Cover

Vorwort


Diese Geschichte habe ich extra für eine Challenge geschrieben. Es geht darum zu 100 Stichwörtern eine Geschichte zu schreiben. Die Geschichte ist also in 100 Kapiteln abgeschlossen.


Q&A~



Ortsangaben


Ich habe zwar einiges recherchiert für diese Fanfic aber es können durchaus einige Fehler enthalten sein. Die Orte, Zeitberechnungen, Routen/Strecken sind alle real und sind Google Earth entnommen worden. Die Strecke von Sam's Vater bin ich sogar mit dem Routenplaner durchgefahren (wusste gar nicht, dass so was auch möglich ist!). XD lol

Frage: Wie bist du auf die Idee gekommen, Grow Up in Brasilien spielen zu lassen?


Antwort: Ich habe mir den Animationsfilm Rio angesehen und war total fasziniert! Da meine Großeltern auch oft in Brasilien waren, war es nicht unwahrscheinlich, dass mir der Gedanke dazu kam. Eigentlich hatte ich anfangs vor, die Story in Düsseldorf spielen zu lassen, da ich mich hier besser auskenne. Da die Namen der Charaktere aber alle ziemlich ausländisch klangen, hab ich mich fürs Ausland entschieden. Der Film Rio war der Ausschlag für Brasilien.

Frage: Wieso hat Sam keine Schäden vom Koma davongetragen?


Antwort: Normalerweise haben Menschen, die in einem längeren Koma gelegen haben, schwere psychische Folgeschäden, aber da meine Geschichte eher auf Comedy basiert, wäre es einfach zu schwierig und fehl am Platze, Sam noch kranker darzustellen.

Frage: Wie kam dir die Idee zu der Story?


Antwort: Es gibt eine japanische Mangaserie. Die Story ist im Grunde genommen diesselbe, aber da ich den Manga nicht kenne, habe ich einfach meine eigene Geschichte konzipiert, die auf diesem Thema basiert.

Frage: Sam's Mutter und Schwester scheinen sich gar nicht zu freuen oder überrascht zu sein, dass er aus dem Koma erwacht ist?


Antwort: Das liegt daran, dass sie noch alle gar nicht richtig wissen, wie sie als Familie jetzt mit der Situation umgehen sollen. Außerdem gab es im ersten Kapitel einen Zeitsprung, das erklärt auch, warum die Familie nicht so überrascht wirkt.

Frage: Wie hast du die Story aufgebaut?


Antwort: Hm, mit der Idee und den Charakteren ging eigentlich alles sehr schnell. Besonders als ich die Charaktere festgelegt habe. Da haben sich deren Geschichten schon so gut wie von allein zusammen gesponnen. Es gibt einen Hauptstrang. Das ist das Erwachsenwerden von Sam. Dieser zieht sich komplett durch die Story. Diese ist noch mal in 13 kleinere Handlungsbögen aufgeteilt. Kapitel 1-3 sind sozusagen eine Art Prolog. Sollte ich das eigentliche Ende schreiben und hab doch noch zu viel offene Kapitel, habe ich sozusagen noch eine Art Ersatzende. Das wird ansonsten vielleicht noch mal am Ende der Geschichte als Fortsetzung hochgeladen. Das richtige Ende wird nämlich offen sein und das ist ja nicht jedermanns Geschmack.


Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. Have fun!

Vom Traum in den Alptraum




Mein Name ist Samuel de Lima.

Aber alle, die mich kennen nennen mich Sam.

Ich gehe nicht mehr zur Schule, sondern bekomme Privatunterricht.

Ich lebe mit meiner Familie in Brasilien. In dem schönen Staat Rio de Janeiro. In der Stadt Santa Teresa.

Ich bin ein ganz normaler Junge.

Eigentlich sollte ich sagen, ich ''war'' normal. Die letzten paar Jahre, war ich in einige äußerst merkwürdige Ereignisse verwickelt.

Es begann...ja, es begann an einem Tag wie diesem...


◆ ◆ ◆




„...?“

Als ich es realisierte, war es mitten in der Nacht und ich lag in einem Krankenhausbett.

„W...was?“

Ich sah mich um, und versuchte mich zu orientieren. Was nicht sehr einfach war. Ich steckte unter einer viel zu warmen Decke fest. Irgendeine Schwester hatte es wohl gut mit mir gemeint. Nur dank ihrer Nachsicht, konnte ich mich keinen Zentimeter bewegen.

„Ganz toll...was soll das?“

Ich lag allein in einem der Privatzimmer.

In dieser Trostlosigkeit von Zimmer, gab es nicht viel zu betrachten.

Ich hatte eine herrliche Aussicht auf die Bucht Baía de Guanabara, irgendjemand hatte wohl vergessen die Vorhänge zu zuziehen. Egal, ich würde mich bei ihm oder ihr später noch bedanken.

In der linken oberen Ecke hing ein Flachbildfernseher und auf der anderen Seite des Zimmers gab es eine Sitzmöglichkeit für Besucher.

„Wieso bin ich eigentlich im Krankenhaus?“

Eigentlich sollte ich in meinem Zimmer in meinem eigenen Bett sein. Und statt dieser ollen Krankenhausgewänder, sollte ich T-Shirt und Shorts tragen.

Sollte ich...

Wer hat mich überhaupt hierher gebracht?

Moooment... wenn ich im Krankenhaus lag, müsste ich doch auch verletzt sein, oder?

In Panik versetzt, versuchte ich meinen Kopf zu heben, so gut es eben ging. Sehen konnte ich jedoch nichts, außer meiner liebreizenden weißen Decke.

Augenblick, wenn ich es schaffte, mich von dieser Heizdecke zu befreien, könnte ich nachsehen, ob ich irgendwo verletzt war. Zuerst einmal, musste ich meine Hände befreien. Das war nur leichter gesagt, als getan. Ich fühlte mich irgendwie schwächer, als sonst.

Na toll, ausgerechnet jetzt musste sich auch noch meine Nase bemerkbar machen. Ich konnte ihr nicht einmal zur Hand gehen. Tja, musste die Gute damit selbst fertig werden...

„Wie lange hab ich eigentlich geschlafen...?“

Murmelnd, sah ich mich nach einer Uhr um. War ja klar, dass die ausgerechnet auf der Seite der Wand war, an die ich nicht sehen konnte. Es sei denn, ich versuchte meinen Kopf zu drehen. Mit etwas Glück war mein Rückgrat noch in Ordnung, ansonsten würde es ziemlich komisch aussehen, wenn die Ärzte mich morgen auffinden würden. Wow, dass würd' ich ja schon gerne mal sehen. Aber Mum und Dad hatten mir immer verboten, solche Horrorfilme zu schauen, seit sie mich und Elias einmal dabei erwischt hatten.

Ah, ein Lichtblick in meinem Leben!

Auf einer kleinen Anrichte lag mein heißgeliebtes Handy. Wie schön, dass es mich nicht im Stich gelassen hatte. Das hieß nur, ich musste mich jetzt doch einmal aus der Decke befreien. Hatten die Ärzte Gurte um mich geschlungen, dass ich nicht fähig war, mich zu bewegen?

Ich trat ein wenig mit den Füßen aus. Musste bestimmt komisch aussehen, wie ich versuchte, mich einer Raupe gleich, etwas weiter nach oben zu schieben. Zum Glück war ja niemand da!

Ich zog meinen rechten Arm weiter nach oben und schaffte es tatsächlich ihn zu befreien.

Juhuuuuu...!!!

Mir fiel auf, dass auf dem ganzen Arm verblasste Narben waren. Nicht alle waren gleichgroß, aber es waren eine ganze Menge.

„Wie ist das denn passiert?“

Ich steckte meine Hand nach meinem Handy aus, es war eingeklappt, und nahm es an mich. Ich klappte es mit meinem Daumen auf und schaltete es an. Das Display leuchtete auf. Es war ein wenig zersprungen, aber das Handy funktionierte noch. Es war 5:35 Uhr. Heute ist Montag, der neunte Januar.

Nichts Besonderes, bis ich auf das Jahr sah.

2012.....................2012?!!??!!!!!

„Wow, ich bin in der Zukunft...?! Bin ich doch oder? Heißt das, die Menschen leben schon auf anderen Planeten?“

Aufgeregt sah ich nach draußen. Aber es war nichts zu sehen, außer den Lichtern der Stadt. Vielleicht lag es auch nur daran, dass es noch Nacht war. In einigen Stunden, würden die Leute schon in ihre fliegenden Autos steigen und ich würde ihnen von hier aus zusehen können.

Ist mir nicht grad etwas entgangen?

Ich sah noch einmal auf mein Handy. Das war es nicht, also wanderte mein Blick hinunter zu meiner Hand. Okay, das war übel. Irgendwie sah mein Arm größer aus, als er es eigentlich sollte und man konnte eindeutig kleine Härchen darauf erkennen. Die zu meinem Leidwesen, ziemlich dunkel waren. Daran war eindeutig meine Mama schuld. Oder doch Papa? Hm...schwer zu sagen...

Aber wieso war der Arm größer?

Auf welchem Planeten auch immer ich mich gerade befand.

Es musste die Hölle sein!

Ich wollte in Ohnmacht fallen, wie die Frauen im Fernsehen es immer so theatralisch taten oder wenigstens zurück in meinen Traum von eben.

Obwohl, so toll war der auch nicht gewesen.

„Vielleicht schlafwandle ich grad? Kann man dabei eigentlich denken?“

Ich lachte freudlos auf. „Das ist verrückt! Wieso passiert ausgerechnet mir so etwas?! Warum?!“

Ich konnte nicht anders, als meine momentane Situation immer und immer wieder in Frage zu stellen. Aber was sollte ich jetzt noch großartig ändern können? Eben, nichts.

Ich wusste ja nicht einmal, was mit mir passiert war!

Ob der Rest meines Körpers auch so komisch aussah? So ein bisschen anders fühlte ich mich ja schon.

Irgendwie...anders...

Ob meine Eltern und Abby mich auch schon so gesehen hatten? Wie haben sie reagiert? So wie ich?

Dann müssten sie doch auch über meinen Unfall in Kenntnis gesetzt worden sein. Vielleicht war es ihnen ja auch egal? Oder was wäre, wenn sie dabei gewesen sind und ich als einziger überlebt hatte? Das wäre schrecklich!

Bekümmert schlichen sich kleine Tränen meine Wangen hinab. Ja, ich weiß, Jungs heulen nicht! Aber ich konnte nicht anders. Mir war grad alles so egal.

Ich wollte nur nach Hause!

Ich schniefte und dachte an meine Familie. Wenn sie noch lebten, was würden sie jetzt machen?

Mama würde bestimmt wieder mitten in den Dreharbeiten für irgendeinen coolen neuen Film sein. Sie hatte es geschafft und war eine der Größen in Hollywood. Deswegen war sie auch selten zu hause. Aber mir machte das nicht wirklich etwas aus. Ich war stolz auf meine Mum und konnte damit immer so herrlich vor meinen Freunden angeben! Die machten immer Augen, kann ich sagen.

Mein Vater war Autohändler. Er verscherbelte alles was nicht Niet- und Nagelfest war. Egal ob es nun eine Schrottkarre oder eine Luxuslimo war. Deswegen hatte er auch ständig Probleme mit komischen Männern. Er hatte Glück, dass ihn noch niemand erschossen hatte, meinte Elias immer.

„Aber wenigstens kenne ich mich mit Autos aus.“, stellte ich fest.

Schniefend, putzte ich mir die Nase an meiner Decke. Okay, Mum würde schimpfen, wenn sie das sehen würde, aber hier war ja eh keiner außer mir.

Und Abby? Tja, die war irgendwie immer doof. Mit ihren ollen Puppen und ständig war sie zu diesem Schwimm- und Tanzvereinen. Die war auch selten zu hause. Wenn die mich so sehen würde, würd' sie mich bestimmt auslachen.

Mürrisch drehte ich meinen Kopf nach links und sah aus dem Fenster.

In weiter Ferne konnte ich die Lichter eines Flugzeuges erkennen. Klar, vor der Bucht war ja auch der Flughafen Santos Dumont. Ich liebte Flugzeuge. Ich wollte immer Pilot werden. Dann könnt ich über Brasilien mit meinem riesigen Vogel hinweg schweben und die Leute wären so winzig wie kleine Ameisen. Das war bestimmt ein irres Gefühl.

Aber so behaart wie mein Arm war, würd' ich mich auch nicht einstellen. Schniefend nickte ich. Der sah aus, wie Dads Arm. Aber der hatte so helle Haare, das fiel das nicht so auf. Wenn da noch mehr wachsen würden, hielten mich die Leute bestimmt für einen Bären.

Hoffentlich sah der Rest meines Körpers nicht auch so aus?! Das wäre echt furchteinflößend...!

Ich blickte wieder zur Uhr. Es war noch nicht allzu viel Zeit vergangen. Höchstens eine halbe Stunde. Wann fingen denn die Ärzte an zu arbeiten? War überhaupt jemand hier?

Verwirrt sah ich mich noch einmal um. Neben meinem Bett waren ein paar komische Knöpfe, aber ich traute mich nicht wirklich einen davon zu drücken. Was, wenn ich den Falschen erwischte? Also musste ich wohl oder übel warten, bis jemand kommen würde.

Hoffentlich dauerte es nicht allzu lang...

Aber, leider machte ich mir weiterhin Sorgen. Ich wollte einfach nur so schnell wie möglich nach Hause.

Ich konnte mich schwach an dieses Krankenhaus erinnern. Es war das Instituto Nacional de Traumatologia e Ortopedia. Ich war schon einmal hier. Damals hatte ich in der Schule einen Unfall gehabt. Dämliches Mattenturnen. Bei so was konnte man sich sogar den Knöchel brechen. Würde ich nie wieder machen!

„Verdammt...wieso zur Hölle...bin ich an so einem Ort?!“

So langsam gingen in den Häusern die Lichter an. Einige Leute mussten wohl schon früh zur Arbeit. Ich hatte um die Uhrzeit immer noch tief und fest geschlafen. Um so was kümmert man sich als sechsjähriger ja auch nicht. Da sind einem andere Menschen total egal. Na ja, man bekommt zwar auch mit was in der Umwelt passiert, aber ich hab mich schon immer etwas mehr um mich gekümmert.

„Oh...“

Ich hörte leise trippelnde Schritte, die sich langsam meinem Zimmer näherten. Sie kamen immer näher, aber leider nicht zu meinem Zimmer, denn nach einer Weile wurde es leiser und dann war es still auf dem Flur.

Sollte ich mich doch mal bemerkbar machen?

Ah, jetzt kamen die Schritte zurück. Da meine Stimme noch ein wenig brüchig und leise klang, war ich mir nicht sicher, ob die Person auf dem Flur mich hören konnte. Vielleicht war es ja auch gar keine Krankenschwester, aber ich wollte doch mal mein Glück versuchen.

„Hallo?! Ist da jemand?“

Okay, das war wohl nix. Das konnte unmöglich jemand gehört haben!

Anscheinend doch, denn die Tür öffnete sich und eine junge Frau in weißer Schwesterntracht steckte ihren Kopf zur Tür herein. Sie sah mich überrascht an und ich wusste nicht, ob ich mich nun freuen sollte oder nicht.

„Einen Moment bitte. Ich hole sofort einen Arzt!“

Sie zog ihren Kopf zurück und schloss die Tür. Dann verschwanden die Schritte geschwind.

Hatte ich grad irgendwas verpasst? Das lief ja besser, als ich dachte.

Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, kam endlich ein Arzt, nebst Krankenschwester. Er sah mich prüfend an und murmelte der Schwester etwas zu. Hey, wenn ihr solche Geheimniskrämer seid, macht das bitte woanders!

„Guten Morgen, Samuel. Wie geht es dir?“

„Könnte besser sein.“

Ich betrachtete den älteren Mann, der irgendetwas eifrig in meine Patientenakte schrieb. Was sollte das werden? Ein Roman?

„Du warst 12 Jahre im Koma. Das ist eine lange Zeit. Weißt du was mit dir passiert ist und warum du hier bist?“

Fragend sah er mich an.

„Nein.“

„Soso~“

Und wieder wurde etwas in die Akte gekritzelt.

„Du hattest einen ziemlich schweren Unfall. Wir werden dich in ein paar Stunden, nach dem Frühstück einigen Untersuchungen unterziehen. Dann sind wir auf dem aktuellen Stand und wissen, wie wir weiter mit dir vorgehen können.“

Aha, na das war ja schon mal ein Anfang. Ich war dem Arzt echt dankbar, dass er nicht in irgend so einem Fachchinesisch glänzte. Gute Noten würde ihm das eh nicht einbringen.

12 Jahre, also doch. Das hieße aber dann ja...

„Dann bin ich 18 Jahre alt?!“, rief ich erschrocken aus. Ja, zählen konnte ich wohl noch einigermaßen. Zumindest sah es so aus.

“Du hattest Anfang des Jahres 2000 einen Unfall mit einem Auto. Wir mussten auf der Intensivstation ein künstliches Koma herbeiführen, aus dem du einfach nicht mehr aufwachen wolltest.“

Ich sah den Arzt völlig perplex an. So was aber auch! Kein Wunder, dass mein Körper so entstellt war. Das musste alles von diesem Autounfall kommen. Genau. So einfach war das!

„Erinnerst du dich denn an gar nichts mehr?“

Langsam schüttelte ich den Kopf.

Nein, da war absolut nichts.

„Da du ziemlich lange intravenös ernährt werden musstest, werden wir dich die nächsten Tage langsam wieder ans Essen gewöhnen. Du wirst eine Reha machen müssen, um deine Muskeln wieder aufzubauen.“, überlegte der Arzt und sah aus dem Fenster.

Die Krankenschwester steckte plötzlich ihren Kopf zur Tür herein. Schien wohl eine Angewohnheit von ihr zu sein. Ich hatte sie gar nicht kommen gehört?

„Doktor. Ich habe die Familie de Lima erreicht. Sie sind unterwegs.“

Und weg war sie auch schon wieder.

Erleichtert lehnte ich mich zurück. Das hieß also, dass es meinen Eltern gut ging. Ich war erleichtert und wäre der olle Arzt nicht im Zimmer und ich nicht noch so schwach, würde ich wohl Freudensprünge machen. So aber blieb mir nichts Anderes übrig, als glückselig vor mich hin zulächeln. Musste bestimmt ziemlich dämlich aussehen. Den Arzt kümmerte das grad nicht die Bohne.

Er stand auf und gab mir die Hand.

„Wir sehen uns nachher noch einmal.“

Verabschiedete er sich und ließ mich damit für's Erste allein.

Eigentlich war ich auch ganz froh darüber, denn die Neuigkeiten musste ich erst einmal verarbeiten.

Hieß das, ich hatte 12 Jahre gepennt?!

War das erbärmlich...

Und es hatte wohl mein Erinnerungsvermögen beachtlich beeinträchtigt. Ob meine Erinnerungen zurückkommen würden?

Ich glaube, ich hatte ziemliches Glück. Aus den Arztserien, die meine Mum immer sah, als gäbe es nichts Besseres im Fernsehen, hatten die Komapatienten viel mehr Pech. Die waren dann immer so schräg drauf und verhielten sich so komisch. Die waren danach nicht mehr normal.

Ich hatte echt Glück.

Irgendwie war ich ziemlich müde über die ganzen Überlegungen und schlief irgendwann ein.


◆ ◆ ◆




Geweckt wurde ich einige Tage später allerdings äußerst unsanft!

„...was heißt du kannst nicht kommen?!“

Oh ja, das war eindeutig ihre Stimme. Sie hörte sich ein wenig anders an, aber ich würde sie dennoch immer wieder erkennen.

„Du hast einen Frontalschaden? Ach so, dein Auto. Was kann ich bitte dafür?! Motz' mich nicht so an!“

Meine Mutter.

War ich vielleicht froh sie wiederzusehen, aber konnte sie dieses Handy nicht einmal aus der Hand legen? Sie telefonierte doch sowieso 24 Stunden lang, 7 Tage die Woche. Das ist doch echt nicht normal!!! Workaholics würde ich wohl nie verstehen. Dazu liebte ich meine Freizeit viel zu sehr.

Mit wem telefonierte sie da eigentlich und wo waren Abby und Dad?

„Ist doch nicht meine Schuld, wenn ihr ausgerechnet jetzt ein Auto abliefern musstet. Wieso kann der Käufer es nicht selbst abholen oder es abholen lassen? Wieso musst du das alles immer persönlich machen?“

Okay, es war klar, sie telefonierte mit Dad. Der steckte wohl mal wieder in Schwierigkeiten. Was ja genaugenommen auch nix Neues war.

„Goiás?! Was willst du denn da? Weißt du wie weit weg das ist? Wie willst du wieder zurückkommen ohne Auto?!“

Hallo Mama, auch schön dich zu sehen. Sprach's und wurd' weiterhin ignoriert.

„Ich bin extra mit dem Flugzeug hierher gekommen, ich habe einen mehrstündigen Flug hinter mir.“

„...“

„Das ist mir so was von egal. Sieh' zu, dass du hierher kommst!“

Klick. Aufgelegt.

Tja und auch in dieser Beziehung hatte die Frau die Hosen an.

Endlich richtete meine Mum mal ihre Aufmerksamkeit mir zu. Sie kam freudestrahlend auf mich zu und umarmte mich so fest, dass ich angst bekam, sie würde mich ersticken oder mir die Rippen brechen. Ja, ich freute mich ja auch riesig sie wiederzusehen, aber es wäre schön, wenn das auch von längerer Dauer sein würde...

„Dir geht es gut. Bin ich froh. Es hat einige Tage gedauert, aber ich hab mich beeilt den Job zu erledigen und zu dir zu kommen. Was man von deinem Vater ja nicht gerade sagen kann!“

Sie setzte sich zu mir aufs Bett ans Bettende und sah mich mit einem breiten Lächeln an.

„12 Jahre sind eine lange Zeit. Es hat sich vieles verändert. Nicht nur dein Körper. Ich hoffe, du wirst dich schnell daran gewöhnen. Aber die nächsten Monate werde ich mich ganz dir widmen. Wir müssen eine Menge nachholen.“, meinte sie.

Ich nickte und war ehrlich gesagt ein wenig zu faul sie in ihrem Wortschwall zu unterbrechen. Es tat gut ihre Stimme zu hören. Auch wenn es mir vorkam, sie erst gestern gehört zu haben und nicht Jahre später.

Mein Körper war auch so eine Sache. Am Tag an dem ich zu mir kam, konnte ich mich später am Nachmittag, das erste Mal im Spiegel betrachten. Einem Handspiegel, weil ich noch ziemlich unfähig war zu laufen.
Ich hatte mich erschreckt. Denn die Person, die mich im Spiegel ansah, war mir völlig fremd. Diese Person konnte nie und nimmer ich sein. So sehr es mir aber nicht passte, so sehr musste ich mich jetzt daran gewöhnen. An meinem neuen Körper konnte ich nun mal nichts mehr ändern.

„Zieh dich an, dann können wir endlich nach Hause.“, meinte meine Mutter und deutete auf meine Klamotten die auf dem Bett lagen.

Es war alles geklärt. Die Untersuchungen hatten ergeben, dass mein Körper so weit in Ordnung war. Einzig meine Amnesie machte den Ärzten leichte Kopfzerbrechen, aber wir gingen davon aus, dass die Erinnerungen mit der Zeit zurückkommen würden.
Mit der Reha war auch alle vorbereitet, ich würde regelmäßig ins Krankenhaus kommen und meine Übungen machen. Meine Mutter war ja jetzt einige Zeit zu hause und konnte mich hin- und her kutschieren. Mit der Zeit konnte ich auch zu hause mit einfachen Übungen weitermachen und müsste dann nicht mehr ins Krankenhaus fahren.

Fertig angezogen schob meine Mutter einen Rollstuhl heran. Den würde ich die nächste Zeit benötigen, bis ich Krücken benutzen könnte und dann konnte ich auch wieder allein laufen. Aber bis dahin, war ich noch weit entfernt. Sehr zu meinem Leidwesen.

Ich hievte mich mit Hilfe meiner Mum in den Rollstuhl und ließ mich dann gemütlich durch die Gänge des Krankenhauses schieben. Zwischendurch verabschiedete ich mich von einigen Ärzten und Schwestern, die ich in den letzten Tagen hier kennengelernt hatte.

Draußen vor dem Krankenhaus stand das Auto meiner Mutter, wenn man es denn mal als solches bezeichnen könnte. Es war schwer zu definieren, was es überhaupt für eine Farbe hatte. Der Wagen war schon länger nicht mehr gewaschen worden und hatte inzwischen einen bräunlichen verwaschenen Ton. Die Fenster waren auch mehr grau als durchsichtig.

Ich hatte gerade ziemlichen Bammel in dieses fahrende Mördergeschoss einzusteigen. Wieso hatte meine Mutter einfach keine Beziehung zu ihrem Auto? Und das, wo sie mit meinem Vater verheiratet war. Dank ihrer Jobs sahen sie sich aber nicht sehr oft. Sonst wäre mein Dad bei dem Anblick des Autos wohl in Ohnmacht gefallen!

Nach einem etwas unbeholfenem Einstieg auf die Rückbank des alten Chryslers, konnte ich aufatmen. Mein Sitz quietschte zwar kurz auf, aber ansonsten hatte ich immer noch das Gefühl, dass das Auto bei der nächsten Kurve auseinander fiel.

Meine Mutter brauchte zwei Anläufe um den Motor zu starten, da er beim ersten Mal versagte.

Die Fahrt verlief relativ kurz, da die de Lima's in diesem Ort wohnten. Wir mussten ein paar Straßen fahren, bis wir an einige rechte scharfe Kurven kamen, die eine Art Hügel hinaufführten. Dort oben war eines der besseren Viertel in dem meine Familie lebte.

Meine Mutter schaltete das Radio an. Ein Nachrichtensprecher quasselte irgendein unnützes Zeug daher, ich achtete schon gar nicht mehr auf das Gefasel. Nach einiger Zeit setzte endlich die Musik ein, für die Brasilien so berühmt war. Samba!

Wir unterhielten uns über Kleinigkeiten, die nicht sonderlich interessant waren. Smalltalk eben. Ich war müde und wollte endlich einfach nur nach Hause. Außerdem wollte ich mein Haustier wiedersehen. Mum hatte mir im Krankenhaus erzählt, man hätte sich gut um den kleinen Racker gekümmert.

„Sam. Wir sind angekommen.“, meinte meine Mutter und weckte mich kurze Zeit später.

Es war etwa eine Stunde vergangen. Heute war viel los und der Verkehr staute manchmal, was nicht zuletzt an einigen defekten Ampeln lag, die einige Kids besprüht hatten.

Ich sah meine Mutter, total verschlafen und verständnislos an. So ganz war ich noch nicht da.

„Echt?“

„Aber ja, schau mal aus dem Fenster.“

Gut gemeint, aber wie sollte ich bei all dem Dreck etwas erkennen können?

„Oh...“, meinte ich daraufhin nur.

Müde streckte ich mich und öffnete dann die Tür. Meine Mum stieg ebenfalls aus und ging zum Kofferraum um den Rollstuhl herauszuhieven. Ächzend kam sie damit nach vorne und half mir beim hinsetzen.

„Geht's so?“

„Ja.“

Sie schob mich mit dem Rollstuhl die Auffahrt hinauf. Bald würde ich damit zurechtkommen müssen, ich konnte mich schließlich nicht ständig durch die Gegend schieben lassen. Auch wenn es ziemlich gemütlich war.

Vor der Haustür blieben wir stehen, während meine Mutter in ihren Taschen nach dem Schlüssel suchte.

Wir wohnten in einem Bungalow. Direkt davor war ein riesiger Pool, den ich die nächste Zeit leider nicht benutzen konnte. Das Haus war von einer etwa hüfthohen hellbraunen Steinmauer umgeben und überall auf dem Gelände waren Pflanzen und Bäume jeglicher Art. Es sah aus wie in einem kleinen Paradies. Deswegen hatten wir das Haus damals auch gekauft. Es lag etwas abseits der anderen Häuser und war damals ziemlich teuer gewesen.

„Ich lasse nachher Pizza kommen, wenn es dir recht ist.“, meinte sie noch und steckte den Schlüssel ins Schloß. Sie öffnete die Tür und schob mich hindurch. Zum Glück hatten wir keine Treppen im Haus, sonst würde ich die nächste Zeit auf der Couch schlafen müssen.

„Ja, das ist klasse.“, erwiderte ich.

„So, da sind wir also. Allzu viel hat sich nicht verändert, aber wir haben das Haus ein wenig renoviert, wie du sehen kannst.“

„Hm, ja die Farbe ist neu. Kaum zu ignorieren.“, meinte ich sarkastisch.

Die Flurwände waren in einem hellen creme gestrichen und ließen das Haus noch heller und freundlicher erscheinen.
Auch die Möbel im Wohnzimmer waren neu. Die gesamte Sitzecke war nun weiß.

Ich steuerte meinen Rollstuhl in den hinteren Bereich des Wohnzimmers und knallte bei meinem Versuch eine Kurve um eines der Sofas zu ziehen, voll dagegen. Na ja, braucht wohl noch etwas Übung.

Ich schob mich langsam voran und näherte mich einem großen Aquarium. Es war ziemlich leer und man musste regelrecht nach dem Bewohner suchen, der hier hauste. Auch wenn er knallrot und weiß war, konnte man das kleine Kerlchen nicht immer auf Anhieb finden.
Was erwartete man auch von vier Zentimetern...

„Cha Cha, komm raus, komm raus, wo immer du auch steckst...“, sang ich leise vor mich hin.

Ach ja, da war sie ja.

Meine kleine Tanzgarnele.

Das Tolle an ihr war wirklich, wenn sie sich fortbewegte, dass sie aussah, als würde sie tanzen. Ein Freund hatte sie mir aus Indonesien mitgebracht. Naja, eigentlich war das hier schon die Nummer Zehn. Tanzgarnelen wurden ja leider nicht älter als ein bis zwei Jahre.
Schade, aber auch!

Aber Nummer Zehn schlug sich anscheinend gut, laut meiner Mutter.

„Mum, ich geh in mein Zimmer!“, rief ich meiner Mutter zu, die sich in der Zwischenzeit vor den Fernseher gepflanzt hatte und nicht so aussah, als würde sie sich die nächste Stunde auch nur einmal vom Fleck bewegen.

Sie winkte lediglich mit ihrer Hand.

„Ja, mach das...“

Längst vertieft in ihren Film, um den es mal wieder ging, wer mit wem. Schrott, den ich mir niemals antun würde. Aber ich war ja auch ein echter Kerl. Statt mit einem dicken Wanst vor der Glotze zu sitzen, würde ich später mal groß Karriere machen. Das wusste ich natürlich jetzt schon!

Wie man sehen konnte, war ich sehr von mir selbst überzeugt.

Aber ich hatte schon immer das Selbstvertrauen, eines Tigers. Mein Körper glich hingegen eher dem eines Esels, denn er weigerte sich noch immer mir zu gehorchen.

Ich schob mich samt meinem fahrenden Untersatz den Flur entlang in mein Zimmer. Das war jedenfalls mal mein Zimmer. Jetzt war es pink und mit lauter typischem Mädchenkram zugemüllt.

„Mum!!!“, rief ich entsetzt.

Meine Mutter hatte sich wohl gedacht, ich wär aus meinem Ferrari geplumpst, denn sie kam sofort angerannt. Als sie mich aber in meinem Rollstuhl sitzen sah, sah sie mich nur entgeistert an.

„Was ist denn los, Junge?“

„Was ist mit meinem Zimmer passiert?!“, fragte ich sie nur mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

„Ach, deswegen brüllst du die halbe Nachbarschaft zusammen.“

„...“

„Abby wollte unbedingt dein Zimmer haben, weil es größer ist und du ja kaum Platz für dich brauchst. Außerdem war es eigentlich nur geplant ihr das Zimmer zu überlassen, solange du im Koma bleiben würdest. Da du aber nicht vorhattest, so schnell wieder aufzuwachen, haben wir uns gedacht, du könntest das Zimmer am Ende des Flurs bekommen.“

„Ist ja mal wieder ganz toll, dass ich auch gefragt werde!“, meinte ich sarkastisch.

„Nun reg' dich mal nicht so auf.“, meinte sie beschwichtigend.

„Na, da kann Abby aber was zu hören kriegen, wenn sie zurück kommt.“, maulte ich.

„Habe ich dir das noch gar nicht erzählt?“

„Was erzählt?“

„Abigail ist seit zwei Jahren in Deutschland.“

„Was? Wieso?“

„Sie macht dort ihr Studium. Sie wollte mal ein wenig von der Welt sehen und da sie auch die Sprache gelernt hat, haben wir ihr die Möglichkeit gegeben dort zu studieren.“

„War ja mal wieder klar, Abby kann alles machen, was sie will.“

„Nun hör aber mal auf!“, ermahnte mich meine Mum.
„Es ist ja nicht so, dass wir dich übergehen wollen, aber keiner von uns hatte mit diesem Unfall gerechnet!“

„Aber ihr habt die ganze Zeit so getan, als gäbe es mich gar nicht mehr!“, schrie ich sie an.

„Das haben wir nicht.“

„Doch! Sonst hättet ihr Abby nicht mein Zimmer gegeben!“, aus Frust und Wut stiegen mir mal wieder die Tränen in die Augen.

„Magst du dir dein neues Zimmer denn nicht mal anschauen.“, fragte sie mich und ging vor mir in die Hocke, legte ihre zarten Hände, die noch nie hatten harter Arbeit nachgehen müssen, auf meine Hände, die ich aus lauter Wut im Schoß zusammengeballt hatte.

Trotzig sah ich sie an.

„Mach was du willst. Aber du bist jetzt 18 Jahre alt. Ich weiß es ist schwer, aber du solltest dich langsam mal deinem Alter entsprechend benehmen.“

Mit den Worten ließ sie mich einfach stehen.

Ging's noch? Ich lag 12 Jahre im Koma. Ich hatte noch den Stand eines Sechsjährigen, wie sollte ich da bitte wissen, wie sich ein 18-jähriger benahm?!

Ich schniefte und sah einmal in die Richtung meines neuen Zimmers. Dann sah ich noch einmal in Abbys Zimmer und schloss dann die Tür.

Na ja, konnte ja nicht schade, sich mal das Zimmer anzusehen...

Ich drehte meinen Rollstuhl und fuhr dann den Flur entlang. Das Zimmer war gegenüber des Schlafzimmers meiner Eltern.

Ich öffnete die Tür und ließ sie sprachlos auffallen. Wow!, war mein einziger Gedanke. Ich hatte zwar irgendwie mit einem Traum von einem Planetarium gerechnet, wie ich es mir immer gewünscht hatte, aber das hier war tausend Mal besser.

Die Wände waren in einem giftgrün gestrichen. Vor dem Bett lag ein fransiger grüner Teppich, der aussah wie Gras. Über dem Bett hing die brasilianische Flagge und überall im Zimmer hingen Poster von unseren Nationalspielern. In einer kleinen Sitzecke lag sogar ein Fußball-Sitzsack.

Ja, das Zimmer konnte sich wirklich mal sehen lassen. Ich war zwar nicht so verrückt nach Fußball wie Elias, der bei einem verpassten Spiel tagelang nicht ansprechbar war, aber hiermit konnte ich gut vor ihm angeben.

Apropos Elias, wo war der eigentlich abgeblieben? Seit ich aufgewacht war, hatte er mich nicht einmal besucht. Das war ja schon ziemlich gemein. Immerhin waren wir die besten Freunde!

Ich rollte zurück ins Wohnzimmer und blieb direkt neben Mum stehen. Ich hievte mich neben ihr aufs Sofa und kuschelte mich an. Okay, das würde aber nicht so oft passieren! Das war nämlich uncool. Aber wir waren ja jetzt allein.

„Danke, das sieht echt toll aus.“, murmelte ich in ihren Pullover.

Sie lächelte und strich mir zärtlich über den Kopf.

„Das hab ich mir schon gedacht, dass es dir gefällt. Die Idee war übrigens von Elias.“

Erstaunt sah ich ihr in die Augen.

„Elias?“

Sie nickte.

„Wo ist der eigentlich? Er hat mich kein einziges Mal im Krankenhaus besucht.“

„Na ja, er hat doch auch Schule. Außerdem macht er zurzeit seinen Führerschein und er hat doch auch noch andere Freunde, da wird er nicht viel Zeit haben.“, meinte sie nur kurz angebunden, abgelenkt von ihrem Film.

Idiot, trotzdem hätte er mich besuchen kommen können. Er wohnte immerhin im selben Ort wie ich. Was war so schwer daran, einmal kurz vorbeizuschauen?!

So, er machte also seinen Führerschein. Hatte der es gut. Ich müsste dafür erst mal meine Beine bewegen können!

Da Elias Eltern nicht so viel Geld hatten wie meine, besuchte er im Gegensatz zu mir eine öffentliche Schule. Durch seine menschenfreundliche Art hatten wir uns aber sofort angefreundet. Unsere Lieblingsbeschäftigung war es immer, auf den Straßen mit den Nachbarschaftskindern Fußball zu spielen.

Hoffentlich kam er die nächsten Tage mal vorbei. Ich wagte es kaum, mir auszumalen, dass Elias womöglich nicht mehr an mir interessiert wäre und nun lieber mit seinen ach so tollen neuen Freunden zusammen abhing.

Nein! Das würde er niemals machen. Nicht Elias!

Da war ich mir sicher.

Während ich so meinen Gedanken nachhing, näherte sich der Film, eine Schnulze mit tragischem Ende, ihrem eigenen Ende und wurde herzlos von meiner Mutter ausgeschaltet. Sie liebte es solche Filme zu schauen, aber es ging ihr nicht sehr nahe, wenn Julia ihren Romeo verlor. Der Romeo meiner Mama war nämlich irgendwo in Goiás und versuchte irgendwie per Anhalter heimzukommen. Das ging ihr scheinbar zurzeit viel näher.

„Ich glaube, ich rufe langsam mal den Pizza Service an. Und dann machen wir es uns hier mal so richtig gemütlich.“

Sie stand auf und ging in den Flur zum Telefon.

Während sie ihre Bestellung aufgab, sah ich etwas lustlos aus dem Fenster.

Es wurde langsam dunkler. Wir hatten zwar Winter, aber hier spielte das Wetter schon ein bisschen anders und ließ uns noch einige Stunden hellen Himmel.

Ich griff in meine Hosentasche und beförderte mein Handy zu tage. Eigentlich war ich laut meiner Mum zu jung für ein Handy, aber Dad hatte es mir damals einfach gekauft. Er meinte es wäre ein Ortungsgerät darin, so dass sie mich immer finden würden, wenn ich mal verloren ginge. Also hatte sie zugestimmt. So leicht war es eine Mutter zu beruhigen. Die erste Nummer die ich eingetragen hatte, war die von Elias.

Ich stierte auf mein Handy, in der Hoffnung, es würde anfangen zu klingeln.

Tat es aber nicht.

Ich legte es zur Seite aufs Sofa und ließ den Kopf nach hinten gegen die Lehne sinken. Was sollte ich denn jetzt machen?

Erst als ich meinen Blick durchs Zimmer wandern ließ, entdeckte ich die Tüte auf dem Boden vor dem Sofa, die Mum vorhin mit reingebracht hatte.

Ich fiel wie ein plumper Sack aufs Sofa und kroch etwas näher an die Tüte heran. Meine Hand näherte sich ihr und hielt sie etwas auf, damit ich einen Blick hineinwerfen konnte.

DVDs.

Der Tag war gerettet!!!

Ein paar neue Filme, wie ich auf der Rückseite der Hüllen feststellen konnte. Ganz so alt waren sie also noch nicht, sie mussten erst vor Kurzem im Kino aufgeführt worden sein.

Was hatten wir denn da?
Rio, Hangover, Stichtag, Mr. Popper's Pinguine und Four Lions.

Von den Titeln hatte ich noch nie etwas gehört, aber sie klangen interessant. Und Rio spielte sogar in Brasilien. Das war doch mal was!

Den würde ich sofort schauen, entschied ich mich. Klar, so ein Animationsfilm war ja auch in den Augen eines Sechsjährigen viel ansprechender, als ein Realfilm.

Ich legte den Film schön sichtbar auf den Glastisch und lehnte mich dann gemütlich zurück ins Polster. Jetzt musste nur noch die Pizza kommen und dann könnte es losgehen.

Leider wurde mein Plan durchkreuzt, die Pizza ließ auf sich warten und nach einer Viertelstunde des Films klingelte das Telefon.

Meine Mutter stand auf und ging schlurfend in den Flur und hob den Hörer ab.

„De Lima?“

„...“

„Ach! Das ist ja mal eine Überraschung. Hallo! Wie geht es dir?“

„...“

„Ja, uns geht es gut. Wir sind ohne Probleme zu hause angekommen. Wir schauen jetzt einen Film und warten auf unsere Pizza. Wie läuft dein Studium?“

„...“

Anscheinend telefonierte sie mit Abby. Na, mir sollte es egal sein. Diese Zimmerdiebin konnte in Deutschland ruhig verrotten. Ich wette, sie wohnte in einem hässlichen kleinen grauen Zimmer mit einer Mitbewohnerin die nachts laut schnarchte und deren Füße übel rochen. Ich würde es ihr gönnen.

„Sam! Abby möchte mit dir reden!“, rief Mum aus dem Flur.

„Ich möchte aber nicht mit ihr reden! Sag ihr das!“, schmollte ich.

„Stell dich nicht so an. Komm her!“

Missmutig hievte ich mich in den Rollstuhl und kam unsanft darin zum Sitzen. Ich rollte sehr langsam, zum Leidwesen meiner Mum, denn die wartete ungeduldig, die paar Meter zum Telefon. Sie übergab mir den Hörer und ging zurück ins Wohnzimmer.

„Aber leg nicht auf, ich will nachher noch weiter mit ihr sprechen!“, rief sie mir noch zu.

„Jaja...“, murmelte ich.

„Hallo, Miss Gemany.“, brummte ich in den Hörer.

„Sam? Wow, deine Stimmte klingt wirklich ganz anders, als ich sie im Kopf habe.“

„Tut mir Leid, wenn sie nicht so klingt, wie du es gern hättest.“

„Das meinte ich doch gar nicht. Ich kannte ja nur noch nicht deine neue Stimme.“

„So was nennt man Stimmbruch.“

„Ja, das tut mir Leid für dich.“

„Glaub ich dir nicht.“

„Ich bin leicht zu durchschauen, was?“, lachte Abby laut auf.

„Du bist irgendwie anders.“

„Ja, es sind ja auch viele Jahre vergangen. Ich bin älter geworden und reifer.“

„Und lauter...“

„Haha, du bist echt süß, Bruderherz.“

„Was machst du in Deutschland? Wie ist es da?“

Ja, ich geb's zu, ich war neugierig.

„Oh, es ist herrlich. Die alten Häuser, die Kirchen und die Menschen! Es ist eine völlig andere Mentalität, als wir sie in Brasilien haben! Die Menschen hier haben eine wirklich ansehnliche Arbeitsmoral. Ich war schon oft shoppen in der Stadt. Mit meinen Freunden. Sie sind echt klasse und es ist hier alles so billig. Na ja, kommt drauf an, in welchen Geschäften man einkaufen geht! Aber ich habe ein paar echt schicke Fummel gefunden, die werde ich bei der nächsten Semesterparty tragen. Ein Freund von mir arbeitet in einer Disko, da gehen wir Freitags immer hin. Es ist echt voll da. Aber die Deutschen haben einfach keinen Rhythmus! Das muss ich ja mal sagen. Wir Brasilianer haben so was einfach im Blut. Das versteht sich ja von selbst! Du glaubst nicht, wie es hier im Wohnheim zu geht. Die letzten Tage wurde hier der vordere Teil saniert. Es war immer ein echt Drahtseilakt in mein Zimmer zu kommen. Ich habe übrigens zwei echt nette Mitbewohnerinnen. Die eine kommt aus Hamburg. Sie stottert ein wenig, aber sie ist echt gut in Deutsch und hilft mir, wenn ich beim Lernen nicht vorankomme. Und dann ist da noch die Andere, die arbeitet nebenbei an zwei oder drei Nebenjobs. Sie muss sich das Studium selbst bezahlen. Sag das jetzt nicht Mama, damit sie sich keine Sorgen macht. Aber die Prostituiert sich und verdient ganz gut damit. Heftig, oder? Ich würde so etwas niemals machen! Darauf kannst du Gift nehmen!Ach ja, und dann...“

Und so ging es dann erst mal eine halbe Stunde weiter.

Ich hörte schon gar nicht mehr richtig zu.

„...und wie geht’s dir?“ Ich horchte auf.

„Hm... Wie man's nimmt.“

„Sag schon!“

„Es ist komisch...Mein Körper hat sich verändert. Aber ich mich nicht. Ich bin immer noch derselbe, während die Welt um mich herum, sich weiter dreht, hab ich mich kein bischen geändert.“

„Ja, das kann ich verstehen.“

„Wie? Du steckst nicht in einem fremden Körper.“

„Ich meinte, ich könnte es mir vorstellen, wie es wäre. Das kommt zwar nicht annähernd daran, aber so wie ich dich kenne, wirst du damit schon fertig!“, munterte sie mich auf.

„Wahrscheinlich.“

„Gib nicht auf. Es wird schwer sein, aber wenn du dir die Zeit nimmst, wirst du lernen damit klarzukommen.“

„Möglich. Ich weiß nicht.“

„Da bin ich mir sicher!“

„Wie lange bleibst du in Deutschland?“, fragte ich um das unangenehme Thema zu wechseln.

So war ich schon immer. Wenn mir etwas unangenehm war, ging ihm einen großen Bogen drum herum.

„Ich weiß noch nicht genau. Etwa ein oder zwei Jahre. Ich will mein Studium hier beenden und vielleicht sogar noch einige Zeit hier arbeiten. Wer weiß, vielleicht finde ich ja noch einen hübschen Mann hier?“, meinte Abby schelmisch und lachte.

„Wer würde dich denn wollen?“, fragte ich entgeistert.

„Hey! Das ist gemein! Ich habe durchaus meine Vorzüge!“

„Echt? Scheinst du aber in Brasilien vergessen zu haben.“, ärgerte ich sie.

„Du bist mir einer. Kaum zu hause, hast du wieder eine große Klappe.“

„Na und? So bin ich nun mal.“

„Ja, du bist genau wie Elias. Ihr seid zwei Dickköpfe!“

„Er hat mich nicht besucht.“

„Hat er nicht?“

„Nein!“

„Dann muss er seine Gründe haben. Vielleicht musst du auch den ersten Schritt machen. Er hat sich nach deinem Unfall schrecklich gefühlt. Wer kann's ihm verdenken. Immerhin hat er sich die ganze Zeit die Schuld dafür gegeben.“

„Ich kann mich nicht daran erinnern.“

„Woran?“

„An den Unfall. Ich hab A...Ane...Amnesie!“

„Oh! Das wusste ich nicht. Das ist mies. Kannst du dich nur an den Unfall nicht mehr erinnern oder...?“

„Nur der Unfall.“

„Ach so. Hm...hat dir schon jemand erzählt, was passiert ist?“

„Ja, aber ich kann damit nicht viel anfangen. Ich weiß nicht...“

„Du ich muss aufhören, meine Mitbewohnerin will los. Wir fahren noch mit zwei Freundinnen zum Rhein.“

„Okay. Bye!“ Ich legte auf und fuhr ins Wohnzimmer zurück.

„Bist du fertig, ich wollte noch mal mit Abby reden.“

„Oh, die ist weg.“

„Was? Das gibt’s doch nicht!“, schnauzte Mum herum. „Dieses Mädchen. Das hat sie absichtlich gemacht. In dem Punkt seid ihr zwei euch wirklich ähnlich! Wieso müsst ihr nur immer den wichtigen Sachen aus dem Weg gehen?!“

Bevor ich etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür und der arme Pizzabote bekam den gewaltigen Wutausbruch meiner Mutter ab. Die ließ auch nichts aus, beschwerte sich über dessen Faulheit und das die Pizza wahrscheinlich längst kalt war. Wenn ja, könne er sie gleich wieder mitnehmen. Sie würde nie im Leben auch nur einen Centavos für eine kalte Pizza bezahlen. Und so weiter...

Der Ärmste!

Ich bequemte mich zurück aufs Sofa und ließ den Film weiterlaufen. Mum kam missmutig mit der heißen Pizza zurück und stellte sie auf den Tisch, nachdem sie die Fernsehzeitung darunter gelegt hatte und sank ins Polster.

Wir sahen den Film schweigend an und trotzdem wurde es ein schöner Nachmittag, der Film war einfach zu lustig, als das wir hätten verbiestert auf dem Sofa sitzen können.

Am Abend schob ich mich müde ins Bad, wo meine Mutter netterweise schon das Badewasser mit ordentlich viel Schaum eingelassen hatte. Ich zog mich im Sitzen aus und kletterte dann etwas unbeholfen in die Wanne.

Okay, das Wasser war viel zu heiß. Ich hatte zwar gesagt, sie solle es ordentlich heiß machen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie mich so wörtlich nehmen würde. Gequält ließ ich mich in die kochend heiße Brühe sinken. Aua....

Ich sank gemächlich nach hinten und spielte ein wenig mit dem Schaum, pustete ihn durch die Gegend, kreuz und quer und versuchte mein Quietscheentchen untergehen zu lassen. Das das Badezimmer nach einiger Zeit aussah, wie nach einem Bombeneinschlag, machte die Sache auch nicht unbedingt besser.

Als meine Haut langsam begann Alterserscheinungen zu zeigen, weil sie so eklig runzlig wurde, beschloss ich, war es an der Zeit, mich in meinen todschicken Bademantel zu zwengen, der mir leider inzwischen viel zu klein war. Also zog ich kurzerhand, den meines Vaters über. Als ich einen Blick in den Spiegel warf, betrachtete ich noch einmal mein Gesicht.

Zu dem Jungen, der mich dort anstarrte, hatte ich immer noch keine Beziehung aufgebaut. Er war mir nach wie vor fremd. Lag vielleicht auch daran, dass ich Spiegel meidete wie die Pest.

Ich rollte in mein Zimmer und kletterte mühselig ins Bett. Es war zum Glück nicht sehr kühl und ließ sich gut aushalten. Nach einigen Minuten kam Mum ins Zimmer und brachte mir noch einen Mitternachtssnack und eine Flasche Cola ins mit.

„Es ist schön, dich wieder zu hause zu haben.“, meinte sie und setzte sich zu mir aufs Bett.

„Ja.“

„Wir müssen uns überlegen, wie es weitergehen soll.“

„Was meinst du?“

„Nun ja, zur Privatschule können wir dich erst mal nicht mehr schicken. Du brauchst einen eigenen Lehrer. Und ich muss dich unbedingt noch einmal zum Frisör schicken. Neue Kleidungsstücke brauchst du auch. Die Sachen in deinem Kleiderschrank passen dir nicht mehr. Ich bin leider nicht dazu gekommen, dir welche im Voraus zu kaufen.“, erklärte sie.

„Entschuldigung,…“

„Ist schon gut. Das macht nix.“, meinte ich leichthin.


◆ ◆ ◆




Irgendwann war ich eingeschlafen.

Ich bekam nicht mehr mit, wie meine Mutter mich beobachtete. Sie hatte sich auf die Seite gelegt und betrachtete mich, wie ich ruhig schlief.

Sie nutzte die Zeit, um mich noch einmal richtig zu betrachten. Das hatte sie zwar auch schon oft im Krankenhaus getan, aber nun nahm sie sich die Zeit dazu. Sie hatte mich ja immer gesehen, von daher war es ihr nicht so sehr in den letzten Jahren aufgefallen, wie sehr ich mich doch verändert hatte.

Ich war immer noch ihr kleiner Junge, aber mein Körper und der Unfall hatten mir meine Kindheit genommen. Ich war zwar jetzt Volljährig, aber irgendwie fehlte mir ein Teil meines Lebens.

Vorsichtig, um mich nicht zu wecken, stand sie nach einer Weile auf und verließ mein Zimmer. Bevor sie das Licht ausmachte und die Tür schloss sah sie noch einmal zu mir rein.

„Gute Nacht...“

Früher war eh alles viel besser!




Ich stand ziemlich verpennt im Badezimmer. Komplett nackt und mit Schlafzimmerblick. Ich starrte diese mir immer noch fremde Person im Spiegel an und streckte ihr die Zunge raus. Zu meinem Leidwesen, tat der Junge im Spiegel genau dasselbe...

Ich betrachtete mich im Spiegel, der bis zum Boden reichte. Mein Körper hatte sich doch ziemlich verändert. Zu meiner Freude nur zum Besten. Mein kleiner Freund da unten ist in die Länge geschossen und sah nicht mehr so mickrig aus. Ich war ziemlich dünn, aber meine Mum hatte vor, mich die nächsten Wochen ein paar Kilo zu mästen. Ich konnte nur hoffen, dass ich nicht in die Breite ging.

Ich gähnte und hielt mich am Handtuchhalter fest. Nur mit Mühe hatte ich es geschafft, aufzustehen. Ich war noch ziemlich wacklig auf den Beinen.

Lange stehen konnte ich noch nicht.

Hoffentlich brachte mir die Reha was. Ich wollte endlich wieder rennen können. Ich war nicht gerade von der Sorte, die sich lange im Haus beschäftigen konnte.

Ich wollte wieder Fußball spielen und mit meinen Freunden etwas unternehmen.

Apropos Freunde: Elias hatte sich immer noch nicht gemeldet!

So langsam wurde ich ungehalten. Wieso kam er mich nicht besuchen? Sollte ich den ersten Schritt wagen und ihn anrufen?

Pöh, wenn der Idiot besseres zu tun hatte, sollte er doch.

Oder sollte ich doch anrufen?

In meinem Kopf ratterte es. Aber nur zehn Sekunden, dann hatte ich keine Lust mehr.

Sollte Elias doch bleiben wo der Pfeffer wächst. Wenn er halt Wichtigeres zu tun hatte, war das nicht mein Problem. Aber sauer war ich ja schon etwas. Nicht direkt sauer, eher eingeschnappt.

Wäre ich nicht mehr oder weniger an meinen Rollstuhl gebunden, wäre ich ja glatt rüber zu Elias' Haus gelaufen und hätte ihm mal ordentlich meine Meinung gegeigt.

Aber er hatte geholfen mein Zimmer einzurichten. Was sollte ich jetzt davon halten? So wirklich böse konnte ich also nicht auf ihn sein. Oder war es so eine Art Abschiedsgeschenk? Dass wir uns ab sofort nicht mehr sehen würden, weil er auf den kleinen behinderten Sam keine Lust mehr hatte?

Okay, jetzt machte ich mir doch Sorgen...und bekam darüber hinaus Kopfschmerzen. Deswegen hatte ich keine Lust mir so viele Gedanken zu machen.

Ich zog mir notdürftig die Klamotten über, die meine Mum mir zusammengekauft hatte, da sie so schnell nichts Anderes zur Hand hatte. Die Klamotten meines Vater waren mir zu groß. Der war übrigens immer noch nicht nach Hause gekommen. Musste er jetzt zu Fuß laufen, weil ihn nicht mal jemand per Anhalter mitnehmen wollte?
Na ja, meine Mum hatte mir ja immer eingetrichtert, dass man mit Fremden nicht mitfahren sollte. Hoffentlich war mein Dad nicht so dumm.

Hoffentlich klappte es auch am Nachmittag mit dem Einkaufen. Dieser Pullover kratzte ziemlich am Hals. Wo hatte Mum den nur her? Nee, wollte ich besser nicht wissen.

Ich sank zurück in den Rollstuhl, lange stehen war echt noch nicht drin. Ich verließ das Badezimmer und fuhr in mein Zimmer. Noch einmal betrachtete ich es. So ganz hatte ich mich an das neue Design noch nicht gewöhnt, aber es war klasse.

„Dann muss er seine Gründe haben. Vielleicht musst du auch den ersten Schritt machen. Er hat sich nach deinem Unfall schrecklich gefühlt. Wer kann's ihm verdenken. Immerhin hat er sich die ganze Zeit die Schuld dafür gegeben.“



Mir fiel ein, was meine Schwester mir am Telefon erzählt hatte.

Hieß das, Elias war bei meinem Unfall anwesend gewesen, hatte alles gesehen und wurde vielleicht sogar auch verletzt?

Meine Hände waren auf einmal schweißnass.

Was, wenn es ihm viel schlechter ging als mir? Was sollte ich jetzt machen?

Ihn anrufen!

Gesagt getan, ich rollte so schnell ich konnte in den Flur und wählte Elias Nummer. Tuten, aber niemand nahm ab, nur die Mailbox ging ran.

Wo steckte er? Sollte ich es besser später noch einmal versuchen?

Ich lehnte mich zurück. Mum und Abby hatten aber nie erwähnt, dass er verletzt gewesen wäre. Vielleicht ist Elias ja nichts passiert?

Ich versuchte mich daran zu erinnern, was Mum mir über den Unfall erzählt hatte.

Sie hatte mir erzählt, ich sei mit Elias auf den Fahrrädern unterwegs gewesen. Wir waren wohl ziemlich schnell und sind eine steile Straße hinunter gefahren. Elias hatte mich überredet diesen Weg zu nehmen, weil der ungefährliche was für Kleinkinder wäre. Unten gab es eine Abkürzung über Bahnschienen für Passanten. Wir nahmen den Weg und Elias fuhr ohne Probleme die kurvige Strecke durch die beiden Schranken. Er machte das mit einer Leichtigkeit, die mir nicht gelang. Ich musste mein Fahrrad durch schieben und blieb damit zwischen den Schranken stecken, die ziemlich eng zusammenstanden. Ich zerrte, aber es gelang mit nicht, dass Fahrrad daraus zu bugsieren. Als der Zug kam, wurde ich panisch und Elias war schon ein Stück weiter weg. Er konnte mir nicht helfen. Es war ein Wunder, dass ich den Zusammenprall überhaupt überlebt hatte.

Aber so sehr ich es auch versuchte, ich erinnerte mich nicht daran.

Für mich war es nur irgendeine Geschichte, die auch gut hätte in den Nachrichten laufen können. Es war mir fremd. Sagte mir nichts.

Ich stützte meinen Kopf auf der Handfläche ab und platzierte meinen Ellenbogen auf der Lehne meines Rollstuhls.

Für Elias musste es echt schlimm gewesen sein, er hatte alles gesehen. Wollte er mich nicht sehen, weil er sich sonst an den Unfall erinnern würde? Was war dann mit mir? Ich musste damit leben. Meine ganze Kindheit war vergeudet, dank diesem dämlichen Unfall. Da war ich doch viel schlimmer dran, als er!

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Okay, wenn er sich nicht blicken lassen wollte, würde ich ihm ganz sicher nicht hinterherlaufen. Das hatte ich ja grade auch nötig. Da könnte er lange warten.

Ich rollte in mein Zimmer und kletterte in meinen Fußballsack. Ich ließ mich einfach hinein plumpsen.

Auf dem Boden lag meine PSP. Die schnappte ich mir. Bald, im Februar, würde es die neue PS Vita geben. Die wollte ich noch unbedingt haben. Ich musste mir nur noch überlegen, wie ich meine Eltern bearbeiten konnte. Mein Taschengeld reichte nämlich nicht aus. Ich hatte nachgezählt. Leider waren meine Eltern nicht so nachsichtig und hatten mir zu meinem Bedauern, während des Komas kein Geld zurückgelegt.

Ich steckte mein Monster Hunter Game rein und startete das Spiel. Abby hatte es mir geschenkt. Sozusagen als vorübergehendes Trostpflaster, bis ich wieder in der Lage war, zu laufen.

Ich hatte früher mit Autos gespielt und Abbys Puppen enthauptet, aber das hier war auch nicht übel. Das Spiel forderte meine komplette Aufmerksamkeit. Monster abschlachten, das war genau das, was ich im Moment brauchte. Neben Quests konnte man auch noch Materialien herstellen.

Ich war so von dem Spiel fasziniert, dass ich kaum merkte, wie meine Mum von ihrer Freundin heimkam.

„Sam! Ich bin wieder da!“

Sie steckte ihren Kopf durch meine Tür und genau in dem Moment in dem ich abgelenkt wurde, machte mich ein Monster einen Kopf kürzer.

„Du warst ja nicht lange weg.“, stellte ich erstaunt fest.

„Ja. Sie hatte leider nicht so viel zeit zum Quatschen.“ Meine Mum ließ sich auf mein Bett fallen.

„Umso mehr Zeit haben wir nachher in der Stadt.“

Ich murrte nur. Shoppen war Frauensache, wieso musste ich mitkommen, wenn meine Mum das genauso gut alleine schaffte, mir etwas auszusuchen.

„Muss ich denn mit?“, jammerte ich.

„Natürlich! Wir gehen zuerst zum Friseur. Deine Haare haben es bitter nötig. Du brauchst einen neuen Schnitt und die Spitzen müssen auch geschnitten werden. Dein Kopf sieht aus, als hätte man ein Jahr lang keine Hecke mehr im Garten getrimmt.“

„Haha, sehr lustig.“

„Ich würde ja jemanden kommen lassen, aber mir wurde ein guter Friseur in der Stadt empfohlen. Der hat auch neuere Haarschnitte drauf und verpasst dir sicher einen hübschen Kopf.“

„Na, danke auch.“ Ich war auch so mit meinen Haaren zufrieden, wieso musste sie jetzt auch noch jemand trimmen?

„Komm', mach dich fertig.“

Meine Mum stand auf und verließ mein Zimmer. Missmutig schleppte ich mich auf meinen Rollstuhl und fuhr mal wieder Tempo zwei den Flur entlang. Meine Mum wartete bereits an der Haustür auf mich.

„Willst du keine Jacke anziehen? Es ist frisch draußen.“, fragte sie und rannte sofort los, um meine Jacke zu holen.

Meine Güte, musste sie so fürsorglich sein. Ich würde mir schon sicher nichts einfangen. Aber Muttern war das egal, wenn ich eine Jacke anziehen sollte, musste ich sie auch anziehen. Keine Widerrede.

Nach einer halben Ewigkeit, in der wir uns wegen einer dummen Jacke stritten, saßen wir endlich schlechtgelaunt im Wagen. Der sah übrigens immer noch so furchtbar aus. Wieso meine Mum noch nicht von der Polizei angehalten wurde, ist mir ein Rätsel.

Meine Mutter musste dreimal starten, ehe der Wagen sich in Bewegung setzte. Vielleicht war es langsam mal Zeit, dieser alten Spelunke Adios zu sagen. Oder wir waren für den Rest unseres Lebens an dieses Todesgeschoss gebunden.

Wenn ich meinen Führerschein hatte, würde ich mir garantiert ein wesentlich fahrtauglicheres Auto kaufen. Das hier war einfach nur ein Zustand!

Und dann fuhr meine Mum auch noch in diesem Affentempo!

„Öhm, ich glaub, das war gerade eine rote Ampel.“, wagte ich zu bemerken. Na ja, so sicher konnte man bei den grauen Fensterscheiben auch nicht sein.

Anscheinend hatte das auch niemand außer mir bemerkt...

Tja, wenigstens einer, nicht wahr?

Während wir also mit 120 Sachen durch die Stadt bretterten und ich die ganze Zeit inständig flehte, doch am Leben gelassen zu werden, kamen wir zu meiner Freude schon bald an. Ich fiel regelrecht aus dem Auto und küsste den Boden.

„Was machst du da?“, fragte mich meine Mum entgeistert.

„Ich bin nur so froh, noch am Leben zu sein...“, murmelte ich. Dass mich die Passanten völlig entgeistert ansahen, war mir gerade so was von egal.

Ich lehnte mich zurück ans Auto und wartete darauf, dass meine Mutter den Rollstuhl aus dem Kofferraum holte und mir brachte.

Mit etwas Mühe zog ich mich hoch und setzte mich hin. Okay, war doch keine so gute Idee gewesen aus dem Auto zu springen. Sollte ich mir fürs nächste Mal merken.

Meine Mum schob mich durch die Einkaufsmeile. Die Geschäfte wollten kein Ende nehmen. Überall gab es dieselben Läden für Klamotten, Essen, und was weiß ich noch alles.

Aber dann sah ich den Laden und wäre am liebsten so weit weggerannt, wie ich nur konnte.

Mir prangte ein pinkfarbenes Werbeschild entgegen, auf dem in weißen Lichtbuchstaben ''Coco's Hairstylist Salon'' stand. Man konnte auch noch direkt rein sehen, durch die riesigen Glasfenster und den Angestellten bei ihrer Arbeit zusehen! Das hieß, wenn ich an der Reihe war, könnte uns jeder Depp von draußen angaffen.

Ich wollte nur noch weg von hier. Wie war das noch mal mit dem Friseur, der ins Haus kommt?

Meine Mutter ging aber schnurstracks auf diesen Laden zu. Ich hatte ja noch leicht die Hoffnung gehegt, dass sie irgendwo noch abrupt abbiegen würde.

Tat sie aber nicht.

„Mom! Ich mach alles, was du willst, wenn wir uns nur einen anderen Friseur suchen...“, quengelte ich.

„Jetzt stell' dich nicht so an.“

„Willkommen in...och gottchen, das geht aber ja mal gar nicht, Schätzchen!“

Mir klappte der Mund auf, als ich die Person vor mir wahrnahm. Eine schillerndes Persönlichkeit, ob Mann oder Frau konnte ich nicht direkt sagen. Aber die Person vor mir, jagte mir irgendwie Angst ein. Dieses breite Grinsen im Gesicht. Meine armen Haare! Und die Klamotten waren der reinste Horror, viel zu eng und viel zu schrille Farben!

„Ich bin Coco und dieser Salatkopf hier ist im Nu Geschichte. Coco wird das schon machen!“

Hui, es sprach.

„Na, dann...“, murmelte ich und warf meiner Mum einen bitterbösen Blick zu.

„Mon dieu! Was soll Coco da nur machen?! Dann hops mal in den guten Stuhl hier rein.“ Coco wuschelte in meinen Haaren herum. Coco, ich bin kein Hund!

Ich hievte mich in den gemütlichen Friseurstuhl und überließ mich dem unerbittlichen Händen von Coco.

„Patricia, Schätzchen?! Misch doch bitte schon mal ein blond und ein braun an.“, rief Coco und machte eine merkwürdige Handbewegung.

„Ist gut!“, rief ein Mädchen aus der hinteren Ecke des Salons. Ich folgte Coco's Blick und bemerkte ein Mädchen mit schwarzen Haaren und blondiertem Pony. Sah echt cool aus, auch wie sie ihre Augen ganz schwarz ummalt hatte. Das hatte irgendwie was.

Aber an mir selbst wollte ich das nicht haben.

Coco wuschelte immer noch in meinen Haaren herum, schien ihm zu meinem Leidwesen sehr zu gefallen.

„Dann machen wir die Haare erst mal schön in einem braun-blond und der Schnitt wird auch stufig, ich würde sagen, der Pony wird schräg nach links geschnitten. Direkt über das Auge drüber.“ erklärte Coco.

Das ich kein Wort verstand, schien ihn nicht weiter zu stören. Er spielte immer noch in meinen Haaren herum. Suchte er nach Läusen oder was?!

Das Mädchen kam nach einer Weile zu uns, mit zwei kleinen Schüsseln Farbe und ging dann wieder. So komische Folie hatte sie auch dagelassen. So was benutzte meine Mum immer, um Brote oder so einzupacken. Was hatten die denn bitte damit vor?

Ich bekam eine Gänsehaut und wäre meine Mum nicht hier, wäre ich glatt weggelaufen, sofern ich dazu auch in der Lage gewesen wäre. Wenn's mir nicht gefiel, würde ich Coco verklagen, überlegte ich und lehnte mich entspannt nach hinten.

Coco patschte mir zuerst das braune Zeug ins Haar. War das kalt! Ich bekam sofort eine Gänsehaut, ließ ihn aber fröhlich weiterarbeiten. Er summte irgendeinen alten Song vor sich hin, den ich nicht kannte.

Ich hatte mir nie viel aus Musik gemacht. Was wohl zurzeit so angesagt war? Vielleicht sollte ich Elias mal fragen?

Ich verwarf den Gedanken so schnell, wie er mir gekommen war. Ich wollte nicht mehr über Elias nachdenken.

Schlecht gelaunt, sah ich dem Meister bei der Arbeit zu. Sollte ja nicht vor meinen Augen missglücken. Sonst hätte er das Ass in der Hand, sollte es je zu einer Anklage kommen. Ich nickte mir zu.

Coco sah mich nur aus großen Augen an. Schien er wohl nicht zu führen, Selbstgespräche.


◆ ◆ ◆




Ich lief neben meiner Mum durch die Straße und fuhr mir ständig durch die Haare. Hoffentlich lief ich nicht gegen den nächstbesten Mast. Dank des schrägen Ponys konnte ich zurzeit nämlich nicht so gut sehen. Vielleicht sollte ich mir von meiner Mum eine Haarspange borgen, wenn wir wieder zu hause waren.

Die blonde Strähne und das braune Haar sahen aber wirklich cool aus. Gefiel mir sehr gut! Auch wenn ich vorher der Meinung war, der Stil des Mädchens würde mir nicht passen. Da hatte ich mich wohl geirrt.

Nur, dass Coco mich zum Abschied fast zerdrückt hatte, das musste ich erst mal verarbeiten. Schlimmer war aber der Kuss, den er mir noch auf die Wange gedrückt hatte. Davon würde ich noch mal Albträume kriegen.

Wir schlenderten durch die große Einkaufsstraße und sahen uns die Geschäfte an. Das könnte länger dauern, so wie ich meine Mutter kannte. Sie blieb alle paar Meter stehen und musste sich erst mal die Auslagen in den Schaufenstern ansehen.

Jetzt auch noch Klamotten aussuchen, hoffentlich kam sie nicht auf die Idee, mir peinliche Kinderklamotten zu kaufen. Ich hätte mir ja gern selbst was ausgesucht.

„Mum, komm' jetzt!“ rief ich ihr zu und fuhr schon mal voraus.

„Ich komme ja schon!“

„Wie wäre es hiermit?“, fragte ich sie und zeigte auf einen Laden, der nicht ganz so auffällig war. Meine Mutter nickte und schon war ich in dem Geschäft verschwunden.

Es war ein kleiner Laden mit einem breiten Gang und auf beiden Seiten gab es Ständer mit aufgehängten Kleidern. Wir hatten zwar genug Geld, um in einem der teuren Läden einkaufen zu gehen, aber die Verkäufer gingen mir immer viel zu sehr auf die Nerven. Die suchten einem etwas aus und gaben einem nicht mal die Zeit dazu, sich selbst umzusehen.

Hier war es eher das Gegenteil. Der Verkäufer sah nur einmal kurz gelangweilt von seiner Zeitschrift auf und schenkte mir danach keine Aufmerksamkeit mehr. Er biss in sein Brötchen, aus dem die Soße herrlich auf das Magazin tropfte und störte sich nicht weiter an uns.

Ich stöberte bereits in den Klamotten, als meine Mum reinkam und sich zu mir gesellte.

„Bist du sicher, dass du etwas aus diesem Laden haben willst?“, flüsterte sie mir etwas unbehaglich zu.

„Ja, bin ich. Und wenn du mir schon etwas gekauft hättest, hätten wir uns das Alles hier sparen können.“, grummelte ich.

„Hm, so doll ist die Auswahl ja nicht gerade.“, meinte meine Mutter und zupfte etwas an einem Hemd herum.

„Ist doch egal. Hauptsache, es passt.“

„Schon, aber es sollte wenigstens etwas ordentlich aussehen.“

„Jetzt lass uns doch erst mal schauen.“, meinte ich daraufhin.

„Gut. Wenn hier aber nichts dabei ist, gehen wir in einen anderen Laden.“

„...“

War ja klar, dass Mum jetzt wieder meckern musste.

Ich nahm ein Hemd von der Stange. Es war ein Hawaiihemd mit kreischend buntem Muster. Pflanzen, konnte ich erkennen.

„Auf keinen Fall!“, protestierte meine Mutter.

„Wieso? Ist doch schön bunt!“

„Nichts da!“ Sie nahm mir das Hemd aus der Hand und hängte es zurück an seinen Platz.

„Wie wäre es hiermit?“, fragte sie, nahm ein blaues kariertes Hemd und hielt es mir vor die Nase.

„Das ist doch wohl jetzt nicht dein ernst!“ Entsetzt sah ich sie an. Nie im Leben würde ich so etwas uncooles anziehen! Ich schüttelte heftig meinen Kopf und schob das Hemd weg aus meinem Blickfeld.

Ich drehte mich um und rollte in die andere Richtung. War ja klar, Mütter hatten immer einen sonderbaren Geschmack, was Kleidung anging. Ich wühlte mich durch den Stapel an Hemden, Shirts und Pullover. Ein paar einfache Stücke fielen mir ins Auge, mit harmlosen Mustern oder Schriftzügen. Genau das Richtige für mich, sah auch nicht allzu albern aus. Meine Mum besorgte inzwischen ein paar Hosen von einem Wühltisch in meiner Größe und dann ging es ans anprobieren.

Stellte sich aber als etwas schwierig bei den Hosen heraus, weil ich das im Sitzen bewerkstelligen musste. Bei den Oberteilen ging das wesentlich schneller und nach einiger Zeit hatte ich alles was ich benötigte.

Wir fanden sogar noch eine gute Jacke, die die Kälte etwas abhielt. Der Winter hier, war ja nicht allzu kalt, aber ich war noch etwas anfällig für Krankheiten und meine Mum wollte nichts riskieren.

Zwischendurch gingen wir noch in ein Café in dem ich vier Stücke Kuchen verdrückte. Eigentlich hätte noch mehr reingepasst, aber meine Mum stoppte mich.

Mit einer Cola in der Hand, ließ ich mich von meiner Mutter den Weg weiterschieben, vorbei an den Geschäften. Bei einem Spielzeuggeschäft bekam ich ganz glänzende Augen und ehe meine Mum es sich versah, rollte ich blitzschnell zum Schaufenster.

Lego, Playmobil, Spielzeugautos, alles was das Herz eines kleinen Jungen erfreute. Nur meine Mutter nicht.

„Sam, meinst du nicht, du bist etwas zu alt für so etwas?“, meinte sie unbeholfen.

„Bitte!“, quengelte ich und zeigte auf das Spielzeug. „Mum...“

„Nichts da. Du bist jetzt 18 Jahre alt, du kannst Sachen für Jugendliche kriegen.“

„Und was machen Jugendliche?“, fragte ich sie jammernd.

„Gute Frage....“, sie überlegte einen Augenblick. „Na ja, also...sie haben Hobbies, spielen Konsolenspiele, schauen fernsehen...oh, wie wäre es denn mit Lernen? Du hast eine Menge aufzuholen!“

„Ugh...“ Ich sah sie nur bekümmert an. Ich stand kurz davor zu heulen.

„Was ist denn nun schon wieder?“, fragte meine Mum.

„Ich will aber das da haben!“ Ich zeigte auf einen coolen kleinen Flitzer.

„Nein, ich kaufe dir bestimmt nicht so ein Kinderspielzeug!“, erwiderte sie.

„Aber das ist in silber und so eines hab ich noch nicht.“, versuchte ich sie zu überzeugen und setzte meinen besten Welpenblick auf.

„Du hast zu hause im Keller noch eine ganze Kiste mit Spielzeugautos. Die können wir hochholen und dann spielst du halt damit.“

„Aber ich will das hier haben!“, knurrte ich.

„Das sieht doch genauso aus, wie deine Anderen. Jetzt stell dich nicht so an. Komm' wir schauen mal, was es in den nächsten Geschäften so gibt.“

„Nein! Ich will das hier haben!“, schnauzte ich.

„Ich werde dir das Auto nicht kaufen!“

„Ich geh' hier nicht weg, bis ich das Auto habe!“, schrie ich wütend.

„Wie bitte?!“ Meine Mum sah mich erstaunt an. „Du wirst dich jetzt benehmen wie ein Junge deines Alters und machst mir hier keine Szene!“

„Ich bin aber kein Junge meines Alters! Ich bin sechs Jahre alt und ich will das Auto hier haben!“, schrie ich was meine Kehle hergab.

Einige Passanten drehten sich zu uns um und beobachteten uns interessiert. Meiner Mum war das sichtlich peinlich, denn sie gab schnell entnervt auf und bugsierte mich in den Laden.

„Du raubst mir echt den letzten Nerv!“

„Guten Tag.“ Eine freundliche Verkäuferin kam auf uns zu und meine Mutter zeigte ihr das Auto, welches sie mir dann auch glatt kaufte.

„Soll ich es auch verpacken?“, fragte die Verkäuferin meine Mutter.

„Nein! Ich will es so haben!“, rief ich dazwischen und beide sahen mich erstaunt an. Den Blick konnte allerdings die Verkäuferin noch toppen und so war sie die Gewinnerin der Beiden.

Wenige Minuten später verließen wir den Laden. Ich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck und meinem heißgeliebten neuen Spielzeugauto und meine Mutter genervt und peinlich berührt.


◆ ◆ ◆




Abends war meine Mutter in der Küche am werkeln. Unsere Köchin hatte sich den Tag freigenommen, also stand meine Mum in der Küche und kochte uns Vatapá. Eine Speise aus der Region Bahia, die man mit frischen Krabben und einer ziemlich scharfen Soße aß.

Ich futterte in der Zwischenzeit meine Quibe. Kalte Teigrollen mit Füllung. Lecker.

Nebenbei spielte ich mit meinen alten Spielzeugautos. Ich hatte meine Mum angebettelt mir aus dem Keller die Kiste hochzuholen. Meine Mutter hatte sich bei der schweren Kiste beinahe einen Bruch geholt.

„Sam, geh bitte ins Bad und wasch dich. Danach gibt es essen.“, meinte meine Mutter und kam zu mir. Ich murrte.

„Komm' sei brav. Ich habe dir sogar das Auto heute gekauft.“

„Ist ja gut...“ Nur widerwillig krabbelte ich in den Rollstuhl und begab mich ins Bad.

„Badewasser ist auch drin, sollte inzwischen nicht mehr so heiß sein.“ Ja, ich hatte meiner Mum ausführlich von meinem schlimmen Verbrennungen erzählt. Sollte bloß nicht noch mal vorkommen.

Während ich also im Bad meine Klamotten vom Leib zog und sie in die nächste Ecke warf, klingelte es an der Haustür.

„Ich komme!“, rief meine Mutter lautstark durchs Haus. Also, manchmal hatte sie echt ein Organ, da konnte man nur staunen.

Ich hatte keine Ahnung mit wem sie sich da unterhielt. Sie quietschte nur einmal auf und lachte dann fröhlich. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte.

Wenn es Elias war, den wollte ich ganz sicher nicht sehen und auch niemand anderen von meinen Freunden.
Und Abby kam so früh noch gar nicht heim, oder hatte sie das Studium geschmissen?

Plötzlich flog die Tür auf und ich erschrak mich so heftig, dass ich auf die kalten Fliesen knallte.

„Hey! Alles in Ordnung mit dir?“, rief der fremde Mann mir zu und kam zu mir geeilt.

„Mum!!!“, brüllte ich panisch durchs ganze Haus.

„Wer bist du denn?“, fragte der Fremde mich ganz erstaunt.

Ich sah ihn einen Moment komplett sprachlos an. Das sollte ich doch wohl ihn fragen, er war hier der Eindringling und nicht ich.

„Was ist denn los? Was ist das hier für ein Lärm?“, fragte meine Mum und kam ins Badezimmer. Erstaunt blieb sie stehen.

Okay, musste schon merkwürdig aussehen, wie wir hier übereinander hingen. Ich nackt und der Mann halb auf mir drauf.

„Sam, brüll' doch nicht das Haus zusammen. Hast du dir weh getan?“, besorgt kam meine Mum auf mich zu.

„Wer ist das?“, fragte ich, ohne ihr zu antworten und zeigte auf den Mann.

„Jetzt stell dich nicht dumm, das ist dein Vater!“

„Dad?!“ - „Sam?!“

Wir sahen uns beide etwas dümmlich an.

Ja, jetzt machte es langsam bei mir klick. Mal abgesehen von den etwas längeren blonden Haaren und dem Vollbart, hatte ich ihn gar nicht sofort erkannt.

„Dad!“

Übermütig und voller Freude viel ich ihm um den Hals und störte mich nicht weiter daran, dass ich nackt war. Ich drückte ihn so fest ich konnte und mein Vater lachte.

„Meine Güte, du hast dich aber verändert. Ich habe dich ja ab und an im Krankenhaus besucht, aber wenn du nur so da liegst und keinen Ton von dir gibst, ist das doch ein ziemlicher Unterschied. Gut siehst du aus.“, meinte er und wuschelte mir übermütig durch die gefärbten Haare.
„Hab mir schon sorgen gemacht, wegen dem Rollstuhl, aber du scheinst ja ganz fit zu sein.“

„Ich habe dir doch schon alles am Telefon erklärt. Hörst du denn nie zu?“, murrte meine Mutter und sammelte meine Klamotten zusammen.

„Wie bist du hierher gekommen?“, fragte sie.

„Haha, das ist eine längere Geschichte.“, lachte mein Vater und boxte sie leicht in die Seite. „Erzähl ich euch beim Essen.“

„Auch gut. Sam, ab in die Wanne mit dir.“

„Ich mag nicht...“, murrte ich und krallte mich an der braunen Lederjacke meines Dads fest.

„Wir spielen nachher auch mit deinen Autos.“, meinte mein Dad grinsend. Ich sah ihn an und meine Augen funkelten.

„Echt?“

„Oh nein, fang' du jetzt nicht auch noch an...“, meinte meine Mum entsetzt und sah uns zwei Verbündete an.

Tja, zwei gegen eine, da konnte sie nichts machen.

Grinsend sahen wir sie an und meine Mum ging ergeben zurück in die Küche.

Ich bin schon in der Zukunft, wir sehn uns.




Was ich an meinem neuen Körper echt klasse fand, war, dass ich nun an Dinge herankam, die ich vorher nie hätte erreichen können.

Da wären zum Beispiel die Alkoholflaschen meines Dads, die er immer versuchte vor meiner Mutter zu verstecken und die sie doch jedes Mal fand. Allerdings habe ich das Zeug nur einmal probiert, denn es schmeckte total scheußlich!

Ich kam an die Süßigkeiten an, die ich mir dann genüsslich vor dem Essen rein schob und hinterher zu satt fürs Mittagessen war.

Und ich konnte endlich die Fernbedienung vom Regal runter holen, die meine Eltern dort hinzulegen pflegten, damit ich nicht fernsehen konnte. Der Fernseher hatte ja eine Kindersicherung.

So hatte es auch durchaus seine Vorzüge, größer zu sein. Immerhin überragte ich sogar meine Mum um ein paar Zentimeter.


◆ ◆ ◆




Als mein Vater vor ein paar Tagen heimkam, hatte er uns so einiges zu berichten. Es war immerhin eine lange aufregende Reise gewesen. So setzten wir uns nach dem Essen im Wohnzimmer auf die Couch und er begann uns von seinem kleinem Abenteuer zu erzählen.

Ich mochte es schon immer, wenn mein Dad Geschichten erzählte. Er verstellte dabei so wunderbar seine Stimme und ahmte Menschen nach oder schmückte seine Geschichten so dermaßen aus, dass am Ende nur die Hälfte davon wahr war.

Er hatte nun mal so seine Eigenarten und ich denke manchmal, dass meine Mum genau darauf hereingefallen war und sie zu schätzen gelernt hatte, als sie meinen Dad kennenlernte.

Mein Dad schweifte weit aus, um seine Geschichte zu erzählen.

Er war mit seinem Assistenten nach Goiás gefahren, um ein Auto wegzubringen. Schlau wie sie waren, hatten sie natürlich nicht überlegt, wie sie wieder zurückkommen würden.

So hätte es wohl meine Mum ausgedrückt.

Die erste Nacht mussten die Beiden in einer ziemlich heruntergekommenen Baracke verbringen, die zu einer Werkstatt gehörte. Der alte Mann der dort lebte, wollte sie gar nicht mehr gehen lassen. Er lebte allein, Frau und Kinder hatten ihn verlassen, weil er ständig fremdging und so waren sie mehr oder weniger dazu gezwungen sich seine ganze Lebensgeschichte anzuhören. Tragisch. Es war das Pech, dass diesen Mann verfolgte.

Der Greis hatte eine Menge in seinem Leben erlebt. Er kam aus einer gutbetuchten Familie, nur, als seine Eltern das Zeitliche segneten, bekam sein Bruder all das Geld, weil er ein Taugenichts war und es nur verspielt hätte. Seine erste Freundin gab ihm den Laufpass, weil er sie auf Schritt und Tritt kontrolliert hatte und seine berufliche Laufbahn sah auch nicht sehr rosig aus. Er warf sein Studium dahin, weil er lieber die Welt sehen wollte. Er kam nur nicht weit. Er versuchte heimlich, um das Geld zu sparen, schwarz Zug zu fahren und wurde in hohem Bogen rausgeworfen. Da er sein bisschen Geld, aber nicht vergeuden wollte, für Flugzeug, Schiff oder sonstiges, blieb er in Goiás. Dort lernte er seine Frau kennen, bekam mit ihr zwei prächtige Kinder und wurde kurz darauf von diesen verlassen.

Als mein Dad und seine Begleitung endlich weiterziehen konnten, schafften sie es per Anhalter mitgenommen zu werden. Nur leider hatten sie auf halbem Wege eine Autopanne und da sie dort ausharren mussten, hatte Dad meine Mum angerufen und ihr gesagt, es würde noch etwa dauern, bis sie zurück wären. Dummerweise hatte der Hilfsdienst eine Reifenpanne und brauchte selbst Hilfe. So mussten sie die halbe Nacht an der Autobahn ausharren, bis ihnen geholfen wurde.

Der Fahrer konnte sie aber nur bis Luziânia mitnehmen. Es ging über Autobahnen und Sandstrecken, vorbei an Feldern und Wiesen. Zwischendurch machten sie in einer Kleinstadt halt, um sich zu erholen. Nach vier Stunden wurden sie in der Stadt abgesetzt und waren auf sich allein gestellt. Es war eine dicht besiedelte Stadt, in der Haus an Haus stand. Es war schwierig, aber sie fanden tatsächlich jemanden, der sie ein ganzes Stück mitnehmen konnte.

Er hieß Frank und war eine schräge Persönlichkeit. Er hatte früher für die Mafia gearbeitet. Er war in Italien aufgewachsen, denn seine Eltern kamen von dort. Er geriet auf die schiefe Bahn und arbeitete sich von kleinen Deals ziemlich weit nach oben. Als es ihm aber zu brenzlig wurde, flüchtete er nach Brasilien und versteckte sich hier. Er schien vertrauen zu seinen Mitfahrern zu haben, denn er erzählte ihnen ziemlich viel über sich.

Elf Stunden waren sie unterwegs von Luziânia nach Juiz de Fora. Zwischendurch übernachteten sie bei einer bekannten von dem Fahrer. Es war eine anstrengende Fahrt. In der Stadt setzte Frank sie ab und später hätten sie auch noch Adressen ausgetauscht.

Von dort ging es ungefähr zwei Stunden nach Rio de Janeiro. Vor ihrer Ankunft machten sie aber noch einen Abstecher zum Schloss des Barons von Itaipava. Da es auf dem Weg lag, war das nicht weiter tragisch. Allerdings konnten sie das Schloss nur von außen betrachten, da sie keine Führung gebucht hatten. Für die restliche Strecke nahmen sie sich ein Taxi und Dad konnte es kaum erwarten nach Hause zu kommen.

Gebannt hörte ich meinem Vater zu. Es war wirklich aufregend. Ich wünschte, ich wäre mitgekommen.

„Vielleicht sollte ich mal ein Buch darüber schreiben.“, meinte er verschmitzt lächelnd.

„Bloß nicht! Weiter als ein paar Sätze kommst du ja doch nicht.“, murrte meine Mum. Aber auch ihr sah man deutlich an, wie spannend sie seine Erzählungen fand.

„So wenig traust du mir also zu.“ Mein Dad lachte und wuschelte mir durch die Haare. Die ganze Zeit schon hatte er mich in einer Umarmung. Na ja, er hatte ja auch 12 ganze Jahre aufzuholen. Im Gegensatz zu meiner Mum, war er schon immer ziemlich verschmust. Was man eigentlich vom ersten Eindruck her, nie von ihm denken würde. Meine Mutter war da schon von einem anderen Kaliber. Sie hielt nicht viel von Berührungen. Trotzdem nahm sie mich oder Abby in einer ruhigen Stunde gern mal in den Arm.

Abby und ich waren auch ziemliche Gegensätze, denn ich war viel anhänglicher als sie. Sie war schon immer viel und gerne von Menschen umringt. Ich zwar auch, aber meine Familie war mir da doch wichtiger. Ich hing gerne im Autohandel meines Dads herum und sah ihm bei der Arbeit zu oder durfte ihm sogar helfen.

Mein Vater hegte ja immer noch den Traum, ich würde später mal seine Firma übernehmen, aber diese Wünsche hatten wohl viele Eltern.
Mein Traum war es eigentlich immer Profispieler in der brasilianischen Nationalelf zu werden. Momentan sah ich zwar schwarz, aber vielleicht wäre es mir doch noch irgendwie möglich, Fußballspieler zu werden.


◆ ◆ ◆




Es war später Nachmittag, mein Dad war im Badezimmer verschwunden um sich wieder ansehnlich herzurichten. Vor allem der Bart musste ab, meine Mum weigerte sich ihn so zu küssen.

War eh widerlich, das wollte ich gar nicht sehen!

„Sam, holst du kurz die Post rein? Ich habe heute noch gar nicht daran gedacht.“

Meine Mutter stand plötzlich vor mir und sah mich abwartend an. Ich war mitten beim Spielen mit meinen Autos und sah nur unwillig zu ihr rauf.

„Kannst du das nicht machen? Das ist so nervig, mit dem Rollstuhl.“, jammerte ich.

„Nein, es ist eine gute Übung.“

„Ich hab jetzt aber keine Lust.“

„Stell dich nicht so an.“, erwiderte sie und ging daran den Esstisch abzuräumen.

