!“, sie stemmt ihre linke Hand in die Hüfte und zeigt mit ihrem Finger auf mich. „Du ziehst ihn nur runter! Lass deinen Frust nicht an ihm aus!“
Loana sieht mich einen Moment nachdenklich an. „Hör zu, Ewan. Ich denke, es wäre besser, wenn du dich in Zukunft von Peter fern hältst.“
Wie recht diese beiden Mädchen doch haben. Ich weiß doch selbst, dass nichts Gutes dabei herauskommt, wenn Pete und ich zusammen sind. Im Grunde genommen will ich es ja auch nicht. Ich bin immerhin nicht schwul. Das gestern war lediglich ein Ausrutscher. Genau! Ein Ausrutscher! Alles nur wegen seinem dummen Parfum, das mich so verrückt gemacht hat!
Die beiden Mädchen sehen mich noch einmal mahnend an und verziehen sich dann in ihre übliche Ecke. Ich kann mir denken, worüber sie noch reden werden. Genervt sehe ich mich weiter auf dem Schulhof um und entdecke am Eingang tatsächlich Pete. Er sieht etwas neben der Spur aus. Unverhohlen betrachte ich ihn, doch er sieht mich überhaupt nicht an. Will er mich damit etwa strafen? Etwas Besseres fällt ihm wohl nicht ein.
Ich wüsste auch nicht, worüber ich mit ihm reden sollte. Wir haben ja kaum gemeinsame Interessen. Jedenfalls fällt mir auf Anhieb keine ein. Ich lese nicht gerne, also fallen Bücher schon mal weg. Er scheint eher ein Bücherwurm zu sein, also schaut er weniger Fernsehen als ich. Okay, wie es scheint, sind wir beide ziemlich langweilig. Wow! Dann haben wir ja doch eine Gemeinsamkeit!
Bringt mir allerdings auch nicht sehr viel. Damit bekomme ich auch kein Gespräch zustande.
Ich sehe tatenlos zu, wie Pete an mir vorbei geht, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Hätte ich ihm ja nicht zugetraut. Er wirkt nicht wie jemand, der andere Menschen ignorieren kann.
Oh Gott! Er hält mich für einen Schwulen! Deswegen will er nichts mehr mit mir zu tun haben und ignoriert mich! Womit habe ich das denn verdient? Hey, ich habe ihn nur ein bisschen befummelt, da ist doch nichts weiter dabei. Davon kann er mich doch nicht gleich für einen Schwulen halten?! Das kann er nicht machen. So ein oberflächlicher Kerl ist er doch gar nicht, oder doch? Ich bin doch gar nicht schwul! Ich will es auch nicht sein!
Ich nehme mein Handy aus der Hosentasche und wähle Sarah's Nummer. Es tutet und dauert eine halbe Ewigkeit, bis sie abnimmt. Was hat sie nur wieder gemacht?
„Ewan, was gibt’s?“, begrüßt sie mich gut gelaunt.
„Ich bin nicht schwul...“, wimmere ich und sehe rüber zu Pete und den beiden Mädchen.
„Schön für dich und weiter?“, fragte sie mich ungerührt. Perplex sehe ich mein Handy einen Moment an. Dann halte ich es mir wieder an mein Ohr.
„Pete hält mich für schwul, deswegen will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Alles nur, weil ich ihn gestern ein bisschen angefasst habe!“, meckere ich, wobei es eher einem Jammern gleicht.
„Du Esel! Nachdem was du mir gestern noch erzählt hast, war es mehr als nur ein bisschen anfassen!“, murrt sie mich an und hat ja auch recht. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen will.
„Trotzdem bin ich nicht schwul!“, beharre ich auf meiner sexuellen Orientierung. „Das war nur ein dummer Traum! Das macht mich nicht sofort zu einem Schwulen!“
Sarah kichert. „Und trotzdem bist du ihm an die Wäsche gegangen. Wenn du betrunken gewesen wärst, könnte ich es ja verstehen. Warst du aber nicht. Also, was war da los mit dir?“
Ich schweige. Ja, was war los mit mir? Wenn ich das nur wüsste? Ich habe es einfach aus einem Impuls heraus gemacht. Nur wieso? Lag es wirklich an seinem Parfum? Wohl kaum, oder? Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer woran es liegen könnte.
„Weißt du was ich denke? Man muss nicht unbedingt schwul oder lesbisch sein, um eine Person zu lieben. Das heißt noch lange nicht, dass du auch auf andere Jungs stehst, nur weil du Pete attraktiv findest. Vielleicht ist er einfach nur eine Ausnahme? Deine Ausnahme.“, meint Sarah aufmunternd. „So, ich muss zur Schule. Wir reden später. Bye!“ Klick. Und schon hat sie aufgelegt.
Ich lege ebenfalls auf und stecke mein Handy zurück in die Hosentasche. Ob sie Recht hat? Ich sehe noch einmal zu Pete. So ganz kann ich es nicht glauben. Sollte es wirklich der Fall sein und ich stehe auf diesen Jungen und keinen Anderen? So etwas gibt es doch nicht, oder? Was soll ich denn jetzt machen? Mal eben rüber gehen und sagen: Hey, Pete ich finde dich echt scharf, aber andere Kerle interessieren mich nicht die Bohne!? Ich seufze. Das bringt mich nicht weiter.
Und wenn ich es ausprobiere? Bisher war ich so sehr auf Pete fixiert, dass ich mich gar nicht erkundigt habe, ob er der einzige Junge ist. Wenn ich dann nicht schwul bin, kann es ja gar nicht so schlimm sein. Hoffe ich einfach mal. Also muss ich zuerst herausfinden, ob andere Kerle anziehend auf mich wirken.
Ich sehe mich auf dem Schulhof um und seufze genervt. Wie soll ich von all den Idioten um mich herum jemand Gutaussehenden finden? Okay, vielleicht unser Schulschwarm? Den finden doch die Mädchen zum Anbeißen. Ich sehe zu ihm herüber, aber irgendwie fühle ich nichts dabei. So toll finde ich ihn auch nicht und er ist ein mieses Arschloch. Immerhin hat er mich in den Brunnen geschubst!
Hm, vielleicht die kleine Brillenschlange? Sein Anhängsel. Ich betrachte den Jungen, der eine gewisse Ähnlichkeit zu Pete aufweist. Na ja, das einzige was sich bei ihnen ähnelt ist diese grauenvolle Brille. Aber ansonsten spricht er mich auch nicht an. Und was jetzt?
Sollte ich vielleicht nach jemand Anderem Ausschau halten? Etwas älter und nicht unbedingt jemanden den ich kenne. Wo finde ich so eine Person? Einfach jemanden auf der Straße anhalten und ihn ansprechen? Nee, kommt gar nicht in die Tüte! So etwas mache ich ganz sicher nicht! Ist doch total peinlich!
Ah! Pete hat doch einen Bruder! Aber mit dem kann ich nicht sprechen. Der weiß bestimmt auch schon längst von gestern. Es sei denn Pete hat ihm gar nicht erzählt, was vorgefallen ist. Was mache ich nur? Wenn ich zur Buchhandlung gehe, ist Pete bestimmt auch dort. Ich will ihm nicht so schnell wieder über den Weg laufen. Dann benehme ich mich bestimmt wieder wie der hinterletzte Trottel! Ich muss also einen geeigneten Zeitpunkt finden, um mich allein mit seinem Bruder zu treffen. Sofern er überhaupt gut auf mich zu sprechen ist.
Ich stehe auf und schnappe mir meinen Rucksack. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ist doch der perfekte Zeitpunkt! Pete ist im Unterricht und ich kann in Ruhe Nachforschungen anstellen. Ich bin ja immer noch der Meinung, dass es lediglich ein dummer Traum gewesen ist, der keine tiefere Bedeutung hat.
Ich bleibe kurz stehen. Mir ist, als würde mich jemand beobachten. Nicht schon wieder dieses komische Gefühl. Ich drehe mich langsam um und sehe zu Pete. Genau in seine Augen. Ich weiß nicht, was er gerade jetzt empfindet oder denkt. Ich schiebe meine Sonnenbrille etwas hoch und gehe dann geradewegs auf das Schultor zu. Mir ist egal, was er jetzt über mich denkt. Immerhin ist das hier für einen guten Zweck!
Ich laufe die Straße herunter und laufe geradeaus. Ich beeile mich und gehe zügiger. Der Himmel ist ziemlich wolkenverhangen und ich habe keine Lust schon wieder bis auf die Knochen nass zu werden.
Ich schaffe es noch vor den ersten Regentropfen in die Buchhandlung zu laufen. Sofort empfängt mich die herrliche Wärme, die ich schon beim ersten Mal gespürt habe und ein leises Klingeln macht auch gleich auf mich aufmerksam. Allerdings kümmert das die paar Leute im Laden herzlich wenig. Einige sehen kurz auf, kümmern sich aber sofort wieder um ihre Auswahl an Büchern, die sie sich wohl kaufen wollen.
Ich sehe mich kurz um. Pete's Bruder steht weiter hinten im Laden und sortiert neue Bücher in die Regale ein. Wie bin ich nur darauf gekommen ihn zu testen? Ausgerechnet Pete's Bruder? Was erhoffe ich mir davon? Ich weiß ja nicht einmal wie der Kerl überhaupt heißt!
Langsam gehe ich auf ihn zu. Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll. Ich komme mir gerade so blöd vor. Ich habe mir überhaupt keinen Plan zurecht gelegt. So eine Schnapsidee! Wie soll mir das etwas bringen?
So langsam werde ich nervös, je näher ich ihm komme. Was ist, wenn er mich erkennt? Wenn er längst weiß, was ich Pete gestern angetan habe? Der Typ macht mich noch kalt und lässt es aussehen wie einen Unfall! Das würde ich ihm glatt zutrauen. Der Kerl muss doch sehr viel Fantasie haben, wenn er so viele Bücher in seinem Laden hat. Der weiß bestimmt, wie man es hinterher wie einen Unfall aussehen lässt. Oh je, Ewan, beruhige dich! Das wird schon.
Ich stehe hinter ihm und bleibe planlos wo ich bin. Und jetzt?
„Ähem!“, ich räuspere mich und er zuckt kurz erschrocken zusammen. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Der Blondschopf dreht sich zu mir herum und sieht mich an. Erst ist sein Blick irritiert, doch dann scheint er mich zu erkennen.
„Bist du nicht Peters Freund?“, fragt er mich und ein leichtes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. Ich nicke. „Musst du nicht in der Schule sein?“
Ich zucke lediglich mit den Schultern. Nervös lecke ich mir über meine trockenen Lippen. Wie soll ich denn jetzt vorgehen?
Er sieht mich noch immer an. Scheinbar wartet er auf etwas. Das kommt mir so bekannt vor. Ich schlucke. Was soll ich denn jetzt machen?
„Suchst du ein Buch?“, fragt er mich noch immer freundlich anlächelnd. Ein Buch? Was soll ich damit? Ich schüttele heftig mit dem Kopf.
„Tut mir Leid, dass ich gestern ständig rein geplatzt bin. Ich wusste nicht einmal, dass Peter schwul ist und dann auch noch einen Freund hat.“, meint er mit einem besorgten Blick. Wow, er denkt Pete ist schwul? Der Typ kriegt scheinbar auch gar nichts mit.
„Ich bin nicht schwul und auch nicht Pete's Freund.“, meine ich und warte mit klopfendem Herzen auf den Faustschlag mitten in mein Gesicht. Aber er kommt nicht. Der Mann vor mir sieht mich nur mit großen Augen an.
„Oh, sorry. Heißt das etwas, dass Peter...?“, scheinbar weiß er nicht, wie er sich ausdrücken soll, denn er lässt den Satz offen im Raum stehen. Ich schüttele wieder mit dem Kopf.
„Nein. Pete hat nichts gemacht. Ich meine, es ist schon irgendwie passiert. Also, na ja, ich bin nur einfach nicht schwul.“, stammele ich. Pete's Bruder nickt verständnisvoll, auch wenn er wahrscheinlich keinen blassen Schimmer hat wovon ich hier gerade spreche.
Ich hole tief Luft und beuge mich dann einfach vor, drücke ihm meine Lippen auf den Mund und halte mich an ihm fest. Pete's Bruder verspannt sich. Ich küsse ihn eindringlich und merke, dass ich nichts empfinde. Wieso spüre ich bei ihm nichts, aber bei seinem Bruder? Ich verstehe es einfach nicht. Der Kuss währt nur wenige Sekunden und als ich mich von ihm löse und in seine Augen schaue, sieht er mich überrascht an.
„Tu-tut mir Leid, ich habe eine Freundin.“, stammelt er verwirrt. Ich muss grinsen. Er sieht mich irritiert an.
„Nichts für ungut. Das war nur ein Test.“, meine ich lächelnd und klopfe ihm munter auf die Schulter. Er scheint es nicht zu verstehen und ich weiß nicht, ob es etwas bringen würde, wenn ich es ihm erkläre. „Ich bin nicht schwul.“, wiederhole ich mich.
„Ja, das hast du bereits gesagt.“, meint er mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich musste nur sicher gehen.“, erwidere ich und schaue zu den Büchern in seiner Hand. Ich nehme ihm einige ab und sehe zu ihm. „Soll ich dir helfen?“, frage ich ihn. Im Moment geht’s mir einfach nur gut. Ich habe es doch von Anfang an gewusst! Für Männer habe ich einfach nichts übrig.
„Ich verstehe dich nicht.“, sagt er noch immer völlig durch den Wind. Ich sehe zu ihm und verziehe meinen Mund.
„Ich hatte einen Traum von Pete. Jetzt soll ich scheinbar auf ihn stehen. Das tue ich aber nicht. Okay, irgendwie ist da wohl doch irgendetwas. Ich weiß auch nicht. Zumindest bin ich mir jetzt sicher, dass ich nicht auf jeden Typen stehe.“, versuche ich ihm zu erklären. Hört sich vielleicht nicht so prickelnd an, aber besser kann ich es ihm auch nicht sagen.
„Und deswegen hast du mich geküsst?“, fragt er skeptisch. Ich nicke daraufhin. Was soll ich auch sonst tun? So ist es nun mal und damit wird er sich zufrieden geben müssen. Den Kuss kann ich nun mal nicht ungeschehen machen.
„War es anders als bei Peter?“, fragt er mich scheinbar interessiert. Ich sehe zu ihm, während ich ein paar Bücher ins Regal stelle. Einen Moment muss ich überlegen. Ich lege den Kopf schief und grübele einen Moment. Ich habe die Küsse noch nicht miteinander verglichen. Wieso sollte ich das auch machen?
„Gute Frage. Irgendwie schon. Bei dir hab ich nichts empfunden, als ich dich geküsst habe.“, erzähle ich ihm. Es scheint als wäre er erleichtert. Wer kann es ihm auch verdenken. Immerhin kommt nicht jeden Tag ein Schüler in seinen Laden und küsst ihn.
„Aber für Peter empfindest du etwas?“, fragt er und sieht mich forschend an. Ich zucke mit den Schultern. „Gestern, als ich ihn geküsst habe, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich hatte mich irgendwie nicht unter Kontrolle.“, erzähle ich ihm.
Pete's Bruder zieht die Augenbrauen zusammen. „Warte mal, heißt das, du hast ihn gegen seinen Willen geküsst?“
Ich zucke zusammen. Okay, das ist jetzt irgendwie nicht der Weg wohin das Gespräch führen soll. Ist das mein Todesurteil? Mit klopfendem Herzen nicke ich.