Mühselig, ich lag auf dem Bauch und hatte keinen Bock aufzustehen, zog ich meinen Rollstuhl heran und zog mich daran hoch. Als ich einigermaßen gemütlich darin saß, raste ich wie Michael Schumacher durch die Wohnung und schredderte über den kleinen Park unserer Wohnung. Park war vielleicht nicht das richtige Wort, aber es wirkte schon ein bisschen wie einer.

Beim Postkasten angekommen nahm ich die Post an mich.

Auf der anderen Straßenseite bemerkte ich ein Mädchen, das ich bisher noch nicht gesehen hatte.

„Du bist doch dieser Junge, der im Koma lag, oder?“, fragte sie mich plötzlich.

Ich sah sie überrascht an. Woher wusste sie das? Ach ja, unsere Köchin war ein ziemliche Klatschbase. Ich vergaß.

„Ja.“, meinte ich skeptisch. Mit Mädchen mochte ich nicht reden. Die waren so langweilig. Wusste ich aus eigener Erfahrung, Abby war nämlich auch so öde.

Das Mädchen hatte blonde Haare und stechend blaue Augen. Die waren irgendwie unheimlich, als könnte sie mit ihrem Blick direkt in mich hinein sehen.

„Ich wohne da drüben.“ Sie zeigte auf ein Haus die Straße runter. Was wollte sie mir damit bitte sagen?

„Schön für dich.“, meinte ich nur, drehte um und fuhr zurück zum Haus. Als ich an der Tür ankam, sah ich mich noch einmal um. Sie stand immer noch an der gleichen Stelle und hob kurz die Hand.

Dieses Mädchen war mir einfach unheimlich. So schnell ich konnte, sah ich zu, dass ich ins Haus kam und die Tür hinter mir verschloss.

Aufgeregt fuhr ich zu meiner Mum, um ihr von der Begegnung zu erzählen. Doch zu meinem Bedauern, fand sie es ganz und gar nicht schaurig.

„Das ist Hanna Ronan. Sie kommt aus Irland und macht freiwilligen Dienst bei einer Hilfsorganisation.“, erklärte sie mir.

„Woher weißt du das?“, fragte ich sie mit großen Augen.

„Als sie hierhergekommen ist, haben wir uns ein wenig unterhalten. Sie ist sehr nett und ein hübsches Mädchen.“

„Mädchen sind doof.“

„Das sagst du nur, weil du noch keines kennengelernt hast.“

„Ich kenne Abby und das reicht mir. Echt!“

„Abby zählt nicht. Sie ist deine Schwester.“, meinte meine Mutter und räumte einen Teller in die Spülmaschine.

Ich schürzte die Lippen und schmollte.

Meine Mutter räumte das letzte Geschirr ein und sah mich dann an.

„Das wirst du jetzt noch denken, aber in einigen Jahren, wirst du so ein Mädchen mal heiraten.“

„Werde ich nicht.“

„So? Wie kannst du dir da denn so sicher sein?“, fragte sie mich und sah mich breit grinsend an.

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und sah meine Mutter herausfordernd an.

„Ich weiß es einfach!“

„Na, wenn du meinst.“

Meine Mum lachte leise vor sich hin und setzte sich auf die Wohnzimmercouch. Ich folgte ihr und bemerkte in dem Augenblick, dass mein Dad vom Duschen zurückkam. Er lief in seinem Bademantel zu meiner Mum und setzte sich neben sie.

„Wir müssen langsam mal überlegen, wie es weitergehen soll.“, meinte meine Mutter und sah mich über die Schulter hinweg an.

„Was?“, fragte ich unwissend.

„Körperlich geht es dir gut. Du solltest möglichst bald anfangen, etwas für deine Zukunft zu tun. Da du keine Privatschule besuchen kannst, sollten wir vielleicht einen Privatlehrer für dich suchen.“

„Muss das sein?“, fragte ich maulend.

„Ja, du musst etwas Lernen. Du kannst ja keine Schule besuchen, weil du den ganzen Stoff nachholen musst.“, meinte mein Vater und blätterte in der Fernsehzeitung herum.

„Kommt der Lehrer dann ins Haus?“, hakte ich nach.

„Ja, das wäre vorerst das Beste. Bis du nach der Reha wieder richtig laufen kannst.“ Meine Mutter überlegte kurz. „Was ist mit Calvin? Der hat doch zurzeit nicht allzu viel um die Ohren.“

„Calvin?“

Ich musste kurz überlegen, doch leider hatte ich diese nervtötende Person nicht mit meinen Erinnerungen an den Unfall verloren.

Mein Cousin. Er war irgendwie schräg und benahm sich schon damals ganz schön mädchenhaft und er war ziemlich zickig. Bei den kleinsten Dingen war er schnell eingeschnappt und lief sofort zu seiner oder meiner Mum, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte. Wenn er hinfiel, fing er sofort an zu heulen, als würde die Welt untergehen. Und er war ein Besserwisser.

Nein, diese Person wollte ich garantiert nicht tagtäglich um mich herum haben.

„Prima Idee. Ruf ihn doch gleich mal an.“, meinte mein Dad zu meiner Bestürzung auch noch.

Dad, wie kannst du deinen eigenen Sohn nur so hintergehen!

Meine Mum machte Anstalten sich zu erheben, aber ich versperrte ihr den Weg. Stur sah ich sie an.

„Ich will einen anderen Privatlehrer!“

„Wieso? Calvin ist dein Cousin. Ihr kennt euch von klein auf und er wird schon nicht so teuer sein.“, meinte sie nur.

„Ich mag ihn nicht!“

„Du magst heute ziemlich vieles nicht.“

„Aber er ist doof und eine Heulsuse!“

„Das war vor 12 Jahren, er ist älter geworden und hat sich inzwischen verändert.“

„Bestimmt nicht!“, brummte ich und zog so gut ich konnte meine Augenbrauen zusammen, damit ich auch richtig schön böse aussah. Es wirkte nur nicht auf meine Mutter.

„Versperr mir nicht den Weg. Ich werde jetzt bei den Howards anrufen und wenn Calvin da ist, werde ich mit ihm darüber sprechen.“

„Nix da!“ Ich breitete meine Arme aus und blieb trotzig an Ort und Stelle.

Meinen Vater amüsierte unser kleiner Streit prächtig. Er hatte sich im Polster zurück gelehnt und beobachtete uns laut lachend.

„Samuel de Lima! Du gehst mir jetzt aus dem Weg!“, meinte meine Mum ernst.

Als ich mich jedoch nicht regte, schob sie mich einfach samt meinem Rollstuhl zur Seite. Okay, daran hatte ich jetzt nicht gedacht. Eins zu null für sie.

Ehe ich mich versah, stand sie auch schon im Flur und wählte die Nummer der Howards.

Beleidigt krabbelte ich aufs Sofa zu meinen Vater, der mich gleich in eine Umarmung zog.

„Wird schon nicht so schlimm werden. Vielleicht versteht ihr euch ja auch ganz gut.“, meinte er aufmunternd.

„Pöh!“

Angesäuert sah ich in die Richtung meiner Mutter. Doch die beachtete mich nicht weiter.

„Hallo, Amelia. Wie geht’s dir?“, rief sie freudig in den Hörer.

Na, das konnte ja dauern. Meine Mutter konnte telefonieren was das Zeug hält. Ich drehte mich zu meinem Vater um.

„Ich geh in mein Zimmer.“

„Ja, mach das.“, meinte er nur und schaltete den Fernseher an.

Da ich keinen Bock hatte den Rollstuhl zu nehmen, robbte ich den ganzen Weg vom Wohnzimmer, über den Flur, vorbei an meiner Mum, die ich noch schnell mit einem bösen Blick bedachte, in mein Zimmer.

Da ich dort aber auch nicht so richtig etwas zu tun hatte, gammelte ich einfach nur herum. Meine Autos lagen ja alle im Wohnzimmer verstreut und ich hatte keine Lust noch einmal umzukehren. Ich kroch zum Türrahmen und spielte Mäuschen.

Hoffentlich hatte dieser doofe Calvin genauso wenig Lust auf Privatunterricht wie ich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit in der meine Mum mit Tante Amelia über ihren Job, ihr Familienleben und ausführlich über ihre Vorzeigetochter Abby geschwärmt hatte, redete sie endlich über ihr eigentliches Anliegen.

„Kann ich darüber mit Calvin reden?“

Sie wartete einige Sekunden, bis sie ihn begrüßen konnte. Natürlich hatte schon die ganze Verwandtschaft von meinem Comeback gehört und so wusste auch Calvin über mich Bescheid.

„Wirklich? Das wäre großartig, wenn du das machen könntest! Das wäre eine große Erleichterung für uns.“, meinte meine Mum freudig und meine Hoffnung sank auf den Nullpunkt.

„Ja, nein, das ist kein Problem. Du kannst gerne hier wohnen, solange du ihn unterrichtest.“

„Was?!“, rief ich empört.

Meine Mum sah zu mir und legte einen Finger an die Lippen.

Der sollte auch noch bei uns wohnen? Wie sollte ich das nur überleben?

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und streckte alle Viere von mir. Wir hatten zwar genügend Zimmer in unserer Wohnung, aber den Typen auch noch täglich über den Weg laufen zu müssen. Das war doch unzumutbar!

Meine Mum legte auf und kam zu mir. Sie hockte sich vor meinen Kopf und sah mich von oben herab an.

„Calvin kommt in einigen Wochen hierher. Er muss noch ein paar Sachen erledigen. Er wird dich dann unterrichten und bei uns wohnen, damit er nicht ständig hin- und herfahren muss. Das spart Geld und es wird dann auch für uns nicht so teuer. Ein Privatlehrer ist nun mal nicht so billig.“

„Aber ihr könntet es euch leisten.“

„Ja, sicher. Hör zu, Calvin ist ein guter Lehrer. Er hat schon öfter Nachhilfe gegeben. Und ich will keine Unsummen für einen Privatlehrer ausgeben. Wird schon nicht so schlimm werden.“

Ich sah sie nur skeptisch an.

Der Blick meiner Mum wanderte durch mein Zimmer. „Du könntest ja mal aufräumen.“

Da ich mich aber keinen Zentimeter vom Fleck rührte, stand sie seufzend auf und begann meine Spielsachen in die Kisten zu legen und meine Klamotten zusammen zu kramen.

„Das Badezimmer sieht auch immer ziemlich wüst aus, du könntest ruhig etwas ordentlicher sein.“, ermahnte sie mich noch, während sie an mir vorbei lief und die Klamotten in den Wäschekorb im Bad legte. Ich beobachtete sie nur und schmollte weiter vor mich hin.

Während meine Mum also begann die Wäsche in die Waschmaschine zu stecken, war ich auf dem Boden schon fast eingeschlafen, als es plötzlich an der Haustür klingelte.

„Wer ist das denn noch so spät?“, fragte meine Mutter verwundert.

„Phil, öffnest du bitte die Tür?“

Ich hatte mich tierisch erschrocken und mein Herz puckerte wie wild. Konnte man hier noch nicht einmal in ruhe schlafen?

Hoffentlich war es nicht dieses unheimliche Mädchen. Mit der wollte ich nichts zu tun haben.

Da mein Vater nicht so aussah, als würde er sich heute noch von seinem Sofa bewegen, ging meine Mum zur Haustür. Sie meckerte leise vor sich hin, was für ein Nichtsnutz er doch sei und öffnete schwungvoll die Tür.

„Na, so was aber auch!“

Ich horchte auf. Wer konnte das jetzt noch sein?

„Was machst du denn so spät noch hier?“, fragte meine Mum.

Zu dumm, dass ich von hier nicht wirklich mitbekam, mit wem sie sprach. Wieso redete die andere Person auch nur so leise.

Ah! Vielleicht war es Jason? Obwohl...nein, das konnte nicht sein. Wenn der heimkam, dann aber mit so viel Lärm und Getöse was das Zeug hielt, damit auch ja jeder mitbekam, dass er da war.

Jason war mein Stiefbruder. Er war inzwischen 29 und als Model in Asien ziemlich erfolgreich. Eigentlich hieß er Jin Gook, aber er mochte den Namen Jason viel lieber und hörte nur darauf. Meine Eltern hatten ihn adoptiert, weil meine Mum damals keine Kinder bekommen konnte. Aber einige Jahre später bekam sie dann plötzlich Abby und kurze Zeit später kam ich auch noch ich zur Welt. Wobei ich anmerken sollte, dass ich nicht geplant war. Ich war das Ergebnis eines zerplatzten Kondoms und einer durchzechten Nacht im Auto.

Mein Bruder war auch eine Nummer für sich. Er kam uns nur selten besuchen, weil er so wenig Zeit hatte. Aber er hatte meiner Mum schon am Telefon versprochen, dass er die nächste Zeit mal vorbeischauen würde.

Was im Klartext heißen würde, dass sie sein Zimmer verdunkeln musste. So ein Freak.

Trotzdem mochte ich ihn sehr.

Wer könnte es also dann sein?

Auf einmal hörte ich Schritte, die langsam näher kamen. Ich rieb mir müde die Augen und sah den Flur herunter. Leider versperrten mir ein paar meiner Haare etwas die Sicht.

Eine Person kam um die Ecke und als ich die nervigen Haare zurückgeschoben hatte, stand die fremde Person direkt vor mir Flur. Ich sah etwas nach oben.

„Sam?“, fragte eine dunkle tiefe Stimme.

Schwarze Schuhe, schwarze Jeans, schwarzer Pulli, schwarze Haare.

Vor mir stand ein Alien.

Weltall, ich hör dich zwitschern!




Und das Alien sprach.

„Sam. Ich bin's. Elias.“

Ich blinzelte und sah das Alien genauer an. So schwarz. Waren Aliens nicht grün?

Ehe ich es mich versah, stürzte es auf mich und wollte mich fressen.

Na ja, nicht wirklich. Ich wurde nur umarmt. Nur irgendwie an den falschen Stellen. Wo fasste der mir denn hin? Perplex sah ich, wie das Alien mich am ganzen Körper abtastete.

„Was wird das, wenn's fertig ist?“, fragte ich unbehaglich.

„Dir geht es wirklich gut.“ Elias sah mich mit großen Augen an.

Natürlich ging es mir gut. Hätte er auch gewusst, wenn er mich mal besucht hätte.

„Würdest du deine Hand da wegnehmen?“, murrte ich und zog seine Hand von meinem Schritt weg. Da hatte sie nun wirklich nichts zu suchen.

„Wieso liegst du hier auf dem Boden?“

„Kein Bock aufzustehen und mein Rollstuhl steht auf der anderen Seite des Universums.“

Elias lächelte. Ein breites grinsen.

Aber dieser Elias sah irgendwie nicht so aus, wie mein Freund Elias. Vielleicht war ja wirklich ein Alien in ihm und übernahm nun seinen Körper? Er würde mich aushorchen und dann die Welt übernehmen. Davon war ich fest überzeugt!

Und er konnte seine Hände nicht bei sich behalten. Jetzt hingen sie schon in meinen Haaren. Noch einer der nach Läusen suchte?

„Hey, ich bleib heute Abend hier.“

Was? Wieso?

„Ich hab dich echt vermisst.“, nuschelte er und versenkte sein Gesicht in meinen Haaren. Oha, er ging auf Tauchstation. Läuse sammelt euch zum Angriff!

Müde wie ich war, gähnte ich nur und versuchte aufzustehen. Na ja, ich schaffte es gerade mal mich aufzusetzen.

„Wenn du mich vermisst hättest. Dann wärst du ins Krankenhaus gekommen und hättest mich besucht.“, murrte ich eingeschnappt.

„War ich doch. Na ja, jedenfalls ab und an mal.“, gestand Elias mir.

„Wann? Am Anfang? Und dann wahrscheinlich gar nicht mehr!“, keifte ich ihn an.

„Was ist los? Ich bin doch heute gekommen, wie du siehst.“ Enttäuscht sah er mir in die Augen.

„Hm, und seit wann schminkst du dich? Du siehst aus wie ein Mädchen.“

“Das ist Emostyle.“

„Emo was?“ Unwissend sah ich ihn an.

„Egal, vergiss es. Jedenfalls bleib ich heute Abend hier. Ich hab deine Stimme echt vermisst.“, er schlang seine Arme um mich und ich wäre am liebsten weggerannt. Seit wann war Elias so kuschelig veranlagt?

Er war so ganz anders, als ich ihn kannte.

„Wer bist du und was hast du mit Elias gemacht?“, fragte ich ihn skeptisch. Und das war mein voller ernst.

Elias kicherte.

„Du bist so süß.“

Hatte ich gerade richtig gehört?! Ein Junge, Elias, mein Freund, fand mich süß?!!

War ihm eine Leitung durchgeknallt oder was war mit dem Jungen los?

Vielleicht hatte er ja doch was beim Unfall abbekommen?

Das war doch nicht normal, oder?

Hilflos saß ich da, halb in meinem Zimmer, halb auf dem Flur. Um meinen Hals hing mein angeblicher Kindheitsfreund und flüsterte mir unheimliche Sachen ins Ohr.

Was sollte ich davon jetzt halten?

„Du hast mich doch besucht, oder?“, fragte ich doch noch mal nach. Nur um sicher zu gehen!

„Sim. Aber Mum meinte, ich würde mich verrückt machen, wenn ich dich immer und immer wieder besuchen würde, wenn du eh nicht wach wirst. Irgendwie hat keiner außer mir anfangs noch gedacht, du würdest wieder aufwachen. Sie haben dich alle aufgegeben. Nur ich nicht.“

Elias umarmte mich und zerdrückte mich dabei fast. Dabei sah er trotz seiner Größe ziemlich schmächtig und nicht sehr stark aus. So sehr konnte man sich irren.

Etwas widerwillig lehnte ich mich an ihn, etwas Anderes konnte ich in seinem Würgegriff zurzeit eh nicht machen.

„Und wie kommst du darauf, dass du heute hier bleibst?“

„Hey, ich habe 12 Jahre nicht mehr mit dir geredet. Wir haben eine menge Zeit nachzuholen.“

„Hm, mir kommt es so vor, als hätten wir erst gestern miteinander geredet. Außerdem bin ich müde. Ich will nicht reden.“

„Komm schon, Sam.“ Elias Griff um mich herum wurde fester und jetzt nahm er mich auch noch mit seinen Beinen in einen Klammergriff.

„Nur, wenn du mir beweisen kannst, das du wirklich Elias bist.“, grummelte ich. Diesem Alien konnte man doch kein Wort glauben.

„Na ja, deine Mum hat mich erkannt und reingelassen. Ist das Beweis genug?“, fragte Elias.

„Nein! Du hättest sie manipulieren können! Ein anderer Beweis.“

Elias überlegte kurz. Dann löste er seinen Griff und zog sein Hosenbein etwas hoch, zeigte mir die lange Narbe auf seinem Unterschenkel.

„Erinnerst du dich noch an den Unfall? Wir waren vom Fußballspielen heimgefahren. Da war doch dieser schmale Weg, wo ich mit dem Fahrrad abgerutscht bin und in ein Gebüsch gefallen fiel. Da waren doch so viele Glasscherben und ich hab mir die Narbe zugezogen.“

Ich fuhr mit der Hand über die Narbe. Ich konnte mich noch gut daran erinnern.

Als Elias den Unfall hatte, stand ich panisch am Rand, war am heulen und wusste nicht was ich tun sollte. Irgendwann kamen ein paar Jugendliche vorbei und haben Elias da herausgehoben und zu einem Arzt gebracht.

„Also gut, du bist Elias.“, murmelte ich.

„Hey Jungs, müsst ihr unbedingt auf dem Flur sitzen?“, meinte plötzlich meine Mum, mit Elias' Tasche auf den Armen.

„Du bleibst also wirklich über Nacht?“, hackte ich nach.

Elias nickte breit grinsend.

Skeptisch zog ich eine Augenbraue in die Höhe.

Na toll, das würde ziemlich eng werden, mein Bett war ja nicht das Breiteste.

„Gefällt's dir?“, fragte mich Elias.

Überrascht sah ich zu ihm, nachdem ich meine Mum beobachtet hatte, wie sie seine Sachen auf meinen Stuhl befördert hatte.

„Was?“

„Dein Zimmer.“

Ach ja, das war ja noch was. Elias hatte dabei ja geholfen. Ich nickte heftig mit dem Kopf. Elias lächelte noch breiter. Er erinnerte mich damit an einen Breitmaulfrosch. Aber irgendwie mochte ich es, wenn er lachte. Er war früher immer so ernst. Lag vielleicht an seiner Familiensituation.

„Dann macht euch mal bettfertig.“, meinte meine Mutter und stemmte ihre Hände in die Hüften.

Ergeben zog ich mein Hemd aus und warf es einmal quer durchs Zimmer. Als ich bemerkte, dass Elias sich nicht umzog, sah ich ihn fragend an.

„Was ist?“

„Äh, nichts.“ Verlegen sah er zur Seite. Wieso war er denn rot im Gesicht?

„Bist du krank?“, fragte ich ihn besorgt.

„Was? Nein,nein. Mir geht’s gut.“, nuschelte er hastig in seinen nicht vorhandenen Bart. Okay, wollen wir mal nicht so sein. Hilfsbereit griff ich unter seinen Hemdsaum und zog ihm mit einem Ruck den Pullover über den Kopf.

Okay, war wohl nicht so gut, denn jetzt war Elias knallrot im Gesicht.

War ich zu schnell? So rot im Gesicht, das war doch nicht normal, oder? Zaghaft legte ich meine Hand auf Elias Wange. Ach nee, auf der Stirn musste man ja Fieber messen, glaubte ich.

Das Einzige was Elias tat, war scharf die Luft einzuatmen. So schlimm?

Elias nahm plötzlich meine Hand von seinem Gesicht und hielt sie in der Luft fest.

„Mir geht’s gut. Ich ziehe mich allein um.“, meinte er lächelnd. Ich nickte nur.

Elias war echt komisch.

Dass es daran lag, dass ich halbnackt direkt vor ihm saß, kam mir gar nicht in den Sinn.

Elias zog nun auch sein Shirt aus, interessiert beobachtete ich ihn dabei.

„Was ist?“, fragte er mich zögerlich.

„Du siehst echt anders aus.“, stellte ich bewundernd fest.

Elias sah mich verwirrt an.

„Ist doch ganz normal, dass sich der Körper im Laufe der Zeit verändert.“

„Meinst du?“ Heimlich verglich ich meinen mit Elias Oberkörper. Okay, wir waren beide recht schlank. Elias sah etwas mager aus, aber er war nie so ein großer Esser gewesen. Also machte ich mir darüber keinen Kopf. Sein Gesicht war es, dass so fremd war. Diese schwarzen Haare, die Schminke im Gesicht und überall diese Ohrringe. An den Ohren, am Mund...

Auch sein Gesicht hatte etwas markantere Züge angenommen, die ganze Kopfform hatte sich leicht verändert. Und er war so blass. Das war mir schon vorher am Rande aufgefallen. Ging er denn nicht nach draußen? Okay, jetzt war es Winter, verständlich, dass man da nicht großartig braun wurde, aber selbst als Kind war er nicht so blass.

Etwas verlegen sah Elias mir ins Gesicht. Hatte ich ihn zu offensichtlich angestarrt?

Ich drehte mich um und krabbelte zum Bett, dass er dabei einen ziemlich guten Blick auf meinen Hintern erhaschen konnte, fiel mir nicht weiter auf.

Ich entledigte mich meiner Hose und schlüpfte in meinen Pyjama. Meinen alten mochte ich viel lieber, da waren so bunte Rennwagen drauf. Der neue war einheitlich schwarz. So langweilig.

Elias hatte gar keinen Pyjama, wie ich feststellte. Immer noch rot im Gesicht, zog er sich eine Shorts und ein einfaches Shirt über. Es stand ihm aber gar nicht, fand ich. Es wirkte viel zu groß für ihn.

Während ich schon im Bett saß, stand er ein wenig unbeholfen davor.

„Kommst du jetzt?“

Elias grinste. „Immer doch.“

Was war denn jetzt los?

Er ließ sich neben mir ins Bett sinken und zog die Decke bis ans Kinn hoch.

Meine Mum kam noch einmal kurz ins Zimmer, um zu sehen, ob wir auch wirklich im Bett waren.

„Kannst du dich noch an Calvin erinnern?“, fragte ich Elias, nachdem das Licht ausgeschaltet war und Ruhe im Hause de Lima einkehrte.

„War das nicht diese Heulboje?“

Ich nickte, was Elias in der Dunkelheit natürlich nicht sehen konnte.

„Ja. Der kommt hierher und soll mich unterrichten.“, grummelte ich.

„Echt? Ist ja blöd.“, murmelte Elias.

„Genau, aber Mum will mir keinen Privatlehrer einstellen. Kannst du mich nicht unterrichten?“, bettelte ich ihn an.

„Ich hab gar keine Zeit dafür, außerdem fahre ich demnächst weg.“

„Was? Wohin?“, entsetzt setzte ich mich auf.

„Ich mache momentan meinen Führerschein. Ich will meinen Vater suchen. Aber das darfst du niemandem verraten.“, flüsterte Elias eindringlich auf mich ein. „Niemandem, verstanden?!“

„Ja.“, flüsterte ich traurig. Er würde also wegfahren. Für wie lange wohl?

„Kommst du mit?“

„Eh?“

„Ich nehme dich mit, wenn du möchtest.“, schlug Elias vor. „Der Gedanke kam mir, als ich gehört hatte, dass du aus dem Koma erwacht bist. Aber ich wusste ja nicht, in welchem Zustand du bist.“

„Ich komm mit!“, schrie ich begeistert auf.

„Leise!“ Elias versiegelte mit seiner Hand meinen Mund.

Erschrocken besann ich mich darauf, dass meine Eltern ja nicht weit weg von meinem Zimmer waren.

„Sorry.“, murmelte ich durch seine Hand. Er nahm sie weg und zog mich plötzlich in eine Umarmung.

„Du hast mir echt gefehlt!“

Was sollte ich darauf antworten? Mir kam es so vor, als hätten wir uns erst vor einigen Tagen das letzte Mal gesehen. Allerdings als Kinder und nicht im Körper eines Teenagers.

Und was ich zu meinem Ärger auch noch zugeben musste, war, dass mir seine Umarmung gefiel. Mehr als ich zugeben wollte. Zwei Jungs, die sich umarmten. Das ging ja mal gar nicht!

Aber hier im Dunkeln bekam keiner etwas davon mit. Also war es in Ordnung.

Elias strich mir sanft über den Rücken. Ich gab es ja nicht so gerne zu, aber ich mochte es zu kuscheln.

Aber irgendetwas drückte da an meinen Schritt, das nervte. Was war das?

Ich griff mit der Hand dorthin und aus welchem Grund auch immer, fing Elias plötzlich an zu keuchen.

„Was ist das?“

„Kannst du das bitte wieder loslassen?“, meinte Elias mit gepresster Stimme.

Hm, es fühlte sich irgendwie komisch an, lag aber gut in der Hand. Was hatte Elias denn da versteckt?

Der bekam sich gar nicht mehr ein. Er atmete schwer und wandte sich unter mir. Mit seiner Hand versuchte er mich von der Stelle wegzuschieben.

Hah! Denkste.

Ich war etwas stärker als Elias und das nutzte ich jetzt auch aus. Ich wollte sehen, was er da vor mir verstecken wollte. So wirklich wehren tat er sich ja eh nicht.

Ich schob sein Shirt etwas nach oben und zog ungeniert seine Hose runter. Okay, was sich mir da fröhlich und aufgeweckt entgegenstreckte, war nicht das, womit ich gerechnet hatte. Sein Lichtschwert war also genauso groß wie meines. Okay, meines war größer. Allemal! Das kann ich ja wohl mal sagen. Darauf bin ich auch echt stolz!

Einer Tomate gleich lag Elias unter mir und sah mir verklemmt in die Augen.

Hoffentlich fing er jetzt nicht an zu heulen, weil seiner nicht so groß war wie meiner. Konnte er zwar nicht wissen, aber wer wusste schon, ob er mich nicht heimlich im Krankenhaus inspiziert hatte?!

Das würde ich ihm glatt zutrauen. Ich hätte es ja auch gemacht!!!

Und jetzt? Was sollte ich jetzt machen? Elias kleiner Freund winkte mir immer noch zu und er selbst lag unter mir, wie ein verschrecktes Eichhörnchen.

„Geht das wieder in Ordnung? Hab ich's jetzt kaputt gemacht?“, fragte ich beschämt. Traurig saß ich zwischen Elias angewinkelten Beinen und sah auf sein bestes Stück.

„Wie geht’s denn wieder runter?“, fragte ich ihn neugierig.

Elias konnte wohl kaum röter werden. Etwas ungelenk setzte er sich auf.

Stille.

Kam jetzt noch etwas von ihm? Sah ja irgendwie nicht so aus.

Er zog seine Hose wieder hoch und verschwand aus meinem Zimmer, tappste blitzschnell ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.

Was war das denn jetzt?

Fassunglos sah ich auf die offene Zimmertür. „Elias?“

Nach einigen Minuten des Wartens kam er zurück in mein Zimmer.

„Ist es jetzt wieder normal?“, fragte ich und grabschte noch einmal prüfend in seinen Schritt.

Elias jaulte auf.

„Ist ja schon wieder so. Du solltest damit mal zum Arzt gehen.“, meinte ich skeptisch.

„Weißt du was, fass es nur einfach nicht mehr an, okay?“

Elias ließ sich neben mich aufs Bett fallen, drehte mir den Rücken zu und zog sich die Decke über den Kopf.

„Hab ich was falsch gemacht?“, fragte ich ihn besorgt.

„Nein, hast du nicht.“, murmelte Elias so leise, dass ich ihn kaum verstand. Ich ließ mich quer über ihn drauf fallen, so dass er erschreckt aufsah. Mein Kopf sank auf seinen Oberarm.

„Jetzt ist es doch kaputt, oder?“

Plötzlich lachte Elias schallend auf. Ich erschrak leicht. Was hatte er denn jetzt?

„Lass uns schlafen.“, Elias kicherte und ließ mich mit meinen Sorgen allein.


◆ ◆ ◆




Mitten in der Nacht wachte ich auf. Entsetzt musste ich feststellen, dass das Bettlaken ganz feucht war.

Was sollte ich denn jetzt machen? Ich geriet in Panik und mir kamen die Tränen in die Augen.

„Elias...“, flüsterte ich mit tränen erstickter Stimme.

„Hm.“

„Elias...Elias...wach auf...“ Jetzt flossen die Tränen auch noch über meine Wangen.

„Uhm...was ist denn?“, fragte er im Halbschlaf.

„Ich hab...“ Ich brach ab und fing an zu heulen.

Elias setzte sich auf und drehte sich zu mir herum. Allerdings konnte er nichts sehen.

„Was ist los, wieso weinst du?“

Da ich nicht antwortete, stand er auf und machte an meinem Schreibtisch die Nachttischlampe an. Es war nicht sehr hell, aber das Desaster sah er trotzdem.

„Jetzt kriege ich Ärger...“

„Nein, bekommst du nicht. Das kommt schon mal vor.“, meinte Elias leise und ging vor mir in die Hocke.

„Aber Mama meinte, große Jungs machen so was nicht mehr.“, meinte ich schniefend.

„Na ja, damit hat sie schon recht, aber du warst ja bis vor kurzem noch an einem Schlauch, da musst du dich erst mal wieder dran gewöhnen, dass du auf die Toilette gehst, wenn du es nicht halten kannst.“

„Und jetzt?“ Verheult sah ich Elias an. Er wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.

„Erst mal musst du dir was Anderes anziehen und dann brauchen wir ein neues Laken.“, meinte Elias und zog mich an den Händen vom Bett runter.

Da meine Tränen immer noch nicht versiegt waren und ich keinerlei Anstalten machte, mich auszuziehen, musste Elias das für mich machen.

Er kramte im Schrank nach einer Hose und Unterwäsche. Etwas unschlüssig stand er dann vor mir und zog mir Hose samt Unterhose runter. Er versuchte zwar nicht hinzusehen, aber einen kurzen Blick riskierte er dann doch und lief gleich rot an.

Er wurde ziemlich oft rot, kam mir in den Sinn.

Er half mir in meine frische Kleidung und machte sich dann daran, das Bettlaken abzuziehen. Da auf der Matratze auch ein Fleck war, beschloss er einfach erst mal ein Handtuch darunterzulegen. Neues Bettlaken drauf und dann besah Elias sich stolz sein Werk.

„Okay, wie neu.“, meinte er schließlich zufrieden. Er drehte sich zu mir um und hielt mir die Hand entgegen. Ich ging brav zu ihm und ließ mich ins Bett ziehen. Er nahm mich gleich in eine Umarmung und zog die Bettdecke fest um uns.

Ich spürte Elias Kopf an meinem und seinen beruhigenden und leicht kitzelnden Atem an meinem Hals. Er gab mir einen leichten Kuss auf den Nacken und ich bekam sofort eine Gänsehaut.

„Lass das.“, meinte ich belustigt.

Er umarmte mich etwas fester.

„Weißt du noch das Fußballcamp? Da mussten wir auch zusammen in einem Zelt schlafen. Das war fast wie jetzt.“, erzählte ich ihm.

„Hmh.“, nuschelte Elias.

Schien ihn ja nicht so zu interessieren.

Hätte ich mich aber in dem Moment umgedreht, hätte ich wohl Elias lächeln gesehen.


◆ ◆ ◆




Am nächsten Morgen kam meine Mutter ins Zimmer, um uns zu wecken. Etwas befremdlich wirkte es schon auf sie zwei, fast erwachsene, Jungs in einer Umarmung im Bett vorzufinden. Das war etwas ganz anderes, als damals, wo wir noch klein und süß waren.

Sie holte tief Luft und ging vor mir in die Hocke, strich mir vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht.

„Samuel, aufwachen.“, begrüßte sie mich. Sie griff hinter mich und rüttelte Elias leicht am Arm.

„Aufwachen, ihr Schlafmützen.“

Müde öffnete ich ein Auge und sah gerade noch, wie meine Mutter sich erhob und zum Fenster ging, um gnadenlos die Vorhänge zurückzuziehen und das Morgenlicht hereinzulassen. Dann ging sie raus, um das Frühstück vorzubereiten.

„Ugh!“, ich stöhnte auf und drehte mein Gesicht herum. In dem Moment hob Elias den Kopf an, war gerade dabei aufzuwachen. Genau in der einen Sekunde trafen sich unsere Lippen.

Überrascht und in meinem Falle entsetzt sahen wir uns ein paar Sekunden in die Augen, ehe wir beide, oder eher ich, meinen Kopf ruckartig nach hinten zog.

Elias lief rot an und ich sah zu, dass ich schnellstmöglich im Bad verschwand.

Elias strich sich mit den Fingern über die Lippen und lächelte leicht.

Ich stand im Badezimmer und sah mein Spiegelbild vorwurfsvoll an.

„Mein erster Kuss und dann auch noch mit einem Jungen. Bäh!“, maulte ich den Jungen im Spiegel an.

„So was ist doch eklig! Bei Mum und Dad sieht das auch immer so komisch aus!!“

Mein Spiegelbild musste ziemlich viel einstecken, denn die ganze Zeit beim Zähneputzen, duschen und umziehen, musste es sich meine Beschwerden anhören.

Als ich wieder herauskam, tat ich so, als wäre nichts gewesen.

Hätte ich mir auch sparen können, denn Elias hatte sich einfach umgedreht und schlief weiter.

Hatte er davon überhaupt richtig etwas mitbekommen?

Mürrisch ließ ich mich aufs Bett fallen, direkt auf ihn drauf und lehnte mich absichtlich nach hinten.

„Ugh, du bist schwer.“, jammerte Elias.

Ich grinste diabolisch.

Mit ein wenig Kraftaufwand entriss ich Elias die Bettdecke und begann ihn zu kitzeln. Elias lachte auf und strampelte mit den Beinen.

„Hör auf!“, japste er immer wieder und bekam sich vor lachen kaum noch ein.

Zufrieden betrachtete ich den sich windenden Jungen unter mir.

Wenn ich schon früh aufstehen musste, dann wäre das nur gerecht!

Gleiches Recht für alle.

Als meine Mum noch einmal nach uns rief, hörte ich auf, ihn zu kitzeln. Elias griff nach meinen Armen und atmete schwer, seine Wangen waren rot angelaufen und er sah mich mit glänzenden Augen an. Ich ließ mich zurückfallen und wollte schon mühsam zur Küche laufen, was mir immer noch schwerfiel, als Elias vor mir in die Knie ging.

„Steig auf!“

Ich grinste breit. Huckepack hatte er mich schon lange nicht mehr getragen. Ich ließ mich auf ihn fallen, was er mit einem Ächzen quittierte und dann erhob er sich mit einem Ruck. Ich quiekte auf und lachend umarmte ich ihn von hinten. Dass ich ihn damit fast erwürgte, entging mir großzügig.

Elias schleppte mich so durch den Flur in die Küche, in der meine Eltern schon warteten. Während mein Dad laut auflachte, als er uns so sah, sah meine Mutter uns nur ermahnend an.

Mein Freund ließ mich runter gleiten und ich pflanzte mich neben ihm auf einen Stuhl.

Das Frühstück verlief eher ruhig, auf Seiten meiner Eltern. Meine Mum verdrückte ihr Frühstück und ging ihren Terminplaner durch, welchen Leuten sie noch absagen musste. Mein Dad studierte den Sportteil der Zeitung und auch das Einzige, was er darin überhaupt las.
Elias und ich hatten da schon etwas mehr Spaß. Wir bewarfen uns mit Brotkrümeln und verknoteten unsere Füße unterm Tisch. Wieso Elias dabei etwas rot wurde verstand ich zwar nicht wirklich, aber es machte mir nichts weiter aus.

Nach dem Essen fuhr mein Dad zu seiner Firma und ließ uns drei allein zurück. Nur widerwillig machte Elias sich auch langsam fertig. Er hatte einen anstrengenden Tag vor sich. Schule und Führerscheinstunde. Ich wäre zu gerne mitgegangen, aber das ging ja schlecht.

„Wenn du wieder herumlaufen kannst, unternehmen wir ganz viel.“, versprach mir Elias, während er sich auf dem Flur die Schuhe zuband. Er zog sich seine Jacke über und warf sich den Rucksack über den Rücken.

Wir standen etwas ratlos auf dem Flur. Keiner wagte es etwas zu sagen.

Einen Moment lang trafen sich unsere Augen und genau in dem Moment wusste ich, dass ich Elias nicht mehr sauer war, dass er mich kaum besucht hatte. Er war immer noch hier bei mir. Er machte sich Gedanken um mich und das machte mich froh.

Er hatte mich nicht vergessen.

Ich öffnete die Tür und begleitete Elias noch nach draußen.

An der Haustür verabschiedete ich mich von Elias, der mich unbedingt noch einmal umarmen musste, was ich hilflos erwiderte. Ich platzierte meinen Kopf auf seiner Schulter.

Noch während der Umarmung sah ich zufällig zur Auffahrt.

„Wirst du abgeholt?“, fragte ich Elias auf einmal.

„Was? Nein, wieso?“, murmelte er, ließ mich los und drehte sich herum, folgte meinem Blick.

„Da ist doch niemand.“

Verwirrt sah er mich an.

„Komisch.“

Ich war mir sicher, ich hätte jemanden an der Auffahrt stehen sehen.

Alles was du besitzt, besitzt irgendwann dich.




Der Tag war gekommen. Der Tag vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte...

Ich musste mich körperlich anstrengen!

Frühmorgens war meine Mum mit mir losgefahren. Ich befand mich noch im Tiefschlaf, als wir ankamen.

Ich hatte ja durchaus keine Probleme, Sport zu betreiben, aber ich hielt partout nichts von Verrenkungen meines Körpers. Wozu auch. Ich war der Meinung, ich käme auch so schon ganz gut zurecht. Okay, das Laufen klappte noch nicht so gut, aber wenn ich mich irgendwo abstützte, war es schon ganz passabel.

Anscheinend waren meine Mum und meine Ärzte anderer Ansicht. Meine Mum hatte sogar vorgeschlagen einen Personal Trainer nach der Reha anzustellen. Aber darauf hatte ich keine Lust. Ich konnte also nur hoffen, dass ich mich noch irgendwie herausreden konnte, oder ich musste mich wirklich bei der Reha anstrengen.

Ich wollte ja auch nicht mein Leben lang im Rollstuhl sitzen, also war es ja schon ganz klar, dass ich mich anstrengen musste. Der Wille war also schon mal da. Mehr oder weniger.

Wir fuhren auf den Parkplatz und gingen den Weg zum Eingang des Krankenhauses entlang. Ich war ja schon irgendwie enttäuscht. Das alles hier hatte so gar nichts mit den Krankenhäusern im Fernsehen zu tun. Keine Krankenwagen, die mit quietschenden Reifen vor dem Eingang hielten. Keine hektischen Schwestern an der Anmeldung, die genervt Anrufe annahmen und keine Ärzte die einen schon so gut wie toten Menschen plötzlich ins Leben zurückholten und als Helden da standen.

Hier waren wir also in einem nahezu leeren Anmeldungsbereich. Überall Wege und Flure, Türen und schon blickte ich überhaupt nicht mehr durch. Hier sah ja alles gleich aus!

Ein junger Mann kam auf uns zu. Zu meinem erstaunen trug er keinen weißen Kittel.

„Hallo, du musst Sam sein. Freut mich. Wir werden die nächste Zeit an deinem Muskelaufbau arbeiten. Damit du schnell wieder herum rennen kannst. Du kannst mich Frank nennen.“

Ich griff nach seiner Hand und hätte sie am liebsten bei mir behalten. Der Typ hatte vielleicht einen Händedruck. Hasste er seinen Job etwa so sehr, dass er mir gleich am liebsten sämtliche Knochen brechen würde?!

Von nun an würde ich ihn für mich nur noch den Knochenbrecher nennen...

Wir liefen durch diese verwirrenden Flure mit hallendem Echo, was mir echt unheimlich war. Irgendwann kamen wir an eine Tür und was ich dahinter entdeckte, erinnerte mich eher an ein Fitnessstudio. Überall standen Trainingsgeräte.

Ein paar ältere Leute stöhnten schon über schmerzen, wobei sie noch nicht einmal mit ihrer Übung begonnen hatten.

Der Knochenbrecher brachte mich in meinem Rollstuhl erst mal zu einer Bank. Die nächste Zeit würde ich wohl Dehnübungen, Laufen lernen am Reck und ein paar andere Dinge machen müssen. Aber mein neuer Sklaventreiber meinte, ich würde wohl in etwa drei Wochen soweit sein. Dann könnte ich schon wieder einigermaßen laufen können.

So ganz traute ich ihm nicht über den Weg, aber er schien es wirklich positiv zu sehen.


◆ ◆ ◆




Sterben. An dieses Mysterium hatte ich noch nie in meinen sechs Jahren, die ich geistig anwesend war, auch nur im Traum gedacht.

Aber jetzt tat ich es!

Ich hing wirklich an meinem Leben, aber ich befürchtete, dass Elias mich noch umbringen würde, wenn das so weiterging.

Ich saß auf dem Rücksitz eines Autos. Natürlich nicht irgendeines Autos.
Sondern dem Auto!

Das, welches zurzeit entscheiden durfte, ob ich am Leben blieb oder nicht. Neben mir ein Mädchen mit Sommersprossen und blonden Haaren. Sie trug lustige Zöpfe, die ich bei unserer ersten Begegnung kurzerhand in die Lüfte heben musste. Sie sah aber auch echt aus wie Pippi Langstrumpf!

Wieso hieß diese Figur eigentlich nach Urin? War doch echt traurig für das Mädchen. Obwohl in diesem Moment hätte ich liebend gern mit ihr den Namen getauscht, wenn ich nur am Leben bleiben könnte!

Ein grüner Toyota und am Steuer saß mein bester Freund. Elias sah ziemlich konzentriert aus, aber das täuschte und das merkte ich auch. Deswegen fürchtete ich so um mein Leben!

Er ließ sich aber auch von allem möglichen Ablenken, als sich auf den Verkehr zu konzentrieren.

Erst sah er interessiert zu, wie vor ihm an der Ausfahrt eine Plastiktüte vorbei wehte. In seinen Augen hatte sie wohl vorfahrt. Das sein Fahrlehrer, ein untersetzter Mann mit Bowlingkugelglatze, ihm ständig zu rief, er könne ruhig mal fahren, entging ihm wohl.

Das nächste Mal regte er sich tierisch über einen Jungen auf, der es wohl nicht einsah, ein paar Meter weiter die Ampel zu benutzen, und einfach mal eben über die Straße lief. Wäre er allein gewesen, hätte er wahrscheinlich zu meinem Entsetzen auch noch Gas gegeben und dem Jungen das Laufen beigebracht.

An einer roten Ampel die auf grün geschaltet hatte, fuhr er nicht weiter, weil vor ihm auf der Fahrbahn eine Taube herumlief. Hinter Elias stauten sich schon schimpfende Autofahrer, die wie wild hupten.

Zum Schluss schaffte er es doch tatsächlich eine Leitplanke mitzunehmen. Na ja, eher die Kratzer davon. Das quietschen hallte immer noch in meinen Ohren nach, als wir an der Fahrschule ankamen und ich war echt froh, wieder aus dem grünen Frosch aussteigen zu dürfen.

Elias half mir fröhlich in den Rollstuhl und sah aus, als wäre nichts geschehen. Und ich zitterte immer noch am ganzen Leib. Wenigstens musste ich nicht noch mit Pippi fahren. Wer weiß, wie die drauf war?!

„Vielleicht überlege ich mir noch die Sache mit dem Trip.“, meinte ich besorgt.

„Nichts da! Du hast längst zugesagt, rückgängig machen kannst du es nicht mehr!“

Elias schaltete auf stur.

„Na, dann kann ich nur noch hoffen, dass sich dein Fahrstil noch verbessern wird!“, murrte ich genervt.

Elias umarmte mich von hinten, so gut es eben ging, über meine Rollstuhllehne hinweg.

„Ich bin echt froh, dass du mitkommst.“

„Ist nur eine Frage, ob ich auch lebend wieder zurückkomme.“ Ich lachte frech auf.

„Erst mal hinkommen.“, meinte Elias höhnisch.

„Glaubst du, wir finden ihn?“, fragend sah ich zu ihm nach oben.

Elias legte seinen Kopf auf meinen ab. „Keine Ahnung. Aber wenn ich ihn finde, kann er sich erst mal was anhören!“

Elias überlegte einen Augenblick.

„Hey, hast du Lust mit zu mir zu kommen?“, fragte er plötzlich.

Ich nickte heftig mit meinem Kopf. Ich war schon gespannt, ob sich sein Zimmer in der Zwischenzeit auch verändert hatte.

Da er nicht weit entfernt von der Fahrschule wohnte, brauchten wir nicht allzu lange zu seinem Haus zu gehen.

„Meine Mum ist arbeiten, also haben wir das Haus ganz für uns alleine.“, erklärte Elias und wurde leicht rot.

„Und?“, fragte ich ihn.

„Ah...nichts. Hab ich einfach nur so dahin gesagt.“, meinte Elias hastig.

Hatte er irgendetwas von mir erwartet? Ich grübelte, aber mir wollte irgendwie nichts einfallen. Wollte er auf irgendetwas hinaus?

Elias schloss die Haustür auf. Unschlüssig blieben wir im Flur stehen, denn nun hieß es die Treppe nach oben in sein Zimmer zu kommen. Mit dem Rollstuhl wurde das aber nichts.

„Dann trage ich dich eben.“, meinte Elias und kratzte sich am Kopf. Er ging vor mir in die Hocke und ich ließ mich auf ihn fallen. Ich hielt mich an ihm fest und umklammerte ihn mit meinen Beinen. Dass ich dabei versehentlich etwas zu nah, an seine Körpermitte kam, bemerkte ich, als er kurz zusammen schreckte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte und ihm ins Ohr atmete. Denn schon nach einigen Sekunden glich er einer Tomate.

„Ich mag Tomaten.“, nuschelte ich vor mich hin.

Elias drehte seinen Kopf zu mir und sah mich verständnislos an. Als er aber bemerkte, wie nah wir uns waren, drehte er sich schnell wieder um.

Mit mir im Gepäck ächzte er die Treppe nach oben. Wie gut, dass ich ihn nicht tragen musste. Obwohl, so schwer sah er ja nicht aus. Vielleicht sollte ich es mal probieren, wenn ich wieder laufen konnte?!

Oben angekommen, wollte er mich auf dem Bett absetzen, verfing sich aber mit dem Fuß in der Bettdecke und landete genau auf mir drauf.

„Uff...“

Für einen Moment blieb mir glatt die Luft weg.

„Oh, du riechst gut.“, stellte ich im nächsten Moment fest und schnupperte an ihm. Elias wurde knallrot und stand schnell auf. Er schaute peinlich berührt zu Boden.

„Das ist doch nur Shampoo...“, meinte er und hielt seine Hand vor sein Ohr, in das ich geredet hatte.

„Ich mag Äpfel.“, meinte ich grinsend. Tomaten und Äpfel. Interessante Mischung.

Ich mochte es inzwischen schon richtig, Elias aus der Fassung zu bringen. Es war faszinierend zu sehen, wie er so schnell wie ein Chamäleon die Farbe wechseln konnte.

„Willst du dich nicht setzen?“, fragte ich Elias unschuldig. „Bringt ja nichts, wenn du hier im Zimmer wie eine Statue herumstehst.“ Aufmunternd klopfte ich mit der Hand neben mir aufs Bett.

Elias sah mich unschlüssig an, kam dann aber auf mich zu und setzte sich neben mich.

Seit wir uns das erste Mal gesehen hatten, nach dem Koma, benahm er sich mir gegenüber äußerst merkwürdig.

„Liegt's an mir?“, fragte ich ihn.

„Was?“ Elias sah mich mit großen Augen an.

„Na ja, Du bist immer so komisch, wenn wir zusammen sind...“

„...“

Elias sah zur Seite und schwieg beschämt.

„Da ist doch was.“ Neugierig beugte ich mich zu ihm.

„Da ist nichts.“, jammerte Elias und versuchte mich von sich wegzuschieben.

„Dann eben nicht. Ich kriege dich noch dazu, es mir zu sagen!“

Ich ließ mich aufs Bett nach hinten fallen. Aus den Augenwinkeln betrachtete ich endlich mal sein Zimmer.

So hübsch eingerichtet wie mein Zimmer war es nicht. Es wirkte eher farblos und trist. Ein einfaches Bett mit schwarzer Bettwäsche. Ein großer Wandschrank mit großem Spiegel auf der Schiebetür. Ein einfacher Schreibtisch mit Drehstuhl. Darauf stand ein Laptop und ansonsten lag auch nicht viel herum. Elias war wohl ordentlicher als ich. In meinem Zimmer herrschte inzwischen das reine Chaos!

Am liebsten würde ich mich bei Elias revanchieren. Er hatte so viel energie und zeit in mein Zimmer gesteckt.

Gerührt setzte ich mich auf und umarmte Elias aus einem Impuls heraus.

„Was...?“

„Du bist so lieb!“

Elias war wahrscheinlich krebsrot im Gesicht. Ich konnte es ja nicht sehen. Ich spürte seine Arme an meinem Rücken. Er hielt sich an meinem neuen blauen Hemd fest. Nur langsam wanderten sie um meinen Körper und zogen mich in eine festere Umarmung.

Ich versteckte mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Mit meinen Gedanken war ich allerdings ganz woanders. Dieser Junge vom letzten Mal, machte mir Sorgen. Vielleicht irrte ich mich auch und er war ein ganz normaler Passant gewesen, der zufällig zwei Jungs gesehen hatte, die sich umarmten.

Jedenfalls hoffte ich es war so.

„Ich passe auf ihn auf.“, murmelte ich.

„Auf wen passt du auf?“, fragte mich Elias verwirrt.

„Sag ich dir, wenn du mir verrätst, wieso du dich so komisch benimmt.“

Stur verharrte ich in meiner Position.

„Okay, aber noch kann ich es dir nicht sagen. Irgendwann mal. Wenn ich soweit bin.“

„Ist das so schlimm?“, fragte ich verständnislos. „Du bist doch nicht sterbenskrank, oder?!“

Elias schüttelte den Kopf. Er kicherte.

„Nein, das bin ich nicht.“

„Dann ist ja gut. Das wäre furchtbar!“, meinte ich daraufhin.

„Was wird das hier?“, fragte Elias mich. Wenn ich das wüsste. Ich drückte mein Gewicht immer mehr auf Elias und drückte ihn regelrecht aufs Bett.

„Ich brauche ein Kissen. Und du warst gerade in der Nähe.“ Lachend kam ich auf ihm zum liegen.

„Aber so wie wir gerade liegen...“ Elias sah mich mit hochrotem Kopf an.

Ich drehte meinen Kopf herum und besah mir unsere Position. Ich lag auf seinem Bauch, er hatte die Beine angewinkelt, so dass ich dazwischen lag. Und was war seiner Meinung nach jetzt so schlimm daran?

Skeptisch sah ich ihn an.

„Ja, und?“

Elias sah verklemmt zur Seite. Ich krabbelte etwas höher und war fast gleichauf mit seinem Gesicht. Er sah mich mit so einem komischen Blick an. Den hatte ich schon öfter an ihm bemerkt, aber früher hatte er mich nie so angesehen.

„Vielleicht bist du ja doch krank. Hast du Fieber?“ Ich fühlte mit meiner Hand seine Stirn ab, aber so richtig heiß, war sie zu meinem Erstaunen nicht. Komisch.

„Bist du ein Alien?“, fragte ich ihn rundheraus.

Elias sah mich verständnislos an, fing dann aber schallend an zu lachen.

„Ja, vielleicht bin ich ein Alien.“, murmelte er und strich mir mit der Hand über die Wange.

Ich legte meinen Kopf auf seiner Brust ab.

„Können wir das noch mal machen?“, fragte Elias mich plötzlich. „Ach vergiss es!“, meinte er hastig.

„Was noch mal machen?“, fragte ich ihn und war gerade dabei so schön wegzudösen.

„...den Kuss...“

Schlagartig war ich wach. Ich sah auf und direkt in Elias dunkelblaue Augen. Als mir der Kuss vom letzten Mal in den Sinn kam, verzog ich jedoch angewidert das Gesicht. Scheinbar hatte er es doch mitbekommen, dass sich unsere Lippen berührt hatten.

„Wieso sollten wir das noch mal machen? Ist doch eklig!“, murrte ich.

Elias biss sich auf die Lippen und unterbrach unseren Blickkontakt.

„Wieso willst du das noch mal machen?“, hakte ich nach.

„Weil ich es mochte.“

„Nee, lass mal. Außerdem machen Jungs doch so was nicht. Und ich finde es schon immer furchtbar, wenn meine Eltern sich vor mir küssen.“

„Nur heute. Dann lass ich dich auch damit in Ruhe.“, meinte Elias leise.

Ich überlegte einen Moment. Am liebsten wäre es mir ja, wenn wir es ganz lassen würden. Elias würde mich aber in Ruhe lassen, wenn wir es einmal täten. Jetzt war die Frage, was ich machen sollte.

Ja oder nein?

„Und du versprichst mir, mich dann damit in Ruhe zu lassen?“, fragte ich ihn sicherheitshalber noch einmal.

Elias nickte heftig mit dem Kopf.

Ergeben seufzte ich und setzte mich auf. Elias stützte sich mit den Händen ab und richtete sich nun ebenfalls auf. Er rückte etwas näher an mich heran. Etwas unwohl war mir ja jetzt doch etwas. Vielleicht war es doch keine so gute Idee?

„Schließ' deine Augen.“, forderte Elias mich auf und ich befolgte brav seine Anweisung.

Nach ein paar Sekunden spürte ich, wie er mein Gesicht mit den Händen festhielt. Ich schluckte aufgeregt und wartete nervös, auf das was noch folgen würde. Als er seine Lippen auf meine legte, kniff ich die Augen noch fester aufeinander. Das war so komisch. Im ersten Moment, wollte ich noch meinen Kopf wegziehen, aber Elias hinderte mich mit seinen Händen daran. Als nichts weiter passierte, entspannte ich mich etwas. Seine Lippen waren so weich. Ein wenig feucht waren sie und sie zitterten kaum spürbar. Elias entfernte sich wieder von mir. Ich öffnete meine Augen und sah ihn an.

„Das war's?“, fragte ich ihn perplex.

Elias grinste und strich mir mit einer Hand über die Wange. Irgendwie hatte ich es mir jetzt viel ekliger vorgestellt. Ich leckte mir über die Lippen.

Elias beugte sich nach vorn und schnappte leicht nach meinen Lippen. Erschrocken hielt ich ihn weg. Wurde er jetzt zum Piranha und wollte mich fressen? Indirekt hatte er ja schon zugegeben ein Alien zu sein! Und zurzeit glaubte ich alles.

„Du hast gesagt, nur einmal.“, meinte ich panisch und drückte ihn von mir weg.

„Ich hab gesagt nur heute.“, erwiderte Elias kichernd.

Ich brummte etwas in meinen nicht vorhandenen Bart und ließ Elias dann doch gewähren. Hoffentlich hatte er schnell genug davon. Ich schloss wieder meine Augen, aber Elias kniff mir nur frech in die Nase.

„Bah!“

„Was hab ich davon, wenn es dir nicht gefällt?!“, fragte er mich lachend. Ich murrte daraufhin nur und rieb mir meine Nase.

„Hast du Lust auf Sport?“, fragte er mich.

„Hallo?! Ich kann nicht mal laufen!“, erwiderte ich unwirsch.

„Wer spricht denn hier von Bewegung?“ Elias rutschte von mir weg und krabbelte vom Bett runter. Er lief in eine Ecke seines Zimmers und hob eine Packung hoch.

„Fußball auf der Konsole!“


◆ ◆ ◆




Auf dem Nachhauseweg war es bereits dunkel. Etwas unheimlich war es ja schon. Ich war alleine unterwegs. Elias wohnte ja nicht allzu weit von mir entfernt.

Die Straßenlaternen gingen langsam alle an und auch die Häuser um mich herum erstrahlten langsam im Licht.

Ich war in Gedanken versunken und dachte an den Nachmittag zurück. Der Kuss mit Elias war gar nicht so schlimm gewesen. Wenn ich ehrlich war, hatte es mir nicht sehr viel ausgemacht. Ich wollte es trotzdem möglichst nicht so oft machen. Auch wenn Elias noch gemeint hatte, man würde sich daran gewöhnen.

„Hey!“

Überrascht hielt ich an und drehte mich um. Vor mir stand jemand im Schatten. Ich konnte leider nur die Konturen erkennen. Der Junge trug einen Kapuzenpullover und hatte sein Gesicht verdeckt. Dunkle Kleidung konnte ich ausmachen.

„Was ist?!“, fragte ich skeptisch. Ich bekam etwas Angst.

War das ein Verbrecher? So wie im Fernsehen? Oder war es schlimmer noch, dieser Junge vom letzten Mal?

„Halt dich von ihm fern!“

„Von wem.?“, fragte ich den Fremden.

„Du weißt genau, wen ich meine. Halte dich von ihm fern, sonst kannst du was erleben!“, ertönte die dunkle Stimme des Jungen.

„Wieso sollte ich auf dich hören?! Ich kenne dich nicht mal!“, stur sah ich ihn an.

„Das könnte dir noch mal leidtun, also hör' auf meine Worte und tu' was ich dir sage Kleiner!“, fauchte er mich an.

Ich drehte mich um und fuhr einfach weiter mit meinem Rollstuhl. Plötzlich hörte ich schnelle Schritte und ich spürte, wie mein Rollstuhl zur Seite kippte. Dieses miese Schwein, ging anscheinend sogar auf wehrlose Leute los!

„Scheiße! Was ist dein Problem?!!!“, brüllte ich ihn wütend an.

Ich fiel auf die Straße und konnte mich gerade noch so mit den Armen abstützen. Doch im nächsten Moment wurde ich auf den Boden gedrückt. Der Junge hatte ziemliche Kraft. Er ließ ein Messer nah vor meinen Augen aufblitzen und jetzt bekam ich wirklich angst.

„Jetzt pass' mal gut auf...“

Eine falsche Bewegung und der Hase ist hin!




„Ich glaube, ich hab was gehört?!“, hörte ich plötzlich eine Frauenstimme. Der Fremde hob den Kopf und suchte schnell das Weite. Ich hörte Schritte, die sich mir schnell näherten.

„Hey, alles in Ordnung?“

Ein Mädchen sah mich besorgt an. Im ersten Moment erkannte ich sie nicht, aber dann merkte ich, dass es unsere Nachbarin war. Hanna Ronan.

Sie kniete sich neben mir nieder und versuchte mir beim Hinsetzen zu helfen. Dann zog sie den Rollstuhl heran, nachdem sie ihn wieder aufgestellt hatte. Sie half mir mich drauf zu setzen.

„Wer war das?“, fragte sie mich.

„Keine Ahnung. Irgend so ein Spinner!“, murrte ich sauer und noch immer am ganzen Körper zitternd.

„Alles in Ordnung mit dir? Bist du verletzt? Geht es dir gut?“, fragte sie mich besorgt.

„Geht schon...“, murmelte ich.

Ich wollte nur noch schnell nach Hause und mich unter meiner Bettdecke verstecken. Ich habe ja schon so einiges erlebt, aber das mich jemand bedroht hatte, war neu. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Ich holte tief Luft und langsam ließ auch endlich das Zittern nach.

„Soll ich dich nach Hause begleiten?“, fragte mich Hanna freundlich.

Ich schüttelte den Kopf. „Ist ja nicht mehr weit. Danke.“

Zu früh gefreut, denn sie griff kurzerhand nach dem Rollstuhl und schob mich das letzte Stück. Wahrscheinlich hatte sie längst bemerkt, wie konfus ich noch war.

„Du brauchst mich nicht zu schieben.“, murrte ich. Ich war doch kein kleines Kind mehr!

Ich stutzte.

Das war das erste Mal, dass ich nicht von mir als Kind gedacht hatte. War das jetzt gut oder schlecht? Ich hatte keine Ahnung. Meine Mum würde sich darüber freuen, aber ich war mir nicht so sicher, ob ich überhaupt schon so weit war, mich als Jugendlichen zu betrachten.

„Da wären wir.“, meinte Hanna.

Ich bedankte mich bei ihr und fuhr das letzte Stück alleine zum Haus.


◆ ◆ ◆




Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich furchtbar. Ich hatte kaum schlafen können. Immer wieder hatte ich diesen unheimlichen Typen vor Augen. Was hatte der Idiot in meinem Traum zu suchen?! Ich wusste, dass man seine Träume beeinflussen konnte, aber ich hatte wohl keinen sehr starken Willen dazu.

Ich lag also total verpennt in meinem Bett. Die Decke halb von mir gestrampelt, ein Bein hing aus dem Bett.

Plötzlich ohne Vorwarnung wurde meine Tür geöffnet. Ich blickte auf und bemerkte Elias. Ich hatte ihn überhaupt nicht gehört. Freudig lächelte ich. Genau das Richtige am frühen Morgen. Ein nettes Lächeln. Elias ließ mich diesen Mistkerl augenblicklich vergessen.

Allerdings erstarb mein Lächeln, als ich den Fremden hinter ihm sah. Wer war das und was hatte der in meinem Zimmer zu suchen?! Ich lag noch im Bett!!!

Misstrauisch beäugt ich die Beiden, wie sie mein Zimmer betraten. Na ja, Elias war ja okay, aber dieser Fremde...was wollte der hier?!

„Guten Morgen.“ Elias kam gleich auf mich zu und beugte sich zu mir runter, um mich zu umarmen. Ich ließ es nur zu gerne zu und hätte mich sicher mehr über diese Geste gefreut, wenn dieser böse dreinschauende Kerl nicht dabei wäre.

„Wer ist das?“, flüsterte ich Elias ins Ohr und sofort ließ er mich los. Er grinste breit.

„Das ist mein Freund Lake Singleton.“

Ich betrachtete den Jungen. Er trug genau wie Elias schwarze Kleidung und hatte seine Haare schwarz gefärbt. Er war unheimlich blass im Gesicht. Und er sah mich immer noch so böse an. Hatte ich etwas angestellt oder konnte der Kerl einfach nur nicht lächeln?

Er war also Elias Freund. Ich dachte immer, ich wäre sein Freund. Für einen Moment war ich ziemlich enttäuscht.

Lake betrachtete mich von oben bis unten. Er sah sich im Zimmer um und blieb an meinem Rollstuhl hängen. Er sagte kein Wort.

Ich hatte die Nase voll! Ich wollte mich anziehen und in Ruhe frühstücken. Und nicht so geweckt werden! Ich warf die Decke zurück und stand auf. Da es mir nun doch unangenehm war, mich vor zwei Jungen umzuziehen, wobei ich den einen bereits geküsst hatte und den Anderen noch nicht einmal kannte, packte ich meine Kleidung zusammen. Ich stieg in meinen Rollstuhl.

„Ich geh ins Bad. Bis gleich.“ Wobei ich dabei nur Elias ansah. Er nickte lächelnd.

Lake machte nicht einmal Anstalten mir aus dem Weg zu gehen. „Darf ich bitte durch?!“, grummelte ich ihn an. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und trat einen Schritt zur Seite. Wie großzügig!

Also musste ich um ihn herum fahren und verzog mich schnell im Badezimmer. Ich schloss die Tür und blieb erst mal unschlüssig im Rollstuhl sitzen. Ich seufzte. Was war das nur für ein erbärmlicher Start in den Tag?!

Langsam rollte ich zu der Badewanne, gab großzügig das Duschgel rein und drehte den Hahn auf. Normalerweise machte meine Mum mir die Arbeit, aber heute hatte sie wohl nicht daran gedacht. Sie hatte mich aber auch nicht geweckt, was hieß, dass sie wohl wieder bei ihrer Freundin war. Ich streifte das Hemd über meinen Kopf und streifte mir gleichzeitig Hose und Boxershorts von den Beinen. Gerade als ich dabei war, in die Wanne zu krabbeln, öffnete sich die Tür und ich erlitt einen halben Herzinfarkt. Zumindest fühlte es sich so an!

Elias stand mitten im Raum und war knallrot. Klar, war ja auch das erste Mal, dass er mich nackt sah. Es sei denn, er hatte im Krankenhaus doch mal einen Blick unter die Decke gewagt. Ich stand noch immer über den Wannenrand gebeugt, ein Bein im heißen Wasser und präsentierte Elias meine Männlichkeit. Na ja, wenigstens hatten wir uns jetzt beide ab gecheckt. Ich hatte ja auch die Gelegenheit ihn das letzte Mal unter die Lupe zu nehmen.

Ich ließ mich ungeniert ins Wasser gleiten, was allerdings immer noch nicht sehr viel war und so konnte man nicht wirklich etwas verstecken. Elias schloss die Tür schnell und kam dann zu mir. Er setzte sich in meinen Rollstuhl und sah mich an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, machte ihn aber gleich wieder zu.

„Sag' schon!“, forderte ich ihn auf. Ich lehnte mich über den Wannenrand und legte meinen Kopf auf meine überkreuzten Arme.

Elias verschränkte seine Finger ineinander.

„Na ja, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll.“, er fuhr sich mit der rechten Hand über den Nacken. „Also...zwischen Lake und mir. Da läuft nichts.“

Ich sah ihn an. „Was sollte da laufen? Ihr seid doch Jungs.“

Elias sah mich hochrot an.

„Also, wir sind nicht zusammen oder so.“, versuchte er sich zu erklären, aber bei mir standen nur Fragezeichen im Gesicht.

„Jungs sind ja auch nicht zusammen.“, meinte ich nickend. Ich war der Meinung ihn verstanden zu haben. Auf meine Weise eben.

„Nein. Du verstehst nicht! Wir sind Freunde, aber wir schlafen nicht zusammen.“ Elias schlug die Hände über seinem Kopf zusammen, als ich ihn immer noch verständnislos ansah. „Wie soll ich dir das nur erklären?“ Er drehte seinen Kopf zur Seite.

Er stand auf und kam zu mir, ging vor mir in die Hocke und noch ehe ich etwas machen konnte, hatte er mir einen Kuss auf die Lippen gehaucht.

„Das machen wir nicht.“, flüsterte er gegen meine Lippen.

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“, murrte ich.

„Wir haben keinen Sex und wir küssen uns nicht.“, murmelte Elias und sah mir dabei direkt in die Augen.

„Na, bei Jungs geht das ja auch nicht.“

„Doch.“ Elias sah mich mit knallrotem Gesicht an. Jetzt war ich vollends verwirrt. Aufgeklärt war ich nämlich nicht im Geringsten. Allerdings wusste ich schon, dass Mann und Frau Kinder bekommen konnten. So in etwa. Ein bisschen wusste ich.

„Also bei Jungs läuft es so ab, dass man einfach das andere...also...man...benutzt einfach...“, weiter kam er nicht. Er begann zu stottern und sah auf seine Finger.

„Was benutzt man?“, hakte ich nach. Jetzt war ich neugierig.

„Knie dich hin, dann zeig ich es dir.“, meinte Elias plötzlich. Ich verstand immer noch nicht, was Sache war, tat aber was er wollte. Elias glich schon wieder einer Tomate, weil er jetzt einen ziemlich guten Blick auf mich werfen konnte. Von nahem versteht sich.

Irgendwie fand ich es toll, dass ich inzwischen gleichauf mit Elias war. Früher war er immer ein Stück größer, als ich. Aber nun waren wir gleich groß, wie mir bewusst wurde.

Elias umarmte mich auf einmal. „Was ist?“, fragte ich skeptisch. Elias erwiderte nichts, sondern strich mir mit seinen Händen über den Rücken. Es fühlte sich komisch an. Ein wenig. Seine Hände rutschten weiter nach unten, er griff in meinem Po und ich verspannte mich. Was hatte er vor? Flink führte er einen Finger an meinen Muskelring. Ich sog scharf die Luft ein, als er mich dort berührte.

„Jungs machen es da. An der Stelle.“, meinte er.

Er zog sich von mir zurück und sah mich abwartend und nervös an. Ich sackte in mich zusammen und grübelte nach. Dann legte ich Elias einen Arm auf die Schulter.

„Tut mir echt Leid für dich.“, meinte ich mitfühlend.

Elias sah mich verblüfft an und im nächsten Moment ließ er seinen Kopf gegen den Wannenrand sinken.

„Ich geb's auf. Du weißt echt gar nichts!“, stellte Elias lachend fest.

Hatte ich schon wieder etwas Falsches gesagt? Ich meine, dass ist doch nun mal nicht sehr praktisch. Eklig hörte es sich auch an. Irgendwie unhygienisch.

„Und wie funktioniert das dann?“, fragte ich Elias. Neugierig hatte er mich ja nun doch gemacht. Selber schuld, wenn er damit anfing.

Elias grinste noch immer, schön rot im Gesicht.

„Das zeige ich dir irgendwann.“

„Hm, ich glaube, dann verzichte ich lieber.“, überlegte ich. Theoretisch wäre ja okay, aber praktisch lieber doch nicht.

„Elias, ich wusste gar nicht, dass du auf kleine Jungs stehst, du Pedo.“

Überrascht drehten wir uns zur Tür. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Lake einfach hereinspaziert war. Wie lange stand er schon dort?

„Was redest du da für einen Quatsch?!“, meinte Elias hektisch. Er glich immer noch einer Tomate und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass könnte bei ihm zu einem Dauerzustand werden.

Lake tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Äußerlich ist er vielleicht schon ein Jugendlicher, aber da drin ist er immer noch ein Kind. Sieh's ein.“

Sauer betrachtete ich Lake und sein süffisantes Grinsen.

„Manchmal ist er aber wesentlich erwachsener, als du!“, konterte Elias wütend. Da hatte er wohl Lake's wunden Punkt getroffen, denn der sah uns nur böse an und verschwand wieder in mein Zimmer.

„Wie kannst du nur mit dem da befreundet sein?“, fragte ich Elias entsetzt.

Elias lächelte und lehnte sich gegen die Badewanne.

„Als du im Koma warst, hab ich eine ganze Weile nicht mehr gesprochen, weißt du? Bei dem Schock habe ich regelrecht meine Sprache verloren. Alle haben sich totale Sorgen um mich gemacht. Mutismus ist so eine Sache für sich, ich war zwar in Behandlung und Therapie, aber es hat alles nichts gebracht. Irgendwann hatte ich dann Lake kennen gelernt, er hat mich so genommen wie ich bin, er hat mich aufgebaut und mir Mut gemacht.“ Elias schwieg einen Moment. „Irgendwann konnte ich dann wieder reden.“

Ich nickte bedächtig. Von Mutismus oder wie das hieß, hatte ich noch nie etwas gehört. Es musste schlimm sein, wenn man nicht mehr reden konnte, obwohl man es doch eigentlich wollte.

Elias stand auf und strich mir über den Kopf. „Ich mache dir was zu essen.“ Er verließ das Bad und schloss die Tür hinter sich.

Ich legte mich zurück in die Wanne und zog die Beine an, während das Wasser fröhlich weiter lief. Beschämt sah ich zur Seite. Ich seufzte. Irgendwie hatte ich immer noch das Gefühl, als würde ich Elias Hände an meinem Körper spüren. Es hatte sich gut angefühlt, auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ.


◆ ◆ ◆




Zurück in meinem Zimmer fand ich nur Lake vor. Elias stand demnach also noch in der Küche. Was sollte ich denn jetzt bitte mit dem Kerl hier anfangen?

„Was machst du da?“, rief ich ihm entsetzt zu.

Erst jetzt bemerkte ich, dass er gerade dabei war, sich eine Zigarette anzustecken. Er hatte sein Zippo herausgenommen und war gerade imstande die Kippe anzuzünden.

„Siehst du doch.“, meinte Lake ungerührt.

„Das kannst du nicht machen! Meine Eltern rauchen nicht, die bemerken das sofort und ich hab den Ärger am Hals!“, schnauzte ich ihn an.

Lake sah zu mir und kam auf mich zu. Dann zog er mich mit einem Ruck aus dem Rollstuhl und warf mich aufs Bett. Ich war zu überrascht, als das ich hätte so schnell reagieren können. Entsetzt sah ich, wie er die angezündete Kippe direkt über mein Auge hielt. Er kam breitbeinig auf mir zum Sitzen. Seinen Blick konnte ich nicht deuten. Ich versuchte ihn von mir zu schieben, aber er war zu stark und drückte mich zurück aufs Bett.

„Ich sag's dir jetzt am besten ganz offen ins Gesicht. Ich kann dich nicht leiden. Wegen so einem Kind wie dir, ist Elias ein Häufchen Elend! Du hast ihn gar nicht verdient! Du weißt ja nicht mal, was er alles durchgemacht hat. Ich hab ihn aus seinem Loch geholt und ich lasse nicht zu, dass du ihn jetzt einfach herumkommandierst und herum schubst wie es dir passt! Er denkt andauernd an dich und hat nichts Anderes mehr im Kopf und das passt mir nicht! Lass ihn in Ruhe, damit er endlich mal einen freien Kopf bekommt und an wichtigere Dinge denken kann!“

Ich sah Lake nur fassungslos an. Was war sein Problem? Das ging nur mich und Elias etwas an, was mischte der sich hier einfach so in unsere Angelegenheiten ein?!

„Das hört sich an, als wärst du in ihn verknallt.“, stellte ich nach einer Weile fest.

Lake lachte höhnisch auf. „Ich bin doch keine Schwuchtel so wie du! Ich stehe nicht auf Kerle!“

„Ich bin keine Schwuchtel!“, motzte ich zurück. Wie konnte dieser Idiot es wagen, mich als Jemanden abzustempeln, der ich nicht war.

„Gib's zu! Das im Bad eben hat dir gefallen. So von Elias angefasst zu werden. Er hat mir ja sogar von eurem Kuss erzählt.“, breit grinsend sah er mich an. Ich konnte die Verachtung in seinen Augen sehen.

„Warst du das gestern Abend?“, fragte ich ihn mit zitternder Stimme.

„Wovon redest du?“, fragte er mich mit hochgezogener Augenbraue.

„Du...du warst nicht gestern Abend hier?“

Lake sah mich an. Er schüttelte den Kopf.

„Was? Machst du mich gerade an?“, fragte er süffisant. Ich zog die Stirn kraus. Wie kam der Typ denn jetzt auf so etwas? Aber wenn er es nicht war, wer war das dann?

Und wieder konnte ich nicht rechtzeitig reagieren. Lake hatte sich zu mir runter gebeugt und legte seine Lippen auf meine. Was war das denn? Ich dachte, der Kerl stand nicht auf Jungs? Er drückte seine Lippen so fest auf meine, dass ich die Augen zusammenkniff und es einfach nur widerlich fand. Er nahm, im Gegensatz zu Elias, überhaupt keine Rücksicht! Er griff mit seiner Hand an meinen Kiefer und zwang mich dazu, meinen Mund zu öffnen. Flink glitt seine Zunge in meine Mundhöhle und ich war versucht ihn zu beißen, aber das ließ er nicht zu. Ich wusste nicht, wie ich Luft holen sollte und geriet in Panik.

„Was macht ihr da?“, hörte ich plötzlich Elias Stimme neben mir.

Ich schob Lake schnellstmöglich von mir weg, was einfacher war, als gedacht und sah Elias überrumpelt an.

„Ich konnte einfach nichts machen! Er hat mich einfach plötzlich runter gezogen und geküsst. Ich glaub, der steht auf mich!“, meinte Lake mit abwehrenden Händen. Entschuldigend sah er Elias an.

„Das stimmt nicht, er hat mich geküsst!“, rief ich Elias panisch zu.

Elias sah uns beide verletzt an. Er biss sich auf die Lippen. Glaubte er mir etwa nicht? Er ließ den Kopf hängen und dann wendete er sich, flüchtete regelrecht aus dem Haus.

„Elias!“, rief ich ihm hinterher, aber da hörte ich schon die Haustür zuschnappen.

„Siehst du, was du angerichtet hast?!“, brüllte ich Lake wütend an.

“Wieso? Es läuft doch alles nach Plan!“, meinte Lake und grinste mich an. Ich sah ihn verwirrt an.

„Welcher Plan?“, fragte ich ihn. Er beugte sich zu mir herunter. Kam mir immer näher und stoppte schließlich an meinem Ohr.

„Mein Plan eure Freundschaft zu zerstören.“, flüsterte er mir zu. Er zog sich zurück und stand von mir auf. „Der Kuss war gar nicht mal so übel, jetzt weiß ich wenigstens was Elias so an dir fasziniert.“

Er verließ gemütlich rauchend mein Zimmer und ging aus dem Haus. Ich konnte mich nicht bewegen. Was sollte ich jetzt machen? Ich musste Elias überzeugen, dass er mich dazu gezwungen hatte. Aber Lake würde ihm bestimmt hinterherrennen und ihm irgendwelche Flausen in den Kopf setzen. Würde ich laufen können, hätte ich diesen Idioten runter geschubst und hätte Elias gestoppt!

Seufzend schlug ich mir die Hände vor dem Gesicht zusammen. Was jetzt? Ich musste das unbedingt mit Elias klären, aber das konnte ich erst machen, wenn er zu hause ankam.

Das Telefon klingelte. Ächzend erhob ich mich und robbte mühsam zu meinem Rollstuhl und fuhr damit in den Flur zum Telefon.

„De Lima?“, fragte ich mürrisch.

„Hier. Anwesend!“, rief mir meine Schwester Abby lachend ins Ohr. „Hallo Brüderchen! Wie geht’s dir?“

„Scheiße!“, brummte ich zurück.

„Was ist passiert?“, fragte sie mich mitfühlend.

„Lieber nicht. Sonst verplapperst du dich nur bei Mum und Dad oder bei Elias. Das will ich nicht. Ich regle das schon selbst.“, meinte ich kurz angebunden.

„Wie du meinst.“, meinte Abby erstaunt.

„Was läuft bei dir? Da ist so laute Musik im Hintergrund?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Ach, meine Mitbewohnerin hat ihre Prüfung bestanden und jetzt sind wir hier am Feiern. Wir müssen aber vorsichtig sein, damit das niemand mitbekommt.“, lachte Abby und rief ihrer Freundin zu, sie sollte die Musik etwas leiser machen.

„Wie läuft es mit der Reha?“, fragte sie mich.

„Es geht. Die Übungen sind der Horror, ich hab Muskeln an Stellen, wo ich gar nicht mal wusste, das es sie dort überhaupt gibt. Und der Knochenbrecher ist unerbittlich. Da kann ich jammern so viel ich will.“, erklärte ich ihr und sie brüllte vor Lachen. Direkt in mein Ohr!

„Aua!“, meckerte ich und hielt mir den Hörer vom Ohr weg.

„Ach ja, nächste Woche ist übrigens Valentinstag.“, meinte Abby plötzlich.

„Ja und?“

„Na ja, hier in Deutschland scheint es ganz angesagt zu sein, seinem Liebsten Schokolade und Pralinen zu schenken, die man selbst macht.“, meinte Abby.

„So? Davon habe ich noch nie was gehört.“, stellte ich fest.

„Wieso schenkst du Elias nicht Schokolade?“, fragte sie mich kichernd.

Ich wurde knallrot im Gesicht. „Was? Wieso sollte ich so etwas machen?“

„Ihr zwei seid doch unzertrennlich. Wie ein Liebespaar!“, meinte sie lachend.

Ich grummelte. Machte es ihr Spaß mich so zu foppen? Wir, ein Liebespaar? Zurzeit sah es eher so aus, als würden wir Ehekrach haben, weil einer von uns fremdgegangen ist. Wie in diesen Soaps die meine Mum sich ständig reinzog.

Valentinstag. Schokolade. Sollte ich es wirklich mal probieren? Ich konnte aber nicht backen und ich wollte nicht Mum fragen, die würde nur wissen wollen, für wen die war. Ich könnte auch welche für Hanna unter einem Vorwand machen aber dann würde meine Mum mich damit nerven. Ich könnte allerdings Abby und meinen Eltern welche backen und ein paar für Elias zur Seite legen.

Soviel zu meinem Plan! Ich hörte schon gar nicht mehr, wie Abby in einem Selbstgespräch weiter plapperte. Machte ihr scheinbar nichts aus und so hing ich weiter meinen Gedanken nach.

Ich konnte nur hoffen, dass Elias das Geschenk annehmen würde...

Der Versuch ist der erste Schritt zum Scheitern!




Okay, ich hatte bisher noch nie gebacken und die Premiere fand heute statt. Prüfend besah ich mir die Kuchenform. Ein Herz. Irgendwie etwas unpassend für zwei Jungs, oder nicht? Ich drehte die Form in meinen Händen hin und her und knabberte an meiner Unterlippe.

Ich wollte mich bei Elias entschuldigen und ihm nicht mein Herz schenken. Vielleicht interpretierte er auch nichts weiter hinein. Er könnte sich ja auch einfach nur über diese Geste freuen?!

Hoffte ich. Genau genommen war ich ja noch nicht einmal richtig schuld an der ganze Misere. Der Einzige der hier schuld hatte, war Lake!

Es war widerlich von ihm geküsst zu werden. Ganz im Gegensatz zu Elias!

Ich fuhr mit meinen Finger über die Lippen und versuchte mich an den Kuss zu erinnern. Elias war so zärtlich gewesen. Sein Kuss hatte mir kaum etwas ausgemacht. Es überraschte mich. Wenn meine Eltern sich geküsst hatten, fand ich es immer einfach nur widerlich! Elias war wohl eine Ausnahme. Meine Ausnahme.

Allerdings würde es nicht einfach werden alleine etwas zu backen, zumal ich immer noch im Rollstuhl saß. Es waren einige Tage vergangen und Elias hatte sich nicht bei mir gemeldet, obwohl ich mehrmals versucht hatte ihn anzurufen.

Er war wahrscheinlich noch gekränkt und wurde von diesem Mistkerl Lake getröstet. Dieses miese Schwein wollte ich einfach nicht in Elias nähe haben. Er sollte seine Pfoten von meinem Freund lassen!

Ich hielt inne. Wieso war ich auf einmal so besitzergreifend? Lag es daran, dass Elias mein Kindheitsfreund war? Oder das Lake unsere Freundschaft zerstören wollte?

Mürrisch, weil ich eindeutig zu viel an Lake denken musste, packte ich alle Zutaten auf den Tisch, die ich, laut einem Rezept aus einem der vielen Kochbücher meiner Mutter, brauchen würde. Zu dumm, dass unsere Haushälterin mal wieder nicht da war, ihre Hilfe hätte ich gut gebrauchen können. Immer wenn man jemanden brauchte, war keiner zur Stelle!

Okay, also erst mal die Eier trennen. Ich schnappte mir ein Ei und besah es mir. Wie bekam ich das jetzt am besten auf. Ich knallte es voll auf den Tisch und war überrascht, dass da Flüssigkeit drin war. Die Frühstückseier sahen aber irgendwie anders aus. Skeptisch kratzte ich an meinem Kopf. Ich schnappte mir eine Schüssel und probierte es noch einmal. Hm, okay, die Schale sollte besser nicht mit rein, also erst mal alles raus fischen.

Aha, ich brauchte nur das Eigelb! Gut zu wissen. Ich starrte verwirrt auf den Salat vor mir und wusste erst mal nicht, was ich machen sollte. Ich kippte den Inhalt der Schüssel weg und probierte es dann noch einmal. Ich kippte noch ordentlich Zucker rein, Vanillezucker, Butter, Rum und Salz und vermischte alles. Sah ein wenig komisch aus. Ob das richtig war?

Ich zuckte mit den Schultern und begann die Schokolade auf dem Herd zu schmelzen. So ganz sicher war ich mir ja nicht, wann es wirklich richtig fertig war. Ab und an rührte ich darin und als die Schokolade flüssig genug aussah, widmete ich mich erst mal dem Mehl und Packpulver. Nach kurzer Zeit sah die Küche ziemlich wüst aus. Ich hatte es sogar fertig gebracht, den halben Inhalt der Mehltüte auf dem Boden zu verteilen.

Nachdem ich alles genauso versuchte zu machen, wie in dem Rezept, füllte ich die Masse in die Backform. Dieses Herz nervte mich irgendwie.

Ich begann den Ofen vor zuheizen und stellte nach einiger Zeit den Kuchen zufrieden hinein. Da ich erst mal nichts zu tun hatte, ging ich ins Wohnzimmer und widmete mich Cha Cha. Die Garnele lief munter im Aquarium hin und her und zwischendurch fütterte ich sie ein wenig.

Sieben Wochen war ich jetzt zu hause und konnte mich immer noch nicht an den Unfall erinnern. Irgendwie störte es mich ein wenig. Seitdem Elias mir von seinem Mutismus erzählt hatte, war ich irgendwie nachdenklicher geworden. Auf unsere Weise waren wir beide von dem Unfall geprägt. Ich wollte mich einerseits daran erinnern, aber irgendwie hatte ich auch angst davor.

Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie es Elias in der Zwischenzeit ergangen sein könnte. Ich wollte so gerne wissen, was er in den 12 Jahren gemacht hatte, wie er sich gefühlt hatte und wie es ihm bei seinen Besuchen bei mir erging. Ich wollte einfach alles wissen!

Nächste Woche würde ich endlich ohne diesen blöden Rollstuhl weitermachen können. Ich durfte mich zwar noch nicht so viel bewegen, weil es einfach noch nicht funktionierte, aber es war nicht weiter schlimm, wenn man mal absah, dass ich endlich wieder laufen konnte. Ich freute mich schon sehr darauf. Zumal ich dann jederzeit zu Elias laufen könnte.

Ich hörte ein Klingeln und seufzte auf. Wer konnte das denn nun schon wieder sein? Ich raffte mich auf und stieg in meinen Rollstuhl. Ich fuhr zur Haustür und öffnete, in der Hoffnung, es könnte Elias sein.

Ich hatte mich leider getäuscht. Es war unsere Nachbarin Hanna.

„Hey.“, meinte sie freundlich.

„Tag. Was gibt’s?“, fragte ich brummelnd. Sie war zwar nett, aber irgendwie war sie mir immer noch unheimlich. Das lag wohl noch an unserem ersten Treffen.

„Wie geht es dir? Ich wollte mal nach dir sehen, weil du letztens so durch den Wind warst, als der Junge dich überfallen hatte.“, erklärte Hanna.

„Mir geht’s gut.“, meinte ich wortkarg.

„Bist du sicher? Das war ganz schön heftig, was da ablief! Ich habe zwar nicht alles mitbekommen, aber der Kerl hatte dich mit einem Messer bedroht!“

„Danke, ist mir gar nicht aufgefallen.“, grummelte ich genervt.

„Irgendwas riecht hier komisch.“, meinte Hanna plötzlich.

Meine Augen weiteten sich. Der Kuchen! Den hatte ich völlig vergessen und ich hatte nicht einmal daran gedacht, mir einen Wecker zu stellen. So schnell ich konnte, raste ich in die Küche und musste entsetzt feststellen, dass mein schöner Kuchen total verbrannt war. Eine schwarze Kruste zierte ihn und er war steinhart.

„Verdammt!“, brüllte ich enttäuscht. Jetzt musste ich wohl von vorne anfangen.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Hanna mich von der Seite und ich erschrak. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sie einfach ins Haus gekommen war. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und sah sie skeptisch an.

„Kannst du das denn?“, fragte ich sie zweifelnd.

Hanna nickte lächelnd.

„Backen ist eine meiner Spezialitäten. Ich kann auch ziemlich gut kochen. Muss ich ja auch können. Immerhin bin ich hier ganz allein und muss mich selbst versorgen.“, erklärte sie mir grinsend.

„Du kommst nicht aus Brasilien?“, fragte ich sie. Ich hatte ganz vergessen, dass sie nicht von hier war.

„Nein, ich bin Irin.“, erklärte Hanna und begann damit, die Sachen zusammen zu schütten, die sie vermengen musste. „Ich habe mitbekommen, was mit dir passiert ist. Deine Mutter hat es mir erzählt.“

Ganz toll, danke Mum! Bald wusste es das ganze Land und irgendwann die ganze Welt.

„Wie kommst du zurecht?“, fragte sie mich neugierig.

„Es geht so. Die Reha ist ziemlich anstrengend. Nächste Woche kann ich endlich wieder laufen, ohne mich im Rollstuhl fortbewegen zu müssen.“

„Du bist mutig. Ich glaube nicht, dass ich so locker mit einem Unfall umgehen würde.“, meinte Hanna.

„Was soll ich machen? Ich kann mich nicht einmal an den Unfall erinnern.“, murrte ich.