„Wie kannst du ihn dazu zwingen?! Ich dachte, dass gestern war von euch beiden gewollt!“, meint er aufbrausend und dreht mich unsanft an der Schulter zu sich, damit ich ihm in die Augen sehen muss. Ich schlucke.
„Es ist ja nichts passiert. Er hat mir eine Ohrfeige gegeben.“, gestehe ich ihm, als würde ich vor dem Kriegsgericht stehen.
„Puh, dann ist ja gut.“, meint er erleichtert. Moment! Was soll das denn jetzt heißen? Er findet es gut, dass sein Bruder mich verdroschen hat? Anklagend sehe ich zu ihm auf. Er grinst leicht. „Ich dachte , mein Bruder wäre vergewaltigt worden. Aber es ist ja zum Glück nichts passiert. Sonst würde ich ziemlich übel dastehen, weil ich es nicht bemerkt habe. Immerhin war er, als du gegangen warst, wirklich etwas merkwürdig drauf. Da habe ich mir halt Sorgen gemacht. Ich bin nur froh, dass es nichts Ernstes ist.“
Ich sehe ihn skeptisch an. Er ist wirklich ein komischer Vogel. Ich seufze. „Ich bin wohl kein guter Umgang für ihn.“, stelle ich fest und stelle ein Buch in das Regal über mir. „Wie heißt du eigentlich?“, frage ich ihn.
„Josef. Du bist dann wohl Ewan. Peter hat schon von dir erzählt. Er meinte, du würdest ihm beim Schreiben seiner Geschichte helfen.“, klärt er mich freundlich auf.
Ich sehe geknickt zu ihm. „Jetzt bestimmt nicht mehr. Er hat mich in der Schule ignoriert.“ Wieso nur macht es mich so fertig, dass Pete mich ignoriert? Das ist doch gut, oder nicht? Dann habe ich endlich meine Ruhe.
„Ihr hattet nur ein paar Startschwierigkeiten. Mein Auto springt auch nicht beim ersten Start an. Da braucht es eben mehrere Anläufe. Ich denke bei euch beiden ist es genauso.“, meint er schulterzuckend. Ich sehe ihn empört an. Wie kann er mich bitte mit einer Schrottkiste vergleichen?
Ich will gerade etwas erwidern, als ich etwas an meinem Bein spüre. Was ist das? Verschreckt mache ich einen Satz zur Seite und pralle gegen Josef. Der versucht mich zwar noch festzuhalten, aber da er leicht aus dem Gleichgewicht gerät, stürzt er gegen einen Bücherstapel und fällt zu Boden. Ich werde nebenbei gleich mitgerissen und lande weich auf ihm. Trotzdem richten sich meine Nackenhaare zu Berge. Der Schreck steht uns Beiden ins Gesicht geschrieben.
Ein Maunzen lenkt meine Aufmerksamkeit auf etwas Dunkles neben mir. Ich hebe den Kopf und sehe direkt in die Augen einer Katze. Kenne ich die nicht?
„Das ist Mahabba.“, meint Josef. Ah! Genau diese Katze, die mich von einer Katastrophe in die Nächste schubst. Das macht ihr wohl Spaß, was? Dieses kleine Biest auf vier Pfoten!
Ich stütze mich vom Fußboden ab und sehe auf Josef runter. So richtig ähnlich sehen die beiden Brüder sich eigentlich auch gar nicht. Na gut, sie sind beide blond, aber Josef hat Locken und Pete's Haare sind glatt. Interessiert hocke ich noch immer über Josef und kann es nicht lassen. Ich greife nach seinen Haaren und zwirbele sie zwischen meinen Fingern.
„Was machst du da?“, fragt Josef mich belustigt.
„Wieso hat Pete eigentlich keine Locken?“, frage ich im Gegenzug den Mann unter mir. Josef richtet sich nun etwas auf und legt den Kopf schief.
„Liegt wohl daran, dass er ganz nach meinem Vater kommt. Ich habe die Locken meiner Mutter bekommen.“, erzählt er amüsiert. Bedächtig nicke ich. Ich rappele mich auf und halte Josef meine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Er nimmt sie an und lässt sich von mir hochziehen. Undankbarer Kerl. Das macht er doch sicher mit Absicht!
Als Josef endlich auf seinen eigenen Beinen steht, ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Ich gehe näher an ihn heran und rieche an seinem Hals. Das kann doch nicht wahr sein! Der Typ benutzt das gleich Parfum wie Pete!
„Was machst du da?“, fragt Josef mich etwas unbehaglich. Das frage ich mich auch gerade, denn schon wieder setzt mein Gehirn aus.
„Das Parfum...von Pete.“, murmele ich und kann einfach nicht aufhören an seinem Hals zu riechen. Josef grinst und muss lachen. Er wuschelt durch meine Haare.
„Wir benutzen den selben Duft. Er hat es mal ausprobiert und da er es mochte, habe ich ihm eine Flasche geschenkt.“, meint er und kann sich ein Schmunzeln einfach nicht verkneifen.
Ich reiße die Augen erschrocken auf. Ich habe doch wohl nicht etwa einen Parfum Fetisch?! Augenblicklich gehe ich auf Abstand und sehe Josef irritiert an. Das kann es doch wohl nicht sein, oder? Heißt das, ich bin nur über Pete hergefallen, weil ich so von seinem Duft angeturnt war? Das kann es doch nicht sein! Wieso regt mich das jetzt eigentlich so auf? Und wieso habe ich bei Josef nicht so ein Verlangen? Ihm bin ich gar nicht an die Wäsche gegangen. Nur, wieso nicht? Ich verstehe irgendwie so gar nichts mehr. Mein irritierter Blick weicht einem deprimiertem verwirrtem Blick und langsam sinke ich in die Hocke. Josef kommt langsam zu mir und setzt sich neben mich.
„Was ist los?“, fragt er und schaut mich von der Seite prüfend an.
Wenn ich das wüsste? „Da ist wirklich nichts.“, murmele ich und starre auf die umgefallenen Bücher vor meiner Nase. Sollte ich mich denn nicht freuen? Immerhin war es genau das, was ich die ganze Zeit wusste und wahrhaben wollte. Wieso fühle ich mich dann auf einmal so enttäuscht?
Ich sehe zu Josef und seufze. „Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Nur fühlt es sich nicht so an.“, kläre ich ihn auf. Josef nickt verständnisvoll, auch wenn er wohl keine Ahnung hat, wie es gerade in mir aussieht.
Ich fahre mir mit meinen Händen durch die Haare und zucke leicht zusammen, als Josef mir meine Sonnenbrille abnimmt. „Wieso läufst du eigentlich ständig damit durch die Gegend? Überhaupt bei dem düsterem Wetter. Ist das so eine Art Markenzeichen von dir?“, fragt er mich und setzt sie sich auf die Nase. Ich lächele leicht.
„Nein. Das ist sie nicht.“ Ich kann ihm doch schlecht sagen, dass ich mich sicherer fühle, wenn ich durch die verdunkelten Gläser schaue. Wie hört sich das denn an? Der hält mich noch für einen Deppen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und schaue das Bücherregal hoch. „Ich muss mich noch bei Pete entschuldigen.“, murmele ich. Josef nickt nur und sieht mich durch meine Brille hindurch an. Ich muss grinsen. Die steht ihm so gar nicht.
„Ohne siehst du besser aus.“, meine ich lachend und nehme sie ihm ab. Er lächelt. Ich seufze. „Ich weiß nicht, wie ich das wieder gerade biegen soll. Ich habe es das letzte Mal echt vermasselt.“, merke ich an.
Josef grübelt einen Moment. Dann steht er auf und geht nach hinten in den kleinen Aufenthaltsraum des Buchladens. Nach einer Weile kommt er mit einem Stapel Zettel zurück. „Hier. Die hat er gestern vergessen.“, meint er. „Du hast Peter wohl ziemlich durcheinander gebracht. Seine Geschichte ist das Letzte was er einfach so liegen lassen würde.“
Ich nehme den Stapel an mich und sehe entsetzt zu Josef auf. „Das kann ich nicht machen. Er denkt bestimmt, ich hätte sie geklaut, oder so etwas!“ Ich halte ihm die Zettel entgegen, aber Josef nimmt sie mir nicht ab. Er grinst lediglich.
„Probiere es doch einfach mal aus. Vielleicht ist es auch ein Schritt nach vorne?“, meint er gut gelaunt. Ich sehe ihn skeptisch an und lege mir die Zettel auf den Schoß. Ob ich es wirklich machen soll? Ich knabbere nervös auf meiner Unterlippe.
„Hast du einen Stift?“, frage ich Josef ohne aufzusehen.
„Musst du nicht langsam mal zurück in die Schule?“, fragt er mich verwundert. Ich schüttele den Kopf. Das hier ist jetzt eindeutig wichtiger, wie ich finde. Erst mal muss ich mit Pete wieder ins Reine kommen und dann kann ich mich um die Schule kümmern. Die paar Stunden verpasse ich schon nichts.
Josef reicht mir einen Stift und beginnt dann die Bücher, welche noch auf dem Boden liegen aufzusammeln und sie in das Regal einzuordnen.
Ich stehe auf und gehe samt den Zetteln, Stift und Rucksack in den Aufenthaltsraum. Wenigstens etwas kann ich jetzt wohl wieder gut machen. Ist doch immer noch besser als gar nichts. Auch wenn ich sowieso noch mal mit ihm reden muss. Das kann ich wohl kaum vor mir herschieben.
Ich setze mich auf das Sofa und fange an mir die Seiten durchzulesen, hier und da wird etwas korrigiert oder ein paar Dinge umgeschrieben.
Nach einiger Zeit bin ich fertig und zufrieden mit meiner Arbeit. Na, wenn das mal nichts ist! Ich werfe den Stift auf den Tisch, lasse die Zettel liegen wo sie sind und stehe auf. Ich nehme meinen Rucksack und gehe in den Laden. Josef sieht auf, als ich zu ihm gehe.
„Fertig?“, fragt er mich lächelnd. Ich nicke und zeige ihm meinen hochgesteckten Daumen.
„Wir sehen uns.“, antworte ich und verlasse dann den Laden.
Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Tja, vielleicht habe ich auch ein paar Startschwierigkeiten? Grinsend laufe ich über die Straße und zurück zur Schule. Aber wenigstens bin ich um einiges schlauer geworden.

E_Enttäuschung



Ähm, wie ist das mit dem Schlauer geworden noch gleich? Neuer Tag, neues Glück. Heißt das nicht so? Wo ist dann bitte mein Glück?
Es ist nämlich noch rein gar nichts passiert! Pete ignoriert mich nach wie vor und nicht mal meine harte Arbeit an seiner Geschichte ist heute das Gesprächsthema. Irgendetwas läuft hier gewaltig schief!
Unschlüssig stehe ich nun vor dem Eingang der Schule und warte auf Pete. Diesmal weiß ich nämlich ganz genau, dass er noch in der Schule ist. Der Lehrer hat ihm aufgetragen, noch einige Bücher aus der letzten Stunde wegzubringen. Ich hoffe nur, Pete verschanzt sich nicht noch stundenlang in der Bibliothek.
Der graue Himmel wacht bedrohlich über mir und irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl. Ich nehme mein Handy aus meiner Hosentasche und wähle Sarah's Nummer. Es tutet. Während ich warte, dass sie endlich abnimmt, laufen Loana und Selena an mir vorbei. Sie werfen mir musternde Blicke zu und ich fühle mich nur noch nervöser als sowieso schon.
„Na, Ewan? Was gibt’s?, fragt Sarah mich fröhlich und ich stelle erleichtert fest, dass sie inzwischen schon wieder ganz die Alte ist.
„Pete kommt gleich aus der Schule raus. Ich glaube, dass stehe ich nicht durch!“, jammere ich sie auch gleich voll. Wie soll ich mich auch sonst von meiner Nervosität ablenken?
Genau in dem Moment kommt auch noch mein Bus angefahren. Was soll ich denn jetzt machen? Ich würde ja noch länger warten, wäre das nicht der letzte Bus, der heute fährt. So etwas Dummes aber auch! „Mein Bus ist da!“, sage ich laut und sehe nervös zwischen Schule und Bus hin und her. Dann muss ich das wohl doch morgen klären.
„Wie jetzt? Willst du es ständig vor dir herschieben?“, fragt Sarah mich entgeistert. Ich schüttele mit dem Kopf, auch wenn sie das nicht sehen kann.
„Was soll ich denn sonst machen? Dann muss ich den ganzen Weg heim laufen!“
„Nimm es in hin wie ein Mann!“, meckert sie und hat kein Verständnis dafür, dass ich mal wieder einem Problem aus dem Weg gehen will. Ich kann es ja auch verstehen. Das ist einfach nur erbärmlich, aber so bin ich nun mal.
„Ich kläre das morgen!“ Ich lege auf und drehe mich um, um zum Bus zu laufen. Allerdings komme ich nicht weit, denn irgendjemand packt mich unsanft von hinten und hindert mich daran, voranzukommen.
„Hey! Was soll das?“; meckere ich wütend und reiße mich los. Ich drehe mich um und erstarre. Vor mir steht Pete. Wo kommt der denn auf einmal her? Eben war er doch noch gar nicht zu sehen?
„Schrei doch nicht gleich, als würdest du abgestochen werden!“, erwidert Pete mit zusammengezogenen Augenbrauen und leicht aus der Puste. Ich sehe ihn entgeistert an. Dass er mich gleich anmotzt, damit habe ich nun gar nicht gerechnet. Einfach, weil er nun mal nicht so wirkt, als würde er auch mal den Mund aufmachen. Schon erstaunlich, dass er es damit sogar schafft, das ich mal meinen Mund halte. Ich sehe ihn an wie ein Auto und bekomme kein Wort heraus.
Ich brauche auch gar nichts zu sagen, denn er lässt mich nicht einmal zu Wort kommen. Stattdessen packt Pete mich an meiner Hand und zieht mich unsanft hinter sich her. Hat nun mein letztes Stündlein geschlagen? Sein Bruder wird ihm zur Hand gehen. Sie machen es bestimmt wie in diesen Mafia Filmen, damit auch niemals eine Menschenseele von meinem Aufenthaltsort erfährt. Vor meinem inneren Auge spielen sich allerlei skurrile Fantasien ab, eine schlimmer als die Andere.
Zunächst spricht keiner von uns beiden auch nur ein Wort. Gerade das finde ich ziemlich unheimlich und innerlich bin ich zum Zerreißen angespannt.
Mein Blick fällt auf Pete's Hand, die meine fest umgriffen hält. Seine Hand ist warm, im Gegensatz zu meiner. Wenn ich nervös bin, kriege ich eiskalte schwitzige Hände.
„Das hättest du nicht machen müssen!“, murrt Pete auf einmal in die Stille hinein. Na ja, mal abgesehen von dem Motorenlärm, den lauten Schulkindern und den tratschenden Müttern, die an uns vorbeilaufen.
„Was?“, frage ich Pete verwirrt. So richtig habe ich nicht aufgepasst. Hat er vorher schon irgendetwas gesagt? Ich sehe auf seinen Rücken, denn er läuft vor mir und zerrt mich beinahe schon hinter sich her. Ich habe auch keinen blassen Schimmer, wohin wir gehen.
„Meine Geschichte, meine ich!“, meckert Pete und schiebt sich seine Brille zurecht. Oh, wie ich diese Brille hasse! Am liebsten würde ich sie mir schnappen und in den nächsten Fluss werfen!
Gut, dass heißt dann ja wohl, Pete hat meine nett gemeinte Geste nicht gefallen. Dann war die ganze Arbeit auch noch umsonst. Das ist doch alles zum Haareraufen! Was soll ich denn jetzt noch bitte machen?