Hanna schien zu merken, dass ich nicht so gerne darüber sprach. Sie wechselte lieber schnell das Thema.

„Für wen ist denn der Kuchen?“, fragte sie mich.

„Für meinen Freund.“

„So?“ Sie sah mich mit großen Augen an. Hanna betrachtete kurz die Kuchenform. „Oh! Tut mir Leid! Das ist ja echt süß von dir, deinem Lover einen Kuchen zum Valentinstag zu backen!“

Ich starrte sie ungläubig an. Dachte sie tatsächlich Elias und ich wären ein Paar?

„Er ist nicht mein Freund, also nicht so.“, meinte ich trocken.

„Oh, das braucht dir nicht peinlich zu sein.“, meinte Hanna lachen. „Ich bin sehr tolerant. Ich habe damit keine Probleme. Es geht doch im Grunde genommen darum, die Person zu lieben, die man mag. Da spielt das Geschlecht überhaupt keine Rolle. So sehe ich das jedenfalls.“, erklärte Hanna mir.

Ich hatte ihr zwar zugehört, aber es wurmte mich, dass sie einfach davon ausging, dass ich mit Elias etwas hatte. Okay, wir hatten uns geküsst, gegenseitig nackt gesehen und sind beide schon auf Tuchfühlung gegangen. Aber das machte uns noch lange nicht zu einem Paar, oder?

Elias dachte sicher auch so. Ich meine, klar, wir mochten uns sehr gern, aber liebe war es nicht. Zumindest bei mir. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt schon verstand, was Liebe wirklich war. Ich fand Mädchen immer noch doof und auf Kerle stand ich nun mal nicht. War das nicht normal?

Über all meine Gedanken hatte ich ganz vergessen Hanna zu widersprechen. Jetzt dachte sie wohl wirklich, ich würde auf Elias stehen.

„Hast du einen Freund?“, fragte ich sie. Wenn Hanna mich schon ausfragte, durfte ich das ja wohl auch!

„Nein. Zurzeit nicht. Ich habe auch nicht wirklich Zeit für eine Beziehung.“, meinte Hanna. „Ich bin hergekommen, um zu arbeiten und zu helfen, nicht um mir einen Freund zu suchen. Sollte es sich dennoch ergeben, habe ich natürlich nichts dagegen. Nur halte ich nichts von Fernbeziehungen.“ Sie hielt kurz inne. „Immerhin muss ich bald wieder zurück nach Irland und wenn mein Freund dann hierbleibt, wäre das echt schwer eine Beziehung am Laufen zu halten.“

Ich nickte bedächtig. War das so mit mir und Elias? Ich lag im Koma und er hatte einfach nicht mehr die Kraft gehabt an meiner Seite zu sein, also hatte er sich mit Lake angefreundet.

Ich konnte mir ja denken, dass es schwer werden würde für ihn, aber es tat schon irgendwie weh, dass er dauernd mit einem anderen Kumpel abhing und mich links liegen ließ.

„Vielleicht sollte, ich doch keinen Kuchen für ihn machen.“, meinte ich und malte Bilder in das Mehl auf dem Tisch.

„Wieso nicht? Er wird sich bestimmt darüber freuen! Besonders wenn es so ein hübscher Kuchen sein wird.“, meinte Hanna munter.

„Hm...“

„Er wäre echt doof, wenn er sich nicht über so eine Geste freuen würde.“ Hanna sah mich an und hielt inne. „Habt ihr euch gestritten?“

Ich sah überrascht auf.

„Woher weißt du das?“, fragte ich sie entsetzt.

Hanna grinste breit. „Ich wusste es nicht, du hast es mir gerade gesagt.“ Sie schmunzelte. „Doch, irgendwie wusste ich es. Weibliche Intuition, weißt du? Außerdem kann man dir ansehen, dass dich etwas bedrückt. Möchtest du darüber reden?“

Ich schüttelte den Kopf. So gut kannte ich sie noch nicht, als das ich ihr all meine Probleme erzählen würde.

„Wenn du es dir anders überlegst, ich höre dir gern zu. Vielleicht kann ich dir ja einen Tipp geben.“, meinte sie schulterzuckend.

Ich grinste.

„Was ist?“, fragte sie verwirrt.

„Bei unserem ersten Treffen, warst du mir irgendwie total unheimlich. Du hast mich einfach so angesehen und kein Wort gesagt. Aber du bist doch ganz nett.“, meinte ich lachend.

„Na, das will ich doch mal hoffen!“, meinte sie gespielt erbost. „Pass auf was du sagst, sonst mache ich deinen Kuchen ungenießbar.“ Sie lachte und kippte den Inhalt der Schüssel in die Backform. „Auf ein Neues!“ Sie schob den Kuchen in den Ofen und stellte ihn richtig ein. Sie schnappte sich die Eieruhr und stellte sie korrekt ein.

„Und was machen wir in der Zwischenzeit?“, fragte ich sie.

„Hm, bist du denn sicher, dass es okay ist, wenn ich hierbleibe? Wenn dein Freund mich sieht, könnte er ja eifersüchtig werden.“, meinte sie und zwinkerte mir vergnügt zu.

Ich musste lachen.


◆ ◆ ◆




Da ich nicht wusste, was man mit einem Mädchen noch machen konnte, außer mit Puppen zu spielen, setzten wir uns vor den Fernseher.

„Wie ist denn dein Freund so?“, fragte Hanna mich neugierig.

„Er ist nicht mein Freund.“, versuchte ich es noch einmal, aber das schien irgendwie bei Hanna in einem Ohr rein und im Anderen wieder rauszugehen. „Gibs ruhig zu!“, erwiderte sie grinsend.

„Elias ist irgendwie anders, seit ich wieder zu mir gekommen bin.“, meinte ich bedrückt.

„Wie anders?“, hakte Hanna nach.

„Ich weiß auch nicht. Nicht mehr derselbe. Nicht so, wie ich ihn kenne.“, seufzte ich.

„Na ja, 12 Jahre sind eine lange Zeit. Sie können einen Menschen verändern.“

„Schon, aber er sieht auch so fertig aus. Er ist abgemagert und sein Zimmer ist mir etwas unheimlich. Alles ist schwarz, seine Kleidung auch und seine Haare.“, gestand ich.

„Vielleicht ist es ihm ziemlich nahe gegangen, was mit dir passiert war.“

„Ich will aber meinen alten Elias zurück. Der der alles mögliche mit mir gemacht hat. Der dauernd Unsinn im Kopf hatte.“, murrte ich.

„Du kannst die Zeit aber nicht zurückdrehen.“, sagte Hanna. „Du musst ihn so nehmen wie er ist. Sei einfach für ihn da, wenn er dich braucht und mit dem Kuchen kriegst du bestimmt schon noch ein paar Kilos auf seine Rippen.“ Sie wuschelte mir durch die Haare. „Das wird schon wieder.“

Ich wollte gerade etwas erwidern, aber da machte sich auch schon die Eieruhr bemerkbar. Hanna lief gleich zurück in die Küche und nahm den Kuchen aus dem Ofen. Ich folgte ihr in einigem Abstand.

„Wie willst du ihm den Kuchen denn geben?“, fragte Hanna besorgt, während sie den Kuchen noch mit einem Schokoladenguss mithilfe eines Spachtels überzog.

„Na ja, in einer Dose oder so und dann auf dem Schoß.“, meinte ich schulterzuckend.

„Und du bist dir sicher, dass er dabei heile bleibt?“, fragte sie skeptisch.

„Nicht?“

„Na ja, es könnte ja sein, dass du irgendwo rüber fährst und dann ist der Kuchen Geschichte.“, meinte sie und überlegte einen Moment. „Soll ich ihn für dich tragen? Oder du rufst deinen Freund an, er soll herkommen.“

„Er geht aber nicht ans Telefon. Ich habe schon öfter versucht ihn anzurufen.“, murrte ich.

„Okay, das ist blöd.“ Hanna schwieg. „Dann musst du den Kuchen doch irgendwie zu ihm schaffen.“

Ich nickte. Hanna schien sich mehr Sorgen um den Kuchen zu machen, als ich.


◆ ◆ ◆




Okay, jetzt hatte ich es wirklich gemacht. Ich stand hier vor Elias Wohnung. Den Kuchen auf meinem Schoß und klingelte nonstop.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Elias Mutter stand vor mir. Sie sah ziemlich fertig aus, aber als sie mich erkannte, erhellte sich ihr Blick und sie lächelte mich liebevoll an.

„Samuel, Schätzchen! Wie schön, dich mal wieder zu sehen!“, meinte sie erfreut und umarmte mich sofort. Ich erwiderte die Umarmung. Wir kannten uns schon so lange und sie war gut mit meinen Eltern befreundet. Aber seit dem Verschwinden ihres Mannes war sie nicht mehr dieselbe. Genau wie Elias es nun war.

„Ist Elias da?“, fragte ich zaghaft.

„Ja, er ist oben in seinem Zimmer.“, erklärte sie. „Elias, komm runter! Samuel ist da!“, brüllte sie auch gleich nach oben. „Was hast du denn da?“, fragte sie mit einem Blick auf die Schachtel.

„Der ist für Elias, aber sie können auch gerne etwas davon essen.“, meinte ich grinsend.

Ich hörte ein Poltern und dann kam Elias auch die Treppen runter gestampft. Er sah mich irgendwie etwas ausdruckslos an, hatte ich das Gefühl. Nervös schluckte ich.

„Komm erst mal rein.“, meinte Evelyn und nahm mir gleich den Kuchen ab. Elias blieb auf der letzten Stufe stehen und ließ mich nicht aus den Augen.

„Hey.“, meinte ich lächelnd.

„Hm.“, brummte er nur. Okay, sehr gesprächig schien er nicht zu sein. War er etwa wirklich so wütend auf mich?

Ich rollte ins Haus und folgte Evelyn in die Küche. Elias schloss die Tür und kam uns schlurfend hinterher. Ich hatte das Gefühl die ganze Zeit beobachtet zu werden. Als ich stehen blieb und mich umdrehte, bedachte Elias mich immer noch mit diesem seltsamen Blick.

„Elias, sieh mal. Ist das niedlich!“, meinte Evelyn entzückt. Elias sah auf und ging schnurstracks an mir vorbei. Er ging zu seiner Mutter und besah sich den Kuchen. Ich war etwas verlegen, so einen Kuchen mit Herz schenkte man immerhin einem Mädchen, dass man sehr mochte und nicht einem Jungen.

„Be my Valentine~“, las Elias laut vor. Ich stutzte. Da stand was auf dem Kuchen? Ich zog die Augen zusammen. Hanna! Jetzt hatte sie einfach irgendetwas auf meinen Kuchen geschrieben! Na, die konnte noch etwas erleben!

Obwohl, vielleicht auch nicht, wenn ich so Elias betrachtete, schien er sich mächtig zu freuen. Er war nämlich mal wieder knallrot angelaufen. Er sah zu mir rüber und seine Augen funkelten. Er fuhr sich mit dem Ärmel über seine Augen und fiel mir glücklich in die Arme.

„Danke.“, flüsterte er und drückte mich fest an sich. Ich erwiderte die Umarmung zufrieden. Hatte es also doch geklappt. Ich sollte mich bei Abby und Hanna bedanken.

Elias strich mir über den Rücken und zog mich aus dem Rollstuhl auf seinen Schoß. Ich umklammerte ihn mit meinen Füßen und er stand sofort auf. Ich erschrak leicht darüber und hielt mich an ihm fest.

„Wir gehen nach oben.“, meinte Elias grinsend zu seiner Mutter. Die nickte nur und war schon längst dabei, über den Schokoladenkuchen herzufallen.

Ich seufzte, schmiegte mich an ihn und ließ mich von Elias nach oben tragen. Obwohl er so dürr war, war ich immer wieder erstaunt, was für Kräfte er entwickeln konnte. Okay, ich war nicht sonderlich schwer, aber er war wesentlich schwächer als ich.

Wenigstens war die Welt wieder in Ordnung. Elias war nicht mehr sauer auf mich und meine Sorgen konnte ich getrost zur Seite schieben.

In seinem Zimmer angekommen, setzte er sich mit mir aufs Bett und ließ sich nach hinten fallen. Er zog mich mit sich und so kam ich auf ihm zu liegen. Ich wollte mich gerade an ihn schmiegen, als er sich auf einmal umdrehte und ich nun unter ihm lag.

„Nicht so hastig.“, maulte ich. „Das...hm.“ Elias versiegelte meine Lippen mit einem Kuss, noch ehe ich weiter reden konnte. Diesmal war es an mir knallrot zu werden. Ich ließ mich ohne Gegenwehr küssen und legte meine Arme um Elias. So schlecht war diese Küsserei ja nun auch nicht mit ihm, auch wenn Elias irgendwie geschickter dabei war, als ich. Und irgendwie konnte ich nicht genug davon kriegen.

Als sich aber etwas begann in meiner Hose zu regen, stockte ich. Was war das denn? Ich unterbrach den Kuss und schob Elias verdutzt von mir. Ich hob meinen Hosenbund an und lugte in meine Jeans. Seit wann führte mein kleiner Freund hier unten ein Eigenleben?

„Was ist los?“, fragte Elias mich mit glasigen Augen.

„Es lebt.“, flüsterte ich mit großen Augen. Elias Blick glitt runter und dann warf er sich lachend neben mich aufs Bett. Er bekam sich gar nicht mehr ein vor lachen. Maulig sah ich den Jungen neben mir an.

Elias erhob seine Hand und legte sie mir auf den Bauch, er kraulte mich leicht und ließ sie dann langsam weiter runter wandern. Ich verspannte mich etwas. Was hatte er denn jetzt wieder vor? Flink ließ er seine Hand in meine Hose gleiten und befühlte mich da unten. Es war ein komisches Gefühl, seine Hand an so einer intimen Stelle zu fühlen. Ich keuchte auf und so schnell wie Elias seine Hand in meiner Jeans verschwinden ließ, so schnell holte er sie auch wieder heraus.

„Glückwunsch zu deiner ersten Erregung!“, meinte er fies grinsend.

„Na, danke und was ist so toll daran?“, fragte ich ihn grummelnd und betrachtete die Beule die sich deutlich unter meiner Hose abhob.

„Das ich dir Abhilfe schaffen kann.“, schnurrte Elias mir ins Ohr und ich bekam eine Gänsehaut. Er krabbelte etwas runter und öffnete meinen Reißverschluss. Er zog mir die Hose halb runter und die Boxershorts gleich mit.

„Was hast du vor?“ So ein wenig peinlich war es mir jetzt aber doch.

„Lass dich überraschen.“, meinte Elias nur. Ich keuchte auf, als ich seine Zunge spürte. Ich betrachtete ihn knallrot bei seiner Tätigkeit und musste immer wieder leicht stöhnen. Ich wusste gar nicht, dass man solche Dinge machen konnte und jetzt bekam ich auch noch einen Blowjob frei Haus!

„Elias.“, keuchte ich und griff in seine Haare. In mir stieg die Hitze auf und ich bekam mich nicht mehr ein, ließ mich einfach gehen und genoss dieses unbekannte Gefühl, dass sich in mir breit machte.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

„Schaut mal, wen ich draußen getroffen habe. Hoppla?!“, hörte ich Evelyns Stimme. Wir schracken auf und sahen beide entsetzt zur Tür.

Die Jagd nach dem Jäger beginnt dort, wo die Beute ist.




Evelyn sah uns mit großen Augen an. Immerhin sah sie es ja nicht täglich, dass ihr Sohn an seinem Jugendfreund Saxophon spielte.

„Was ist los?“, hörte ich eine mir nur allzu bekannte Stimme und wünschte unter mir würde sich ein Erdloch auftun. Lake kam hinter Evelyn zum Vorschein und da keiner wusste was er sagen sollte, starrten wir uns alle nur sprachlos an.

„Na, hier geht ja die Post ab.“, meinte er süffisant. Evelyn sah uns streng an. „Wenn ihr die Bettlaken dreckig macht, wäschst du sie aber Elias!“, motzte sie gleich drauf los. Sie packte Lake am Hemd und schleifte ihn mit sich aus dem Zimmer.

Wir saßen wie angewurzelt im Bett, versteinert und bewegten uns keinen Zentimeter. Überrumpelt sahen wir uns an. Elias lächelte schief. „Sorry.“, meinte er. „Soll ich weitermachen?“

Ich sah ihn nur entgeistert an. „Geht's noch?!“, keifte ich wütend. Nicht nur, dass Elvelyn, mich so gesehen hatte, die für mich inzwischen wie eine zweite Mutter war, nein, jetzt war Lake auch im Bilde. Ich zog meine Hose hoch und zog hastig den Reißverschluss zu. Mit hochrotem Kopf saß ich jetzt vor Elias und wusste nicht wirklich was ich tun sollte. Elias fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund.

„Ich geh mal kurz gucken, was Lake hier will.“, meinte er, stand auf und ließ mich allein im Zimmer zurück. Ich sah ihm hinterher. Toll, jetzt ließ er mich hier sitzen und kümmerte sich anscheinend lieber um Lake! Beleidigt ließ ich mich zurück aufs Bett fallen.

Elias ließ ziemlich lange auf sich warten und ich wurde immer ungeduldiger. Was sollte ich jetzt machen? Ich stand auf, immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen, auch wenn ich in der Reha schon große Fortschritte machte. Ich ging zur Tür und öffnete sie. Ich hörte von unten Stimmen. Als ich vor der Treppe stand, sah ich entgeistert runter. Waren das vorher auch schon so viele Stufen gewesen? Meine Beine fühlten sich noch etwas steif an. Ich hielt mich am Geländer fest und nahm vorsichtig Stufe um Stufe. Es war doch ziemlich anstrengend. Nach einigen Stufen, tauchte Elias wieder auf.

„Hey, warte!“, rief er erstaunt und kam zu mir hoch. „Ruf mich doch, wenn du runter möchtest.“, meinte er fürsorglich. Missmutig sah ich ihn an. Er hätte ja auch gleich auf die Idee kommen und mich mit runter nehmen können. Dann hätten wir das Problem erst gar nicht.

Elias half mir runter und zusammen gingen wir in die Küche.Was mir gar nicht passte, war, dass Lake sich über meinen Kuchen für Elias hermachte. Ich hoffte, er verschluckte sich daran. Evelyn zog mir gleich einen Stuhl zurück, auf den ich mich setzte. Zum Glück saß Elias neben mir. Neben Lake würde ich es keine Sekunde aushalten. Vielleicht sollte ich Elias mal erzählen, was Lake wirklich im vor hatte?

Ob er es mir aber glauben würde, war eine andere Sache. Was würde er dann von mir halten? Wäre er wütend auf mich, weil ich seinen Freund schlecht machte? Ich wollte nicht, dass er schlecht von mir denken würde. So hielt ich mich vorerst zurück. Ich wusste nur, dass ich Lake irgendwie vergraulen musste, sonst gab es die Freundschaft zwischen mir und Elias bald nicht mehr.


◆ ◆ ◆




Der letzte Tag meiner Reha. Ich war stolz wie noch nie. Endlich konnte ich meinem Rollstuhl Adieu sagen. Die letzten Wochen waren mehr als stressig. Ich konnte nicht viel ohne ihn tun und dank der Rehabilitation, war ich einigermaßen in der Lage zu Fuß zu gehen. Es war noch nicht so einfach und fiel mir teilweise etwas schwer, aber es war ein gutes Gefühl, meine eigenen Beine endlich wieder benutzen zu können.

„Also dann, ich hoffe, wir sehen uns nicht mehr so schnell wieder.“, meinte der Knochenbrecher zum Abschied und brach mir beinahe meine Hand. Er hatte leider immer noch so einen starken Händedruck drauf und ich war froh, ihn nicht mehr treffen zu müssen, auch wenn er sehr nett war und wir viel miteinander lachen konnten.

Mit meiner Mutter fuhr ich zur Feier des Tages zu einer Eisdiele. Ich bestellte mir einen riesigen Eisbecher mit Kugeln sämtlicher Geschmacksrichtungen. Meine Mum sah mich nur entgeistert an.

„Und das alles schaffst du?“, fragte sie skeptisch. Ich nickte grinsend. Solange es nicht alles auf gleichem Wege wieder raus kam, war es mir egal.

Hätte ich vielleicht nicht tun sollen, denn hinterher ging es mir mehr als schlecht. Ab und an, sollte ich vielleicht mal auf meine Mutter hören.

Wir fuhren nach Hause und ich verschanzte mich schnell im Bad. Danach war ich nur noch im Bett anzutreffen. Meine Mum brachte mir einen Tee und so war der Tag irgendwie gelaufen für mich.

Na ja, nicht ganz, denn meine Schwester rief mich abends an. Sie klang gut gelaunt und hatte viel zu berichten, wovon ich allerdings nur die Hälfte mitbekam, weil sie so schnell redete und ich mich kaum konzentrieren konnte, weil mir immer noch etwas unwohl war.

„Also, was ist bei dir zurzeit so los?“, fragte sie neugierig. Sie wollte wahrscheinlich mal wieder auf den aktuellen Stand gebracht werden? Wieso waren Mädchen nur so wissbegierig? Sie wollten immer alles wissen und redeten dann bis ins kleinste Detail, nahmen es auseinander und am Ende war dann doch nicht alles so wie es ihnen passte.

Ich seufzte. „Ich hatte einen Streit mit Elias. Wir haben uns aber wieder vertragen. Aber der blöde Idiot Lake ist dann aufgekreuzt. Der nervt einfach nur!“, grummelte ich in den Hörer.

Abby lachte. „Bei unserer ersten Begegnung hat er versucht mich anzumachen. Aber so dämlich, dass er mir fast schon wieder Leid getan hatte. Aber er ist ein guter Freund für Elias, denke ich. Er war immerhin die letzten Jahre immer für ihn da.“

Ich brummte nur. War mir doch egal, wie der drauf war. Ich wollte nur nicht, dass er Elias Flausen in den Kopf setzte. Am besten er hielt sich ganz von ihm fern.

„Bist du eifersüchtig?“, fragte Abby mich unvermittelt.

Ich sah meinen Hörer verständnislos an. Dann hielt ich ihn mir wieder ans Ohr. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich sie entgeistert.

Abby kicherte. Klar, Mädchen wussten immer gleich über alles Bescheid. Weibliche Intuition, oder so was.

„Man merkt es dir an. Du sprichst in den höchsten Tönen von Elias, aber Lake machst du total runter! Du bist eifersüchtig auf ihre Freundschaft, weil du jetzt außen vor stehst. Du bist sozusagen das dritte Rad am Wagen und das passt dir nicht in den Kram.“, erklärte sie mir. Ich antwortete nicht darauf.

So ein Quatsch!

Oder...?

„Glaub mir, das ist so.“, meinte Abby.

„Ach was!“ Stur wie ich war, gab ich natürlich nicht klein bei. Da konnte sie denken, was sie wollte.

„Hey! Heute ist ja der große Tag! Du bist deinen Rollstuhl los. Wie läuft's sich so?“, fragte Abby fröhlich.

„Hm, geht so. Mit Stufen habe ich noch so meine Probleme, aber ansonsten geht’s eigentlich ganz gut. Es dauert noch ein bisschen, bis ich wieder richtig rennen und toben kann.“, meinte ich.

„Das klingt gut. Du machst schon ordentliche Fortschritte. Ich bin stolz auf dich!“, erwiderte Abby und ich fuhr mir verlegen durch die Haare.

„Mum hat mir erzählt, dass Calvin demnächst bei euch wohnen wird.“

„Fang bloß nicht damit an. Auf den habe ich überhaupt keine Lust!“, jammerte ich genervt. Ich hatte die Gedanken an die Heulboje so schön verdrängt und nun war er wieder da. Einfach so mit einem Schnips.

„Sieh's als Chance an. Du hast immerhin 12 Jahre Schule aufzuholen. Das ist eine menge Arbeit. Und das geht nicht einfach so von heute auf morgen.“, erklärte Abby mir zuversichtlich.

Ich nickte nur, was sie am Hörer natürlich nicht mitbekam.

„Ich hab zu viel Eis gegessen. Ich geh heute früher schlafen.“, meinte ich nur und so verabschiedeten wir uns. Ich legte auf und ging schlapp in mein Zimmer zurück. Ich kroch unter meine Decke. Es war kalt und ich rieb meine Beine etwas, damit es wärmer wurde.

So in meiner Einsamkeit kam mir wieder der Gedanke vom Treffen bei Elias und was er mit mir angestellt hatte. Ich hätte mich wehren können, aber ich tat es nicht. Schon komisch. Wie weit hätte ich ihn denn überhaupt gehen lassen? Bis zum Äußersten? Wie weit konnte man mit einem Jungen überhaupt gehen? Ich musste mir wohl beizeiten mal ein paar Bücher besorgen. Lesen, wie langweilig! Vielleicht konnte ich ja auch mal an den Computer meiner Eltern gehen, wenn sie nicht da waren?


◆ ◆ ◆




So viel zu meinen Plänen. Am nächsten Tag ging alles seinen gewohnten Gang. Meine Mutter musste mich aus dem Bett werfen, weil ich mal wieder nicht zu potte kam. Tat sie ja äußerst gerne mit einem nassen Waschlappen, den sie unter eiskaltes Wasser hielt. Manchmal hatte ich den leisen Verdacht, sie steckte ihn extra noch mal in die Tiefkühltruhe. Zutrauen würde ich es ihr!

Müde schleppte ich mich dann von meinem Zimmer direkt ins Bad. Im Flur hinterließ ich eine Spur aus meinen Klamotten. Damit man auch wieder zurück findet, versteht sich. Nackt stand ich dann im Badezimmer vor dem großen Spiegel und betrachtete meine Männlichkeit. Okay, die Arme waren noch ziemlich schlank und die Muskeln versteckten sich eben gut irgendwo unter der Haut. Konnte doch mal passieren! Mein Blick glitt runter.

„Verräter!“, schimpfte ich meinen Penis. Bisher hatte ich immer die Oberhand gehabt, konnte entscheiden was passieren würde. Jetzt gingen wir wohl getrennte Wege.

Ich tippte ihn kurz an. Nichts geschah. Hm, vielleicht hatte ich ja doch noch die Oberhand. Zufrieden ging ich zur Badewanne, duschen mochte ich eben noch nie wirklich gern und ließ das warme Wasser einlaufen.

Ich gähnte und überlegte, was ich heute alles machen konnte. Mir viel nicht wirklich etwas ein, auf das ich Lust gehabt hätte. Vielleicht konnte ich mich ja noch später vor den Fernseher flätzen. Ab und an war mal okay, aber meine Mutter konnte es nicht leiden, wenn man den ganzen Tag vor der Glotze saß und nichts tat. Ich seufzte. Dabei gab es so viele tolle Serien im Fernsehen. Pinky und der Brain oder Avatar waren zurzeit meine Lieblinge und mir ging es immer sehr, sehr, sehr schlecht, wenn ich mal eine Folge verpasste.

Ich stieg in die Wanne und verwandelte das Badezimmer flugs in ein Schwimmbad. Meine Mutter würde sich mal wieder freuen. Ich versuchte das Quietscheentchen zu ersaufen, aber es kam leider immer wieder hoch. Ich schmunzelte und beschloss es dabei zu belassen.

Nach dem Baden musste ich feststellen, dass meine Eltern schon außer Haus waren. Gut für mich. So konnte ich endlich ein wenig an den Computer, ohne schief von der Seite angesehen zu werden. Ich machte mir in der Küche noch schnell etwas zu frühstücken und setzte mich dann vor den Rechner.

Nach dem Hochfahren, überlegte ich erst mal wonach ich suchen wollte. Ich gab ein paar Stichworte ein und sofort wurden mir alle möglichen Seiten mit Foren und Homepages und was es sonst noch alles gab vorgesetzt. Aber hallo, das lief ja wie geschmiert!

Ich klickte mutig auf eine Seite. Sofort öffnete sie sich und ich fand mich vor einer ganzen Reihe von Videos wieder. Da schien ja einer sehr zu sammeln, stellte ich überrascht fest. Die Vorschaubilder sahen ja schon sehr eindeutig aus und ich musste schlucken. Vielleicht sollte ich doch lieber ein andermal nachschauen. Leider siegte meine Neugier und mutig wie ich war, klickte ich auf eines der Videos.

Na ja, fing ja schon mal ganz nett an. Ein unsagbarer Titel, der nichts erahnen ließ. Aha, ein Junge stand in der Gegend herum. An einer Bushaltestelle stand noch einer. Ich stellte fest, dass die beiden sich wohl kennen mussten. Zumindest war ich der Ansicht. Zu meinem Entsetzen kannten sie sich mehr als gut! Denn kaum zu hause angekommen, standen diese beiden Jungen schon heftig küssend im Flur und rissen sich die Kleider vom Leib.

Was danach folgte ließ mich die Augen aufreißen. Ich schluckte. Ich wusste nicht, dass solche Sachen mit Männern möglich waren. Immerhin war ich die Unschuld in Person.

Aufgeregt sah ich mir also meinen ersten Porno an. Kein hetero, kein Lesben, sondern einen Schwulen Porno.

Mein Kopf schien sich eigenständig zu machen, denn er näherte sich immer mehr dem Bildschirm, mein Mund weit aufgerissen, meine Augen ungläubig. Nach kurzer Zeit, in denen die beiden Jungs wohl so ziemlich alle möglichen Stellungen ausprobiert hatten und nebenbei ordentlich am Posen waren, schloss ich die Seite und blickte stumm auf das Desktopbild. Ein großer blauer Fisch glubschte mich an.

Hatte Elias etwa auch vor, solche Sachen mit mir anzustellen? Mir stellten sich die Nackenhaare auf und ich fuhr mir nervös durch die Haare. Was sollte ich denn jetzt bitte machen? Irgendwie sah das in dem Video sehr unschön aus. Ich seufzte.

Es hatte mir aber nicht missfallen, was Elias mit mir bisher angestellt hatte. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch sinken und sah den Fisch vorwurfsvoll an.

„Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte ich ihn. „Solche Sachen will ich nicht machen. Auch wenn ich Elias mag.“, grummelte ich. Keine Antwort.

„Sieh' mich nicht so an! Glaubst du im Ernst, dass ich so was mit Elias machen werde?“, fragte ich den Fisch entgeistert.

„Hast du sie noch alle? Das sieht echt schmerzhaft aus und außerdem ist das doch nicht normal, oder?!“

Der Fisch sah mich weiterhin mit großen Augen an. „Ich bin auch nicht normal, was?“, stellte ich höhnisch fest. „Ich bin 18 Jahre alt, aber ich fühle mich nicht wie ein 18-jähriger.“ Ich seufzte. „Ich bin ich, nicht wahr?“, fragend sah ich zu dem Fisch hoch, der mir eine menge Antworten schuldig war.

„Hat dir wohl die Sprache verschlagen, was? Tja, mir auch.“

Ich fuhr den Computer runter und ging vom Arbeitszimmer meiner Eltern ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ. Ich schaltete den Fernseher an und schaltete gleich auf einen Kindersender um. Powerpuff Girls. Die Sendung lief immer noch? Die habe ich sogar noch vor meinem Unfall gesehen. Ich zog mir die Doppelfolge rein und schlief nach einiger Zeit einfach vor dem Flimmerkasten ein.

Ich hatte einen ziemlich unruhigen Traum. Ich und Elias hatten plötzlich die Kleidung der Powerpuff Girls an und mussten gegen Bösewichte kämpfen. Wir waren ein gutes Team, verteidigten unsere Stadt und wurden als Helden gefeiert. Abends waren wir unter uns und Elias kam mir aus irgendeinem Grund immer näher. Ich rutschte jedes Mal ein paar Zentimeter von ihm weg. Er griff nach meiner Hand und zog mein Gesicht zu sich. Seine Lippen trafen meine und wir küssten uns lange und innig. Seine Hand machte sich an meiner Hose zu schaffen und glitt frech hinein. Ich stöhnte und genoss seine Liebkosungen. Er wollte gerade etwas sagen, als es plötzlich klingelte und ich wieder in der Realität war.

„Was denn, was denn?“, fragte ich mürrisch. Ich erhob mich und lief meine Augen reibend zur Haustür. Ich öffnete und bemerkte freudig, dass Elias dort stand.

„Hey, ihr zwei!“, meinte er grinsend.

Ich sah ihn einen Moment entgeistert an. Hatte er was getrunken? Ich wusste gar nicht, dass Elias Alkohol trank.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich ihn besorgt und betrachtete ihn genauer.

„Sollte ich das nicht eher dich fragen?“, fragte er mich belustigt. Ich verstand nicht ganz, was genau er meinte und sah ihn etwas verwirrt an. Ungerührt zeigte Elias auf mich. Nicht ganz auf mich, eher auf meine Körpermitte. Ich sah hinunter und erstarrte. Eine Beule hob sich deutlich in meiner Hose hervor. Ich lief knallrot an. Ich hatte es gar nicht richtig bemerkt. Musste wohl während des Traumes passiert sein.

Etwas verdattert und ratlos, stand ich nun vor Elias und wusste nicht mehr weiter. Elias griff nach meinen Schultern und schob mich zurück, damit er eintreten und die Haustür schließen konnte. Ich krallte meine Hände in meinen Pullover und starrte auf meine Erektion.

„Soll ich dir zur Hand gehen?“, fragte Elias mich und ich schüttelte vehement den Kopf. Ich musste wieder an das Video denken und mein Kopf glühte, dank der Hitze, die nun in mir aufstieg.

Ich verschwand schnellstmöglich im Bad. Allerdings stand ich nun vor dem Problem, dass ich nicht wusste, was ich machen sollte. Wie in dem Film, oder? Etwas nervös zog ich mir die Hose runter setzte mich auf die Toilette und versuchte mir das erste Mal selbst einen runter zu holen. Anfangs etwas ungelenk, hatte ich bald den Bogen raus, wie es mir am besten gefiel und stöhnte leicht. Vor Schreck hielt ich mir den Mund zu. Hoffentlich hatte Elias das nicht gehört. Ich horchte kurz, aber ich konnte keinen Laut vernehmen. Ich lehnte mich zurück und ging meiner Tätigkeit nach. Unbewusst leckte ich mir über die Lippen und schon nach kurzer Zeit erleichterte ich mich. Ich blieb noch einen Moment sitzen, ehe ich aufstand, mir die Hose hochzog und meine Hände wusch.

Als ich das Badezimmer verließ, schreckte ich zusammen. Elias stand direkt neben der Tür. Ich sah ihn mit großen Augen an. Er sagte nichts, lächelte mich nur wissend an und zog mich dann mit sich ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief noch. Er setzte sich aufs Sofa und zog mich zwischen seine Beine. Ich lehnte mich nach hinten, an seine Brust und schmiegte mich an.

„Gibts einen Grund, warum du hier bist?“, fragte ich ihn. Es war ja schon ein Highlight, dass er Lake nicht im Schlepptau hatte. Also war die Neugier umso größer.

„Du bist mein Grund.“, murmelte Elias und küsste meinen Nacken. Davon bekam ich sofort eine Gänsehaut. Ich versuchte meinen Kopf zu ihm zu drehen, aber da ich noch eine Weile am leben bleiben wollte, ließ ich es lieber. Außerdem ging das ganz schön auf den Nacken.

„Nicht mehr?“, hakte ich noch mal nach. Elias schüttelte den Kopf. „Nicht mehr.“, meinte er und legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. „Was läuft gerade?“, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. In trauter Zweisamkeit saßen wir auf dem Sofa und sahen uns das Nachmittagsprogramm des Kindersenders an. Elias machte sich in der Zwischenzeit daran, meinen Hals mit hübschen roten Knutschflecken zu verzieren. Ihn interessierten die Filme wohl nicht so sehr wie mich. Ich war stattdessen hin und weg, von Die Pinguine von Madagaskar und Kung Fu Panda. Mit leuchtenden Augen, sah ich mir die Folgen an und war ständig am Lachen.

Es fühlte sich gut an, mit Elias den Nachmittag zu verbringen. Wir taten nicht viel, aber so zusammen zu sein und zu kuscheln, war auch angenehm. Vergessen war das Video und all die anderen nicht gerade jugendfreien Spielchen, die wir sonst so trieben.

Zumindest hielt es solange an, bis das Telefon klingelte und ich mich ächzend aufraffte, um in den Flur zu gelangen.

„Hallo?“, brummte ich in den Hörer, ohne mich auch nur vorzustellen.

„Wer ist da?“, kam es ungläubig zurück. Ich runzelte die Stirn.

„Sollte ich das nicht eher dich fragen?“, grummelte ich. Ich fuhr mir mit der Hand über den Nacken und warf kurz einen Blick zu Elias, der mich interessiert beobachtete.

„Na hör mal, Tante Rachel meinte, ich soll heute anrufen.“, meinte die unbekannte Stimme angesäuert.

„Und du bist?“, fragte ich gereizt. Konnte der Trottel sich nicht mal richtig vorstellen? Was war so schwer daran? Das ich mich ebenfalls noch nicht vorgestellt hatte, überging ich einfach mal.

„Calvin Howard.“

Ich stutzte. „Die Heulboje?“, fragte ich entgeistert.

„Bitte was?!“, schnauzte mein Cousin mich hysterisch an. „Wie kannst du es wagen, mich so zu nennen?!“

Ich stöhnte und hielt den Hörer etwas außer Reichweite. Musste der Junge so laut brüllen? Meinen Ohren ging es gut, dann konnte er ja wohl auch mal etwas Rücksicht nehmen.

„Weil du früher ständig wegen jedem Kinkerlitzchen geheult hast.“, meinte ich nur, als er sich einigermaßen beruhigt hatte.

„...Sam?“

„Wer sonst? Jason ist ja so gut wie nie da.“, erwiderte ich genervt. Ich konnte ja verstehen, dass er nicht wissen konnte, wen er da am Hörer hatte, immerhin hatten wir seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus noch kein einziges Mal miteinander geredet.

„Du hörst dich so erwachsen an, wie soll ich da bitte wissen, ob ich mit Jason oder mit dir rede?“, meinte er nun etwas versöhnlicher.

„Ganz einfach, weil Jason grundsätzlich nicht ans Telefon geht.“, erklärte ich grinsend. Ich bemerkte etwas in meinem Augenwinkel und sah zu Elias, der mir verrückte und unverständliche Handzeichen gab. Ich musste breit grinsen und winkte ab.

„Wieso sollst du denn heute anrufen?“, fragte ich ihn.

„Ganz einfach, du Blitzmerker! Ich stehe hier am Flughafen und kein Schwein ist da, um mich abzuholen!“, schmetterte Calvin mir genervt entgegen. Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Und was sollte ich da jetzt großartig machen? Ich war nicht in der Lage ihn abzuholen.

„Tja, ich kann da nichts machen. Wieso nimmst du kein Taxi?“, fragte ich verwirrt.

„Weil ich dafür nicht genug Geld über hab.“, brummte er.

„Mum und Dad sind aber außer Haus.“, meinte ich. Ich warf einen kurzen Blick auf Elias, aber wenn ich mir vorstellte mit ihm in einem Auto zu sitzen, überkam mich wieder die angst und so ließ ich den Vorschlag gleich außen vor. Ich hing an meinem Leben, da würde ich ganz sicher nicht so schnell noch einmal mit Elias fahren.

„Ganz toll! Dann kann ich ja warten, bis sie heute Abend irgendwann mal zu potte kommen und mich hier abholen! Soll ich etwa die ganze Zeit hier sitzen und warten?!“, schrie er wieder in den Hörer. Ich zuckte mit den Schultern.

„Was anderes wird dir wohl nicht übrig bleiben.“, meinte ich ungerührt. Von mir aus hätte er auch gleich wieder zurück nach Hause fliegen können. Wütend legte er kurz darauf auf.

Ich sah fies grinsend zu Elias. „Hätte ich Calvin sagen sollen, dass der Flughafen nur etwa neun Minuten von hier entfernt liegt?“

Zweisamkeit liebt Einsamkeit.




1 Stunde, 34 Minuten und 27 Sekunden. So lange musste ich warten und so lange brauchte Calvin an diesem Morgen im Badezimmer. Nicht einmal meine Mutter verbrachte so viel Zeit im Bad!

Unruhig lief ich vor dem Badezimmer auf und ab. Elias wollte heute mir mir ins Kino gehen und ich wollte rechtzeitig fertig sein. Wie es momentan aussah, würden wir heute wohl nie ankommen. Ich stampfte ungeduldig mit den Füßen auf und klopfte an die Tür. Hämmern traf es eher.

„Calvin mach hinne!“, brüllte ich angesäuert. „Du bist ein Junge, was brauchst du so lange im Bad?!“

Keine Antwort. Dann wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Calvin sah mich arrogant an. Missmutig sah ich zu ihm auf.

„Ich will nun mal nicht so aussehen wie du.“, meinte er schnippisch und fassungslos sah ich ihn an. Wie konnte er es wagen, so mit mir zu sprechen?!

„Weißt du, die lange Zeit im Bad lässt dich auch nicht viel besser aussehen!“, meinte ich wütend und schob ihn zur Seite, lief flink in den Raum und verschloss schnell die Tür hinter mir.

Okay, Elias verbrachte morgens auch total viel Zeit im Bad, aber der sah echt toll danach aus. Auch wenn ich eine Weile brauchte, um mich an seinen düsteren Kleidungsstil zu gewöhnen. Das war wirklich nicht einfach. Aber seine Haare waren jetzt so schön wuschelig, früher hatte er sie ganz kurz geschnitten getragen. Und seine Klamotten waren auch eher langweilig, jetzt trug er ganz enge Jeans und Shirts. Wenn er noch etwas zunehmen würde, würde es echt klasse aussehen.

Ich betrachtete mich mal wieder vor dem Spiegel. Ausnahmsweise in voller Montur. Ich fuhr mir mit der Hand durch meine gefärbten Haare. Was fand Elias so toll an mir? Sollte er nicht lieber mit einem hübschen Mädchen seine Freizeit verbringen? Wir waren doch nur Kindheitsfreunde. Oder versuchte er wieder so befreundet mit mir zu sein, wie früher? Aber dann würde er mich nicht küssen oder andere Sachen mit mir anstellen, oder?

Elias erschien mir um so vieles reifer als ich. Ich war immer noch ziemlich kindlich, regte mich über alles mögliche auf und benahm mich gar nicht wie ein Junge in meinem Alter.

Ich seufzte. War es überhaupt okay, so viel Zeit mit Elias zu verbringen? Wenn ich so an das Video dachte, wollte ich ihm nicht so gern Hoffnungen machen. Machte er sich jetzt überhaupt schon Hoffnungen? Wenn ja, wäre das schlecht. Nur für wen? Für mich oder ihn?

Ob ich darüber mal mit Abby oder Hanna reden sollte? Irgendwie wollte ich das nicht. Sie würden sich gleich denken, dass sie doch recht gehabt hatten in ihren Vermutungen. Und den Triumph wollte ich ihnen bestimmt nicht überlassen.

In letzter Zeit dachte ich einfach zu viel nach, früher hatte ich mir um nichts und niemanden Gedanken gemacht. Das sollte ich vielleicht auch besser wieder tun. Bei meinen Gedanken kam sowieso zurzeit nichts Gescheites raus.

Ich machte mich schnell fertig, Katzenwäsche, Zähneputzen, Kleidungswechsel und fertig war ich. Pünktlich auf die Minute stand ich also im Wohnzimmer auf der Matte und von Elias war weit und breit keine Spur zu sehen. Ungeduldig sah ich aus dem Fenster in die Einfahrt. Wo blieb er denn? War ihm etwas dazwischen gekommen? Ich trommelte mit meinen Fingern auf der Glasscheibe herum.

„Sam, kannst du das bitte unterlassen? Das geht mir tierisch auf die Nerven! Elias kommt schon noch!“, schnauzte meine Mutter mich an. Ich warf ihr nur einen gekränkten Blick zu. Nur, weil sie heute so schlechte Laune hatte, musste sie mir meine doch nicht auch gleich verderben.

Ich wand meinen Kopf um und wartete weiter auf Elias. Stur sah ich nach draußen. Das Wetter heute sah auch nicht so berauschend aus. Es war leicht bewölkt. Ich wollte aber unbedingt etwas mit meinem Freund unternehmen. Wir mussten in einen Kinderfilm, weil ich noch keine härteren Filme vertrug und mir jedes Mal vor angst beinahe in die Hose machte. Nachts tat ich dann kein Auge zu und krabbelte immer noch manchmal zu meinen Eltern ins Bett, auch wenn es sie beinahe raus warf, da drei Erwachsene dafür einfach zu viel Platz brauchten.

„Sam, ihr könnt ja Calvin mitnehmen.“, schlug meine Mutter vor und mir stellten sich die Nackenhaare auf.

„Wieso?“, fragte ich sie entsetzt und sah sie mit großen Augen an.

„Na, ihr könnt ihm doch mal ein wenig die Gegend zeigen. Und er hat hier ja auch keine Freunde. Es macht sicher Spaß mit mehreren.“, erklärte sie und lächelte.

„Aber ich will was mit Elias machen.“, meinte ich enttäuscht. Ich wollte mit ihm allein sein und nicht meinen doofen Cousin an schleppen.

„Ins Kino könnt ihr auch zu dritt gehen. Ihr schaut euch nur einen Film an, mehr nicht.“, meinte sie schulterzuckend.

Mürrisch schürzte ich meine Lippen. „Vielleicht will er ja gar nicht mitkommen.“, meinte ich erbost.

„Mitkommen? Wohin?“, fragte Calvin plötzlich und steckte seinen Kopf ins Wohnzimmer. Er kam zu uns und setzte sich neben meiner Mutter aufs Sofa. Ich sah ihn nur ungnädig von meinem Platz aus an.

„Elias und Sam gehen ins Kino. Möchtest du mitgehen?“, wandte sich meine Mutter nun an Calvin. So eine Verräterin! Das hatte sie doch alles genau eingeplant!

„Klar, warum nicht? Ich habe heute sowieso nichts zu tun. Der Unterricht beginnt ja erst morgen.“, meinte Calvin freudig.

Ich sank in mich zusammen. Hoffentlich würde es noch einmal anfangen zu regnen, und Calvin würde von einem Blitz getroffen werden, oder so. Ich bemerkte Elias und stand hastig auf. Hätte ich wohl lieber mal lassen sollen, denn ich fiel der Länge nach auf den Teppich.

„Was wird das?“, fragte Calvin mich ungläubig. Ich sah ihn nur an und streckte ihm einfach die Zunge raus.

„Samuel!“, wies meine Mutter mich zurecht.

Ich ignoriert sie und rappelte mich auf. Dann rannte ich so schnell ich konnte über den Flur und riss die Tür auf. Meine Freude blieb leider auf der Strecke. Elias hatte ebenfalls ein Anhängsel und so erblickte ich missmutig Lake hinter ihm. Wollten wir nicht etwas alleine unternehmen? Wieso hatte er dann Lake dabei?

Enttäuscht sah ich zu Elias. Er sah mich entschuldigend an.

„Er stand einfach vor meiner Tür. Ich hatte vergessen Lake zu erzählen, dass wir zwei schon etwas vorhaben.“, erklärte er und fuhr sich verlegen mit der Hand durch die Haare. Ich verzog mein Gesicht zu einer Schnute und ließ beide widerwillig ins Haus eintreten.

Meine Mutter kam zu uns in den Flur. „Hallo Elias. Hast du einen Freund mitgebracht? Das ist ja schön. Calvin kommt nämlich auch mit.“, meinte sie erfreut.

Nun war es an Elias mich überrumpelt anzusehen. Ich erwiderte seinen Blick angesäuert. Er lächelte leicht, was mich augenblicklich meine Wut vergessen ließ.

„Dann eben zu viert.“, meinte er und nickte mir leicht zu. Ich tat es ihm gleich. „Wollen wir dann?“, fragte er. Meine Mutter rief nach Calvin, der auch sofort zu uns kam und Elias und Lake etwas scheu begrüßte. Mit zwei Emos hatte er wohl nicht gerechnet. Auch wenn mir dieses Wort immer noch nichts sagte. Vielleicht sollte ich Elias mal fragen, ob er es mir erklärte?

Aber erst mal musste ich diesen ungnädigen Tag überleben, der es gar nicht gut mit mir meinte. Irgendjemand hatte sich da mächtig gegen mich verschworen. Hatte ich irgendetwas angestellt, dass ich so etwas verdient hatte? Wollte irgendjemand Krieg mit mir führen? Schön, den könnte er kriegen! So leicht gab ich mich nicht geschlagen!

Mühselig schlüpfte ich in meine Schuhe. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr auf den Kinobesuch. Nicht mit Lake und Calvin an den Hacken. Das würde wahrscheinlich eh kaum Spaß bereiten. Wie sollten ich und Elias dann noch Zeit miteinander verbringen können? Zumal wir eigentlich etwas allein unternehmen wollten.

Wir verließen das Haus und fuhren mit der Straßenbahn in die Stadt. Was mich irgendwie störte, war, dass Lake Elias dauernd am Rockzipfel hing. Ich kam gar nicht dazu, mal mit Elias auch nur ein Wort zu wechseln. Enttäuscht ließ ich mich also von Calvin zureden, der schon längst dabei war, alle möglichen Dinge aufzuzählen, die er mir die nächsten Monate beibringen wollte. Konnte er damit nicht morgen anfangen? Meine Stimmung war doch schon längst auf dem Nullpunkt angekommen.

Wir liefen quer durch die Stadt, bis wir endlich vor dem Kino ankamen. Lake und Calvin waren ziemlich aufgebracht, dass sie wegen mir, einen harmlosen Kinderfilm ansehen mussten. Geknickt ließ ich ihre Schimpftiraden über mich ergehen.

„Wenn ihr keine Lust habt. Könnt ihr euch ja etwas anderes ansehen.“, meinte Elias stur. „Ich werde mir jedenfalls mit Sam diesen Film anschauen!“

Lake und Calvin sahen sich nur genervt an. Irgendwie schienen sie sich nicht besonders zu mögen, stellte ich fest. Sie wollten anscheinend auch nicht zusammen etwas machen, also liefen sie ergeben hinter uns her. Elias ging gleich zur Kasse und bezahlte unsere Karten. Dann nahm er mich an der Hand, verschränkte unsere Finger miteinander und lief mit mir voraus zu den Verkäuferinnen, bei denen wir uns erst mal mit lauter Süßigkeiten, Popcorn und Cola ausrüsteten.

Wir fanden unsere Plätze und warteten darauf, dass die Werbung hoffentlich bald ihr ende fand. Ich war schon wieder etwas besser drauf, denn ich konnte jetzt neben Elias sitzen.

„Tom Sawyer...das Buch dazu habe ich schon ewig nicht mehr gelesen.“, meinte Elias. Ich sah auf, während ich mir schon fleißig Popcorn in den Mund stopfte und dicke Hamsterbacken bekam. Elias lächelte.

„Wenn ich meine Finger in die Wangen presse, schießt du dann mit Popcorn auf mich?“, fragte er grinsend. Ich versuchte meine Lippen aufeinander zu pressen und schüttelte heftig den Kopf. So etwas würde ich bei Elias niemals tun!

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Calvin schon dabei war Lake zu zutexten. Der war mehr als genervt davon und sah aus, als würde er gleich die Flucht ergreifen. Gut so!

„Hey, wo schaust du hin? Hier sitzt ein rattenscharfer Typ vor dir!“, meinte Elias belustigt und zog mein Gesicht zu sich herüber. Ich lief leicht rot an, als sich unsere Blicke trafen.

„Ich würde dich ja gerne küssen, aber die Frau hinter dir sieht aus, als würde sie mich köpfen, wenn ich es vor den Augen ihrer kleinen Tochter machen würde.“ Er lachte und ich drehte mich um. Die Frau sah uns mit kraus gezogener Stirn mahnend an, ihre Tochter beobachtete uns interessiert. Ich versuchte mich an einem Lächeln, allerdings ließen meine Hamsterbacken nicht viel zu. Ich drehte mich wieder zu Elias und kaute erst mal ordentlich alles klitzeklein, bis ich mich weiter vollstopfen konnte.

Elias strich mir durch die Haare. Ich sah kurz auf und bemerkte seinen Blick. „Was ist?“, fragte ich ihn mit großen Augen.

„Nichts. Es ist nur so amüsant, dir beim Essen zuzusehen.“, erklärte er. „Du bist echt niedlich!“

Ich knabberte leicht auf meiner Unterlippe. „Ich bin nicht niedlich.“, meinte ich mürrisch. Tierbabys waren niedlich, aber ich doch nicht! Ich war ein Junge. Ich wollte viel lieber cool sein, als niedlich!

„Was bist du denn dann?“, fragte er mich leise. Ich überlegte einen Augenblick. Er kraulte mir noch immer den Kopf und ich kam mir vor, als würde er mich als Hundeersatz betrachten. Ich musste jedoch auch zugeben, dass es sich gut anfühlte. Fehlte nur noch, dass ich anfing zu schnurren.

„Dein bester Freund.“, meinte ich achselzuckend. Ich sah wieder zu ihm und steckte ihm Popcorn in den Mund. Elias leckte mir kurz über die Finger.

„Seinen besten Freund küsst man aber nicht, man bekommt auch keinen Blowjob von ihm.“, erklärte Elias mir. Ich hörte hinter mir ein hysterisches Räuspern und drehte mich zu der Mutter um.

„Entschuldigung, aber hier sind kleine Kinder! Könntet ihr euch bitte etwas zügeln? Ansonsten wäre es nett, wenn ihr das Gespräch draußen fortführen würdet!“, sagte sie ernst und duldete keinen Widerspruch. Ergeben nickten wir. Zu unserem Glück begann in dem Moment der Film und so waren alle Parteien abgelenkt.

Elias griff nach meiner Hand und küsste kurz meinen Handrücken. Ich beobachtete ihn dabei. Auf den Film konnte ich mich schon gar nicht mehr konzentrieren. Wenn wir nicht beste Freunde waren, was waren wir denn dann? Es bedrückte und verwirrte mich zugleich. Elias schien meine Unaufmerksamkeit zu bemerken und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich kuschelte mich an ihn und versuchte mich nun doch mal dem Film meine Aufmerksamkeit zu schenken.

Während des Films ging Elias kurz auf die Toilette. Erstaunlicherweise verschwand Lake kurze Zeit später ebenfalls. Was hatte das denn zu bedeuten? Calvin störte es nicht weiter. Er war viel zu sehr in den Film vertieft. So bemerkte er auch nicht, dass ich mich aus dem Staub machte. Ich verließ den Kinosaal und sah mich draußen auf dem Gang um, aber die beiden Jungs waren weit und breit nicht zu sehen. Ich ging zu den Toiletten, in der Hoffnung sie dort anzutreffen. Ich konnte Stimmen hören und wagte es aus irgendeinem Grund nicht einzutreten. So blieb ich vor dem Männerklo stehen und lauschte angespannt. Ich erkannte Elias und Lakes Stimmen, worüber sprachen sie?

„Nichts.“, meinte Elias.

„Nichts? Das sah mir aber nach mehr als nichts aus!“, wetterte Lake wütend. Wieso war er so aufgebracht?

„Reg dich nicht auf. Es ist meine Sache. Es geht dich im Grunde genommen gar nichts an.“, erwiderte Elias seelenruhig. Er schien sich die Hände zu waschen.

„Weißt du noch, was bei deiner letzten Affäre raus gekommen ist?! Der Typ war nicht ganz dicht und jetzt bist du mit Sam zusammen. Mit dem stimmt auch irgendwas nicht! Die ziehen dich runter und machen dich kaputt! Willst du das wirklich, dass es wieder so los geht?!“, schimpfte Lake auf ihn ein.

Eine Affäre? Elias hatte eine Affäre? Was hieß das? In meinem Gehirn herrschte zu diesem Wort gähnende Leere. Mist. Ausgerechnet dann, wenn man es brauchte, wusste man die Antwort nicht! Ich würde es zu hause nachschlagen müssen.

„Woher sollte ich das denn bitte wissen? Kann man doch nicht vorher feststellen, wie so'n Typ in Wirklichkeit drauf ist.“, erklärte Elias sich.

„Das merkt man doch! Der Typ war dermaßen von aufdringlich! Aber du warst verliebt und hast überhaupt nicht mehr klar sehen können!“

Elias war verliebt? In wen? Irgendwie zog sich bei dem Gedanken etwas in meiner Brust zusammen. Nur wieso? Sollte ich mich nicht für Elias freuen? Es war doch ganz natürlich, dass er sich mit anderen Menschen außer mir treffen würde. Er verliebte sich in jemanden und würde heiraten. War doch ganz normal? Moment. Sprachen sie nicht von einem Jungen? Sofort kamen in mir die Videos in Erinnerung. Hatten sie etwa auch solche Sachen miteinander angestellt? Mir wurde plötzlich ganz flau im Magen.

„Was hat das alles überhaupt mit Sam zu tun?“, fragte Elias mürrisch.

„Das weißt du ganz genau! Du bist in letzter Zeit nur für ihn da und sorgst dich um ihn. An dich und dein Wohlergehen denkst du gar nicht! Genau so lief es auch mit Ryan ab. Du hast nur an ihn gedacht und nicht mehr an dich. Deswegen bist du auch so zusammen gebrochen und bei Sam wird es auch wieder passieren!“, wetterte Lake auf Elias ein.

Ryan. So hieß der Junge. Der Junge den Elias liebte. Ich wusste nicht wohin mit meinen neu aufkommenden Gefühlen. Was war das? Es war anders, als meine Eifersucht auf Lake. Von ihm brauchte ich nichts zu befürchten, aber dieser Ryan machte mir ziemliche Sorgen.

„Bei Sam ist das was anderes. Wir sind Freunde, seit Kindertagen. Wir sind durch dick und dünn gegangen. Na ja, und dann war da der Unfall...“

„Gibst du dir immer noch die Schuld dafür?“, fragte Lake genervt.

Ich sank vor der Tür zu Boden. Hieß das Elias war nur so nett und hilfsbereit zu mir, weil er sich mies fühlte? Weil er dachte, er wäre schuld an dem Unfall? Mir stiegen die Tränen in die Augen. Er war also gar nicht an mir interessiert. Er wollte alles wieder bei mir gut machen. Deswegen meinte er auch, wir wären keine besten Freunde mehr. Ich fühlte mich mies und war kurz davor zu heulen.

Ich stand hastig auf und machte mich auf den Weg zum Kinosaal. Ich holte vorher noch einmal tief Luft und ging dann zurück zu meinem Platz. Vor Calvin ließ ich mir nichts anmerken. Er bemerkte sowieso nicht, was um ihn herum geschah.

Ich starrte auf die riesige Leinwand, aber ich sah den Film nicht. Ich war in Gedanken versunken und wusste nicht, wie ich mich gleich gegenüber Elias verhalten sollte. Sollte ich so tun, als wäre nichts geschehen? Sollte ich ihn besser darauf ansprechen, dass ich das Gespräch belauscht hatte?

Nach einigen Minuten kamen Elias und Lake zurück. Ich sah nicht auf, sondern starrte weiterhin auf die Leinwand. Elias schien nichts zu bemerken. Er legte mir den Arm wieder über die Schultern und zog mich näher an sich. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, auch wenn es mir schwer fiel. Ich wollte einfach nur nach Hause. Meine Stimmung war dahin. Ich habe Dinge erfahren, die ich gar nicht wissen wollte. Was war denn nur passiert? Waren 12 Jahre wirklich so eine lange Zeit? Was mich am traurigsten machte, war, dass ich Elias im Grunde genommen überhaupt nicht kannte. Er war anders, als früher. Er war nicht mein Elias. Und auch wenn Abby meinte, ich sollte ihn so nehmen wie er war. Es fiel mir schwer.

„Elias, ich möchte nach Hause.“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Er sah mich kurz überrascht an. Er wusste ja auch nicht, was mit mir los war.

„Aber der Film...?“

Ich sah ihn stumm an. Dann nickte er und wandte sich kurz um, um Calvin etwas zuzuflüstern. Der nickte und sprach Lake an. Lake sah uns angepisst an, nickte aber. Elias griff nach seiner Jacke und meiner Hand und zog mich dann hinter sich her aus dem Kino.

Es war frischer als vorhin und ich beschloss meine Jacke überzuziehen. Elias tat es mir gleich und ergriff dann meine Hand. Der Tag hatte gerade erst angefangen, aber es sah schon ziemlich nach Regen aus. Hoffentlich kamen wir noch vor dem Schauer zu hause an?

Während wir stumm die Straße hinunter liefen, um zur Straßenbahn zu gelangen, betrachtete ich meine Hand in der von Elias. Mir fiel auf, dass sie anders war. Nicht so eine raue Männerhand, wie die von meinem Vater. Eher zierlich, aber doch immer noch die Hand eines Jungen. Mir war auf einmal nicht mehr danach, seine Hand zu halten. Nur wieso?

Wir kamen an der Station an und mussten feststellen, dass es noch eine Weile dauern würde, bis die nächste Bahn kam. Wir hatten unsere nämlich um ein paar Minuten verpasst. Also setzten wir uns auf die Bänke und ich versteckte meine Hände sofort in meinen Jackentaschen. Aber auch so kam ich nicht von Elias weg, denn er rutschte näher an mich heran, so dass sich unsere Schultern und Beine berührten.

Ich sah stur geradeaus, auf die Straße. Gab ja auch wirklich viel zu sehen. Beton, weiße Streifen auf der Straße, eine todesmutige fette Taube und ab und an mal ein Auto, dass an uns vorbei fuhr. Ich gähnte und plötzlich spürte ich ein Gewicht auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und sah, dass Elias seinen Kopf auf meiner Schulter abgelegt hatte. Er war auf einmal so nahe. Ich betrachtete seine geschlossenen Augen. Er sah so friedlich aus. Am liebsten würde ich ihm durch die fluffigen Haare streichen, aber ich tat es nicht. Meine Hände blieben an ihrem Platz. Als wäre nichts geschehen, sah ich wieder auf die Straße zurück.

Nach einiger Zeit kam unsere Bahn. Elias hatte es wirklich fertig gebracht einzuschlafen. Der konnte wohl wirklich überall schlafen. Mir fiel ein, dass er in der ersten Nacht bei mir, auch sofort eingeschlafen war. Ich musste an den Gedanken, was wir damals angestellt hatte, breit grinsen. Elias bemerkte es nicht, da ich vor ihm einstieg. Wir setzten uns ganz nach hinten und ich pflanzte mich direkt vor das Fenster. Erste Regentropfen prasselten leicht, kaum hörbar gegen das Glas. Ich sah zu, wie einzelne Tropfen sich selbstständig machten und die Scheibe herunterliefen.

Jetzt waren Elias und ich endlich allein und es war einfach nur doof. Nichts lief so, wie ich mir den heutigen Tag vorgestellt hatte. Wer auch immer sich gegen mich verschworen hatte, er oder sie, hatte diesen Krieg wohl gewonnen. Und ich hatte mich nicht einmal richtig gewehrt, sondern den tödlichen Stich auch noch mehr oder weniger zugelassen. Als hätte ich regelrecht darauf gewartet. Wo war mein Kampfgeist? Wieso ließ er mich ausgerechnet heute im Stich?

Ich schluckte. Ich hatte nicht den Mut Elias auf sein Gespräch mit Lake anzusprechen. Ich kam mir so erbärmlich vor. Immer riss ich meine Klappe weit auf, aber wenn es mal nötig war, brachte ich keinen einzigen Ton über meine Lippen. Ehrlich gesagt, hatte ich auch keinen blassen Schimmer, wie ich es angehen sollte, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, mich zu blamieren oder es so zu gestalten, dass es nicht in einem Streit enden würde.

Ich wollte wirklich gerne mit Elias befreundet sein. Wieso sah er das nicht genau so wie ich? Ich konnte mich nicht mal an meinen Unfall erinnern. Wieso konnte er es dann nicht einfach auf sich beruhen lassen? Ich nahm ihm doch gar nichts übel! Ich wollte einfach nur meine Zeit mit ihm verbringen.

Ich bemerkte ein zupfen an meiner Jacke und drehte Elias meinen Kopf zu. Er hakte sich bei mir unter und lehnte sich näher an mich heran. Er lächelte mich so lieb an, dass ich am liebsten alles vergessen wollte. Wieso bin ich ihm nur nachgelaufen? Dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen. Das war alles nur Lakes schuld! Jedes Mal, wenn er auftauchte, gab es nichts als ärger!

„Ich komm noch mit zu dir, okay?“ Elias Stimme holte mich zurück aus meiner Gedankenwelt, die inzwischen für meinen Geschmack viel zu große Ausmaße angenommen hatte. Früher hatte ich mir um nichts Gedanken gemacht, jetzt tat ich es schon bei der kleinsten Veränderung. Ich wusste nur nicht, ob das gut oder schlecht war.

„Okay.“, erwiderte ich unwillig. Man schien es mir anzumerken, denn Elias sah mich prüfend an.

„Was ist dir denn plötzlich für eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragte er. „Liegt es daran, dass Calvin und Lake mitgekommen sind? Oder am Film? Du wolltest plötzlich so schnell nach Hause. Wirst du krank?“ Er wollte meine Stirn befühlen, aber ich stieß seine Hand genervt weg.

„Ich bin nicht krank!“, maulte ich. Elias sah mich weiterhin unerbittlich an. Da konnte er lange warten, bis ich mal etwas von mir geben würde. In der Hinsicht war ich ein echter Dickschädel.

„Na, dann eben nicht.“, meinte er eingeschnappt. Er stand auf und ich bekam Panik, bis ich bemerkte, dass wir unsere Haltestelle erreicht hatten. Ich stand hastig auf und lief Elias hinterher.

„Warte!“, rief ich ihm zu, als er schon ein kleines Stück voraus gegangen war. Er drehte sich zu mir um. Diesen Blick kannte ich nicht von ihm. Es machte mir irgendwie angst, wie er mich ansah.

„Wir haben uns immer alles erzählt, weißt du noch?“ Ich starrte ihn nur an. „Ich habe ja nichts dagegen, wenn du etwas für dich behalten möchtest. Das kann ich ja auch verstehen, dass man jemandem nicht alles erzählen möchte. Aber ich dachte...“, er brach ab. „Vergiss es!“

Elias drehte sich wieder um und ging weiter. Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Was war das denn jetzt? Ich rannte Elias hinterher und hielt ihn am Jackenärmel fest. Abrupt bliebt er stehen und ich prallte gegen ihn. Er sah zu mir herunter und ich starrte direkt in seine dunklen Augen. Ich schluckte und sah ihn nervös an. Dann fasste ich all meine Mut zusammen.

„Wer ist Ryan?“

Kümmer dich um deine Freunde und um deine Feinde erst recht!




Ich hasste Regen, besonders dann, wenn er in einem äußerst ungelegenem Zeitpunkt eintraf. Nämlich genau jetzt! Trotzdem rührten wir uns nicht vom Fleck. Der Regen nahm langsam zu. Es würde wohl noch schlimmer werden. Wer wusste das schon. Nur irgendwie schien um Elias und mich die Zeit stillzustehen. Wir sahen uns stumm in die Augen.

Elias öffnete die Lippen um etwas zu sagen, doch er presste sie wieder aufeinander und sah mich, ohne ein Wort zu sagen, an.

„Elias, rede mit mir! Wer ist Ryan?“, fragte ich ihn eindringlich.

„Du hast uns belauscht.“, stellte Elias fest. Ich nickte daraufhin nur. Was sollte ich auch großartig sagen? Es entsprach ja der Wahrheit und ich war nun mal nicht der beste Lügner. Man sah es mir sofort an, wenn ich versuchte etwas zu verbergen.

Der Regen nahm langsam zu. Wollten wir die ganze Zeit hier herum stehen? Wollte Elias mir heute überhaupt noch einmal antworten?

Ich sah ihn abwartend an, aber es kam noch immer kein Wort von ihm. Schön, wenn er nicht reden wollte, bitte! Keiner zwang ihn dazu! So viel zu seinen Worten von eben, wir würden uns alles erzählen!

Ich setzte mich in Bewegung und wollte wütend an ihm vorbei gehen. Schaffte ich sogar um ein paar Zentimeter. Dann packte er mich am Ärmel. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht. Inzwischen hingen ihm die durchnässten Haare über die Augen.

„Ich erzähle es dir, wenn wir im Trockenem sind.“, meinte er. Ich nickte. Er ließ seine Hand über meinen Arm gleiten, bis hinunter zu meiner Hand. Er verschränkte unsere Finger miteinander und automatisch verfestigte ich meinen Griff. Für mich war es immer noch nichts besonderes Hand in Hand zu laufen. So etwas hatte ich früher ständig mit meinen Eltern und Elias gemacht. Ich sah darin keinen Unterschied. Elias schon. Nur wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Er lief vor mir und zusammen rannten wir die Straße entlang, vorbei an den Einfamilienhäusern, den Vorgärten und viel zu teuren Autos. Mir fiel auf, dass Elias sich nie wirklich Gedanken um unsere Verhältnisse gemacht hatte. Immerhin waren meine Eltern schon fast reich, könnte man sagen. Seine Mutter hingegen hatte einen schlecht bezahlten Job. Er lebte in einfachen Verhältnissen und trotzdem waren wir unzertrennlich.

Ich ließ mich von Elias mitschleifen. Was blieb mir auch anderes übrig, wir wollten ja zum selben Ort. Wir würden das Haus ganz für uns haben. Meine Mutter müsste schon längst bei ihrer Freundin sein, der sie mal wieder einen Besuch abstatten wollte. Auch gut, dann würde sie keine Fragen stellen, wieso wir schon zurück gekommen sind. Und mein Vater versuchte mal wieder seine Autos an den Mann zu bringen.

Wir rannten die Einfahrt hoch und blieben fröstelnd vor der Haustür stehen. Ich fischte in meinen Jackentaschen nach dem Schlüssel, fand ihn und schloss auf. Im Flur entledigten wir uns schnell unserer Schuhe und Jacken und sofort schob Elias mich ins Bad.

Er ließ Wasser ein und zog mir gleich den Pullover über den Kopf. Ich stand etwas überrumpelt im Raum. Hatte er etwa vor zusammen zu baden? Meine Augen weiteten sich. Anscheinend ja, denn er zog sich schon im nächsten Moment die Klamotten vom Leib. Ein Stück nach dem Anderen landete auf dem Fliesenboden. Ich sah ihn nur sprachlos an. Seit wann zierte er sich nicht mehr so in meiner Gegenwart? Seit dem Vorfall in seinem Zimmer? Ich wusste es nicht. Ich fand es nur interessant, dass ich immer wieder neue Seiten an Elias entdecken konnte. Da ich nichts tat, ging Elias auf mich zu und öffnete meinen Hosenknopf und zog den Reißverschluss herunter. Die Hose samt Boxershorts zog er mir mit einem Ruck von der Hüfte und ich bekam augenblicklich einen hochroten Kopf.

Elias hockte genau vor meiner Körpermitte und dummerweise fiel mir eine Szene aus dem Porno ein, den ich heimlich gesehen hatte. Nervös sah ich woanders hin. Elias schien nichts zu bemerken. Er war vollkommen mit meinen Socken beschäftigt.

Als genug Badewasser eingelassen und schön viel Schaum auf der Oberfläche zu sehen war, gab Elias mir einen Klaps auf den Hintern und verdeutlichte mir damit wohl, ich sollte rein hüpfen. Vorsichtig stieg ich in die Wanne. Ich hatte das Gefühl immer noch seine Hand zu spüren. Ich sollte dringend an etwas anderes denken!

Elias gesellte sich mir gegenüber in die Wanne und rutschte etwas näher an mich heran. Er legte seine Arme überkreuzt auf meinen Knien ab und sah mir geradewegs in die Augen. Ich starrte stumm zurück. Was hatte er vor?

„Ich war auf einer Party. Es war voller Leute und der Alkohol floss in Strömen. Wir haben uns volllaufen lassen. Lake und ich. Lake hatte irgendwann ein Mädchen an der Angel. Nach einer Weile sind sie dann irgendwann verschwunden.“, begann Elias.

Ich nickte nur. Wen interessierte schon Lake? Ich wollte wissen, was Elias mit diesem anderen Typen zu schaffen hatte!

„Ich hab Ryan auf dieser Party kennen gelernt. Wir sind ins Gespräch gekommen. Nicht richtig, wir waren ziemlich besoffen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass ich schwul bin und hatte mich auch schon vor meinen Freunden und meiner Mutter geoutet.“, erzählte Elias weiter. „Er schien ebenfalls auf Männer zu stehen, das konnte ich an seinen Blicken merken. So wie er mich die ganze Zeit betrachtet hatte.“

Ich beugte mich vor und legte meinen Kopf auf Elias Armen ab. Aufmerksam sah ich ihn an. Er zog eine Hand heraus und griff in meine Haare, zwirbelte sie und zog leicht daran.

„Was ist dann passiert?“, fragte ich ihn. Er sah mich an. Leicht verständnislos. Dann schien er es zu realisieren und sah mir ernst ins Gesicht.

„Wir hatten Sex.“

Mein Lächeln auf dem Gesicht fror augenblicklich ein. Ich zog mich etwas zurück und lehnte mich an den Badewannenrand. Er hatte also solche Sachen mit Ryan gemacht. Meine Mundwinkel zogen sich nach unten.

„Und dann?“, fragte ich und versuchte dabei unbekümmert zu wirken, was ich ganz und gar nicht war.

„Na ja, wir hatten uns danach öfter mal getroffen. Irgendwann waren wir in einer festen Beziehung. Wir hatten uns geliebt und waren ständig zusammen...“

Ich sah Elias an. Er schien irgendwelchen Erinnerungen nachzuhängen. Mein Magen zog sich zusammen. Ich wusste nur nicht warum. Ich schnippte mit den Fingern und holte ihn prompt in die Realität zurück.

„Da ist doch noch irgendwas, oder?“, fragte ich ihn und sah ihn unerbittlich an. Er holte tief Luft.

„Irgendwann ging es halt los, dass ihm Kleinigkeiten nicht passten. Er begann mich zu kontrollieren. Es passte ihm nicht, dass ich so oft mit Lake abhing. Er rief mich ständig auf dem Handy an, um zu erfahren wo ich wäre und wann ich zurück kommen würde. Ich dachte anfangs nur, er würde sich sorgen machen, aber er trieb es mit der Zeit immer weiter. Er verfolgte mich heimlich, oder versuchte mich im Haus zu halten. Er hat mich manchmal im Schlafzimmer eingesperrt.“, erklärte Elias.

Es fiel mir schwer zu zu hören. Mir war ganz schlecht. Elias tat mir so Leid, wieso musste er so etwas durchmachen?

„Irgendwann habe ich Lake mal erzählt, dass Ryan mich geschlagen hatte. Er dachte, ich hätte eine Affäre mit Lake.“

Sofort galt all meine Aufmerksamkeit Elias. Affäre. Darüber hatte er mit Lake im Kino gesprochen. Elias und Lake konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich wollte es auch gar nicht. Allein bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut.

„Lake ist ausgeflippt. Er hat Ryan zur Rede gestellt und ich weiß nicht mehr. Ryan hatte damals irgendetwas dummes gesagt. Lake hat die Kontrolle über sich verloren und ihn verprügelt. Irgendwie ging alles drunter und drüber, sogar die Polizei ist gekommen. Lake hat Ryan gedroht, sollte er mir noch einmal zu nahe kommen, würde er ihn umbringen. Und ich glaube es ihm sogar.“

Elias ließ seine Finger auf dem Wasser spazieren gehen. „Seitdem hält er sich fern von mir, aber ich weiß, dass er mich immer noch auf Schritt und Tritt verfolgt.“ Er sah zu mir auf und seine Augen weiteten sich.

„Sam, wieso weinst du?“

Ich sah ihn sprachlos an. Tat ich das? Ich hob meine Hand zu meinem Gesicht und betastete meine Wangen. Ich weinte wirklich. Ich hatte es überhaupt nicht bemerkt. Ich versuchte mich an einem Lächeln, aber es wollte mir einfach nicht gelingen.

„Es ist nur so, dass...du hast Hilfe gebraucht und ich war nicht da. Ich konnte dir nicht helfen.“, schluchzte ich. Ich ließ meine Hand ins Wasser platschen. „Wenn ich nicht den Unfall gehabt hätte, dann...“

„Sam, es hätte so oder so passieren können.“, meinte Elias mit einem liebevollem Lächeln. „Vielleicht passiert bald schon wieder irgendetwas. Das kann man vorher nicht wissen. Es ist passiert und daran lässt sich nun mal nichts mehr ändern. Mir geht es gut, ich sitze hier vor dir und wir sind zusammen. Jetzt! Und das zählt doch, meinst du nicht? Dieser eine Moment, den wir zusammen verbringen können!“

Elias drehte mich in der Wanne um, so gut es eben ging. Ich kam zwischen seinen Beinen zum sitzen und lehnte mich an seine Brust. Er umschlang mich mit seinen Armen und drückte mich näher an sich heran. Elias legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut und erschauderte leicht.

Es war mucksmäuschen still im Badezimmer. Wir sagten kein Wort mehr. Jeder hing seinen eigenen Gedanken hinterher. Ich wusste nicht, ob ich es ihm sagen sollte. Immerhin schien ich Ryan schon mal kennen gelernt zu haben. Mit grauen erinnerte ich mich an den einen Abend, als ich Elias verlassen hatte und dieser Kerl mit dem Messer auf mich losging.

Meine Gedanken wurden aber abrupt von etwas anderem abgelenkt. Elias Hände schienen sich langsam selbstständig zu machen. Sie strichen langsam und zärtlich über meine angezogenen Beine.

„Elias?“, fragte ich und drehte meinen Kopf zu ihm herum.

„Ich bin gerne mit dir zusammen.“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich nickte etwas planlos und wendete meinen Blick wieder zu seinen Händen.

„Was machst du da?“, fragte ich ihn mit klopfendem Herzen.

„Hm, ich weiß nicht. Was mache ich da? Sag du es mir.“, meinte er neckisch. Ich spürte seine Lippen auf meiner Schulter und zuckte leicht zusammen. Wie konnte er so schnell umschalten? Er hatte mir eben noch etwas schreckliches erzählt und jetzt machte er schon wieder diese komischen Sachen mit mir.

Ich versuchte mich zu entspannen und lehnte mich zurück an seine Brust. Meinen Kopf lehnte ich gegen seinen und sah tatenlos seinen frivolen Händen zu. Er glitt von meinem Knie über meinen Oberschenkel und streichelte mich dort einige Zeit. Ich entspannte mich, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte. Was nicht lange anhielt, denn er wanderte ab in tiefere Regionen und ich keuchte erschrocken auf, als er meinen Penis packte.

Während er weiter meinen Hals anknabberte und ich mich wie ein Stück leckeres Fleisch fühlte, dass es aufzuessen galt, machte seine zweite Hand Bekanntschaft mit meinen Brustwarzen. Ich war mir nicht im Klaren, was die Dinger eigentlich für einen Zweck erfüllen sollten, denn Milch kam bei mir definitiv nicht raus.

Elias ließ kurz von meiner Brustwarze ab und griff nach meinem Kopf, um ihn zu sich zu ziehen. Er presste seine Lippen sanft auf meine. Leicht bewegte er sie gegen meine und als ich versuchte irgendwie ungelenk darauf einzugehen, öffnete er leicht seinen Mund.

Ich wusste gar nicht, wohin mit meinen Gedanken. Wie schaffte er das alles auf einmal zu machen? Ich war leicht unkoordiniert und ließ es einfach nur geschehen. Was anderes war mir in meinem momentanen Zustand auch nicht möglich.

Elias stupste meine Lippen mit seiner vorwitzigen Zunge an. Stur hielt ich meinen Mund geschlossen. Er grinste mich frech an. Er verfestigte seinen Griff um mein Glied etwas und ich keuchte erneut auf. Diesen Moment nutzte er, um mich in einen Zungenkuss zu verwickeln. Sein Griff wurde wieder schwächer und stattdessen begann er seine Hand rhythmisch zu bewegen.

Elias zog mich ein Stück nach hinten, so dass ich schon so gut wie auf ihm lag. Zu keinem Moment ließ er von mir ab und brachte mich zu meinem Höhepunkt. Er umarmte mich mit beiden Armen und ich hielt mich an ihnen fest, während wir uns weiter küssten. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen.

Erst als unsere Haut schon anfing eklig faltig zu werden, stiegen wir aus der Wanne. Ich trocknete mich ab und zog mir meinen Bademantel über. Elias schnappte sich den von meinem Vater.

Zusammen tapsten wir in mein Zimmer und Elias zog mich sofort in mein Bett. Ich krabbelte zu ihm und legte mich vor ihm aufs Bett. Er umschlang mich sofort mit seinem Arm, nachdem er uns zugedeckt hatte. Elias küsste meinen Nacken und ich seufzte wohlig.

Ich betrachtete den Regen draußen. Es plätscherte und hämmerte unerbittlich gegen die Fensterscheiben. Irgendwie wirkte es beruhigend auf mich. Ich wurde mit der Zeit müder, was wohl auch an Elias Streicheleinheiten lag. Mir fielen immer wieder die Augen zu, bis ich irgendwann einschlief.


◆ ◆ ◆




Als ich aufwachte, gähnte ich erst mal herzhaft. Ich lag ausgebreitet im Bett und als ich mit der Hand neben mir das Bett befühlte, war es zwar noch warm, aber von Elias war keine Spur. Ich blinzelte und öffnete meine Augen. Er war wirklich nicht da. Wo steckte der Junge schon wieder? Ich hörte ein Rumpeln und klirren in der Küche.

Ich grinste und drehte meinen Kopf um. Mein Grinsen erstarb sofort, als ich Lakes Gesicht vor mir erblickte. Er hockte vor meinem Bett und betrachtete mich. Ich sah ihn genervt an, machte es ihm Spaß, mich dauernd so zu überfallen? Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht.

„Was willst du hier?“, fragte ich ihn angesäuert.

„Hast du schon mal raus gesehen? Es ist später Nachmittag. Was habt ihr getrieben, dass du den halben Tag verpennst? Obwohl, ich muss sagen, die Aussicht hier sagt schon so einiges aus. Muss ja echt heftig gewesen sein.“, meinte Lake grinsend.

Ich verstand nicht, was er meinte und sah ihn nur verständnislos an. Er zeigte lediglich mit dem Finger auf meinen Körper. Ich sah an mir herunter. Der Bademantel hatte sich gelöst und so präsentierte ich Lake gerade meinen nackten Körper. Ich lief rot an und zog sofort den Bademantel hastig zu.

„Sei nicht so zimperlich. Ich steh nicht auf Kerle, auch wenn du eine Sünde wert wärst.“, meinte Lake und leckte sich über die Lippen. Ich sah ihn nur entsetzt an. Er stand auf und sah mich an.

„Du kannst gerne mal zu mir kommen und dich verwöhnen lassen, wenn du die Nase voll von Elias hast.“, meinte er frech. Er verließ das Zimmer und ich konnte einfach nicht widerstehen, also warf ich ihm mit voller Wucht mein Kopfkissen hinterher., traf ihn nur leider nicht.

„Du Arsch!“, brüllte ich wütend. Ich setzte mich endgültig auf, wach war ich ja sowieso. Ich zog mir den Bademantel aus und suchte im Kleiderschrank nach Klamotten. Irgendwie schien heute Tag des Arschlochs zu sein, denn als ich mir einen Berg Klamotten raus suchte, stand auf einmal Calvin im Türrahmen. Abschätzend sah er mich an.

„Kannst du dir nicht was überziehen?“, meinte er schnippisch. „Was war denn überhaupt los, dass du und Elias einfach weggegangen seid?“

„Geht dich nichts an.“, brummte ich nur. Ich zog mir eine Boxershorts über und sah Calvin kurz an. „Sonst noch was?“

Er schüttelte nur den Kopf. „Elias macht Mittagessen. Aber es ist eine totale Katastrophe! Der Kerl kann nicht kochen. Er hat zwei linke Hände und helfen lassen will er sich nicht.“, meckerte er.

Ich kicherte. Ich fand es eigentlich ganz lustig. Wenn ich da so an meine Backversuche dachte. Dann dürfte die Küche ja schön chaotisch und dreckig aussehen.

Fertig angezogen schlitterte ich über den Boden im Flur und Calvin folgte mir in die Küche. Elias stand vor dem Herd und spielte mit den Hitzereglern herum. Ich schlitterte weiter und prallte gegen ihn. Von hinten umarmte ich ihn und sah an Elias vorbei auf den Herd.

„Was gibt’s?“, fragte ich ihn neugierig.

„Fischpfanne mit Reis. Natürlich auf brasilianisch.“, meinte er lächelnd. „Zumindest soll es das werden. Irgendwie schaut es komisch aus, oder?“

Ich sah nur auf die Töpfe vor mich. „Hm, keine Ahnung. Soll ich Hanna fragen, ob sie für uns kocht?“, fragte ich.

„Hanna?“, kam es aus drei überraschten Gesichtern.

„Wow, hast du doch noch ein Mädchen gefunden?“, fragte Lake mich grinsend. Er saß am Küchentisch und blätterte in der heutigen Zeitung.

„Unsere Nachbarin. Sie kann ganz gut kochen.“, meinte ich. Elias Blick bemerkte ich sehr wohl, ich konnte ihn nur nicht wirklich deuten. „Außerdem sind wir nicht zusammen.“, fügte ich noch hastig hinzu.

„Klar, du stehst ja auch auf Schwänze.“, meinte Lake nur und widmete sich seiner Zeitung.

„Was soll das denn heißen?!“, keifte ich wütend. Ich war heute wirklich drauf und dran auf ihn loszugehen. Ich hatte mich früher schon des öfteren mit Jungen geprügelt, da würde es mir bei Lake nicht weiter schwer fallen.

„Lake, halt den Rand!“, meinte Elias ungewöhnlich ruhig. „Sam kann sich treffen mit wem er will.“

Ich sah Elias dankbar an. Aber er wirkte irgendwie etwas unglücklich auf mich. Er knabberte auf seiner Unterlippe und ich fragte mich, was mit ihm los war.

„Alles okay?“, fragte ich ihn. Er nickte lediglich, sagte aber kein Wort. Ich wusste nicht, was ihn schon wieder bedrückte. Also schmiegte ich mich an ihn und sah Elias beim Kochen zu.

Die Stille die sich zwischen uns allen ausbreitete, wirkte erdrückend. Ich wollte etwas sagen, aber mir fiel nichts ein, was passend schien. Ich wollte mich nicht schon wieder mit den Jungs streiten. Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Es regnete noch immer ununterbrochen.

„Wie geht’s Abby?“, fragte Elias mich nach einer Weile. Ich sah ihn überrascht an, ich war völlig in Gedanken versunken.

„Ganz gut. Sie scheint ziemlichen Spaß in Deutschland zu haben. Jedenfalls scheint sie mehr Party zu machen, als zu lernen.“, meinte ich mit einem leichten grinsen.

„Na ja, sie ist weit weg von zu hause, da kann sie endlich mal die Sau raus lassen, ohne Ärger zu kriegen. Kriegt ja keiner mit. Es sei denn sie steht irgendwann mit einem Baby vor der Tür. Dann gibt’s wohl ziemlichen Krach.“, meinte er lachend. Ich musste unweigerlich mitlachen. Meine Schwester konnte ich mir irgendwie nicht als Mutter vorstellen. Wie das wohl wäre? Irgendwann würde sie sicher Kinder kriegen, aber ob sie eine gute Mutter abgeben würde?

„Solange sie nicht von dir schwanger wird.“, neckte ich Elias.

„Ich? Honey, ich bin schwul. Deine Schwester ist zwar hübsch, aber ich finde ihren Bruder viel anziehender.“, meinte er.

„Jason?!“, fragte ich verblüfft. Elias sah mich unwirsch an. „Doch nicht diese Schaufensterpuppe! Ich meine dich!“, erklärte er genervt.

Verlegen sah ich zur Seite. Ich hatte ganz vergessen, dass Elias und Jason nicht wirklich gut miteinander auskamen. Ich wusste zwar nicht warum, aber das schien bei beiden auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Ich hörte ein Kichern hinter mir und bemerkte, dass wir ja nicht allein waren. Das hatte ich irgendwie vergessen.

„Was ist?“, murrte ich Lake verlegen an.

„Nichts, nichts.“, meinte der jedoch nur. Missmutig sah ich zu ihm. Er legte die Zeitung beiseite und stützte sich am Tisch ab. „Es ist nur so amüsant, wie naiv du noch bist.“

Ich streckte ihm die Zunge heraus und wandte meinen Blick von ihm ab. Dafür konnte ich doch nichts, dass ich noch nicht so viel wusste.

„Dafür weiß ich wie Jungs Sex haben.“, erklärte ich maulig. Plötzliche Stille kehrte ein. Elias lief rot an und Lake prustete vor Lachen. „Elias, du Pedo, hast du deinen Schwanz nicht bei dir behalten können?! Na, wenigstens hast du ihn dir jetzt klar gemacht.“

„Nenn' mich nicht so!“, meinte Elias mit hochrotem Kopf. Er drehte sich zu Lake um und wollte gerade etwas sagen, als ich ihn unterbrach.

„Elias hat nichts gemacht. Ich habs aufm Computer gesehen.“, meinte ich ungerührt und zeigte auf das Arbeitszimmer meiner Eltern. Alle drei Jungs sahen mich einen Moment sprachlos an. Dann stürmten sie wie auf Kommando ins Arbeitszimmer.

Was war denn nun los?

„Der Kleine hat 'nen Porno gesehen!“, schrie Lake lachend und kriegte sich gar nicht mehr ein.

Hatte ich irgendwas verpasst? Ich tapste den Jungs hinterher, die sich vor dem Computer breit gemacht hatten und nach dem Video suchten, dass ich mir angesehen hatte. Lake öffnete den Link, schaltete die Boxen und das Video an. Ich blieb verlegen im Türrahmen stehen. Plötzlich war der Raum von stöhnen und keuchen erfüllt. Irgendwie war mir das jetzt doch etwas unangenehm. Die beiden Kerle im Film rammelten was das Zeug hielt und außer mir richteten sich nun sechs Augenpaare mehr oder weniger ungläubig auf den Rechner.

„Na, wenigstens ist er jetzt aufgeklärt.“, meinte Lake seelenruhig. Ich stellte fest, dass er für einen hetero keine Probleme mit Schwulen hatte. Fand ich ja schon irgendwie beachtlich. Er war ja auch mit Elias befreundet, dann musste er es ja auch tolerieren. Aber so richtig abgeneigt, schien er auch nicht zu sein.