„Es tut mir Leid!“, sage ich und scheinbar bin ich lauter als ich es wollte, denn einige Passanten drehen sich zu uns um und auch Pete hält an und sieht zu mir.
„Na, endlich! Ich dachte schon, du würdest es nie sagen!“, meint er und mustert mich.
Was soll das denn bitte heißen? Schmollend sehe ich ihn an. Als ob ich gar nicht vorgehabt hätte, mich bei ihm zu entschuldigen! Ich wollte es doch schon die ganze Zeit, aber er hat es mir ja nicht gerade sehr einfach gemacht. Ganz so unschuldig ist er also auch nicht.
„Sieh' mich nicht so an! Du hast mich beleidigt und bist über mich hergefallen und bisher hast du dich für nichts entschuldigt!“, klärt er mich auf.
Ich sehe ihn verlegen an. Er hat ja Recht, aber muss er dabei gleich so schroff klingen? Außerdem ist es ja nicht so, als würde ich mich nie rechtfertigen. Überhaupt ist es ein Wunder, dass er mit mir spricht. Ich habe die Hoffnung ja schon beinahe aufgegeben. Mal ehrlich, die letzte Zeit hat er nicht mit mir geredet und mich sogar ignoriert. Wie soll ich ihm da nahe kommen, um mit ihm ein ernstes Gespräch zu führen? Das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit!
„Danke, also, trotzdem für deine Mühe.“ Pete sieht mich etwas weniger ungehalten an. Ich nicke schief lächelnd und weiß so gar nicht, wie ich jetzt reagieren soll. Ich kann ja schlecht sagen, er soll sich mal nicht so anstellen.
„Wohin entführst du mich eigentlich?“, frage ich ihn neugierig, aber auch etwas skeptisch. Pete zieht eine Augenbraue in die Höhe.
„Das solltest du eigentlich wissen. Schau doch mal wohin wir gerade laufen!“, meint er und zeigt mit seiner Hand in einer fahrigen Bewegung die Straße herunter. Ich folge seiner Bewegung und sehe an der Kreuzung die Buchhandlung. Klar, ich hätte es mir denken können. Ein wenig unwohl ist mir ja doch irgendwie, auch wenn ich wohl nichts mehr zu befürchten habe. Immerhin habe ich mit beiden Brüdern geredet. Mehr oder weniger. Sie wissen zumindest was Sache ist. Fast! Josef weiß es, sein Bruder hingegen hat noch keine Ahnung.
Ich weiß noch nicht einmal, ob es überhaupt noch wichtig ist, ihm davon zu erzählen. Eigentlich ist es doch unwichtig, oder nicht? Immerhin empfinde ich nichts für ihn. Vielleicht ein winzig kleines bisschen? Aber das reicht doch nicht aus! Das ist ein Witz!
Zumindest habe ich bisher keine großartigen Gefühle für ihn empfunden. Ich habe mir die ganze Zeit nur Gedanken über meinen Alptraum gemacht, wie soll ich da noch nebenbei über meine Gefühle nachdenken? Ist vielleicht keine schlechte Idee, nur bringt mir all das Kopfzerbrechen noch etwas?
Während ich ernsthaft überlege mehr über meine Gefühle nachzudenken, zieht Pete mich weiterhin geschäftig hinter sich her.
Ich seufze leise. Das bringt doch im Grunde genommen gar nichts mehr. Ich stehe nicht auf Männer und auch nicht auf Pete. Worüber soll ich mir da noch den Kopf zermartern?
Wir betreten den Laden und sofort prescht etwas Schwarzes an mir vorbei und springt auf einen Bücherstapel, nur um die dicken Wälzer völlig durcheinander zu bringen. Erstaunt sehen Pete und ich zu Mahabba, die wohl scheinbar unter die Fliegenfänger gegangen ist. Zumindest versucht sie es, denn nebenbei demoliert sie gerade den halben Laden. Josef steht schnaufend in einer Ecke des Geschäfts und hat es wahrscheinlich aufgegeben die Katze heute noch unter Kontrolle zu bringen. Er beginnt damit die Bücher zu sortieren, auch wenn die wohl gleich wieder kreuz und quer in der Buchhandlung herumliegen werden.
Pete lässt seine Tasche fallen, lässt meine Hand los und versucht die Katze einzufangen. Kann er sich ja eigentlich sparen, denn die sieht gar nicht ein, wieso sie aufhören soll. Geschickt weicht sie ihm aus und obwohl Pete sich relativ gut anstellt, bekommt er sie nicht zu fassen.
„Lass es, die kriegst du nicht!“, rufe ich ihm zu und als er mich eingeschnappt ansieht, muss ich lächeln. Was das angeht, ist er scheinbar genauso ein Sturkopf wie ich. Er lässt es auch tatsächlich bleiben und sieht tatenlos zu, wie Mahabba der Fliege hinterher wetzt. Wenigstens eine hat ihren Spaß.
Pete kommt auf mich zu und packt mich wieder an der Hand. Erstaunt sehe ich auf unsere Hände. Er zieht mich hinter sich her in das angrenzende Nebenzimmer und verschließt die Tür hinter uns. So ein bisschen mulmig wird mir ja jetzt doch. Was hat er denn jetzt vor?
Unschlüssig stehe ich im Raum und sehe zu ihm. Ehrlich gesagt, habe ich auch keine allzu guten Erinnerungen an dieses Zimmer und wünsche mir, dass wir einfach im Vorzimmer geblieben wären.
Pete kommt auf mich zu und bleibt nur kurz vor mir stehen. Uns trennen gerade mal einige Zentimeter. Okay, es ist etwa ein Meter. Muss man ja nicht alles so penibel nehmen!
Wir sehen uns an. Ich verziehe meinen Mund. Die Stille ist einfach nur unangenehm.
„Josef hat mit mir geredet, weil er der Meinung ist, dass du es wohl nicht gebacken kriegst.“
Erstaunt sehe ich Pete an. Josef, du Verräter! Was hast du Klein-Pete erzählt?!
„Ich weiß also von deinem Dilemma, dass du irgendwie auf mich stehst. Aber du bist nicht verliebt, oder?“, fragt Pete mich direkt ohne Umschweife. Was soll ich denn darauf antworten? Sprachlos stehe ich vor ihm und sehe ihm in die Augen. Ich schlucke und sehe zur Seite.
„Ist doch alles nur ein Traum gewesen. Die Anderen versuchen mir die ganze Zeit einzureden, ich würde etwas für dich empfinden. Weißt du, da sind höhere Mächte im Spiel!“, antworte ich ihm und könnte meinen Kopf gegen die nächste Wand donnern. Was denn bitte für höhere Mächte? Der glaubt mir doch kein Wort!
„Ich glaube, du willst es nur nicht zugeben. Du hast Angst davor, anders zu sein, als die Mehrheit!“, stellt Pete fest. Oho, jetzt wird meine Psyche auseinander genommen. Muss ich mich jetzt auf das Sofa legen und von meiner schrecklichen Kindheit erzählen? Nicht zu vergessen, die Scheidung meiner Eltern? Nein, welch ein Skandal!
„Ich bin nicht in dich verliebt! Raff das mal!“, murre ich nur. Hui, das habe ich ja wirklich schön ausgedrückt.
„Ich habe deine Blicke gesehen. Du siehst mich ständig an. Es hätte dir egal sein können, was ich denke, aber trotzdem hast du meine Geschichte korrigiert. Du hast dich sogar bei mir entschuldigt, auch wenn ich kaum noch darauf gehofft habe.“
So langsam macht Pete mir Angst. Kann er seine Thesen nicht für sich behalten? Nach dem Gespräch mit Josef habe ich mich schon viel besser gefühlt und Pete macht gerade alles zunichte! Ich presse meine Lippen aufeinander. Soll er doch denken, was er will. Ich liebe ihn nicht! Basta!
„Ich hätte es beinahe aufgegeben, weißt du?“, klärt er mich auf. Was meint er damit? Ich verstehe gerade nur Bahnhof.
Pete sieht zu mir auf und öffnet seinen Mund. Ich zucke zusammen, noch bevor er etwas sagt. Was auch immer es ist, ich will es nicht wissen!
„Ich mag dich auch! Schon lange!“, sagt er eindringlich.
Überrumpelt sehe ich ihn an. Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Moment! Das heißt dann ja, dass Klein-Pete schwul ist?! Wieso ist er denn ausgerechnet in mich verknallt? Seit wann? Wieso?
Pete sieht mich ernst an und kommt mir etwas näher. Zu nahe für meinen Geschmack!
„Du Idiot! Das mit meiner dämlichen Geschichte, war doch alles nur ein Vorwand, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Was glaubst du, wieso ich dich überhaupt angesprochen habe? Du hast es nur nie bemerkt, weil du immer an dich denkst. Du glaubst gar nicht, wie aufgeregt ich war, sobald wir miteinander geredet haben, oder du mich einfach nur angesehen hast! Als du mich dann geküsst hast, dachte ich, du erlaubst dir einfach nur einen fiesen Scherz, weil du bemerkt hast, was ich für dich empfinde. Ich war eben verwirrt und wusste nicht, was ich davon halten sollte!“, erklärt Pete und irgendwie wird mir immer mulmiger. Was soll das alles? Macht er das jetzt mit Absicht? Ich bin doch gerade zu dem Ergebnis gekommen, dass ich nicht auf ihn stehe. Wie kann er mir da nur sagen, dass er mich mag? Das ist unfair!
„Du bist nicht schwul!“ Mehr bringe ich einfach nicht heraus. Viel zu geschockt fühle ich mich gerade. Das ist bestimmt alles nur wieder ein Traum! Ja, ein böser Alptraum! Gleich wache ich auf und dann stellt sich heraus, dass das alles nicht real ist!
„Ich habe mich bis jetzt auch nur vor meinen Freunden geoutet. Meine Familie weiß es noch nicht!“, erklärt Pete mir und darauf kann ich irgendwie nicht antworten. Was soll ich denn jetzt sagen?
Die Brillenschlange steht auf mich. Nervös lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen, weil ich einfach nicht weiß, was ich tun soll. Die Entscheidung nimmt Pete mir ab. Er kommt näher auf mich zu und greift nach meinem Kinn, zieht mein Gesicht zu sich, damit ich ihm in die Augen sehen muss. Wer hätte das gedacht, der kleine Pete kann ganz schön forsch sein. Ich schlucke und lasse es zu, dass er mir meine Sonnenbrille abnimmt. Irgendwie fühle ich mich gerade ziemlich ausgeliefert.
„Ich bin nicht in dich verliebt!“, bringe ich mühsam hervor. Leider tut mir nicht einmal Josef den Gefallen und stürmt mal wieder ungefragt ins Zimmer.
„Aber der Kuss hat dir gefallen, du konntest ja nicht mal deine Finger von mir lassen!“, stellt Pete fest und kommt noch dichter zu mir. Kann er nicht da stehen bleiben, wo er eben noch war? Was ist aus dem kleinen unsicheren Pete geworden? Ist der etwa immer so und macht in der Schule einen auf schutzbedürftig?
Pete's Hand streicht über meine Wange und so sehr ich diese Geste auch genieße, genauso sehr will ich es mir nicht eingestehen!
„Müsstest du mich nicht hassen?“, frage ich ihn und suche nach einem Anker, an dem ich mich festhalten kann. Irgendwie muss ich ihn mir doch vom Leib halten können?
„Ich denke mit meiner Ignoranz habe ich dich schon genug bestraft. Nur, mach es nicht noch einmal! Jedenfalls nicht ohne meine Erlaubnis!“, stellt Pete klar. Ich kann daraufhin lediglich nicken. Genau da fällt mir ein, dass ich ja eigentlich das Gegenteil bezwecken will. Jetzt hat er mir auch noch einen Freifahrtschein gegeben. Das läuft alles in die falsche Richtung!
Ich schüttele vehement mit meinem Kopf. „Als ob ich das will!“, brause ich auf. Pete lächelt. Ich sehe ihm an, dass er mich durchschaut hat.
Er drängt sich noch dichter an mich und jetzt spüre ich seinen Körper an meinem. Das gefällt mir so gar nicht! Ich spüre seine Hände an meinen Seiten und sofort überkommt mich eine Gänsehaut. Das sind nur die Hormone, mehr nicht! Ich versuche zwar, es mir einzureden, aber so richtig gelingen will es mir dann doch nicht.
Pete's Gesicht kommt meinem näher und ich ziehe scharf die Luft ein. Meinen Kopf drücke ich gegen die Tür und versuche ihm auszuweichen, aber so leicht gibt er sich nicht geschlagen. Irgendwie habe ich mich wohl komplett in dem Jungen geirrt. Ich weiß so gar nichts über ihn. Gerade das macht mir jetzt auch ein wenig Angst.
„Gestehe es dir endlich mal ein! Du willst mich noch mal küssen!“, fordert Pete mich auf. Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? Was soll das alles? Trotzdem will ich es mir nicht eingestehen! Wie hört sich das denn an, wenn ich sage, dass ich drauf stehe einen Kerl zu küssen? Das kommt doch überhaupt nicht cool rüber!
Ich bleibe stur und sehe Pete unwirsch an.
„Einbildung ist ja bekanntlich auch eine Bildung!“, murre ich und sehe ihn feindselig an. Pete grinst und nähert sich meinem Ohr. „Du bist so ein sturer Bock!“, flüstert er mir amüsiert zu.
Ich ziehe meinen Kopf zur Seite. Mich überkommt wieder eine Gänsehaut, als ich seinen Atem an meinem Ohr spüre. Sein Atem streift langsam meinen Hals entlang und mehr als meine Augen zusammen zu kneifen schaffe ich einfach nicht. Ich spüre Pete's Blick auf mir, wage es aber nicht, ihn anzusehen. Den Gefallen tue ich ihm ganz sicher nicht1 Und ich werde mir auch nichts eingestehen, nur weil er es so sagt! Ich kann bestimmen, was mein Körper fühlt und was nicht, auch wenn er mich gerade ganz dreist hintergeht!
„Ich will nicht so sein!“, presse ich mühsam zwischen meinen Zähnen hervor. Pete hält inne und sieht mich forschend an. Er streichelt mir sanft über den Hals und vergräbt seine Finger in meinen schwarzen Haaren.
„Sieh mich an, Ewan!“, verlangt er ruhig und zieht mein Gesicht mal wieder zu sich. Ich öffne langsam meine Augen und starre direkt in seine blauen Augen. Ich habe das Gefühl, dass er damit direkt in mich hineinsehen kann.
„Das ist falsch! Ich hab mich nie für einen Jungen interessiert! Ich bin hetero!“, erwidere ich verzweifelt. So langsam bröckelt meine Fassade und das gefällt mir so ganz und gar nicht. „Ich müsste mich in ein Mädchen verlieben! Nicht in einen Jungen!“
Pete zieht frech an einer Haarsträhne von mir. „Es ist aber passiert und du kannst daran nichts mehr ändern. Was ist so schlimm daran? Dadurch bist kein anderer Mensch! Du bist immer noch derselbe. Ein sturer Esel, der sich einfach nicht eingestehen kann, dass er in mich verliebt ist!“
Ich knabbere auf meiner Unterlippe und mein Blick verfinstert sich. Ein sturer Esel? Ich kann mir nichts eingestehen? Wie kann er so etwas über mich sagen? Er kennt mich doch gar nicht richtig!
„Jetzt bist du wütend, weil du es nicht wahrhaben willst.“ Pete sieht mich prüfend an. Von wegen! Der soll mich endlich mit seinen Theorien in Ruhe lassen! Mir ist es egal, was er über mich denkt, ich will einfach nur meine Ruhe haben!