„Was machst du da?!“, fragte ich panisch, als Lake plötzlich auf dem Computer herum klickte. Ich konnte nicht ganz ausmachen, was genau er da tat. So gut kannte ich mich mit der Technik auch nicht aus.

„Alles löschen. Damit deine Eltern nicht eines Tages feststellen müssen, dass ihr Sohn schwul ist. Haha, oder deine Mutter sich nicht denkt, ihr Mann könnte plötzlich auf Männer stehen.“, lachte Lake und fuhr anschließend den Computer herunter. Okay, das verstand ich. Könnte ziemlich peinlich werden.

Elias sah mich schon wieder mit einem komischen Blick an. Ich wich ihm aus und ging zurück in die Küche. Er folgte mir, während Lake und Calvin sich vor den Fernseher im Wohnzimmer pflanzten. Sie schienen es nicht weiter schlimm zu finden, dass ich mir einen Porno angesehen hatte.

„Wieso hast du dir das Video angesehen?“, fragte Elias mich. Ich wagte kaum, ihn anzusehen.

„Ich war neugierig.“, murmelte ich verlegen. „Ist das schlimm?“

„Nein, ist es nicht. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du das bringen würdest.“, meinte er kichernd. „Ich dachte vorhin schon, du meintest unser erstes Abenteuer in der Badewanne, wo ich dir zeigen musste, wie Jungs es miteinander machen.“, erklärte er und stellte sich neben mich an den Herd.

„Tja, das kann man wohl weg kippen.“, stellte er enttäuscht fest. Ich sah ihn an. „Wollen wir etwas bestellen?“, fragte ich ihn.

„Ja, gute Idee.“ Er warf einen Blick ins Wohnzimmer, aber die beiden Jungs waren völlig beschäftigt mit ihrem Film. „Also, wenn du irgendwelche Fragen hast oder mehr wissen möchtest...kannst du mich gerne fragen.“

Ich sah ihn einen Moment lang an. „Okay.“

Ich sah, wie er mir näher kam und sich zu mir herunter beugte. Ich schloss meine Augen. Elias küsste mich und ich krallte mich gleich in sein Hemd. Elias lehnte sich gegen den Küchenschrank und zog mich an sich heran. Er ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten und ich erwiderte zaghaft.

„Ähem! Ich weiß ja, dass ihr 12 Jahre nachholen müsst, aber wir haben Kohldampf!“, brüllte Lake zu uns in die Küche.

Elias lächelte gegen meine Lippen. „Die können auch noch eine Weile warten.“

Alle Welt liebt mich, ich gedenke es dabei zu belassen.




Wissen ist Macht. Ob das wirklich stimmt? Die meisten Menschen hat ihr Wissen eher ins Verderben gestürzt. Dinge über die sie nichts wissen durften. Dinge, über die sie wussten und ihre Mitmenschen in Gefahr gebracht hatten. Was also war so gut am Wissen?

Ich wusste bisher nur, dass mir Calvin mit seinem geballten Wissen so langsam auf die Nerven ging. Ich konnte mich sowieso nicht konzentrieren. Noch immer musste ich ständig an Elias und Ryans Beziehung denken und jetzt war ich auch noch erkältet. Mein Hals war angeschwollen, meine Nase versuchte mir davonzulaufen und meine Augen tränten unerbittlich. Ich hatte leichtes Fieber, zum Glück nicht so schlimm.

Wieso hatte ich in diesem Zustand Unterricht?!
Das war die reinste Folter!!!

Fröstelnd zog ich die Beine an und zog die viel zu dünne Decke enger um mich. Meine Konzentration war gleich Null. Meine Laune war eh im Keller und mein Schädel war nahe daran zu explodieren. Kurzum, ich war nicht in der Lage, irgendetwas in mein Gehirn aufzunehmen. Zumindest heute!

„Sam, das ist eine ganz einfache Aufgabe! Was gibt es da bitte nicht zu verstehen?“, fragte mich Calvin verständnislos.

„Vielleicht ist mein Gehirn für Chemie nicht ausgestattet. Was soll ich damit überhaupt, dass werde ich doch wohl kaum je gebrauchen können.“, murrte ich schniefend.

Konnte nicht irgendjemand vorbeikommen und mich erlösen? Elias zum Beispiel. Der hatte heute ja leider Führerscheinstunde. Und wenn ich die Wahl hatte, zog ich definitiv Calvins Unterricht vor. Ich war doch nicht Lebensmüde! Mit dem Irren würde ich so schnell nicht mehr fahren.

Hoffentlich stellte ich mich später besser an, als er. Elias war auf der Straße eine Bedrohung, selbst für den kleinsten Wurm.

Ich ignorierte Calvins Predigt, wie wichtig es doch war Chemie zu lernen und wofür sie gut sein konnte und beobachtete Cha Cha, bei seiner Abenteuerreise durchs Aquarium. Vielleicht sollte ich ihn freilassen? Er führte eh schon ein tristes und ödes Leben.

„Calvin, lass uns zum Meer fahren.“, meinte ich abwesend.

Calvin sah mich verständnislos an. „Dir ist schon klar, dass du am Meer wohnst?“

„Nicht hier. Irgendwo abseits.“, meinte ich und sah ihn mit geröteten Augen an.

„Du bist krank, dich nehme ich bestimmt nirgendwo hin mit. Nicht, dass du jemanden noch ansteckst.“, meckerte Calvin entrüstet. Er selbst kippte sich vorsichtshalber schon eine ganze Weile mit allen möglichen Tabletten voll, nur um nicht von mir angesteckt zu werden.

„Ich halt's hier im Haus aber nicht aus. Es ist sterbenslangweilig und ich will nach draußen. Es hat endlich aufgehört zu regnen, dass muss man ausnutzen!“, maulte ich gekränkt.

Calvin schüttelte nur den Kopf. „Auf keinen Fall! Das kann ich nicht verantworten!“ Und damit war das Thema für ihn beendet. Für ihn vielleicht, für mich nicht. Wenn er nicht wollte, dann musste ich eben einen anderen Weg finden.

Ich war ziemlich versteift auf meinen Plan und wollte mich nicht mehr davon abbringen lassen. Wenigstens Cha Cha Nummer 10 musste in die Freiheit!

Nur wie sollte ich das anstellen? Einen Führerschein hatte ich ja noch nicht. Elias' Fahrstil war mir nicht geheuer und Calvin wollte mich nicht weglassen. Ob Hanna fahren konnte? Ich wusste nicht mal, ob ihr ein Auto zur Verfügung stand. Einen Versuch war es jedenfalls wert. Konnte ja nicht schaden, mal nachzufragen.

Nach einer ganzen Weile, in der ich nichts weiter tat als um eine Pause zu betteln, gestattete Calvin sie mir und zog sich zurück um ein Buch zu lesen. Nicht irgendein Buch, es musste ein Sachbuch sein, denn laut Calvin waren nur solche Bücher tauglich. Ich wusste es nicht, ich war noch nie wirklich belesen gewesen. Dazu fehlte mir einfach die Konzentration.

Zumindest hatte ich nun die Gelegenheit und die musste ich unbedingt beim Schopf packen! Ich raste schlitternd über den Fliesenboden. In der Küche fischte ich nach einer Plastiktüte, befüllte sie großzügig mit Wasser und lief dann, mit etwas Wasserverlust, rüber ins Wohnzimmer. Dieses setzte ich auch gleich unter Wasser, aber mir war ja bekannt, dass Wasser auch wieder trocknete, also scherte ich mich nicht weiter darum. Ich griff nach einem Catcher und fischte Cha Cha aus dem Aquarium.

„Nicht mehr lange und du bist in Freiheit!“, meinte ich entschlossen.

Dies war eine Rettungsmission und ich musste sie erfolgreich abschließen! Komme was wolle! Der Feind war bereits ausgeschaltet. Der Weg war frei und ich konnte meinen Weg fortsetzen. Wir waren im Krieg und ich musste auf der Hut sein!

Mit Cha Cha in der Plastiktüte lief ich in den Flur, stieg in meine Sportschuhe und zog mir die Jacke über. Leise öffnete ich die Tür und schloss sie hinter mir. Ich lief die Auffahrt herunter und bog nach links ab, lief die Straße weiter und kam zu einem großen Haus, das meinem direkt Konkurrenz machen konnte.

Etwas unsicher stand ich vor der Tür. Sollte ich das jetzt wirklich durchziehen? Mit einem leicht mulmigen Gefühl, drückte ich auf die Türklingel. Als eine Melodie erklang, zuckte ich erschrocken zusammen. Ungeduldig wartete ich darauf, dass mir endlich geöffnet wurde.

Ich hörte Schritte und dann wurde mir die Tür geöffnet. Ich machte große Augen.

„Sam? Hey, wie geht’s dir?“, rief Hanna freudig überrascht. So richtig konnte ich ihr im Moment nicht antworten. Ich starrte lediglich auf ihre Klamotten. In so einem Fummel habe ich sie bisher noch gar nicht gesehen und ich musste zugeben, dass es ihr gar nicht mal so schlecht stand. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. Dann hielt ich die Plastiktüte hoch.

„Kannst du mir helfen? Ich will meine Garnele freilassen.“, meinte ich. Irgendwie hörte sich das ganz schön uncool an in meinen Ohren. Hanna lächelte.

„Klar, kein Problem. Ich hab heute das Auto zur freien Verfügung und ich habe sowieso nichts vor.“, meinte sie grinsend. Ich atmete erleichtert auf. Was hatte ich doch für ein Glück. Hanna zog sich rasch ihre Jacke über und stieg in ihre Stiefel mit ganz schön hohen Absätzen, wie ich fand. Wie konnte sie darauf laufen? Sie schnappte sich schnell ihre Schlüssel und dann ging sie mit mir im Schlepptau zu dem Hummer, der in der Auffahrt stand.

„Wo willst du sie denn freilassen?“, fragte Hanna mich neugierig. Ich überlegte einen Moment.

„Irgendwo abseits.“, erwiderte ich zögerlich. Hanna nickte.


◆ ◆ ◆




„Hey, Elias! Ist das nicht dein kleiner Lover?“, fragte Lake überrascht und zeigte mit seiner Hand geradeaus. Elias sah auf. Er war in Gedanken versunken gewesen. Sam war krank und er wollte bei ihm sein und sich um ihn kümmern. Was er jedoch sah, gefiel ihm keineswegs.

„Hat sich der Kleine wohl doch eine Schnecke geangelt.“, meinte Lake lachend und schien sich über diese Tatsache prächtig zu amüsieren.

Elias antwortete ihm nicht. Er sah nur zu Sam und Hanna und wie sie so fröhlich miteinander umgingen, als wären sie die besten Freunde, womöglich sogar noch mehr. Sie stiegen in ein Auto und fuhren in die entgegen gesetzte Richtung. Elias schluckte. Wieso fuhr Sam mit dem Mädchen weg? War das die von der Sam erzählt hatte? Sam war doch krank, wieso verließ er dann überhaupt das Haus?

„Elias? Alles okay bei dir?“, fragte Lake und sah besorgt zu seinem Kumpel. „Komm, lass uns wieder gehen. Der Kleine scheint ja eindeutig anderweitig beschäftigt zu sein.“, meinte er und sah noch einmal in die Richtung, in die sie weggefahren waren.

Lake griff nach Elias Arm und wollte ihn mit sich ziehen. Elias bewegte sich kein Stück vom Fleck. „Elias, was ist?“, fragte Lake verwirrt. Wieso kam der Junge jetzt nicht mit? War doch eh keiner mehr da.

„...“

„Was ist? Dein Gemurmel versteht kein Mensch, mach gefälligst den Mund auf.“, murrte Lake.

„Keiner nimmt ihn mir weg!“, grollte Elias und sah Lake mit hasserfülltem und drohendem Blick an. Lake wich einen Schritt zurück. Er bekam eine Gänsehaut. Was war denn nun auf einmal mit dem Jungen los?

„Das hat doch auch keiner gesagt. Beruhige dich.“, meinte Lake abwehrend. Elias trat auf Lake zu und schubste ihn unsanft gegen eine Mauer.

„Er gehört mir!! Sam ist mein Freund und keiner außer mir darf ihn anfassen!!!“, brüllte er Lake wütend an. Lake hob überrascht die Hände.

„Was regst du dich so auf?! Scheiße! Lass deinen Frust doch nicht an mir aus!“, schrie er verwirrt und schob Elias von sich weg.

„Tze!“, brummte Elias nur und entfernte sich ein paar Schritte von seinem Freund. Er ballte seine Hände zu Fäusten.

Lake war mehr als überrascht, dass es Elias so sehr zu stören schien. Kaum tauchte ein Mädchen auf der Bildfläche auf, war Elias wie ausgewechselt. Lake hätte nie gedacht, dass sein Freund so besitzergreifend sein konnte. Zumal er noch nicht einmal richtig mit Sam zusammen war.

„Hör zu, Elias! Wenn du den Kleinen haben willst, dann reicht es nicht, wenn du ihm ab und an mal beim Wichsen hilfst! Da braucht es schon mehr als eine flotte Hand und ein paar betörende Worte. Dein Kücken hat in Sachen Liebe keinerlei Erfahrung, für ihn sind Mädchen andere Wesen vom Mars und er musste sogar im Internet schauen, wie es Kerle miteinander treiben, um es zu verstehen.“, meinte Lake eindringlich. „Ihr müsst von Punkt Null beginnen, ihr könnt nicht einfach schon morgen in die Kiste springen und vögeln, dass sich die Balken biegen. Das geht nicht.“

Elias sah Lake genervt an. „Und du musst mal was gegen dein loses Mundwerk machen. Was Sam und ich machen, geht dich einen Scheißdreck an!“

Lake nickte. „Mag sein, aber du kennst mich. Ich mische mich gerne überall ein.“

Elias verzog sein Gesicht.

„Was hast du jetzt vor? Willst du hier auf ihn warten? Wer weiß, wann er überhaupt zurückkommt?“, fragte Lake und verschränkte die Arme vor der Brust.

Elias zuckte mit den Schultern und lief einfach die Auffahrt hoch. Lake folgte ihm widerwillig. „Müssen wir da wirklich rein? Dieser Calvin ist 'n Spießer!“, maulte Lake.

Elias grinste nur und drückte auf die Klingel.

„Man, Elias! Du kannst einem auch jeden schönen Tag verderben.“


◆ ◆ ◆




„Sam, wir sind fast da! Wach auf!“, meinte Hanna und rüttelte an meiner Schulter. Ich grummelte nur und drehte mich zur Seite, als etwas auf meinem Schoß waberte. Ich blinzelte und öffnete verschlafen meine Augen. Ich sah auf meine Beine und auf die Plastiktüte mit Cha Cha. War das nur ein Gefühl oder sah Cha Cha mich gerade ziemlich vorwurfsvoll an?

Hanna deutete nach vorne und ich folgte ihrem Blick. Wir waren ein ganzes Stück von meinem Heim entfernt. Hier waren viele Klippen und wir konnten die Garnele gut aussetzen, ohne dass uns allzu viele Leute auf die Finger sehen würden.

Hanna parkte den Hummer am Straßenrand. Wir stiegen aus und kletterten vorsichtig die steinigen Felsen herunter, was sich bei Hannas Stiefeln als ziemlich ungünstig herausstellte. Sie setzte sich kurz hin und zog einfach die Stiefel aus, ließ sie an Ort und Stelle liegen und folgte mir langsam. Es war noch etwas rutschig vom Regen und ein paar Mal war ich drauf und dran, mich auf die Nase zu legen.

„Meinst du, das ist ein guter Platz?“, fragte Hanna mich. Ich nickte. Es war eine ruhige Gegend, hier war nicht viel los. Hier würde Cha Cha es auf jeden Fall gut gehen, war ich der Meinung.

„Also dann!“, ich ging in die Hocke, meine Schuhe wurden leicht vom Wasser überspült und es war rutschig von den Algen, die angespült worden waren und sich an die Steine schmiegten. Ich öffnete den Knoten und sah in die Tüte.

„Hey, Cha Cha. Hier wirst du es gut haben, ich hoffe, du vermisst mich nicht allzu sehr. Ein schönes Leben und alles Gute!“, sagte ich. Mir fiel es schwer, aber es musste sein. Hanna legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Lebewohl Cha Cha.“, meinte sie. Ich ließ die Tüte tiefer sinken, bis sie im Wasser verschwand und ließ die Garnele dann einfach raus schwimmen. Das Wasser aus der Plastiktüte kippte ich gleich aus und knüllte sie anschließend zusammen. Hanna nahm sie mir ab und ohne noch großartig etwas zu sagen, starrten wir aufs Meer.

Wie lange wir hier saßen wusste ich nicht, aber nach einiger Zeit wurde uns beiden kalt, also beschlossen wir wieder ins Auto zu steigen und heim zu fahren. Hanna sammelte auf dem Rückweg ihre Stiefel ein.

„Danke, für deine Hilfe.“ Ich sah sie dankbar an und sie winkte ab. Hanna schüttelte den Kopf.

„Hab ich doch gern getan.“, erwiderte sie lächelnd, stieg in ihre Stiefel und als wir beide im warmen Auto saßen, startete sie den Motor. Nur leider sprang er nicht an. Sie versuchte es noch einmal.

„Was ist denn jetzt los?“, fragte Hanna verwirrt.

Ich zeigte auf ihre Anzeigetafel. Der Tank war leer. Hanna stöhnte und ließ ihren Kopf aufs Lenkrad sinken.

„Jetzt weiß ich wieder was ich vorhatte.“, murrte sie. Zögernd sah ich sie an.

„Und das alles wegen mir. Sorry.“ Entschuldigend sah ich sie an. Sie schüttelte ihren Kopf, so dass ihre Haare fröhlich in alle Richtungen flogen.

„Ist nicht deine Schuld. Ich hab nur nicht mehr daran gedacht. Weiß du, ich bin noch nicht so lange hier und langsam bekomme ich Heimweh.“, gestand sie mir. „Ich vermisse meine Familie. Ich weiß ja, dass ich von mir aus hierher gekommen bin und ein Abenteuer erleben wollte, aber ich habe das Gefühl, dass ich einen Teil von mir in meiner Heimat gelassen habe.“

Ich sah Hanna mitfühlend an. Leider konnte ich ihr nichts aufmunterndes sagen. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und starrte auf die Straße vor uns, die Bäume die den Weg säumten und den wolkenverhangenen grauen Himmel.

„Ich kann mich immer noch nicht an den Unfall erinnern. Ich hab das Gefühl, als würde mir etwas fehlen, aber...ich hab auch angst davor, mich wieder zu erinnern. Was ist, wenn ich wieder etwas weiß, dass mich total fertig machen wird. Oder wenn es meine Schuld war, dass ich diesen Unfall hatte. Ich weiß nur, was mir die Leute erzählt haben, aber nicht, was wirklich passiert ist.“, erzählte ich Hanna und nestelte an meinem Hemd herum.

Sie drehte ihren Kopf zu mir herum, ließ ihn aber immer noch auf dem Lenkrad liegen. „Aber du bist mutig. Viele Leute wären daran kaputt gegangen. Du nimmst es hin und lebst dein Leben weiter. Du gibst nicht auf und lässt dich nicht unterkriegen.“

Ich sah Hanna in die Augen. Ich presste meine Lippen aufeinander. Vielleicht war es so, aber ich hatte das Gefühl, dass ich Leute damit verletzte, dass ich mich nicht erinnern konnte. Überhaupt, dieser ganze Unfall hätte mir erspart bleiben können. Ich war nicht für Elias da gewesen und meine Familie musste auch ziemlich mit der Tatsache kämpfen, dass ich im Koma gelegen hatte. Ich drehte meinen Kopf weg und sah aus dem Fenster.

Ich starrte aufs Meer. Meine Lippen zitterten leicht. Ich schniefte und spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. „Ich bin nicht mutig. Ich bin einfach nur schwach und erbärmlich...“, brachte ich heiser hervor. „Ich fühle mich wie ein Kleinkind. Ich bin 18 Jahre alt. Ich weiß gar nichts von der Welt da draußen und es macht mir angst. Alle sagen mir, ich muss mich anpassen, aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich kann es niemandem recht machen.“, schluchzte ich und spürte, wie mir die heißen Tränen über die Wangen liefen. „Alles um mich herum hat sich verändert und es ist, als würden alle an mir vorbeilaufen und wenn ich versuche ihnen zu folgen, kann ich mich nicht vom Fleck bewegen. Für die anderen geht das Leben weiter. Nur ich bleib auf der Strecke.“


◆ ◆ ◆




Es war spätabends, als wir endlich heimkamen. Da keiner von uns ein Handy dabei hatte, mussten wir warten, bis ein Autofahrer so freundlich war und uns mitnahm. Der Hummer musste abgeschleppt werden.

Als das Taxi in unserer Straße anhielt, bezahlte Hanna und wir sahen dem wegfahrenden Auto hinterher. Ich sah zu Hanna und wusste nicht wirklich was ich sagen sollte. Hanna trat einen Schritt vor und umarmte mich. Sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Ich war leicht verspannt, es war immerhin das erste Mal, dass ein Mädchen mich umarmte.

„Du hast Menschen, die dich lieben und dich so nehmen, wie du bist. Du kannst dich glücklich schätzen, Sam. Du bist nicht allein. Du hast Familie und Freunde. Es passieren viele schlimme Sachen im Leben, aber es gibt auch schöne und unglaublich tolle Augenblicke! Vergiss das nicht!“, meinte sie und zog sich von mir zurück. Hanna lächelte mich an und zog frech an meiner Nase.

„Aua!“, schmollte ich und rieb mir die Nase, sobald Hanna los ließ.

„Wir sehen uns!“, meinte sie, drehte sich um und ging zu ihrem Haus. Ich sah ihr hinterher, wie sie darin verschwand und die Tür hinter sich schloss.

Ich seufzte und sah zu meinem Haus. Ich setzte mich in Bewegung und lief zur Haustür, da ich nicht an die Schlüssel gedacht hatte, klingelte ich. Erstmal kam gar nichts, doch dann hörte ich Schritte. Die Tür öffnete sich.

„Sam! Wo warst du?!“, schimpfte meine Mutter mich aufgebracht an. Ich zuckte leicht zusammen. Hatte Hanna nicht eben noch etwas von Liebe gesagt? Meine Mum sah eher aus, als würde sie mich einen Kopf kürzer machen wollen. Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, zog sie mich ins Haus und ich durfte mir eine ewig andauernde Predigt anhören, dass ich das Haus nicht einfach verlassen durfte, ohne vorher etwas zu sagen.

Als sie mich endlich gehen ließ, zog ich mir Jacke und Schuhe aus. Ich bemerkte ein paar fremder Schuhe. Sneaker, wer trug die noch gleich? Ach ja, Elias. War er hier? Ich lief durch den Flur, aber im Wohnzimmer war er nicht. War er in meinem Zimmer? Ich ging schnell in mein Zimmer und öffnete die Tür, mit einem Seitenblick stellte ich fest, dass Calvins Tür geschlossen war. Er schlief scheinbar schon.

In meinem Zimmer war kein Licht. Es war düster. Ich schlich zu meinem Schreibtisch, wobei ich bei dem Versuch dort hin zu gelangen, meinen Fuß gegen das Bett donnerte. Ich stöhnte schmerzhaft auf und rieb mir die Zehen. Ich humpelte nach vorne und suchte nach dem Schalter meiner Lampe. Ich fuhr mit meiner Hand das Kabel entlang und fand ihn kurz darauf. Ein Klicken und schon wurde mein Zimmer in düsteres orangefarbenes Licht getaucht.

Ich bekam einen Schreck und mein Herz wäre beinahe stehen geblieben. Okay, ich hatte mir schon irgendwie gedacht, dass Elias womöglich in meinem Bett liegen könnte, aber das er es wirklich tat, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich betrachtete ihn. Die Decke lag zerknüllt am Fußende und bedeckte nur halb seinen Körper. Sein Oberkörper lag frei und bot einen ziemlich guten Ausblick. Ich sah zu seiner Körpermitte und bemerkte, dass seine Boxershorts leicht herunter gerutscht waren. Wieso nur hatte ich das Gefühl, dieser Anblick gehörte verboten?

Ich setzte mich auf die Matratze und hob meine Hand an, legte sie auf zögernd auf Elias Brustkorb und fühlte die warme Haut. Ich ließ meine Fingerkuppen leicht über seinen Körper wandern. Eigentlich wollte ich ihn jetzt nur ungern wecken, aber es musste sein. Immerhin wollte ich ihm doch unbedingt von meiner Heldentat berichten!

Ich beugte mich vor und betrachtete Elias Gesicht. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Ich vergaß meine Beherrschung und griff mit meinen Fingern nach Elias Mundwinkeln. Dann zog ich sie ihm einfach nach oben, zu einem breiten Grinsen. Ich konnte nicht anders, als laut anfangen zu lachen. Elias wachte grummelnd auf und schob meine Hände weg.

„Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, meinte er im Halbschlaf und zog mich in eine Umarmung. Meine Hände auf seiner Brust, den Kopf an seinem Hals und mein Körper halb auf ihm liegend, stieg mir die Hitze ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl meine Ohren würden brennen. Angetan schmiegte mich an ihn.

„Ich hab Cha Cha ausgesetzt.“, murmelte ich und stellte fest, dass Elias wohl ein neues Shampoo benutzte. Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Elias roch so gut. Ich spürte seine streichelnden Hände an meinem Körper und entspannte mich.

„Du machst mir Sachen. Ich hab mir Sorgen gemacht, du bist doch krank.“, erwiderte Elias und lehnte seinen Kopf gegen meinen. „Wieso hast du mich nicht gefragt?“

Ich hob meinen Kopf und sah Elias entgeistert an. „Weil man bei dir nicht weiß, ob man auch wieder lebend zurück kommt.“

Elias grinste. „Aber ich werde langsam besser. Wo hast du Cha Cha denn hingebracht?“, fragte er mich neugierig und zwirbelte meine Haare in seinen Fingern.

„Na, ans Meer. Etwas abseits.“, meinte ich voller stolz. Elias zog die Stirn kraus.

„Wieso nicht zu einem Züchter, oder einer Tierhandlung? Im Meer setzt du ihn doch allen möglichen Gefahren aus, Garnelen sind leichte Beute.“, klärte er mich auf.

Ich sah Elias entgeistert an. „Ich hab was?!“, brüllte ich entsetzt. Hieß das etwa, ich habe meine Garnele als lebendiges Menü den Aasgeiern im Meer vorgesetzt? Statt ihr das Leben zu schenken, hab ich sie direkt in den sicheren Tod geschickt!
Ich setzte mich ruckartig auf und verlor dabei das Gleichgewicht, polternd fiel ich zu Boden. Ich blieb einfach liegen und sah zu Elias, der näher zu mir heran kroch. Er grinste.

Ich konnte nicht anders und musste über meine eigene Naivität lachen. „Hahahaha...das nächste Mal informiere mich bitte vorher!“ Lachend kugelte ich mich auf dem Boden. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich bekam mich kaum noch ein. Als ich mich wieder beruhigt hatte, sah ich schwer atmend zu Elias auf.

„Komm ins Bett.“, säuselte er und streckte mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und er zog mich zu sich. Ich krabbelte aufs Bett und direkt in seine Arme. Elias zog die Bettdecke über uns und drückte mich fest an sich.


◆ ◆ ◆




Mitten in der Nacht ertönte auf einmal ein lautes klirren. Erschrocken wachte ich von dem schepperndem Geräusch auf. Was war das? Elias setzte sich neben mir im Bett auf. Er kratzte sich am Kopf und gähnte.

„Was war das?“, fragte er verwirrt. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hörte hastige Schritte auf dem Flur. Was war passiert? Elias befreite sich von der Bettdecke und ich tat es ihm gleich, als er das Bett verlassen wollte. Wir liefen zur Tür, wobei ich mich ängstlich hinter Elias versteckte.

Im ganzen Haus war Licht. Calvin kam ebenfalls verschlafen aus seinem Zimmer. „Was ist das für ein Krach?“, fragte er angepisst.

Wir sahen ihn nur unwissend an und zusammen gingen wir ins Wohnzimmer. Meine Eltern standen dort und als sie uns bemerkten, kam meine Mutter auf uns zu.

„Bleibt hier stehen, es ist alles voller Glasscherben!“, meinte sie aufgebracht und zog ihren Schlafmantel enger um sich. Verwirrt sah ich über Elias Schulter nach vorne. Mein Vater hielt etwas in der Hand. Ich konnte es nicht ausmachen. Ich fröstelte und bemerkte erst jetzt, dass die riesige Glasscheibe in unserem Wohnzimmer zerstört war. Es hingen nur noch Zacken im Rahmen hervor, alles lag auf dem Boden verteilt.

„Da ist Blut!!!“, schrie ich entsetzt auf.

Na wer sagt denn, dass Marmelade keine Kraft gibt?




„Wer macht so was nur?!“, fragte Calvin überrascht.

Wir standen im Wohnzimmer und wussten alle nicht so recht, was wir jetzt machen sollten. Ich krallte mich an Elias und bemerkte gar nicht, wie sehr meine Hände zitterten. Mein Vater betrachtete einen Gegenstand auf dem Boden. Es war ein ziemlich großer Stein und er war über und über mit Blut getränkt.

Keiner kam auf die Idee, wer es gewesen sein könnte. Ich hatte da zwar so einen Verdacht, aber ich war mir nicht sicher, ob es wirklich diese Person war. Immerhin gab es zwar genug Gründe, die darauf hinwiesen, aber ich hatte keine Beweise.

„Soll ich hinterherlaufen?“, fragte mein Vater beunruhigt. Elias schüttelte daraufhin nur den Kopf.

„Der ist bestimmt schon längst über alle Berge!“, merkte er an. Elias hatte recht. Das würde rein gar nichts bringen. So wie es aussah, mussten wir erst mal die Polizei kommen lassen und hoffen, dass der Täter möglichst bald gefunden wurde.

„Außerdem wissen wir nicht, ob er bewaffnet ist. Das wäre einfach zu gefährlich!“, meinte meine Mutter besorgt.

Mein Vater lief in den Flur und wählte die Nummer der Polizei. Meine Mutter schickte uns derweil in die Küche und machte und allen etwas zu trinken, um die Nerven zu beruhigen, wie sie meinte. Am Tisch herrschte eisiges Schweigen. Keiner von uns wusste, was er sagen sollte. Gab es überhaupt etwas zu sagen?


◆ ◆ ◆




Nachdem die Polizei alles untersucht hatte, wurden wir zurück ins Bett geschickt. Eigentlich war keiner von uns auch nur einen Deut müde. Elias und ich lagen wieder in meinem Bett und keiner von uns dachte daran, jetzt zu schlafen.

„Glaubst du, das war dieser Ryan?“, fragte ich ihn zögernd, nicht wissend, ob Elias überhaupt mit mir über diesen Kerl reden wollte.

Elias drehte sich zu mir um und sah mir in die Augen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Elias zuckte lediglich mit den Schultern. „Keine Ahnung. Möglich. Ich weiß nicht, wer es gewesen sein könnte.“

„Aber keiner hat etwas gegen dich. Na ja, ich meine nur, ich weiß auch nicht...“, stammelte ich.

Elias brummelte. „Du hast vergessen, dass es dein Haus ist, das zerstört worden ist. Hast du schon mal daran gedacht, dass jemand etwas gegen dich oder deine Familie haben könnte?“

Ich sah ihn erstaunt an. Der Gedanke war mir wirklich nicht gekommen. Ich hatte mir die ganze Zeit nur Gedanken um Elias gemacht, aber nicht um mich, meine Eltern oder meine Geschwister. Ich schluckte.

Abby hatte keine Feinde, sie verstand sich wirklich mit jedem, außerdem war sie seit einer ganzen Weile in Deutschland. Meine Mutter hatte auch niemanden, der etwas gegen sie hatte. Zumindest fiel mir keiner ein. Ich kam ebenfalls nicht in Frage. Immerhin lag ich 12 Monate im Koma. Wen sollte ich mir da schon großartig zum Feind machen? Obwohl es ja immer noch Ryan gab, der mich angegriffen hatte und dann war da noch Lake, bei dem ich auch nicht sicher sein konnte, wie er wirklich zu mir stand. Im einen Moment baggerte er mich an und im nächsten wollte er meine Freundschaft zu Elias zerstören. Lake war ein einziges Rätsel für mich. Mein Vater. Ich wusste nicht genau, mit welchen Leuten er sich traf, aber ich hatte schon oft gehört, dass er so einiges an Ärger hatte.

Elias bemerkte, dass ich still geworden war. „Mach dir keinen Kopf, die Polizei findet den Übeltäter schon noch.“, meinte er beruhigend und strich mit über die Haare. Ich nickte, aber jetzt hatte ich nur noch mehr angst. Wer wollte meiner Familie etwas antun? Hatte mein Vater wirklich Kontakt zu zwielichtigen Menschen?

Elias griff nach meiner Hand und schmiegte sich an mich. „Es wird schon nichts schlimmes passieren. Du wirst schon sehen, die werden den Typen finden und dann wird er hinter Gittern versauern.“

Ich rang mir ein schiefes Lächeln ab, aber so ganz konnte ich Elias nicht glauben. Irgendetwas war im Busch. Ich wusste nicht was und das machte mir solche Angst.

In dieser Nacht tat ich kein Auge zu.


◆ ◆ ◆


Abby war ziemlich aufgeregt, als sie von dem Vorfall hörte. Sie war völlig aus dem Häuschen und wollte alles bis ins kleinste Detail wissen. Ich saß auf dem Flur, gegen die Kommode gelehnt, auf der das Telefon stand und erzählte ihr alles lang und breit. Elias war noch bei uns und saß mir gegenüber auf dem Boden. Unsere Füße berührten sich.

Meine Mutter fand das gar nicht lustig, weil sie über uns steigen musste, wenn sie ins Badezimmer wollte, um die Wäsche zu waschen. Jedes Mal meckerte sie lautstark, wir sollten nicht so im Weg sitzen und jedes Mal ignorierten wir sie aufs Neue.

Abby war ziemlich entsetzt. Sie war drauf und dran wieder nach Brasilien zu kommen, aber ich versuchte sie zu beruhigen. Immerhin war ja niemandem etwas passiert. Sie konnte nicht einfach so ihr Studium abbrechen. Das konnte ich nicht zulassen.

Nach unserem Gespräch legte ich auf und sah Elias unschlüssig an. „Und nun? Was machen wir jetzt?“, fragte ich ihn. Elias sah mich einen Moment schweigend an. Scheinbar wusste keiner von uns, was wir jetzt machen sollten.

„Gehen wir in die Stadt und lenken uns ein wenig ab?“, schlug Elias vor. Ich nickte. Das war immer noch besser als zu Hause rumzuhängen und zu überlegen, was noch alles hätte passieren können.

„Ich komme mit.“, meinte Calvin, der natürlich genau in dem Moment aus seinem Zimmer kam. Toll, nicht mal ein wenig Ruhe konnten Elias und ich haben! Würde es irgendwann mal einen Zeitpunkt geben, an dem wir auch mal wieder unter uns sein konnten?

Wir erhoben uns und schon im nächsten Moment klingelte es an der Haustür. Ich seufzte grummelnd. „Lass mich raten, Lake?!“, murrte ich. Ich setzte mich ächzend in Bewegung und lief durch den Flur zur Tür. Ich öffnete und musste feststellen, dass es nicht Lake war.

„Guten Morgen, Sam! Ich bin eben vom Einkaufen gekommen und hab die kaputte Fensterscheibe gesehen. Ist alles in Ordnung?“, fragte Hanna mich besorgt.

„Tja, keine Ahnung. Irgendjemand hat gestern Abend das Fenster eingeschlagen und jetzt ist die Polizei halt auf der Suche nach dem Täter.“, erklärte ich. Ich hatte nicht wirklich Lust, schon wieder darüber zu reden, wo ich doch schon Abby alles erzählt hatte.

„Ist jemandem was passiert? Geht’s euch allen gut?“, wollte sie wissen. Ich nickte. „Uns geht’s gut. Nur der Scheibe nicht so. Wir brauchen wohl eine Neue.“, meinte ich mit einem Schulterzucken.

Hanna sah hinter mich. „Wollt ihr weg? Ich störe doch wohl hoffentlich nicht?“, fragte sie. Ich drehte mich um und bemerkte Calvin und Elias. Elias betrachtete Hanna mit einem emotionslosen Ausdruck in den Augen und Calvin war dabei sich die Schuhe anzuziehen.

„Wir gehen in die Stadt. Kommst du mit?“, fragte ich, ohne großartig über meine Worte nachzudenken. Dass ich damit Elias verletzte, konnte ich ja nicht wissen.

Hanna lächelte fröhlich und nickte. „Klar, gerne.“, meinte sie zustimmend und hielt ihre Einkaufstüten in die Höhe. „Ich bring nur die hier schnell ins Haus.“ Sie drehte sich um und lief die Auffahrt herunter, überquerte die Straße und verschwand in ihrem Haus.

„Soll ich auch noch Lake anrufen, dann haben wir alle beisammen?!“, motzte Elias leise. Ich konnte es gerade noch so eben verstehen und drehte mich zu ihm um. Ich sah Elias mit hochgezogener Augenbraue an. Was hatte er?

Er wich meinem Blick aus und schnauzte stattdessen Calvin an, er solle sich mal schneller anziehen. Wie ein aufgeschrecktes Huhn, beeilte sich Calvin und kurze Zeit später standen wir außerhalb des Hauses und warteten auf Hanna.

Dann endlich kam sie zurück. Wieso sie sich umgezogen und geschminkt hatte, wusste ich nicht, machte mir aber auch keine Gedanken darüber. Ich fand, sie sah auch mit normalen Klamotten und ohne Make Up toll aus.

Wir liefen zusammen die Straße herunter zur nächsten Straßenbahn, mit der wir dann beinahe eine halbe Stunde den Hügel meines Wohnortes herunterfuhren. Wir fuhren direkt in die Stadt und waren augenblicklich von einer Menschenmasse umgeben. Selbst am Vormittag war hier eine Menge los.

Elias griff nach meiner Hand, worüber ich ehrlich gesagt ziemlich froh war, denn ich hatte angst in der Menge unter zu gehen. Der Größte war ich nämlich nicht gerade.

Von überall her drangen Gerüche aus den Restaurants, Imbissbuden und den Straßenständen zu uns herüber. Man wusste gar nicht, wo man zuerst hinschauen sollte. Wo sollten wir hingehen? Ich wusste es nicht. Zum Glück übernahm Elias die Entscheidung und führte uns zu einem kleinen Restaurant etwas abseits des ganzen Trubels.

Es war ein brasilianisches Lokal und wir setzten uns direkt am Eingang hin, weil weiter drinnen kaum Plätze übrig waren. Es hing der typische Essens- und Kerzengeruch im Raum. Die Leute unterhielten sich angeregt miteinander und ich sah mich aufgeregt um. Überall an den Wänden waren Bilder aufgehängt, auf der anderen Seite des engen Ganges befand sich eine Bar und zwei Kellner unterhielten sich miteinander. Einer von ihnen kam erst nach einer halben Ewigkeit zu uns. Die hatten wirklich die Ruhe weg. Ich bestellte Chicken Wings mit Salsa und Pommes und erntete gleich schräge Blicke von meinen Freunden.

„Sam, wir sind in einem brasilianischem Restaurant. Das Zeug bekommst du an jeder Ecke!“, meinte Calvin entsetzt. Ich grummelte. War mir doch egal! Auf dieses feine Zeug hatte ich nun mal keine Lust. Mit all den komischen Ausdrücken konnte ich sowieso nicht viel anfangen und ich aß nun mal lieber Sachen, die ich auch kannte. Da wusste ich wenigstens woran ich war.

Nachdem wir bestellt hatten, kam plötzlich ein Mädchen auf uns zu. Ihre schwarzen Locken wippten fröhlich auf ihrem Kopf herum und wurden lediglich von einem Haarband zurückgehalten, welches sie um die Stirn trug und eher Ähnlichkeit zu einer Perlenkette zeigte. Sie trug ein buntes Top ohne Träger und ich wartete nur darauf, dass es ihr runterrutschte. Wie konnte das nur halten? Ihre Ohrringe waren ziemlich lang und bestanden zum Großteil aus einer Feder und ihre Holzkette, die aus mehreren Plättchen bestand, stand ihr ziemlich gut.

„Hey! Wie geht’s euch? Kann ich euch ein paar Flyer geben?“, fragte sie fröhlich und setzte sich frech zu uns an den Tisch. „Ich heiße Letícia Peres. Ich mache beim Karneval mit und da wir noch nach ein paar Leuten suchen, wollte ich euch mal fragen, ob ihr Lust drauf hättet?“

Wir sahen sie erstaunt an. Calvin raufte seine platinblonden Haare und sah nicht so begeistert aus, ganz im Gegensatz zu Hanna, die begeistert einen Flyer annahm und ihn sich durchlas. Elias nahm ebenfalls einen Zettel an sich, ohne ein weiteres Wort. Ich sah sie erstaunt an. Was Letícia an braunem Teint zu viel hatte, könnte sie glatt Elias abgeben. Der war nämlich noch immer blass wie eine Leiche.

Aufmerksam sah Letícia uns an und grinste breit in die Runde. „Ich mache dieses Jahr auf jeden Fall mit meiner Gruppe mit. Wir sind nicht viele, aber wir haben uns schon angemeldet und eine Choreographie haben wir auch. Momentan schneidern wir noch fleißig an den Kostümen und unserem Karnevalswagen. Der soll was hermachen und ins Auge stechen. Das ist wichtig! Auffallen müssen wir um jeden Preis.“

Ich stellte fest, dass Letícia ein ziemliches Plappermaul war. Aber irgendwie mochte ich das auch. Die meisten meiner Freunde waren eher ruhig und zurückhaltend. Calvin war nur am nörgeln, sobald er den Mund öffnete. Elias redete nur das Nötigste. Mit Hanna konnte ich gut reden, aber sie war auch eher von der ruhigen Sorte. Lake war schwer einzuschätzen. Er brachte mich häufig auf die Palme und nervte mich einfach nur.

„Was habt ihr heute noch so vor? Irgendetwas besonderes?“, fragte Letícia und riss mich aus meinen Gedanken heraus. Planlos sah ich zu meinen Freunden, die auch noch ziemlich unschlüssig zu sein schienen.

„Wir gehen erst mal durch die Stadt und dann mal sehen. Wir hängen einfach mal ein wenig herum und vielleicht gehen wir noch an den Strand runter.“, meinte Hanna und übernahm für uns das Reden. Überhaupt schien sie gleich mit Letícia auf einer Wellenlänge zu sein, da die beiden Mädchen schnell ein Gesprächsthema fanden. Sie mochten nämlich beide gerne tanzen und den Karneval mochten hier in Brasilien sowieso alle.

Da das Gespräch mich nicht lange fesseln konnte, wartete ich mit grummelndem Magen auf unsere Bestellung und hoffte, dass wir nicht allzu lange warten mussten. Der Kellner hatte ja schon eine Ewigkeit gebraucht, um zu uns an den Tisch zu kommen!

„Kann ich mitkommen? Ich hab heute nicht mehr allzu viel zu tun und ich könnte nebenbei noch ein paar Flyer unter die Leute bringen.“, schlug Letícia fröhlich vor und beugte sich über den Tisch, wobei ich ihr direkt in den Ausschnitt sehen konnte. Krampfhaft versuchte ich meinen Blick abzuwenden. Schnell irgendwo anders hinsehen. Nur wo? Wieso musste sie mir ihre Brüste zeigen? Die wollte ich doch gar nicht sehen?! Ich sah zur Seite, aber das war auch nicht unbedingt besser, denn nun hing mein Blick in Elias Schritt. Ich lief rot an und sah lieber schnell auf meinen Schoß. Mit einem Seitenblick schielte ich aber doch noch ein mal zu Elias Körpermitte. Wie kam es nur, dass ich einen Penis interessanter fand als die üppigen Brüste eines hübschen Mädchens?

Verwirrt schüttelte ich den Kopf und erntete ein paar komische Blicke meiner Freunde. Als auch endlich unser Essen kam und Letícia sich ebenfalls noch etwas bestellt hatte, herrschte erst mal ein wenig Ruhe an unserem Tisch, weil alle fieberhaft dabei waren, ihre knurrenden Mägen zu besänftigen.

Ich war ziemlich beschäftigt mit meinen Pommes, als ich auf einmal eine Hand an meinem Bein spürte. Ich lugte kaum merklich unter den Tisch und stellte fest, dass es Elias Hand war. Ich lächelte leicht, doch es gefror mir schlagartig, als ich merkte, dass er sich langsam in höhere Gefilde vorwagte. Was hatte er vor?

Kaum in der Lage weiter zu essen, prickelte es auf meiner Haut und ich spürte, wie sich seine Hand langsam immer weiter meiner Körpermitte näherte. Ich spürte, wie mich das etwas erregte und ich presste hastig die Beine zusammen. Allerdings hatte ich damit auch gleich Elias Hand in Beschlag genommen und er konnte sie nicht so einfach zurück ziehen.

Wir waren in einem Restaurant und er begann einfach mich vor allen Leuten zu befummeln, nur dass es scheinbar niemand zu bemerken schien. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Allerdings musste ich zugeben, dass es irgendwie auch spannend war. Jeden Moment könnte jemand an mir vorbeilaufen und die Hand an meinem Schritt sehen. Was auf gar keinen Fall passieren sollte!

Ich versuchte mich wieder auf mein Essen zu konzentrieren und warf kurz den Mädchen einen Blick zu, nur um feststellen zu müssen, dass ich ihnen schon wieder in den Ausschnitt starren musste. Wieso konnte nicht ein Kerl vor mir sitzen? Und wieso zum Teufel machte Elias Hand mich so verrückt?!

„Ich gehe kurz aufs Klo!“, klärte ich meine Freunde lauter als gewollt auf. Sie nickten mir überrascht zu und als ich aufstand, spürte ich Elias Blick regelrecht in meinem Nacken. Ich lief ins Bad, vorbei an den Blicken der Gäste, die aussahen als wüssten sie was mit mir los war und schloss die Tür hinter mir.

Plötzlich ging die Tür hinter mir auf und ich wurde erst mal mitten in den Raum gestoßen. Überrascht drehte ich mich um und sah in Elias Gesicht. Was wollte er hier?

Elias schloss die Tür und kam auf mich zu. Langsam ging ich ein paar Schritte zurück, bis er mich an die Wand dirigierte. „Wieso hast du das eben gemacht?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Ich mag es nicht, wenn du ihnen die ganze Zeit auf die Brüste starrst.“, meinte Elias stur und sah mich an. Ertappt und rot im Gesicht, sah ich zu ihm auf. Er hatte es also gemerkt! Ob es auch die anderen wussten? Leichte Panik kam in mir auf.

„Das war keine Absicht! Kann ich doch nichts für, wenn die so leicht bekleidet herumlaufen!“, erwiderte ich leicht patzig. Elias sagte daraufhin nichts. „Du kannst mich nicht einfach mitten im Restaurant befummeln!“, fügte ich hinzu. „Es stört mich ja nicht, aber mach das nicht vor allen Leuten, Elias.“, bat ich ihn.

Elias grinste leicht. „Also ist es okay, wenn ich dir daheim an die Wäsche gehe?“, fragte er frech. Ich sah verlegen zu Boden. Selbst bei mir oder bei Elias konnten wir jederzeit erwischt werden. Das war mir unangenehm, weil es bereits einmal passiert war. Ein weiteres Mal würde ich bestimmt nicht überleben!

Elias ging einen Schritt auf mich zu. „Hier sind wir auch allein.“, meinte er leise mit verführerischer Stimme. Erschrocken sah ich auf und direkt in seine Augen. Ich zog meine Augenbrauen zusammen.

„Komm ja nicht auf blöde Ideen! Wenn hier jemand reinkommt, will ich ganz sicher nicht mit dir erwischt werden!“, wetterte ich ihn an. Elias zuckte mit den Schultern.

„Einen Versuch war es wert.“, meinte er mit einem breiten Grinsen und gab mir doch noch einen kurzen Kuss auf die Lippen. Ich war geneigt, den Kuss zu erwidern, aber ich beherrschte mich. Stattdessen griff ich nach Elias Hand und zog ihn mit mir aus der Toilette, zurück zu meinen Freunden. Wenn wir zu lange wegbleiben würden, dachten die sich bestimmt sonst was. Auf dumme Kommentare konnte ich gut und gerne verzichten.

Wir setzten uns wieder hin, wobei Elias an mir vorbei musste, denn er saß zwischen mir und Calvin auf einer Bank. Ich setzte mich neben Elias und warf ihm einen mahnenden Blick zu. Der sollte nur nicht wieder auf solche Gedanken kommen. Zumindest nicht, solange wir nicht allein waren. In der Öffentlichkeit war es mir einfach viel zu peinlich!

Wie wir nach einer Weile feststellen mussten, würden wir wohl nicht an den Strand gehen. Es hatte in der Zwischenzeit wieder angefangen zu regnen. Deprimiert starrte ich nach draußen. Sah so aus, als müssten wir wieder heim gehen.

Letícia schien andere Pläne zu haben. Sie wollte uns die Tanzschule vorstellen und scheinbar auch gleich ein wenig für ihren Auftritt beim Karneval werben. Sollte mir nur recht sein. Nach Hause wollte ich jetzt nicht unbedingt. Es wäre zwar schön noch ein wenig mehr Zeit mit Elias zu verbringen, aber leider war auch Calvin im Haus und so würden wir auf Dauer nicht alleine sein können. Zu schade aber auch!

So ging die ganze Gruppe nach dem Essen durch die gefüllte Einkaufsstraße und wir versuchten uns mühsam durch die Menschenmengen zu kämpfen. War zwar nicht ganz einfach, aber ich konnte mich von Elias an der Hand mitschleifen lassen, also brauchte ich mich nicht allzu sehr auf den Weg konzentrieren. So würde ich wenigstens auch nicht meine Freunde aus den Augen verlieren.

Nach einer halben Ewigkeit, in Wirklichkeit waren es nur einige Minuten, kamen wir vor einem nichtssagendem Gebäude an. Es war eingekeilt zwischen zwei Läden und wirkte kaum interessant auf den Betrachter. Nichtssagend. Ein einfaches Gebäude, leichte Risse zeigten sich bereits und das Einzige, was auf eine Tanzschule hinwies war ein großes Plakat am Eingang. Es gab nicht mal große Fenster durch die man hätte hindurchsehen können. Es erinnerte mich irgendwie an ein Gefängnis.

Eigentlich hatte ich nicht wirklich Lust mir so ein olles Gebäude anzusehen und zu gucken, wie andere Leute ihre Körper halb verbogen. Nett wie ich natürlich war, ging ich ohne zu murren mit hinein und tat interessiert. Wenigstens war ich nicht der Einzige, denn Elias und Calvin waren genauso wenig begeistert davon wie ich.

Wir mochten zwar den Karneval, aber das ganze Drumherum war eher belanglos in unseren Augen. Uns ging es nun mal ums Feiern. In dieser Hinsicht waren wir alle drei eher einfach gestrickt. Während also Hanna und Letícia sich alles ansahen und besprachen, standen wir wie die Deppen dumm in der Gegend herum.

Calvin schien schon zu bereuen mit uns gekommen zu sein. Er sah grimmig drein und setzte sich auf einen Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt. Elias und ich beschlossen, uns zu ihm zu setzen, da wir auch nicht viel zu tun hatten.

„Das ist doch die reinste Zeitverschwendung!“, meckerte Calvin uns leise von der Seite zu.

„Tja, was sollen wir sonst machen? Einfach abhauen?“, fragte ich ihn und lehnte mich an Elias. Mein Kopf landete auf seiner Schulter und ich spürte, wie Elias nach meiner Hand griff.

„Immer noch besser, als hier nutzlos herumzusitzen! Ich meine, was bringt es uns hier rumzuhocken?!“, schnaubte Calvin und sah uns von der Seite an.

Elias grinste. „Och, ich finde, es hat durchaus seine Vorzüge.“

Ich sah zu ihm. Er grinste mich an und drückte meine Hand. Das meinte er also. Ich lächelte zurück und sah dann wieder zu den Mädchen, die natürlich gar nicht mitbekamen, was hier hinten bei uns ablief.

„Wir bleiben ja nicht stundenlang hier. Das wirst du schon überleben.“, meinte ich zu Calvin, war aber zu faul zu ihm zu sehen. Der lachte nur höhnisch auf.

„Falls du es vergessen hast, ich bin hier um dir Nachhilfeunterricht zu geben! Alles andere ist reine Zeitverschwendung in meinen Augen!“, keifte er gereizt.

Leise stöhnte ich auf. Calvins Unterricht war einfach nur ätzend langweilig. Ich war froh, wenn ich mal einen Tag verschont blieb. Besser mehrere Tage, damit ich genug Kraft sammeln konnte, um die nächsten Stunden zu überleben.

Schon nach kurzer Zeit kam Hanna zu uns zurück und sah mehr als zufrieden aus. Sie meinte, sie würde noch eine Weile bei Letícia bleiben und mit ihr fachsimpeln. Das hieß im Klartext: Wir waren unerwünscht und konnten schon mal heimgehen. Schön, wäre nur toll gewesen, wenn wir das schon früher erfahren hätten. Dann hätten wir uns die Langweile auch anders vertreiben können.

Ich nahm es Hanna nicht übel. Sie sah so fröhlich aus und schien ganz glücklich darüber zu sein. Sie verstand sich prächtig mit Letícia und war Feuer und Flamme für den Karneval. Ich konnte es gut nachvollziehen. Schade, dass ich noch nichts hatte, was mich so sehr fesselte. Ich brauchte dringend ein Hobby!

Mit Elias und Calvin trat ich also den Rückzug an. Zurück durch die Massen an Menschen und dann ab nach Hause. Vielleicht würden wir noch ein paar Filme im Wohnzimmer schauen. Ich hegte die leichte Hoffnung, dass Elias und ich wieder ein bisschen fummeln konnten. Irgendwie war ich auf Geschmack gekommen.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und sah mich weiter um. Ich blieb an einer Person hängen. Es war ein Junge in ziemlich dunkler Kleidung, schwarzer Jacke, blauer Jeans und einer schwarzen Sonnenbrille. Er sah in meine Richtung und ein Schauer erschütterte meinen Körper. Der Junge sah wieder weg, aber irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl.

„Sam, alles okay?“, fragte Elias. Er hatte mir etwas erzählt, aber ich hatte überhaupt keine Notiz davon genommen. Ich sah irritiert zu ihm auf.

„Was hast du gesagt?“, fragte ich ihn planlos.

Elias schüttelte den Kopf. „Wo bist du nur mit deinen Gedanken? Ich wollte wissen, ob ich heute bei dir übernachten kann?“

„Ah, ähm, ja, geht klar.“, stammelte ich und sah noch einmal zurück. Der Junge war weg. War das nur so ein Gefühl oder kannte ich diesen Jungen?

Elias drehte sich in die Richtung in die ich sah. „Was ist da?“, fragte er mich interessiert.

„Nichts.“, murmelte ich und zog Elias an der Hand hinter mir her.

Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen. Es riecht irgendwie wie Sieg.




Kaffee. Ich habe mich noch nie in meinem Leben mit diesem Getränk auseinander gesetzt. Bis zu jenem Tag, an dem ich es das erste Mal kosten durfte.

Und diesen Tag verwünsche ich!

Elias hatte bei mir übernachtet. Wir waren uns an die Wäsche gegangen, was mir allein bei dem Gedanken daran, die Röte ins Gesicht trieb.

Gedankenversunken saß ich am Frühstückstisch. Zusammen mit meinen Eltern, Elias und Calvin. Wäre ja auch so an sich in Ordnung, würde Calvin nicht ständig über meinen Nachhilfeunterricht meckern. Ja, vielleicht war ich nicht immer bei der Sache, aber sein wir mal ehrlich, die Hälfte davon würde ich später sowieso nicht mehr brauchen. Zumindest hatte Elias mir das mal gesagt.

Schon wieder glitt mein Blick zu ihm. Das war mir an diesem Morgen schon öfter passiert. So genau wusste ich auch nicht warum, aber ich musste ihn immer anstarren. Er sah von seinen Cornflakes auf und lächelte mich an.

Vielleicht lag es ja an seinem Stil, denn er trug immer nur schwarz. Wurde ihm das auf Dauer nicht langweilig? Ich meine, es gibt doch so tolle und viele Farben, da musste er doch nicht ständig herumlaufen, als würde er zu einer Beerdigung gehen. Er müsste dringend mal in die Sonne. Elias war meiner Meinung nach viel zu blass. Wenn ich einige Stunden in der Woche in der Sonne war, wurde ich ziemlich schnell braun. Was ich mochte, waren seine Haare, für die er immer ziemlich lange im Bad brauchte. Das nahm ich ihm auch nicht so übel, als wenn Calvin morgens das Badezimmer belagerte. Lag aber wahrscheinlich auch daran, dass Elias nach mir ins Bad ging und es mir dann sowieso egal war. Was ich gar nicht mochte war, wenn er sich schminkte. Er war doch kein Mädchen! Dann brauchte er auch keine Schminke im Gesicht.

Emostyle. Sagte mir so gar nichts, aber Elias hatte es mal erwähnt. An dem Abend, an dem ich ihn seit dem Krankenhausaufenthalt getroffen hatte. Obwohl, ich muss sagen, seitdem sah er schon wesentlich besser aus. Inzwischen hatte er auch ein wenig zugenommen und wirkte auch weniger gestresst. Und er konnte sich für so viele Sachen begeistern, das gefiel mir.

Trotzdem gab es da noch eine Sache, die mir seit längerem Kummer bereitete. Elias Stalker. Ich wusste nicht, ob ich ihm sagen sollte, dass er mich bedroht hatte. Ich wollte nicht, dass er sich um mich Sorgen machte. Probleme hatte er auch so schon genug.

Ich sah in meinen Becher, in dem nur noch eine Pfütze Orangensaft war. Ich drehte das Glas in meiner Hand im Kreis und sah zu, wie der Inhalt hin- und herschwappte. Ich seufzte leise und mir wurde klar, dass ich damit alleine klar kommen musste. Vorerst.

„Liebeskummer?“, fragte meine Mum lächelnd.

„Was?“, fragte ich überrumpelt und sah sie an. Wie kam sie denn auf diese Schnapsidee? „Wo denkst du hin? Ich bin doch nicht verknallt!“, meckerte ich aufgebracht.

Meine Mutter zuckte mit den Schultern. „Ich dachte nur, weil du heute ständig in deinen Gedanken ganz weit weg bist und dein Seufzer eben, spricht auch Bände. Außerdem dachte ich mir, dass du dich in letzter Zeit doch ganz gut mit Hanna verstehst. Habt ihr euch gestritten?“

„Boah! Mum! Ich steh nicht auf Hanna! Ich hab keinen Liebeskummer und ich bin ganz sicher nicht verliebt!“, meinte ich empört und sah sie mal wieder bitter böse an.

„Na, wenn du meinst.“, erwiderte sie nur und widmete sich wieder ihrem Teil der Zeitung, die sie sich morgens mit meinem Vater teilte.

Ich sah genervt zurück zu meinem Glas, wobei mein Blick Elias streifte, der mich mit so einem komischen Ausdruck ansah, den ich nicht deuten konnte. Fragend sah ich zu ihm, aber er widmete sich ohne ein Wort seinen Cornflakes.

Ich verzog meinen Mund zu einer Schnute und kippte den Rest des Orangensaftes in meinen Mund. Ich griff nach der Flasche, um nachzufüllen, als sich schon wieder unsere Blicke trafen. Schon wieder dieser komische Gesichtsausdruck und wieder wusste ich ihn nicht zu deuten. So langsam ging es mir gehörig auf die Nerven, wie er mich ansah. Wieso sagte er es nicht, wenn er mir etwas zu sagen hatte?

„Die neue Scheibe kommt heute.“, meinte mein Vater und legte den Sportteil der Zeitung auf dem Tisch ab. Wir sahen zu ihm und sofort kam mir der Vorfall zurück ins Gedächtnis. Was, wenn es wirklich mein Vater war, auf den man es abgesehen hatte? Vielleicht war es ja eine Drohung gewesen? Das er sich in acht nehmen sollte, weil er irgendetwas wusste? Top Secret oder so?

Ich hatte wohl zu viele Actionfilme gesehen. Vielleicht machte ich mir auch umsonst Sorgen? Es könnte auch ein Streich gewesen sein. Oder es war Ryan. Immerhin meinte er, ich sollte mich von Elias fernhalten und das hatte ich nicht getan. Im Gegenteil.
Ryan würde ich alles zutrauen!

„Ich finde es unerhört, dass der Täter immer noch nicht gefasst worden ist! Was macht die Polizei eigentlich? Die suchen doch gar nicht nach ihm! Wahrscheinlich sitzen die nur faul im Büro und stopfen sich mit Donuts voll!“, ereiferte sich Calvin wütend.

„Was sollen sie denn machen? Du kannst nicht von einer Minute auf die Andere einen Täter fassen.“, meinte mein Dad. „Und es ist nicht der einzige Fall an dem die Polizei arbeitet.“

„Wie kannst du so ruhig sein? Es ist immerhin dein Haus, dass beschädigt worden ist!“, schnauzte Calvin meinen Vater an.

„Äußerlich bin ich ruhig, ja.“, meinte mein Vater ernst und sah Calvin an. „Aber glaub nicht, dass es mir am Arsch vorbei geht!“ Er stand auf und brachte sein Geschirr zur Spüle. Mein Vater war wütend und er versuchte sich unter Kontrolle zu halten, dass merkte man ihm deutlich an. Es war kaum zu übersehen.

Überhaupt war heute am Tisch trübe Stimmung. Es war in letzter Zeit aber auch so einiges passiert. Folgten auf schlechte Tage nicht auch wieder gute Tage? Wo blieben die nur?

Ich sah auf, als Elias seine Schüssel weg schob. „Gehen wir in dein Zimmer?“, fragte er mich. Zustimmend nickte ich. Wir standen auf und gingen durch den Flur in mein Zimmer.

„Elias, ich glaube, ich brauche dringend ein Hobby sonst gehe ich hier noch ein.“, meinte ich und ließ mich auf mein Bett fallen.

„Und was willst du machen?“, fragte er mich und ließ sich in meinen Sitzsack plumpsen. Er lehnte sich nach hinten und sah zu mir.

Ich zuckte lediglich mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Sport vielleicht? Ich liebte es draußen zu sein. „Vielleicht sollte ich wieder Fußball spielen?“, überlegte ich.

„In einem Verein?“, fragte Elias mich. Träge hob ich den Kopf und sah zu ihm rüber. Wieder ein Schulterzucken.

„Mir wäre es lieber, wenn ich einfach nur so mit ein paar Freunden spielen könnte.“, erwiderte ich daraufhin. Regelmäßig in einem Verein zu spielen, konnte ich mir nicht vorstellen. Dazu fehlte mir einfach die Disziplin.

„Dann gehen wir in den Park und spielen dort, wenn das Wetter wieder gnädig zu uns ist.“, meinte Elias grinsend. Daraufhin nickte ich zögerlich. Ich war mir noch nicht sicher, in wie fern meine Beine schon mitmachen würden, wenn ich rannte.

Auf einmal ging die Tür auf und zu meinem Bedauern kam Calvin in mein Zimmer. Ich sah auf, denn er trug ein Tablett, jedenfalls versuchte er es, denn es war ordentlich am Schwanken. Elias stand schnell auf und nahm es ihm ab, ehe noch ein Unglück geschah.

„Also, was steht heute an?“, fragte er in die Runde. Wir sahen ihn verwirrt an.

„Wir haben nichts geplant“, meinte ich schulterzuckend und schnappte mir einige Snacks vom Tablett. Die braune Brühe musste wohl Kaffee sein. Ich wusste gar nicht, dass Calvin und Elias Kaffee tranken? Für mich stand natürlich ein Glas mit Saft griffbereit.

„Wie? Ihr habt nichts geplant? Na, dann können wir uns auch hinsetzen und lernen!“, meinte Calvin und stemmte seine Hände auffordernd in die Hüften.

Ich sah ihn mürrisch an. Auf Lernen hatte ich noch weniger Lust. Genau genommen hatte ich noch nicht einmal auf Calvin Lust. Konnte der nicht bei meinen Eltern oder in seinem Zimmer bleiben? Ich wollte meine Ruhe haben. Elias war natürlich eine Ausnahme.

Wo wir gerade bei Elias waren. Ich sah schon wieder zu ihm hin. Wurde wohl langsam zum Dauerzustand. Ihn schien jedoch irgendetwas zu beschäftigen, denn er sah Gedanken verloren zu Boden. Mich würde ja mal interessieren worüber er so nachdachte.

„Also, was ist jetzt?“, fragte Calvin in die Runde und erhielt nicht wirklich eine zufriedenstellende Antwort. Was hatte er auch erwartet? Wenn er unbedingt ein Abenteuer erleben wollte, musste er gefälligst rausgehen und es sich suchen!

Mit meinen Snacks legte ich mich in meinem Bett zurück und betrachtete die Decke. Eine Fliege flog Kreise und im Zickzack um meine Lampe herum. Ich hörte wie Calvin schnaufte und dann genervt mein Zimmer verließ. Er schlug die Tür unsanft hinter sich zu und so waren Elias und ich wieder allein. Ich schloss meine Augen und knabberte an einem Keks. So langweilig! Ich musste dringend etwas machen!

„Elias, beschäftige mich!“, forderte ich meinen Freund auf. Träge blieb ich im Bett liegen und bewegte mich keinen Zentimeter. Ich hörte wie Elias lachen musste.

„Mund oder Hand?“, fragte er mich kurz darauf.

Ich seufzte. Ächzend erhob ich mich und stemmte meinen Körper mit den Unterarmen auf der Matratze ab. „Nicht so was!“ Auffordernd sah ich Elias an. Der zuckte jedoch nur mit den Schultern und schien keinen Plan zu haben, was wir anstellen sollten.

Mein Blick fiel auf die Tasse, welche Calvin in meinem Zimmer vergessen zu haben schien. „Ich bringe Calvin seinen Kaffee.“ Gesagt, getan. Ich erhob mich und krallte mir die dampfende Tasse. Ich schnupperte kurz daran. Den Geruch kannte ich, denn meine Eltern tranken ja auch ständig Kaffee. Ich hatte ihn nur noch nie selber probiert.

Nach einem kurzen Blick zu Elias, der sich einen meiner Comics geschnappt hatte, ging ich in den Flur und schloss die Tür hinter mir. Jetzt oder nie!

Ich ging neben meiner Tür in die Hocke und setzte die Tasse an meine Lippen. Vorsichtig und pustend trank ich einen Schluck daraus. „Wie kann man so etwas nur trinken?!“, meckerte ich, als ich den bitteren Geschmack auf meiner Zunge spürte.

Das Zeug war ja eine Zumutung! Was fanden die Erwachsenen nur so toll an Kaffee? Wie bekam Elias den nur runter?!

Moment, vielleicht wurde es besser, wenn man mehr davon trank? Also nahm ich noch einen Schluck, auch wenn es mir so gar nicht schmeckte. Nein, noch immer lag ein ekelhafter Geschmack auf meiner Zunge. Ich zögerte einen Moment und trank dann langsam die Tasse Schluck für Schluck leer.

Ich lehnte mich zurück. Da hatte ich mich wohl geirrt. Es schmeckte nicht besser. Da war es egal, wie viel man trank.

Ich vernahm ein Knirschen und dann ging die Tür auf. Ich sah nach oben und direkt in Elias verwundertes Gesicht. „Was machst du da?“, fragte er mich überrascht.

„Nichts, nichts!“, stammelte ich und versuchte schleunigst die Tasse hinter mir zu verstecken. Elias zog skeptisch seine Augenbrauen zusammen.

„Kommst du wieder rein?“, fragte er nur, ohne einen weiteren Kommentar. Ich nickte. Nachdem ich mich erhoben hatte, schob ich Elias hastig zurück ins Zimmer. Die Tasse stand noch immer auf dem Flur.

Mein Blick fiel nun jedoch auf Elias unberührte Kaffeetasse. Es schmeckte wirklich nicht, aber vielleicht musste ich noch mal in den sauren Apfel beißen? Möglicherweise musste man sich einfach nur daran gewöhnen?

Und wie bekam ich jetzt Elias aus dem Zimmer? Krampfhaft überlegte ich, aber mir wollte einfach nichts einfallen.

„Elias, ich habe Kopfschmerzen. Kannst du mir aus dem Badezimmer eine Tablette holen?“, bat ich meinen Freund, der sich gerade in den Sitzsack geworfen hatte. Elias sah zu mir.

„So schlimm?“, wollte er wissen. Daraufhin nickte ich nur.

Er erhob sich wieder und verschwand aus meinem Zimmer. Da ich nicht allzu viel Zeit hatte, lief ich sofort zu seiner Tasse, pustete was Zeug hielt, damit meine Zunge verschont blieb und trank den Kaffee hastig auf Ex.

„Hey, Sam! Da waren keine Tabletten mehr!“, rief Elias mir vom Flur aus zu und beinahe verschluckte ich mich an der braunen Brühe. „Nanu? Calvin hat einfach die Tasse vor unserem Zimmer abgestellt. Kann er die nicht selber in die Küche bringen?“

Ich stellte hastig die Tasse zurück auf das Tablett. Jetzt hatte ich nur das Problem, dass die Tasse leer war. Das fiel doch auf! Ich schnappte mir das Tablett und lief nervös an Elias vorbei. „Ich bringe es in die Küche.“

Elias stellte mir die Tasse auf das Tablett und schien gar nicht zu bemerken, dass seine Tasse ebenfalls leer war. Was für ein Glück!

Erleichtert und aufatmend ging ich durch den Flur direkt in die Küche. Ich stellte das Tablett auf der Spüle ab und sah mich dann um. Meine Eltern waren nicht da. Wahrscheinlich waren sie längst zur Arbeit gefahren.

Mein Blick fiel auf die Kanne auf dem Küchentisch. Ich mochte das Zeug wirklich nicht, aber man musste wohl wirklich mehr davon trinken, um auf den Geschmack zu kommen, sonst würden die Anderen es ja wohl kaum zu sich nehmen. Ich verstand immer noch nicht wie man daran gefallen finden konnte.

Ich schnappte mir Elias Tasse und goss nach. Vorsichtig schlürfend, weil der Kaffee so heiß war, trank ich in kleinen Schlucken.


◆ ◆ ◆




Elias gähnte und warf einen Blick auf die Uhr. Nach einer ganzen Weile hatte er dann auch mal bemerkt, dass ich nicht zurück gekommen war. Er erhob sich aus meinem Sitzsack und schlurfte durch das Zimmer, den Flur entlang und in die Küche.

„Sam? Alles in Ordnung?“, fragte er mich.

„Ah! Elias! Das Zeug schmeckt zwar zum Kotzen, aber ich fühle mich irgendwie gerade ziemlich gut! Jetzt weiß ich wieso alle davon trinken! Willst du auch was? Nein? Gut, bleibt noch mehr für mich!“, quasselte ich Elias gut gelaunt zu.

Elias sah mich verwirrt an. Dann erst bemerkte er, was ich da gerade Literweise in mich hineinkippte. „Sam! Wie viel hast du vom Kaffee getrunken?“

Ich legte den Kopf schief und wiegte ihn bedächtig hin und her. Die Frage war schnell vergessen, weil ich die die Sache mit meinem Kopf viel amüsanter fand. Ich musste lachen und versuchte ihn noch schneller zu schütteln.

„Sam!“, murrte Elias und zog mich von meinem Stuhl hoch. Ich grinste ihn an und drängte Elias gegen die nächste Wand. „Na, wen haben wir denn da?“, hauchte ich ihm verführerisch entgegen. Ich stemmte meine Hände neben seinem Kopf an der Wand ab und drückte ihm mein Knie zwischen seine Beine.

„Was wird das?“, fragte Elias mich überrascht und leicht rot im Gesicht. Als ich mein Bein näher gegen seine Körpermitte drückte, musste er leicht stöhnen.

Ich musste grinsen und schon wenige Sekunden sah ich aus wie ein Breitmaulfrosch. „Bwahahahah...du müsstest mal dein Gesicht sehen!“, lachte ich und zeigte mit meinem Finger auf Elias. Ich ließ mich zu Boden fallen und kugelte mich vor Lachen. Der Anblick war einfach zu herrlich gewesen.

„Sam!“,, keifte Elias beleidigt. Er sah mich aufgebracht an, was ich jedoch gekonnt ignorierte. Stattdessen robbte ich näher an Elias heran und zog an seinem Bein. Da allerdings nicht das eintrat, was ich wollte, zog ich noch stärker und mit einem heftigen Ruck, plumpste Elias unsanft auf seinen Hintern. „Boah! Sam, lass den Mist!“

Ich kicherte nur vergnügt und begann Elias, der eindeutig schwächer war als ich, zu kitzeln. Erst versuchte er seine Fassung zu bewahren, sah stur zur Seite und versuchte sein Lachen zu unterdrücken. Allerdings bemerkte ich, wie seine Mundwinkel verdächtig zuckten und so ließ ich mich nicht davon abbringen unbarmherzig weiterzumachen.

Elias versuchte krampfhaft meine Hände von seinem Bauch wegzuschieben, aber es gelang ihm nicht und so hatte ich weiterhin die Oberhand. Ich fand schon nach kurzer Zeit eine Stelle, an der er besonders kitzelig war und so konnte er nicht länger an sich halten und musste herzhaft lachen.

Ich musste ebenfalls lächeln. Mein Elias sah einfach nur hinreißend aus, wenn er lachte. Also machte ich einfach weiter und kitzelte ihn überall, fand schon bald seine empfindlichsten Stellen und konnte kaum genug von seinem Lachen kriegen. Das hatte ich einfach schon zu lange nicht mehr gehört.

„Sam! Hör auf, sonst pinkle ich mir gleich in die Hose!“, bettelte er kichernd und drückte meine Hände weg.

Ich hörte auf, wenn auch nur ungern und Elias sah mich mit geröteten Wangen an, während er tief mit offenem Mund Luft holte. Wir sahen uns beide etwas aus der Puste an. Elias lag halb liegend unter mir. Sein Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig.

Ich drängte mich zwischen Elias Beine und beugte mich zu ihm herunter. Elias sah knallrot zu mir auf und gerade als ich mich zu ihm herunter beugen wollte, um ihn zu küssen, kam der Herr aller Spielverderber aus seinem Zimmer.

„Könnt ihr nicht leiser sein?!“, wetterte Calvin noch vom Flur aus. „Wie soll man in diesem Haus ein Buch lesen, wenn ihr so laut seid?“

Elias und ich sahen zu ihm auf, wobei ich unwillkürlich grinsen und dann lachen musste. Ich fand das einfach nur witzig, auch wenn ich nicht wusste, warum.

„Wieso lachst du über mich? Das ist nicht lustig!“, meckerte Calvin mich wütend an und sah eingeschnappt zu mir herunter.

Ich musste jetzt erst recht lachen. Elias sah zu Calvin auf. „Er hat einen Koffeinschock.“, meinte er amüsiert und wuschelte mir durch die Haare. Lachend tat ich es ihm nach und vergrub meine Finger in seinen weichen schwarzen Haaren.

„Wie kommt das denn bitte? Was hast du ihm gegeben?“, fragte Calvin entgeistert.

Elias schob meine Hand aus seinen Haaren und hielt sie fest. Davon ließ ich mich aber nicht abbringen, denn ich hatte ja auch noch meine andere Hand. „Gar nichts!“, verteidigte Elias sich. „Er hat sich einfach nur am Kaffee bedient.“

„Na ganz toll und jetzt?“, wollte Calvin sprachlos wissen. „So wie Sam drauf ist, fahre ich ganz sicher nicht mit ihm zum Arzt!“

Elias schüttelte lediglich mit dem Kopf. „Dann müssen wir eben abwarten, bis er wieder runter kommt.“

„Und wann wird das sein?“

„Woher soll ich das denn wissen? Er hat ja beinahe die ganze Kanne geleert!“, brummte Elias und versuchte meine Hände abzuwehren, weil ich ihm mal wieder an die Wäsche gehen wollte. Ich gluckste und fand das alles einfach nur lustig. Begeistert entzog ich ihm meine Hände und ehe Elias noch etwas machen konnte, schob ich sie unter sein schwarzes Shirt.

Elias keuchte auf. „Sam...“

„Hallo?! Ich bin immer noch da!“, schimpfte Calvin missmutig und verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Was soll ich denn machen?“, erwähnte Elias grimmig. Er griff nach meinen Händen und ließ mich nicht weitermachen, auch wenn es ihm mehr als gut gefiel, was ich da mit meinen Fingern anstellte.

Okay, wenn ich mit den Händen nicht weiter machen konnte, dann eben mit meinem Mund. Ich beugte mich herunter, störte mich nicht im Geringsten daran, dass Calvin mir dabei zusah und bearbeitete Elias Hals mit meinen Zähnen. Er keuchte und bekam eine Gänsehaut.

Grinsend leckte ich über die bearbeitete Stelle, als es Calvin wohl zu viel wurde, denn er zog mich von Elias weg. Grummelnd sah ich zu meinem Cousin auf. Was sollte das werden? Ich hatte doch gerade meinen Spaß hier!

„Kannst du dich nicht benehmen? Du bist hier nicht der Einzige im Haus!“, keifte Calvin mich genervt an.

„Im Gegensatz zu dir hab ich den Heimvorteil!“, merkte ich gelassen an und sah zu Calvin auf, ohne mit der Wimper zu zucken. Der sollte sich mal nicht so haben. Wenn man immer nur mit ernstem Gesicht durchs Leben lief, würde es dadurch auch nicht besser werden. „Bleib mal locker.“

Calvin schnaufte empört und ließ mich los. „So eine Unverschämtheit!“

Desinteressiert kroch ich sofort wieder zu Elias und pflanzte mich auf seinen Schoss. Mit meinen Beinen umklammerte ich ihn. Am besten ich ging gleich auf Nummer sicher. Wer wusste schon, wer mich als nächstes von ihm trennen wollte!

Elias seufzte. „Ich kriege das schon irgendwie geregelt!“, versuchte er Calvin zu beruhigen. Dieser lachte nur verächtlich auf und ging verstimmt zurück in sein Zimmer. Natürlich musste er die Tür zuknallen. Was für ein theatralischer Mensch!


◆ ◆ ◆


„Elias...mir ist irgendwie nicht gut!“, merkte ich an ohne ihn dabei anzusehen. Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gebettet und fühlte mich so gar nicht wohl. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie viel Kaffee ich getrunken hatte, aber was ich wusste war, dass mir schlecht war. Aber so was von!

„Elias...“, jammerte ich.

Er drehte seinen Kopf zu mir und vergrub seine Finger in meinen Haaren. „So schlimm?“, fragte er besorgt. Elias hob meinen Kopf an und so war ich gezwungen ihm in die Augen zu sehen.

Ich knabberte auf meiner Unterlippe. Mein Puls raste und meine Hände zitterten. Ich war hellwach, aber mir war einfach nur schlecht. Mit blassem Gesicht sah ich zu Elias auf.

„Ich glaube, ich sterbe!“, murmelte ich und musste schlucken.

Elias sah mich nur mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Du wirst nicht sterben!“, meinte er grinsend und strich mir über den Rücken. Wir saßen auf meinem Bett und mein Freund hatte es wirklich geschafft, mich nach einiger Zeit wieder herunterzuholen.

„Kaffee schmeckt scheußlich!“, jammerte ich und hielt mir den Bauch. Ich hatte furchtbare Schmerzen. Elias legte den Kopf schief und musterte mich.

„Wenigstens weißt du jetzt, dass du nicht zu viel Kaffee trinken solltest, wenn du es nicht gewohnt bist!“, meinte er nur und ließ sich nicht von meinem Wimmern erweichen.

„Ich trink das Zeug nie wieder!“

„Wenn du meinst.“

„Meine ich!“

Elias kicherte. „Wenn ich so bedenke, was du vorhin mit mir angestellt hast, würde ich das aber gerne wiederholen.“ Ich zog mich etwas zurück und sah ihn fix und fertig an.

„Wenn ich wieder unter den Lebenden weile, können wir es noch mal angehen.“ Ich ließ mich seitlich ins Bett fallen und zog Elias mit mir, schloss ihn in meine Arme und schmiegte mich an ihn.

„Elias...später...“, keuchte ich.

Er kicherte. „Ich? Ich mache doch gar nichts!“

Werde niemals wütend, gleiche aus.




Es war spät am Nachmittag als endlich die Scheibe geliefert wurde. Es war nicht einfach sie einzubauen, schon gar nicht, wenn eine ganze Familie mit Argusaugen darüber wachte und die Arbeit der Leute von allen Seiten bemängelte.

Nach ein paar Tassen Kaffee, wurde die Stimmung jedoch lockerer und meine Eltern sahen es nicht mehr so eng, wenn die Arbeiter nicht volle 100 Prozent leisteten.

Das einzige was meine Mutter aufregte, war dass ihr schöner weißer Teppich nach wenigen Minuten grau war. Sie verhandelte mit den Arbeitern, dass sie gefälligst ihre Schuhe auszuziehen hatten, aber die sahen das ganz und gar nicht ein. Es könnte ja sein, dass die Scheibe ihnen auf die Füße fiel. Wutentbrannt machte meine Mum also sofort einen Termin, damit ihr Teppich in den nächsten Tagen gereinigt werden würde.

Elias und ich verkrochen uns derweil in meinem Zimmer. Zuschauen war nicht sehr spannend und der Geruch von Kaffee ließ mich übel aufstoßen.

„Sam! Elias! Wo seid ihr?“, rief meine Mutter durch das ganze Haus und es klang mehr wie eine Aufforderung als eine Frage.

„In meinem Zimmer! Wo sonst?“, brüllte ich ihr entgegen, da sie scheinbar nicht vorhatte, das ganze Haus nach uns beiden abzusuchen.

„Geht noch mal einkaufen! Mir fehlen ein paar Dinge!“, kam es vom anderen Ende der Wohnung.

Ich seufzte. Wieso mussten wir das denn jetzt machen? „Wieso macht ihr es denn nicht?“

„Wegen der Handwerker! Ich kann die doch nicht alleine im Haus lassen! Die stecken womöglich noch irgendetwas ein oder rauchen im Haus!“, kam es zurück und meine Mum schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass die Männer sie durchaus hören konnten. Manchmal konnte sie wirklich peinlich sein!

„Also, was ist nun? Seht zu, dass ihr losgeht! Sonst gibt es heute nichts zu essen! Die Liste liegt auf dem Küchentisch!“

Ich murrte nur und sah Elias genervt an. Ich hatte so gar keine Lust einkaufen zu gehen. Elias lächelte nur. Klar, ihm machte es nichts aus. Er war es gewohnt. Seine Mutter arbeitete ja auch tagsüber und so musste er meist den Haushalt alleine schmeißen.

„Dann wollen wir mal, was?“, meinte Elias und erhob sich von meinem Bett. Ich tat es ihm gleich, wenn auch widerwillig. Irgendwie war ich zu nichts mehr in der Stimmung und das nur weil ich von diesem blöden Kaffee getrunken hatte. Das Zeug würde ich nie wieder anrühren!

„Ich fühle mich immer noch nicht gut!“, murrte ich und legte meine Hand auf meinen Bauch. Elias sah zu mir und wuschelte mir durch meine Haare.

„Wir kaufen noch einen Tee, den du später trinken kannst. Dann geht es dir hoffentlich schnell wieder besser.“

Ich nickte und hoffte, wirklich das würde etwas bringen. Ich war auch so schon kaum in der Lage zu laufen, also schleppte ich mich träge hinter Elias her und lief mit ihm in den Flur. Dort zogen wir uns Schuhe über und konnten endlich auch mal die Jacken weglassen, weil es wärmer geworden war. Ein bisschen frisch war es noch, aber es ging auch schon ohne Jacke. Darüber war ich ganz froh. Die Regentage deprimierten mich irgendwie immer.

Ich verließ mit Elias das Haus und lief über den Kiesweg auf die Straße. Ich warf einen kurzen Blick zu Hanna's Haus. Sie schien aber nicht da zu sein, denn der Geländewagen stand nicht in der Auffahrt. Ich zuckte nur mit den Schultern und folgte Elias brav die Straße herunter. Plötzlich blieb er jedoch stehen.

„Was ist?“, fragte ich ihn. Er seufzte und schlug sich mit der Hand auf die Stirn.

„Wie sollen wir denn einkaufen gehen, wenn die Einkaufsliste und das Geld noch auf dem Küchentisch liegen?“, stellte er völlig verplant fest und rannte noch einmal zum Haus zurück. Ich musste grinsen, denn ich hatte auch nicht mehr daran gedacht und war viel zu sehr mit meiner Übelkeit beschäftigt.

Ich wartete also vor dem Haus an der halbhohen Mauer auf Elias und ließ meinen Blick umher schweifen. Ich sah etwas an einer Hausecke. Da war doch irgendetwas? Neugierig ging ich ein Stück weiter auf die Straße, aber der Schatten verschwand sofort und ich hatte auch keine Lust hinterherzulaufen. Vielleicht war es auch nur eine Katze oder so etwas gewesen?

Natürlich war es keine Katze. Ich wusste genau, wer mich da beobachtete. Ich schluckte und hoffte, dass Elias schnell zurück kommen würde. So langsam bekam ich echt Angst vor Ryan. Er ließ mich zwar noch in Ruhe, aber wie konnte ich wissen, dass sich das nicht bald ändern würde?

Verkrampft setzte ich mich auf die Mauer und sah immer wieder zum Haus, aber der Schatten kam nicht zurück. Erleichtert atmete ich auf, als Elias angelaufen kam und sprang von der Mauer. Ich fiel ihm in die Arme und drückte ihn fest an mich.

„Hey? Was ist denn los? So lange war ich nun auch wieder nicht weg? Oder geht es dir immer noch so mies?“, fragte er mich lachend. Ich schüttelte nur den Kopf und sah dann zu ihm auf.

„Lass uns endlich losgehen. Ich will einfach nur noch in mein Bett zurück!“, jammerte ich Elias die Ohren voll und hängte mich wie eine Klette an ihn. Elias lachte und strich mir über die Wange.

Er zog mich mit und zusammen liefen wir die Straße herunter. Irgendwie war es schön. Ich hatte endlich mal wieder etwas mehr Zeit mit Elias allein zu sein. Das gefiel mir außerordentlich gut. Wann waren wir schon mal allein? In letzter Zeit waren wir ja immer von irgendwelchen Leuten umgeben gewesen.

Ryan war schnell vergessen, als wir mit der Straßenbahn in die Stadt fuhren. Ich genoss den kühlen Wind in meinem Gesicht und lief voraus, während Elias mir langsam zum Geschäft folgte, in dem meine Familie schon Stammkunde war.

Ich rannte sofort zu den Einkaufswagen, schnappte mir einen und fuhr damit wie bei der Formel 1 durch die Gänge.

Plötzlich wurde ich jedoch aufgehalten und drehte mich um. Es war aber nicht Elias, sondern ein Mädchen. Sie sah mich wütend an und sorgte dafür, dass ich mich mit dem Wagen kein Stück vorwärts bewegen konnte.

„Was soll das? Hier sind auch noch andere Kunden! Du kannst nicht einfach so durch die Gänge preschen, als würde der Laden dir gehören!“, meckerte sie mich an und ich duckte mich automatisch ein wenig. Wo war nur Elias? Ich sah mich um, aber er war wohl noch in einem anderen Gang.

„Hey! Hier spielt die Musik! Hast du mich verstanden?“, wollte sie genervt wissen. Ich betrachtete das Mädchen vor mir leicht eingeschüchtert. Bisher waren die Mädchen immer recht nett zu mir gewesen, deswegen verstand ich auch nicht, wieso sie so wütend auf mich war.

Sie hatte platinblond gestufte lange Haare und wie ich ganz kurz feststellen durfte, sogar ein Piercing auf der Zunge. Tat das nicht weh? Eine rosa Perlenkette zierte ihren Hals. Ansonsten lief sie in einem einfachen Top und einer Jeans durch den Laden. Einzig ihr Namensschild ließ erahnen, dass sie hier arbeitete. Maria Jozè stand darauf.

Ich sah in ihr abwartendes ernstes Gesicht und schluckte. „Tut mir Leid...“

„Glaub ich dir nur nicht! Was willst du denn machen, wenn du eine ältere Frau umfährst? Du musst gefälligst etwas mehr aufpassen! Du bist nicht der Einzige hier im Laden!“, meckerte sie und sah wohl gar nicht ein, dass ich meine Entschuldigung durchaus ernst meinte.

Geknickt stand ich also vor ihr und wusste nicht weiter. Elias kam ja auch nicht, um mich aus meiner Situation zu retten.

„Maria? Was ist los?“, hörte ich nun eine andere weibliche Stimme. Na ganz toll! Hatten es denn heute sämtliche Mädchen auf mich abgesehen?

Ich sah um die Ecke und ein Mädchen kam mit einer Kiste auf uns zu. Augenblicklich machte ich große Augen.

„Kein Problem, Sam! Ich löse das Problem schon!“, rief ihre Kollegin ihr zu. Ich starrte noch immer auf das Mädchen? Sie hieß auch Sam?

Bei näherem Hinsehen, stellte ich aber fest, dass sie genau wie ich denselben Spitznamen hatte. Samantha Crenny. Sie war eigentlich eher durchschnittlich für ein Mädchen. Nicht so hübsch wie Hanna, aber sie hatte so eine natürliche Art, die mir irgendwie gefiel. Dunkelblonde Haare und weibliche Rundungen. Ich mochte ihr Gesicht. Sie strahlte so eine gewisse Sanftmütigkeit aus, die mich einfach fesselte. Ihr freundliches Auftreten gefiel mir.

Irgendwie konnte ich meinen Blick nicht von ihr lösen. Schon peinlich weil nun auch Elias hinzu kam. Er war schwerbeladen mit Nahrungsmitteln und sah uns überrascht an.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte er wissen. Ich sah zu ihm und zuckte mit den Schultern. Ich hatte keine Probleme. Scheinbar nur diese Maria. Samantha stand neben ihr und sah uns ebenfalls prüfend an.

„Er ist wie ein wilder mit dem Einkaufswagen durch die Gänge gefahren! Das geht einfach nicht!“, keifte Maria und sah mich einschüchternd an.