Ich atme aus und fahre mit der rechten Hand durch meine Haare. „Du nervst echt!“
Pete grinst. „Du auch.“
Ich sehe zu ihm herunter und mein Magen zieht sich unweigerlich zusammen. Ich sehe zur Seite und weiche seinem Blick aus. Würde es nach mir gehen, würde es sich noch stundenlang hinziehen. Allerdings scheint Pete nicht so eine geduldige Person zu sein wie ich. Zumindest in dieser Hinsicht. Abwartend sieht er zu mir auf und wartet auf eine Reaktion von mir.
„Wie lange?“, fragt er mich auf einmal. Ich sehe verdutzt zu Pete.
„Was?“, hake ich nach und sehe ihn verwirrt an. Pete zieht die Stirn kraus.
„Wie lange muss ich auf dich warten? Ein paar Tage, einige Wochen? Wie lange muss ich warten, bis du es dir eingestehen kannst?“, will er wissen.
Irgendwie fühle ich mich gerade ziemlich bedrängt. „Woher soll ich das wissen? Vielleicht verliebe ich mich ja schon morgen in irgendein Mädchen?“, meckere ich ungehalten.
„Okay, dann werde ich auch nicht warten!“, meint Pete plötzlich und hält mich fest gegen die Tür gepresst. Was ist denn nun auf einmal in ihn gefahren? Mit klopfendem Herzen sehe ich auf den Blondschopf herunter. Heißt das etwa, dass er gar nichts mehr von mir wissen will? Oder meint er gerade das, an was ich denken muss? Unsicher bleibe ich stocksteif stehen.
Pete beugt sich zu mir herüber und presst seine Lippen auf meine. Irgendwie ist es schon ein komisches Gefühl, geküsst zu werden, statt jemanden zu küssen. Pete hat seine Augen geschlossen, während ich ihn noch erschrocken ansehe. Etwas übertrieben, ich habe es ja bereits geahnt. Was soll's, wenn es wirklich eintrifft ist man nun mal geschockt. Oder eben nur ich. Ich spüre, wie er seine Lippen fester auf meine drückt und schließe automatisch meine Augen. Unwillkürlich öffne ich meinen Mund ein Stück und Pete lässt sich nicht zweimal auffordern. Sofort gleitet seine Zunge in meinen Mund und ich ziehe meine zurück, gebe ihm somit mehr Freiraum und die Mühe, mich ein wenig in Stimmung zu bringen. Pete grummelt kaum merklich. Es hört sich zum Teil auch wie ein genervtes Seufzen an. Immer wieder stupst er meine Zunge an, aber so leicht mache ich es ihm nicht. Ich weiche ihm aus oder drücke seine Zunge unnachgiebig zurück in seine Mundhöhle, nur damit er wieder zu mir angekrochen kommt. Dass Pete langsam die Geduld verliert merke ich und genieße es in vollen Zügen. Da kann er lange drauf warten, dass ich mir etwas sagen lasse! Soweit kommt's noch!
Als er aber mit seiner Hand über meinen Schritt streift und leicht zudrückt, muss ich unbewusst stöhnen und da ich abgelenkt bin, hat er ein leichtes Spiel mit mir. So ein heuchlerischer Kerl! Da kämpft er auch noch mit unlauteren Mitteln!
Ich lasse mich also mit Widerwillen auf den Kuss ein. Zuerst wird aber mal klar gemacht, wer hier den Ton angibt, also drücke ich Pete's Zunge zurück in seinen Mund und komme mit meiner gleich hinterher. Daran scheint Pete sich nicht zu stören, vielmehr scheint er erleichtert zu sein, dass von meiner Seite aus auch mal etwas kommt. Er schlingt seine Arme um meinen Rücken und da ich es von ihm nicht gewohnt bin angefasst zu werden, verspanne ich mich etwas. Da ich mich aber viel zu sehr auf unseren Kuss konzentriere habe ich es schnell vergessen und entspanne mich wieder.
Ich massiere seine Zunge hingebungsvoll mit meiner und lege meine Hände auf seiner Hüfte ab. So kann ich ihn gleich noch etwas näher an mich heranziehen. Nach einiger Zeit habe ich dann aber doch erst mal die Nase voll und beende unseren Kuss. Pete ist knallrot im Gesicht und scheint es mehr als genossen zu haben. Er leckt sich über seine feuchten Lippen und sieht zu mir auf.
„Trotzdem bin ich nicht schwul!“, kläre ich ihn auf. Pete sieht mich grimmig an und zieht mit seinen Fingern an meiner Nase.
„Du kannst aber auch jeden Moment ruinieren!“, murrt er genervt. Ich zucke nur mit den Schultern. Damit muss er sich eben abfinden. Er seufzt. „Wenigstens muss ich dich dann mit keinem anderen Kerl teilen und da du zurzeit bei den Mädchen eh keine guten Karten hast, habe ich dich ganz für mich allein!“
Mit großen Augen sehe ich ihn an. Er scheint ja schon alles mögliche zu planen. Fehlt nur noch, dass ich in ein paar Jahren wirklich mit ihm vor dem Traualtar stehe. Oh Gott, nein!
Pete scheint mit irgendetwas zu hadern. Ich verstehe es nicht ganz, was gibt es denn jetzt noch für Probleme? Scheinbar habe ich sowieso kein Recht mehr, mich über irgendetwas aufzuregen. Abwartend sehe zu ihm, aber er weicht meinem Blick aus.
„Weißt du eigentlich...ähm...wie der Sex bei Jungs abläuft?“, fragt er mich stammelnd.
„Höh?“, ich sehe Pete entgeistert an. Sex. Moment mal Sex? Sex?!
„Du bist doch der Schwule von uns beiden!“, brumme ich gereizt. Pete sieht mich ebenfalls ungnädig an.
„Nur weil ich schwul bin, heißt das noch lange nicht, dass ich auch schon Erfahrungen gesammelt habe!“, schnauzt er mich an. Ich lege den Kopf schief und grübele einen Moment.
„Das heißt doch, du bist praktisch noch...“ Damit ich mir nicht mal wieder eine Ohrfeige einhandele wage ich es gar nicht erst den Satz zu beenden. Pete zuckt mit den Schultern und spielt an meinem Hemd herum.
„Na und? Du doch auch...“
„Du wohnst aber schon so gut wie in der Buchhandlung. Hier sind überall Bücher. Wieso hast du dich nicht informiert?“, erwiderte ich pampig.
„Als ob das jetzt meine Schuld ist! Woher soll ich das denn auf einmal wissen? Ich musste doch erst mal sicher sein, dass du dich überhaupt auch nur im Entferntesten auf mich einlässt!“, schimpft Pete und wird mit jedem Wort lauter.
Ich grummele nur und packe ihn an seinem Handgelenk. Ich öffne die Tür und zerre den Jungen hinter mir her. Ich durchkämme den Raum mit meinem Blick und finde die gesuchte Person. Zielstrebig laufe ich auf Josef zu.
„Josef! Wo habt ihr Sexratgeber für Schwule?!“, rufe ich ihm quer durch den Laden zu. Im ersten Moment bemerke ich gar nicht, wie voll das Geschäft inzwischen ist und so sehen mich von allen Seiten potenzielle Käufer an. Die beiden Brüder Harmon laufen augenblicklich knallrot an und ich setze mir für diesen coolen Moment schnell die Sonnenbrille auf, um mich peinlich berührt dahinter zu verstecken.
„Äh...also...Se...Sexratgeber...?“, stammelt Josef und sieht sich kopflos in dem kleinen Laden um. Überrumpelt sieht er uns beide an und kriegt den Mund nicht mehr zu.
„Also nicht für mich, ich bin ja nicht schwul! Ist für deinen Bruder!“, kläre ich ihn hastig auf.