„Ich hab mich doch entschuldigt!“, brummte ich. Was sollte ich denn noch machen? Etwa auf Knien vor ihr zu Boden fallen?

Samantha lächelte. „Dann ist doch alles okay. Er wird es sicher nicht wieder machen. Nicht wahr?“, versuchte sie Maria zu beruhigen und warf mir einen kurzen Blick zu. Ich schüttelte nur den Kopf und glotzte ihr wieder wie blöde in die Augen. Das Elias neben mir stand bekam ich auch nur am Rande mit. Auch seinen eifersüchtigen Blick nahm ich gar nicht richtig wahr.

Maria schüttelte nur den Kopf. „Der lernt es nie! Männer sind doch alle gleich!“, keifte sie wütend und machte sich aus dem Staub. Ich sah ihr kurz hinterher und dann wieder zu Samantha. Sie lächelte mich an und augenblicklich schlug mein Herz etwas schneller. Was war nur mit mir los?

„Sam, lass uns gehen. Wir müssen noch ein paar Sachen einkaufen und ich will nicht hier im Laden versauern!“, murrte Elias, der versuchte seine Eifersucht herunterzuschlucken.

„Du heißt Sam?“, fragte Samantha mich grinsend. Ich brachte nur ein schwaches Nicken zustande. Elias brummte. „Er heißt Samuel.“

„Samantha. Aber mich nennen auch alle nur Sam oder Sammy!“, meinte sie fröhlich. Ich lächelte und könnte sie stundenlang ansehen.

Nur leider machte mir Elias da einen Strich durch die Rechnung. Er griff nach meinem Arm und zog mich mit sich weg. Samantha lächelte mir noch kurz zu und machte sich dann daran, die Kiste zu entleeren und alles in die Regale einzuordnen.

Irgendwie blieb ich dann aber doch ständig mit meinem Blick an ihr hängen. Sie war so ganz anders als Hanna. „Was ist los mit dir, Sam?“, fragte Elias mich von der Seite und zog mein Gesicht zu sich herum. Ich sah ihm in seine Augen und merkte erst jetzt wie verletzt er war. Nur wusste ich nicht warum.

„Nichts. Ist alles in Butter!“, meinte ich lächelnd und wollte noch einmal zu Samantha sehen, doch das ließ Elias nicht zu.

„Ist es nicht! Ich dachte, du bist mit mir zusammen?“, fragte er mich und seine Stimme zitterte leicht. Ich legte den Kopf schief und sah ihn nachdenklich an.

„Aber wir sind doch gerade zusammen.“, meinte ich verstand nicht worauf er hinaus wollte.

„Du verstehst es nicht! Ich meine, als Paar!“, versuchte Elias mir zu erklären. Ich sah ihn verwirrt an. Ich wusste gar nicht, dass wir schon ein Paar waren? Das ging ja flott. Ich dachte, wir wären beste Freunde? Oder so etwas in der Art.

„Ihr seid schwul?“, kam es plötzlich von hinten und irritiert drehte ich mich um. Da stand doch tatsächlich wieder diese Maria!

„Ich bin nicht schwul!“, keifte ich sie an und wurde knallrot im Gesicht. Ich warf einen Blick zu Samantha, aber sie hatte wohl nichts mitbekommen.

„Och wie süß! Da versucht er sich auch noch herauszureden!“, meinte Maria lachend. Ich verzog meinen Mund und blies die Wangen empört auf. Elias sah mich noch immer verstimmt an.

„Ich bin nicht schwul...“, murrte ich und sah eingeschnappt zu Boden.

„Verliebt bist du aber auch nicht.“

Ich sah auf in Elias Gesicht und erinnerte mich daran, was ich heute morgen am Frühstückstisch erwähnt hatte. Allerdings hatte ich das mehr auf Hanna bezogen. Wieso war er dann so wütend? Na ja, so richtig war ich auch nicht in Elias verliebt. Ich war noch nie richtig verliebt. Woher also sollte ich das dann wissen?

„Du stehst auf Samantha!“, kam es von Maria und ertappt sah ich sie an. Musste sie denn auch noch so furchtbar direkt sein?

Und das auch noch, wo ich meiner Mutter erklärt hatte, ich würde mich niemals auf ein Mädchen einlassen! Wie sollte ich aber auch bei Samantha standhaft bleiben? Sie hatte mich sofort gefangen genommen mit ihrem Wesen.

So langsam wurde es mir aber auch alles zu blöd. Wieso wollten mir alle vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen hatte? Wieso durfte ich nicht das machen, was ich wollte?

Ich sah noch einmal mit einem Seitenblick zu Samantha. Ich wusste nicht, ob ich auf sie stand oder sie einfach nur nett fand. Wo war da der Unterschied?

„Sam...“ Elias schien noch auf eine Antwort zu warten. Ich sah zu ihm und fand mich auf einmal in einer ziemlich prekären Lage wieder. Was sollte ich ihm denn sagen?

„Ich weiß es nicht, verdammt!“, murrte ich. Ich ließ den Wagen stehen, ignorierte die Blicke von Elias und Maria und ging zornig aus dem Laden. Die konnten mich alle mal! Ich wollte jetzt nur meine Ruhe haben!

Trotzig setzte ich mich auf den Bordstein vor dem Laden und sah auf die Straße. Was die Passanten von mir dachten, war mir herzlich egal.

Ich presste meine Lippen aufeinander und versteckte mein Gesicht auf meinen verschränkten Armen, die ich auf meine Knie gebettet hatte. Krampfhaft versuchte ich, jetzt nicht zu heulen. Das war mir mal wieder alles einfach zu viel. Was musste ich auch immer weinen, wenn ich wütend war?

Ich spürte, wie sich kurze Zeit später zwei Arme um mich legten und Elias mir einen Kuss in den Nacken gab. Jetzt musste ich doch aufschluchzen und die ersten Tränen liefen mir über die Wangen.

„Du bist immer noch ein Kind. Ich vergesse es nur manchmal.“, flüsterte er mir in mein Ohr und drückte mich fest an sich. Ich kniff die Augen zusammen und heulte, während Elias mir leise beruhigende Worte ins Ohr murmelte.

„Ich hab dich lieb.“, schluchzte ich und hob meinen Kopf an. Ich drehte mich halb zu Elias und klammerte mich an ihn. Mein Gesicht versteckte ich an seinem Hals und versuchte meine Heulkrämpfe zu unterdrücken. Elias umarmte mich und nickte. „Das weiß ich doch.“, meinte er schmunzelnd.

„Ich bin auch nicht böse auf dich. Ich kann dir nun mal nicht vorschreiben, in wen du dich verliebst. Ich mag dich sehr, aber wenn du mich nicht liebst, kann ich dich auch nicht dazu zwingen.“

„Ich weiß es ja nicht...“, heulte ich ihm unglücklich ins Ohr.

„Wir sind Freunde und daran wird sich auch nichts ändern. Egal, wie du dich entscheidest!“, meinte Elias aufmunternd und vergrub seine Finger in meinen Haaren. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, ich wusste nicht, wie er sich fühlte, als er mir diese Worte sagte.

„Sollen wir heute auf das Essen verzichten und heimgehen, oder machen wir den Einkauf zu ende?“, fragte Elias mich leise. Ich schniefte und wischte mir mit dem Ärmel über mein durchnässtes Gesicht. Heftig schüttelte ich meinen Kopf. Ich schniefte noch einmal lautstark und zog mich ein wenig aus Elias Umarmung. Ich versuchte mich an einem Lächeln und Elias fuhr mir mit seiner Hand über die Wange. Ich wusste nicht wieso, aber mir war gerade danach, also drückte ich ihm einen Kuss auf den Mund. Dann stand ich grinsend auf und zog Elias mit mir hoch.

„Jetzt geht’s mir besser!“, meinte ich und wischte mir noch mal mit dem Ärmel über mein Gesicht. Elias lachte.

Wir gingen zurück in den Laden und diesmal machte ich einen großen Bogen um Maria. Auf ihre dummen Kommentare konnte ich gut und gerne verzichten.

Elias suchte nach unserem Einkaufswagen und dann gingen wir die Liste ab, packten alles rein und ab und an, war ich so frei und warf noch etwas in den Wagen, was mir in den Blick fiel. Leider legte Elias es immer gleich wieder zurück ins Regal. Was mir natürlich erst später auffiel. Sehr bedauerlich. In der Hinsicht war Elias meiner Mutter gar nicht mal so unähnlich.

An der Kasse angekommen, legten wir alles auf das Laufband und warteten bis wir bezahlen konnten. Die Kassiererin war leider Maria und die machte nun extra langsam, was meine Geduld ordentlich strapazierte.

Ich brummte nur und sah sie genervt an. Es schien ihr wohl Spaß zu machen, mich so auf die Palme zu bringen. Nur war ich leider nicht der geduldigste Mensch.

„Geht es auch schneller?“, fragte ich leicht gereizt. „Was ist das hier für ein Kundenservice?“

Maria zog die Augenbrauen zusammen. „Das ist Extraservice. Nur für unsere besten Kunden!“

„Ah! Weil das hier so ein Saftladen ist, kann man wohl auch nicht mehr erwarten!“, meinte ich pampig.

Wir waren so in unseren Streit vertieft, dass wir nicht mal mitbekamen, dass die Schlange an der Kasse langsam immer länger wurde und die Kunden ebenfalls so langsam aber sicher ihre Geduld verloren.

„Keiner zwingt dich hier einzukaufen!“, meckerte Maria und ließ sich von mir provozieren. Ich lachte höhnisch auf.

„Dann würde der Laden aber in kürzester Zeit vor die Hunde gehen!“, meinte ich gehässig. Maria funkelte mich wütend an.

„Auf Kunden wie dich kann ich verzichten!“, fauchte sie mich an und legte nun aber doch einen Zahn zu, da sich einige Kunden anfingen zu beschweren. Elias eingeschlossen, der sich ziemlich für uns schämte.

Ich rümpfte nur die Nase. „Wer lässt dich auch freiwillig an die Kasse?! Du bist ja nächste Woche noch nicht fertig!“

„Sam! Jetzt reiß dich langsam mal zusammen!“, schaltete sich nun auch Elias ein. Ihm ging unsere sinnlose Stänkerei ziemlich auf die Nerven. Ich sah ihn giftig an, hielt aber meinen Mund.

„Ja, genau, hör auf dein Herrchen!“, meinte Maria. Sie konnte es echt nicht lassen. Wütend packte ich alles in die Einkaufstüten und wollte den Laden verlassen.

„Hey! Wie wäre es mit Zahlen? Wenn du überhaupt zählen kannst!“, lachte Maria frech auf. Ich sah sie missmutig an.

„Ich zahle!“, meinte Elias hastig und nahm den Geldbeutel meiner Mutter aus seiner Hosentasche. Ich sah ihn dankbar an und ließ meinen Blick durch den Laden schweifen. Samantha war leider nicht zu sehen.

Wir verließen den Laden und machten uns auf den Rückweg. Natürlich musste ich Maria vorher noch einen bitterbösen Blick zuwerfen!

Ächzend schleppten wir die Einkäufe zur Straßenbahn und warteten bis sie endlich kam. Ich stand neben Elias und ließ meinen Blick umherschweifen. Etwas Besseres hatte ich sowieso nicht zu tun.

„Sam!“, hörte ich auf einmal meinen Namen rufen und die Stimme dazu erkannte ich auch sofort. Ich drehte mich um und musste lächeln. Samantha kam zu uns gerannt und hielt den Geldbeutel in der Hand.

Irritiert sah ich zu Elias. Er grinste nur und zuckte mit den Schultern. Hatte er das mit Absicht gemacht? Wieso?

Samantha hielt nach Luft schnappend kurz vor mir an und überreichte mir das Portemonnaie. „Hier! Das habt ihr vergessen!“

„Danke!“, meinte ich und wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte. Ich sah sie ein wenig unsicher an. Irgendetwas musste ich doch noch sagen? Krampfhaft suchte ich nach den passenden Worten, aber mir fiel nichts ein.

„Also dann, man sieht sich!“, meinte sie lächelnd und wandte sich zum Gehen um.

„Wir gehen am Wochenende an den Strand, wenn gutes Wetter ist. Wenn du Zeit hast, kannst du ja vorbeikommen!“, rief Elias plötzlich hinter mir. Ich sah kurz zu ihm und wusste nicht, ob ich mich darüber jetzt freuen sollte oder nicht.

Samantha drehte sich kurz um und lächelte. „Klar, warum nicht? Ich komme gern.“

Ich musste lächeln und als sie uns noch einmal zu wank, hob ich kurz meine Hand. Dann sah ich begeistert zu Elias. „Sie hat zugesagt!“, meinte ich fröhlich.

Elias nickte. Er wollte noch irgendetwas sagen, aber da kam auch schon unsere Straßenbahn und er behielt seinen Kommentar für sich. Ich sah ihn prüfend an und folgte Elias hastig mit meiner voll bepackten Einkaufstüte auf dem Arm.

Wir setzten uns wie immer ganz nach hinten ins Abteil und ich pflanzte mich direkt auf den Fensterplatz. Elias setzte sich neben mich und wieder stierte ich ihn an.

„Wieso hast du das gemacht? Mit dem Geldbeutel und dem Treffen?“, fragte ich ihn. Elias sah zu mir und schien zu überlegen.

„Weil du sie magst. Ich würde dich zwar gerne für mich behalten, aber zwingen kann ich dich schlecht dazu.“, meinte Elias und wurde dann plötzlich ernst. „Aber glaub ja nicht, dass ich es ihr so einfach machen werde!“

„Was meinst du damit?“, fragte ich Elias verblüfft. So ganz verstand ich den Sinn dahinter nicht.

„Samantha und ich sind Rivalen. Und ich werde dir schon zeigen, was es für Vorzüge hat, mit mir zusammen zu sein.“, erklärte Elias seinen Standpunkt.

„Rivalen? Worin?“, fragte ich planlos.

„Du möchtest sie näher kennen lernen und ich möchte mit dir zusammen sein. Verstehst du das nicht, Sam?“, wollte Elias mit hochgezogener Augenbraue wissen.

Ich wusste nicht, wie ich Elias verstehen sollte. Hilflos sah ich ihn an. „Aber das ist doch nicht dasselbe mit euch beiden. Wir sind Freunde und Samantha kenne ich gerade mal ein paar Minuten.“, erwiderte ich verwirrt.

„Mit dem kleinen Unterschied, dass ich dich liebe, Sam!“

Wenn ich nur wüsste, wie ich von dir loskomme.




Das Wetter war einfach nur perfekt. Nach der furchtbaren Regenzeit, gab es endlich mal wieder schöne sonnige Tage und mit ihnen kam auch das heiße Wetter.

Es war einfach nur schön. Die Leute waren gut drauf, überall gab es draußen wieder Essensbuden aus denen allerlei leckere Gerüche zu uns drangen. Musik schallte aus einigen Läden auf die Fußgängerzone und von überall her konnte man Gespräche vernehmen.

Das Einzige was mir an diesem Tag nicht gefiel, waren unsere beiden üblichen Anhängsel. Lake und Calvin. Was mussten die Beiden auch wieder dabei sein? Eigentlich waren es ja drei Anhängsel, aber Ryan nervte wenigstens nicht so wie die beiden Quälgeister. Auch wenn es mir unheimlich war, dass er uns ständig beobachtete und hinterherlief.

Neben mir ging Hanna. Sie hatte sich nur ein einfaches hellblaues Top angezogen und dazu eine weiße Dreiviertelhose. Sie trug Sandalen und ihre Badesachen hatte sie natürlich auch nicht vergessen. So gefiel sie mir auch viel besser, als wenn sie so aufgedonnert mit Schminke und ihren viel zu hohen Schuhen durch die Straßen lief.

Vor uns schlenderte Elias. Er schien auch nicht sehr erfreut zu sein, dass die ganze Truppe beisammen war. Vor allem, weil Calvin die ganze Zeit über die besten Sonnencremes fachsimpelte und uns allen damit keinen Gefallen tat. Mal ehrlich, wen interessiert so etwas?

Elias lief in seinen üblichen Klamotten durch die Gegend. Eigentlich war es dazu viel zu warm. Hoffentlich kippte er mir nicht noch um? Besorgt betrachtete ich ihn von hinten und bemerkte erst nach einiger Zeit, dass Hanna mich belustigt anstarrte.

„Was ist?“, fragte ich sie überrascht und sah zu ihr.

„Nichts. Aber du gaffst Elias schon die ganze Zeit an.“, bemerkte sie amüsiert.

Wenn Hanna wüsste. Ich hatte immerhin von Elias mein erstes Liebesgeständnis bekommen. Und ich hatte keinen blassen Schimmer wie ich damit umgehen sollte. Ja, ich mochte Elias, aber ich liebte ihn nicht. Zumindest war ich mir in dem Punkt nicht sicher.

Wir hatten viel körperlichen Kontakt, aber davon musste man sich nicht gleich in jemanden verlieben. Da ich mich auch noch nie in jemanden verliebt hatte, wusste ich so gar nicht, wie sich so etwas anfühlte.

„Ist etwas passiert? Habt ihr euch gestritten?“, fragte Hanna mich besorgt und warf Elias einen kurzen Blick zu.

Heftig schüttelte ich mit dem Kopf. „Nein!“

„Aber ihr redet heute kaum miteinander.“, stellte Hanna fest. Sie wurde von Calvin und Lake abgelenkt, die sich heftig miteinander stritten, weil Lake wohl langsam die Geduld verlor. Das war mir auch ganz recht. Ich wollte nicht von Hanna ausgequetscht werden. Das war mir unangenehm.

Ich sah wieder nach vorne und bemerkte, dass die Menschenmassen dichter wurden. Eine leichte Brise ließ meine Haare nach hinten wehen. Die Meeresluft war angenehm und salzig. Wir waren endlich am Meer!

Ich seufzte. Immerhin war ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr am Strand gewesen. Wie Hunderte andere Besucher scheinbar ebenfalls. Der Strand war total überfüllt und kaum ein Fleckchen Sand war nicht bereits von Tüchern oder Strandkörben besetzt. Hoffentlich fanden wir trotzdem noch ein kleines Fleckchen?

Besorgt sah ich mich um und spürte plötzlich wie jemand mich an die Hand nahm. Ich sah auf und war erleichtert, dass es Elias war. Er grinste mich an. „Nicht, dass du mir hier in dem Gedränge noch verloren gehst.“

Ich zog einen Schmollmund und warf noch einen kurzen Blick zurück. Hanna hatte bereits den Streit geschlichtet und lief zwischen den beiden Streithähnen. Der Anblick hatte etwas von einer Mutter mit ihren nervigen kleinen Söhnen. Ich musste Hanna zu grinsen, welche es sofort erwiderte. Nur scheinbar dachte sie gerade an mich und Elias, wie ich feststellte, denn ihr Blick glitt augenblicklich zu unseren miteinander verschränkten Händen.

Ich wurde sofort verlegen und sah schnell wieder nach vorne. Solche Blicke mochte ich nicht. Als ob es jetzt so etwas Besonderes wäre, mit jemandem Händchen zu halten. Okay, bei zwei Jungs könnte es schon ein wenig ungewöhnlich sein. Da hatte ich allerdings keine Ahnung. Für mich war das kein großer Unterschied. Elias und ich hatten früher oft Händchen gehalten.

Wir liefen zur Hauptstraße und nur noch eine Ampel trennte uns vom Strand. Ungeduldig stand ich vor dem Zebrastreifen und sah den vorbeifahrenden Autos entgegen. Konnte die blöde Ampel nicht endlich umschalten?

„Sam, der Strand läuft uns schon nicht weg, wenn wir ein paar Minuten später hingehen!“, meinte Elias belustigt, der mich beobachtet hatte.

Ich murrte. „Schau doch mal wie voll der Strand ist! Da kriegen wir doch keinen Platz mehr!“

„Ach was, da lässt sich sicher noch eine freie Stelle finden. Außerdem sind wir doch sowieso die meiste Zeit im Wasser!“, meinte Elias gut gelaunt.

Skeptisch sah ich ihn von der Seite an. Eben war er noch so schweigsam und auf einmal schien es ihm prächtig zu gehen. Den sollte einer mal verstehen. Der hatte ja Stimmungsschwankung wie eine Schwangere.

Ich drehte meinen Kopf und sah direkt hinter uns unsere Anhängsel. Hanna lächelte mir zu, Calvin und Lake sahen angepisst voneinander weg. Die beiden würden sich in tausend Jahren nicht verstehen.

„Wir können...“, meinte Elias und zog an meinem Shirt. Ich sah zu ihm und dann zur Ampel. Sofort lief ich ungestüm voran und genoss die kühle Brise auf meinem Gesicht. Auf der anderen Straßenseite blieb ich kurz stehen und schloss meine Augen.

Allerdings nicht lange, denn schon im nächsten Moment wurde ich von hinten unsanft angerempelt. Ich wankte und versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Leider gelang mir das nicht und so fiel ich direkt in Lake's Arme.

„Was stehst du auch wie eine Statue in der Gegend herum!“, meckerte er noch immer genervt.

Ich sah zu ihm auf und fand es irgendwie blöd, dass ich nicht in Elias Armen gelandet war. Da Lake mich noch immer festhielt und Elias schon eifersüchtig zu uns sah, entwand ich mich Lake's Griff und stand wieder auf eigenen Beinen. Ich fand es ja genau so blöd, wie Elias. So schnell wie möglich gesellte ich mich wieder zu ihm und griff nach seiner Hand. Nicht ohne Lake noch einen bösen Blick zuzuwerfen. Auf seine dummen Kommentare könnte ich gut verzichten.

„Lasst uns einen Platz suchen und dann ab ins Meer!“, rief Hanna uns zu, die sich nicht daran störte, dass schon wieder dicke Luft herrschte. Ohnehin war sie ziemlich locker und schien gut mit den anderen Jungs klar zu kommen. Sie hatte ja auch irgendwie etwas Mütterliches an sich.

„Genau!“, stimmte ich ihr hastig zu und zerrte Elias hinter mir her, bevor gleich noch ein erneuter Streit ausbrach.

Wir wollten gerade weitergehen, als ich jemanden bemerkte. Diese platinblonden Haare würde ich überall erkennen und schon sank meine gute Laune in den Keller. Wäre ich doch nur mit Elias alleine hierher gekommen!

Maria drehte sich um und entdeckte uns. „Nein, wen haben wir denn da? Wenn das nicht der kleine Rennfahrer ist!“, meinte sie höhnisch.

„Auch schön dich zu sehen! Von weitem siehst du aus wie eine alte Frau, weil deine Haare so hell sind!“, meinte ich sarkastisch. Die verwunderten Blicke um mich herum ignorierte ich gekonnt. Außer Elias kannten meine Freunde diese Furie ja nicht.

„Maria? Was ist, wieso bleibst du stehen?“, kam auf einmal eine Stimme von hinten und augenblicklich wurde ich verlegen. „Oh! Da seid ihr ja!“, rief Samantha erfreut und trat hinter Maria hervor.

Notgedrungen stellten sich jetzt alle noch einmal gegenseitig vor. „Und ihr kennt euch?“, fragte Hanna mich interessiert. Ich brachte nur ein Nicken hervor. In Samantha's Gegenwart, war ich irgendwie wie gelähmt. Das war doch nicht normal, oder?

Nervös sah ich zu Elias, der davon nichts zu bemerken schien. Hoffentlich überstand ich diesen Tag ohne mich zu blamieren oder ein blaues Auge davon zu tragen. Denn zurzeit könnte beides noch eintreffen.

„Ich habe gesehen, dass weiter hinten noch nicht so viel los ist!“, schlug Samantha vor. Erleichtert folgten wir ihr und tatsächlich war an dieser Stelle noch nicht der Bär los. Aber was hatten wir auch erwartet? Es war ja klar, dass bei so gutem Wetter der Strand recht schnell überfüllt war.

Die Mädchen nahmen sofort alles in Beschlag, indem sie ihre Strandtücher ausbreiteten. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Ich sah mich um und blickte direkt auf das Meer hinaus. Es war ein tolles Gefühl. Die Leute hatten ihren Spaß im Wasser und die Kinder planschten vergnügt.

Ich zog eine Augenbraue hoch. Jetzt fehlte irgendwie nur noch der große böse Hai. Dann wäre es perfekt!

„Sam? Kannst du mir helfen?“, fragte Samantha mich und so wurde ich von meinen Gedanken abgelenkt. Ich sah zu ihr herunter. Sie hielt mir eine Tube entgegen und lächelte mich an, so dass meine Knie ganz weich wurden.

„Kannst du mich eincremen?“, bat Samantha mich.

Ich brachte nur ein Nicken hervor. Ich nahm unschlüssig die Tube in die Hand und betrachtete sie, während Samantha sich auf den Bauch legte und ihre dunkelblonden Haare zur Seite schob. Ich verzog meinen Mund. Eincremen war ja nicht so mein Ding. Davon bekam man immer so klebrige Hände.

Ich setzte mich neben sie in den warmen Sand. Vergnügt vergrub ich meine Füße darin und spielte mit den Zehen im Sand. Samantha sah zu mir und grinste amüsiert. Sie packte meinen Fuß und kitzelte mich an der Fußsohle. Ich lachte und versuchte meinen Fuß wegzuziehen, was sie mir aber nicht so einfach machte.

Ich öffnete die Tube und ließ die kalte Creme auf ihren Rücken fließen. „Ah! Ist das kalt!“, rief Samantha erschrocken und so konnte ich mich von ihr befreien. Da ich gerade so in Fahrt war, malte ich ihr ein Smiley auf den Rücken, auch wenn es ein wenig merkwürdig verzerrt aussah.

„Sam, so viel brauchst du nicht!“, erklärte Samantha lachend. Ich zuckte nur mit den Schultern und stellte die geschlossene Tube neben ihr in den Sand. Dann begann ich damit die Creme auf ihrem Rücken gleichmäßig zu verteilen.

Ich ließ meinen Blick wieder umherschweifen und stellte fest, dass die Anderen sich auch eincremten. Was mir so gar nicht gefiel, war, dass Elias sich von Lake eincremen ließ. Auch noch an Stellen, wo ich es nicht besonders gerne sah. Ich brummte und sah wieder auf Samantha's Rücken. Elias würde ich ja jetzt auch gerne eincremen, stellte ich bedauerlich fest.

„Fertig!“, meinte ich nach einiger Zeit und sah meine Hände an. Hoffentlich kam ich schnell ins Wasser, dann wäre ich das Zeug endlich wieder los.

„Sam, soll ich dir auch...“ - „Hey, Sam! Komm her! Du bist noch gar nicht eingecremt!“, rief Elias mir zu. Ich war von ihm völlig abgelenkt, so dass ich zu Elias hinrannte und Samantha's Vorschlag kaum mitbekam, der im Keim erstickt wurde.

Ich ließ mich lächelnd vor Elias in den Sand gleiten, zog mir schnell noch mein Shirt aus und während Lake begann sich selbst einzucremen, ließ Elias sich das Zeug auf seine Hand träufeln. Bei dem Anblick kamen mir irgendwie etwas andere Gedanken. Hastig sah ich zur Seite und schon im nächsten Moment kniff ich die Augen zusammen, als ich Elias Hände auf meiner Brust spürte.

Ich sah an meinem Bauch herunter und beobachtete ihn. Dabei hatte ich auch einen guten Blick auf Elias. Er war schon extrem blass, aber irgendwie gefiel mir der Anblick. Ich würde bestimmt wieder schnell braun werden. Bei mir ging das immer ziemlich schnell.

Ich keuchte unterdrückt auf, als Elias immer mal wieder meine Brustwarzen streifte. Machte er das etwa absichtlich?

Elias grinste. „Was ist los? Gefällt dir das?“, fragte er scheinheilig.

Irgendwie bekam ich gerade nicht mehr als ein Nicken zustande. Elias hatte mit so einer ehrlichen Reaktion wohl nicht gerechnet, denn er sah mich ein wenig verblüfft an.

„Dreh dich um!“, forderte er mich schließlich auf und ich tat ihm nur zu gern den Gefallen.

Ich sah zu den Anderen. Die Mädchen unterhielten sich angeregt miteinander, was mir auch ganz recht war. Calvin hatte sich auf seinem Tuch ausgebreitet und sonnte sich erst mal ausgiebig. Lake versuchte sich derweil mühsam am Rücken einzucremen und bekam zu seiner Überraschung Hilfe von Hanna. Die beiden schienen sich ja recht gut zu verstehen, stellte ich zufrieden fest.

Ich spürte Elias Hände an meinem Bauch und sein Kinn auf meiner Schulter. Genießerisch ließ ich mich gegen seine Brust sinken, auch wenn es mir vor meinen Freunden ein wenig peinlich war. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und sah auch nicht zu ihnen.

Elias Hände sorgten sowieso schon für genug Ablenkung. Ich lehnte meinen Kopf nach hinten an seine Schulter und genoss es, wie dessen Finger über meinen Bauch glitten und überall ein angenehmes kribbeln hinterließen.

Leider war Elias viel zu schnell fertig, für meinen Geschmack. Ich seufzte enttäuscht und öffnete meine Augen.

Ich stellte fest, dass die Anderen schon längst im Wasser waren und herumalberten. Ich drehte meinen Kopf und sah zu Elias auf. Er war so schön warm. Elias überbrückte die letzten Zentimeter, die uns noch voneinander trennten und drückte mir seine weichen Lippen auf den Mund. Ich schloss meine Augen wieder und vergrub meine rechte Hand in seinen schwarzen Haaren und zog ihn somit noch etwas näher an mich heran.

Eigentlich keine so gute Idee, wenn man bedachte, dass er mir erst vor kurzem ein Liebesgeständnis gemacht hatte und jetzt wahrscheinlich noch auf eine Antwort von mir wartete. Na ja, nach einer Antwort hatte er nicht wirklich verlangt. Zumindest hatte er nichts angedeutet.

Der Kuss hielt leider nicht lange an. Gerade als Elias mir seine Zunge in den Mund schieben wollte, hörten wir wieder zwei Leute aus unserer Gruppe streiten. Wir sahen zum Wasser und wie sich herausstellte, waren es diesmal Maria und Lake, die sich zofften.

„Was ist denn da los?“, fragte Elias überrascht. Ich zuckte mit den Schultern.

„Lake kann nun mal nicht anders.“

„Er ist aber nicht der Typ, der sich mit Mädchen anlegt. Jungs öfter, aber nicht mit Mädchen!“, erklärte Elias und stand auf.

Ich murrte. War doch egal! Ich wollte lieber mit Elias weiter kuscheln. Ächzend erhob ich mich und lief ihm träge hinterher.

Das Gezanke wurde lauter, je näher wir dem Wasser kamen. Konnten die das nicht selber regeln? Außerdem verdarben sie allen den Spaß, wenn sie so schlechte Laune verbreiteten.

„Das hast du doch mit Absicht getan!“, keifte Maria und sah Lake wütend an.

„Was hätte ich davon? Als ob jemand dir freiwillig an die Wäsche gehen würde!“, schnauzte der schwarzhaarige Junge und erhob sich, da Maria ihn kurz vorher ins Wasser geschubst hatte.

„Was ist los?“, fragte Elias und seine Stimme war schon irgendwie unheimlich, wenn er gereizt war. Er hatte ja schon eine recht tiefe Stimme, aber jetzt war sie noch dunkler. Ich bekam eine Gänsehaut.

„Er hat mich angegrabscht! Ist ja mal wieder typisch für euch Kerle! Könnt ihr nicht eure Griffel bei euch behalten?“, meckerte Maria und schien es nun auf alle Männer in ihrem Umkreis abgesehen zu haben.

„Dann lauf gefälligst nicht so freizügig herum!“, rief Lake ihr zu.

„Du Hornochse! Wir sind am Strand! Da läuft jede Frau so durch die Gegend!“

„Leute, beruhigt euch!“, versuchte Elias sich dazwischen zu schieben. Allerdings wurde er von den Streithähnen ignoriert.

„Lass sie doch, Elias! Ist doch nicht unser Problem! Solange sie nicht aufeinander losgehen, ist doch alles in Ordnung.“ Ich zog an Elias Arm und sah zu ihm auf. Er drehte sich zu mir herum und sah dann wieder zu den Anderen.

„Es nervt einfach nur, wenn ständig alle am Streiten sind! Ich kann das einfach nicht mehr ab!“, erklärte er gereizt.

Ich wusste genau, was er damit meinte, aber ich sagte lieber nichts dazu. „Komm, Elias! Lass uns zurück gehen!“, bat ich ihn und zog wieder an seinem Arm. Diesmal folgte er mir. Ich lächelte ihm zu und übersah beim Rückwärtsgehen eine scharfkantige Muschel. Ich trat genau darauf und schrie vor Schmerz auf.

„Sam? Was ist?“, fragte Elias beunruhigt.

Ich hob meinen Fuß an und wimmerte. Das tat richtig weh. Ich biss auf meine Unterlippe und versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Das Blut tropfte herunter.

„Ah! Warte, ich trage dich zu unserem Platz und schau mir das gleich mal an!“, meinte Elias fürsorglich und hob mich hoch. Ich hielt mich hastig an ihm fest und schlang meine Arme um seinen Hals.

„Was ist los?“, riefen die Anderen und kamen uns besorgt hinterher. Der dumme Streit war längst vergessen.

Elias setzte mich auf einem Tuch ab, damit kein Sand an die Wunde kam und griff dann nach meinem Fuß. Er untersuchte besorgt die Verletzung.

„Sieht nicht so tief aus!“, meinte er erleichtert. Wieso war er so erleichtert? Ich war hier halb am verbluten und er meinte, es wäre nicht so schlimm?!

Ich blickte halb liegend zu ihm auf und brummte. „Ist wirklich nicht so schlimm. Das verheilt bestimmt schnell wieder!“ Elias sah mich aufmunternd an.

Wieso musste eigentlich immer ich dran glauben? Ständig passierte mir etwas und den Anderen gar nicht! Gelinde gesagt, war das ziemlich unfair!

Ich konnte ja nicht mal mehr ins Wasser! Beleidigt starrte ich auf meinen Fuß und auch die Aufmunterungsversuche meiner Freunde brachten nicht wirklich viel.

„Also eigentlich darf der Fuß ja nur nicht dreckig werden, oder?“, fragte Lake und sah in die Runde.

„Die Blutung hört ja nicht auf!“, warf Elias ein und zeigte auf meinen Fuß.

Enttäuscht knabberte ich auf meiner Unterlippe und ballte meine Hände zu Fäusten. Dabei hatte ich mich so auf den Tag heute gefreut und jetzt war ich drauf und dran wieder zu heulen. Ratlos saßen alle um mich herum und keiner wusste weiter. Es wollte aber auch niemand schon heimgehen. Wir waren ja gerade erst am Strand angekommen.

Hanna setzte sich zu mir und begann erst mal damit mir den Fuß zu verarzten. Scheinbar hatte sie an alles gedacht, denn sie hatte ein kleines Kästchen für Erste-Hilfe dabei. Ich sah ihr zu und ließ mich seufzend auf das Tuch sinken. Genervt starrte ich in den Himmel und beobachtete einige Möwen.

„Dann geht ihr halt schwimmen. Ich bleib solange hier und brutzele in der Sonne...“, kam es träge von mir und ich schloss einfach meine Augen. Da meine Freunde bei mir nicht mehr weiter kamen, ließen sie es bleiben und verzogen sich zurück ins Wasser.

Mir war zum Heulen zumute. Ich öffnete wieder meine Augen und war überrascht neben mir Lake sitzen zu haben. „Wieso bist du noch hier?“, fragte ich gereizt.

Er sah zu mir und zuckte mit den Schultern. „Elias ist kurz Eis kaufen gegangen und ich habe keine Lust mit der Viper da hinten im Wasser zu plantschen!“

Ich musste grinsen. Wenigstens waren wir uns beide in einem Punkt einig. Wir mochten Maria nicht. Ich betrachtete Lake im Liegen. Wenn er so ruhig auf das Meer hinaus sah, wirkte er irgendwie ganz nett. Auch wenn er ein Mundwerk hatte, das ich ihm manchmal wirklich gerne zunähen würde.

„Stehst du eigentlich auf Hanna, Samantha oder Elias?“, fragte Lake mich plötzlich. Ich sah ihn verständnislos an.

„Ich kann deine Lage verstehen, aber was ich nicht verstehe ist, dass du dich nicht klar entscheiden kannst. Wenn du dir nicht sicher bist, dann halte Elias gefälligst daraus! Ich will nicht, dass du so mit seinen Gefühlen spielst!“

Ich schluckte. Er hatte ja recht, aber es klang schon komisch direkt darauf angesprochen zu werden. „Was soll ich denn machen? Irgendwie wollen plötzlich alle etwas von mir und da soll ich mich für jemanden entscheiden?“, murrte ich.

„Wieso lässt du dich nicht auf Elias ein? Ich meine, ihr habt schon ziemlich viel miteinander angestellt. Er hat dich geküsst und ich wette er hat dir auch schon einen runter geholt!“, kam es von Lake.

Musste er so furchtbar direkt sein? Ich wurde knallrot und sah zur Seite. Unsicher schielte ich zu Lake und seufzte. Als ob das alles so einfach wäre. „Elias ist mein Freund. Ich kenne ihn schon seit Jahren. Wie soll ich mich da in ihn verlieben?“, fragte ich Lake.

„Was fragst du mich das? Solche Probleme habe ich nicht. Ich will nur nicht, dass er wieder verletzt wird!“, meinte er und sah zu mir. Irgendwie konnte ich ihn ja verstehen, aber ich wusste selber nicht, wie ich damit fertig werden sollte.

„Was soll ich machen?“, fragte ich Lake kleinlaut. Wieso ich ausgerechnet ihn fragte, wusste ich nicht. Lake zog seine Augenbrauen in die Höhe. Scheinbar hatte er damit nicht gerechnet.

„Hast du schon mal daran gedacht, dich auf jemand Anderen außer Elias oder deinen Freunden einzulassen?“, schlug er vor.

„Keiner aus meinem Freundeskreis?“, hakte ich skeptisch nach. „Wie soll ich da jemanden finden?“

„Na, auf Partys, oder so. Zumindest bekommst du dann mehr Erfahrung!“, warf Lake ein. Heftig schüttelte ich mit dem Kopf. Das wollte ich nicht. Nicht jemand Wildfremdes, den oder die ich gar nicht kannte.

„Du weißt ja nicht mal, ob du auf Männer oder Frauen stehst. Stehst du überhaupt auf irgendwas?“

„Du bist gemein! Woher soll ich so was denn wissen? Ich war 12 Jahre im Koma und seit einigen Monaten bin ich wieder auf den Beinen. Ich weiß gar nicht, was alle von mir wollen?!“, brauste ich auf und setzte mich aufrecht hin. Anklagend sah ich Lake an.

„Du bist so ein Kind!“, entfuhr es ihm.

Ich rümpfte die Nase. „Entschuldigung, dass ich dir nicht erwachsen genug bin!“

„War das eine Aufforderung?“, fragte Lake und sah mich herausfordernd an. Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Perplex sah ich ihn an.

„Was meinst du?“, fragte ich Lake unsicher. Er grinste frech und fuhr mit seiner Hand mein Bein entlang. Ich sah ihm dabei zu und wusste nicht, was er damit bezwecken wollte.

„Wenn du dich nicht entscheiden kannst, nehme ich dir die Frage eben ab.“ Lake beugte sich über mich und setzte sich breitbeinig auf meinen Bauch. Er drückte mich auf das Handtuch und sah auf mich herunter. Ich drückte meine Hände gegen seine Brust. Immer diese blöden Späße von ihm!

„Hör auf damit!“, meinte ich wütend. Doch schon im nächsten Moment beugte er sich zu mir herunter und drückte mir seine Lippen auf meinen Mund. Ich verkrampfte mich und wollte ihn wegdrücken, aber das ging leider nicht so einfach von statten. Ich schnappte nach Luft und spürte Lake's Zunge in meinem Mund. Ich kniff die Augen zusammen und spürte seine Hände an meinem Körper. Es war anders als bei Elias, das hatte ich schon bei meinem ersten Kuss mit Lake bemerkt, wenn man es denn so nennen wollte. Ich mochte es nicht. Er küsste mich viel intensiver und gröber, als Elias, der es immer mit mehr Gefühl machte.

Wieso küsste er mich überhaupt? Ich dachte, er mochte mich nicht? Er stand nicht mal auf Jungs! Ich keuchte in den Kuss und spürte, wie Lake sich komplett auf mich legte und leicht an mir rieb. Es schien nicht mal den Strandbesuchern aufzufallen.

Mein Körper stellte sich gegen mich und ich spürte, wie ich langsam aber sicher eine Erektion bekam. Das war so gemein von ihm! Ich unterdrückte meine Tränen und versuchte ihn noch immer wegzuschieben. Wieso war ich so schwach?

Plötzlich wurde Lake von mir weggerissen. Ich öffnete schwer atmend meine Augen und sah wie er in den Sand flog. Ich schnappte nach Luft und richtete mich auf. Meine Augen weiteten sich.

Calvin beugte sich über Lake und stieß ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Lake's Kopf flog zur Seite und er stöhnte schmerzhaft auf. Ich hörte die Mädchen im Hintergrund, wie sie versuchten die Jungs zu beruhigen, aber das brachte rein gar nichts.

Lake ließ sich den Schlag nicht gefallen und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen Calvin, so dass dieser in den Sand fiel. Er landete auf dem Rücken und japste auf. Lake kletterte über ihn und wollte ihm gerade eine verpassen, doch Calvin konnte den Schlag gerade noch so eben abwehren.
„Lake!“

Ich drehte mich zu der Stimme um und sah wie jemand zu uns rannte. Erleichtert stellte ich fest, dass es Elias war. Er ließ die Tüte mit dem Eis einfach in den Sand fallen und rannte zu den Raufbolden. Elias packte Lake von hinten und zog ihn mühsam von Calvin herunter.

Calvin richtete sich auf und sah Lake wütend an. Elias hielt seinen Freund immer noch fest. Elias sah überrumpelt zwischen uns hin und her.

„Was ist passiert?“, fragte er mich entgeistert. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wusste ja selber nicht, wie das alles aus dem Ruder laufen konnte.

Mühsam stand ich auf und klaubte meine Sachen zusammen. Ich drehte mich um und verließ den Strand.

„Sam? Wo willst du hin?“, rief Elias mir hinterher.

Meine Lippen zitterten und ich hatte Mühe meine Tränen zurück zu halten. Ich wollte einfach nur noch nach Hause. Ich humpelte weg vom Strand und spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Die Blicke der Passanten ignorierte ich und wie mechanisch lief ich durch die Menschenmassen hindurch.


◆ ◆ ◆




Als ich erschöpft zuhause ankam, schloss ich die Tür und betrat die Wohnung. Es war noch früh und meine Eltern waren nicht daheim. Ich hörte ein Rauschen im Badezimmer und wusste nicht, wer da im Bad sein könnte. Unsicher blieb ich an Ort und Stelle stehen.

„We-wer ist da?“, rief ich mit verheulter Stimme.

Das Rauschen hörte plötzlich auf und ich hörte ein Klappern. Ein paar andere Geräusche vernahm ich, konnte sie aber nicht zuordnen. Dann hörte ich jemanden über die Fliesen laufen und wie die Türklinke herunter gedrückt wurde. Nervös schluckte ich.

Die Tür öffnete sich und das Erste was ich zu sehen bekam waren blonde Haare. „Sam? Bist du das? Schrei doch nicht so laut. Ich habe immer noch einen ziemlichen Jetlag!“, stöhnte der junge Mann und band sich ein Handtuch um seine Hüften.

„Jason...“, schluchzte ich und humpelte zu ihm. Ich umarmte ihn und drückte mich fest an Jason. Meinen Tränen ließ ich freien Lauf und ich war nicht mehr sicher, ob ich aus Frust oder Freude weinte.

„Sam? Was ist? Wieso weinst du? Hey, Kleiner? Was hast du denn?“, vernahm ich seine tiefe Stimme und klammerte mich weiterhin an ihn. Ich schmiegte mich an seinen Körper und hatte nicht vor meinen Gegenüber so schnell wieder loszulassen.

„Ich hab dich auch vermisst...“, flüsterte er mir zärtlich ins Ohr und umarmte mich fest.

Hübsch hässlich haben Sie's hier.




Das Jason uns jetzt besuchen kam, war ziemlich überraschend. Da er sich aber eigentlich nie ankündigte, war es nichts Neues. Es war bei ihm nun mal so, dass er irgendwann einfach da war. Ein paar Tage später verschwand er auch schon wieder, als wäre er nie dagewesen. So war er nun mal.

Ich war froh, dass er gerade jetzt da war. Von meinen Freunden wollte ich erst mal niemanden sehen. Ich war noch immer völlig durcheinander. Was hatte Lake sich dabei nur gedacht? Wieso tat er mir das immer wieder an? Er wollte doch gar nichts von mir, oder? Jedenfalls wirkte es einfach nicht so auf mich.

Am Nachmittag hatte es an der Tür geklingelt, aber ich war nicht hingegangen und bei Jason brauchte ich nichts zu befürchten, denn er ging erst recht nicht zur Haustür. Es könnten ja irgendwelche fanatischen Fans von ihm sein. Auch ein Grund, warum er das Telefon nicht benutzte.

Vom Charakter her, war er ebenfalls etwas eigen. Er mochte helles Licht nicht. Sonnenschein? Auf gar keinen Fall! Das könnte ja seinem blassen Teint schaden! Immerhin war er berühmt dafür besonders blass zu sein. Es könnte sein Image ruinieren.

Meine Eltern hatten Jason adoptiert. Meine Mutter war nicht in der Lage Kinder zu bekommen. Als alles nichts half, hatten sie beschlossen ein Baby zu adoptieren. Das war Jason. Eigentlich heißt er Jin Gook. Er ist Koreaner. Jason hasst seinen Namen. Liegt wohl daran, dass er es seinen Eltern nie verziehen hat, dass sie ihn zur Adoption freigegeben hatten, deshalb hört er nur noch auf Jason. Nur wenn meine Mum richtig wütend auf ihn ist, nennt sie ihn bei seinem richtigen Namen, aber das hat Seltenheitswert. Er ist ja auch meist außer Haus und im Ausland unterwegs. Mit seinen 29 Jahren hat er schon viel von der Welt gesehen... im Gegensatz zu mir.

Einige Jahre später wurde meine Mutter dann doch noch schwanger. Keiner hat das richtig begriffen, immerhin waren alle der Meinung, dass sie doch keine Kinder mehr gebären konnte. Jedenfalls hat sie Abigail bekommen.

Tja, wie ich bereits erwähnt hatte war ich sozusagen eher ein Unfall. Wirklich geplant hatten meine Eltern mich nicht. Toller Gedanke, wenn man eigentlich nicht gewollt war. Ich nehme es mir nicht so zu Herzen. Immerhin lieben sie mich genauso sehr wie Abby und Jason. Da machen sie keine Unterschiede.

Und wenn doch, dann sind sie ziemlich gut darin, es nicht zu zeigen.

Da Jason nun ziemlich unvorbereitet bei mir Zuhause aufgetaucht war, wusste ich nicht wirklich viel mit ihm anzufangen. Es war auch schon spät, als ich ihm mehr oder weniger vom Strandbesuch erzählt hatte. Von dem wahren Grund meiner Tränen erzählte ich ihm jedoch nichts. Ich wollte ihm nicht unnötig Sorgen machen. Lieber berichtete ich ihm was so, die letzten Monate seit ich wieder zu mir gekommen war, passiert war.

„Ich habe dich ab und an im Krankenhaus besucht. War schon komisch. Immerhin hast du jedes Mal etwas anders ausgesehen. Ich habe dich ja nicht sehr oft besuchen können.“ Jason sah mich an. Er saß auf dem Sofa neben mir und hatte mir gespannt zugehört.

„Ja, war für mich auch nicht leicht. Als ich mich das erste Mal im Spiegel gesehen hatte, war das ein Schock! Ich dachte, da sieht mich ein Fremder an!“, erklärte ich und sah meinen Bruder an.

Jason nickte und lehnte sich dann gegen die Rückenlehne des Sofas. Schweigend blieb ich neben ihm sitzen und wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Ich betrachtete ihn und legte den Kopf schief.

„Sag mal, Jason... bei euch Models gibt es doch auch Schwule, oder nicht? Also, solche Tunten...“, begann ich zögerlich.

Jason öffnete seine Augen und sah mich an. „Sicher, die gibt es doch überall. Nicht nur in meinem Job.“

Ich nickte. Klar wusste ich das! Mein Friseur Coco war ja auch so eine Diva! „Ich meine nur... also, wie stehst du zu Schwulen?“, wollte ich wissen und sah nervös auf meine Hände.

Jason musterte mich prüfend und schwieg einen Moment. Für mich schon viel zu lange. Ich wagte es kaum ihn anzusehen. „Ist nichts Ungewöhnliches. Mir ist es sogar schon mal passiert, dass mir ein paar Kollegen, Fotografen oder Auftraggeber an die Wäsche wollten.“

Entsetzt sah ich Jason an. „Und dann? Hattest du Sex mit ihnen?“, fragte ich mit großen Augen. Mein armer Bruder! Was musste er nur für schreckliche Dinge in seinem Job durchmachen?! Wurde er etwa dazu gezwungen?

Jason lachte. „Dummerchen! Glaubst du etwa, ich lasse alles mit mir machen? Ich bin ziemlich begehrt in meinem Job. Ich kann es mir leisten Aufträge abzusagen, wenn dort Leute sind mit denen ich nicht arbeiten will. Außerdem lasse ich garantiert niemanden so leicht an mich heran.“

Ich atmete erleichtert auf und nestelte mit meinen Fingern am Saum meines Shirts. „Interessierst du dich für Jungs?“, fragte Jason mich schmunzelnd.

Ich sah zu ihm auf und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, also doch, nicht richtig! Ich weiß es nicht so genau!“, gestand ich ihm. Ich war verwirrt. Mit Jungs hatte ich immerhin schon weitaus mehr Erfahrungen als mit Mädchen.

„Bist du noch Jungfrau?“, fragte Jason mich bedenklich. Ich sah ihn überrumpelt an und nickte knallrot im Gesicht. Jason atmete erleichtert auf. „Ich dachte schon, du hättest irgendwelchen Mist gebaut!“

„Aber ich glaube, ich stehe da auf einen Jungen. Ich weiß nicht, ich liebe ihn nicht. Aber da ist jetzt auch ein Mädchen, das ich mag und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“

Jason zog eine Augenbraue in die Höhe. „Junge, da ist man mal einige Monate im Ausland und du machst hier Sachen!“

Betreten sah ich Jason an. Er konnte mir also auch nicht weiterhelfen? Dabei hatte ich extra nicht erwähnt, dass es sich um Elias handelte. Ich wusste nicht, wie Jason dann reagieren würde, wenn er wüsste, was wir bereits alles miteinander angestellt hatten.

Jason überlegte einen Moment. „Das ist schwer zu sagen, aber zweigleisig fahren solltest du nicht. Das ist bisher immer schief gegangen. Zumindest das was ich so aus Bekanntenkreisen gehört habe. Weißt du denn zu wem du dich hingezogen fühlst?“, fragte er mich.

„Das mit dem Jungen geht schon länger. Wir sind uns auch ziemlich nahe. Also, ich habe ihn schon geküsst...“ Ich fand es besser den Rest für mich zu behalten. „Er hat mir auch schon ein Liebesgeständnis gemacht. Bei dem Mädchen, ich weiß nicht. Sie heißt Samantha und ich hab immer so ein Kribbeln im Bauch, wenn ich sie sehe. Wir sind uns aber erst zweimal begegnet.“ Unsicher sah ich zu Jason.

Er wollte gerade etwas sagen, als es an der Tür klingelte. Wir sahen auf und Jason machte es sich demonstrativ bequemer auf dem Sofa. Ich seufzte und stand auf. Dann musste ich wohl später mit Jason weiter reden. Wer wohl an der Tür war? Ich wollte nur ungern jetzt mit einem meiner Freunde reden. Schon gar nicht Elias. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihm die ganze Sache erklären sollte.

Ich schlurfte zur Tür. Mein ganzer Körper wehrte sich dagegen, aber mir blieb nichts anderes übrig, als nachzusehen. Vielleicht war es ja auch nur der Postbote? Ich hoffte, es wäre der Postbote!

Ich öffnete die Tür und seufzte. Das war ja so was von klar, dass ich nicht einen Tag mal von Lake verschont blieb. Lake sah mich ausdruckslos an und ich wusste ebenfalls nicht, was ich ihm sagen sollte.

„Was willst du hier, Lake?“, fragte ich ihn und versuchte ruhig zu bleiben. Am liebsten würde ich ihm an die Gurgel gehen. War ja auch kein Wunder, nachdem was er mir am Strand angetan hatte. Auch noch vor allen Leuten. Bisher hatte er das nie getan!

Lake sah mich noch immer schweigend an und knabberte an seiner Unterlippe. Er sagte doch sonst immer, was ihm gerade durch den Kopf ging, wieso jetzt nicht? Lake sah zur Seite und steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Ich wollte mich entschuldigen...“

„So siehst du aber nicht aus!“, stellte ich argwöhnisch fest. Lake würde sich niemals bei mir entschuldigen. Der doch nicht! „Hat Elias dich dazu angestiftet?“

Lake sah mich an und nickte daraufhin. Er schwieg und das nervte mich. Wieso sagte er nicht endlich mal etwas? Wieso musste ich ständig reden? Konnte er sich nicht mal rechtfertigen? Oder sich von selbst entschuldigen? Wieso musste Elias ihn dazu drängen?

„Hasst du mich so sehr?“, fragte ich Lake und musste schlucken. Lake sah mich höhnisch grinsend an. „Ich meine, ich habe doch gar nichts gemacht! Du hackst nur auf mir herum oder machst komische Sachen mit mir.“

Lake kam einen Schritt auf mich zu und lehnte sich an den Türrahmen. „Du bist einfach nur naiv. Du weißt nicht, was du willst und du denkst, wir lassen dir alles durchgehen, wenn du auch nur mit den Wimpern klimperst.“

Ich verstand nicht, was Lake damit meinte. „Was meinst du damit?“, fragte ich ihn unsicher.

„Du bist egoistisch! Immer muss sich alles nur um dich drehen! Du denkst nicht mal daran, wie Elias sich bei der ganzen Sache fühlt!“, schnauzte Lake mich an. „Denkst du er hat nicht bemerkt, wie du dieser Samantha hinterher guckst? Hast du schon mal daran gedacht, dass du ihn damit ziemlich verletzt? Entscheide dich endlich mal, was du überhaupt willst!“

Ich sah Lake an und wusste nicht, was ich ihm da noch entgegen bringen konnte. Er hatte ja recht, aber zustimmen wollte ich ihm auf keinen Fall.

„Hey, Sam! Streitet ihr euch etwa?“, fragte Jason und kam um die Ecke. Er sah zu uns in den Flur und musterte Lake von oben bis unten. Lake schien das nicht sonderlich zu gefallen.

„Wer ist das?“, kam es von beiden skeptisch. Ich seufzte genervt. „Das ist Lake und das ist mein Bruder Jason.“ Ich stellte die beiden notgedrungen vor und starrte Lake schweigend an. Konnte er nicht einfach nur wieder gehen?

Ich sah überrascht auf, als ich plötzlich spürte, wie Jason mich an der Hand packte und Lake ebenfalls ins Haus zog. Was war denn nun plötzlich los? Lake war nicht minder überrumpelt. Jason schob uns voran ins Wohnzimmer und schloss die Haustür hinter sich. Keiner wusste so genau, was Jason im Sinn hatte.

„Was soll das werden, Jason?“, fragte ich meinen Bruder und setzte mich auf das Sofa. Jason lächelte mir zu und drückte Lake neben mir ins Sofa.

„Ich kann euch gut verstehen. Ihr seid noch jung und wisst einfach nicht mit euren Gefühlen umzugehen. Gerade in eurem Alter ist das schwierig. Andere würden es einfach nicht verstehen und ihr habt eben keinen Schimmer, wie man mit dem Thema umgehen soll. Aber gerade deswegen wäre es gut, wenn ihr es nicht voreinander verbergt und offen zu euren Gefühlen steht!“, erklärte Jason uns. Er sah und beiden in die Gesichter und lächelte verständnisvoll.

Ich wusste nicht worauf er hinaus wollte. Ging es etwa um den Streit und unsere Abneigung zueinander? Ich sah zu Lake, der genauso ratlos war wie ich. Verständnislos sahen wir Jason an.

„Jetzt habt euch nicht so!“, forderte er uns auf und nickte uns beiden zu. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Was wollte er denn jetzt von uns? Jason seufzte. „Ihr seid echt schüchtern! Ihr braucht euch doch nicht vor mir zu schämen! Lasst euren Gefühlen einfach freien Lauf!“

Ich sah zu Lake und dieser blickte Jason immer noch an, als würde er zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen sehen. Ich verzog meinen Mund und wollte mich gerade umdrehen, als Jason meinen Kopf etwas unsanft Lake entgegen drückte. Ich riss erstaunt meine Augen auf und schon im nächsten Moment lagen meine Lippen auf Lakes, der sich umgedreht hatte, um zu sehen, was Jason da mit mir machte. Nur, mit einem Kuss hatten wir beide nicht gerechnet.

Ich stemmte meinen Kopf gegen Jasons Hand und kniff meine Augen zusammen. „Jungs! Ihr braucht euch doch nicht zu schämen! Außerdem hat Sam mir schon gesagt, dass ihr euch bereits geküsst habt!“, meinte Jason eindringlich.

Ich schob Jasons Hand von mir und löste mich hastig von Lake. War mir das peinlich! Lake sah nur verwirrt zwischen mir und Jason hin und her. Jason grinste. „Hast du geflunkert und ihr habt euch noch gar nicht geküsst?“, fragte er frech grinsend.

Ich öffnete entsetzt meinen Mund. Was sollte der ganze Mist? Ich hatte das Gefühl, als hätte Jason da etwas gewaltig missverstanden! „Also, natürlich haben wir uns geküsst, aber...“ Was sollte ich denn jetzt sagen? Hilfesuchend sah ich zu Lake, aber der schien noch gar nicht in der Lage zu sein, um etwas zu erwidern. Er schien noch immer völlig durcheinander zu sein.

„Ich bin nicht in Lake verliebt und ich will ihn nicht küssen! Ich will gar nichts von ihm! Ich bin nämlich in...“ Ich hielt inne. Ja, in wen war ich eigentlich verliebt? Ein Name lag mir auf der Zunge, aber ich brachte es nicht fertig ihn auszusprechen.

Wütend stand ich auf und sah Jason anklagend an. „Du bist echt so ein Idiot!“, beschimpfte ich ihn und rannte aus dem Wohnzimmer. Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und warf mich gekränkt auf mein Bett.

Jason sah zu Lake und wusste nicht so recht, was er jetzt falsch gemacht hatte. Lake zog die Stirn kraus. „Bist du irgendwie nicht ganz richtig im Kopf?“, fragte er Jason.

„Dann stimmt es gar nicht? Sam ist überhaupt nicht in dich verliebt?“, fragte Jason und diesmal war es an ihm verwirrt drein zu blicken. Lake schüttelte vehement mit dem Kopf. Jason kratzte sich mit der Hand am Kopf. Er lächelte schief und sah zu dem Schwarzhaarigen.

„Da habe ich wohl ziemlichen Mist gebaut, was?“, fragte er und ließ den Kopf hängen. Lake sah zu ihm und wusste auch nicht richtig, was er dazu sagen sollte. „Tja, da gleicht ein Bruder dem Anderen!“, murrte er und ließ sich zurück ins Sofa sinken.

Jason sah auf und verzog seinen Mund. „Was soll das heißen?“ Lake grinste verächtlich. „Ihr seid euch so ähnlich! Dumm, naiv, ihr versteht einfach nichts! Soll ich noch mehr aufzählen?“, fragte er mit unschuldiger Stimme. „Ihr wisst bestimmt beide nicht, was ihr wollt und Sam kann ja nicht mal richtig küssen!“

Jason schnaubte. „Und da vergleichst du mich mit meinem Bruder? Du vergisst, dass er noch ein halbes Kind ist!“ Lake lachte höhnisch auf. „Ah! Jetzt kommen die typischen Ausreden! Habe ich alles schon gehört!“

Jason stand auf und baute sich vor Lake auf. „Jetzt verstehe ich auch, warum mein Bruder nichts an dir findet!“, meinte er mit erschreckend ruhiger Stimme. Lake sah zu ihm auf. Als ob es ihn interessieren würde, was andere Leute von ihm hielten! Er hatte immerhin besseres zu tun.

„Falls du es vergessen hast, du bist auch noch nicht großartig erwachsener als Sam!“ Jason ließ sich auf Lakes Schoss gleiten und dieser sah ihn verdutzt an. Jason grinste und beugte sich vor. „Jetzt zeige ich dir mal ein paar Dinge, die Erwachsene miteinander machen, denn scheinbar zählst du dich ja bereits dazu.“

Lake wollte gerade etwas erwidern, doch Jason hinderte ihn daran und drückte ihm seine Lippen auf den Mund. Lake versuchte den Älteren von sich herunter zuschieben, aber es gelang ihm nicht. Jason war einfach viel stärker. Immerhin musste er als Model ziemlich viel trainieren, um in Form zu bleiben. Lake keuchte in den Kuss und schloss seine Augen. Er hielt sich an Jason fest und dieser schob dem Jungen seine Zunge in den Mund.

Jason machte es sich etwas bequemer und rückte näher an Lakes Körpermitte heran. Der Junge stöhnte und versuchte sich nur noch halbherzig zu wehren. Jason griff nach seinen Händen und drückte sie gegen die Rückenlehne des Sofas.

Lake öffnete halb seine Augen und sah zu Jason auf. Er musste zugeben, dass ihn bisher weder Mann noch Frau so gut geküsst hatten und zu seinem Missfallen gefiel es ihm mehr, als er zugeben wollte. Diese beiden Brüder, was machten sie nur mit ihm?

Lake zog sein Bein an und rieb mit seinem Knie leicht an Jasons Schritt. Der keuchte überrascht auf. Er löste den Kuss und sah Lake an. Jason grinste und zog Lake an seinem Hemd hoch, um ihn zu küssen. Dieser wehrte sich nicht dagegen und ließ willig alles mit sich machen.

Jason drückte ihn runter auf das Sofa und setzte sich breitbeinig auf Lakes Körpermitte. Er hatte seine Arme losgelassen und sah von oben auf den schmächtigen Jungen herab. „Wie alt bist du eigentlich? Komm ich ins Gefängnis, wenn ich dich vernascht habe?“, fragte er Lake und leckte sich lasziv über die Lippen.

Das blasse Gesicht des Jungen wurde leicht rötlich und er schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin schon 18.“ Lake grinste breit. „Glaub ja nicht, dass ich noch nicht mit einem Kerl geschlafen habe!“, meinte er hochmütig.

Jason zuckte mit den Schultern, ehe er sich sein Shirt vom Kopf streifte. „Na, umso besser, dann muss ich mich nicht zurückhalten!“, kam es von ihm und so ließ er das Shirt achtlos zu Boden fallen. Lake sah mit einem mulmigen Gefühl zu dem Koreaner auf und war sich nun nicht mehr ganz so sicher, ob er hier einfach mit einem Fremden Sex haben wollte.

„Was ist? Ziehst du deinen Schwanz ein?“, fragte Jason und beugte sich zu Lake herunter. Er rieb mit seiner Hüfte leicht an dem Jungen und Lake musste verhalten stöhnen.

Lake sah zu ihm auf. „Als ob! Dein Bruder ist aber noch im Haus, falls du das vergessen hast!“, keifte er genervt. Lake fuhr sich grummelnd durch die Haare.

Jason grinste. „Na, wenn das so ist, verschwinden wir eben in meinem Zimmer!“, meinte er schulterzuckend und stand auf. Lake sah ihn wie versteinert an und bewegte sich keinen Zentimeter.

„Was ist? Komm schon!“

Jason hob sein Shirt auf und ging einfach voran zu seinem Zimmer. Lake saß noch immer auf dem Sofa. Sollte er ihm hinterher gehen oder schnell durch den Flur abhauen? Irgendwie lief hier heute alles ein wenig aus dem Ruder!

Lake sah zum Flur und stand auf. Er ging zu Jasons Zimmer und blieb in der offenen Tür stehen. Jason hatte sich bereits komplett ausgezogen, was auf Lake schon ein wenig befremdlich wirkte. „Für einen Asiaten hast du ja ordentlich was zwischen den Beinen!“, rutschte es ihm heraus. Lake versuchte nicht ständig auf Jasons Penis zu sehen, sondern zwang sich dazu ihm in die dunklen Augen zu schauen.

„Zeigst du mir jetzt deinen?“, fragte Jason belustigt. „Schön, dass er dir gefällt. Was ich damit anstellen kann, wird dir gleich noch mehr gefallen.“

Lake wandte seinen Blick ab. Wie konnte der Kerl so mit ihm reden? Sonst war er es doch immer, der ein großes Mundwerk hatte! Lake rümpfte die Nase und sah kurz in den Flur. Dann machte er einige Schritte in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Wehe, du hälst dein Wort nicht!“

„Kleiner, ich werd dich schon noch zu deinem Höhepunkt bringen!“, sagte Jason und ließ sich auf das Bett sinken. Lake sah ihn misstrauisch an.

Er stand unschlüssig im abgedunkelten Zimmer. Wollte Jason etwa wirklich, dass er sich gleich hier auszog? Lake wurde etwas rot im Gesicht. Es war einfach nur ein komisches Gefühl, als wäre er bei einem Callboy, oder so. Jetzt wurde er auch noch unsicher. Das passte ihm so gar nicht! Dieser Typ verunsicherte ihn. Wo er bei Sam immer leichtes Spiel hatte, war Jason ihm weitaus überlegen.

Lake schluckte und griff nach dem Hemdsaum seines Shirts. Er sah herablassend zu Jason und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Dann zog er sich mit einem Ruck das Shirt über den Kopf und warf es Jason mit voller Wucht und schön zusammengeknüllt ins Gesicht.

Jason grinste breit und zog sich das Shirt vom Kopf. „War das schon alles?“, fragte er frech und zeigte auf Lakes Hose, während er das Shirt zu Boden fallen ließ. Lake sah ihn gereizt an. Dann öffnete er seinen Gürtel, gefolgt von dem Knopf und dann zog er sich den Reißverschluss herunter. Lake blickte kurz zu Jason, der ihn genauestens beobachtete und sichtlich seinen Spaß an der ganzen Sache hatte. Wie war er da nur hineingeraten?

Lake zog sich die Schuhe aus, ließ die Jeans herunter fallen und so rutschte sie in seine Kniekehlen. Er trat sie sich von den Beinen und so flog auch seine Hose ein paar Meter weit durch das Zimmer. Der Junge befreite sich von seinen Socken und stand nur noch in Boxershorts vor dem Älteren.

„Hm, da ist immer noch ein Stück Stoff, das mir die Sicht versperrt...“, meinte Jason gespielt enttäuscht. Lake fand das gar nicht witzig. Der Typ machte sich hier einen Spaß aus ihm und er ließ es auch noch zu! Wie konnte er nur so dumm sein? Trotzdem ließ Lake nicht locker und spielte Jasons Spiel mit.

Er griff nach seinem Hosenbund und zupfte pikiert daran herum. Lake holte tief Luft und ließ die Boxershorts zu Boden gleiten. Er stand nackt vor Jason und irgendwie gefiel ihm das Ganze dann doch nicht mehr so gut.

„Eben warst du aber noch mutiger, Kleiner!“, stichelte Jason und Lake sah zu ihm. „Ich heiße Lake!“, schnauzte dieser ihn an und ging ein paar Schritte zu dem Jungen auf dem Bett zu. „Wehe, es lohnt sich nicht!“, motzte Lake und blieb unschlüssig vor Jason stehen.

Jason lächelte und griff nach Lakes Hintern. Er massierte ihn dort und zog den Jungen dann auf seinen Schoss. Lake hielt sich an Jasons Schultern fest und küsste ihn, damit er überhaupt etwas zu tun hatte. Irgendwie musste er sich ja auch von seiner Nervosität ablenken. Eigentlich war er wirklich nicht der Typ, der etwas mit Leuten anfing, die er gar nicht kannte.

Jason umschlang Lake mit seinen Armen und legte ihn aufs Bett. Er positionierte sich zwischen seinen Beinen und Lake drückte ihn mit seinen Beinen fester an sich. Jason grinste. „Der Geduldigste bist du ja nicht gerade.“

„Tja, kommt drauf an, ob du von der schnellen oder der langsamen Sorte bist!“, konterte Lake und zog Jasons Gesicht zu sich heran. Er presste seine Lippen auf die des Koreaners und küsste ihn. Er öffnete seine Lippen und sofort kam ihm Jasons Zunge entgegen. Verlangend küssten sie sich.

Lakes Finger vergruben sich in den kurzen, blond gefärbten Haaren des Mannes über sich und spielten mit seinen zusammen gebundenen Haaren. Fahrig strichen seine Hände über Jasons breiten Rücken.

Jason löste sich von ihm und beugte sich zur Seite. Lake sah ihm dabei zu. Was hatte Jason vor? Er zog unter dem Bett eine unscheinbare Kiste hervor und öffnete sie. Lake beugte sich vor und sah interessiert zu, wie Jason allerlei Dinge heraus beförderte, während er darin herum wühlte und scheinbar etwas suchte.

„Was ist das?“, fragte Lake und schnappte sich eine Schnur mit lauter Kugeln daran. Jason grinste. „Das sind Liebesperlen, Kleiner. Und rate mal, wo die rein kommen.“

Lake ließ die Schnur überrascht fallen. Jason lachte und entnahm der Kiste eine Packung mit Kondomen und eine Tube Gleitgel. „So, dann wollen wir mal! Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit, also glaub ja nicht, dass ich dich heute noch gehen lasse!“


◆ ◆ ◆




Eigentlich hatte ich ja vor, mich mit Jason auszusprechen und wollte ihm doch noch erzählen, von wem ich ihm die ganze Zeit nichts erzählt hatte. Als ich jedoch in den Flur trat, hörte ich merkwürdige Geräusche aus seinem Zimmer kommen. Ich ging langsam darauf zu und blieb vor Jasons Zimmer stehen. Meinen Kopf an die Tür gelehnt, lauschte ich heimlich.

Von drinnen kamen leise Stimmen und unterdrücktes Stöhnen. Mein Gesicht lief knallrot an. Was machte Jason da und vor allem mit wem? Plötzlich wurde das Stöhnen lauter und erschrocken wich ich von der Tür zurück.

Moment! Die Stimme kannte ich doch? Oder nicht? Mein Gesicht glich inzwischen einer Tomate und ich konnte es kaum fassen.

Hatte Jason etwa Sex mit Lake?!

Ich ging hastig ins Wohnzimmer, in der Hoffnung dort nichts mehr hören zu müssen. Ich setzte mich auf das Sofa und schaltete den Fernseher an. Allerdings konnte ich mich kaum auf die Sendung konzentrieren und zappte wahllos zwischen den Programm herum.


◆ ◆ ◆




Als Calvin spät abends heimkam, zog er sich Schuhe aus und hing seine Jacke sorgfältig auf dem Kleiderhaken auf. Er ging ins Wohnzimmer und zog eine Augenbraue in die Höhe. Er kam zum Sofa und rüttelte an meiner Schulter.

„Sam! Wach auf! Wieso schläfst du hier? Sind deine Eltern noch nicht zu Hause?“, fragte er mich und versuchte mich wach zukriegen.

Blinzelnd öffnete ich meine Augen und sah Calvin verschlafen an. Ich schüttelte einfach nur meinen Kopf und drehte mich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen.

Calvin schüttelte ebenfalls nur den Kopf und verließ das Wohnzimmer. Er ging durch den Flur und in sein Zimmer. Er stolperte über etwas und blieb verwundert stehen.

„Wieso ist es hier so dunkel? Ich habe die Vorhänge doch gar nicht zugezogen?“, wunderte er sich und suchte nach dem Lichtschalter neben der Tür. Tastend glitt Calvins Hand über die Wand, bis er fand wonach er suchte. Es wäre wohl besser gewesen, er hätte den Lichtschalter nicht gefunden, denn der Anblick, welcher sich ihm bot, ließ ihn erbleichen.

„Wa-was zum...?“

Jason öffnete seine Augen und hielt sich die Hand schützend vor das Gesicht. Er murrte und hob seinen Kopf hoch. „Mach das Licht aus!“, brummte er. Dann öffnete er seine Augen ganz und sah Calvin erstaunt an. „Wer bist du denn?“, fragte er ihn verblüfft.

„Da-dasselbe könnte ich dich fragen! Was macht ihr in meinem Zimmer?“, wollte Calvin wissen und versuchte seine Fassung zu bewahren. „Was habt ihr angestellt?“

Das ganze Zimmer war mehr oder weniger unordentlich und verwüstet. Für Calvin war das ein Anblick des Grauens. Immerhin war er äußerst reinlich und hatte bereits am frühen Morgen das Zimmer auf Vordermann gebracht. Das Chaos, welches sich ihm nun bot, war einfach nur zum Haareraufen!

„Dein Zimmer? Das ist meins! Das war es schon immer!“, meckerte Jason und nun wurde auch Lake wach, der sich an Jason geschmiegt hatte. Er setzte sich auf und sah verschlafen zu Calvin.

„Was ist los?“, fragte er und sah zwischen den beiden Jungs hin und her.

„Das wüsste ich auch gerne!“, meckerte Calvin und sah sich pikiert im Zimmer um. Das würde er ganz sicher nicht aufräumen!

„Verschwinde! Ich will meine Ruhe haben!“, murrte Jason und zog Lake wieder in die Laken. Er beugte sich zu dem Jungen herunter und küsste ihn gierig. Lake erwiderte den Kuss und schlang seine Arme um Jasons Hals.

„Was soll das werden?“, fragte Calvin mit schriller Stimme. Entsetzt sah er zu Jason, wie er sich auf Lake legte und seine Beine spreizte.

„Jetzt hast du mich geweckt, da kann ich auch noch eine neue Runde einlegen.“

Calvin wurde kalkweiß im Gesicht. Er ging einige Schritte zurück und hielt sich einer Ohnmacht nahe am Türrahmen fest.

„Ah, mach die Tür zu, wo du eh schon fast draußen bist!“, kam es von Jason, ehe er sich wieder ausgiebig dem schwarzhaarigen Jungen widmete.

„Das ist Meuterei!“, schrie Calvin einer hysterischen Furie gleich und schlug die Tür hinter sich zu. Das war sein Zimmer und darum würde er kämpfen! Keiner machte ihm sein Zimmer ungestraft so unordentlich und dreckig!

Die Menschen sehen mich an und sehen meinen Bruder.




Calvin bekam natürlich seinen Willen. Wenn auch auf eine etwas andere Art. Er ging einfach zu meinen Eltern und beschwerte sich bei ihnen, als sie endlich heimkamen. So ging es natürlich auch und Jason war dazu gezwungen sein Zimmer zu räumen.

Lake war inzwischen gegangen und keiner von uns sprach darüber, was vorgefallen war. Ich traute mich auch nicht Jason zu fragen, wieso er mit Lake geschlafen hatte. Obwohl ich mir natürlich schon so meine Gedanken dazu machte, immerhin hätte ich nie gedacht, dass Jason einfach mit Lake Sex haben würde.

Außerdem klangen die Geräusche immer noch in meinen Ohren nach. Ich wusste gar nicht, dass mein Bruder und Lake solche Töne von sich geben konnten?

Mit geröteten Wangen stand ich vor dem Badezimmerspiegel und starrte mich an. Irgendwie musste ich jetzt daran denken, was ich bereits alles mit Elias angestellt hatte. Was ja nicht sehr viel war, aber ich konnte mich inzwischen auch gehen lassen. Ob ich mich auch so anhörte?

Ich schüttelte heftig mit dem Kopf und bekam eine leichte Gänsehaut. Ich schlüpfte in meinen Bademantel und wollte nicht weiter darüber nachdenken, denn nun kamen mir irgendwie ziemlich perverse Gedanken und Elias spielte dabei natürlich auch eine gewisse Rolle.

Ich seufzte ergeben und zog mir meinen Bademantel über. Ich machte mir eindeutig zu viele Gedanken über Dinge, die mich im Grunde doch gar nichts angingen. Wozu mir also den Kopf darüber zerbrechen? Das würde mich sowieso nicht weiterbringen. Wenn dann müsste ich wohl direkt mit Jason sprechen und das wollte ich irgendwie nicht. Es war immerhin sein Privatleben und ich wusste nicht, wie er es auffasste, wenn ich ihm sagen würde, dass er da mit der Person Sex hatte, die mich und Elias auseinander bringen wollte? Vielleicht sollte ich ihm einfach mal sagen, dass Lake mich auch schon angemacht hatte?

Grübelnd verließ ich das Badezimmer. Das konnte ich aber doch nicht machen, oder? Jason würde höchstwahrscheinlich ausrasten, wenn er es erfahren würde. Erst mal wegen mir und Elias und dann wegen Lake, dass dieser sich einfach an mich ran gemacht hatte. Also behielt ich es wohl vorerst besser für mich.

Müde ging ich in mein Zimmer, dass ich vorerst mit Jason teilen musste. Wenigstens schlief er auf einer Matratze und ich hatte mein Bett für mich. Hatte ja schon sein Gutes, dass Küken im Haus zu sein und von allen bemuttert zu werden. Fragte sich nur, für wie lange noch?

Ich stieß die Tür auf und betrat das verdunkelte Zimmer. Typisch Jason, nur ja kein Licht abkriegen, es könnte ja seinem blassen Teint schaden, für den er so begehrt war. ich ging zu meinem Bett und stolperte über Jasons Reisetasche. Musste er denn alles im Weg liegen lassen?

Ich kletterte in mein Bett und als ich mich hinlegen wollte, landete ich auf Jason. "Was machst du in meinem Bett?", fragte ich ihn verwirrt. Ich blieb einfach auf ihm liegen und stemmte mich mit den Händen auf der Matratze ab.

Jason drehte sich zu mir um und lag nun unter mir. "Ich kann unmöglich auf der harten Matratze schlafen!", murrte er und zog mich in eine Umarmung. Irgendwie schon etwas merkwürdig, denn das letzte Mal, als ich Jason gesehen hatte, war er immerhin 17 Jahre alt. Inzwischen war er 29 und auch sein Aussehen hatte sich um einiges geändert.

"Dann schlaf doch im Wohnzimmer auf der Couch! Das ist mein Bett!", erwiderte ich genervt, weil ich einfach nur noch schlafen wollte.

"Auf keinen Fall!", meinte er und schüttelte den Kopf. "Sam, du fängst schon genauso an wie Calvin!"

Ich horchte auf. Wie konnte er mich mit diesem hysterischen Flummi vergleichen? "Ich bin nicht wie Calvin!"

"Aber auf dem besten Weg bist du schon...", kam es von Jason. Er strich mir über den Rücken und ich ließ mein Gesicht auf seine Schulter sinken. Das war ja nicht gerade ein Kompliment...

"Jason...nimm deine Hände da weg!", grummelte ich und blieb faul auf ihm liegen. Jason lachte. "Was denn? Darf ich nicht mal schauen, wie du dich so gemacht hast, die letzte Zeit?", fragte er frech und nahm seine Hände von meinem Hintern.

Ich nahm meine Finger und zwickte ihm damit in den Hals. Jason keuchte erschrocken. Das hatte er jetzt davon! Jason sah mich an, wobei ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, wie er mich ansah.

"Lass uns ans Meer fahren!", meinte Jason plötzlich. Ich sah ihn einen Moment verwirrt an. Das war jetzt nicht sein Ernst oder? Es war doch mitten in der Nacht! Ich sollte längst im Bett liegen und schlafen!

"Okay!", erwiderte ich und setzte mich auf seinen Bauch. Wieso auch nicht? Schlafen konnte ich später immer noch. Und wenn schon, ich hatte Privatunterricht und konnte daher ausschlafen und sollte ich es verschlafen hätte ich ehrlich gesagt auch nichts dagegen.

Jason setzte sich im Bett auf und ich krabbelte von ihm herunter. Wir standen beide vom Bett auf und zogen uns an. Bei mir ging es natürlich wesentlich schneller, weil ich jetzt in Aufbruchstimmung war.

"Komm schon, Jason!", jammerte ich und war nicht gerade leise dabei. Jason hielt mir warnend den Finger gegen den Lippen. Ich nickte daraufhin verstehend, immerhin wollte ich nicht, dass unser kleines Abenteuer noch von irgendjemandem unterbrochen wurde, noch bevor es überhaupt angefangen hatte.

Jason und ich schlichen uns also lautlos, zumindest versuchten wir es, aus meinem Zimmer, durch den Flur und dann zur Garderobe, wo wir uns warm anzogen. Jason schnappte sich die Autoschlüssel von meinem Vater.

Als wir im Auto saßen, konnte ich es kaum erwarten an den Strand zu fahren. Ohnehin war es selten, dass ich etwas mit Jason unternommen hatte, denn selbst vor meinem Unfall hatte Jason nicht allzu viel Zeit für mich gehabt, weil er ständig im Ausland war.

Wir fuhren durch die beleuchteten Straßen und obwohl es schon so spät war, waren noch viele Leute unterwegs. Ich betrachtete die Gebäude, die schnell an uns vorbeizogen und genoss die Fahrt. Endlich mal jemand der Autofahren konnte. Herrlich!

Jason parkte nach einiger Zeit auf dem Parkplatz eines Geschäftes, der um diese Zeit komplett leer war. Wir stiegen aus und gingen zur nächsten Ampel. Jason legte mir einen Arm um die Schultern und unweigerlich kam mir der Gedanke, dass einige Leute diese Situation missverstehen könnten. Wir blieben vor einem Zebrastreifen stehen und warteten ungeduldig darauf, dass die Ampel auf grün umschaltete.

In dem Punkt waren wir uns einig, wir waren beide ungeduldig und unsere Konzentrationsspanne war gleich Null.

Als es grün wurde zog Jason mich mit sich und stolpernd ließ ich mich hinterher zerren. Wir gingen den Fußgängerweg entlang und nach einiger Zeit bogen wir an den vielen Bäumen und den Strandcafés ab, bis ich endlich Sand unter meinen Turnschuhen spürte. Ich blieb stehen, zog mir die Schuhe und Socken aus und vergrub meine Füße im Sand. Es war ein tolles Gefühl den warmen Sand zu spüren.

Jason tat es mir gleich und griff dann nach meiner Hand. Nebeneinander gingen wir hinunter zum Wasser, dass uns nach einigen Metern schon kühl um die Fußsohlen floss. Ich grinste und ging durch den aufgeweichten Sand etwas tiefer ins Wasser hinein, so dass es mir schon bis zu den Knöcheln reichte. Hastig krempelte ich meine Hose hoch und wurde schon im nächsten Moment nass.

„Jason, hör auf!“, kreischte ich und lief zurück in den Sand. Jason grinste nur und trat heftig mit dem Fuß durch das Wasser, so dass es nur so spritzte. Schmollend sah ich zu ihm und sah an mir herunter. Jetzt war es eigentlich auch schon zu spät, um sich noch zu ärgern, also lief ich zu ihm und sprang auf Jasons Rücken. Ich klammerte mich an ihn und so nahm er mich huckepack.

Ich schmiegte mich an den warmen Rücken meines Bruders und sah auf das Meer, wie es in der Abendsonne glitzerte. Ich schlang meine Arme um ihn und spürte wie er mir einen kurzen Kuss auf den Arm gab, was mich zum Lächeln brachte.

„Ich bin froh, dass du wieder da bist!“, meinte ich und das war ich wirklich. Jason lachte leise und ging gemütlich mit mir als Anhängsel durch das seichte Wasser.

„Du hast mir auch gefehlt, Sam!“, gestand er mir.

„Bist du jetzt eigentlich mit Lake zusammen?“, wollte ich nun doch neugierig wissen. Jason schüttelte lachend den Kopf. „Du hast gelauscht! So was macht man doch nicht!“, tadelte er mich, konnte jedoch selbst nicht ernst dabei bleiben. „Nein, wir sind nicht zusammen und es war nur eine einmalige Sache.“

Ich sah stumm auf seinen Hinterkopf und zog an seiner offenen blonden Haarsträhne. „Das ist aber nicht nett, wenn du Sex mit ihm hast und dann nichts mehr mit ihm zu tun haben willst!“, meckerte ich leise.

Jason nickte. „Ja, ist es wirklich nicht. Aber ich habe keine Zeit für eine Beziehung. Ich bin doch ständig im Ausland unterwegs. Ich würde ihn nur ein paar Mal im Jahr sehen. Das würde ihn nur noch mehr verletzen, wenn er so lange auf mich warten muss!“, erwiderte er und schüttelte dabei mit dem Kopf.

Ich seufzte. Das war wirklich kompliziert. „Aber du magst ihn, oder?“, wollte ich wissen. Jason nickte leicht. „Ja, er ist süß!“, kam es lediglich von ihm. Irgendwie hatte ich mehr Begeisterung von ihm erwartet. Sie hatten doch miteinander geschlafen?

„Was macht dein Kopf?“, fragte Jason mich unvermittelt. Er schien nicht weiter über Lake reden zu wollen. Ich legte meinen Kopf schief und verstand die Frage nicht ganz.

„Was soll damit sein?“, erwiderte ich unwissend. Worauf wollte Jason hinaus?

„Na du kannst dich doch immer noch nicht an den Unfall erinnern, oder? Du leidest immer noch an Amnesie!“, meinte Jason mit einem leicht besorgtem Unterton in der Stimme. Das meinte er also. Ich überlegte einen Augenblick.

„Mir geht es gut, aber die Erinnerungen sind noch nicht zurück gekehrt. Mein Arzt meinte, ich soll nicht krampfhaft versuchen mich daran zu erinnern. Es passiert irgendwann ganz von selbst, dass die Erinnerungen zurück kommen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich mich wirklich daran erinnern will? Ich meine, mir geht es doch gut soweit! Meine Freunde und Familie kommen auch damit klar, wieso also sollte ich mich wieder daran erinnern? Was bringt es mir?“, fragte ich Jason nachdenklich.

„Du weißt aber nur, was die Anderen dir erzählt haben, nicht wahr? Willst du es denn nicht auch wissen? Du bist doch sicher neugierig?“, erklärte Jason seine Bedenken. Ja, wahrscheinlich hatte er Recht, aber irgendwie hatte ich auch Angst davor.

„Wie geht’s denn Elias damit?“, wollte Jason wissen. Ich schwieg einen Moment lang, so dass Jason kurz stehen blieb und seinen Kopf zu mir umdrehte. Er ließ mich herunter und drehte sich zu mir.

„Genau genommen haben wir irgendwie noch nicht so richtig darüber geredet. Da gibt es ja eigentlich auch nicht wirklich etwas zu bereden, oder?“ Ich sah zu Jason auf und kratzte mich leicht am Kopf.

„Dann weißt du also gar nicht, wie er sich jetzt fühlt, was in ihm vorgeht, seit du wieder unter den Lebenden weilst?“, hakte Jason nach. So langsam wurde es mir wieder zu unangenehm. Ich schüttelte den Kopf.

„Das nicht unbedingt...“, erwiderte ich wage. Elias und ich hatten bisher kaum richtig ernsthafte Gespräche geführt. Eigentlich nur das eine über seinen Stalker Ryan, aber das war es dann auch schon wieder. Ansonsten hatten wir nur über alltägliche Kleinigkeiten geredet und die meiste Zeit hatten wir nur versaute Sachen angestellt. Davon konnte ich Jason aber schlecht erzählen.

Ich wusste nicht wieso, aber Jason und Elias konnten sich nicht leiden. Irgendetwas musste da wohl vorgefallen sein in der Zeit, in der ich im Koma lag. Das interessierte mich natürlich brennend, aber konnte ich einfach so nachfragen? Ich hatte leichte Zweifel, ob Jason mir antworten würde, wo er schon dem Thema mit Lake ausgewichen war.

Ich beschloss es vorerst für mich zu behalten und bei nächster Gelegenheit würde ich Elias darüber ausquetschen müssen. Eine andere Möglichkeit blieb mir ja vorerst nicht. Ich könnte Lake fragen, aber ob er es wusste? Außerdem war ich zurzeit wirklich nicht scharf darauf mit ihm zu reden.

„Wie läuft es denn so mit deinen Freunden? Als du so völlig außer dir Zuhause angekommen warst, habe ich mir ja schon sorgen gemacht!“, wollte Jason wissen. Ich ging neben ihm her und schielte kurz zu ihm auf. Sollte ich ihm wirklich erzählen, was Lake so für komische Sachen mit mir angestellt hatte? Ich seufzte. Heute wusste ich definitiv nicht, welches die richtigen Antworten waren. Jason wechselte für meinen Geschmack viel zu schnell die Themen und wich allen unangenehmen Fragen aus. Was hatte er sich hier eigentlich für ein Gespräch erhofft?

„Jason? Was willst du eigentlich wirklich?“, fragte ich ihn also in der Hoffnung, dass ich heute noch irgendeine Antwort von ihm bekam.

Jason legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich mit sich den Strand entlang. Die Sonne war schon längst nicht mehr zu sehen. Trotzdem konnte man sich noch recht gut orientieren. Zu dunkel war es jedenfalls nicht dazu.

„Es ist nur...wir sehen uns ja so gut wie nie. Ich meine auch Mum und Dad und Abby. Ich habe langsam das Gefühl, dass ich mich zu sehr abgekapselt habe von euch.“ Jason sah aufs Meer hinaus, also konnte ich nicht sehen, was er in diesem Moment für ein Gesicht machte. „Ich bin am Überlegen, ob ich mit dem Modeln aufhöre und wieder heimkehre.“

Erschrocken sah ich meinen Bruder an. Ich griff nach seinem Arm und zog ihn unsanft zu mir herum. „Das kannst du nicht machen! Das war dein großer Traum! Du wolltest schon immer modeln und groß raus kommen!“, versuchte ich ihn von seinem Vorhaben abzuhalten.

„Und beides habe ich erreicht. Ich kann es mir leisten. Ich habe genug Geld. Davon könnte ich was weiß ich was für viele Familien ernähren!“, erwiderte Jason lachend und sah mich an.

Ich schüttelte nur den Kopf und sah ihm eindringlich in die Augen. „Aber du bist nicht glücklich, wenn du es nicht mehr machen kannst! Du würdest dich zu Tode langweilen!“

Jason schüttelte den Kopf. „Ich bin hierher gekommen, um zu sehen, wie es euch geht. Was sehe ich? Das Fenster wurde eingeschlagen, mein Bruder kommt heulend nach Hause und meine Eltern sind viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt. Mum kann nicht ewig Zuhause bleiben und sich um dich kümmern!“

Ich sah meinen Bruder an und musste lächeln. „Du machst dir zu viele Sorgen, Jason! Uns geht’s hier gut! Du musst deinen Job nicht aufgeben. Wie wäre es wenn du einfach öfter anrufst oder einfach von dir hören lässt? Ein Lebenszeichen reicht uns schon!“, erwiderte ich und umgriff seinen Arm mit meinen Händen. Ich drückte mich an ihn und lächelte ihm aufmunternd zu.

Jason schien nachzudenken. „Wahrscheinlich hast du recht...“, murmelte er hadernd. Ich nickte heftig mit meinem Kopf. „Natürlich habe ich recht!“

Jason lachte und zog mich in seine starken Arme, die eigentlich gar nicht so aussahen. „Du hast mir echt gefehlt, Kleiner!“, meinte er und zufrieden mein Ziel erreicht zu haben, schlang ich meine Arme um seinen Rücken.

Wir blieben noch eine Weile so zusammen stehen und ich spürte wie der Wind durch meine Haare wehte. Das Wasser überflutete meine Füße und ich fühlte den warmen Körper meines Bruders an meinem. Ich war froh, dass er sich Sorgen um mich machte, aber ich wollte ihm nicht zur Last fallen und es ging mir ja auch nicht ganz so schlecht. Ich würde mich wieder aufrappeln können.

„Hast du dir eigentlich schon einen runter geholt?“, fragte Jason mich unvermittelt. Ich lief rot an und stieß ihn von mir. „Du Idiot! Wie kommst du jetzt auf so einen Mist!“, fauchte ich ihn total verlegen an. Jason lachte und sah mich breit grinsend an. „Na komm, lass uns heim fahren!“

Schmollend und hochrot im Gesicht folgte ich ihm den Strand hinauf. Er zog sein Shirt aus und trocknete sich damit die Füße ab, ehe er es mir reichte und ich es ihm gleich tat. Wir zogen uns wieder Socken und Schuhe an und ich rollte mir meine Hose wieder herunter.

Jason griff nach meiner Hand und zusammen gingen wir zurück zur Straße. Wenige Minuten später waren wir auf dem noch immer leerem Parkplatz vor dem Supermarkt angekommen und stiegen ins Auto. Jason startete den Motor und fuhr langsam vom Platz auf die Straße. Es fuhren nicht mehr viele Autos durch die Stadt und so schaute ich mir lieber die vielen Lichter an, die inzwischen überall zu sehen waren.

„Bist du schon müde?“, fragte Jason mich als ich verhalten gähnte. Ich nickte und lehnte meinen Kopf zurück an die Kopfstütze. „Ein bisschen...“, murmelte ich.


◆ ◆ ◆




Lautes Klingeln weckte mich und gereizt drehte ich mich im Bett herum, umklammerte mein Kissen und drückte mir die Seiten an die Ohren, so dass ich beinahe daran erstickte. Konnte ich nicht mal ein wenig ausschlafen?

Ich öffnete vorsichtig meine Augen und sah mich überrascht um. Von Jason war nichts zu sehen und auch seine Tasche war nicht mehr da. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Weg ist er...“, flüsterte ich kichernd und richtete mich dann doch auf, um endlich dieses nervtötende Klingeln zu beenden.

Ich stand träge auf und ging zur Zimmertür, öffnete diese und schlurfte durch den Flur zur Haustür. Es war Wochenende! Ich wollte auch mal ausschlafen!

Gereizt öffnete ich die Tür und atmete tief durch. Was hatte denn Lake hier zu suchen? Bei Elias Anblick konnte ich jedoch nicht anders und fiel ihm augenblicklich in die Arme. Er lachte und drückte mich fest an sich. „Habe ich dir so sehr gefehlt?“, fragte er amüsiert und ich brachte nur ein Nicken fertig. Ich krallte mich an ihn und zog ihn rückwärts hinter mir her ins Haus. Lake war längst eingetreten und sah sich suchend um.

„Er ist nicht mehr hier.“ Ich hatte seinen sehnsüchtigen Blick mitbekommen und sah nun zu ihm, während Elias mich noch immer fest hielt. Lake sah mich ungläubig an. „Wie jetzt? Ohne sich noch mal zu verabschieden?“, fragte er verblüfft. Ich zuckte nur mit den Schultern. Was sollte ich da noch sagen? So war mein Bruder eben. Er kam und ging wie er lustig war.

Lake sah mich geknickt an und schien sich erhofft zu haben, meinen Bruder noch mal sehen zu können. Elias schob mich und Lake in die Küche. „Ich mache erst mal Kaffee und Frühstück!“, beschloss er für uns und so setzten wir zwei uns ergeben an den Küchentisch.

„Hört sich gut an!“, kam es plötzlich von hinten. Calvin war aufgewacht und stand in seinem Morgenmantel verhüllt im Raum. Die Arme vor der Brust verschränkt sah er uns an. Scheinbar war auch er von dem Klingeln aus dem Bett geworfen worden.

„Hat er noch irgendetwas gesagt?“, fragte mich Lake nun neugierig und beugte sich leicht vor. Ich sah ihn an und wusste nicht was ich ihm großartig sagen sollte. Klar hatte Jason über ihn geredet, aber nicht gerade das was er nun von mir hören wollte.

„Er meinte, es wäre nur eine einmalige Sache zwischen euch beiden gewesen!“, rutschte es mir schuldbewusst heraus. Lake sah mich einen Moment lang entgeistert an.

„Eine einmalige Sache?!“, schnauzte er aufbrausend. „Bei dem hakts wohl! Dieser dämliche Koreaner! Wenn der mir noch mal unter die Nase kommt, kann er aber was erleben!“

Hilflos sahen wir Lake an und wussten alle nicht so wirklich, was wir sagen sollten, denn mit solch einer heftigen Reaktion hatte keiner von uns gerechnet. Ging ihm der Abgang meines Bruders wirklich so nahe?

Ich konnte Lake wirklich nicht sehr gut einschätzen. Er war ein merkwürdiger Geselle und änderte ständig seine Meinung. Wie sollte ich da jemals aus ihm schlau werden? Vielleicht wusste ja nicht mal er, was er eigentlich wirklich wollte? „Du findest bestimmt jemand Anderen!“, versuchte ich ihn zu trösten.

Lake sah mich skeptisch an, ehe er seinen Kopf auf seine verschränkten Arme sinken ließ. Keiner wusste, was er ihm sagen sollte, um Lake aufzumuntern. Ich warf Elias einen kurzen Blick zu und der zuckte lediglich mit seinen Schultern. Scheinbar wusste er auch keinen Rat. Als ich mich umdrehte, um Calvin um Hilfe zu bitten, war er längst wieder verschwunden, wahrscheinlich ins Badezimmer.

Jason war ja auch nicht ganz unschuldig an dieser Sache, immerhin hatte er mit Lake geschlafen. Hätte er es gar nicht erst so weit kommen lassen, stünden wir nun nicht vor der Aufgabe seinen Kopf zu retten. Inzwischen war ich sogar schon ein wenig wütend auf ihn. Dabei sollte ich auf Lake sauer sein und hatte doch nur Mitleid für ihn übrig.

Elias stellte den fertigen Kaffee in einer Kanne auf den Tisch und sofort stand ich auf, um ihm beim Tisch decken zu helfen. Lake hob nicht eine Sekunde seinen Kopf und ich hatte schon Angst er würde weinen. Tat er scheinbar aber nicht.

Wir setzten uns an den Tisch und begannen unsere Mägen zu füllen. Lake war noch immer ziemlich schlecht drauf und wenig später gesellte sich auch Calvin zu uns an den Tisch, was seine Laune auch nicht unbedingt anhob. Wir ließen ihn in Ruhe und vielleicht war das auch die beste Lösung, zumindest vorerst.

Lakes Handy begann zu klingeln und genervt zog er es sich aus der Hosentasche. Er blickte lustlos auf das Display und dann begannen seine Augen zu funkeln. Er stand hastig auf und lief in den Flur. Das wir ihn dort immer noch gut verstanden, schien er wohl nicht zu bemerken.

„Du Arschloch! Wieso verschwindest du einfach ohne ein Wort! Weißt du wie scheiße das ist? Hast du keine Manieren, oder was?“, brüllte Lake wütend in sein Handy, ehe der Anrufer auch nur einen Ton von sich geben konnte.

„Na ja, ich habe dich gerade angerufen, ist doch auch was, oder?“, fragte Jason amüsiert und schien sich nicht im Geringsten schlecht deswegen zu fühlen.

„Woher hast du eigentlich meine Nummer?!“, meckerte Lake und lehnte sich an die Wand. „Ein Freund von dir war so fürsorglich und hat sie mir zukommen lassen.“ Jason lachte und Lake regte das nur noch weiter auf.

„Du kannst nicht einfach so abhauen!“, schrie er wütend in sein Handy.

„Genau genommen bin ich immer noch im Land!“, merkte Jason an und so hob Lake skeptisch eine Augenbraue. Was meinte er denn damit? War er nicht etwa schon seit Stunden unterwegs?

„Wo...?“, fragte Lake mit leicht zittriger Stimme.

„Mein Flug hat zwei Stunden Verspätung. Ich sitze hier alleine in einem Hotelzimmer und sehne mich nach ein wenig Abwechslung~...“, flüsterte Jason ihm zu. Lakes Wangen liefen ein wenig rot an. „Du bist so ein Scheißkerl!“, motzte er und sank an der Wand herunter. Lake zog die Beine an und umschlang sie mit seinen Armen. Er legte seinen Kopf auf den Knien ab und atmete tief durch.

„Lake, setz dich in ein Taxi, fahr zu mir und dann verabschiede ich mich von dir so wie du es brauchst.“ Jasons Stimme klang ruhig, aber dominant und Lake schloss seine Augen, schien mit sich zu hadern. „Wehe du verschwindest bevor ich bei dir bin!“, murrte Lake und sprang hastig auf.

Er rannte zu uns in die Küche und blieb kurz stehen. „Man sieht sich!“, rief er uns nur zu, hob die Hand und lief in den Flur. Er riss seine Jacke vom Kleiderhaken und stürmte aus der Tür. Verdutzt sahen wir ihm hinterher.

„Wo will er hin?“, fragte ich Elias überrascht. Elias lächelte. „Ich war noch jemandem einen Gefallen schuldig...“

Das Schlimmste ist Feigheit.




Wenn meine Eltern wüssten, wo ich jetzt gerade war, würden sie mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens in meinem Zimmer einsperren. Ich konnte es ja selber noch nicht richtig fassen.

Ich sah neben mir am Steuer Elias sitzen. Er hatte sich in den letzten Monaten wirklich gesteigert und konnte inzwischen sogar ziemlich gut fahren. Ich hatte ja befürchtet er würde für den Rest seines Lebens alte Großmütterchen mit Gehwagen über den Haufen fahren, aber dem schien nicht so.

Elias sah kurz zu mir und lächelte, ehe er sich wieder auf die Straße vor sich konzentrierte. Es war mitten in der Nacht und wir fuhren durch die noch relativ belebte Stadt. An einigen Ecken tummelten sich kleine Menschenansammlungen und überall leuchtete es farbenfroh.

Mit einem kurzen Blick nach hinten, bemerkte ich, dass unser ungebetener Mitfahrer Lake völlig in sein Handy vertieft war. Seit er sich von Jason am Flughafen verabschiedet hatte, verhielt er sich wie ein junges frisch verliebtes Mädchen und hing den ganzen Tag an seinem Handy, nur um meinem Bruder heiße Nachrichten und Liebesschwüre zu schreiben, oder sonst was. Ich hatte keine Ahnung, aber irgendwie hatte ich bei den beiden ein ganz gutes Gefühl. Vielleicht waren Fernbeziehungen doch etwas Gutes, wenn man es richtig anging?

Ich hatte davon keine Ahnung. Auch wenn ich zurzeit ähnlich Probleme hatte wie Lake. Ich sah Elias noch immer als meinen besten Freund an, er scheinbar mich nicht. Was er damit meinte wusste ich inzwischen. Er liebte mich und ich hatte ihm darauf noch immer keine Antwort gegeben. Wollte er überhaupt wissen, was ich für ihn empfand, oder war es ihm nur wichtig mir seine Gefühle anzuvertrauen? Ich wusste es nicht.

Ich wusste nicht mal, ob ich in ihn verliebt war und dieses ungewisse Gefühl hatte sich längst in mir breit gemacht und schien meine Unsicherheit nur noch mehr zu verstärken. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Elias es wusste und mich deswegen nicht bedrängte.

Ich war jetzt seit etwas über einem halben Jahr aus dem Koma erwacht und so langsam schien ich mich auch an mein neues Leben zu gewöhnen, auch wenn es noch einige Hindernisse gab, die mich des öfteren straucheln ließen. Ich war ein Sturkopf und ich würde mich nicht so schnell unterkriegen lassen.

„Hast du eigentlich schon irgendeine Idee, wie wir es angehen werden?“, fragte ich Elias neugierig und obwohl es schon so spät war, war ich nicht im geringsten müde.

Elias lächelte. „Nicht wirklich. Ich habe die letzten Wochen ausführlich mit Mum gesprochen. Sie hat mir einiges über Dad erzählt, aber ich habe es so aussehen lassen, als würde ich mich nur oberflächlich dafür interessieren. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht!“

Ich nickte. Das war ja auch verständlich. Evelyn hatte Elias komplett alleine aufziehen müssen und es war bereits Jahre her und noch immer litt sie unter der Trennung ihres Freundes. Elias tat mir auch Leid. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Leben ohne meinen Vater wäre. Es wäre sicher grauenvoll.

Was ich viel schlimmer fand war aber die Tatsache, dass er einfach ohne ein Wort abgehauen war und sich nicht mehr hat blicken lassen. Von einem Tag auf den nächsten war er einfach weg gewesen.

Über die Familiensituation von der Familie Deklin wusste ich nur wenig. Das was ich so mitbekommen hatte und was Elias mir von sich aus erzählt hatte, auch die Tatsache, dass er seinen Vater schon immer hat suchen wollen um ihn zur Rede zu stellen und endlich einen Schlussstrich zu ziehen.

Ich hoffte für Elias, dass er mit dem Leben konnte, was sein Vater ihm erzählen würde. Sollten wir ihn überhaupt finden, denn so wie es zurzeit aussah, hatten wir keinen genauen Plan, wo er sich momentan aufhielt.

Wir mussten von Punkt Null beginnen und das hieß, dass wir seine Fährte aufnehmen mussten. Wir mussten herausfinden, wo er sich zuletzt aufgehalten hatte, wen er kannte, um ihn dann ausfindig zu machen.

„Wieso hast du denn keinen Detektiv eingeschaltet?“, fragte Lake von der Rückbank und machte sich nun doch mal bemerkbar. Er legte sein Handy zur Seite und beugte sich leicht nach vorne. Eine gute Frage.

„Weißt du wie teuer die sind? Von dem Geld kann ich ihn auch selber suchen und das wird wesentlich billiger. Das klappt schon und wenn wir gar nicht mehr voran kommen, können wir immer noch einen Detektiv einschalten.“ Elias hielt fest an seinem Entschluss und er hatte ja auch recht. Ich hatte jedenfalls kein Geld dabei und eigentlich auch nur einen Rucksack mit den wichtigsten Sachen. Elias schien schon wesentlich länger geplant zu haben.

„Wieso bist du eigentlich dabei, Lake?“, wollte ich nun doch mal wissen. Irgendwie war ich ja nicht sonderlich darüber erfreut, dass wir ein Anhängsel hatten.

Lake sah mich grinsend an und so verzog ich mein Gesicht. „Ich bin der Anstandswauwau, damit Mr. Allzeit bereit hübsch seine Finger bei sich behält!“, meinte er lachend.

Ich verzog mein Gesicht und sah ihn skeptisch an. Das war doch wohl nicht sein ernst? „Sag schon!“, forderte ich Lake dazu auf, mir endlich zu sagen, warum er mitfuhr.

„Das tränenreiche Happy End von Vater und Sohn lasse ich mir doch nicht entgehen!“, versuchte Lake es erneut und seufzte. „Du bist ein Langweiler! Sam, das hier ist ein Abenteuer, ein Roadtrip! Glaubst du so etwas lasse ich mir entgehen? Ich hänge schon seit Ewigkeiten in dem Kaff wo ich wohne, ich will endlich mal raus und ein wenig von der Welt sehen!“

Ich sah Lake erstaunt an. Wie konnte er in so einer Situation nur an sich selbst denken? Er war durch und durch ein Egoist. Ich würde ihn wohl nie verstehen.

Ich warf einen Seitenblick auf Elias, doch ihn schien es nicht im Geringsten zu stören. Wieso nur? Weil er es so von Lake gewöhnt war? Wenn ich ihm erzählen würde, was Lake mit mir am Strand getan hatte, würde er bestimmt toben und ihn höchstpersönlich aus dem Auto werfen.

Ich beschloss nichts zu sagen. Ich würde lieber darauf warten, dass Lake irgendwann mal von selbst in ein Fettnäpfchen trat. Da würde er selber raus kommen müssen. Mir fiel es schwer Elias nichts zu erzählen, aber ich wollte ihm nun mal keine Sorgen machen, denn die hatte er zurzeit genug.

Ein wenig Angst hatte ich ja schon. Wir waren zu dritt und ich wollte nicht mit Lake alleine sein. Wenn er die Chance dazu hatte würde er doch sicherlich mehr wollen? Vielleicht hatte ich auch Glück, denn immerhin war er nun meinem Bruder vollkommen verfallen und schien mich erst mal nicht mehr als interessant anzusehen und ließ mich somit in Ruhe.

Ich sah aus dem Fenster und so langsam wurden die Häuser immer weniger. Wir fuhren aus dem Bezirk der Reichen heraus und man konnte an den Baracken erkennen, dass die Grenze zwischen Arm und Reich nah beieinander lag.

Es kam mir irgendwie komisch vor. Elias und ich kamen eigentlich auch aus komplett anderen Welten und doch verstanden wir uns prächtig. Wir waren die besten Freunde und das würde sich hoffentlich wohl niemals ändern. Vielleicht lag es auch daran, dass meine Eltern mich auch das machen ließen, was die anderen Kinder in heruntergekommenen Vierteln machten. Sie hatten mich noch nie verhätschelt oder mir die teuersten Sachen gekauft. Selbst einkaufen taten wir kaum in den teuersten Läden und obwohl meine Eltern durchaus gut verdienten, lebten sie sehr bodenständig. Mal abgesehen von unserem Haus, den Autos und dem Umstand, dass wir uns eine Köchin leisten konnten.

Trotzdem fiel zu meinem Leidwesen mein Taschengeld äußerst karg aus. Als Jugendlicher hatte man es wirklich nicht einfach. Immerhin bekam ich etwas. Elias hatte noch nie Taschengeld bekommen. Dazu reichte es in seiner Familie auch nie. Es schien ihn aber auch nicht weiter zu stören und jetzt schien er sich mit Nebenjobs etwas dazuzuverdienen.

Mein Blick fiel wieder auf Elias und ich überlegte kurz. „Sag mal, wie lange willst du noch fahren? Werden wir im Auto schlafen? Und essen haben wir auch nicht!“, erklärte ich ihm meine Bedenken. Das hatte ich allerdings auch alles aus dem Fernsehen. Diese Abenteuerfilme. Die Leute darin, packten vorher immer alles Nötige zusammen, damit sie alles hatten was sie für ihr Abenteuer brauchen würden.

Elias nahm seine linke Hand vom Lenkrad und legte sie mir auf den Oberschenkel, auf dem er leicht auf und abfuhr. Wollte er mich nervös machen? Wenn ja, leistete er gerade wirklich gute Arbeit. Es fühlte sich ziemlich gut an, je höher er mit seiner Hand glitt.

„Mach dir keine Sorgen. Ich habe an alles gedacht. Wir essen heute Abend in einem Diner und übernachten in der Nähe in einem Motel. Morgen früh besorgen wir uns in einem Supermarkt in der Nähe alles an Nahrungsmitteln und Getränken, was wir brauchen.“

Meine Augen weiteten sich. Wie konnte Elias an solche Dinge denken? Er hatte sich scheinbar wirklich über alles Gedanken gemacht. Irgendwie fühlte ich mich jetzt erst recht kindlicher. Sollte ich nicht auch an so etwas denken, stattdessen hatte ich mir die ganze Zeit über nichts Sorgen gemacht und es einfach vergessen. Elias Pläne waren nach hinten gerutscht und ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen.

Ich knabberte leicht an meiner Unterlippe und starrte aus dem Fenster. War ich auch egoistisch? Oder waren wir es alle? Jeder machte diese Fahrt aus einem anderen Grund mit. Lake wollte raus kommen aus seinem Gebiet, um ein Abenteuer zu erleben. Elias suchte seinen Vater und ich kam nur mit, weil ich es ihm versprochen hatte und in seiner Nähe sein wollte.

Nutzte ich ihn nicht ein wenig aus? Er liebte mich und ich ließ ihn mich weiterhin anfassen, küssen und sonst was mit mir machen. Seine Liebe konnte ich aber nicht erwidern. Ich kam mir schon ein wenig schäbig vor. Ich musste aber auch zugeben, dass ich mich noch nie in meinem Leben für mein eigenes Geschlecht interessiert hatte. Wie sollte ich es jetzt plötzlich tun, nur weil mir ein Junge gewisse lustvolle Stunden bereitete?

Ich hatte mich nie damit auseinander setzen müssen, bis Elias eben wieder auf der Bildfläche stand. Manchmal wünschte ich mir immer noch, dass er wieder der Alte werden würde, damit ich ihn beschützen konnte, so wie damals. Jetzt war er es, der auf mich aufpasste, mich an der Hand nahm und mir zeigte was richtig und was falsch war.

Ich wollte aber nicht mehr bemuttert werden. Alle verlangten von mir ich sollte mich wie ein Junge meines Alters benehmen. Jetzt versuchte ich auf eigenen Füßen zu stehen und schon waren alle um mich herum und wollten mir helfen. Wie sollte ich da jemals meine eigenen Erfahrungen sammeln, wenn mir alles vorgeschrieben wurde?

Ich seufzte. Vielleicht würde ich jetzt bei unserer Fahrt etwas mehr Klarheit bekommen? Zumindest hoffte ich es.

„Wir sind fast da!“, bemerkte Elias lächelnd und ich nickte daraufhin. Ich schielte nach hinten, aber Lake schien schon wieder mit seinem Handy beschäftigt zu sein. Ich drehte mich zurück und kauerte mich in meinen Sitz.

Der Wagen fuhr über eine ziemlich kaputte Straße, es rumpelte und man hörte die kleinen Steine, wie sie gegen die Unterseite des Autos flogen und den Lack an den Seiten zerkratzten. Mein Vater würde wohl ausflippen, wenn er den Wagen zu Gesicht bekommen würde. Zum Glück sah der alte Jeep bereits ziemlich heruntergekommen aus, da würden die paar Kratzer auch nicht weiter auffallen.

„Morgen früh wachen meine Eltern auf, sehen den Brief und werden bestimmt das halbe Land nach uns suchen lassen!“, meinte ich amüsiert und musste gähnen.

„Du bist 18 Jahre alt, also können sie dir keine Vorschriften mehr machen. Außerdem bist du ja nicht ausgerissen, du kommst ja wieder zu ihnen zurück.“ Elias bog von der unebenen Straße ab und mir fiel auf, dass wir nicht mehr in Santa Teresa waren.

„Wo sind wir jetzt?“, fragte ich Elias neugierig. Elias überlegte kurz. „Wir sind am Tijuca Nationalpark vorbei, dann durch Grajaú gefahren und sind jetzt auf dem Weg nach Pechincha. Wir sind fast da.“

Ungläubig sah ich auf meine Uhr. Das war ja nicht einmal eine Stunde. Ich hätte nicht gedacht, dass wir so eine lange Strecke in der kurzen Zeit gefahren waren. Das waren ungefähr 29 Kilometer, die wir jetzt von meinem Elternhaus weg waren. Wie ein Abenteuer fühlte es sich für mich aber noch nicht an.

Elias fuhr von der Autobahn herunter und so landeten wir wieder in einer großen Stadt. Wo wir eben noch an dichten Wäldern vorbeigefahren waren, so herrschte hier wieder das Nachtleben. Die Leute waren noch unterwegs und auch wir suchten endlich einen Platz, wo wir etwas zu essen bekamen und uns noch ein paar Stunden schlafen legen konnten.

Elias schien zu wissen, wo er hin wollte. Er bog nach rechts ab und so rauschten wir erst mal an einigen Wohnhäusern vorbei. Wir kamen an einem Theater und einem Fitnesscenter vorbei. Waren wir hier wirklich richtig? Fragend sah ich zu Elias, doch der konzentrierte sich auf die Straße und bemerkte meinen Blick nicht.

Pizzaria Pooby's. Meine Vorfreude wurde leider enttäuscht, denn Elias fuhr stur daran vorbei. Er fuhr einfach weiter, bis wir an eine Kreuzung kamen. Da es eine Einbahnstraße war, fuhr Elias daran vorbei und bog anschließend links ab. Er fuhr einen kleinen Bogen und dann wieder den kurzen Weg zurück, bis er am Eingang parkte.

Ich sah aus seinem Fenster und blickte Elias skeptisch an. Das war ein Restaurant. Kein Diner. Restaurante Rancho Verde. Klang irgendwie teuer. Hatte Elias genug Geld dabei? Wieso gingen wir keine Pizza essen? Damit wäre ich auch schon zufrieden gewesen.

Elias öffnete die Fahrertür und stieg aus. Lake und ich taten es ihm gleich. Ich hatte zwar Hunger, aber nicht auf ein Dreigängemenü!

„Kommst du?“, rief Elias mir zu, der bereits mit Lake vor gelaufen war. Ich folgte ihnen zögerlich und hatte irgendwie das Gefühl falsch angezogen zu sein. Wir wurden an einen Tisch geführt und bekamen die Karten gereicht. Der Kellner ließ uns allein und so war es erst mal still am Tisch.

Erleichtert stellte ich fest, dass es hier auch Pizza gab. Also bestellte ich mir eine gemischte schön scharf und trank in der Zwischenzeit meine Cola, die schon mehr aus geschmolzenem Eiskugeln bestand. Wie ich feststellte blieben auch Elias und Lake beim Altbewährtem und hatten sich jeweils ein Nudel- und ein Fleischgericht bestellt.


◆ ◆ ◆




Etwa eine halbe Stunde später standen wir mit gefüllten Mägen vor unserem Jeep und stiegen wieder ein. Elias startete den Motor und fuhr vom Parkplatz. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass wir möglichst schnell einen Schlafplatz fanden, denn mir fielen schon ständig die Augen zu.

Kam mir das nur so vor, oder fuhr Elias mit uns von einem Ort zum Nächsten? „Elias? Sind wir schon aus Pechincha raus?“, fragte ich müde. Elias nickte. „Ja. Wir fahren nach Madureira. Ich habe da ein Motel gemietet.“

„Aber wieso sind wir nicht gleich nach Madureira gefahren? Wir hätten uns doch den Weg sparen können und dann hätten wir auch da etwas essen können!“, warf ich überrascht ein.

„Hätten wir, aber von Santa Teresa sind wir eine ganz andere Strecke gefahren und der Umweg kostet uns nur 15 Minuten, das geht schon in Ordnung!“, erwiderte Elias lächelnd. Lake gähnte auf der Rückbank lauthals.

Na ja, wie hieß es so schön? Mit dem Fahrer legte man sich besser nicht an. Elias schien sowieso seinen ganz eigenen Plan zu verfolgen und da wollte ich ihm nicht auch noch reinreden. Schon gar nicht, wo ich eh schon müde war und mir dauernd die Augen zu fielen.

Ich versuchte mich mühsam wach zu halten. Bei einer Viertelstunde wollte ich nicht im Auto einschlafen. Ich würde lieber im Bett schlafen und könnte dann schön mit Elias kuscheln.


◆ ◆ ◆




Da hatte ich mich wohl zu früh gefreut. Elias hatte das Hotel relativ schnell gefunden. Ich war doch noch kurz eingeschlafen und wurde unsanft von Elias wachgerüttelt. Grummelnd kauerte ich mich in meinen Sitz und kniff die Augen zu.

„Sam, wach auf! Wir sind da! Du kannst im Bett weiterschlafen!“, meinte Elias und gab nicht so leicht auf. Unbarmherzig rüttelte er an meiner Schulter, mit Erfolg. Ich rieb mir müde die Augen und brummte undeutlich vor mich hin, dass ich auch im Auto schlafen konnte. Elias sah mich lächelnd an.

„Komm schon, hier im Auto holst du dir nur einen Muskelkater!“ Elias öffnete die Tür und stieg aus. Lake wartete bereits auf uns und stand mit unserem Gepäck draußen herum. Gähnend stieg nun auch ich aus, schlug die Beifahrertür zu, so dass es wahrscheinlich die ganze Nachbarschaft mitbekam, dass wir da waren und folgte den beiden Jungs in das Motel.

Wir gingen in die Empfangshalle, welche nicht allzu groß war. Elegant und mit gedimmtem Licht wurden wir begrüßt. Es sah aus wie ein Warteraum nur mit viel edlerem Mobiliar, denn einige Sessel aus Leder standen in der Empfangshalle, die mit einigen Pflanzen versehen war und eine gemütliche Atmosphäre erzeugte. An den Wänden hingen bunte Bilder, die auch glatt von einem Kleinkind stammen könnten.

Motel Caricia hielt für uns ein Dreibettzimmer bereit. Was mich allerdings störte war das Badezimmer, denn dieses hatte eine Scheibe integriert, von der aus die Leute im Zimmer genau hineinsehen konnten.

Wir drei standen vor dem Spiegel und glotzten alle in das Badezimmer. Uns schien allen derselbe Gedanke durch den Kopf zu gehen. Mehr als die Toilette im Stehen zu benutzen, würde wohl keiner von uns machen. Niemand hier war scharf darauf den Anderen nackt zu sehen. Vielleicht war es noch für mich und Elias eine interessante Einlage, aber auf Lake könnten wir gut und gerne verzichten.

Ich drehte mich um und ging zu meinem Bett. Ich staunte nicht schlecht. Das Bett war einladend groß, hatte gegenüber einen Flachbildfernseher und einen ziemlich großen Spiegel, wobei ich mir allerdings nicht vorstellen konnte, wozu der jetzt bitte gut sein sollte. Ich betrachtete ihn und kam zu keinem Ergebnis.

Zufrieden sah ich mich um. Das Hotel war doch sauberer als ich gedacht hätte. Ein Geräusch schreckte mich auf. Elias kam mit seinem Gepäck zurück in mein Zimmer. Er legte es auf den Boden neben dem Bett und warf sich müde darauf.

„Was machst du hier?“, fragte ich ihn verwirrt, allerdings auch ein wenig neugierig und mein Herz schlug heftig in meiner Brust.

„Na was wohl? Lake hat sich im kleinen Zimmer einquartiert. Es sei denn du möchtest dir lieber mit ihm ein Bett teilen?“ Elias sah mich auffordernd an und hastig schüttelte ich meinen Kopf. Darauf konnte ich ganz gut verzichten. Den wollte ich nicht in meinem Bett haben!

Ich sah Elias lächelnd an und stieg auf das einladende Bett. Ich krabbelte vom Bettende zu ihm und beugte mich über den Schwarzhaarigen. Elias sah zu mir auf und ein leichtes, aber müdes Lächeln zierte sein Gesicht. Ich beugte mich zu ihm herunter und wollte ihn gerade küssen, als es im Türrahmen klopfte. Wir drehten uns um und sahen zur Tür.

„Ich weiß ja, dass ihr kaum die Finger voneinander lassen könnt, wollte auch nur Nacht sagen!“, meinte Lake mit einem breiten Grinsen und schien sich sichtlich zu amüsieren. Elias hob nur müde die Hand und ich sah ihn mit verzogenem Mund an. Ich hatte mich auf Elias Hüfte hingesetzt und war so gar nicht über den ungebetenen Besucher erfreut.

„Na dann, lasst es ordentlich krachen, aber nicht zu laut!“, meinte Lake lachend und schloss die Tür hinter sich.

Seufzend sah ich zu Elias und sah auf ihn herunter. Seine Hände hatten sich inzwischen eigenständig gemacht und lagen auf meinen Oberschenkeln. „Können wir uns morgen früh nicht leise aus dem Zimmer schleichen und ihn zufällig hier vergessen? Wir können ihn ja auf der Rückfahrt wieder einsammeln!“, schlug ich vor und Elias lachte leise.

Er richtete sich ein wenig auf und zog mich auf seinen Schoß. Elias drehte mich herum, so dass ich nun mit dem Rücken an seinem Oberkörper lehnte und mich an ihn schmiegte. „Sollten wir nicht langsam mal schlafen?“, fragte ich ihn und war nun doch nicht mehr so ganz müde.

„Ja, das wäre keine allzu schlechte Idee...“, flüsterte Elias mir ins Ohr. Ich seufzte und sah dann zwischen meine Beine. „Und was machst du dann noch da unten?“, fragte ich ihn, obwohl ich mir schon denken konnte worauf es hinaus lief.

„Wir sind allein in einem Hotelzimmer, dass sollten wir mal ausnutzen. Wer weiß, wann wir die nächste Gelegenheit dazu haben werden?“, säuselte Elias mir ins Ohr und strich mir aufreizend mit seinen Fingern über die Innenseiten meiner Oberschenkel. Ich seufzte und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

Elias Finger glitten über meinen Schritt und machten sich dann daran meine Hose zu öffnen. Ich musste zugeben, dass ich dazu noch wach genug war. Immerhin war es schon eine Weile her, seit er mir das letzte Mal einen runter geholt hatte.

Elias Hand glitt in meine Hose und seine Finger glitten über meine Boxershorts. Augenblicklich drückte ich mich gegen die Hand, die mich schon oft und zielstrebig zu meinem Höhepunkt gebracht hatte.

Elias Lippen drückten sich sanft, mit leichtem Nachdruck, auf meine empfindliche Haut am Hals und genießerisch legte ich meinen Kopf in den Nacken. Seine Lippen begaben sich auf Wanderschaft und da ich mehr von ihnen an meinem Körper spüren wollte, griff ich in den Saum meines Shirts, beugte mich leicht vor und zog es mir über den Kopf. Es landete am Fußende des Bettes und sofort spürte ich Elias Hände, die gierig über meine Haut wanderten.

Elias linke Hand war inzwischen in meiner Boxershorts gelandet, hatte sie noch etwas runter gezogen und massierte nun ausgiebig meinen Penis, was ich mit einem keuchen quittierte und mich gegen seine Hand drückte.

Ich drehte meinen Kopf zu ihm herum und küsste Elias, presste meine Lippen auf seinen Mund und sofort öffnete er ihn, damit meine Zunge sich ihren Weg in seine feuchte Mundhöhle suchen konnte. Wir küssten uns ausgiebig und um den Kuss zu vertiefen, wanderte meine Hand in seine rabenschwarzen Haare und zog ihn näher an mich heran.

Als ich meine Augen etwas öffnete, wusste ich so langsam doch wofür dieser dämliche Spiegel an der Wand hing. Ich hätte nie gedacht, dass ich so aussehen konnte. Ich ließ mich von Elias küssen und berühren und konnte meinen Blick kaum von dem Spiegel losreißen, denn mein Blick lag die ganze Zeit auf dem Jungen hinter mir und ich musste feststellen, dass dieser Anblick mich tierisch anturnte.

Früher als gedacht, erreichte ich meinen Höhepunkt und kam stöhnend in Elias Hand. Noch immer den Spiegel betrachtend versuchte ich wieder zu Atem zu kommen. Meine Gedanken gingen auf Wanderschaft und ich bekam das Gefühl, dass man hier noch so einiges ausprobieren könnte.

Was wohl Elias von mir halten würde, wenn ich ihn fragen würde, ob er solche Sachen mit mir anstellte, wie in dem Porno den ich gesehen hatte? Eigentlich wollte ich es ja nicht, denn es sah damals schon ziemlich ekelig und schmerzhaft aus.

Eine leichte Gänsehaut überrollte meinen Körper und während Elias sich im angrenzendem Badezimmer die Hände wusch, zog ich mich hastig um und kroch unter die wärmende Decke. Ich sah zu Elias und grinste. Wenn ich Glück hatte ging er am nächsten Morgen vielleicht doch noch mal duschen? Dann könnte ich ihn beobachten, wenn ich denn überhaupt aufwachen würde.

Elias kam zu mir und blieb im Zimmer stehen. Er zog sich bis auf die Boxershorts aus und kam zu mir ins Bett. Ich versteckte mich etwas unter der Decke. Mit dem Anblick wäre ich natürlich auch schon sehr zufrieden. Eine leichte Röte im Gesicht schien mich zu verraten, denn Elias grinste und beugte sich zu mir. Er küsste mich kurz auf die Nasenspitze und kuschelte sich dann an mich, nachdem er das Licht ausgemacht hatte.

Dass ich mich nicht bei ihm revanchiert hatte, schien ihm nichts weiter auszumachen und so beließ ich es dabei. Ich könnte ihn ja immer noch am Morgen überraschen. Ich grinste breit und war froh, dass Elias in der Dunkelheit nichts erkennen konnte. Ich schmiegte mich an ihn, schlang meine Arme um seinen Oberkörper und brauchte nicht lange bis ich eingeschlafen war.

Die Welt gehört denen, die sich nehmen, was sie brauchen.




Ein leises Plätschern weckte mich. Es nervte mich nicht wirklich, aber es riss mich aus einem angenehmen Traum, an den ich mich Sekunden später, nachdem ich meine Augen geöffnet hatte, leider nicht mehr erinnern konnte.

Müde und verschlafen rieb ich mir mit dem Handrücken über die Augen und als ich meinen Blick auf Elias richtete, stellte ich fest, dass er aufrecht im Bett saß und auf etwas starrte. Neugierig, was ihn wohl so faszinierte, folgte ich seinem Blick und wurde im nächsten Augenblick knallrot im Gesicht.

„Er hat sich wohl gedacht, es würde schon keiner mitkriegen, wenn wir noch am schlafen sind!“, meinte Elias kichernd und sah mich nun an. Ich versteckte mein hochrotes Gesicht unter der Decke und versuchte den Blick von Lake aus meinem Gedächtnis zu bekommen, aber der Anblick hatte sich regelrecht in meine Netzhaut eingebrannt. Wieso musste er sich mir so präsentieren? Das wollte ich doch gar nicht wissen!

Ich spürte, wie Elias Hand unter meine Decke glitt und in meinen Schritt griff. „Scheint dir ja zu gefallen, was du da gesehen hast!“, stellte er fest und grinste mir frech ins Gesicht. Ich wandte meinen Blick ab, denn das fand ich so gar nicht lustig. „Ist nur eine Morgenlatte...“, grummelte ich und vergrub mein beschämtes Gesicht in meinem Kopfkissen.

„Ja, auf 'nen Latte hätte ich jetzt auch Lust...“, säuselte Elias mir ins Ohr und machte es mir nicht gerade einfach auf andere Gedanken zu kommen. Ich schob ihn von mir weg, aber seine Hand wanderte nach oben und in meine Hose. Ich keuchte erschrocken, als ich seine Hand so intensiv an meinem Penis spürte.

„Elias, wir haben doch erst gestern Abend und jetzt ist Lake...“, brachte ich stöhnend hervor und versuchte meine aufkeimende Lust zu unterdrücken. Wieso machte er immer solche Sachen mit mir? Wenn Lake aus dem Bad kam, würde es nicht nur für ihn peinlich werden!

„Elias! Lass mich los...“, stöhnte ich erregt und spürte, wie seine Hand mich langsam massierte. Klar, ich wollte es ja auch, immerhin fühlte es sich einfach nur toll an, aber nicht jetzt, nicht in dieser Situation.

Trotzdem drückte ich mich seiner Hand entgegen und schielte zu ihm auf. Elias sah mir direkt ins Gesicht und ich konnte seinem Blick nicht ausweichen. Ich wollte es auch nicht. Meine Lippen öffneten sich einen Spaltbreit und Elias nutzte diesen Moment aus, um mir seine Lippen auf meinen Mund zu drücken. Augenblicklich schloss ich meine Augen und genoss den Kuss, der nur wenige Sekunden anhielt.

Elias griff nach meinem Arm und zog mich in eine aufrechte Position. Was hatte er vor? Ich wurde auf seinen Schoß gezogen und spürte deutlich seine Erektion die gegen meinen Hintern drückte.

„Du bist pervers!“, meckerte ich und konnte nun deutlich ins Bad sehen, wie Lake am duschen war und sich überall am Körper berührte. Ich kam mir vor wie ein Voyeur und zu meinem Leidwesen, fand mein Körper das alles wohl sehr anregend. Mir selbst war das alles einfach nur peinlich. Ich zog meine Beine an, damit man nicht sofort sah, dass ich auf seinen Anblick reagierte. Auch noch vor Elias Augen, störte ihn das denn gar nicht?

Elias lachte und küsste sich meinen Nacken entlang. „Elias, das ist fies!“, murrte ich und versuchte mich umzudrehen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Elias sah zu mir und schnappte mit seinen Zähnen spielerisch nach meinen Lippen. Ich wich ihm aus und durch meine Gewichtsverlagerung musste Elias keuchen. Ich wurde rot und blieb still auf seinem Schoß sitzen.

Wären wir alleine, würde es mich nicht im Geringsten stören, aber so war es mir einfach nur peinlich. Ich wollte nicht in diesem Zustand von Lake gesehen werden und es schon gar nicht vor seiner Nase mit Elias treiben!

Mein Blick fiel wieder auf die Scheibe vor meinen Augen und ich musste schlucken. Lake hatte wirklich einen tollen Körper, auch wenn er nicht so durch trainiert war. Konnte er mir nicht mal den Gefallen tun und sich umdrehen?

Der würde sowieso noch einen Schock kriegen, wenn er mitbekam, dass wir ihm beim Duschen zugesehen hatten, auch wenn es mir irgendwie Leid tat. Ich würde nicht an seiner Stelle sein wollen. Ich wandte meinen Blick ab und griff nach Elias Hand.

„Lass uns aufstehen...“, meinte ich und krabbelte von seinem Schoß herunter. Elias blieb sitzen und starrte auf seine Erektion.

„Und was mache ich jetzt hiermit?“, fragte er mich und sah zu mir. Ich hielt auf allen Vieren mitten auf dem Bett inne. „Tja, entweder du holst dir einen Runter und riskierst von Lake erwischt zu werden oder du stellst dir jetzt etwas total ekelhaftes vor, damit es verschwindet.“

Ich krabbelte vom Bett und hatte ja selber mit meiner Morgenlatte zu kämpfen. Ich zog mir schnell etwas über, was sich bei meiner Jeans als nicht so einfach herausstellte und verschwand in die Küche, um uns das Frühstück vorzubereiten und irgendwie auf andere Gedanken zu kommen.

Kurze Zeit später kam auch Elias zu mir und setzte sich an den Tisch. Wie er sich nun entschieden hatte, blieb mir wohl vorenthalten. Ich wollte auch nicht unbedingt fragen. Okay, es interessierte mich schon, aber es war mir auch peinlich.

„Morgen!“, rief Lake uns zu und wir beide zuckten zusammen. Wir sahen zu ihm und er stand wie ein Unschuldsengel im Türrahmen. Ich wurde rot und beschmierte hastig weiter die Brote.

„Dir ist schon klar, dass wir alles gesehen haben?“, fragte Elias ihn und ich würde am liebsten schreiend aus dem Zimmer rennen. Wie konnte er es ihm auch noch so direkt ins Gesicht sagen?!

„Ja und? Ist doch nichts, was ihr nicht auch habt! Mal abgesehen von der Größe!“, meinte Lake etwas hochnäsig und schien damit von der Tatsache ablenken zu wollen, dass es ihm doch ziemlich peinlich war, von uns gesehen zu werden.

Elias zuckte nur mit den Schultern und Lake setzte sich zu ihm an den Tisch. „Was steht denn heute an?“, fragte Lake ihn und auch ich drehte mich erwartungsvoll zu ihm um. Elias lehnte sich im Stuhl zurück und fuhr sich mit der rechten Hand durch seine schwarzen Haare.

„Erst mal müssen wir einkaufen und uns mit Proviant eindecken. Hier in der Nähe gibt es einen Supermarkt, danach können wir noch Hamburger essen gehen und dann fahren wir weiter.“, meinte Elias.

„Und wohin?“, fragte ich Elias. Er sah zu mir auf und beobachtete mich, während ich das Essen auf dem Tisch abstellte.

„Ich habe nicht viele Anhaltspunkte, also wird es schwierig sein an mehr Informationen zu kommen. Wir fahren zu meiner Oma. Vielleicht kann sie uns mehr erzählen, was damals vorgefallen ist. Mum hat mir nie wirklich viel erzählt, warum Dad uns verlassen hatte und ich muss wissen, mit welchen Leuten er oft zusammen war und wo er zuletzt untergetaucht ist. Vielleicht hat er sich ja bei seiner Mutter anvertraut und deswegen müssen wir als erstes zu ihr fahren!“, erklärte Elias und ich nickte.

Ich setzte mich zu ihm an den Tisch. Hieß das etwa, ich würde endlich etwas mehr über Elias Eltern erfahren? Immerhin nahm er uns mit. Dann wollte er uns doch daran teilhaben lassen oder nicht?

Ich knabberte nachdenklich an meinem Brot. Ich wusste, dass Elias Mutter seit dem Verschwinden ihres Freundes unter schweren Depressionen litt. Immerhin hatte er sie im Stich gelassen. Sie musste ihren Sohn komplett alleine aufziehen und soweit ich wusste, hatten ihre Eltern sie verstoßen, weil Elias Vater sie auf die schiefe Bahn gezogen hatte. Sie war ein Familienmensch und die Trennung zu ihrer Familie und ihrem Freund musste ihr schwer zugesetzt haben. Sie tat mir Leid, immerhin war sie mir wie eine zweite Mutter. Ich kannte Evelyn seit ich klein war.

Ich musste schmunzeln. Klein war gut! Diese nicht vorhandenen 12 Jahre bereiteten mir langsam Kopfschmerzen!

Ich sah auf und bemerkte verblüfft, dass Elias und Lake sich köstlich amüsierten. „Was ist los?“, fragte ich sie perplex.

„Es ist nur...dein Gesicht! Du ziehst so herrlich komische Grimassen, wenn du nachdenkst!“, meinte Lake lachend und fand das alles äußerst amüsant.

Ich grummelte und biss herzhaft in mein Brot. Ich warf einen kurzen Blick zu Elias. Er sah mich lächelnd an und es sah einfach nur hinreißend aus, ich konnte ihm nicht lange böse sein. Ich war es ja auch nicht wirklich. Es war mir nur unangenehm. Was konnte ich dafür? Ich machte beim Nachdenken nun mal kein Pokerface!

Wenn wir jetzt unterwegs waren, wann sollte ich denn die Gelegenheit ergreifen um überhaupt mal mit Elias zu reden? Lake war ständig bei uns und wir würden wohl kaum eine Chance haben um zu reden, wenn wir heute seine Oma aufsuchen würden.

Vielleicht am Abend? Zumindest hoffte ich es, dass wir dann mal ein wenig Ruhe hatten. Jasons Worte hatten mir schon ein wenig zu denken gegeben und ich wollte wissen, wie er sich fühlte und wie ich ihm helfen konnte. Ich wollte nicht einfach nur dumm und unnütz daneben stehen.

Ich schielte zu ihm und beobachtete Elias beim Essen. Ich wusste immer noch nicht, was ich für ihn empfand. Ich bekam langsam Angst, dass ich ihm überdrüssig werden würde.

Moment mal! Wieso machte ich mir solche Gedanken darum, dass ich ihm gefallen wollte? Ich legte meinen Kopf schief und dachte angestrengt nach. Dass musste doch irgendetwas bedeuten oder nicht?

„Ich geh noch mal duschen...“, meinte Elias und sah zu Lake. „Wehe, du spannst!“

Lake sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Empört richtete er seinen Finger auf mich. „Wieso sagst du es nur mir und nicht ihm?“

Ich sah zu Elias und wurde ein wenig verlegen. Elias grinste nur und ging aus der Küche in das angrenzende Zimmer. Die Tür schloss sich und mein Blick richtete sich schnell wieder auf den Küchentisch.

„Na, geh schon!“, meinte Lake schnippisch und kramte wieder sein Handy hervor. Ich sah zu ihm auf und lief knallrot an. Wieso wusste er genau, woran ich dachte? Das wurde mir langsam aber sicher unheimlich!

Hastig stand ich auf, der Stuhl kippte gefährlich nach hinten und ehe er den Boden begrüßen konnte, hielt ich ihn schnell an der Rückenlehne fest. Ich stürmte beinahe schon in unser Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Zum Glück gab es dafür einen Schlüssel.

Mein Blick fiel auf Elias, der bereits nackt unter der Dusche stand und sich einseifte. Ich schluckte und spürte sofort wie mir das Blut zwischen die Beine schoss. Ich zog mich komplett aus und legte meine Klamotten auf dem Bett ab. Ob Elias es überhaupt wollte, wenn ich mit ihm duschte? Warum eigentlich nicht?

Ich tapste zur Tür und öffnete diese zaghaft. Elias bekam es nicht mit, weil das Rauschen des Wassers das leise Knarzen der Tür übertönte und so konnte ich mich in die Dusche stehlen. Etwas unschlüssig war ich dann aber doch und so blieb ich im Badezimmer stehen und betrachtete Elias Rücken.

Erst als er sich zu mir umdrehte und erschrocken aufsah, regte ich mich wieder. Sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort zu einem leichten Lächeln, was mich auch sofort mutiger werden ließ. Ich ging einige Schritte auf ihn zu und sofort nahmen mich seine Arme in Empfang.

Ich schmiegte mich an seinen nassen Körper und augenblicklich durchnässte mich das Wasser aus der Duschbrause. Es dauerte nicht lange, da klebten mir meine Haarsträhnen im Gesicht. Elias drehte mich um, so dass ich mich an der Wand abstützte und presste sich mit seinem Körper gegen mich. Mit einem schaudern stellte ich fest, dass er schon wieder erregt war. Oder immer noch?

„Elias...“, keuchte ich, als er sich an mich drückte und ich ihn so noch intensiver an meinem Körper spürte. Er rieb mit seiner Hüfte an meinem Hintern und drückte seinen steifen Penis zwischen meine Pobacken. Seine Hände glitten über meinen Rücken, umschlangen mich und massierten meine Brust, nur um wieder herunter zuwandern und meine Erektion zu umgreifen.

Ich senkte meinen Kopf gegen die Wand und spürte noch immer das Wasser auf meinen Körper herunter prasseln. Elias schien noch nicht vorzuhaben, seinen Penis in mir zu versenken, stattdessen rieb er sich an mir. Ehrlich gesagt war ich froh darüber, denn ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich seinen Penis wirklich in mir haben wollte. Es kam mir immer noch alles ein bisschen falsch vor.

Sollte ich solche Sachen nicht mit einem Mädchen machen? Ich nutzte Elias doch nur aus, zumindest hatte ich das Gefühl, denn bisher hatten wir noch nicht wirklich so etwas wie eine feste Partnerschaft und ich war mir sowieso nicht sicher, wie so etwas bei Schwulen überhaupt ablief.

Schwul. Sah ich mich überhaupt schon als schwul an?

Ich stöhnte, als Elias seinen Rhythmus änderte und mein Glied nun schneller und fester massierte. Ich leckte mir über meine nassen Lippen und verschob meine Gedanken vorerst, um dieses Gefühl voll und ganz auskosten zu können.

Elias hinter mir schien es auch nicht anders zu gehen. Er keuchte angestrengt und presste sich so hart an mich, dass er mich regelrecht an die Kacheln drückte. Ich stützte mich mit den Händen ab und versuchte mein Gleichgewicht zu halten, um nicht mit den Füßen auszurutschen, da es ja doch ziemlich glitschig war.

Erschrocken keuchte ich auf, als Elias in meinen Nacken biss. Ich drehte meinen Kopf zu ihm herum und genau in dem Augenblick ließ er auch schon wieder von mir ab. Ich sah Elias an und er drückte mir sofort seinen Lippen auf den Mund. Während er meinen Unterkörper erbarmungslos an die Wand presste, zog er meinen Oberkörper an sich und massierte mit seinen Fingern meine Brustwarzen. Ich erwiderte den Kuss gierig und hielt mich mit meinen Händen an seinen Seiten fest.

Mein Penis drückte schmerzhaft an die Wand und ich spürte, wie langsam mein Höhepunkt näher kam. Elias Hand glitt noch einmal nach unten und verschaffte mir Erleichterung. Ich stöhnte genießerisch.

Elias brauchte ebenfalls nicht mehr lange und schon kurze Zeit später spürte ich sein Sperma an meinem Hintern. Er drückte mich fest an sich und ich genoss es einfach nur einige Minuten so mit ihm unter der Dusche zu stehen. Ich hielt meine Augen geschlossen, während er meine Schultern küsste.

Erschrocken riss ich jedoch schon im nächsten Moment meine Augen auf, als ich seinen Finger an meinem Eingang spürte. Sofort verkrampfte ich mich, als sein Finger um meinen Muskel Kreise zog und sich scheinbar ohne Passierschein Einlass verschaffen wollte.

„Nicht...“, meinte ich hastig und musste schlucken. Meine Hand umgriff automatisch seine und hinderte ihn daran weiterzumachen. So blieben wir für einen Moment stehen und ich wagte es nicht ihn anzusehen. Hatte ich ihn jetzt mit meiner Bitte verärgert?

„Komm schon, Sam. Wir haben bis jetzt nie weiter gemacht, als einen runter holen oder Blowjobs. Ich will mehr!“, erwiderte Elias. „Hast du Angst, dass ich dir weh tue?“, fragte er mich besorgt.

Ich öffnete meine Augen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte ihm doch schlecht sagen, dass es sich für mich falsch anfühlte? Dass ich es noch nicht wirklich akzeptieren konnte mit ihm weiterzugehen oder ihn gar als meinen Liebhaber zu betrachten.

„Ich kann noch nicht...ich meine, ich bin einfach noch nicht soweit...“, versuchte ich ihm zu erklären und hoffte, er würde es verstehen. Elias zog seine Hand weg und räusperte sich. „Ich dachte, du willst es auch?“

Ich schwieg und wusste nicht was ich erwidern sollte. Mein Herz hämmerte ungesund in meiner Brust und leichte Panik stieg in mir auf. Ich spürte, wie er sich von mir zurück zog und sich eine leichte Kälte meines Körpers bemächtigte. Hatte er jetzt genug von mir?

Zögerlich drehte ich meinen Kopf zu ihm herum. Elias war längst aus der Dusche gestiegen und war dabei sich abzutrocknen. Ich starrte ihn an und wartete auf eine Reaktion, die jedoch nicht kam. Er ging einfach aus dem Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Ungläubig sah ich dorthin und wusste nicht was ich jetzt tun sollte.

Sollte ich zu ihm laufen und mich von ihm nehmen lassen, nur damit es ihm besser ging? Ich schüttelte meinen Kopf. Das machte doch überhaupt keinen Sinn! Wenn er seine Zeit nur mit mir verbringen wollte, damit er seinen Spaß hatte, konnte ich gut und gerne darauf verzichten!

Grummelnd griff ich nach dem Shampoo, welches erst mal durch meine Finger glitt und zwischen meine Beine rutschte. Ich fluchte und versuchte es erneut. Ich griff nach der Tube und öffnete den Deckel, um den Inhalt auf meiner Hand zu verteilen, zerrieb es zwischen meinen Fingern und cremte mich ausgiebig ein.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn und ich war mir nicht sicher, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich wusste ja nicht mal, ob Elias wütend auf mich war. „Ist doch nicht mein Problem!“, murrte ich und duschte mich ab. Ich stellte das Wasser aus, stieg aus der Dusche und schnappte mir ein Handtuch um mich abzutrocknen.

Meine Laune war im Keller und ich wusste nicht wie ich diesen Tag noch überstehen sollte. Das Handtuch um meine Hüften gebunden ging ich in das Zimmer zurück und stellte fest, dass Elias nicht da war. Die Tür war offen und ich hörte aus der Küche Stimmen.

„Wieso fühle ich mich jetzt so ausgeschlossen?“, fragte ich mich verwundert und auch ein wenig gereizt. Diese Ungewissheit machte mich so langsam aber doch unruhig. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es war genau das gleiche Gefühl wie damals, als ich mich immerzu fragte, wieso Elias mich nicht im Krankenhaus besucht hatte.

Ich löste das Handtuch und ließ es zu Boden fallen. Aus meiner Tasche holte ich mir frische Klamotten und im nächsten Moment hörte ich ein Klicken. Verwirrt richtete ich mich wieder auf und sah zur Tür. Lake stand mit seinem Handy bewaffnet vor mir und drückte prompt noch einmal auf den Auslöser.

„Das findest du wohl ganz witzig, was?“, fragte ich ihn wütend und bekam gerade mächtig Lust einen Mord zu begehen. „Lösch das!“, forderte ich ihn sauer auf.

Lake grinste. „Wieso sollte ich? Das ist mein Handy. Du siehst eben süß aus, von vorne und von hinten!“

Ich wurde knallrot im Gesicht und im Augenblick war es mir egal, dass ich noch nackt war, ich wollte, dass er diese dämlichen Fotos von mir löschte!

„Das erzähle ich Jason! Dann hast du nichts mehr zu lachen!“, brüllte ich ihn wütend an und versuchte ihm mühselig das Handy zu entreißen. Leider war Lake etwas größer als ich und so konnte er ohne große Anstrengung das Gerät vor mir in Sicherheit bringen. „Lake! Gib schon her!“

Dreist umgriff er mich mit seiner freien Hand und drückte mich an seinen Körper. Okay, ich wollte zwar an sein Handy, aber auf Körperkontakt war ich nicht aus, schon gar nicht, wenn ich nackt war. Hastig zog ich mich von ihm zurück und Lake grinste nur dumm vor sich hin. Alleine dafür könnte ich ihm schon meine Faust ins Gesicht schlagen.

Sein Handy klingelte auf einmal und sofort war Lake von mir abgelenkt. Er sah auf das Display und fröhlich drängte er mich einfach aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter mir und wie ich gerade noch mitbekam sprach er mit meinem Bruder.

„Mach die Tür auf! Ich bin noch nicht angezogen! Lake!“, schrie ich ihm zu, aber er ignorierte es ohne weiteres. Ich seufzte, drehte mich um und lehnte mich an die Tür. Bis Lake fertig mit dem Telefonat war, konnte das ja noch Stunden dauern.

Ich erschrak als ich Elias mitten im Raum stehen sah. Er betrachtete mich und hielt eine Tasse in der Hand, die noch leicht am Dampfen war. Scheinbar hatte er sich in der Zwischenzeit noch etwas zu trinken gemacht. Wir sahen uns stumm an und mir stieg augenblicklich die Hitze ins Gesicht, als ich seinen Blick auf meinen Körper spürte, sah wie er ihn musterte und schließlich an einer bestimmten Stelle hängen blieb.

„Je-Jetzt tu nicht so, als hättest du ihn noch nicht gesehen!“, meckerte ich ungehalten. Elias Lippen um schlich ein leichtes Lächeln. „Schon, aber noch nicht bei Tageslicht.“

Verlegen wandte ich meinen Blick ab und hörte wie Elias langsam auf mich zukam. Er blieb vor mir stehen und ich spürte seine Hand auf meiner Brust. Sie lag einfach nur da und weil er nichts weiter tat, sah ich zu Elias auf. Erst jetzt begann er mich leicht zu kraulen.

„Lake hat Nacktfotos von mir gemacht...“, erzählte ich ihm und erhielt lediglich ein Nicken. „Ich sorg schon dafür, dass er sie wieder löscht.“

Wir schwiegen beide wieder und man hörte aus dem Zimmer Lake lachen. Ich sah zu Elias auf und öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, nur wusste ich nicht wie ich beginnen sollte.

Elias trat näher auf mich zu und lehnte seinen Stirn an meine. Er schloss seine Augen und seufzte. „Sag mir einfach, wenn du soweit bist, nur lass mich bitte nicht so lange warten, okay?“, schlug er vor und ich hielt angespannt die Luft an.

„Es geht nicht nur darum, Elias. Ich bin mir einfach noch nicht sicher, was ich eigentlich will. Es hat mich nie gestört von dir angefasst zu werden, weil du mein bester Freund bist. Es hat sich bei dir gut angefühlt. Ich weiß, dass du mir nie weh tun würdest....aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir nie weh tun werde.“

Elias ließ von mir ab und sah auf mich herunter. Er schluckte und schien einen Moment nicht zu wissen, was er sagen sollte. „Glaubst du, ich sehe dich nur als Ventil meiner Gelüste an? Ich habe dich schon immer mehr gemocht, als einen normalen Freund! Ich liebe dich!“, meinte er leicht aufgebracht.

„Ja, aber ich glaube, ich kann es nicht erwidern, Elias...“, kam es von mir. Meine Stimme klang so schuldbewusst. Wieso? Ich konnte doch nichts dafür, dass ich ihn nicht liebte. Es tat mir jedoch Leid, denn ich würde gerne mehr für ihn empfinden. Er hätte es verdient. Einen besseren Freund als Elias gab es nun mal nicht.

„Vielleicht sollten wir eine Weile nicht mehr intim werden.“ Ich sah ihn bittend an. Ich wollte nicht, dass unsere Freundschaft zerbrach, weil ich nichts für ihn empfand. Ich fühlte mich schlecht dabei, denn bisher hatte es uns beiden Spaß bereitet unsere Körper gegenseitig zu erforschen.

„Wenn du meinst...“ Elias Blick gefiel mir nicht und auch sonst schien auf einmal die Luft erdrückend. Ich knabberte an meiner Unterlippe und würde am liebsten meinen Vorschlag auf der Stelle rückgängig machen.

Elias wandte sich von mir ab und ging zurück in die Küche. Deprimiert wartete ich vor der Tür, bis Lake endlich heraus kam. Ich schubste ihn aus dem Weg und verbarrikadierte mich im Zimmer. „Bist du immer noch sauer?“, fragte Lake lachend, als ich ihm die Tür längst vor der Nase zugeschlagen hatte.

Ich setzte mich auf das Bett und ließ mich auf die Matratze fallen. War das wirklich so eine gute Entscheidung gewesen? Was hatte ich mir davon erhofft?

Wir sitzen hier im Fahrstuhl zur Hölle, es geht abwärts!




Die Stimmung war leicht gekippt, als wir alle endlich soweit waren und das Hotel verließen. Wir gingen zum Parkplatz und Elias schloss den Wagen auf, damit wir einsteigen konnten. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Ich wollte trotzdem in Elias Nähe bleiben, auch wenn ich beschlossen hatte ein wenig Abstand auf körperlicher Ebene zu halten.

Wie Elias sich dabei fühlte, wusste ich nicht. Ich hatte aber das Gefühl, dass es ihn schon irgendwie verletzte, was ich gesagt hatte. Was konnte ich schon machen? Meine Gefühle waren nun mal zwiespältig und verliebt war ich nicht in ihn. Ich wollte Elias nicht noch mehr verletzen.

Wir fuhren vom Parkplatz, reihten uns in die Straße ein und fuhren zum nächsten Supermarkt. Die Fahrt über hätte man denken können, jemand sei gestorben, so totenstill war es. Außer Lakes wildem herumgeklicke auf seinem Handy, das mir mit der Zeit schon gewaltig auf die Nerven ging.

Ich schaltete das Radio an und war froh, als endlich die Musik ertönte. Das war schon wesentlich besser, als das allgemeine Schweigen im Auto.

Ich sah zu Elias und verzog meinen Mund. Hatte ich ihn wirklich so sehr verletzt? Wollte er nicht mal mehr mit mir reden? Ein wenig gekränkt war ich jetzt schon. Ich wollte doch weiterhin mit ihm befreundet sein, aber ich wollte eben nicht mehr mit ihm rummachen. Okay, ich würde es schon sehr vermissen, immerhin hat es nicht nur Elias gefallen, aber ich musste mir langsam in einigem klarer werden und so wie es jetzt war, ging es eben nicht.

Elias fuhr mit dem Wagen einige Straßen weiter, bis wir nach einer Weile bei einem großen Supermarkt ankamen. Er parkte den Wagen nach einigem Suchen auf dem Parkplatz vor dem Laden und mühsam stiegen wir aus, um nur ja keinem der Autos neben uns einen Kratzer zu verpassen.

„Kommst du nicht mit?“, fragte ich Lake verwirrt, der im Auto sitzen blieb.

„Nö, keine Lust. Ich simse gerade mit Jason...“, meinte er völlig abwesend und in seinen Textnachrichten versunken. Ich musste ein wenig lächeln. Da hatte Amors Pfeil sein Ziel nicht verfehlt.

Ich schlurfte hinter Elias her, der zu den Einkaufswagen lief und anschließend gingen wir zusammen in den Laden. Ich hatte keine Ahnung was ich ihm sagen sollte. Dieses elende Schweigen nervte mich. Das war doch nicht zum Aushalten!

„Was wollen wir denn kaufen?“, fragte ich Elias, nur um überhaupt endlich mal etwas zu sagen. Wieder wurde ich enttäuscht, denn er drückte mir einfach einen Zettel in die Hand und bog im nächsten Gang mit dem Einkaufswagen ab.

„Elias! Du benimmst dich wie ein Kind!“, meckerte ich ihm hinterher. Hah! Wer von uns war jetzt das Kind? Ich war doch schon viel erwachsener als er! So richtig freuen konnte ich mich dann aber doch nicht darüber.

Elias drehte sich zu mir herum. „Glaubst du, du wirst dir deiner wahren Gefühle bewusst, wenn du mich nicht mehr anfasst?“, fragte er mich verächtlich. „Das ist Bullshit!“

Ich sah ihn nur erstaunt an. Was war denn mit meinem Elias los? So wütend kannte ich ihn ja gar nicht! Zumindest konnte ich mich auf Anhieb nicht erinnern, ihn jemals so wütend erlebt zu haben. Nicht mal als er mich mit Lake im Bett erwischt hatte. Daran war ja noch nicht mal ich schuld gewesen, sondern diese Nervensäge Lake!

„Wie soll ich das denn bitte wissen? Ich bin noch nie verliebt gewesen!“, schnauzte ich ihn wütend an. Einige Kunden sahen uns neugierig an, aber das nahm ich nur am Rande wahr.

„Tja, bisher hast du dich aber noch nicht beschwert, mein Lieber!“, erwiderte Elias. „So schlimm schien es ja nicht gewesen zu sein!“ Elias sah mich gekränkt an. „Ich habe auch Bedürfnisse und du ebenfalls. Was ist so falsch daran, wenn wir uns denen hingeben? Hast du Angst vor den Reaktionen der anderen? Schämst du dich für mich? Komm schon, Sam! Sag mir, worüber du dir so unbedingt klar werden musst!“

Ich starrte Elias an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Kopf war wie leergefegt.

Elias fuhr mit seiner rechten Hand über seinen Nacken. „Willst du nichts mehr mit mir machen, weil du es falsch findest? Willst du lieber mit einem Mädchen zusammen sein?“, fragte er mich nun etwas ruhiger.

In meinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet. „Es hat mich nie gestört, von dir angefasst zu werden. Es hat sich gut angefühlt und richtig, aber du hast mir nicht mal die Chance gegeben, mich auch mit Mädchen zu treffen, damit ich weiß, was ich wirklich will.“

„Verdammt, Sam! Ich bin in dich verliebt! Wieso sollte ich es dann dulden, dass du mit einem Mädchen herum vögelst?!“, schrie Elias mich verletzt an.

Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. „Ich weiß nicht, ob ich dich liebe...“, murmelte ich und drehte mich um. Ich rannte aus dem Laden und ließ Elias einfach stehen. Ich fühlte mich schlecht. Einfach nur scheiße!

Ich wollte am liebsten einfach nur noch nach Hause und mich in meinem Bett verkriechen. Vor dem Laden ließ ich meinen Blick herumschweifen und schluckte hart. Ich hasste es, ich wollte mich nicht mit Elias streiten. Das war so anstrengend und überflüssig. Ich wollte es einfach nicht.

Langsam ging ich zurück zum Auto, öffnete die Beifahrertür und setzte mich auf meinen Platz. „Schon zurück?“, fragte Lake mich ohne von seinem Handy aufzusehen.

„Lake? Woher weißt du, wann du verliebt bist?“, fragte ich ihn und sah starr aus der Frontscheibe.

„Du stellst Fragen! Das weiß man eben!“, meinte Lake lachend. Ich grummelte. Der Junge war mir keine große Hilfe.

„Hast du schon mal von Schmetterlingen und Flugzeugen gehört?“, fragte Lake mich und ich sah zu ihm nach hinten. „Schmetterlinge und Flugzeuge?“, wiederholte ich. Lake nickte. „Wenn du verliebt bist, hast du das Gefühl, als würdest du auf Wolke Sieben schweben, in deinem Bauch rumoren Flugzeuge. Du denkst die ganze Zeit an die andere Person, willst in ihrer Nähe sein und es ist dir egal, ob deine Freunde dich warnen, dass diese Person nicht gut für dich ist oder so ähnlich.“

Ich sah zu Lake. „Du klingst so schnulzig wie in einem Roman!“, murrte ich ihn an. Ich drehte mich um und sah wieder nach vorne.

Und wenn ich nicht diese Gefühle hatte? Was war dann mit mir los? Konnte ich keine Liebe empfinden? Oder war ich nur noch nicht auf diese eine Person gestoßen?

Bei Hanna fühlte ich mich irgendwie immer geborgen. Ähnlich wie bei Abby. Also war sie wohl so etwas wie eine Schwester für mich.

Ich musste wieder an Samantha denken. Bei ihr habe ich mich völlig anders gefühlt, als bei Elias oder meinen anderen Freunden. Etwas neben der Spur war ich in ihrer Nähe, das hatte ich bei Elias nicht. Bei Samantha konnte ich nie klar denken und musste sie immer anstarren wie ein Vollidiot.

„Argh!“, ich raufte mir genervt die Haare. Eigentlich war es doch offensichtlich oder?

Elias war mein Freund mit dem ich allerlei Blödsinn anstellen konnte und auch meine ersten Erfahrungen gesammelt habe. Samantha war einfach nur ein tolles Mädchen, aber war es Liebe was ich für sie empfand?

Hieß es nicht immer, der Körper lügt nicht?

Ich drehte mich zu Lake um. „Sag mal, hattest du schon Sexträume mit Jason?“, fragte ich ihn. Lake sah mich überrumpelt an. Sein Mund klappte nach unten und er lief rot an.

„Als ob dich kleinen Scheißer das was angeht!“, meckerte er empört und sah mich prüfend an. „Wieso willst du das wissen?“

Also doch? Ich musste grinsen. „Na, weil ich so was schon mit Elias hatte aber nicht mit Samantha!“, klärte ich ihn ungerührt auf. Lake zuckte angegriffen mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Das musst du schon selber wissen, mit wem du zusammen sein willst! Aber wenn du zweigleisig fährst und Elias verletzt, werde ich noch dafür Sorgen, dass du deines Lebens nicht mehr froh wirst!“, drohte er mir.

Ich musste unwillkürlich lächeln. „Du bist ein toller Freund, weißt du das eigentlich?“, stellte ich fest. Lake sah mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass es Aliens tatsächlich gibt. „Was meinst du?“, fragte er mich skeptisch.

„So wie du immer Elias in Schutz nimmst und Angst hast, dass ihn wieder jemand verletzen könnte. Eigentlich bist du ganz nett!“, erklärte ich Lake anerkennend.

Lake lehnte sich zurück in den Sitz und sah mich an. „Machen Freunde so was nicht?“

Ich lächelte ihn an. „Ja, wahrscheinlich hast du Recht...“

Ich sah im Rückfenster eine Bewegung hinter Lake und schon im nächsten Moment öffnete sich der Kofferraum. Ich starrte Elias an, der beschäftigt die Einkäufe im Auto verstaute. Ich sah ihm dabei zu und seufzte leise. Als Elias fertig war, richtete er sich auf und griff nach dem Kofferraumdeckel. Unsere Blicke trafen sich kurz, ehe Elias den Kofferraum verschloss und den Einkaufswagen wegbrachte.

Ich setzte mich wieder richtig auf meinem Platz hin und starrte aus dem Fenster. Unruhig wartete ich darauf, dass Elias zurückkam. Als er die Fahrertür öffnete sah ich auf. Elias setzte sich, schnallte sich an und startete den Wagen. Er fuhr im Rückwärtsgang aus der Parklücke heraus und langsam vom Parkplatz, um sich in dem Verkehr einzureihen.

„Habt ihr Hunger?“, fragte Elias nach einiger Zeit und erhielt sofort meine und Lakes Zustimmung. Wir fuhren noch eine Weile und landeten schließlich bei McDonald's.

Da Elias vorhatte weiterzufahren, bestellten wir beim Drive-In unser Essen und Getränke. Elias zahlte auch diesmal und ich kam mir irgendwie wie ein Schmarotzer vor, weil er sämtliche Kosten übernahm.

Elias übergab mir die Tüten und sofort suchte ich unser Essen heraus und verteilte es. Da Elias während der Fahrt nichts essen konnte, begann ich ihn mit Chicken Nuggets zu füttern, was mir ziemlichen Spaß machte. Wenigstens dabei ignorierte er mich nicht.

Es lenkte mich gut von der langweiligen Fahrt ab und ich genoss es schon ein wenig, wenn Elias Lippen meine Finger berührten.

Die Fahrt verlief zum Glück nicht allzu lange. Der Wagen hielt vor einem kleinen Haus mit hübschem Vorgarten. Ziemlich liebevoll gestaltet, wie ich fand. Man konnte sich richtig gut vorstellen, dass Elias Großmutter hier wohnte.

Elias hielt auf dem Parkplatz vor dem Haus und wir stiegen alle aus. Elias lief vor und klingelte an der Haustür.

„Ich kaufe nichts!“, hörte man eine alte Frau meckern.

Elias verzog seinen Mund. „Oma, ich bins! Elias! Mach die Tür auf!“

Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Na, das waren ja nette Worte. Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Haustür und vor uns stand eine kleine ältere weißhaarige Frau in geblümtem Kleid, die jedoch noch ziemlich flott wirkte. „Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte sie uns, scheinbar wurden wir schon erwartet.

Wir begrüßten sie und stellten uns vor, nachdem Elias Oma uns hineingelassen hatte. Es war genauso eingerichtet wie man es sich bei alten Leuten vorstellte. Kitschiges Design, alte schwere dunkle Möbel und überall Accessoires.

Die alte Dame führte uns ins Wohnzimmer, wo bereits ein gedeckter Tisch mit Kaffee und Kuchen auf uns wartete. Mit einem Kaffeekränzchen hatte ich jetzt eigentlich nicht gerechnet. Zumal wir gerade erst etwas gegessen hatten.

Wir setzten uns alle um den Tisch und schon begann sie uns die Teller und Tassen zu füllen. Ich und Lake warfen uns unwohle Blicke zu, weil wir noch satt waren.

„Also, du wolltest etwas über deinen Vater wissen?“, fragte sie Elias und der nickte daraufhin. „Mum erzählt mir nie etwas über ihn. Ich dachte sie haben sich geliebt, aber wenn sie nie über ihn gesprochen hat, kann es ja doch nicht so doll gewesen sein.“

„Evelyn hat ihn geliebt. Nur dein Großvater und ich haben ihn nicht gemocht. Er war immerhin drogenabhängig und wir hatten uns große Sorgen um unsere Tochter gemacht. Wir haben ihr immer wieder gesagt, dass es besser wäre, wenn sie sich von ihm fern hält, aber sie wollte ja nicht auf uns hören.“

„Aber sie hat immer so ein großes Geheimnis um ihn gemacht!“, meinte Elias und sah seine Oma überrumpelt an. „Dabei war er nur ein Junkie...“

„Was hast du erwartet. Das es eine tragische Liebe war, weil er ein Spion oder sonst etwas war?“, fragte seine Oma belustigt. Elias schüttelte den Kopf. „Das nicht, aber sie hätte mir ruhig sagen können, wer er gewesen ist.“

„Na ja, als er mit Evelyn zusammen gezogen ist, haben wir ihr verboten zurückzukommen. Genauer gesagt, war es dein Großvater, der es ihr verboten hat. Wie du weißt, hatte ich leider nicht sehr viel zu melden, als er noch lebte.“, erklärte Elias Großmutter. „Wir hätten dich ja gerne öfter gesehen, aber Evelyn und Joseph haben sich damals komplett von uns abgekapselt.“

Elias starrte auf seinen Teller. Ich schielte zu ihm und würde ihn gerne aufmuntern, aber mir fiel einfach nichts passendes auf Anhieb ein.

„Soweit ich weiß, haben die beiden zwar zusammen gelebt, aber nie geheiratet. Ich denke Joseph war auch kein guter Umgang für Evelyn. Sie hat sich erst wieder öfter bei uns gemeldet, als Joseph verschwunden ist. Sie hatte Schwierigkeiten sich ganz alleine um dich zu kümmern, weil du noch so klein warst.“, erklärte die alte Frau und gab so viel Zucker in ihren Kaffee, dass mir schon allein bei dem Anblick schlecht wurde.

Um nicht unhöflich zu wirken überwanden Lake und ich uns und probierten ein wenig von dem Kuchen, der wirklich gut schmeckte. Wahrscheinlich würde ich später noch mit Magenschmerzen zu kämpfen haben. Ich war es nun mal nicht gewohnt so viel zu essen. Schon gar nicht direkt nachdem ich bereits etwas gegessen hatte.

„Bring mir bloß keine Kinder ins Haus! Hörst du Elias? Du bist noch viel zu jung!“, ermahnte seine Oma ihn und trank ihren Kaffee.

Elias lachte. „Keine Sorge, das habe ich nicht vor. Hast du vergessen, dass ich schwul bin?“

„Immer noch?“, fragte sie Elias verwirrt.

„Oma, das ist kein Modetrend!“, meinte er amüsiert und aß von dem Schokoladenkuchen. „Ich weiß ja, aber ich dachte du suchst dir doch noch irgendwann ein liebes Mädchen und schenkst mir ein paar Enkelkinder, solange ich noch lebe.“, jammerte sie wehleidig.

Elias sah kurz zu mir und wendete genauso schnell wieder den Blick ab. Meine Mundwinkel zogen sich herunter und ich stocherte in meinem Kuchen herum. Konnte er mir jetzt nicht mal mehr in die Augen sehen? Irgendwie fühlte ich mich schlecht und mir war zum Heulen zumute.

„Weißt du denn wo Dad sein könnte? Er hat uns einfach sitzen gelassen. Ich will mit ihm reden. Ich muss einfach wissen, wieso er Mum und mich im Stich gelassen hat!“, meinte Elias eindringlich.

Seine Großmutter schüttelte den Kopf. „Das wird dir bestimmt nur sein Freund sagen können. Wie gesagt, ich habe so gut wie kaum Kontakt zu ihm gehabt. Er hat sich eben immer von mir und deinem Großvater ferngehalten und auch am Telefon war er immer sehr kurz angebunden.“

„Sein Freund?“, fragte Elias entgeistert.

„Evelyn hat mir gesagt, dass er oft mit ihm Kneipentouren gemacht hat. Er wohnt in Guadalupe, soweit ich weiß. Evelyn hat sich oft darüber beklagt, dass die beiden einfach zu viel Zeit miteinander verbrachten, weil Joseph viel zu viel trank. Wenigstens war er nicht jähzornig und hat euch beide nicht geschlagen!“

„Guadalupe? Das ist doch gar nicht weit weg von hier!“, meinte Elias erstaunt.

„Natürlich nicht! Immerhin haben deine Eltern dort gewohnt. Evelyn ist erst nach deiner Geburt nach Santa Teresa gezogen.“

Elias nickte. „Dann fahren wir morgen nach Guadalupe!“, meinte er. „Danke für deine Hilfe! Ohne dich wären wir wohl immer noch nicht weiter.“

Seine Großmutter nickte nur und nahm sich ein zweites Stück Kuchen. „Deine Freunde sind so schweigsam?“, stellte sie fest. „Ist die Fahrt zu anstrengend? Wollt ihr lieber solange hier unterkommen? Platz genug ist ja noch da.“

Elias schüttelte den Kopf. „Danke, das geht schon.“ Lake und ich nickten zustimmend. Wir wollten der alten Dame wirklich nicht zur Last fallen, auch wenn es sie wohl nicht zu stören schien.

Zum Glück waren wir jetzt einen Schritt weiter und vielleicht konnte uns dieser Freund weiterhelfen?

Wir schlangen das Essen herunter und waren in Aufbruchstimmung. „Wollt ihr nicht noch eine Weile bleiben?“, fragte Elias Oma uns. Elias schüttelte den Kopf. „Ich komme dich ein anderes Mal wieder besuchen.“

Wir verabschiedeten uns von ihr und gingen zurück zum Mietwagen. Elias streckte sich und sah noch einmal kurz zum Haus, ehe er die Fahrertür öffnete und in das Auto stieg. Lake machte es sich hinten wieder bequem und ich setzte mich neben Elias. Er fuhr vom Parkplatz und wieder zurück zum Hotel.

„Wieso fahren wir nicht heute noch da hin?“, fragte Lake und spielte ausnahmsweise mal nicht mit seinem Handy herum.

„Es ist schon viel zu spät und das wird mir auch zu stressig. Ich will mich nicht so abhetzen!“, murrte Elias und fuhr etwas zu schnell über die Straße. Ich legte ihm meine Hand auf sein Handgelenk, was ihn dazu brachte kurz zu mir zu sehen. Er verlangsamte sein Tempo und erleichtert atmete ich auf. Ein Unfall hätte mir gerade noch gefehlt.


◆ ◆ ◆




Nach einer Weile kam endlich wieder das Hotel in Sicht. Elias fuhr auf den Parkplatz und nun doch etwas erschöpft suchten wir unser Hotelzimmer auf.

Wir verstauten die Einkäufe in der Küche und da wir alle keinen großen Hunger mehr hatten, schnappten wir uns die Snacks und Getränke und machten es uns noch eine Weile vor dem Fernseher bequem. Das Doppelbett war zum Glück breit genug, so dass wir zu dritt locker darauf sitzen konnten.

Wirklich gut war das Programm jedoch leider nicht. Es lief irgend so ein alter Schinken von früher. Elias wollte auch nicht über den Besuch bei seiner Großmutter reden, also beließen wir es vorerst dabei.

Ich stopfte mich mit Süßigkeiten voll, obwohl ich schon so viel gegessen hatte. Nach einer Weile machte sich das auch durch Bauchschmerzen bemerkbar. Ich stöhnte leidig und hielt mir den Bauch, bis Lake es nicht mehr aushielt und mir einen Tee machte, damit sich mein Magen etwas beruhigen konnte.

Dankbar trank ich den Tee und nach einiger Zeit ging es mir wirklich schon ein wenig besser. „Lasst uns schlafen gehen!“, meinte Elias und machte den Fernseher aus. Ich nickte und verschwand noch mal im Badezimmer um mich zu erleichtern. Ich beschloss stehen zu bleiben, damit mir die Jungs nichts weggucken konnten.

Ich spülte und wusch mir die Hände. Ich betrat wieder das Zimmer und als erstes fiel mir auf, dass Elias und Lake das Bett besetzten. „Elias? Wieso schläft Lake hier?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Du wolltest doch Abstand haben, dann kannst du auch in Lakes Zimmer schlafen.“

Ich sah Elias verletzt an. Meinte er das wirklich ernst? Ich wollte doch noch mit ihm reden. Ich presste meine Lippen aufeinander und schnappte mir meinen Schlafanzug. Beleidigt ging ich in das Zimmer nebenan und schloss die Tür hinter mir. Ich lehnte mich dagegen und sah mich im Zimmer um. Meine Mundwinkel zogen sich herunter und ich kam mir irgendwie so vor, als würde Elias mich nicht mehr dabeihaben wollen.

Ich rutschte die Tür herunter und blieb dort sitzen. Deprimiert versteckte ich mein Gesicht in meinen Klamotten.


◆ ◆ ◆




„Meinst du nicht, das war ein bisschen zu hart?“, fragte Lake Elias. Der zog sich bis auf die Boxershorts aus und kletterte auf die freie Seite im Bett.

„Nein!“, brummte Elias. „Du kennst mich doch. Ich kann bestimmt nicht meine Hände bei mir behalten und gehe ihm wieder an die Wäsche. Was soll ich machen? Ich würde ihn am liebsten den ganzen Tag in meinen Armen halten und küssen...“

Lake lachte. „Du scheinst es ja wirklich nötig zu haben!“

„Das hat doch damit nichts zu tun! Okay, wir haben noch keinen Sex gehabt, aber für ihn ist das eben alles neu, da will ich ihn nicht damit bedrängen.“ Elias sah zu Lake und unterdrückte ein Gähnen.

„Dafür bedrängst du ihn zurzeit mit deiner Liebe.“ Lake zuckte mit den Schultern. „Halte dich einfach ein bisschen zurück und gib ihm mehr Freiraum. Er mag dich ja, aber er will eben noch ein bisschen was von der Welt sehen, bevor er nach Hause kommt.“

Elias sah Lake skeptisch an. „Seit wann sprichst du in Metaphern?“, fragte er verdutzt. Lake grinste. „Was soll ich denn machen? Ich bin verrückt nach ihm!“, erwiderte Elias.

Lake zuckte lediglich mit seinen Schultern. „Keiner drängt euch, ihr habt genug Zeit. Geh's einfach langsam an.“

„Lake so langsam machst du mir Angst! Du wirkst so erwachsen?“, meinte Elias lachend, halb ernst und halb im Scherz.

Lake legte sich auf die Seite und zog die Decke über seine Schulter. „Ich stecke mitten in einem Abenteuer, da muss man alt genug für sein!“, meinte er gespielt ernst und musste dann doch schmunzeln. Elias wuschelte ihm grinsend durch die Haare und schaltete das Licht aus. „Morgen verschwindest du wieder im Nebenzimmer, ich will mit meinem Freund allein sein.“

„Das hört sich an, als würdest du etwas ganz anderes mit ihm machen wollen?“, fragte Lake kichernd und griff dann nach seinem Handy. Das Display erleuchtete das Zimmer und er begann etwas darauf zu tippen.

„Was schreibst du?“, fragte Elias ihn interessiert. „Nur das ich die Nacht mit einem anderen Mann verbringe.“ Elias sah Lake musternd an.

„Versuchst du Jason eifersüchtig zu machen?“, fragte er und kuschelte sich in seine Decke. „Der Typ ist schwer zu knacken. Irgendwie stört ihn gar nichts und das stört mich! Ich will ihn nur ein wenig aus der Reserve locken. Ich schreibe ihm morgen, dass ich bei dir gepennt habe.“

„Pass auf, dass er dich nicht abschreibt, wenn du es zu weit treibst!“, ermahnte Elias seinen Freund. „Ach was!“, meinte Lake nur sarkastisch. Er legte sein Handy zurück auf den Nachttisch und sah zu Elias. „Krieg erst mal deine Beziehung mit Sam auf die Reihe, ehe du mir Ratschläge erteilst.“

Das erste Opfer des Krieges ist stets die Wahrheit.




Mitternacht. Ich hatte kein Auge zugetan. Noch immer war ich ziemlich aufgewühlt, weil Elias mich einfach aus dem Zimmer geworfen hatte.

Womit hatte ich das denn jetzt schon wieder verdient?

Ich konnte die beiden Jungs nebenan lachen hören und starrte traurig auf die dünne Wand. Wieso hatten sie mich jetzt ausgeschlossen? Das war wirklich gemein. Ich wollte mit ihnen lachen und nicht hier versauern.

Ich konnte ohnehin nicht einschlafen. Ich war innerlich viel zu aufgewühlt und das lag nicht mal an dem bisherigen Tag sondern daran, dass Elias und ich scheinbar eine Meinungsverschiedenheit hatten.

Wie konnte ich das nur wieder gerade biegen? Von mir aus konnte er ja eingeschnappt sein, aber er sollte mich nicht ignorieren. Das tat nämlich viel mehr weh. Konnte er es mir nicht mal zeigen, wenn er sich verletzt fühlte?

Ich seufzte und zog meine Beine an. Irgendwie war es in so einem Zimmer doch ziemlich einsam. Ich warf einen Blick auf die Digitaluhr neben dem Bett. Die Zeit schien kaum zu vergehen. Konnte nicht schon morgen sein?

Ich zog die Decke weg und beschloss mir noch etwas zu trinken zu holen. Vielleicht konnte ich dann etwas besser schlafen?

Leicht verspannt ging ich aus dem Zimmer, über den Flur und in die Küche. Ich schaltete das Licht an und ging an den Kühlschrank. Ich nahm die Flasche mit dem Traubensaft heraus und ging zum Schrank um mir ein Glas zu holen. Ich kippte den Inhalt hinein und trank das Glas in einem Zug leer.

„Kannst du nicht schlafen?“

Ich erschrak und drehte mich um. Lake stand im Türrahmen und konnte mir meine Enttäuschung ansehen. Er grinste mich an und kam zu mir.

„Tja, ich bin nun mal nicht Elias.“, meinte er amüsiert und klopfte mir auf die Schulter. Lake kam auf mich zu und irgendwie fühlte ich mich dann doch etwas in Bedrängnis, als ich gegen den Schrank gedrückt wurde. Ich spürte Lakes Kopf auf meiner Schulter und vernahm hinter mir ein Klimpern, nachdem er seine Arme um mich geschlungen hatte. Ich hörte, wie er den Saft in das Glas goss.

„Machts dir wirklich so viel Spaß mich immer zu ärgern? Das nervt!“, murrte ich ihn an. Lake lachte, verharrte in seiner Position und trank genüsslich aus dem Glas. Ich krallte meine Finger in seine entblößte Haut und hörte grinsend wie er vor Schmerz stöhnte. Meine Fingernägel waren nicht sonderlich lang, aber mit genug Kraft konnte ich ihn doch mal in seine Schranken weisen.