„Peter? D-du...bist schwul?“
Ach ja, da war ja noch was... Ich sehe zu Pete, der mich mit seinem Blick erdolcht und lächele verkrampft. „Sieh es positiv, jetzt musst du es nur noch deinen Eltern beichten!“

Epilog: P.S.Ich liebe Dich


Ich liege faul auf meinem Bett und betrachte Pete, der neben mir sitzt und Bücher wälzt. Wirklich klasse! Er ist das erste Mal bei mir und kaum ist er da, hängt er in den Büchern. Scheinbar bin ich eher nebensächlich.
Viel ist noch nicht passiert. In der Schule hängen wir öfter zusammen, auch wenn es seinen beiden Bodyguards nicht passt. Sie sind immer noch der Meinung, dass ich ihrem Küken nicht gut tue. Nur, dass Pete gar nicht so schutzbedürftig ist, wie alle immer denken. Er kann sich auch gut alleine verteidigen, immerhin ist er nicht auf den Kopf gefallen.
Bei mir schafft er es ja leider auch, alles mögliche durchzusetzen. Obgleich mir nicht alles in den Kragen passt. Ich habe mir noch lange nicht alles eingestanden und es wird wohl auch noch eine ganze Weile dauern, bis er mich soweit hat, dass ich ihn bedingungslos lieben werde. Ich bin nun mal ein hoffnungsloser Dickschädel!
Wenigstens gewöhne ich mich langsam daran, mit einem Jungen zusammen zu sein. Eigentlich nichts außergewöhnliches, wenn man mal davon absieht, dass ich diesen neuerdings auch freiwillig küsse.
Na ja, das Küssen mit einem Jungen unterscheidet sich auch nicht sonderlich von einem Mädchen, auch wenn Pete in meinen Augen immer noch ziemlich mädchenhaft aussieht. Ich darf es ihm nur nicht sagen, sonst beginnt mal wieder die Phase des Ignorierens. Da kann er eiskalt sein.
„Pete, mir ist langweilig!“, murre ich und trete ihn leicht mit meinem Fuß. Er gibt nur ein Brummen von sich. Ich mache es noch einmal und endlich sieht er zu mir auf und hält meinen Fuß fest.
„Beschäftige dich! Schau fern, lies ein Buch oder hol dir einen runter, aber lass mich das hier zu ende lesen!“, meckert er pampig und sieht mich unbarmherzig an.
„Was? Das mache ich ganz sicher nicht, wenn du mir dabei zusiehst!“, erwidere ich geschockt. Pete sieht mich nur genervt an. „Dann lass es eben bleiben.“
„Ich dachte, du liebst mich? Dann beschäftige mich auch mal!“, bettele ich und versuche ihm sein Buch wegzunehmen. Der Junge liest eindeutig zu viele Romane. Der sieht doch irgendwann nur noch Buchstaben!
Pete hält das Buch im letzten Moment fest und sieht mich mahnend an. Ich lasse es schmollend los und sinke zurück auf die Matratze. „Kannst du nicht mal etwas niedlicher sein?“
„Klar, sobald du aufhörst mich zu nerven!“, kommt es von Pete. Wenn er die Klappe hält, kann er eigentlich ganz niedlich sein. Das kommt nur leider viel zu selten vor.
Ich sehe zu ihm und verziehe meinen Mund. „Dann gehe ich halt zu Josef.“ Pete sieht zu mir und ich grinse frech. Das ist seine Schwachstelle. Irgendwann musste ja mal herauskommen, dass ich seinen Bruder geküsst habe. Das nimmt er uns immer noch übel, auch wenn eigentlich nur ich schuld daran bin.
Ich strecke mich ausgiebig, nicht ohne ihn noch einmal dabei zu treten und ziehe mein Shirt etwas hoch. Irgendwie muss ich ja mal seine Aufmerksamkeit bekommen! Es klappt sogar. In dem Punkt sind wir uns schon mal sehr ähnlich. Okay, bisher war das in meinem Fall nur bei Frauen so, aber ich wüsste auch nicht, was ich an Pete's Oberkörper jetzt so interessant finden sollte. Pete hingegen starrt zu mir. Ich grinse zufrieden.
Allerdings verflüchtigt sich das, als er einfach wieder auf seine Bücher sieht. Das gibt’s doch wohl nicht! Hallo? Hier spielt die Musik! Das Objekt seiner Begierde entblößt sich vor ihm und trotzdem sind diese dummen Bücher interessanter als ich?
Ich seufze und verdrehe genervt die Augen. Also muss ich wohl oder übel zu einer anderen Taktik greifen! Ich stütze mich von der Matratze ab und beuge mich vor. Ohne das er es bemerkt, schnappe ich mir Pete's Brille. Das blöde Dinge trägt er leider immer noch!
„Ewan! Gib mir meine Brille zurück!“, faucht Pete mich an und kommt zu mir gekrochen, um sie sich zurückzuholen. Ich lasse mich wieder nach hinten fallen und halte sie über meinen Kopf. Pete schnappt danach, aber ich lasse ihn nicht weiter herankommen. Pete hängt schon halb über mir. Er greift mit seiner Hand nach der Brille, aber es macht einfach viel zu viel Spaß ihn zu ärgern. Mein Freund sieht zu mir herunter. Ich lache nur und schon im nächsten Moment wird auch das im Keim erstickt, als er mir seine Lippen auf meinen Mund drückt. Nur für einen kurzen Moment. Gerade mal so lange, bis er sich durch meine Unaufmerksamkeit seine Brille zurück erobert hat. Dann löst Pete sich von mir und krabbelt zurück zu seiner Sitzecke auf dem Bett.
„Peter Harmon! Lass die Bücher da liegen und unternehme lieber etwas Anständiges mit mir!“, murre ich. Pete sieht stur auf seinen Notizblock und schreibt irgendetwas darin auf. So langsam nimmt meine Geduld ein Ende.
Pete seufzt. „Gut, in Ordnung! Da gibt es etwas, was du machen könntest.“ Freudig richte ich mich auf und sehe zu ihm. Aufmerksam warte ich auf seinen Befehl. Es kommt nur nichts.
„Also? Was soll ich machen?“, frage ich den Jungen vor mir neugierig. Pete nimmt ein Buch zur Hand, schlägt eine Seite auf und hält es mir sichtbar vor die Nase.
„Das kannst du machen!“, meint er frei heraus und schiebt sich seine Brille zurecht.
Meine Augen weiten sich. „Da-das kann ich nicht machen!“, rufe ich entgeistert und ziehe meine Beine an.
„Du willst doch unbedingt beschäftigt werden?“, fragt Pete mich. Ich nicke entsetzt.
„Aber doch nicht so was!“, meine ich panisch. Pete schüttelt genervt den Kopf. Skeptisch sehe ich ihn an und schlucke.
„Ewan! Stell dich nicht so an!“ Pete kommt auf mich zu gekrochen. Er greift nach meinen Knien und spreizt meine Beine auseinander. „Irgendwann musst du es mal machen.“
„Häh? Wer hat denn jemals behauptet ich bin der passive Part in unserer Beziehung?! Ich bin noch nicht so weit! Das hat mir keiner gesagt, dass ich Sex mit einem Jungen haben muss! Hier wird nirgendwo etwas reingesteckt! Das ist eine verbotene Zone und du kommst da in tausend Jahren nicht rein!“, schreie ich hysterisch. Pete beugt sich über mich und sieht mich einfach nur an.
„Wa-was ist?“, frage ich ihn nervös.
Pete lächelt. „Ich liebe dich, Ewan.“
Ich sehe ihn pikiert an, ehe ich meine kleine Brillenschlange in die Arme schließe und ihm einen nicht enden wollenden Kuss aufdrücke.
Ja, ich liebe meinen kleiner Streber!
Aber über den Sex muss ich dringend noch mal mit ihm reden!

Impressum

Texte: Sandra Marquardt
Bildmaterialien: Google
Lektorat: Sandra Marquardt
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2012

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