„Du bist zäh, du kleiner Wicht!“, murrte Lake und ging ein paar Schritte von mir zurück. „Was denkst du denn? Das ich das ewig mit mir machen lasse, damit du deinen Spaß hast?“, brummte ich und sah ihn gereizt an.

„Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragte Lake mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Er setzte sich auf einen der vier Stühle, welche um den runden Tisch standen.

„Mir geht’s gut...“, murrte ich und sah aus dem Fenster. Ich starrte auf die Kreuzung und sah mir die vielen Lichter im Dunkeln an.

„Komm schon! Liegt's an dir und Elias?“, fragte Lake mich eindringlich und beugte sich leicht vor. „Also doch.! Das ist ja schon offensichtlich, so dumm wie ihr zwei euch benehmt!“

Ich sah ihn verletzt an. „Als ob es meine Idee war, die Zimmer zu wechseln oder dass Elias mich ignoriert!“, meckerte ich Lake an. Wie konnte er mich als dumm bezeichnen?

„Jetzt sei nicht gleich so zickig!“, erwiderte Lake einlenkend. Ich verzog meinen Mund und richtete meinen Blick wieder aus dem Fenster.

„Ich habe das Gefühl als würde ich längst in einer Beziehung stecken, aber irgendwie habe ich wohl den Anfang davon verpasst. Es fehlt einfach etwas. Ich weiß auch nicht... Ich fühle mich einfach noch nicht bereit für so etwas ernsthaftes. Verstehst du?“, erklärte ich Lake.

Er sah mich nachdenklich an. „Da kann ich dir nicht helfen. Das musst du mit Elias klären. Ich will mich auch nicht einmischen.“

Schmollend verschränkte ich meine Arme vor der Brust. „Irgendwie habe ich jetzt mehr von dir erwartet...“, murrte ich ihn an.

Lake lachte. „Und was? Ich bin nun mal kein Therapeut! Meine Beziehungen waren bisher katastrophal und hielten nicht länger als ein paar Wochen. Ich führe eine Fernbeziehung und habe keinen blassen Schimmer wie meine Zukunft mit Jason aussieht. Er kann mir jeden Augenblick eine Nachricht schicken und mir schreiben, dass es vorbei ist. Ich habe also genug eigene Probleme zu bewältigen, als dass ich mich auch noch um deine kümmern kann.“

Ich legte meinen Kopf schief und setzte mich dann zu Lake an den Tisch. Ich ließ meinen Kopf auf die Tischplatte sinken und spürte das kühle Holz an meiner Wange. „Was ist los mit mir?“, jammerte ich und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare.

„Mal davon abgesehen, dass du wohl gerade in der Pubertät steckst?“, fragte Lake mich. „Manchmal kommt es mir vor, als würdest du Elias kopieren. Du wirkst schon so erwachsen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihr so viel Zeit miteinander verbracht habt und Elias Verhalten auf dich abfärbt.“

Ich hob meinen Kopf an und grummelte. „Glaubst du? Ich bin doch keine Kopie von ihm!“, wehrte ich ab. Wie konnte Lake behaupten, dass ich eine Kopie von Elias war? „Das ist gemein...“, murmelte ich.

Lake wuschelte mir durch die Haare. „Ich habe nicht gesagt, dass es etwas schlechtes ist. Wenn man viel Zeit miteinander verbringt, dann kommt es vor, dass man anfängt die gleichen Interessen zu entwickeln, die gleichen Gedankengänge und das Verhalten. Das ist nichts Schlechtes, Sam!“, versuchte er mich aufzumuntern.

Ich lächelte schwach, aber irgendwie fühlte ich mich jetzt doch etwas schlechter. Lake schien sich ja Mühe zu geben, aber es wurde nicht besser. Damit musste ich dann wohl selber klar kommen.

„Los! Geh zu ihm ins Bett!“, forderte Lake mich plötzlich auf und deutete mit seinem Kopf zu dem Zimmer. Ich sah ihn erstaunt an und verstand nicht wieso ich auf einmal bei Elias schlafen sollte.

„Man sieht euch beiden an, dass ihr zusammen sein wollt, also macht das auch und geht euch nicht aus dem Weg, denn das macht eure Situation auch nicht gerade besser und für mich nur unangenehmer, weil ich mittendrin stecke!“, erklärte Lake und klopfte mit der flachen Hand auf den Küchentisch. „Und jetzt ab ins Bett, Kleiner!“

Ich grinste und musste schmunzeln. Lake war zwar ein Idiot, aber er machte klare Ansagen und versuchte mich nicht wie einen Erwachsenen zu behandeln, der ich einfach noch nicht war. Schlagartig zogen sich meine Mundwinkel herunter. „Und wenn er mich gar nicht im Zimmer haben will?“, fragte ich Lake.

Er zuckte lediglich mit den Schultern. Ich grübelte noch kurz, ehe ich mich vom Stuhl erhob. „Nacht...“, wünschte ich Lake noch, ehe ich die Küche verließ und zu Elias Zimmer ging. Vor der Tür blieb ich unschlüssig stehen. Sollte ich es wirklich wagen?

Ich nahm all meinen Mut zusammen und öffnete zögerlich die Tür. Der Raum war in Dunkelheit gehüllt und wie es schien schlief Elias tief und fest. Kein Wunder, es war ja auch ein anstrengender Tag für ihn gewesen. Wobei ich in seiner Situation wohl kaum ein Auge zutun könnte.

Leise schlich ich mich voran um zum Bett zu gelangen und stieß mit dem Knie dagegen. In Gedanken fluchend hielt ich mir das schmerzende Knie und tastete mit der Hand nach der Matratze. Ich krabbelte auf das Bett und legte mich auf die freie Seite. Ich spürte den Körper neben mir und rutschte etwas näher an Elias heran. Ich hatte den Drang meine Arme um ihn zu schließen. Was sollte ich tun, wenn er davon wach wurde und mich aus dem Zimmer warf?

Ich schmiegte mich an ihn und versuchte zu schlafen. Was sollte ich sonst tun?


◆ ◆ ◆




Als ich am nächsten Morgen aufwachte, spürte ich Elias Kopf auf meiner Schulter liegen und seinen warmen Atem an meinem Hals, was mir eine wohlige Gänsehaut bescherte. Ich drehte meinen Kopf auf die Seite und versteckte meine Nase in seinen schwarzen Haaren. Ich atmete tief durch und konnte nicht wiederstehen Elias zu umarmen.

Er wachte erst eine Weile später auf und schloss auch gleich wieder seine Augen, um sich an mich zu kuscheln. Ich grinste zufrieden und ich hörte ein leises Nuscheln.

„Was?“, fragte ich ihn leise und fuhr mit meinen Fingern durch seine verwuschelten Haare.

„Guten Morgen...“, murmelte er und schlang seine Arme um mich. Elias versteckte sein Gesicht in meinem Pyjama.

Ich musste grinsen und drückte ihn fest an mich. Er schien gar nicht böse auf mich zu sein und scheinbar hatte ich mir völlig umsonst Gedanken gemacht. Warum hatte ich nur so eine Angst davor gehabt?

Es klopfte an der Tür und ich sah auf, als Lake seinen Kopf hereinsteckte. Seit wann klopfte er an?

„Was? Kein Morgensex? Seid ihr aber langweilig!“, meinte er frech und ich hätte ihm zu gerne die Lampe auf dem Nachttisch an den Kopf geworfen.

„Was willst du?!“, meckerte ich und wollte lieber noch etwas Zeit alleine mit Elias verbringen. Musste er mir immer die schönen Momente zerstören?

Lake hob seine andere Hand und hielt eine Tüte in die Höhe. „Ich habe uns frische Brötchen besorgt!“, meinte er gut gelaunt. „Wenn ihr also noch was abhaben wollt, seht zu, dass ihr aus dem Bett kommt!“ Und schon war er wieder weg.

Ich setzte mich im Bett auf und betrachtete Elias, den Lakes plötzlicher Besuch nicht weiter gestört zu haben schien. Im Gegenteil er schlief seelenruhig weiter. Ich beschloss als erstes unter die Dusche zu springen und hoffte, dass Elias nicht aufwachte und mir dabei zusah. Ich wollte ja nicht ewig ohne duschen auskommen. Schon gar nicht, wenn wir heute den Freund von Elias Vater besuchen würden.

Ich kletterte aus dem Bett und ging in das Badezimmer. Dort entledigte ich mich meines Schlafanzuges, ließ ihn achtlos zu Boden fallen und stieg in die Dusche. Ich drehte den Duschhahn auf und augenblicklich prasselte das Wasser auf mich herab. Ich drehte die Regler um und nach kurzer Zeit wurde das Wasser wärmer. Ich seufzte und entspannte mich. Ich ließ das Wasser auf mich herab prasseln und sah auf meinen Körper herunter. Ich grinste und fand, dass sich mein Körper doch sehr gut entwickelt hatte.

Ich griff nach dem Shampoo und seifte mich gründlich ein. Das Wasser wischte die Spuren des Shampoos augenblicklich wieder weg und nach einiger Zeit hatte ich dann doch genug. Ich stellte das Wasser ab und ging zu den Handtuchhaltern. Ich trocknete mich mit einem der Handtücher ab und zog mir meinen Bademantel über.

Gemütlich putzte ich mir noch die Zähne und ging ins Zimmer. Elias schlief noch immer und irgendwie fühlte ich mich jetzt doch ein wenig beleidigt, dass er nicht mal einen Blick riskiert hatte. Wie konnte er schlafen, wenn ich mich vor ihm entblößte?

Geknickt ging ich zu Elias und weckte ihn. Ich rüttelte an seiner Schulter. „Komm schon, Elias! Wach endlich auf!“

Seine einzige Reaktion war ein Knurren und genervt zog er sich die Decke über den Kopf. Wie konnte ich ihn jetzt wach kriegen?

Ich grübelte einen Moment und ging dann zurück ins Badezimmer. Ich füllte meinen Zahnputzbecher bis oben hin und ging damit vorsichtig zurück ins Schlafzimmer. Ich stieg auf das Bett, balancierte einen Moment, weil das Wasser gefährlich am Überschwappen war und stellte mich dann über Elias. Ohne Rücksicht auf Verluste kippte ich ihm den kalten Inhalt einfach über den Kopf.

Elias Reaktion war herrlich. Sofort riss er erschrocken seine Augen auf und wühlte sich hastig aus dem Bett, nur um sich in der Decke zu verheddern und halb aus dem Bett zu fallen. Lachend griff ich nach seinen Händen und zog ihn zu mir, damit er nicht doch noch den Boden küsste.

Elias pustete sich die nassen Haare aus dem Gesicht und musste mit den Händen nachhelfen. Er sah mich entgeistert an. „Was soll das?“, fragte Elias mich und fand die ganze Sache gar nicht so lustig.

„Na, irgendwie musste ich dich ja wach kriegen!“, meinte ich schulterzuckend.


„Und das war das Einzige was dir eingefallen ist?“, fragte Elias mich und sah mich noch immer ziemlich überrumpelt an.

„Ein bisschen Spaß am Morgen hat noch niemandem geschadet...“, erwiderte ich grinsend, aber doch ein wenig enttäuscht über seine Reaktion. Irgendwie hatte ich das Gefühl als wäre er wütend auf mich.

Da hatte ich mich wohl geirrt, denn im nächsten Moment zierte sein Gesicht ein freches Grinsen und ohne Vorwarnung beförderte er mich in die Laken. Elias hielt mich auf die Matratze gedrückt fest und grinste mich diabolisch an.

„Wa-was hast du vor?“, fragte ich ihn nicht wissend was er gerade für einen Plan in seinem Kopf ausheckte. Wollte ich es überhaupt wissen?

Elias beugte sich über mich und schon im nächsten Moment lachte ich und konnte nicht mehr damit aufhören. „Elias! Hö-hör...a-au-auf...Eli...Elias...“ Mir stiegen die Tränen in die Augenwinkel und lachend wandt ich mich unter seinen unbarmherzigen Fingern, die mich überall kitzelten. Ich zappelte mit den Füßen und versuchte seine Finger wegzuschieben, was mir nicht gelingen wollte.

Ich schnappte nach Luft und plötzlich wich das Lachen einem Stöhnen. Ich sah grinsend zu Elias herunter, der meine Oberschenkel küsste. Ich merkte, dass sich mein Gürtel vom Bademantel gelöst hatte und ich nun praktisch nackt unter ihm lag.

Mit geröteten Wangen sah ich zwischen meine Beine und vergrub meine Hände in Elias Haaren, als er begann mich zu verwöhnen. Wo waren denn auf einmal meine Pläne hin, die Berührungen zu unterlassen? Sich selber daran halten zu müssen fiel mir viel schwerer als gedacht und auch Elias schien sich nicht wirklich daran halten zu wollen. Im Moment konnte ich allerdings auch nicht klar denken und es fühlte sich auch gut an, da wollte ich mir einfach keine Gedanken machen.

Ich spreizte meine Beine und im nächsten Moment öffnete sich auch schon die Tür. Ich legte den Kopf überrascht in den Nacken und sah Lake verkehrt herum im Zimmer stehen.

„Na, das schaut doch mal gut aus!“, merkte er breit grinsend an und mir lief das Gesicht knallrot an. Elias ließ von meinem Penis ab und sprang vom Bett. „Raus mit dir!“, brüllte er und scheuchte den lachenden Lake aus dem Zimmer. Ich setzte mich hastig hin und schloss meinen Bademantel, was meine Erektion jedoch nicht gut verbarg. Ich zog die Beine an und sah zu Elias.

„Ich geh ins Bad!“, meinte er und mehr als ein Nicken brachte ich nicht hervor. Ich starrte auf das Bett und als Elias sich am Bett abstützte und sich mir näherte, sah ich auf. Ich versuchte mich an einem Lächeln und erhielt kurz darauf einen Kuss vom ihm, ehe er sich von mir löste und nach nebenan ging.

Ich lehnte mich zurück und musste schlucken als Elias sich im Badezimmer auszog. Erst recht, als er zu mir sah. Jedenfalls schien es so, als würde er mich direkt ansehen. So intensiv, das ich eine Gänsehaut am ganzen Körper bekam.

Elias ließ seine Boxershorts zu Boden fallen und stieg unter die Dusche. Ich konnte alles sehen und konnte einfach nicht anders. Meine Hand wanderte zu meinem Penis und ehe ich mich versah war ich auch schon dabei mir bei Elias Anblick einen runter zu holen. Ich kam mir so blöd dabei vor, aber irgendwie war es auch ein geiles Gefühl.

Als Elias fertig mit Duschen war, trocknete er sich ab und kam zu mir ins Zimmer. „Elias! Ich brauche so einen Spiegel in meinem Zimmer!“, meinte ich und das war mein voller Ernst.

Elias starrte mich einen Moment an und lachte dann. „Klar, wer nicht?“, meinte er und kam zu mir aufs Bett. Er kroch auf mich zu und spreizte meine Beine. Sein Blick verdunkelte sich und dann sah er zu mir auf. „Kannst du nicht mal auf mich warten?“, fragte er mich. „Tja, ich hatte doch eine prima Aussicht, wie sollte ich da wiederstehen können?“

Elias setzte sich hin und sah mich an. „Wie soll es jetzt weitergehen?“, wollte er wissen.

Ich schluckte. Musste er jetzt damit kommen? Es lief doch gerade alles so gut! Ich verzog meinen Mund und starrte auf meine Knie, während ich meinen Bademantel richtete. „Ich weiß nicht, wie wir weitermachen sollen...“, gab ich zu.

„Gefällt es dir nicht, was wir machen?“, fragte Elias mich. Ich schüttelte heftig mit dem Kopf. „Ich bin gerne mit dir zusammen!“, meinte ich stur.

„Was ist dann so schlimm daran, so weiterzumachen wie bisher? Ich meine, wenn du dich dann immer noch in ein Mädchen verliebst kann ich schlecht etwas machen, meinst du nicht?“

Ich sah Elias an und meine Mundwinkel zogen sich herunter. Elias rutschte näher an mich heran und griff nach meinen Händen. „Das ist blöd!“, murrte ich. „Ich weiß nicht was ich mir von all dem überhaupt erhofft habe! Ich bin wie ein halb fertig geschriebenes Buch! Nur das irgendein Volldepp einfach den wichtigsten Teil der Geschichte gelöscht hat! Mir fehlen 12 Jahre!“, brüllte ich Elias an. Mein Hals fühlte sich so zugeschwollen an. „Ich weiß nicht was ich machen soll...“

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich senkte meinen Kopf. „Ich will noch nicht erwachsen sein! Ich will noch keine Freundin haben und ich will auch keinen Freund! Ich will gar nichts, ich will einfach nur meine Ruhe haben!“, brach es aus mir heraus.

Ich spürte wie Elias mich in seine Arme schloss und mir über den Rücken strich. „Keiner zwingt dich dazu, Sam. Ich...tut mir Leid, wenn ich dich zu sehr gedrängt habe!“

„Ich will das alles nicht! Ich will wieder mein altes Leben zurück haben, vor dem Unfall war noch alles gut!“, jammerte ich und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich schluchzte und hielt mich an Elias fest.

„Wir können den Unfall aber nicht mehr rückgängig machen, Sam. Das geht einfach nicht.“

Ich sah zu Elias auf. „Was ist mit dir? Du erinnerst dich doch noch an den Tag oder?“, fragte ich ihn und wischte mir über mein verheultes Gesicht. „Ich will ja nur wissen was passiert ist. Ich weiß doch nur das was die anderen mir erzählt haben, aber was wirklich geschehen ist, weiß ich eben nicht mehr.“

Elias schüttelte den Kopf. „Sam! Mach dir darum keinen Kopf. Der Unfall ist geschehen, du kannst nichts mehr rückgängig machen und nur weil du dann weißt was passiert ist, davon wird es dir auch nicht besser gehen. Was hast du davon? Was, wenn es dir schlechter geht? Du wirst dir nur noch Vorwürfe machen!“

„Wieso will mir keiner sagen, was an diesem verdammten Tag passiert ist?!“, brüllte ich ihn wütend an. „Ihr seid solche Egoisten! Als könnte ich nicht damit umgehen! Weißt du wie egal mir das alles ist? Dieses geheuchelte Mitleid könnt ihr euch alle sparen!“, schrie ich.

Ich schob Elias von mir und sprang vom Bett herunter. Ich öffnete die Tür und wollte gerade den Raum verlassen, als Elias mich zurückhielt. „Ich werde es dir nicht erzählen. Ganz einfach aus dem Grund, weil du dich wahrscheinlich sowieso nicht daran erinnern wirst. Sam, ich habe alles gesehen. Weißt du eigentlich was das bedeutet? Wie es mir dabei ging? Es gibt jetzt noch Nächte in denen ich von dem Tag träume und ich wünsche mir, ich könnte all das einfach vergessen! Ich wünschte, ich könnte mit dir tauschen, damit ich mich nicht immer und immer wieder daran erinnern muss! Ich will nicht mehr daran denken! Ich bin froh, dass du noch lebst! Aber ich habe meine eigenen Probleme! Ich habe immer Rücksicht auf dich genommen und freue mich über jeden Tag, den ich mit dir verbringe und an dem es dir gut geht und ich dich lachen sehen kann!“

Ich drehte mich zu Elias um und sah wie ihm die Tränen über die Wangen liefen.

„Wer hat an mich gedacht?“, fragte er mich und ich bekam ein schlechtes Gewissen. „Ich war beim Therapeuten um das alles verarbeiten zu können, Sam! Ich war jeden Tag bei dir im Krankenhaus, bis sie mich weggeschickt haben! Weißt du wie fertig mich das alles gemacht hat? Keinen hat es interessiert, Sam! Weil sich alle um dich Sorgen gemacht haben!“ Elias schniefte. „Sam, ich will nicht mehr daran erinnert werden. Ich lebe mein Leben! Ich habe angefangen weiterzumachen und du solltest es auch tun!“

Er stand vom Bett auf und ging an mir vorbei in die Küche. Ich blieb im Zimmer stehen und sank zu Boden.

Elias hatte Recht. Ich habe mir immer nur Gedanken um mich gemacht. Jason hatte Recht! Ich hätte mit Elias reden sollen. Ich habe es nie für wichtig befunden. Er hat nie etwas gesagt, immer nur gelächelt.

Wie sollte ich wissen, wie es ihm ging?

Ich hielt mir die Hände vor mein Gesicht und versuchte meine Tränen zurückzuhalten. War ich wirklich so ein Egoist?

Auch Wolkenkratzer haben mal als Keller angefangen.




Was gab es besseres als zu dritt in einem Wagen zu hocken und mitten im Stau zu stecken? Oh, es kam noch besser!

Mit Elias hatte ich an diesem Tag noch kein einziges Wort gewechselt. Seit er mir offen gestanden hatte, wie es ihm ging, wusste ich einfach nicht worüber ich mit ihm reden sollte. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, kam kein Wort über meine Lippen.

Also hockten wir hier aufeinander, mitten im Stau und sprachen kein einziges Wort miteinander!

Das Leben war manchmal wirklich beschissen! Ich war nun mal kein Mensch der stundenlang seinen Mund halten konnte. Ich konnte auch nicht stundenlang auf meinem Hintern sitzen!

Ich sah zu Lake auf der Rückbank. „Schreibst du wieder mit Jason?“, fragte ich ihn und wünschte mir, ich könnte mit Lake tauschen. Ihm machte das alles hier überhaupt nichts aus. Es interessierte ihn nicht einmal!

„Ja, was sonst?“, meinte Lake lachend und sah zu mir. „Er schreibt mir viel was er auf der Arbeit macht und von seinem Training. Ich würde ihn zu gerne mal beim Trainieren sehen!“, schwärmte er und ich musste zugeben, dass ich schon ein wenig neidisch war.

Ich schielte zu Elias und betrachtete ihn von der Seite. Er wirkte noch verschlossener. War das jetzt meine Schuld? Was war so schlimm daran, dass ich mehr über den Unfall wissen wollte?

Er trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum und starrte aus dem Fenster. Scheinbar ging nicht nur mir der zähe Verkehr auf Dauer auf die Nerven.

Dabei mussten wir heute diesen merkwürdigen Freund seines Vaters finden und wir hatten keine Ahnung, ob wir ihn zu Hause antreffen würden, oder in irgendeiner Spelunke. Ich hatte keine Lust einen auf Kopfgeldjäger zu machen, wenn es nicht mal eine Belohnung dafür gab.

Ich sah aus dem Fenster und beobachtete die anderen Fahrer, die heute scheinbar genauso genervt zu sein schienen wie wir.

„Wieso hast du dich eigentlich auf Jason eingelassen? Ich meine, ihr werdet euch doch kaum sehen und die ganze Zeit nur über Handy zu kommunizieren ist doch auch doof!“, meinte ich zu Lake.

Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Mich störts nicht sonderlich. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ihrem Freund den ganzen Tag lang auf den Hacken hängen. Wir brauchen beide unseren Freiraum und von daher passen wir doch perfekt zueinander. Und wenn er wieder hierher kommt, verbringen wir ja wahrscheinlich doch nur den ganzen Tag miteinander im Bett. Was will man mehr?“

Ich grummelte. „Manchmal kannst du echt widerlich sein!“, murrte ich. Lake lachte. „Ja? Danke!“ Nicht einmal das konnte ihn aus der Ruhe bringen. Ich starrte Lake eine Weile lang an, bis er zu mir aufsah. „Was ist?“

„Mir ist langweilig!“, meckerte ich und sah ihn auch dementsprechend an. „Tja, da kann ich nun mal nichts machen. Du wirst eben warten müssen, bis der Stau sich gelegt hat!“, erwiderte Lake und sah wieder auf sein Handy.

Elias startete den Motor und fuhr los. Erfreut drehte ich mich wieder um und setzte mich richtig auf den Sitz, nur um ein paar Meter weiter feststellen zu müssen, dass wir wieder ausharren mussten, da die Autos vor uns erneut anhielten.

So langsam ging es mir wirklich auf die Nerven und ich war stark am Überlegen, ob ich mir tatsächlich einen Führerschein anschaffen wollte. Das sollte ich mir dann wohl doch noch einmal überlegen. Es gab ja auch noch Bus und Bahn, redete ich mir ein.

Guadalupe war doch gar nicht so weit entfernt, wieso brauchten wir jetzt nur so lange? Wir verbrachten hier den halben Tag im Stau, dabei könnten wir schon lange in der Stadt sein. Genervt verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Mir taten die Beine weh und ich wollte sie endlich ausstrecken, aber hier im Auto ging das nun mal nicht so einfach. Lake hatte es da wesentlich einfacher. Er konnte es sich auf der Rückbank gemütlich machen.

Vielleicht sollte ich mal auf der Rückfahrt mit ihm tauschen? Aber dann gab es bestimmt keinen Stau mehr. Ich hatte doch immer solch ein Pech!

„Warst du schon mal in Guadalupe?“, fragte ich Elias. Leider erhielt ich nur ein Kopfschütteln. Musste er es mir so schwer machen?

Ich sah aus meinem Fenster und betrachtete gelangweilt was sich dort so tat. Nämlich nichts! Die Autos standen auf ihren Plätzen und es gab einfach kein vorankommen. Die Autofahrer fand ich noch am lustigsten. Während die meisten Männer ebenfalls kurz vor dem Ausrasten standen, saßen die Frauen da schon wesentlich geduldiger im Auto und beschäftigten sich mit Heften oder dem Inhalt ihrer Handtaschen. Spätestens wenn sie auf Toilette mussten waren sie wahrscheinlich genauso schlecht drauf wie die Männer.

Ich seufzte und lehnte meinen Kopf an das kühle Fenster. Man merkte langsam dass das Wetter wieder umschlug. Bald war der Sommer wieder vorbei. Schade, dass es so schnell zu gehen schien. War ja sowieso kein toller Sommer gewesen. Momentan ging alles drunter und drüber und das es wieder so schlecht mit mir und Elias lief, war auch nicht so toll.

Mein Blick glitt zu unserem Fahrer und am liebsten würde ich ja mit ihm reden, aber es brachte nun mal nicht allzu viel, wenn er nicht vor hatte mir zu antworten. Zu dumm aber auch! Vielleicht wäre es ja sogar besser gewesen, wenn ich einfach daheim geblieben wäre? Dann hätten wir ganz bestimmt nicht so viel Ärger miteinander.

Das Auto setzte sich wieder in Bewegung und endlich konnten wir mal mehr als zwei Meter weiter fahren. Zum Glück war es nicht so heiß, sonst würden wir hier wirklich noch im Auto eingehen!

Mein Fuß wippte auf und ab und ich wollte langsam wirklich von der Autobahn runter. Das nervte einfach nur.

„Können die Leute nicht fahren? Die sollten lieber Zuhause bleiben, wenn sie nicht in der Lage sind zu fahren!“, meckerte ich aufgebracht und ließ meinem Unmut freien Lauf.

„Meistens liegt es an Baustellen, dass Staus entstehen. Würde jeder im gleichen Tempo fahren, würde es auch nicht zu einem Stau kommen. Man sollte sich mal ein Beispiel an Ameisen nehmen. Hast du mal die Arbeiter beobachtet? So eine kleine Ameisenstraße bleibt ständig in Bewegung, weil alle das gleiche Tempo haben.“, erklärte Elias.

Ich sah erstaunt zu ihm. „Ameisen?“, fragte ich ihn belustigt. Elias verzog seinen Mund. Da war ich wohl schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten.

„Das hört sich interessant an! Woher weißt du das?“, fragte ich ihn, um die Situation noch zu retten.

„Aus dem Fernsehen!“, meinte Elias und damit war unser Gespräch auch schon wieder vorbei. „Aha...“ Ich wusste nicht, was ich dazu noch sagen sollte. Mir wollte einfach nichts einfallen. Ich ließ den Kopf hängen und sah auf meinen Schoß. Es brachte mir wohl mehr, wenn ich die Fahrt einfach verschlafen würde.

Wir fuhren Stück für Stück weiter und so langsam ging es auch endlich mal schneller voran. Der Stau begann sich zu lösen und die Autos verteilten sich wieder. Es war wirklich eine Baustelle, die wahrscheinlich schon seit Monaten hier unvollendet war. Beendete hier jemand eigentlich mal seine Arbeit?

Wir fuhren an der Baustelle vorbei und konnten dann die Spur wechseln. Elias steigerte das Tempo und so kamen wir ein gutes Stück vorwärts, ohne noch einmal in einen Stau zu geraten. Wir hatten Glück, dass auf unserer Strecke nur ein Hindernis war.

„Hol schon mal die Karte heraus.“, meinte Elias und endlich bekam ich wieder eine Beschäftigung. Wir mussten nämlich das Haus suchen, in dem dieser Frank Heyes wohnte. Da wir uns nicht auskannten, mussten wir einen Stadtplan zur Hilfe nehmen, den wir uns am Computer im Hotel ausdrucken konnten. Ich öffnete das Fach vor meinen Beinen und nahm die Karte heraus. Ich faltete sie auseinander und suchte nach der Straße zu der wir wollten. Wie gut, dass Elias' Oma die Adresse kannte, sonst wären wir aufgeschmissen gewesen. Wer wusste, wie viele Frank Heyes es hier gab?

Wir brauchten eine ganze Weile um die Straße zu finden, da sie ziemlich versteckt lag. Der Appartement-Komplex sah nicht sehr einladend und ziemlich heruntergekommen aus. Überall an der Hauswand waren Graffiti und Jugendliche tummelten sich in einer Seitengasse herum, rauchten und tranken. Nicht sehr einladend.

„Wollen wir da wirklich rein?“, fragte ich Elias entsetzt, dem das Grauen ebenso ins Gesicht geschrieben stand. Das war ja schlimmer als ein Horrorfilm!

Lake nahm uns die Entscheidung ab, denn er hatte das Auto längst verlassen, während wir noch fassungslos auf das Haus sahen. „Na los! Wird’s heute noch was mit euch beiden verschreckten Hühnern?“

Ich brummte und stieg aus dem Auto, als Lake die Tür einfach so aufriss. Ganz wohl war mir bei der Sache dann doch nicht. Wahrscheinlich war dieser Heyes ein Trinker und bestimmt nicht erfreut mit uns über die schöne alte Zeit zu reden. Wir wollten ja nur Elias Vater finden, aber ob Heyes uns helfen würde war eine ganz andere Frage.

„Vielleicht sollten wir es doch lieber mit einem Detektiv versuchen?“, meinte ich vorsichtig zu Elias. Ich war nicht scharf drauf Prügel einstecken zu müssen.

„Wir ziehen das jetzt durch! Ich habe nicht umsonst so lange im Stau gesteckt, nur um wieder heim zu fahren! Ich will es endlich hinter mir haben und meinen Vater finden!“, meinte Elias stur und ging festen Schrittes zum Haus herüber.

Ich sah zu Lake, der mal wieder blöd grinste und folgte den beiden Jungs. Ich trat auf etwas und nahm meinen Fuß zurück. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, als ich die zerbrochene Spritze auf dem Fußgängerweg liegen sah. Das würde ganz sicher kein gutes Ende nehmen!

Hastig holte ich auf und ging zögerlich hinter den Jungs her zur Haustür. Elias suchte nach dem Klingelknopf, fand ihn und drückte drauf. Nichts passierte. „Scheint kaputt zu sein...“, stellte er fest. Wen wunderte das?

Elias griff nach der Tür, doch die war leider verschlossen. „Und jetzt?“, fragte er in die Runde.

Lake trat einen Schritt vor und betätigte einfach alle Klingelknöpfe. Der Summer ertönte und wir sahen ihn an, als käme er von einem fremden Planeten. „Was ist?“, fragte er nur belustigt und öffnete die Tür. Wir folgten ihm. Der Junge überraschte mich irgendwie immer wieder aufs Neue.

Langsam gingen wir hinein und folgten dem langen, nur spärlich beleuchteten Flur, bis wir eine Treppe erreichten. Sobald Lake seinen Fuß darauf gesetzt hatte, knarzte es und ich bekam Angst, dass die Stufen noch unter uns zusammenbrechen würden.

„Elias? Kann ich nicht im Auto warten?“, fragte ich und blieb am Treppenabsatz stehen. Ich wagte mich kaum die erste Stufe zu nehmen. Elias sah zu mir herunter. „Na komm schon!“, meinte er und hielt mir seine Hand entgegen. Ich presste meine Lippen aufeinander und nach kurzem Zögern nahm ich seine Hilfe doch an.

Lake hatte bereits den nächsten Stock über uns erreicht und schnell folgten wir ihm. „Ich hab's!“, rief er uns zu und zeigte neben der Tür auf eine Klingel auf der ein Name stand. Heyes.

Lake klingelte. Wir warteten ab, doch es tat sich nichts. Er probierte es erneut und wieder kam nichts. Er hob seine Hand und hämmerte gegen die Tür. „Mr. Heyes? Sind Sie da? Mr. Heyes!“, rief er nun lauter.

Ich hörte ein knarzen und sah zu der Treppe. Ein Mann kam uns entgegen. Er war nicht sehr groß, hatte schütteres dunkles Haar und einen dichten Bart. Er wirkte irgendwie chaotisch auf mich. Seine Kleidung schien länger nicht gewaschen worden zu sein. Er roch extrem nach Alkohol und Rauch. Er sah aus wie ein Obdachloser.

„Was wollt ihr?!“; blaffte er uns gereizt an und fischte aus der Hosentasche seine Schlüssel. Er drängte Lake unsanft zur Seite und öffnete die Tür.

„Sind sie Frank Heyes?“, fragte Lake.

Der Mann drehte sich zu uns um, kratzte sich an seinem dicken Bauch und zeigte mit den Schlüsseln in der Hand auf sein Klingelschild. „Wer sonst! Was wollt ihr?!“

„Sie sind ein Freund meines Vaters, richtig?“, fragte Elias ihn nun. „Joseph Holden.“

Heyes zog seine Augenbrauen zusammen und sah Elias prüfend an. „Du bist groß geworden!“, stellte er fest. „Was ist mit Joseph?“, wollte er nun wissen und sah Elias noch immer skeptisch an.

„Nun, das wollen wir eigentlich wissen. Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Er hat mich und meine Mutter, Evelyn, damals sitzen gelassen. Ich will ihn finden. Meine Großmutter meinte, Sie müssten wissen, wo er steckt!“, klärte Elias den Mann auf.

„Gott, ich hab Joseph schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen!“, meckerte Heyes. „Ich will ihn auch nicht mehr sehen! Der Kerl hat mir mein Geschäft vermasselt!“

„Was für ein Geschäft?“, fragte Elias lauernd.

„Das geht euch nichts an! Verschwindet und lasst euch hier nicht mehr sehen!“, meinte Heyes aufgebracht. Er wollte die Tür hinter sich schließen, doch Lake schien das anders zu sehen. Er stellte seinen Fuß zwischen Tür und Angel und hinderte Heyes so daran.

„Wir brauchen wirklich Ihre Hilfe! Bitte! Sie müssen doch wissen, wo er sich so herumgetrieben hat!“, meinte er eindringlich.

„Wenn wir uns getroffen haben, dann nur ein paar Straßen weiter in einer Bar. Wir haben uns volllaufen lassen und irgendwann wollte er in meine Geschäfte einsteigen, als er erfahren hat, wie viel Geld es einbringt. Ein Fehler, sag ich euch! Er hat mir die ganze Tour vermiest! Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen!“, meckerte Heyes.

„Ja, aber wo kann er jetzt stecken?“, fragte Elias ihn eindringlich, damit Heyes endlich mal auf den Punkt kam.

„Was weiß ich?! Als es drunter und drüber ging, ist er untergetaucht! Sein Glück! Sonst hätten diese Kerle ihn wohl kalt gemacht! Wenn ihr ihn findet, richtet ihm aus, er soll sich nie wieder hier blicken lassen!“

Heyes wirkte ziemlich einschüchternd auf mich mit seinem wütendem Gesicht, wenn er rot anlief und seine wilde Gestik ließ auch vermuten, dass er nicht zu Scherzen aufgelegt war.

„Haben Sie denn wirklich keine Ahnung, wo er sein könnte?“, fragte Lake noch einmal.

„Wie oft denn noch?! Nein! Ich will es auch nicht wissen!“, erwiderte Heyes genervt.

Unschlüssig sahen wir uns an. Das half uns wirklich nicht sehr weit. War das schon unser Ende? Mussten wir aufgeben? Brauchten wir jetzt doch einen Detektiv?

Heyes griff nach seiner Tür. „Seht zu, dass ihr verschwindet!“ Die Tür knallte vor unserer Nase zu.

Deprimiert gingen wir den Flur entlang, die Treppe herunter und verließen das Haus. Was sollten wir jetzt nur tun? Wir waren für nichts und wieder nichts nach Guadalupe gefahren.

„Ich dachte wirklich, Heyes könnte uns weiterhelfen...“, meinte Elias und sah sich die heruntergekommene Wohngegend an. Ich sah zu ihm und wusste auch nicht weiter, ebenso wie Lake.

„Vielleicht weiß er es ja und wollte es uns nicht sagen, weil er etwas zu verbergen hat?“, vermutete Lake.

„Gehst du jetzt unter die Ermittler?“, fragte ich Lake belustigt.

Lake blickte zu mir. „Irgendwie müssen wir ja zu einem Ergebnis kommen und wenn Heyes uns nicht helfen will oder kann, dann müssen wir nach einer Alternative suchen.“

„Ich komme mir langsam vor, wie bei den drei Fragezeichen!“, erwiderte ich seufzend.

„Sam, das ist ein Abenteuer! Das müssen wir ausnutzen!“, meinte Lake lachend und ging zurück zum Auto. „Wie geht’s weiter Maestro?“, fragte Lake und wandte sich an Elias.

„Ich habe die Nummer von einem Detektiv. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir es selber schaffen könnten, aber das wird wohl nichts...“, meinte Elias und fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare.

„Was ist mit der Bar?“, wollte Lake wissen.

Elias und ich sahen ihn verwundert an. Was sollte damit sein?

„Sie haben sich immer in einer Bar getroffen. Hier in der Gegend. Sie haben ihre Geschäfte dort abgewickelt! Vielleicht kannte jemand deinen Vater und weiß etwas über ihn?“, schlug Lake nun vor.

Elias schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall! Lake, ich will meinen Vater finden, keinen Machenschaften nachgehen! Es interessiert mich nicht, was er gemacht hat und ich will keinen Ärger kriegen! Wir wissen nicht, was das für Leute sind! Ich werde den Detektiv anrufen, der alles weitere für uns erledigen wird!“

Lake schlug die Tür des Wagens wieder zu, nachdem er sie geöffnet hatte. „Nichts da! Wir haben Stunden in diesem elenden Stau verbracht. Heyes war keine Hilfe! Ich will nicht umsonst hierher gekommen sein! Ihr könnt ja hier warten, wenn es euch zu brenzlig wird, aber ich gehe mich hier mal umsehen und schaue ob ich die Bar finde!“

Gesagt, getan. Lake ging an uns vorbei, steckte sich die Hände in die Hosentaschen und ging den Fußgängerweg entlang. Ich sah Elias an und knabberte auf meiner Unterlippe. Was jetzt? „Gehen wir ihm nach?“, fragte ich den Jungen neben mir.

„Natürlich! Lake reitet sich sonst nur wieder in irgendwelchen Mist rein!“, erwiderte Elias, griff nach meinem Handgelenk und zerrte mich auch schon hinter sich her.

Wir holten schnell auf und gesellten uns zu Lake, unserem scheinbar neuen Anführer. Ich wusste noch nicht so genau, ob es wirklich eine gute Idee war. Aus dem Fernsehen kannte ich die Kneipenschlägereien und in so eine wollte ich nun nicht so gerne hineingeraten. Dafür war mir mein Leben doch zu wertvoll.

Wir sahen uns die Seitenstraßen an, aber irgendwie fanden wir nichts was auf eine Bar hindeutete. Lake ging eine Straße zurück und sah sich die Gasse an. Er sah zu uns und winkte uns zu sich. Neugierig was er wohl gefunden haben mochte, gingen wir zu ihm.

„Hast du etwas gefunden?“, fragte Elias Lake. Dieser nickte und zeigte zu einer unscheinbaren Tür, die wir beim ersten Mal, als wir vorbeigegangen waren, nicht bemerkt hatten. „Das ist sie!“, meinte Lake und ging vorweg auf die Tür zu. Ich wusste nicht, wie er sich da so sicher sein konnte, aber ich folgte ihm mit Elias im Schlepptau, neugierig darauf, was uns erwarten würde.

Lake griff nach der Türklinke, da es keine Klingel gab und öffnete die Tür. Sie scharrte über den Asphaltboden und von weiter hinten konnte ich leise Musik wahrnehmen. Lake schien recht gehabt zu haben. Scheinbar waren wir hier ja doch noch richtig.

Wir gingen ein paar Stufen herunter, in einen langen dunkel beleuchteten Flur. Es wirkte ordentlich und nicht so heruntergekommen, wie diese Kneipen und Bars in den Filmen, eher etwas für die reichere Schicht. Nur wieso ausgerechnet in so einem Kaff wie diesem?

Ich schielte zu Elias. Was hatte sein Vater hier wirklich gemacht? Hatte er etwa mit Drogen gedealt? Oder war da noch mehr? Etwas von dem wir nicht wissen konnten?

Lake ging den Gang entlang und blieb vor einer dunkelbraunen Tür stehen. Er sah kurz zu uns, ehe er sie öffnete und den Raum betrat. Von drinnen kamen gedämpfte Stimmen und leise Musik. Von hier kam es also. Ich folgte Elias und schloss die Tür wieder hinter mir. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Was erwartete uns nun?

Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller. Es war nicht sehr voll, nur vereinzelt saßen Männer in Anzügen herum und unterbrachen ihre Unterhaltungen, als sie uns eintreten sahen. Der Barkeeper stand an der Coctailbar und sah uns entgegen. Wirklich vertrauenserweckend sah es nicht aus und wäre ich alleine, hätte ich wohl schleunigst den Heimweg angetreten.

Lake ging zielstrebig zur Bar und ignorierte die Blicke der Männer, die er auf sich zog. Doch auch uns ließen sie nicht aus den Augen. Scheinbar kamen selten so junge Leute wie wir hierher?

„Euch ist klar, dass ich euch noch keinen Alkohol ausgeben darf?“, fragte der Barkeeper uns. Lake lächelte und machte es sich auf einem Hocker bequem. „Deswegen sind wir auch nicht hier!“, meinte er und verhielt sich dem Mann gegenüber so, als wären sie alte Bekannte. Worauf wollte er nur hinaus?

Elias und ich taten es ihm gleich, nur um nicht länger den nervigen Blicken der Fremden ausgeliefert zu sein. Ich fühlte mich hier wirklich nicht sehr wohl. Ich rückte näher an Elias heran und sah mich immer wieder um, als würde jeden Augenblick eine Schlägerei beginnen oder womöglich sogar eine Razzia!

„Was wollt ihr dann?“, fragte der Barkeeper Lake und verschränkte seine Arme auf dem Tresen. Er beugte sich vor und sah Lake interessiert an. Würde ich nicht wissen worum es ging, würde ich glatt denken, die beiden flirteten miteinander. Ich beobachtete sie. Würde Lake wirklich so etwas machen?

Würde er. Lake lächelte ihn an und zeigte offen sein geheucheltes Interesse an dem Mann. Erstaunlicherweise sprang dieser darauf an. War ich hier im falschen Film? Wie konnte Lake wissen, dass der Mann schwul war? Ich hatte es ihm nicht angemerkt.

„Wir suchen einen Joseph Holden. Haben Sie schon mal von ihm gehört?“, fragte Lake den Mann vor sich und betrachtete ihn unverhohlen. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

„Hm, nein, der Name kommt mir nicht bekannt vor.“, meinte der Barkeeper und fuhr sich durch seine schwarzen Haare. Er sah wirklich gut aus, wenn man ihn mal näher betrachtete. Wäre Lake nicht schon mit meinem Bruder zusammen, wäre ich wohl dafür, dass die beiden ein gutes Paar abgeben würden.

„Ah, jetzt fällt es mir wieder ein! Er hieß nicht Holden, sondern Joseph Deklin! Er war öfter hier, aber nach einiger Zeit hatte er sich hier nicht mehr blicken lassen!“, meinte der Barkeeper gut gelaunt zu Lake. Dieser hob seine Augenbraue, auch wir sahen ihn verwirrt an. „Sind Sie sicher?“, hakte Elias nach. Der Barkeeper nickte.

Wieso hatte Joseph Evelyns Nachnamen verwendet?

Früh arbeiten macht nur früh müde.



„Ich weiß nicht genau, was er gemacht hatte, aber Mr. Deklin hat sich sehr oft hier mit einigen Männern getroffen. Worum es ging, weiß ich nicht. Wahrscheinlich irgendwelche Geschäfte.“, erzählte der Barkeeper uns.

Das waren leider nicht sehr viele Hinweise und hilfreich war es uns schon gar nicht. Wir wollten ja nur wissen, wo er steckte und das half uns wirklich nicht weiter. Ich schielte zu Elias und so langsam war ich immer mehr der Meinung, dass wir einen Detektiv einschalten sollten, auch wenn wir bereits ohne Hilfe recht weit gekommen waren.

„Kommt jemand von diesen Männern noch regelmäßig hier her?“, fragte Lake den attraktiven Barkeeper. Dieser stützte sich mit den Händen an der Theke ab und schien zu überlegen. Sein Blick schien in die Ferne gerichtet zu sein und ein kleiner Funke Hoffnung machte sich in mir breit.

Der sofort erlosch, als der Barkeeper den Kopf schüttelte. „Ich bin mir nicht sicher. Es wäre gut möglich, aber ich kann mir auch nicht alle Gesichter merken.“ Lake nickte und lächelte ihm zu, ehe er uns ansah.

Elias zuckte mit den Schultern. Das brachte uns wirklich nicht mehr weiter. Elias wirkte deprimiert und ich konnte ihn gut verstehen. Wir kamen hier wirklich nicht voran.

Elias Vater hatte also hier irgendwelche Männer unter falschem Namen getroffen und krumme Geschäfte gedreht. Wofür? Um mehr Geld zu verdienen? Er war hier oft trinken gegangen, also aus Leichtsinn? Ich verstand es einfach nicht. Was war der Grund? Und wieso hatte er seinen eigenen Namen nicht verwendet? Er hätte Evelyn und Elias damit in Gefahr bringen können. Hatte er daran denn nicht gedacht?

Ich musterte Elias, der lediglich auf die Tischplatte vor sich starrte. Was wohl gerade in ihm vor ging? Ich wüsste es ja zu gern. Ich wollte ihm helfen, aber mir waren die Hände gebunden.

„Das hat alles keinen Sinn. Vielleicht sollten wir es einfach lassen.“ Elias Stimme klang resigniert. Gab er etwa jetzt schon auf? Wollte er alles hinwerfen?

Lake legte ihm seine Hand auf die Schulter und warf mir einen kurzen Blick zu. War hier wirklich schon Endstation für uns? Es konnte doch gut möglich sein, dass einer dieser Männer die mit Jospeh gearbeitet hatten öfter noch hierher kam. Wir müssten nur die Augen offen halten!

Ich beugte mich auf dem Tresen vor und sah zu dem Barkeeper. „Können Sie uns Anrufen, wenn Sie etwas hören?“ Der Typ arbeitete doch hier, dem sollte eigentlich etwas auffallen, zumindest hoffte ich es.

„Ich arbeite hier. Es ist nicht meine Aufgabe, meine Kunden auszuspionieren.“ Der Barkeeper warf mir einen kurzen skeptischen Blick zu. Lake beugte sich nun auch vor. „Vielleicht könnten Sie ja mal eine Ausnahme machen?“, fragte er galant und strich dem Mann vor sich kurz mit seinen Fingern über dessen Handrücken. Der Barkeeper senkte den Blick.

„Jungs, ihr bringt mich noch in Teufels Küche! Wenn das raus kommt, hab ich auch Ärger am Hals!“, meinte er kopfschüttelnd. Bettelnd sahen wir ihn mit unseren Dackelaugen an und ich hoffte wirklich, dass er noch mal seine Meinung ändern würde.

„Na ja, vielleicht lässt sich da ja was machen.“ Der Mann sah uns resigniert an und auf unsere Gesichter schlich sich ein breites Lächeln. Jetzt hatten wir ihn so weit und konnten nur hoffen, dass er etwas herausfinden würde. Das wäre wirklich großartig!

Elias sah ebenfalls etwas besser aus. Wir mussten nur am Ball bleiben und uns nicht abschrecken lassen, egal wie schwierig es werden würde. Hoffentlich sah er es genauso positiv wie ich?

Da wir den Barkeeper nicht länger von seiner Arbeit abhalten wollten, wenngleich sowieso eher wenig zu tun war, beschlossen wir die Bar zu verlassen und gingen langsam zurück zu unserem Auto. Wir würden nun warten müssen, es sei denn uns fiel noch etwas anderes ein. Mein Kopf jedenfalls war blank und ich hatte leider keinen Geistesblitz. Lake und Elias sahen allerdings auch nicht besser aus.

„Ist es nicht komisch, dass Joseph einen anderen Nachnamen verwendet hat? Ich meine, was hat es ihm gebracht sich für jemand anderen auszugeben?“, fragte ich in die Runde, als wir am Wagen ankamen und Elias ihn aufschloss. Erstaunlicherweise schien noch alles da zu sein, wenn man bedenkt, in welcher Gegend wir geparkt haben.

Wir stiegen ein und Elias zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Vielleicht hatte er ja schon genug Dreck am Stecken und wäre mit seinem richtigen Nachnamen nur ins Visier der Leute geraten?“, vermutete Lake.

„Welcher Leute?“, fragte ich ihn und drehte mich zu Lake herum, während Elias den Wagen zurück auf die Straße dirigierte. Wir fuhren bis zu einer Kreuzung und landeten wieder auf der Hauptstraße.

„Na ja, irgendwelche halt! Leute mit denen er schon mal zu tun hatte und die vielleicht nichts davon mitkriegen sollten, dass er noch etwas nebenbei am laufen hatte, weil es ihn möglicherweise in Schwierigkeiten bringen könnte!“

Klang plausibel, aber wäre das nicht gefährlich? Mir gefiel der Gedanke einfach nicht, dass er locker Evelyn und Elias mit hineinreißen konnte. Was, wenn er irgendwo da draußen herumlief? Wenn die Leute, die ihn kannten sich Evelyn als Geisel nehmen würden oder wenn sie uns fanden, weil wir so dreist waren Elias Vater auf eigene Faust zu suchen?

So langsam wurde mir mulmig zumute und ich war mir wirklich nicht sicher, ob es so eine gute Idee gewesen war, Joseph zu suchen. Mal ganz davon abgesehen, dass meine Eltern sich wahnsinnige Sorgen machen würden. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie sie reagieren würden, wenn ich heimkam!

Lake und Elias würden da wohl eher weniger Probleme kriegen als ich. Ich sah aus dem Fenster und ließ meine Gedanken schweifen. Ich wusste nicht wohin das Ganze uns führen würde. Bis jetzt lief ja alles noch relativ einfach, aber es könnte doch sein, dass wir Ärger bekommen würden. Machte ich mir zu viel Sorgen?

Ich hatte mir nie sonderlich Gedanken über etwas gemacht. Seit wann ging das so? Lake meinte, ich würde Elias kopieren. Färbte der Umgang mit ihm auf mich ab? Wo war der alte Sam geblieben? Ich wollte keine billige Kopie von Elias sein. Unmöglich, wie kam ich überhaupt auf die Idee? Niemand ist gleich. Auch nicht ich und Elias. Wir waren völlig unterschiedlich!

Irgendwie wurde alles nur noch komplizierter. Vielleicht sollte ich einfach aufhören zu denken? Das würde mir sicher einiges erleichtern. Ironisch grinste ich vor mich hin. Als ob dadurch alles einfacher werden würde...


◆ ◆ ◆




Zurück im Hotel setzten wir uns in der Küche an den Tisch. Die Stimmung war noch immer bedrückt und jeder hing seinen Gedanken nach. Elias war schon die ganze Zeit ruhig. Okay, so war er schon immer, aber diesmal war er stiller als sonst. Er tat mir Leid und ich würde ihm so gerne helfen, aber im Moment war ich machtlos und hatte keine Idee was wir tun sollten.

„Soll ich uns etwas kochen?“, fragte Lake in die Runde und ich nickte. Etwas zu essen könnte ich wirklich vertragen. Bis auf das Frühstück hatte ich noch nichts gegessen und wir waren an diesem Tag ziemlich lange unterwegs gewesen.

Lake stand auf und ging zu den Tüten. Er nahm einige Zutaten heraus und ging zum Kühlschrank um das Gemüse herauszuholen. Ich sah ihm beim zerkleinern der Zutaten zu und wie er alles in eine Pfanne gab. Nach kurzer Zeit duftete es herrlich und mein Magen machte sich bemerkbar.

„Ich lege mich hin, bis das Essen fertig ist.“ Elias stützte sich am Tisch ab und stand auf. Ich sah ihm hinterher, als er den Raum verließ und sah dann zu Lake.

„Bleib hier. Er braucht auch mal ein bisschen Ruhe für sich.“ Lake sprach mit mir ohne mich dabei anzusehen und gab ein paar Gewürze zum Gemüse hinzu. Dann befüllte er den köchelnden Topf daneben mit Nudeln.

Ich nickte und sah auf die Tischplatte vor mir. Irgendwie gefiel es mir nicht, dass wir uns jetzt alle so anschwiegen und keiner etwas zu sagen hatte.

„Schwarzarbeit oder? Also ich meine, dass was Elias Vater gemacht hat, dass war doch wohl kaum richtige Arbeit, nicht wahr?“, fragte ich Lake.

„Sicher. Irgendwelche krummen Geschäfte hatte der am laufen. Ich frage mich nur wofür er das Geld so dringend benötigte und was er gearbeitet hatte.“

Ich nickte erneut und verschränkte meine Arme auf dem Tisch, legte meinen Kopf darauf und brummte leise. Ich hätte nie gedacht, dass Elias Vater solche Dinge machen würde. Ich dachte immer er hätte sie nur im Stich gelassen, weil er Angst vor der Verantwortung gehabt hatte oder weil er möglicherweise mit einer anderen Frau durchgebrannt war. Oh je, ich schaute eindeutig viel zu viele Dokusoaps mit meiner Mutter!

Apropos Mutter... Ein bisschen Angst hatte ich ja schon wieder zurückzufahren. Meine Eltern würden mich bestimmt irgendwelche lästigen Arbeiten machen lassen oder mir sonst was für Strafen aufdrücken. Darauf war ich nicht sonderlich scharf.

Mein Magen knurrte erneut, nur diesmal lauter. Lake kicherte amüsiert und stellte sich hinter mich. Er lehnte sich gegen meinen Rücken und wuschelte mir durch meine Haare.

„Mach dir nicht so viele Sorgen, das passt überhaupt nicht zu dir!“, meinte er grinsend und hielt meine Hände auf den Tisch gedrückt, als ich mich wehren wollte.

„Lass meine Haare in Ruhe!“, murrte ich. Klar, er hatte ja Recht, aber meine Gedanken abschalten konnte ich noch nicht.

„Sieh es mal so! Wenn wir Elias Vater nicht finden und wirklich nicht weiter kommen, auch nicht mithilfe des Detektivs, so hat er doch immer noch uns und wir kümmern uns schon um ihn, damit er uns nicht eingeht wie eine Pflanze!“, versuchte Lake mich aufzumuntern.

„Werde du erst mal wieder so ein Biest, dann nehme ich deinen Vorschlag auch an!“, murrte ich.

Lake lachte und ließ von mir ab. „Wieso sollte ich schlechte Laune haben, Kleiner? Ich bin verliebt, da habe ich keine Zeit Trübsal zu blasen!“

Er ging zurück an den Herd und sah nach dem Rechten. „Hol schon mal das Geschirr raus und dann kannst du Elias holen!“, forderte er mich auf. Ich kam seiner Bitte seufzend nach und ging zum Schrank, öffnete die Tür und nahm drei Teller heraus. Ich suchte noch nach dem Besteck und Gläsern. Als alles auf dem Tisch stand begann Lake die Teller zu füllen und ich ging nervös zum Schlafzimmer.

Elias lag auf dem Bett, als ich hinein ging. Ich betrachtete einen Moment lang seinen schmalen Körper. Von hinten sah er nicht sehr männlich aus. Seine dunklen schwarzen Haare müssten mal wieder geschnitten werden. Er hatte sich die Hose ausgezogen und lag lediglich mit Shirt und Boxershorts im Bett. Seine Haut war so blass. Ich sah auf meine Arme, die mal wieder schön dunkel waren. Kaum verbrachte ich meine Zeit im Freien bekam ich Farbe im Gesicht. Elias wirkte da eher wie eine wandelnde Leiche.

Ich ging zum Bett, kletterte auf die freie Bettseite und legte mich zu Elias. Ich schmiegte mich an seinen Rücken und legte ihm einen Arm um.

„Vielleicht sollten wir einfach aufhören?“, meinte er leise. Ich spitzte die Ohren und hatte das Gefühl etwas verpasst zu haben.

„Aber wieso? Wenn wir nicht weiterkommen, schalten wir den Detektiv ein, den du gefunden hast! Keine Sorge, wir finden ihn schon noch!“, versuchte ich Elias aufzumuntern.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe mir überlegt, was ich ihn alles fragen will und so weiter, aber was bringt mir das eigentlich? Schön, dann weiß ich wer er ist, dann weiß ich vielleicht auch wieso er Mum und mich verlassen hat, aber das bringt ihn ihr auch nicht mehr zurück! Sie vermisst ihn, aber ich denke nicht, dass er sich umentscheiden wird. Wir haben ihn jahrelang nicht mehr gesehen, wieso sollte er ausgerechnet jetzt noch seine Meinung ändern? Möglicherweise hat er längst ein völlig neues Leben angefangen und wenn ich dann auftauche, zerstöre ich alles und dann bin ich es, der eine Familie auseinander reißt...“

Ich klammerte mich an Elias und küsste ihn im Nacken. Was sollte ich ihm denn jetzt sagen? Ich wollte nicht, dass er aufgab, aber ein wenig Angst hatte ich schon. Ich wusste ja nicht, was uns erwarten würde, ebenso erging es Elias.

„Egal, wie du dich entscheidest. Ich bleibe bei dir.“

Elias drehte sich in meiner Umarmung um, so dass ich ihm jetzt in sein bitteres Gesicht sehen konnte. Ich musste schlucken. Er tat mir unheimlich Leid. Ich wollte nicht, dass er so litt.

„Du willst bei mir bleiben, aber nicht mit mir zusammen sein. Weißt du wie das schmerzt? Ich habe Gefühle für dich, aber wenn du sie nicht erwiderst und ich dich trotzdem jeden Tag sehe, dann geht es mir dadurch auch nicht besser. Ich will auch nicht, dass du mit jemand anderem zusammen kommst. Das würde ich einfach nicht ertragen!“ Elias versteckte sein Gesicht in meinem Hemd und hielt sich an mir fest.

Ich fühlte mich elendig. Allein mit meiner bloßen Anwesenheit schien ich alles nur noch schlimmer zu machen. Jetzt machte ich mir auch noch Vorwürfe.

Sollte ich alles so lassen wie es war? Mit Elias zusammen bleiben, mit ihm die Nächte verbringen und so tun, als wäre es wie immer? Damit könnte ich aber nicht leben. Ich wollte meine Freiheit, wenigstens ein bisschen und ich konnte nicht mit Elias zusammen sein und solche Sachen mit ihm machen, wenn ich einfach nichts für ihn empfand. Doch, natürlich mochte ich ihn sehr, aber ich wusste nicht, ob es Liebe war.

Ich war doch noch nie verliebt, wie sollte ich es denn wissen?

Wir sind immer durch dick und dünn gegangen, waren füreinander da und noch immer unzertrennlich. Wir waren Freunde, aber mehr? Konnte aus Freundschaft so schnell Liebe werden? Wann hatte Elias gemerkt, dass er mich liebte? Wann war es mehr für ihn geworden? Wieso hatte ich es nie bemerkt? Wieso empfand ich nicht dasselbe für ihn?

Mir schwirrten lauter Fragen durch den Kopf, auf die ich einfach keine Antwort wusste und ich hatte auch Angst davor es zu erfahren. Ich war einfach noch nicht richtig bereit für die Liebe. Konnte man dafür überhaupt bereit sein, oder überrollte es einen einfach?

Ich drückte Elias eng an mich und fuhr ihm mit der Hand durch die Haare. Gerade in so einer schweren Zeit fiel es mir schwer für ihn da zu sein. Ein feiner Freund war ich ihm, aber ich wollte Elias auch nichts vormachen und es dadurch nur verschlimmern.

„Das Essen ist fertig...“, murmelte ich leise. Elias nickte, blieb aber noch liegen und rührte sich nicht. Ich seufzte und löste mich ein Stück von ihm, damit ich mich im Bett hinsetzen konnte. „Komm schon, Elias. Wenn du jetzt auch nichts mehr isst, breche ich alles ab und wir fahren heim!“, murrte ich und zog ihn hoch. Elias sah mich lustlos an und ließ sich hinterher zerren.

Ich bugsierte ihn in die Küche und setzte ihn neben Lake an den Tisch. Es duftete so gut und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Es war eigentlich nur eine Kleinigkeit, die Lake gemacht hatte, aber ich schob nun mal Kohldampf. Ich setzte mich und begann sofort zu essen. Elias hingegen aß eher wie ein Spatz, was mich ein wenig beunruhigte, weil er sowieso schon so dürr war.

Ich konnte ja verstehen, dass er keinen Appetit hatte, wegen der Probleme momentan, aber ich fand es nicht gut, dass er sich gehen ließ. Das würde ich wohl im Auge behalten müssen.

Lake sah zu mir und lachte. „Wenn du weiter so alles in dich rein schaufelst, erstickst du noch!“

„Na und? Wird schon nicht passieren.“ Ich versuchte langsamer zu essen und trank den Orangensaft, den Lake in die Gläser gefüllt hatte.

„Was machen wir jetzt noch?“, fragte ich die beiden Jungs, aber die schienen auch nicht wirklich eine Idee zu haben und zuckten beinahe synchron mit den Schultern. Sollten wir jetzt hier im Hotel versauern? Wir wussten nicht mal ob der Barkeeper sich überhaupt noch einmal bei uns melden würde.

„Fahren wir wieder heim oder bleiben wir hier im Hotel?“, fragte ich nach.

Lake zuckte erneut mit den Schultern. „Fürs Erste wäre es wohl besser wir bleiben noch ein paar Tage hier. Ich denke, dass ist das beste.“

Ich nickte und warf einen kurzen Blick zu Elias, der lustlos in seinem Essen herumstocherte. Scheinbar war ich nicht der einzige, der sich Sorgen um ihn machte, denn Lake sah auch des öfteren zu ihm.

Nach dem Essen verteilten wir uns in dem Appartement. Elias legte sich wieder ins Bett und Lake ging für eine Weile auf sein Zimmer. Ich blieb noch eine zeitlang alleine in der Küche sitzen, ließ mir einiges durch den Kopf gehen und bekam davon leider nichts als Kopfschmerzen. Es hatte alles so gut begonnen, aber nun wurde es immer schwieriger und ich wusste nicht, wie wir das noch packen sollten.

Ich stand auf und ging zu meinem und Elias Zimmer. Diesmal lag er unter der Decke und schien zu schlafen. Genau konnte ich das nicht wissen, da er mir den Rücken zugedreht hatte. Ich knabberte auf meiner Unterlippe und wollte zu ihm gehen, trat einen Schritt ins Zimmer, nur um meinen Fuß zurückzuziehen und im Türrahmen stehen zu bleiben.

Ich drehte mich um und zog die Zimmertür leise zu. Dann ging ich zu Lakes Zimmer. Dort lagen immerhin noch ein paar meiner Sachen.

Ohne anzuklopfen betrat ich das Zimmer und blieb fassungslos stehen. „Was machst du da?“, fragte ich Lake entgeistert.

Er sah ertappt zu mir. Lake lag komplett nackt im Bett und hatte die Beine leicht angezogen. Er war erregt und hielt seinen Penis fest mit seiner Hand umschlossen. Was mich jedoch mehr überraschte, war, dass Lake sein Handy über sich hielt.

„Schon mal was von anklopfen gehört?“, fragte er mich grummelnd und entspannte sich ein wenig.

„Wieso filmst du dich dabei? Wie kannst du überhaupt in so einem Moment... sowas machen?“, fragte ich ihn und blieb stocksteif im Zimmer stehen.

Lake sah mich einen Moment lang an und ließ seine Hand mit dem Handy aufs Bett sinken. „Wann soll ich es denn sonst machen? Wann denkst du ist denn der richtige Zeitpunkt dafür? Wenn alles vorbei ist? Ich habe nun mal Bedürfnisse und im Gegensatz zu dir, lebe ich sie auch gerne aus. Was das Handy angeht, das sollte ein Video für Jason werden. Den Typen muss man bei der Stange halten und ich stehe auf ausgefallene Dinge.“, erklärte Lake, während er sich im Bett aufsetzte und kurz auf seinem Handy herumtippte.

„Du spinnst doch!“

„Schon immer. Kleiner, wenn du etwas willst, dann raus damit, sonst lass mich in Ruhe, damit ich hier weitermachen kann!“, murrte er und sah zu mir.

Ich schluckte. Langsam ging ich auf das Bett zu und setzte mich auf die Bettkante. Die Tatsache, dass Lake nackt war, überging ich galant. „Ich mache mir Sorgen um Elias.“

„Glaubst du ich nicht? Er hat seinen eigenen Kopf, er wird schon wissen, was zu tun ist, denke ich mal.“, erwiderte Lake nur und zog sich die Decke über seine Beine.

„Da ist aber auch noch die Sache mit seinen Gefühlen für mich...“, murmelte ich und zupfte am Bettlaken herum.

„Sam, was erwartest du eigentlich von mir? Ich habe nicht auf alles eine Antwort für dich! Du musst selber herausfinden, was genau du willst. Möglichst schnell, damit Elias sich nicht ewig umsonst Hoffnungen machen muss.“

„Das sagt sich so einfach. Ich will nichts falsch machen!“, erklärte ich Lake und sah ihn stirnrunzelnd an.

„Man macht immer Fehler im Leben. Da kannst du nichts gegen tun. Nur daraus lernen und versuchen es das nächste Mal besser zu machen!“

„Heißt das, ich soll es mit Elias versuchen? Eine Beziehung mit ihm führen und hoffen, dass es gut mit uns läuft?“, fragte ich ihn.

„Das nicht, aber es wäre eine Möglichkeit.“

Ich schwieg einen Moment. Es war nicht das, was ich wollte. Elias wäre glücklich, aber wie würde ich mich mit so einer Entscheidung fühlen? Was, wenn ich mich so richtig in jemanden verlieben würde? Was sollte ich dann mit Elias machen? Würde er es verkraften? Er war so schon ziemlich labil.

„Das ist alles so furchtbar kompliziert!“, meinte ich genervt.

„Wer hat denn gesagt, dass es einfach sein würde?“, erwiderte Lake mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Ich musste lächeln. Das Leben war für mich noch nie einfach gewesen. Seit meinem Aufwachen aus dem Koma. „Glaubst du, dass ist eine zweite Chance für mich? Damit ich einiges besser machen kann?“

Lake zog fragend seine Augenbraue in die Höhe. „Was laberst du da?“

Ich lachte leise und stand vom Bett auf. „Keine Ahnung, kam mir nur kurz in den Sinn. Ich wüsste allerdings nicht, was es da besseres geben sollte. In sechs Jahren kann man nicht so viel falsch machen, wenn man noch ein Kind ist, oder?“

Lake wog seinen Kopf hin und her und sah mich dann einfach nur schweigend an. „Du hast immer auf Elias aufgepasst, er hat sich dafür 12 Jahre lang bei dir revanchiert. Vielleicht bist du jetzt wieder dran, dich um ihn zu kümmern?“, meinte er vage.

Ich blieb kurz im Türrahmen stehen. „Ich weiß es nicht, aber es klingt schön. Dann hätte ich wenigstens mal eine Aufgabe.“

Ich schloss die Tür hinter mir und ließ Lake mit seinem wirren Vorhaben alleine. Ich ging zu Elias und öffnete zögernd die Tür. Ich musste lächeln. Das war doch dumm. Elias war keine Aufgabe für mich, er war mein Freund. Vielleicht nicht so wie er es sich wünschte und auch nicht wie ich es mir wünschte, aber klar war, dass wir einander brauchten.

Ich kletterte auf das Bett und kroch zu Elias. Vorsichtig beugte ich mich über ihn und stellte fest, dass er wirklich am Schlafen war. Er wirkte so ruhig und zufrieden. Mit meiner Hand strich ich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und legte mich dann zu ihm. Wie schon zuvor, legte ich Elias einen Arm um und schmiegte mich an ihn.

„Ich weiß nicht, ob ich mich noch mal richtig in jemanden verlieben kann, wenn überhaupt. Ich habe meine ganze Kindheit verpennt. Ich kann das alles nicht von heute auf morgen nachholen. Mehr Zeit bekomme ich leider auch nicht geschenkt.“, flüsterte ich leise und versteckte meine Nase in Elias Haaren. „Du bist mir wichtig, mehr als alle anderen. Ich hab dich lieb, Elias. Vielleicht tue ich es jetzt noch nicht, aber möglicherweise kann ich deine Liebe irgendwann erwidern?“

Ich horchte und spürte in meiner Umarmung, wie sich Elias Körper leicht durch das Atmen bewegte. Ich lächelte leicht und gab ihm einen Kuss in den Nacken.

Es war doch so einfach. Wieso zermarterte ich mir das Gehirn? Ich konnte doch für den Moment leben. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebte, ich sollte mich freuen und jeden Tag genießen. Morgen könnte es schon der letzte Tag sein. Ich hatte jemanden, der mich wirklich liebte und begehrte, wann würde ich diese Person noch mal finden?

Fing nicht sowieso alles mit Freundschaft an? Wenn man nicht miteinander befreundet wäre, wie sollte dann mehr aus einer Beziehung werden? Nur von Sex allein funktionierte so etwas nicht.

Leise seufzte ich. Meine Aufgabe war nicht Elias. Meine Aufgabe war es, endlich mal anzufangen zu leben, so wie ich es wollte, auch wenn ich es nicht jedem Recht machen konnte. So war das eben.

Vielleicht machte ich einen Fehler, einen großen Fehler, aber machte es mich nicht auch stärker? Den kleinen Sam gab es nicht mehr. Ich war jetzt 18 Jahre alt. Ich wollte nicht mehr meinem ganzen Leben hinterher trauern, was ich alles verpasst hatte und was ich machen wollte. Ich konnte es genauso gut jetzt noch machen.

Ich drückte Elias Körper fester an mich. Es war wohl langsam an der Zeit, meinen Arsch zu bewegen und den anderen nicht mehr nachzusehen, sondern aufzuholen und gleichauf mit ihnen zu laufen. Ich musste mich von meinem Schatten befreien und meine Vergangenheit ruhen lassen. Krampfhaft darüber nachzudenken würde sie mir auch nicht zurück bringen. Dann wusste ich eben nicht, was es mit dem Unfall auf sich hatte und wenn schon? Es gab Wichtigeres im Leben.

Lieber fernsehgeil als radioaktiv.


Als Elias sich leicht regte, wurde ich langsam wach. Ich war aber trotzdem ziemlich müde. Er lag noch immer in meiner Umarmung und so kuschelte ich mich näher an Elias heran. Sein Körper war so herrlich warm und ich fühlte mich einfach wohl in seiner Nähe.

Träge blieb ich einfach liegen, bis sich meine Blase meldete und mir mitteilte, dass ich einen wichtigen Termin mit dem Badezimmer hatte. Seufzend ließ ich Elias los und setzte mich im Bett auf. Ich krabbelte zum Bettende und kletterte vom Bett herunter.

Meine Beine trugen mich zum Badezimmer und fühlten sich schwer wie Blei an. Ich wollte lieber wieder zurück in mein warmes, weiches Bett und mich an Elias kuscheln, der viel besser war als ein Kuschelkissen oder ein Teddy.

Ich schloss die Tür hinter mir, stellte mich vor die Toilette und tat eben das was getan werden musste. Gähnend betätigte ich die Spülung und ging zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen.

Zurück im Zimmer blieb ich an der Tür stehen und betrachtete Elias, der noch im Bett lag. Ich verzog meinen Mund und überlegte eine Weile, was ich tun sollte. Ich presste meine Lippen aufeinander und zog mir das Hemd über den Kopf, schlüpfte aus meiner Hose und zog mir die Boxershorts in die Kniekehlen, stieg heraus und blieb nackt vor dem Bett stehen.

Fröstelnd kletterte ich aufs Bett, über Elias und blieb über ihm. Er schlief noch immer seelenruhig und ich grinste, immerhin entging ihm dieser Anblick. Ein wenig unsicher war ich aber doch, denn was ich hier abzog, war mir etwas schleierhaft. Was wollte ich damit bezwecken oder wollte ich Elias nur ein wenig aus der Fassung bringen?

Als Elias sich drehte und nun unter mir lag, erschrack ich mich beinahe zu tode. Wie ein verschrecktes Reh hing ich hier über ihm und bewegte mich keinen Zentimeter vom Fleck. Elias schlief ruhig weiter. Seufzend zog ich ihm die Decke weg, was Elias mit einem Murren missbilligte. Ich grinste und schob dreist meine Hand in seine Hose.

Elias seufzte und als ich begann ihn ein wenig zu verwöhnen, drückte er sich mir unbewusst entgegen. Müde öffnete er seine Augen und sah zu mir auf. Dass ich nackt war, das hatte er allerdings noch nicht bemerkt. Ich lächelte und beugte mich herunter, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Elias schloss müde seine Augen und schien so langsam mitzukriegen, was hier mit ihm passierte, denn er stöhnte leicht.

Ich löste den Kuss und schob mit meiner freien Hand sein Hemd hoch, küsste mich über seinen Bauch und spürte seine Hände in meinem Haar. Elias Hände machten sich selbstständig, erkundeten meinen Körper und er hielt kurz inne, als er tiefer wanderte und noch immer Haut spürte.

„Ich dachte, du wolltest keinen Körperkontakt mehr?“, fragte er und kam nicht umhin über meinen Penis zu streichen. Ich hob meinen Kopf, ließ von seiner rechten Brustwarze ab und sah ihn einen Moment lang an, ohne meine Hand aus seiner Hose zu nehmen.

„Ist doch alles blöd. Ich meine, ich habe bisher kein Mädchen gefunden mit dem ich wirklich unbedingt zusammen sein will. Bei dir fühle ich mich wohl und bisher hast du dich immer so gut um mich gekümmert und warst für mich da... Ich dachte, ich... na ja, komme dir mal etwas entgegen...“, zum Schluß hin, brachte ich kaum mehr als ein Stammeln zustande. Verlegen sah ich Elias an.

Erst wusste ich seinen Blick nicht zu deuten, doch dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Schläfst du mit mir?“, fragte er mich und ich lief rot an. Ich haderte noch ein wenig mit mir selbst. Meine Hand hielt inne, lag aber trotzdem noch auf seinem steifen Glied.

Wie sollte ich mich jetzt entscheiden? War ich schon soweit, dass ich weitergehen wollte?

Elias nahm mir meine Entscheidung ab und griff nach meinen Armen, zog mich auf sich und so ließ ich mich auf seinen Körper sinken. Er drehte sich mit mir in seinen Armen, so dass ich unter ihm lag und nun zu ihm aufsehen musste.

Elias beugte sich zu mir herunter und küsste mich. Ich schlang meine Arme um ihn und krampfhaft versuchte ich mir vorzustellen, wie es wäre mit einem Mann Sex zu haben. Elias hatte ja schon reichlich Erfahrung auf diesem Gebiet, aber in meinem Kopf herrschte gähnende Leere.

Elias Lippen wanderten von meinem Mund über meine Wange und herunter zu meinem Hals. Es kitzelte und ich zog meine Schulter hoch, doch Elias ließ sich davon nicht abbringen.

Dann ließ er auf einmal von mir ab und stieg vom Bett. Ich sah ihm verpeilt hinterher und sah zu, wie er in seiner Tasche herumwühlte. Auf dem Bett liegend, schielte ich zu ihm, bis Elias wieder aufstand und zu mir zurückkehrte.

Ich sah auf seine Hände und nervös stellte ich fest, dass Elias scheinbar wirklich vorhatte, mit mir zu schlafen. Da hat wohl einer schon mal vorgesorgt. Er legte das Kondom und das Gleitgel auf dem Beistelltisch neben dem Bett ab und zog sich komplett aus, ehe er sich wieder auf mich legte.

Das war nichts Neues für mich, so hatten wir schon oft beieinander gelegen und uns gegenseitig befriedigt. Heute schien es einen Schritt weiter zu gehen.

Wir küssten uns und ich spürte Elias Hände überall auf meiner Haut. Ich merkte, wie die Lust die Oberhand gewann und war froh, dass Elias sich die Zeit nahm, um mich vorzubereiten, mich abzulenken und mir ein gutes Gefühl zu geben.


◆ ◆ ◆




Lake fiel polternd aus dem Bett und lag stöhnend auf dem Rücken. Was musste er auch so nahe an der Bettkante liegen? Ein paar Minuten blieb er noch regungslos auf dem Boden liegen, ehe er versuchte sich mühselig aufzurappeln.

Sein erster Weg führte ihn zum Fenster. Er riss die Gardinen zur Seite und sah nichts. Gar nichts.

„Was zum...?“, fragte er verwirrt, bis ihm ein Licht aufging. Also entweder es brannte hier oder in der Stadt war ziemlich dichter Nebel. Neugierig sah er nach draußen, riss sogar das Fenster auf, aber es roch nicht nach Rauch. Die ganze Stadt schien in einem Nebel versunken zu sein. Hoffentlich dauerte es nicht so lange, bis dieser sich legen würde?

Zurzeit konnte einen das Wetter aber auch wirklich immer wieder überraschen. Schulterzuckend ging Lake aus dem Zimmer und drehte auf dem Absatz um, als er merkte, dass er ja noch splitterfasernackt war. Er zog sich seine Boxershorts über und ging zum Nebenzimmer.

Ohne vorher zu klopfen öffnete er die Tür und staunte nicht schlecht.

„Wow! Ganz großes Kino, das ist ja besser als ein Porno!“, entfuhr es ihm, als er sah wie Elias sich gerade in mir versenkte und ich mit einem Keuchen den Kopf in den Nacken zog und versuchte den Schmerz zu ertragen.

Augenblicklich sahen wir synchron zu Lake, der mitten im Zimmer stand und uns unverhohlen zusah. Ich atmete angestrengt aus und hatte große Lust ihm einen Gegenstand an den Kopf zu werfen, von dem er sich nicht so schnell wieder erholen würde.

Diskret zog Elias uns die Decke über und sah Lake gereizt an. „Was soll das? Mach 'ne Fliege!“

Lake grinste breit und deutete mit der Hand auf das Badezimmer. „Lasst euch nicht stören, ich bin gleich wieder weg, es sei denn ihr könnt noch einen dritten Mann gebrauchen.“ Lachend ging er einfach an uns vorbei und direkt ins Badezimmer.

Elias sah ihm murrend hinterher und dann zu mir herunter. Wir sahen uns beide verlegen an und wussten nicht, was wir tun sollten. Elias steckte halb in mir und dank Lake's Auftritt war mir die Lust vergangen. Nicht nur wegen ihm, die Schmerzen waren auch nicht ohne.

Aufatmend sah ich zu Elias, der von mir abließ und das Kondom in den Mülleimer beim Bett beförderte. Das war wohl nichts. Lake hatte aber auch immer wieder so ein blödes Timing.

Ich hatte noch immer das Gefühl, als würde Elias in mir stecken. Dabei steckte gerade mal seine Spitze in mir. Elias saß zwischen meinen Beinen und irgendwie wusste keiner was wir jetzt machen sollten. Eben noch voller Elan und nun saßen wir da, in flagranti erwischt und wussten nicht weiter.

Ich hörte nebenan die Klospülung und nach kurzer Zeit die Dusche. Ich konnte Lake's Rückseite sehen und richtete meinen Blick schnell wieder zu Elias.

Irgendwie war ich froh, dass wir unterbrochen wurden. Ich hatte Angst vor den Schmerzen und so war ich etwas erleichtert, dass wir den Sex vorerst verschieben mussten. Elias sah hingegen eher ein wenig enttäuscht aus. Klar, er hatte sich schon darauf gefreut, aber der kleine Vorgeschmack von eben hatte mir schon den Rest gegeben.

Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab und setzte mich im Bett auf. Meine Beine lagen immer noch gespreizt auf Elias Oberschenkeln, die Erektion nahm ab und auch ihm schien es nicht anders zu ergehen.

„Wollen wir Frühstücken?“, fragte ich ihn und Elias nickte. „Das wird wohl heute nichts mehr...“, murmelte er und ein wenig tat er mir ja auch Leid, aber nur ein wenig.

Er richtete sich auf und klaubte sich seine Klamotten zusammen. Duschen würde er wohl erst nach Lake können. Elias ging vor in die Küche und ich zog mich derweil in Ruhe um. Ein Blick durch den Spiegel zeigte mir, dass Lake sich wohl Zeit lassen würde. Grummelnd verließ ich also das Zimmer und gesellte mich zu Elias in die Küche.

Elias war schon dabei alles auf den Tisch zu stellen und so setzte ich mich auf einen Stuhl, schnitt mir ein paar Scheiben Brot ab und beschmierte sie großzügig mit Marmelade.

Kurz darauf kam auch Lake zu uns an den Tisch. „Schon gesehen? Draußen ist Nebel. Da können wir heute wohl nirgendwohin, zumindest nicht, solange der Nebel noch da ist.“

Ich warf einen Blick aus dem Küchenfenster und musste Lake leider Recht geben. Da draußen war es zurzeit unmöglich mit dem Auto zu fahren. Das würde nur zu einer Massenkarambolage führen. Das hieß dann wohl, dass wir dazu gezwungen waren hier im Hotel auszuharren.

„Was sollen wir denn dann machen?“, fragte ich und fand den Gedanken furchtbar, den ganzen Tag im Hotel zu hocken und nichts tun zu können.

„Einen flotten Dreier?“, fragte Lake breit grinsend.

Elias und ich wurden augenblicklich rot im Gesicht und verlegen sah ich auf mein Brot. Wenigstens hatten uns unsere Eltern nicht dabei erwischt, dass Trauma würde ich sonst mein Leben lang behalten. Es gab doch nichts Schlimmeres, als wenn einen die Eltern beim Sex erwischen würden.

„Ich hätte ja nicht gedacht, dass du Elias jetzt schon ranlässt!“, meinte Lake lachend.

„Was soll das heißen?“, murrte ich und biss in mein Brot.

„Na, wo du vorher immer so unsicher warst, bin ich eher davon ausgegangen, dass das mit euch beiden eh nichts mehr werden kann. So prüde scheinst du dann aber doch nicht zu sein, Sam.“ Lake leckte sich anzüglich über die Lippen und eingeschnappt sah ich ihn an.

„Ich bin nicht prüde und wir haben schon vorher...na ja, also...“, leicht rot im Gesicht sah ich runter auf mein Brot und starrte auf die Marmelade. Es war ja schließlich nicht so, dass wir gar nichts getan haben. In solchen Sachen kam Elias nämlich schnell zur Sache und das mit dem Sex war auch eher eine Frage der Zeit.

Das Timing könnte aber nicht schlechter sein, denn zurzeit war irgendwie kein guter Zeitpunkt dafür. Fragte sich nur, wann der sein sollte? Wahrscheinlich nie.

In letzter Zeit kam es kaum vor, dass Elias und ich mal ein paar ruhige Minuten für uns hatten. Ständig kam uns irgendetwas dazwischen, was mir natürlich auch Recht sein konnte, denn ehrlich gesagt, behagte mir der Gedanke mit ihm schlafen zu müssen noch nicht so recht. Es war eben doch anders als bei einem Mädchen und ich musste dann immerzu an das Internetvideo denken, wo die beiden Männer es miteinander getrieben hatten.

Würde es da nicht reichen, wenn wir uns einfach nur so befriedigen würden? Also, mir wäre das ja schon genug...

Da ich keinen Appetit mehr hatte, stand ich auf und stellte meinen Teller in die Spüle. Dass das Brot noch darauf stand, war mir egal. Ich hatte auch keine Lust noch länger über das Thema nachzudenken. Das war einfach nicht meine Stärke. Ich würde ja doch nicht zu einem Ergebnis kommen.

Ich schlich also in das große Schlafzimmer und legte mich der Länge nach auf das Bett. Die Fernbedienung angelte ich mir von dem Beistelltisch und schaltete den Fernseher an. Ich sah lustlos auf den Bildschirm und zappte gelangweilt durch die Kanäle. Es lief nichts Gutes und dank des dichten Nebels konnten wir stattdessen nicht mal die Stadt erkunden. Zu blöd, da kam man mal raus und konnte nichts tun.

Ob ich Abby anrufen sollte?

Sie wusste von meinem Abenteuer ja noch gar nichts, außerdem hatte ich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr mit ihr telefoniert, wie mir schien. Die würde Augen machen!

Gesagt, getan.

Ich stand vom Bett auf, ließ den Fernseher laufen und lief in den Flur des Hotelzimmers und schnappte mir das Telefon. Ich ließ mich an der Wand zu Boden gleiten und wählte die Nummer meiner Schwester. Ein regelmäßiges Tuten erklang und ich fürchtete schon, dass sie nicht da war, doch dann ertönte ihre Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Hey, Miss Germany!“, begrüßte ich Abby grinsend.

„Sam! Du glaubst nicht was los ist! Mum und Dad machen sich schon Sorgen um dich! Wo bist du?“, fuhr Abby mich aufgebracht an.

Ich hätte wohl doch nicht anrufen sollen...

„Das kann ich dir nicht sagen. Ich will nicht, dass Mum oder Dad nach uns suchen, ehe alles erledigt ist!“, meinte ich stur.

„Uns? Mit wem bist du unterwegs?“, fragte Abby irritiert.

„Lake und Elias.“ Ungerührt sagte ich es ihr. In letzter Zeit hing ich doch beinahe nur noch mit den beiden herum. Hatte Mum ihr nichts davon erzählt? Scheinbar ja nicht. Mit wem sollte ich auch sonst unterwegs sein? So viele Leute kannte ich doch noch gar nicht, seit ich aus dem Koma erwacht war.

„Na ganz toll! Wo habt ihr euch nur diesmal wieder reingeritten?“, wollte Abby seufzend wissen.

„Staatsgeheimnis!“, brummte ich stur. Das würde ich ihr in tausend Jahren nicht sagen!

„Was soll ich denn Mum sagen, wenn sie mich wieder anruft?“, murrte Abby.

Die Antwort konnte ich ihr auch nicht geben. Anlügen wollte ich meine Eltern aber auch nicht. Meine Mutter war Schauspielerin, das würde bestimmt sofort in den Nachrichten bekannt gegeben werden. Ich wollte nicht, dass sie meinetwegen einen schlechten Ruf in den Klatschblättern bekam. Dad wollte ich auch nicht erzürnen, auch wenn er es wahrscheinlich nicht ganz so persönlich nehmen würde wie Mum. So etwas konnte sie schnell mal auf die Palme bringen.

„Dir wird schon etwas einfallen!“, erwiderte ich unbekümmert. Abby fiel doch immer etwas ein, wenn es um Ausreden ging. Darin war sie wirklich begabt.

„Dir geht es zu gut!“, murrte sie.

„Das würde ich nicht unbedingt sagen...“, murmelte ich leise vor mich hin. Zurzeit ging es hier drunter und drüber. Okay, ich hatte mich mit Elias mehr oder weniger wieder vertragen, wir hatten beinahe unser erstes Mal, aber wer wusste schon, was uns morgen erwarten würde?

„Was macht dein Studium?“, fragte ich Abby neugierig und auch um vom Thema abzulenken.

„Ganz gut. Es ist anstrengend, aber die Leute hier in Deutschland sind echt klasse und mir gefällt es hier gut!“, meinte Abby begeistert und nahm das neue Thema unwissend an.

Während Abby fröhlich weiter plauderte, gingen meine Gedanken auf Wanderschaft. Irgendwie behagte es mir langsam gar nicht mehr heimzukehren. Auf den Ärger meiner Eltern freute ich mich so gar nicht. Hätte ich sie um Erlaubnis gebeten, hätten sie es mir von vornherein nicht erlaubt. Es war mir ja gar nichts anderes übrig geblieben. Fragte sich jetzt nur, wie ich ihnen entgegentreten sollte, wenn ich heimkam?

„Sam?“, fragte Abby und riss mich somit aus meinen Gedanken. Ich grummelte und schüttelte den Kopf, was sie natürlich nicht sehen konnte.

Sorry, was hast du gesagt?“, hakte ich nach. Ich hörte das verhaltene Seufzen am anderen Ende der Leitung nur zu gut.

„Wieso rufst du mich an, wenn dich gar nicht interessiert, was ich dir zu erzählen habe?“ Jetzt war sie auch noch beleidigt.

Tja, wenn ich das nur wüsste?

„...“

Mir wollte beim besten Willen nichts einfallen. Warum hatte ich sie angerufen? Weil mir langweilig war oder nicht? Würde ich ihr das sagen, würde sie mir eine ganze Weile die kalte Schulter zeigen.

„Na gut. Wie läuft es denn mit dir und Elias?“, fragte sie mich und so langsam bekam ich das Gefühl als wäre das das einzige was sie wirklich interessierte. Na ja, ich wollte ihr auch nichts von meinem Aufenthaltsort erzählen. So viel Gesprächsstoff gab es zwischen uns beiden dann doch nicht.

„Ganz gut.“ Ich räusperte mich und sah auf, als Lake an mir vorbei lief und mich kurz ansah. Ich streckte ihm die Zunge heraus und scheuchte ihn mit einer unwirschen Handbewegung davon. Lake zuckte mit den Schultern und ging zurück in die Küche.

„Das ist alles?“, wollte Abby enttäuscht wissen.

Ich seufzte. „Wir haben es beinahe getan!“, flüsterte ich verschwörerisch in den Hörer.

Erst mal kam gar nichts von ihr. Es war totenstill.

„Abby?“ Verwundert wartete ich ab. Mich überkam ein unbehagliches Gefühl.

„Was heißt hier beinahe?!“, fauchte sie durch den Hörer, als hätte ich eine Katze aufgeschreckt. Ich zuckte kurz erschrocken und zog die Augenbrauen zusammen.

„Sam! Mach doch nicht immer einen Rückzieher! Ich habe mir euer erstes Mal so romantisch vorgestellt!“, jammerte sie mir enttäuscht in die Ohren, als würde für sie jetzt die Welt untergehen.

„Ich habe doch gar keinen...“ - „Oh Gott!“, fiel sie mir ins Wort.

Was war denn jetzt los?

„Sag nicht, ihr habt das alles geplant?“, entfuhr es ihr und ich konnte aus ihrer Stimme die Begeisterung heraushören. „Ihr seid durchgebrannt, damit ihr in trauter Zweisamkeit Schmuddelkram miteinander machen könnt!“

Am liebsten würde ich ihr jetzt den Hörer an den Kopf werfen. Obwohl...

„Ja, genau! Du hast mich durchschaut! Nur, sag Mum und Dad nichts davon, okay? Ich habe mich vor ihnen noch nicht geoutet.“

Lake's Kopf lugte aus der Küchentür und er sah mich musternd an. Ich versuchte ihn wieder zu verscheuchen, doch es wollte mir nicht gelingen, also versuchte ich ihn zu ignorieren.

„Ich lasse mir etwas einfallen, aber verrate mir vorher, wieso du einen Rückzieher gemacht hast!“, wollte Abby wissen.

„Abby, ich habe keinen Rückzieher gemacht! Lake ist ins Zimmer geplatzt!“, murrte ich. Wie lange wollte sie noch darauf herumreiten?

„Wie blöd...“

Mehr hatte sie nicht dazu zu sagen? Ein wenig enttäuscht war ich ja schon.

„Na dann, viel Spaß heute Abend!“, meinte sie wieder gut gelaunt.

Ich kratzte mich am Kopf und runzelte die Stirn. „Wer sagt denn, dass wir es heute Abend tun werden?“

„Wieso nicht?“

Gute Frage. Wieso nicht?

„Moment!“

Was kam denn jetzt noch?

„Wenn ihr beide unter euch sein wollt, wieso ist Lake dann bei euch und wieso braucht ihr dafür mehrere Tage?“

War das hier ein Kreuzverhör?

„Du kennst doch Lake, wenn Elias irgendwo hingeht, kommt sein Anhängsel immer mit!“, erwiderte ich. Lake boxte mir gegen den Oberarm, den ich mir automatisch rieb, obwohl es nicht sonderlich weh tat. „Wir wollen es eben langsam angehen lassen und nicht unter Druck stehen.“, fügte ich noch hinzu.

„Verstehe...“, meinte Abby.

Eine Weile wusste keiner von uns beide was wir sagen sollten.

Abby brach die Stille zuerst. „Ruf mich an, wenn ihr wieder zurück seid und ich werde mir schon etwas einfallen lassen, um die Gemüter unserer Eltern zu beruhigen.“

Erleichtert atmete ich aus. „Okay, danke. Du hast was gut bei mir.“

„Aber so was von!“, meinte Abby lachend und legte nach unserer Verabschiedung auf. Ich legte den Hörer samt Telefon zurück auf die Kommode und stand auf. Das wäre also geklärt. Fragte sich nur, was als nächstes kam?

Wirklich geholfen hatte mir das Telefonat dann aber doch nicht. Trotzdem hatte es mal ganz gut getan die Stimme meiner Schwester zu hören.

Lake hockte noch immer im Türrahmen und besah mich eingehend. Unbeeindruckt sah ich zu ihm herunter und hielt den Blickkontakt. Er sagte jedoch nichts und irgendwie irritierte es mich ein wenig. Was hatte er? War er etwa beleidigt, dass ich ihn als Anhängsel bezeichnet hatte? So war es doch im Grunde genommen auch.

„Ich wusste gar nicht, dass du schwul bist?“, kam es von ihm.

Noch immer haftete sein Blick auf mir. Eine leichte Gänsehaut überkam mich und ich wusste nicht, was ich daraufhin erwidern sollte. Natürlich, Abby würde mich jetzt für schwul halten. Wenn ich plötzlich mit einem Mädchen ankam, würde sie sich bestimmt ziemlich verarscht vorkommen. Elias würde ich damit ebenfalls verletzen. Die ganze Zeit machte ich ihn hier heiß und dann hatte ich doch ständig Zweifel.

Ich hockte mich vor Lake und sah ihm direkt in die Augen. Elias saß ebenfalls noch in der Küche und ich war mir nicht sicher, ob er mitgehört hatte. Wahrscheinlich schon.

„Was weiß ich schon, was ich bin? Hetero, bi, schwul. Ist doch alles scheiß egal.“, murrte ich. „Heute bin ich mit Elias zusammen. Zumindest will ich es versuchen. Vielleicht wird es ja auch nichts, vielleicht mag ich Mädchen ja doch irgendwann lieber oder ich interessiere mich für beide Geschlechter? Das ist mir so was von egal!“ Ich stand auf und sah zu Elias. Er sah mich an, ohne irgendwelche Emotionen.

Ich grinste. „Vielleicht muss ich auch nur überzeugt werden?“

Elias zog verwundert eine Augenbraue in die Höhe, ehe sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen schlich. „Vielleicht...“

Lieber ARM dran als ARM ab.

Früh morgens klingelte das Telefon und irgendwie hatte keiner von uns dreien Lust aufzustehen und den Hörer abzunehmen. Faul blieb ich liegen und ließ es einfach weiter klingeln. Trotzdem öffnete ich träge meine Augen und überlegte erst einmal, wer hier überhaupt die Nummer unseres Hotels hatte. Oder war es der Zimmerservice? Hatten meine Eltern mich gefunden?

Unmöglich, nicht mal Abby hatte ich gesagt, wo wir uns zurzeit aufhielten. So schnell konnten auch meine Eltern mich nicht finden.

„Geh' mal einer ans Telefon...“, murmelte Elias kaum hörbar, da sein Gesicht im Kissen steckte. Wie bekam er da eigentlich noch Luft?

Ich hatte ebenfalls keine Lust mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, aber da ich Lake's Tür nicht hören konnte, ging ich mal davon aus, dass ich den beschwerlichen Weg in den Flur auf mich nehmen musste.

Seufzend kroch ich unter meiner Decke hervor, die ich am liebsten mitgenommen hätte und ging augenreibend in den Flur.

Ich nahm den Hörer ab und meldete mich.

„Hallo, bin ich hier richtig bei den drei Fragezeichen?“, fragte eine Stimme belustigt, die mir irgendwie bekannt vorkam.

Ich brauchte einen Moment um zu überlegen. Dann fiel es mir wieder ein. Die Stimme war von dem hübschen Barkeeper, den wir getroffen hatten und der sich für uns in der Bar umhören wollte.

„Sieht so aus...“, meinte ich gähnend.

„Ist es noch zu früh für einen Anruf?“, fragte er mich und ich zuckte lediglich mit den Schultern. „Jetzt bin ich sowieso wach. Was gibt’s?“, wollte ich wissen.

„Ich sollte mich doch umhören, ob es interessante Neuigkeiten über den Vater deines Freundes gibt oder spreche ich gerade mit ihm?“, meinte er.

„Nein, ich bin der mit den gefärbten Haaren!“, stellte ich richtig. „Samuel.“

„Ach so. Okay. Also...“, erwiderte der Mann und irgendwie nervte es mich gewaltig, dass er mich so auf die Folter spannen musste. War das Absicht?

„Also was?“, hakte ich ungeduldig nach.

„Ich hätte ja nicht gedacht, dass es so schnell geht, aber ich habe da tatsächlich einen kleinen Hinweis für euch!“, meinte er triumphierend. „Gestern Abend kamen ein paar Männer zu mir in die Bar. Sie wirkten irgendwie nicht ganz vertrauenerweckend. Dunkel gekleidet, mürrische Gesichter und ein ziemlich schlechtes Benehmen, von Manieren keine Spur! Jedenfalls haben sie sich eine Weile unterhalten und weil sie außer Reichweite saßen, habe ich beschlossen einen Tisch in der Nähe sauber zu machen. Es ging um irgendwelche Päckchen und ich bin davon ausgegangen, dass sie über Drogen geredet haben!“

Stirnrunzelnd sah ich zur Schlafzimmertür. Sollte das etwa heißen, dass Elias Vater ein Drogenschmuggler war?

„Und weiter?“, fragte ich den Barkeeper. Mich überkam eine unangenehme Gänsehaut. Worin wurde ich hier gerade mit hineingezogen? So langsam war mir das alles nicht mehr geheuer!

Mit Drogenhandel war nicht zu spaßen. Solche Leute konnten gefährlich werden und ich wollte am Leben bleiben. Ich war schon 12 Jahre tot!

„Viel haben sie nicht mehr gesagt. Über bestimmte Personen haben sie nicht geredet, aber ich denke an der Sache könnte etwas dran sein!“

„Wie soll uns das denn jetzt weiterhelfen?“, fragte ich genervt. So konnten wir Elias Vater auch nicht finden.

„Dazu komme ich jetzt. Einer der Männer, ich denke, er hat eine lockere Zunge, könnte uns ein paar Hinweise geben. Ich müsste sie nur irgendwie aus ihm herausquetschen und dafür Sorgen, dass er nichts merkt. Das kann gefährlich werden!“

Ich hielt die Luft an. Konnte das etwa ein richtiger Hinweis sein? So einer, bei dem wir tatsächlich weiter kommen würden? Bekamen wir so heraus, wo sich Joseph aufhielt? Ich konnte es kaum fassen. War das ein kleiner Lichtblick?

„Und wie soll das zu schaffen sein? Ich glaube kaum, dass dieser Kerl einfach alles heraus posaunt, wenn er ausgefragt wird...“, meinte ich betrübt und ließ den Kopf hängen. War doch so. Ganz so dumm waren diese Leute nun auch wieder nicht.

„Nun ja, ich könnte versuchen ihn abzufangen und ihn zum Trinken zu bringen oder ich versuche es mit anderen Mitteln...“, meinte der Barkeeper nachdenklich.

„Stimmt, im Suff werden viele Leute gesprächig. Vielleicht bringt es ja wirklich etwas? Und was wären die anderen Mittel?“, fragte ich neugierig.

„Tabletten oder Sex...

“Ich schluckte. „Auf keinen Fall! Wir haben keine Tabletten, was sollte das bringen und ich will nicht, dass Sie mit so einem schmierigen Kerl wegen uns schlafen müssen!“, brachte ich aufgeregt hervor. Wie konnte er nur auf so eine dumme Idee kommen?! Das wollte ich auf gar keinen Fall!

Das ging einfach zu weit und das konnte ich nicht verantworten. Wer wusste schon was danach geschehen würde. Was, wenn unser Mittelsmann wegen uns getötet wurde oder es passierten andere schreckliche Dinge?

Ich fühlte mich unwohl, mir fiel allerdings keine andere Möglichkeit ein. Was sollten wir nur tun?

„Ich melde mich später noch mal bei Ihnen. Ich muss erst mal mit meinen Freunden darüber reden!“ Wir verabschiedeten uns und unschlüssig blieb ich noch einige Minuten vor dem Telefon stehen. In meinem Kopf ratterte es, aber ich kam einfach nicht zu einer besseren Lösung.

„Was machst du hier mitten im Flur?“

Überrascht drehte ich mich um und sah Lake an, der sich gähnend am Unterleib kratzte und sich die Boxershorts zurecht zog, die sonst wo hing, nur nicht da wo sie hingehörte.

„Der Barkeeper hat angerufen...“, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.

Mit einem Mal war Lake hellwach. „Und? Was hat er gesagt?“, fragte er mich neugierig und rückte mir gehörig auf die Pelle.

Ich wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. „Er hat vielleicht jemanden gefunden, der redet, aber wir müssen ihn erst mal zum Reden bringen. Er meinte, vielleicht mit Alkohol, Tabletten oder...“

„Oder?“, hakte Lake nach.

„Sex.“

Lake zog die Augenbrauen in die Höhe. „Und wer soll ihn vögeln?“

Ich zuckte die Schultern. „Er wollte es wohl machen, aber ich will ihn nicht mit hineinziehen. Der Barkeeper hat schon genug für uns getan. Ich will nicht, dass er soweit geht!“, murrte ich. „Wir brauchen eine andere Lösung.“

„Soll ich es machen?“

Entsetzt sah ich Lake an. „Auf keinen Fall! Außerdem wäre es so, als würdest du meinen Bruder hintergehen!“

„Für einen guten Zweck!“, meinte Lake, doch ich schüttelte beharrlich den Kopf. Lake sollte es auf keinen Fall tun. „Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht!“, meinte ich angesäuert.

„Inwiefern?“, fragte Lake mich.

„Du hast nie wirklich schwul auf mich gewirkt. Du hast versucht mich zu verwirren und meine Freundschaft mit Elias zu zerstören, aber im nächsten Moment fällst du über mich her. Dann lässt du dich auf meinen Bruder ein und schläfst mit ihm. Du hast damals meine Schwester angemacht und jetzt willst du plötzlich einen wildfremden Mann verführen! Deine Gedanken... Ich kann das alles irgendwie nicht nachvollziehen.“

Lake lachte. „Ich verstehe mich ja manchmal selbst nicht.“ Er hielt kurz inne. „So bin ich eben. In einen Moment bin ich so und im nächsten halt so. Vielleicht bin ich auch ein Freigeist?“

„Ein Freigeist?“ Fragend sah ich Lake an.

„Das ist eine Lebenseinstellung. Man widersetzt sich den traditionellen Sitten, Moralnormen und dem Denken und lebt einfach so wie es einem selber passt!“, erklärte Lake grinsend und kam mir näher als mir im Moment lieb war.

„Vielleicht bist du auch einfach nur bi?“, fragte ich ihn.Lake grinste und war nur noch ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. „Vielleicht bin ich auch nur das.“ Sein Flüstern bereitete mir eine Gänsehaut.

„Wenn du ihn küsst, muss ich dich umbringen, Lake.“

Wir sahen zeitgleich zu Elias, der im Türrahmen stand und uns beide betrachtete. Er fuhr mit seinen Händen über sein Gesicht und drehte sich dann wieder um, um zurück ins Zimmer zu gehen. „Damit das klar ist, hier schläft niemand mit irgendwelchen Fremden! Schon gar nicht, wenn wir nicht wissen, welche Krankheiten dieser Kerl mit sich herumträgt!“, meinte er und schlurfte zum Badezimmer.

„Tja, dann müssen wir uns doch noch etwas anderes einfallen lassen!“, meinte ich zu Lake und sah zu ihm, doch der war völlig abgelenkt und sah ins Badezimmer. Ich folgte seinem Blick, holte empört Luft und zog die Zimmertür zu.

„Er ist dein Freund, wie kannst du ihn dann beobachten, wenn er sich auszieht?!“, fragte ich Lake mit einem bitterbösen Gesicht.

„Er sieht gut aus und hat da unten was zu bieten. Wieso sollte ich ihn mir also nicht ansehen?“, fragte Lake unbekümmert und grinste breit.

„Du bist pervers!“, murrte ich und verzog meinen Mund.

„Freigeist!“, erwiderte Lake und streckte mir die Zunge heraus. Er drehte sich um und blieb noch einmal kurz stehen. „Keine Sorge, gegen deinen Bruder kommt er eh nicht an!“, meinte Lake lachend.

Ich sah ihm genervt hinterher. „Ich will nicht wissen, was mein Bruder zu bieten hat!“, meckerte ich und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. Lake war eine einzige Katastrophe!

Ich linste zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. Lake war wieder in seinem Zimmer und seine Tür war geschlossen. Mein Blick fiel auf Elias schlanken Körper und ich musste hart schlucken, als er sich zu mir umdrehte. Hastig schloss ich wieder die Tür und spürte wie meine Wangen glühten.

Ich musste an Abbys Worte denken. Ewig konnte ich es nicht hinauszögern. Irgendwann würden wir miteinander schlafen. Ich wollte es ja, aber irgendetwas hielt mich noch zurück. Mal abgesehen von der Tatsache, dass Lake jederzeit das Zimmer stürmen könnte.

Ich lehnte mich gegen die Tür und dachte nach. Na ja, nachdenken traf es nicht direkt, da meine Gedanken immer wieder zu dem nackten Körper meines Freundes wanderten. Seufzend ging ich in die Küche und sah aus dem Fenster. Wenigstens hatte der Nebel inzwischen nachgelassen.

Mein Kopf war auf einmal so leer. Wie sollten wir diesen Typen nur zum Reden bekommen? Mir wollte partout nichts einfallen und irgendwie begann es mich zu frustrieren.

Ich ging zum Kühlschrank und griff nach dem Orangensaft. Ich füllte mir ein Glas und setzte mich an den Tisch. Leise konnte ich das Rauschen der Dusche hören. Was Lake gerade machte war mir schleierhaft. Vielleicht zog er sich auch nur extrem langsam an? Oder er tat etwas anderes, woran ich nicht im Traum denken wollte.

Ich trank einen Schluck und drehte das Glas in meiner Hand seitlich, so dass die Flüssigkeit beinahe über den Rand auf meine nackten Beine tropfte. Seufzend stellte ich es zurück auf den Tisch und legte den Kopf in den Nacken. Ich starrte an die Decke und sah dann zum Flur, als ich ein Klicken hörte.

„Na, die perfekte Hausfrau bist du aber nicht!“, meinte Lake schmunzelnd. Ich zuckte mit den Schultern.

„Wenn du Hunger hast, hier ist alles. Du musst es dir nur machen!“, meinte ich ungerührt.

„Ich wette Elias würdest du ein total schönes Frühstück machen und es ihm sogar ans Bett bringen!“, erwiderte Lake und tat als würde er schmollen. Wie kam er nur auf die Idee, dass ich so etwas machen würde?

„Sicher doch, in deinen Träumen!“ Ich trat mit meinem Fuß gegen Lake's Bein, der es nicht mehr rechtzeitig schaffte mir auszuweichen. Lake lachte und auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Irgendwie war es doch schön, dass wir uns inzwischen besser verstanden. Ich wollte es nicht zugeben, aber er war schon so etwas wie ein guter Freund für mich. Er wirkte auch ein wenig wie ein großer Bruder. Ohje, noch einer. Der eine war so gut wie nie da und der andere mischte sich ständig überall ein. Was hatte ich mir da nur eingebrockt?

Grinsend sah ich Lake an und wurde dann von der Zimmertür abgelenkt, als Elias zu uns kam. Seine schwarzen Haare waren noch ein wenig nass. Er trug lediglich blaue Shorts und ein dunkelgrünes Shirt mit einem schwarzen Smiley, das die Zunge ausstreckte.

Elias wirkte noch immer müde, ein wenig blass im Gesicht und irgendwie nicht sehr motiviert. Dabei hatten wir doch die Möglichkeit endlich einen Schritt weiterzukommen! Es gab jemanden, der uns mehr über seinen Vater verraten könnte.

„Hey, Großer!“, meinte ich lächelnd, während Elias zu mir kam und sich einfach auf meinen Schoß setzte und die Arme um meinen Hals schlang. Seinen Kopf bettete er auf meiner Schulter. Die nassen Haare waren angenehm kühl, wenn man absah, wie warm es heute war.

Ich fuhr mit meinen Händen über seinen Rücken und schloss kurz die Augen.

„Sagt es ruhig, wenn ihr noch in den Flitterwochen seid!“, meinte Lake belustigt. Ich warf ihm einen Blick zu und streckte ihm frech die Zunge heraus. Dafür bekam ich das Küchenhandtuch ins Gesicht.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte ich neugierig in die Runde.

„Wie wäre es, wenn wir ihn als Geisel nehmen?“, schlug Lake mit einem diabolischen Grinsen vor. Das würde ich ihm sogar zutrauen!

„Nee, lass mal! Wir müssen jetzt ernsthaft überlegen, wie wir den Typen zum Reden bekommen. Vielleicht spricht er ja auch so mit uns? Wäre doch einen Versuch wert. Plan B können wir immer noch anwenden, wenn er die Klappe hält!“, meinte ich grübelnd.

„Plan B? Geiselnahme?“, fragte Lake hoffnungsvoll.

„Idiot! Natürlich nicht! Ich meine, dass wir einen Detektiv einschalten, der die Sache für uns regelt!“, erwiderte ich.

„Dann halt so...“, brummte Lake und schien wirklich enttäuscht zu sein, dass wir seinem Vorschlag nicht nachgingen.

Er griff nach dem Toast und legte ihn in den Toaster. Danach suchte er sich Schneidebrett und Messer heraus und durchwühlte den Kühlschrank nach allem möglichem was er sich drauflegen konnte.

Mir war noch nicht wirklich nach Frühstücken zumute und so kuschelte ich lieber mit Elias weiter, der wie mir schien, schon wieder am Einschlafen war.

Wieso kam ich mir im Moment älter vor als er?

Ich schüttelte amüsiert den Kopf und lehnte ihn gegen Elias. Verdammt, das Shampoo roch aber auch gut!

„Wenn du weiter so an ihm schnupperst, bist du bald auf Drogen!“, kam es von Lake, der sich auf den Küchenschrank gesetzt hatte und wartete, bis der Toast endlich fertig war.

Ich sah zu ihm und unwillkürlich kam mir die Frage, ob er nicht ein bisschen einsam war. Mein Bruder hatte nur eine Nacht mit ihm verbracht. War dann einfach auf und davon und ließ Lake hier einfach zurück. Ein paar SMS am Tag waren auch kein Ersatz für eine Umarmung. So eine Fernbeziehung stellte ich mir jedenfalls nicht sehr romantisch vor. Früher oder später würde einer von ihnen fremdgehen und dann war es aus mit ihnen. Da war ich mir sicher.

Gab es eigentlich jemanden, der zu Lake passen würde? Bei den Mädchen, die ich kannte, fiel mir niemand ein und bei den Jungs? Calvin bestimmt nicht! Wer kam noch in Frage? Elias Stalker? Ich seufzte. Wie konnten wir den eigentlich loswerden? Ob es für eine Anzeige schon zu spät war? Immerhin hatte er mich mit einem Messer bedroht und damals saß ich noch im Rollstuhl!

Lake würde ihn sicher verprügeln, Zärtlichkeiten waren da ganz bestimmt nicht drin!

Sollte ich ihm mal einen Freund suchen?

Irgendwie gefiel mir der Gedanke. Der Barkeeper sah doch ganz süß aus.

Ich ließ den Kopf hängen. Nein, das ging nicht! Ich konnte meinem Bruder so etwas nicht antun, das hatte er nicht verdient. Seine Beziehung musste er selber in den Sand setzen. Ich durfte mich da nicht einmischen, auch wenn ich es liebend gerne tun würde.

„Soll ich den Barkeeper gleich zurückrufen?“, fragte ich Lake. Er drehte sich zu mir herum und sah mich nachdenklich an, ehe er nickte. „Bring aber erst mal dein Baby ins Bett, Schatz!“, witzelte er. Scheinbar konnte Lake es heute wirklich nicht lassen mich dauernd zu triezen.

Ich lehnte mich noch etwas weiter im Stuhl zurück und drückte Elias fester an mich. Da konnte Lake noch lange warten, bis ich anrufen würde. Ich griff in Elias Haare und vergrub meine Finger zwischen den feuchten Strähnen.

Lake setzte sich zu uns an den Tisch und betrachtete Elias. „Schläft er etwa wieder?“, fragte er mich. Ich nickte und sah auf den Tisch. Vielleicht sollte ich doch mal etwas essen?

„Ich würde mich auch scheiße fühlen, wenn ich das alles durchmachen müsste.“

Wer nicht?

„Besonders wenn man auch noch einen Stalker an der Backe kleben hat!“, rutschte es mir heraus. Lake sah zu mir. „Ryan würde ich am liebsten auf den Mond schießen! Allein seine Anwesenheit macht es Elias unmöglich ein normales Leben zu führen. Wie soll man weitermachen, wenn man auf Schritt und Tritt von seinem Exfreund verfolgt wird? Deswegen hänge ich jede freie Minute mit Elias zusammen, damit die beiden nicht alleine sind!“, erklärte Lake. Ich presste meine Lippen aufeinander. Ja, es war gut, dass Lake auf seinen Kumpel acht gab, aber irgendetwas mussten wir doch endlich mal dagegen machen.

Wieso zum Teufel war ich nicht in der Lage ihm mehr Halt zu geben?!

Immerhin war ich sein Freund!

Seufzend sah ich Lake beim Essen zu. Mein Magen grummelte ein wenig, aber wie sollte ich jetzt essen, geschweige denn telefonieren, wenn Elias auf mir schlief?

„Elias, wach auf! Wenn du weiterschlafen willst, geh wieder ins Bett!“, meinte ich und zwickte ihm dabei leicht in die Seite. Elias gab nur ein leises Grummeln von sich, bewegte sich ein Stück zur Seite und schlief friedlich weiter.

„Lass mal, ich mach das schon!“, meinte Lake grinsend. Ich sah überrascht zu ihm. „Was willst du machen?“

„Na, anrufen...“, meinte er und schlang das letzte Stück Toast herunter. Er wischte sich die Krümel von den Händen und stellte das Geschirr in die Spüle. Mürrisch sah ich ihm nach. Wie sollte ich mir jetzt etwas zu essen machen?

◆ ◆ ◆

„Scheiße, bin ich aufgeregt!“, meinte Lake und sah aus dem Fenster des Wagens. Elias und ich taten es ihm gleich und auch ich war zum bersten angespannt. Was, wenn doch noch etwas schief ging?

Die Zeit verstrich wie im Schneckentempo und von dem Barkeeper war weit und breit nichts zu sehen.

Der Wagen parkte vor einer verlassenen Lagerhalle. Es war mitten in der Nacht und nur einige Lampen in der Nähe spendeten etwas Licht.

Wir wollten unseren Mittelsmann nicht alleine lassen, also warteten wir ungeduldig im Wagen, bis er sich wieder blicken ließ. Wenn er es denn noch tat, momentan hatte ich ein eher schlechtes Gefühl und machte mir große Sorgen, ob auch alles gut ging.

Hoffentlich passierte ihm nichts!

Ich zuckte zusammen, als ich das Fauchen einer Katze ganz in der Nähe hörte. Noch eines. Schien sich nach einem Kampf anzuhören.

Nervös knabberte ich auf meiner Unterlippe. Am liebsten wäre ich jetzt Daheim bei meiner Familie und nicht in so einer Situation. Wer wusste, ob man nicht morgen früh vier Leichen finden würde?

Ich warf Elias einen Blick zu und fand es erschreckend, wie ruhig er aussah. Innerlich ging es ihm bestimmt nicht anders als mir, hoffte ich zumindest. Wie konnte er es sich nicht anmerken lassen? Wie schaffte er das?

„Er ist schon 20 Minuten da drin...“, meinte Elias und beugte sich nach vorne. Er verschränkte seine Arme auf dem Lenkrad und sah angestrengt in die Dunkelheit hinaus.

Ich leckte mir über meine trockenen Lippen und holte tief Luft. Was, wenn er tot war und der andere Kerl längst das Weite gesucht hatte? So etwas war doch möglich oder nicht? Mit einem Schalldämpfer war es doch klar, dass wir den Schuss nicht gehört haben. Vielleicht hatte er auch ein Messer benutzt und der arme Kerl verblutete jetzt, ohne dass wir es mitbekamen?

Oder auch nicht.

„Da ist er!“, meinte Elias und gespannt sahen wir zu dem Mann, der hastig auf uns zugelaufen kam.

„Wieso hat er es so eilig?“, fragte Lake verwirrt. „Ist was schief gegangen?“

Er beugte sich zur Seite und öffnete die Tür. „Hey, was ist los?“, fragte er besorgt.

„Fahr! Fahr! Fahr!“, schrie er aufgeregt, sprang regelrecht ins Auto und knallte die Tür hinter sich zu. Elias startete den Motor und drückte aufs Gaspedal. Der Wagen fuhr an und mit zunehmender Geschwindigkeit rasten wir vom Platz.

Ich sage, was ich denke, damit ich höre, was ich weiß.

Noch immer saßen wir angespannt im Wagen und vor lauter Schreck hatten wir erst mal beim nächsten McDonald's Halt gemacht und unsere Mägen beruhigt. Der Wagen parkte auf einem der vielen freien spärlich beleuchteten Parkplätze und keiner wusste so recht was er sagen sollte. Den Schrecken mussten wir erst mal verdauen.

 „Was ist da drin passiert?“, wollte Lake wissen und sah unser neues Truppenmitglied neugierig an.

 Der kaute noch auf seinem Burger herum und sah Lake an. Er schien noch nicht in der Stimmung zu sein, uns etwas davon zu erzählen.

 Ich drehte mich herum und sah ihn nun ebenfalls an, während Elias durch den Fahrerspiegel nach hinten sah.

 Der Barkeeper seufzte und schluckte den Bissen herunter. Er sah sich um, als ob die Leute uns verfolgen würden und jederzeit neben dem Wagen stehen könnten.

 „Wir haben uns eine Weile unterhalten. Es war einfacher als ich gedacht hatte. Der Kerl war eine richtige Plaudertasche. Er hat auch nicht gemerkt, dass ich ihn ausgefragt hatte. Ich habe mich ziemlich geschickt angestellt, obwohl ich total aufgeregt war. Zumindest hat er nichts bemerkt! Nach einer Weile waren wir dann aber auf einmal nicht mehr alleine. Ein paar komische Kerle haben sich in der Halle blicken lassen. Keine Ahnung, wer die waren.“, erklärte er und schüttelte den Kopf.

 Lake legte ihm bewundernd eine Hand auf die Schulter. „Was ist mit dem Typen passiert?“, fragte er.

 Der dunkelhaarige Mann schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Wir haben beide Panik bekommen und haben das Weite gesucht. Keine Ahnung, was mit ihm ist. Es sah nicht danach aus, als würden sie uns verfolgen wollen!“

 Ich runzelte die Stirn. „Und was hast du jetzt aus ihm herausbekommen?“

 „So einiges, auch wenn es nicht viel ist!“

 Gespannt sahen wir ihn an.

 „Er war ziemlich überrascht, dass ich ihn ausgefragt habe. Er dachte wohl, ich wollte Drogen von ihm haben. Wir sind aber doch noch ins Gespräch gekommen. Er kannte Elias' Vater nicht persönlich, aber ein Bekannter von ihm hat mehrmals von ihm geredet. Er soll ihn in seinem Gefängnisaufenthalt in Dois Rios kennen gelernt haben.“

 „Dois Rios?“, fragte Elias verblüfft.

 „Was ist?“, wollte ich wissen und sah verwirrt zu ihm.

 „Colônia Penal Cândido Mendes!“, kam es von Lake.

 Ich verstand noch immer nicht. „Ja und?“

 „Das ist eines der härtesten Gefängnisse in Brasilien gewesen, zumindest bis 1994! Inzwischen ist es eine Geisterstadt. Auf der Ilha Grande wurden Mörder und Drogenbosse eingesperrt.“, erklärte Lake.

 „Ilha Grande?“ Ich war noch immer verwirrt.

 „Ilha Grande ist eine Insel, eine der bekanntesten von Brasilien. Sag nicht, dass weißt du nicht?“, fragte mich der Barkeeper. „Dois Rios ist eine Siedlung an der Südküste. Es heißt so, wegen der beiden Flüsse, die dort in den Atlantik münden.“

 „Woher soll ich das bitte wissen?“, murrte ich leicht eingeschnappt. „Tut mir Leid, wenn ich nicht so gebildet bin!“

 „Sam war bis vor einiger Zeit in einem Koma...“, erklärte Elias.

 „Scheiße, das wusste ich nicht!“, meinte der Barkeeper bestürzt. Er sah mich entschuldigend an, also wollte ich auch nicht so nachtragend sein und zuckte lediglich mit den Schultern.

 “Was ist jetzt mit dem Gefängnis?“, hakte Lake nach.

 Mein Gegenüber nickte. „Dort war seit 1903 eine Strafkolonie. Soweit ich weiß, wurde nach der Schließung die Strafanstalt trotz Protesten gesprengt, aber einige Gebäude stehen wohl noch. Es gibt dort auch ein Museum. Die Erbauer haben den Weg dorthin extra lang und beschwerlich bauen lassen. Sieben Kilometer musste man damals durch den Dschungel, über Berge, vorbei an Schluchten und rauschenden Flüssen. Früher war es ein Zufluchtsort für Piraten und Korsaren. Im 18. und 19. Jahrhundert legten dort die Sklavenschiffe an und auch wenn 1888 die Sklaverei hier abgeschafft wurde, ist der schlechte Ruf geblieben.“

 Ich seufzte innerlich. Wurde das hier eine Geschichtsstunde?

 „In Zeiten der Cholera wurden europäische Einwanderer hier in Quarantäne gehalten, später Leprakranke. Caldeirão do Diabo.“

 „Heizkessel des Teufels...“, flüsterte Lake.

 „So wurde die Insel damals genannt. Die Menschen wurden unmenschlich behandelt. Zusammengepfercht ohne Essen und von den Wärtern misshandelt.“, erklärte der Mann neben Lake.

 „Ah! Escadinha!“, erwiderte Lake aufgeregt. „Er war einer der Gründer der Drogenbande Comando Vermelho! Er rannte zu einem Helikopter, der 500 Meter vom Gefängnis entfernt auf ihn wartete und flog davon. Eine spektakuläre Flucht und auch die einzige die geglückt ist.“

 „War Elias' Vater auch Mitglied der Commando Vermelho?“, fragte ich.

 „Ich weiß es nicht, bestimmt nicht. Obwohl sie viel mit Kokain zu tun hatten.“, meinte der Barkeeper und biss von seinem Burger ab, der bestimmt schon kalt war.

 „1964 wurden dort aber Regimegegner auf das Gefängnis verlegt. Sie waren gegen die Militärdiktatur. Die politische ambitionierten Studenten legten sich mit den Schwerverbrechern zusammen und gründeten die Commando Vermelho. Die meisten Schwerverbrecher hatten aber mit Politik nicht viel am Hut und gingen lieber dem Geschäft mit Kokain nach.“

 „War Joseph's Bekannter auch ein Mitglied?“, fragte ich neugierig.

 „Ich weiß es nicht. Mir wurde nur ein Name gesagt und das ich mit ihm sprechen soll. Vielleicht sollten wir auch noch mal nach Dois Rios und uns die Gegend ansehen?“, schlug der Barkeeper vor.

 Schweigend hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Was sollten wir jetzt machen?

 „Sag mal...wie heißt du eigentlich?“, fragte Elias nach einer Weile. Verblüfft sahen wir unseren Mitstreiter an. Stimmt. Wir waren die ganze Zeit zusammen und wussten noch immer nicht, wie er hieß.

 „Naldo de Souza.“, meinte der Barkeeper lächelnd.

 „Naldo...“, wiederholte Lake grinsend.

 Ich musterte ihn prüfend. Lake hatte doch nicht etwa wieder was im Kopf? Der Junge brachte uns wirklich noch mal in Schwierigkeiten!

 „Du solltest vorerst bei uns bleiben und untertauchen!“, erzählte Elias und sah zu Naldo. Der sah ihn erst überrascht, dann nachdenklich nickend, an.

 „Wo soll er denn schlafen?“, fragte ich verwirrt.

 Wir sahen uns unschlüssig an.

 „Na, bei mir!“, meinte Lake. „Wir rücken etwas zusammen, dann geht das schon.“

 Elias und ich sahen Lake misstrauisch an. Lake heckte etwas aus und das war nicht jugendfrei! Da war ich mir sicher!

 „Wie war eigentlich der Name dieses Mannes?“, fragte Elias. Stimmt, den hatte Naldo uns ja noch gar nicht gesagt.

 „Benoni Epaminondas.“

 „Und wo genau finden wir ihn?“, fragte Lake neugierig. Schien, als wäre er wieder in Aufbruchstimmung.

 „Sind die Gefangenen nicht längst alle tot? Ich meine, die letzten durften dort frei leben, aber nicht gehen.“, meinte Elias nachdenklich.

 „Benoni war kein Gefangener. Er war einer der Wärter!“, meinte Naldo.

 Überrascht sahen wir ihn an. „Hättest du das nicht gleich sagen können?“, fragte ich ungehalten. „Wo lebt er jetzt?“

 „In Ribeira.“, antwortete Naldo.

 Lake zückte sein Handy und gab den Namen in einer Suchmaschine ein. Es dauerte ein paar Minuten. Doch dann erklang sein Stöhnen. „Das sind fast neun Stunden!“, jammerte er. „Das liegt in São Paulo!“, brummte er.

 Naldo schüttelte den Kopf. „Er sagte, es würde HIER in Ribeira sein. Es muss ein anderes Ribeira in der Nähe sein! Such noch mal!“, meinte er und sah nun ebenfalls auf das Handy. Lake versuchte die Suche zu verfeinern.

 „Ribeira in Jardim Guanabara. Das sind etwa 30 Minuten. In der Nähe vom Flughafen.“

 „Aber wo genau wohnt er da? Wir brauchen die Adresse oder wenigstens eine Telefonnummer!“, meinte ich eindringlich.

 „Ich werde weiter suchen, lasst uns schon mal zurück zum Motel fahren!“, erwiderte Lake.

 Ich setzte mich wieder normal hin, während Elias den Motor startete und vom Parkplatz fuhr.

 Wir hatten Glück, denn auf der Straße war nicht viel Verkehr. Die Ampeln waren uns wohlgesonnen und so kamen wir schnell zurück zum Motel Caricia. Lake war die ganze Zeit mit dem Handy beschäftigt und auch Naldo versuchte ihm bei der Suche nach einem Hinweis auf Benoni zu helfen.

 Nach kurzer Zeit hielten wir auf dem Parkplatz des Motels und stiegen aus. Wir betraten es und gingen auf unser Zimmer.

 Gähnend ging ich ins Badezimmer, hielt jedoch inne und verschloss sicherheitshalber die Zimmertür. Bei Elias war es ja okay, aber Naldo wollte ich nicht als Zuschauer haben, wenn ich mich auf der Toilette erleichterte.

 Ich konnte ihre Stimmen hören und obwohl ich neugierig war, versuchte ich es mir nicht anmerken zu lassen. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass ich müde wurde.

 Nach dem Händewaschen ging ich zurück zu den Jungs in die Küche.

 „Was ist?“, fragte ich und versuchte so desinteressiert wie möglich zu klingen.

„Wir haben die Telefonnummer herausgefunden!“, meinte Lake und sah zu mir. Er hielt mir das Handy vor die Nase, jedoch so dicht, dass ich gar nichts erkennen konnte und so schob ich seine Hand etwas zurück.

 „Na, das ist doch prima!“, meinte ich und zuckte mit den Achseln.

 „Ich habe eben angerufen...“, meinte Elias und sah mich angespannt an. Na, das ging aber schnell. So lange war ich doch gar nicht auf dem Klo?!

 „Und?“, fragte ich. Wieso sahen sie alle aus, wie frisch erwachte Zombies?

 „ Benoni Epaminondas ist letzten Monat gestorben.“, erklärte Naldo enttäuscht.

 Entsetzt sah ich ihn an. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Er war doch der Einzige, der Elias' Vater kannte! Ohne ihn waren wir aufgeschmissen!

 „Lasst uns schlafen gehen und morgen sehen wir weiter...“, meinte Elias und rieb sich die Schläfen. Er wirkte geknickt und sah nicht so aus, als hätte er noch große Lust weiterzumachen. Überhaupt war er heute schon den ganzen Tag so ruhig. Ich wusste nicht wieso, aber es beunruhigte mich.

 „Okay...“, meinte ich ebenso enttäuscht.

 Elias ging voran in unser Zimmer und ich folgte ihm. Kurz vor der Tür hielt ich jedoch inne, als ich sah, dass Naldo mit Lake in seinem Zimmer verschwand. Konnte mir doch eigentlich egal sein, was die beiden die Nacht über trieben oder?

 Tat es nur nicht.

 Ich kam mir schon vor wie der Anstandswauwau, den keiner um sich herum haben wollte.

 Mürrisch ging ich zu Lake's Zimmer und betrat es, ohne anzuklopfen. Naldo und Lake sahen mich verwundert an. „Naldo schläft bei Elias!“, meinte ich bestimmend und sah Lake herausfordernd an. Der arme Naldo wusste ja gar nicht, worauf er sich einließ, wenn er die Nacht mit Lake verbrachte. Es sei denn, das war sein Plan gewesen?

 Jedenfalls war es nicht meiner und so schob ich den gutaussehenden Barkeeper aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Lake grinste breit. „Du bist mir doch nicht böse, Schatz? Du weißt doch, ich liebe nur dich!“, säuselte er belustigt.

 Ich streckte ihm die Zunge heraus und zog mich bis auf meine Boxershorts aus. Hätte ich lieber nicht tun sollen.

 „Oh~ nicht schlecht!“, meinte Lake anerkennend und ich spürte seine Blicke auf meinem Körper.

 „Halt die Klappe!“, brummte ich und legte mich ins Bett. Auch das noch! Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Jetzt musste ich auch noch die Nacht mit diesem Lustbolzen verbringen! Wehe, er vergriff sich an mir!

 Lake ging zur Tür, nachdem er sich ausgezogen hatte und schaltete das Licht aus. Er kam zu mir ins Bett und legte sich, viel zu nahe für meinen Geschmack, neben mich. Ich konnte sogar seinen Atem auf meinem Nacken spüren, was mir sofort eine Gänsehaut bereitete.

 Was noch schlimmer war, waren seine Hände, die er natürlich mal wieder nicht bei sich behalten konnte. Die landeten nämlich auf meiner Hüfte und rutschten ein wenig tiefer als sie sollten.

 „Hände weg, sonst hacke ich sie dir noch ab!“, meinte ich drohend.

 „Was glaubst du denn, was Naldo gerade mit deinem Elias macht?“, fragte Lake leise und ich konnte mir vorstellen, wie er dabei breit grinste und sich irre darüber freute, seine Späße mit mir zu treiben.

 „Gar nichts! Weil Elias im Gegensatz zu dir treu ist!“, murrte ich und zog Lake's Hand aus meiner Boxershorts, wo sie nun wirklich nicht hingehörte!

 „Hey, ich bin heiß und du hast mir meinen Spielgefährten weggenommen! Was soll ich denn sonst machen?“, fragte Lake eingeschnappt, auch wenn er es nicht wirklich war.

 „Du kommst schon noch drüber hinweg...“, meinte ich und schloss meine Augen. Ich wollte jetzt nur noch schlafen und den Schrecken des Tages vergessen.

 „Und du verpasst deine Chance auf Sex!“ Mann, Lake konnte es wirklich nicht lassen! Irgendwann würde ich ihm noch mal eine knallen! Aber so richtig!

 Ich drehte mich zu ihm herum und sah ihn wütend an. „Dann tu es doch und fick mich, aber halte bloß deine beschissene Klappe!“, schnauzte ich ihn an.

 Lake zog die Augenbrauen hoch. „Was ist denn mit dir los?“, fragte er verwirrt. Ich drehte mich wieder herum und beschloss einfach so zu tun, als würde ich alleine im Bett liegen und keine Nervensäge neben mir haben.

 Lake hielt zum Glück den Mund und so beruhigte ich mich schnell wieder.

 „Alles okay?“, fragte Lake mich. Gut, er hielt doch nicht den Mund. Was hatte ich auch erwartet? Der Kerl war eine Klatschbase, wie die alten Frauen, immer am Tratschen! Nur wenn sein Freund ihm Nachrichten schickte, dann war er wieder in seiner rosaroten Welt und wir Nebensache.

 „Ich dachte, du und Elias ihr habt euch wieder vertragen?“, fragte Lake mich neugierig.

 „Haben wir ja auch!“, brummte ich. Natürlich hatten wir uns wieder vertragen. Es gab noch nicht mal einen richtigen Streit zwischen uns.

 „Was soll das? Willst du mir Ratschläge geben?“, fragte ich gereizt.

 „Warum nicht? Fragt sich nur, ob du sie auch umsetzen würdest. Das liegt dann aber an dir!“, meinte Lake gutmütig.

 Sollte ich ihm wirklich sagen, was mich bedrückte? Sollte ich über diese Dinge nicht eher mit meinem Freund reden? Das ging Lake doch eigentlich nichts an.

 Ich drehte mich halb zu ihm herum und versuchte im Dunkeln in sein Gesicht zu sehen, was mir jedoch nicht gelang. Es war einfach zu düster und ich konnte nur seine Silhouette wahrnehmen, dabei war Lake mir so nahe.

 „Elias... Er will nicht mit mir über den Unfall reden.“

 Vielleicht kann ich ihm deswegen auch noch nicht näher kommen? Ist es das, was mich zurück hält? Die Tatsache, dass er in meinen Unfall verwickelt war und ich mich an rein gar nichts erinnern konnte?

 „Ich will mich ja erinnern, aber es geht nicht. Mein Kopf ist leer und Elias leidet.“

 „Wenn du krampfhaft versuchst dich zu erinnern, kann das ja auch nichts werden!“, meinte Lake und stieß mir den Zeigefinger gegen die Stirn. „Warte einfach ab! Irgendwann kommen die Erinnerungen schon wieder und wenn nicht, ist es doch auch nicht schlimm. Ihr seid beide noch am Leben und das ist das Wichtigste!“

 So langsam bekam ich das Gefühl, als würde ich mich im Kreis bewegen. Was sollte ich denn machen? Gar nichts? Einfach alles auf mich zukommen lassen?

 „Ach, vergiss es einfach!“, grummelte ich und drehte mich wieder auf die Seite. Brachte ja doch nichts darüber zu reden.

 Ich starrte eine Weile vor mich hin, denn dummerweise war ich jetzt wach und mir schwirrten so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich einfach nicht einschlafen konnte.

 Brauchte ich auch gar nicht, denn nach einiger Zeit, die mir endlos erschien, klopfte es an die Tür. Ich schreckte auf, im Gegensatz zu Lake, den wohl nicht mal eine Atombombe wach kriegen würde und setzte mich im Bett auf.

 „Was ist?“, fragte ich ohne Rücksicht auf Lake zu nehmen. Das schien ihn allerdings auch nicht weiter zu stören, denn er schlief immer noch wie ein Stein.

 Die Tür öffnete sich leise und Elias Kopf erschien im Türrahmen. Auf dem Flur hatte er das Licht angemacht und sah mich an, ohne das ich seinen Blick deuten konnte. Das konnte ich in letzter Zeit ohnehin nie.

 „Kommst du?“, fragte er mich und artig stieg ich aus dem Bett und lief zu ihm. Elias schloss die Tür und zog mich mit sich in die Küche, wo auch Naldo saß. Erstaunt sah ich die beiden an. Was war denn nun los?

 „Lake hat sein Handy hier liegen gelassen. Ich konnte vorhin nicht schlafen und da habe ich mir etwas zu trinken aus der Küche geholt. Das Display hat aufgeleuchtet, aber der Ton war auf stumm geschaltet, deswegen haben wir nichts gehört.“ Naldo hielt das Handy in seiner Hand. „Jedenfalls habe ich mir die Nachricht angehört, es war ja die Nummer von Benoni Epaminondas. Sein Sohn, den Elias vorhin am Telefon hatte, hat uns zurückgerufen und eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.“

 Angespannt sah ich Naldo an. Was hatte Benoni's Sohn uns zu sagen?

 „Er meinte, dass er uns morgen treffen möchte und das er uns vielleicht trotzdem noch weiterhelfen kann. Sein Vater hat nämlich einige Aufzeichnungen hinterlassen. Es sollen wohl irgendwelche Schriften zu seinem Job gewesen sein. Scheinbar wollte er ein Buch herausbringen über seinen Job als Gefängniswärter.“

 Ich sah zu Elias hoch und würde am liebsten jetzt sofort zu diesem Mann fahren und alles klären, nur damit Elias endlich dem Geheimnis seines Vaters auf die Spur kam.

 „Das ist doch klasse! Vielleicht können wir ja doch noch etwas über ihn erfahren?“, meinte ich zuversichtlich und lächelte zaghaft.

 Elias nickte, sah aber nicht sehr begeistert aus.

 „Was ist mit Lake?“, fragte ich. Wir hatten ihn schließlich gar nicht eingeweiht.

 „Wir sagen es ihm morgen früh und nachmittags fahren wir zu diesem Epaminondas. Zum Glück hat er mit seiner Familie bei seinem Vater gelebt. Es ist dieselbe Adresse!“, erklärte Naldo.

 „Sorry, dass wir dich deswegen extra geweckt haben...“, meinte Elias und sah mich entschuldigend an. Ich betrachtete ihn und wusste nicht, wieso ich ihm böse sein sollte. So wie er mich ansah, bekam ich vielmehr weiche Knie.

 Ich zuckte also mit den Schultern und versuchte mich möglichst lässig zu geben, fühlte mich nur nicht so. „Ich konnte sowieso nicht schlafen!“

 Elias nickte und strich mir mit der Hand sanft über den Kopf. Wäre Naldo nur nicht hier...

 Dieser stand nun auf und streckte sich ausgiebig. „Ich gehe wieder ins Bett!“, meinte er und warf uns noch einen kurzen Blick zu. Er schien wohl gemerkt zu haben, dass etwas zwischen uns lief. Komischerweise störte es mich gar nicht. Vielleicht, weil Naldo auch Männer mochte?

 Elias und ich blieben in der Küche zurück, als die Tür sich hinter dem jungen Mann schloss. Ich sah zu Elias auf.

 „Du bist blass.“ Irgendwie machte ich mir Sorgen um ihn. Wieso war er nur so merkwürdig? Nahm ihn das alles wirklich so mit?

 Elias zuckte nur mit den Schultern und sah auf mich herunter. Ich konnte nicht anders und trat einen Schritt auf ihn zu, schlang meine Arme um ihn und zog ihn in eine innige Umarmung. Elias erwiderte diese Geste und genießerisch schloss ich für einen Moment meine Augen.

 Ich wusste nicht, was in diesem Moment durch seinen Kopf ging. Wie auch, wenn er nicht mit mir darüber sprach. Ich konnte ja auch nicht mit ihm über meine Probleme sprechen.

 Keine Ahnung, wie lange wir so in der Küche standen. Irgendwann fanden sich unsere Lippen zu einem Kuss, den keiner von uns unterbrechen wollte.

 Spät in der Nacht kehrte ich zurück in Lake's Zimmer, legte mich ins Bett und konnte endlich schlafen. Zumindest solange, bis er mir im Schlaf seine Hand ins Gesicht knallte.

Ein Theoretiker ist ein Mensch, der praktisch nur denkt.

„Hier müsste es sein!“, stellte Lake nach einem Blick auf sein Handy fest. Elias hielt den Wagen am Straßenrand und gebannt sahen wir vier uns das kleine Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. Es wirkte wie so ein typisches Rentnerhäuschen mit kleinem Vorgarten und einem braunem Zaun.

 „Tja, dann wollen wir mal oder?“, fragte Naldo in die Runde. Er erhielt ein zustimmendes Nicken von uns und so stiegen wir alle ziemlich nervös aus dem Wagen.

 Hier wohnte also Benoni Epaminondas' Sohn mit seiner Mutter.

 Wir liefen über die Straße und durchquerten den Vorgarten, gingen brav über den Steinweg und energisch drückte ich auf die Klingel. Nichts tat sich.

 Auf meiner Unterlippe knabbernd sah ich zu den Jungs und drückte noch einmal.

 Ich hörte Schritte und kurz darauf öffnete sich die Tür und ein Mann stand vor uns. Schwarze Haare mit Grauansatz und in einem hässlichen grünen Shirt, dazu eine blaue ausgewaschene Jeans. Er wirkte ein wenig heruntergekommen, aber vielleicht trauerte er auch einfach nur? Der Tod seines Vater war immerhin noch nicht allzu lange her.

 „Hallo, wir hatten telefoniert!“, meinte Naldo und reichte dem Mann die Hand, welche dieser ergriff und nickte.

 „Kommt rein!“, meinte er und trat einen Schritt zur Seite, damit wir seine Wohnung betreten konnten.

 Augenblicklich schlug mir der Geruch von alten Menschen in die Nase. Es roch abgestanden und in der Wohnung staute sich die Vormittagshitze. Würde es nach mir gehen, würde ich erst mal sämtliche Fenster aufreißen, aber so unhöflich wollte ich dann doch nicht sein.

Wir wurden durch den dunklen Flur, vorbei an verschlossenen Zimmertüren, in ein Wohnzimmer geführt. Wie es scheint wurden wir wirklich schon erwartet, denn der Tisch war mit Keksen, einer Karaffe und Kaffeetassen gedeckt. Der Tisch hatte eine Glasplatte und man konnte direkt auf den Fußboden sehen, der mit einem dicken dunkelroten Teppich ausgelegt war. Wir setzten uns auf die Sessel und machten es uns so gemütlich wie es eben ging in so einer befangenen Situation.

 „Mein Vater hat seinen Beruf gehasst. Er hat immer wieder gesagt, dass es unmenschlich sei, wie die Häftlinge damals behandelt wurden und was wirklich dort ablief. Mit den Drogengeschäften, meine ich...“ Benoni's Sohn setzte sich mir gegenüber zu Naldo auf die Couch und goss uns allen Kaffee ein. „Deswegen hat er auch an seinem Buch geschrieben, aber es wurde nicht beendet und wird es wohl auch nie werden. Ich weiß nicht, was ich damit machen soll.“

 „Kannte er denn Joseph?“, fragte Elias und sah den Mann vor sich fragend an.

 „Gut möglich, ich zeige euch nachher sein Arbeitszimmer. Ich habe mich noch nicht allzu sehr damit auseinandergesetzt, mit dem was er geschrieben hat. Es hat mich nie wirklich interessiert, auch wenn er viel darüber geredet hat.“

 Ich knabberte an einem Keks und ließ meinen Blick durch die Wohnung schweifen. Der Tod schien hier noch immer allgegenwärtig zu sein.

 „Wie geht es Ihrer Mutter?“, fragte ich und merkte erst jetzt, dass ich es laut gesagt hatte.

 Benoni's Sohn sah mich an, antwortete jedoch nicht sofort. „Sie hat ihren Mann verloren. Wie soll es ihr schon gehen?“

 „Tut mir Leid...“, murmelte ich und sah geknickt auf meine Kaffeetasse.

 „Nein, schon gut. Es war ja nett gemeint. Es wird noch eine Weile dauern, bis es wieder geht. Sie ist eine alte Frau und wer weiß, wie lange sie noch leben wird...“, meinte er abwesend.

 Lake beugte sich vor und stellte seine Tasse auf den Tisch. „Wir wollen Sie wirklich nicht belästigen. Wir wollen nur herausfinden, ob es nicht irgendeinen Hinweis gibt, wo Elias Vater jetzt sein könnte. Bisher haben wir leider noch nicht allzu viel herausgefunden und die Aufzeichnungen Ihres Vaters sind unsere einzige Möglichkeit dem nachzugehen.“

 Benoni's Sohn nickte. „Ja, das kann ich gut verstehen. Ich weiß nur nicht, ob es euch viel bringen wird. Vielleicht steht ja auch nichts weiter darin?“

 „Dürfen wir uns die Unterlagen mal ansehen?“, fragte Naldo taktvoll.

 Der Mann nickte und erhob sich von dem Sofa. „Kommt mit!“, meinte er und so folgten wir ihm zurück in den Flur. Er blieb vor einer Tür stehen und drehte den Schlüssel im Türschloss herum. Als er die Tür geöffnet hatte, ließ er uns eintreten. „Lasst euch Zeit!“, meinte er und verschwand wieder.

 Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch den Raum gleiten. Überall standen Bücherregale an den Wänden. Ein Schreibtisch stand vor dem Fenster und war ebenfalls voller Papier und Büchern. Lake zog den Vorhang zurück und sofort wurde es heller im Zimmer.

 „Wo fangen wir an?“, fragte ich in die Runde.

 „Der Schreibtisch. Benoni hat in den letzten Monaten an seinem Buch gearbeitet, dann sollten wir da auch fündig werden.“, meinte Naldo und ging zielstrebig zu dem überladenen Tisch und wühlte in den Unterlagen herum.

 Ich sah zu Elias der, wie bestellt und nicht und nicht abgeholt, in der Mitte des Raumes stand und den Jungs zusah, wie sie die Papiere durchsahen. Wie sich das wohl für Elias anfühlte? Wenn wir irgendeinen Hinweis fanden, dann könnte es sein, dass er seinen Vater wiedersehen würde.

 Ich sah zurück in den Flur und bemerkte eine Tür, die lediglich angelehnt war. Neugierig ging ich darauf zu und drückte sie ein Stück auf. Es schien ein Schlafzimmer zu sein. Die Vorhänge waren zugezogen. Hastig wollte ich die Tür wieder zuziehen, als ich ein Stimme vernahm.

 „Sind Sie vom Pflegedienst?“, ertönte eine gebrechliche Frauenstimme.

 „Ähm, nein. Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht stören!“, meinte ich hastig und sah, wie die alte Frau, in dem viel zu großen Bett, mich zu sich winkte. Zögerlich ging ich zu ihr und setzte mich auf die Bettkante.

 „Ich hatte schon lange keinen Besuch mehr...“, erzählte sie und lächelte mich an. Ich musste schlucken und wusste nicht was ich sagen sollte. Ich kannte sie nicht und befand mich in ihrem Haus und trotzdem regte sich die alte Frau nicht im Geringsten darüber auf.

 „Wir wollen wirklich nicht unhöflich sein. Mein Freund ist auf der Suche nach seinem Vater und ihr Mann, also ihr verstorbener...“, ich brach den Satz ab und wusste nicht, wie ich es ihr sagen sollte.

 „Mein Mann...“, begann sie leise und schloss kurz die Augen. „Er war ein guter Mann...“

 „Ja, das war er...“, murmelte ich und sah auf meine Hand, die sie nun festhielt. Ihre runzelige Hand hielt mich Halt suchend fest und dann schlug sie die Augen wieder auf. „Sind Sie vom Pflegedienst?“, fragte sie mich und lächelte.

 Ich sah sie einen Augenblick lang an und schüttelte den Kopf. „Nein. Sie sollten jetzt schlafen.“ Ich strich über ihre Hand und löste sie vorsichtig von meiner. Die alte Frau sah mich an und sah mir nach, als ich aus dem Zimmer ging und die Tür leise hinter mir schloss.

 Ich ging zurück zu den Jungs und setzte mich neben Elias auf die kleine Bank, zwischen zwei Regalen. Ich griff nach seiner Hand, verschlang unsere Finger miteinander und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ohne ein Wort zu sagen, sahen wir Naldo und Lake zu, die sich weiterhin durch Notizbücher und Papiere wälzten. Ich hätte wahrscheinlich längst aufgegeben. Ich hatte noch immer Mühe mich nur auf eine Sache zu konzentrieren.

 Ich spürte wie Elias Daumen langsam über meine Hand strich und kuschelte mich enger an ihn, in meinen Gedanke war ich aber noch immer bei der alten Frau, die im Zimmer gegenüber lag. Ich hatte nicht das Gefühl, als ob sie sich wieder erholen würde und dass der Tod bereits seine Finger nach ihr ausstreckte.

 Die Stimmung im Haus war bedrückend und einengend. Ich würde am liebsten einfach rausgehen und tief Luft holen, trotzdem blieb ich an Elias' Seite sitzen.

 „Hier ist auch nichts...“, meinte Lake und legte ein Notizbuch zur Seite. „Da stehen nur Sachen drin, was sie mit den Gefangenen gemacht haben, wenn ich noch mehr davon lesen muss, muss ich noch kotzen!“, murrte er und nahm ein Blatt in die Hand, legte es jedoch auch zur Seite.

 „Wir finden hier schon noch irgendetwas!“, meinte Naldo, dessen Stimme sehr zuversichtlich klang. Er gehörte wohl zu der optimistischen Sorte und gab nicht so leicht auf.

 Lake wühlte derweil in den Schubladen herum, sah jedoch nicht sehr motiviert aus und gab genervte Laute von sich.

 „Soll ich weiter suchen, Lake?“, fragte ich ihn und erhielt ein dankbares Nicken. Wir tauschten die Plätze und an Lake's Stelle, machte ich mich nun über die Schubladen her. Da musste doch irgendetwas sein! Ich wäre ja auch schon mit einer winzigen Information zufrieden!

 Papier für Papier sah ich mir durch, doch das Meiste waren nur Notizen, abgelaufene Rechnungen, Strafzettel und Quittungen. Nichts von Interesse.

 „Ist doch alles sinnlos...“, murmelte Elias.

 Ich hielt inne und sah zu ihm. „Was meinst du damit? Das ist doch nicht sinnlos! Wir finden schon noch etwas!“, versuchte ich ihn aufzumuntern.

 Elias schüttelte den Kopf. „Wozu?“, fragte er und sah auf seine Hände, die er locker im Schoß hielt. „Das war eine dumme Idee. Ich hätte nicht nach ihm suchen sollen...“

 „Elias, jetzt sind wir schon so weit gekommen! Wir werden schon noch etwas über ihn finden und wenn wir das ganze Haus auseinander nehmen müssen!“, erwiderte Lake und legte seine Hand auf Elias Schulter.

 „Ich habe keine Lust mehr...“, meinte er und schüttelte den Kopf. „Das bringt doch alles nichts! Wir werden nichts finden! Er will wahrscheinlich eh nichts von mir wissen.“

 Ich kroch zu ihm und setzte mich vor Elias auf den Boden. Ich hielt mich an seinen Knien fest und sah Elias in die Augen, die mich nur stumpf anstarrten. „Wenn du eine Pause brauchst, können wir dich auch zum Hotel fahren. Dann bleiben zwei hier und suchen weiter. Du solltest dich ausruhen, vielleicht hilft dir das?“

 Elias knabberte an seiner Unterlippe. „Sam hat Recht. Du siehst echt übel aus in letzter Zeit. Du brauchst mehr Schlaf und gegessen hast du die letzten Tage auch kaum etwas. Ich fahre dich zum Hotel, okay?“, schlug Lake vor und strich Elias über den Rücken.

 Elias Blick blieb auf mir haften und nur zögernd nickte er. Ich lächelte, beugte mich vor und gab ihm einen Kuss. „Ruh' dich aus, wir schaffen das schon!“, meinte ich zuversichtlich, auch wenn ich nicht unbedingt der Meinung war, dass wir hier noch etwas finden würden.

 Elias und Lake erhoben sich von der Bank und verließen das Zimmer. Ich sah ihnen einen Augenblick lang nach, ehe ich zur Schublade zurück kroch und weiter darin herum wühlte.

 „Vielleicht sollten wir doch mal nach Dois Rios fahren?“, fragte Naldo nachdenklich.

 „Was soll uns das bringen?“, fragte ich ihn zweifelnd.

 „Uns nichts, aber Elias. Vielleicht kann er dort mit seinem Vater abschließen, sollten wir hier nichts finden.“

 Ich sah Naldo einen Moment lang an. Wäre es nicht besser, dann einfach heimzufahren? Außerdem würde es sicher Stunden dauern, bis wir auf dieser verfluchten Insel waren.

 „Ich weiß nicht...“, erwiderte ich unschlüssig. Ich wollte Elias nicht noch mehr Stress zumuten. Er sah jetzt schon mehr als mitgenommen aus. Ich wollte nicht, dass er womöglich umkippte. Das hätte mir gerade noch gefehlt!

 „Was ist das?“, fragte Naldo und zeigte mit dem Finger auf das Büchlein, welches ich gerade in der Hand hielt. Es war nicht viel größer als meine Hand und sah eher nach einem Notizbuch aus, was man gut unterwegs benutzen konnte.

 „Keine Ahnung...“, meinte ich und öffnete den Buchdeckel. Es war ein Ringbuch mit karierten Seiten. Am Anfang standen nur Zahlen, die ich nicht zuordnen konnte. Ein paar Orte standen ebenfalls darauf. Mengenangaben. Was zur Hölle war das?!

 „Glaubst du, dass er doch in Drogengeschäfte verwickelt war?“, fragte ich Naldo und hielt ihm das Notizbuch vor die Nase. Waren die Angaben für die Dealer?

 „Die Zahlen könnten irgendwelche Codes sein. Eine Geheimsprache vielleicht?“, murmelte Naldo. „Die Orte sind eventuell ihre Treffpunkte plus die Mengenangaben für den Inhalt, wer wie viel Drogen bekommt. Womit auch immer gedealt wurde.“

 „Kokain...“, erwiderte ich.

 „C.V.“

 „Was?“, fragte ich Naldo.

 „Hier steht C.V. Das Kürzel für Comando Vermelho. Es könnte auch das Zeichen der Drogenverkaufsplätze sein. Vielleicht wurden die Orte damit markiert?“, überlegte Naldo. „Würde mich nicht wundern, wenn sie in den Favelas gedealt haben.“

 „Wieso gerade in den Armenvierteln?“, fragte ich ihn.

 „Wieso nicht? Drogen lenken von der bitteren Realität ab, verschaffen einem ein unglaubliches Gefühl und es macht die Menschen abhängig. Wenn sie abhängig sind, wollen sie mehr! Je mehr Kundschaft sie haben, umso mehr können sie verkaufen und umso mehr Profit machen sie.“, erklärte Naldo.

 Ich nickte. Verständlich, aber was hatte das mit Elias Vater zu tun? Eigentlich doch gar nichts oder?

 „Meinst du, Elias' Vater hat auch gedealt? Ich finde es so weit hergeholt...“

 „Und doch könnte es wahr sein! Was ist so komisch an dem Gedanken? Weil es Elias Vater ist? Na und? Wieso sollte er nicht in dunkle Machenschaften verwickelt sein? So etwas geht schneller als du denkst.“

 „Ja, aber ich finde es komisch, wenn es eine Person aus meinem Umfeld betrifft. Das wirkt so... Ich weiß auch nicht...“, meinte ich und zuckte mit den Schultern.

 „Zu weit hergeholt?“, ergänzte Naldo meinen Satz. Ich nickte.

 Stumm saßen wir im Zimmer, während Naldo durch das Buch blätterte. „Möglicherweise sind es auch Informationen, die er bekommen hat, wofür auch immer, aber eventuell hat er auch mit der Polizei zusammen gearbeitet. Undercover sozusagen. Wäre doch möglich oder?“, meinte Naldo nach einer Ewigkeit.

 Ich zuckte mit den Schultern. „Wer sollte Benoni schon freiwillig Informationen zukommen lassen?“

 „Elias' Vater?“

 Ich sah ihn mit großen Augen an. „Meinst du, die könnten unter einer Decke stecken?!“, fragte ich aufgeregt.

 Naldo schnalzte mit der Zunge. „Wäre möglich...“

 „Trotzdem haben wir immer noch keine Ahnung, wo Elias Vater sein könnte!“, fügte ich seufzend hinzu, hob einen Papierberg an und ließ ihn wieder zu Boden fallen. Das war einfach ein Ding der Unmöglichkeit diesen Mann zu finden.

 „Ab auf die Insel!“, meinte Naldo lachend.

 „Ich glaube, das wird uns aber auch kein Stück helfen...“, erwiderte ich ohne große Begeisterung.

 „Ja, wahrscheinlich nicht.“ Naldo legte das Buch zu Boden und hielt inne. „Was ist das?“

 Ich folgte seinem Blick und sah nun ebenfalls unter den Schreibtisch. Dort klebte etwas. Naldo hob die Hand und zog leicht daran, dann etwas kräftiger, als es sich nicht löste.

 „Ein Umschlag?“, fragte ich neugierig und Naldo begann ihn mit zitternden Händen zu öffnen. Ich beugte mich vor und angespannt sahen wir in den Umschlag hinein. „Das ist ein Speicherstick...“, meinte Naldo, nahm ihn heraus und hielt ihn mir vor die Nase.

 „Glaubst du da sind mehr Hinweise zu finden?“, wollte ich wissen.

 „Auf jeden Fall wollte Benoni es geheim halten. Was auch immer wir darauf finden werden...“, meinte Naldo.

 „Ist das nicht gefährlich?“, fragte ich ihn.

 „Ihr könnt ihn mitnehmen!“

 Erschrocken zuckten wir zusammen und drehten uns zur Tür herum. Benoni's Sohn stand im Türrahmen.

 „Wir haben hier sowieso keinen Computer und es interessiert mich nicht, was da drauf ist.“

 Wir nickten und Naldo steckte sich den Stick in die Hosentasche. „Wir räumen das hier auf. Können wir das Notizbuch auch mitnehmen?“, fragte er den Mann und dieser nickte.

 „Es würde ohnehin alles nur im Müll landen, also nehmt mit, was ihr gebrauchen könnt.“

 Wir steckten alles ein, was uns brauchbar erschien und bedankten uns für die Gastfreundschaft, ehe wir die Wohnung verließen und draußen warteten, damit Lake uns abholen kam, nachdem wir ihm eine SMS geschickt hatten.

 „Wieso interessiert es ihn nicht?“, fragte ich Naldo.

 „Keine Ahnung. Mir schien, als hätte er kein allzu gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt. Er wirkte ein wenig abweisend. Vielleicht hatte er auch einfach nur Angst und wollte nicht in irgendwelche gefährlichen Dinge hineingezogen werden?“, vermutete Naldo und prüfte ob der Stick sich noch in seiner Hosentasche befand.

 Wir standen uns vor dem braunen Gartenzaun die Beine in den Bauch. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis Lake zurück kam.

 „Sag mal, dieser Lake... Ist er Single?“, fragte Naldo mich und von der Frage überrascht, verlor ich beinahe mein Gleichgewicht, weil ich mehr oder weniger wie ein Flamingo in der Landschaft herumstand und dadurch beinahe den Gehweg küsste. Ich balancierte mein Gewicht aus, indem ich mich an Naldo festhielt und sah ihn erstaunt an. Wieso es mich so sehr überraschte, wo es doch eigentlich ziemlich offensichtlich war, wusste ich auch nicht.

 „Na ja, sozusagen...“, meinte ich zögerlich.

 „Sozusagen?“, fragte Naldo lächelnd.

 „Er ist in einer Fernbeziehung mit meinem Bruder!“, erklärtet ich hastig.

 „Verstehen sie sich gut?“, fragte Naldo. Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Was sollte die Frage denn?

 „Ja, sie mögen sich.“

 „Schade...“, meinte Naldo. „Ich dachte, er interessiert sich für mich.“

 „Na ja, Lake interessiert sich für ziemlich viel, solange es nicht bei drei auf den Bäumen ist. Meine Schwester hat er auch schon mal angemacht. Und mich auch...“, erzählte ich ihm.

 „So einer ist er also!“, meinte Naldo lachend.

 Ich wollte nichts Schlechtes sagen, aber ich glaubte nicht, dass Lake und Naldo glücklich werden konnten. Ich wollte es auch nicht. Ich wollte, dass Lake mit meinem Bruder zusammen blieb.

 „Du und Elias...“, begann Naldo vorsichtig. „Eure Beziehung ist kompliziert oder? Wie lange warst du im Koma?“

 „12 Jahre.“

 „Wow, das ist eine lange Zeit.“ Naldo sah mich mit anerkennend an. „Du scheinst dich gut erholt zu haben.“

 Ich nickte. „Elias hat mir geholfen. Eine gute Freundin auch. Er hat mir aber erst nach meinem Koma erzählt, dass er mich liebt.“

 Naldo nickte. „Liebst du ihn auch?“

 „Ja, schon, aber irgendwie... Manchmal weiß ich nicht, was ich für ihn empfinde. Er ist ein toller Freund und wir haben so ein paar versaute Sachen miteinander angestellt, aber dann...“ Wie sollte ich es ihm erklären?

 „Da ist eine Wand zwischen euch oder?“

 Ich sah Naldo an und nickte zögernd. „Wir hatten einen Unfall, an den ich mich aber nicht mehr erinnere. Elias hat alles gesehen, aber er will nicht darüber sprechen. Ich habe das Gefühl, als würde er sich in letzter Zeit von mir distanzieren. Wir reden nicht mehr so viel miteinander, auch wenn wir uns küssen und so...“, gestand ich ihm.

 „Gib ihm die Nähe, auch wenn er nicht reden möchte. Irgendwann spricht er schon von sich aus. Lass ihm einfach ein wenig Zeit.“

 Ich nickte, auch wenn es mir schwer fallen würde.

 „Und wenn es doch nicht mit euch beiden klappt, du weißt ja, wo du mich findest!“, meinte er neckend.

 „Haha~ sehr witzig!“ Ich streckte ihm die Zunge heraus und schüttelte den Kopf. Naldo war ja ganz nett, aber mehr auch nicht. Es war nicht so, dass ich jedem Kerl hinterherlaufen würde. Wenn dann schon eher den Frauen, aber seit ich mit Elias zusammen war, war ich mir selbst nicht mehr ganz sicher, was ich wollte. Ich wollte mit ihm zusammen sein, aber irgendwie wollte ich manchmal unsere Freundschaft dadurch nicht beeinträchtigen. Ich wollte lieber mit ihm befreundet sein, als dass da mehr daraus wurde.

 „Lake ist immer noch nicht da...“, meinte Naldo nach einer Weile.

 „Stimmt.“ Wo blieb er nur? So lange hatten wir auf der Hinfahrt nicht gebraucht. Naldo zückte sein Handy und schrieb ihm noch eine SMS.

 Wir warteten, doch nach 20 Minuten kam immer noch nichts von ihm.

 „Was soll das?“, fragte ich verwirrt und besorgt.

 „Keine Ahnung...“, meinte Naldo sichtlich beunruhigt. „Vielleicht ist nur sein Handy aus oder sein Akku ist leer?“

 „Und wenn nicht?“ So langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Was war mit Lake und Elias? Wieso bekamen wir keine Antwort?

 Naldo rief im Hotel an, doch auch dort konnten wir niemanden erreichen.

 „Und jetzt?“, fragte ich ihn nervös.

 „Wir rufen uns ein Taxi und fahren zum Hotel, wenn sie nicht da sind, warten wir und rufen dann die Polizei!“, meinte Naldo und knabberte auf seinem Handy.

 „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, selber einen auf Detektiv zu machen?“, murmelte ich.

Jeder Mensch hat ein Recht auf meine Meinung.

Wir riefen uns ein Taxi und ließen uns zum Hotel Caricia fahren. Dort bezahlten wir den Fahrer und liefen eilig durch die Lobby zu unseren Zimmern. Ich klopfte an die Tür, doch ich vernahm keinen Laut. Es blieb still.

 „Ich hole die Ersatzschlüssel!“, meinte Naldo und lief die Treppe herunter zurück zur Anmeldung. Nervös wartete ich vor der Tür. Was, wenn sie überhaupt nicht da waren?

 Was war passiert, dass die beiden sich nicht mehr meldeten? War ihnen etwas zugestoßen?

 „Bitte nicht...“, murmelte ich und trat von einem Fuß auf den anderen. Was machte Naldo so lange? Ich konnte nicht länger warten und lief nun ebenfalls zur Anmeldung, wo ich Naldo sah, der mit der Rezeptionistin sprach.

 „Was ist los?“, rief ich ihm beim Näherkommen zu. Naldo sah auf und sah mich besorgt an. „Sie hatten einen Unfall.“

 Ich blieb stehen und sah ihn entsetzt an. „Nein! Das kann nicht sein! Wo sind sie?“, fragte ich panisch und spürte wie mein Herzschlag sich beschleunigte.

 

„Keine Sorge, Sam! Beruhige dich! So schlimm ist es auch wieder nicht!“ Naldo griff nach meinen Schultern und sah mich eindringlich an. „Ihnen geht’s gut! Hörst du? Es geht ihnen gut, es ist nichts passiert! Lake und Elias sind in Ordnung!“

 „Aber sie hatten einen Unfall!“ Für Naldo mochte das nicht so schlimm sein, aber Elias hatte noch ein Trauma vom letzten Unfall, bei dem er mich immerhin beinahe verloren hätte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Naldo an.

 „Wie gesagt es geht ihnen gut. Sie haben im Hotel angerufen und die Nummer des Krankenhauses hinterlassen. Wir fahren da jetzt hin!“, meinte Naldo. „Können Sie uns ein Taxi rufen?“

 Die Frau an der Anmeldung nickte, griff sofort nach dem Telefon und wählte die Nummer der Taxigesellschaft.

 

◆ ◆ ◆

 

Wir betraten das Krankenhaus und mit einem mulmigen Gefühl überließ ich es Naldo nach dem Zimmer der Jungs zu fragen. Meine Gedanken kreisten seit der Fahrt hierher nur um Elias. Meine Güte, ich hatte schon Angst gehabt ihn zu verlieren!

 Naldo griff nach meinem Handgelenk und zerrte mich hinter sich her, als ich nicht sofort auf ihn reagierte, was auch immer er mir sagen wollte. Wir liefen durch den sterilen Flur, der auf einmal so beengend auf mich wirkte. Mit dem Fahrstuhl fuhren wir ein paar Etagen höher und liefen durch die Gänge. Wie gut, dass Naldo bei mir war, sonst hätte ich echt nicht gewusst was zu tun gewesen wäre.

 Naldo hielt vor einer Tür, sah auf das Schild und klopfte an. Er griff nach der Türklinke, drückte sie herunter und betrat das Zimmer. Zögernd blieb ich stehen.

 „Nun komm schon rein!“, forderte er mich auf.

 Ich versuchte mich zusammen zu reißen und folgte ihm langsam. Eine Art Miniflur war in das Zimmer integriert, so dass man am Badezimmer vorbei kam und die Betten noch nicht richtig sehen konnte. Zur Linken gab es einen Kleiderschrank und geradezu sah ich eine spärliche Sitzecke mit Tisch und zwei Stühlen. Wir bogen um die Ecke und mir war schon ein bisschen flau, als ich Lake und Elias in den Betten sah.

 „Wurde auch mal Zeit, dass ihr auftaucht!“, murrte Lake mit verschränkten Armen. Er war komplett angezogen, saß im Schneidersitz und verschränkten Armen auf dem Bett. Lediglich ein dicker Verband zierte seinen Kopf.

 „Was ist passiert?“, fragte ich ihn und wagte es nicht, mich zu Elias umzudrehen, wenn Lake schon so aussah.

 „Ach, ich musste genäht werden! Ist nicht so schlimm!“, meinte Lake abwehrend und grinste breit. Naldo ging zu ihm und umarmte ihn prompt, was Lake ganz schnell still werden ließ. Ich hörte Naldo leise flüstern und sah wie Lake seine Finger in Naldos Hemd krallte und den Kopf auf seiner Schulter ablegte. Wahrscheinlich stand Lake völlig unter Schock. Da reagierte eben jeder auf seine Art.

 Ich presste meine Lippen zusammen und drehte mich zu Elias herum. Tief durchatmend blieb ich am Bettende stehen und sah wie er ganz ruhig im Bett lag und an einer Infusion hing. Es sah aus als würde er einfach nur daliegen und schlafen, hätte er nicht die vielen blauen Flecken im Gesicht. Ich ging näher an ihn heran und setzte mich zu ihm aufs Bett, ergriff seine schlaffe Hand und drückte sie fest, während ich mit der anderen vorsichtig über seine Wange strich.

 „Dir geht’s gut. Du glaubst gar nicht was für eine Angst du mir eingejagt hast...“, murmelte ich benommen und würde seinen Körper am liebsten eng an mich drücken und nie wieder loslassen.

 Elias gab einen Laut von sich und schlug die Augen auf. Müde sah er zu mir und dann konnte ich mich doch nicht länger zurückhalten. Ich beugte mich über ihn und drückte ihm beherzt einen Kuss auf den Mund, ehe ich mich an seinen Körper schmiegte und ihm leise ins Ohr flüsterte, dass er mir ja nie wieder so einen Schrecken einjagen sollte und wie froh ich war, dass es ihm gut ging. Zumindest soweit ich das erkennen konnte.

 „Könnt ihr schon wieder heim oder müsst ihr im Krankenhaus bleiben?“, fragte Naldo und saß bereits neben Lake auf dem Bett und hielt dessen Hand fest in seiner.

 „Keine Ahnung...“, murmelte Lake und kratzte sich am Kopf.

 „Ich gehe mal fragen.“ Naldo rutschte von der Bettkante und verschwand aus dem Zimmer. Ich warf einen Blick zu Lake, den dieser erwiderte. „Alles okay bei dir?“, fragte ich ihn. Lake nickte und zuckte mit den Schultern. „Hätte schlimmer kommen können.“

 „Sag doch so was nicht!“, murrte ich. Allein der Gedanke die beiden Jungs zu verlieren, bereitete mir eine Gänsehaut. So etwas wollte ich mir gar nicht erst ausmalen! Allerdings brannte mir schon die Frage auf der Zunge, was genau passiert war. Trotzdem hielt ich mich lieber erst mal zurück. Jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt.

 Als ich wieder zu Elias sah, hatte er die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Vorsichtig strich ich ihm über die Wange. Das war alles scheinbar wirklich zu viel für ihn. Hier in dem großen Krankenhausbett sah er irgendwie noch kranker aus, als er es war.

 Ich hörte die Zimmertür und drehte mich um. Naldo kam mit einer Frau zurück, die sich kurz um Elias kümmerte und die Infusion von seinem Arm abnahm. „Er sollte eine Weile im Bett bleiben, wenn sie zuhause sind und sich nicht überanstrengen.“

 Ich nickte und beschloss Elias noch ein wenig schlafen zu lassen.

 

◆ ◆ ◆

 

„Geht's so?“, fragte ich und zupfte Elias Kissen zurecht. Im Bett des Motels sah er auf einmal so klein aus. Ich befürchtete schon, dass er ganz darin verschwinden würde. Ich zog ihm die Bettdecke über und legte mich zu Elias ins Bett.

 Die Fahrt über hatte er auch schon viel im Auto geschlafen, jetzt war er wieder kurz davor wegzusacken. Er war doch erschöpfter als ich angenommen hatte. Scheinbar hatte ich ihm einfach zu viel zugemutet und nicht genug auf die Anzeichen geachtet.

 Elias kuschelte sich an mich und schloss die Augen.

 

◆ ◆ ◆

 

„Was genau ist passiert?“, fragte Naldo Lake, saß ihm gegenüber auf dem Bett in Lakes Zimmer und sah ihn besorgt an.

 Lake wich seinem Blick aus. „Wir waren auf dem Weg zurück zum Motel...“ Er hielt inne und sah wieder zu Naldo. „Da war ein Auto, das uns entgegen kam. Ein Geisterfahrer. Ich konnte gerade noch so eben ausweichen. Ich habe nur nicht bemerkt, dass wir zu dicht an der Leitplanke waren und bin dagegen gerammt, der Wagen hinter uns konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und ist uns hinten reingefahren. Ich bin mit dem Kopf gegen die Scheibe geflogen. Wir hatten Glück, dass es nicht zu einer Massenkarambolage ausgeartet ist oder schlimmeres passiert ist.“

 Naldo nickte und griff nach Lakes Knie. „Ich bin froh, dass es euch beiden gut geht!“

 Lake grinste breit. „Willst du mich untersuchen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist?“, fragte er anzüglich. Naldo lächelte. „Du hast einen Freund, Lake.“

 „Ja, einen Freund, der sich seit einiger Zeit gar nicht mehr bei mir meldet. Ich glaube, er hat mich vergessen...“, murmelte er gedankenverloren.

 Naldo beugte sich vor und zog Lakes Gesicht zu sich. Einen Moment lang sahen sie sich kurz in die Augen, ehe Naldo den Jungen vor sich einen Kuss gab. Ein kurzer Kuss, mehr nicht, ehe er sich wieder von ihm löste.

 „Zur Aufmunterung.“ Er lächelte und stand vom Bett auf. „Ich mache euch allen mal was anständiges zu essen! Immer nur Fast Food oder Fertiggerichte sind auch nicht so das Wahre!“ Lachend folgte Lake ihm in die Küche, um beim Kochen zu helfen.

 

◆ ◆ ◆

 

Als ich wieder aufwachte, ging bereits die Sonne unter.

 Neben mir lag Elias, der seelenruhig und eng an mich gepresst, schlief. Meine Hand fuhr durch seine schwarzen Haare. Langsam befreite ich mich aus seinem Klammergriff und setzte mich im Bett auf, streckte mich ordentlich und krabbelte vom Bett runter. Mein erster Weg führte mich ins Badezimmer, wo ich mich erleichterte, Hände wusch und dann das Zimmer verließ, wo mir bereits auf dem Flur ein würziger Geruch entgegen schlug.

 Ich nahm die Witterung auf und lief in die Küche, wo Lake und Naldo fleißig am Essen vorbereiten waren.

 „Hey, du meintest nur eine Prise! Das ist nie und nimmer eine Prise!“, meinte Lake und sah Naldo erschüttert an.

 „Es soll doch nach was schmecken!“, murrte Naldo und schob Lake beiseite, der ihm scheinbar im Moment keine allzu große Hilfe war. Grinsend blieb ich im Türrahmen stehen und beobachtete die beiden.

 „Schlägst du Wurzeln oder packst du mit an?“, fragte Naldo und drehte sich zu mir herum. Hatte der Kerl auch Augen im Hinterkopf? Am liebsten würde ich die Flucht antreten, blieb jedoch wacker an meinem Platz stehen. „Wurzeln schlagen! In der Küche bin ich eine Katastrophe!“, gestand ich ihm ungerührt.

 Naldo lachte und zeigte mit dem Finger auf Lake. „Dein kleiner Freund hier, kann gerade mal ein paar einfache Gerichte, aber wenn es etwas schwieriger wird, steht er dir in nichts nach!“

 Lake boxte ihm empört in die Seite und gesellte sich zu mir. „Du darfst als erster kosten! Ich hänge an meinem Leben!“

 „Was? Nichts da! Du probierst zuerst!“, erwiderte ich lachend.

 „Pah! Ihr wisst nur nicht was gut ist!“ Naldo schüttelte theatralisch den Kopf und zeigte zum Küchenschrank. „Deckt schon mal den Tisch!“

 Brav richteten wir alles her. Naldo trug das Essen auf und so fielen wir regelrecht über die Mahlzeit her, die dann doch nicht so übel schmeckte. Nach dem Essen spülte Lake das Geschirr ab, während Naldo noch eine leichte Gemüsesuppe für Elias kochte. Er reichte mir eine kleine Schüssel und einen Löffel und schob mich damit zurück ins Schlafzimmer.

 Als ich es betrat, lag Elias wach im Bett und starrte an die Decke. Auch als ich näher kam, sah er mich nicht an.

 „Hey, wie geht’s dir?“, fragte ich ihn, ging um das Bett herum und stellte die Suppe auf dem Nachttisch ab. Erst jetzt reagierte er und sah mich an. Ich ging vor dem Bett in die Hocke und zeigte auf die Suppe. „Du hast heute kaum was gegessen. Deswegen bist du auch so schlapp. Dein Körper braucht langsam mal was zum Arbeiten.“

 „Ich habe keinen Hunger...“, murmelte Elias mit rauer Stimme.

 „Den hast du nie wirklich, aber du musst jetzt ein bisschen essen. Wenigstens ein paar Löffel!“, forderte ich ihn auf und half Elias beim Aufsetzen. Ich schob ihm das Kissen im Rücken zurecht und setzte mich dann zu ihm auf die Bettkante. Ich griff nach der Schüssel und hielt sie ihm hin, doch Elias nahm sie mir nicht ab.

 „Was ist? Willst du gefüttert werden?“, fragte ich grinsend. Elias wich meinem Blick aus und sah aus dem Fenster. Grummelnd füllte ich den Löffel mit der Suppe, pustete und hielt ihn den Elias vor den Mund. Er sah mich wieder an, sah auf den Löffel herunter, als wäre es etwas abartiges und öffnete nur zögernd den Mund. Den Moment nutzte ich aus und schob ihm den Löffel einfach in den Mund. Wenn er schon Hemmungen hatte, musste ich ihm eben zu seinem Glück verhelfen. Elias kaute kurz das weiche Gemüse, schluckte und schon hielt ich ihm erneut die nächste Portion vor die Nase. Widerwillig tat er mir den Gefallen den Mund zu öffnen. Ich sah ihm an, dass er mächtig mit sich zu kämpfen hatte, aber ich wollte nicht, dass er irgendwann an Magersucht starb. An so etwas sollte kein Mensch zugrunde gehen.

 Am liebsten würde ich ihm jetzt so einen Klugscheißerspruch entgegen schleudern á la, er konnte froh sein, dass er genug zu essen bekam, wo andere Menschen in armen Ländern tagelang hungern mussten und froh wären, wenn sie täglich frisch zubereitete Mahlzeiten bekommen würden. Ich behielt es lieber für mich.

 Die Hälfte der Suppe schaffte er und ich war mächtig stolz auf Elias. Ich stellte die Schüssel zur Seite und belohnte ihn dafür erst mal mit einem intensiven Zungenkuss, den er gerne erwiderte. Da ich nicht wusste, ob er auch an anderen Stellen, außer den Prellungen im Gesicht, schmerzen hatte, zog ich die Decke zurück, spreizte seine Beine und setzte mich einfach dazwischen, um ihn wieder ausgiebig küssen zu können. Elias schlang seine Arme um meinen Körper und zog mich an sich. Ich war wirklich froh, dass er so glimpflich davon gekommen war.

 Stöhnend genoss ich den würzigen Geschmack seiner Zunge und spürte wie Elias langsam aber sicher hart wurde. Grinsend ließ ich meine Hand in seine Hose wandern und entlockte ihm ein leises Stöhnen. Wir unterbrachen den Kuss nicht, während ich ihn befriedigte.

 Als er in meiner Hand kam, löste ich mich atemlos von ihm. Elias Atem streifte mein Gesicht und als ich meine Hand aus seiner Hose zog, sah ich sein Sperma. „Ich wasch mir kurz die Hände...“, murmelte ich, während Elias mit dem Handrücken den Speichel von seinem Mund wischte. Ich verdrückte mich mit der harten Beule in meiner Hose im Badezimmer und wusch mir hastig die Hände.

 Als ich ein Geräusch vernahm und mich umdrehte, sah ich Elias im Badezimmer. Er ging zur Badewanne und drehte das Wasser auf. „Willst du baden?“, fragte ich ihn und daraufhin nickte er. Elias zog sich die Klamotten aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Ich trocknete meine Hände ab und sah auf, als er plötzlich nackt vor mir stand. Er war wirklich dürr.

 Elias verschwendete keine Zeit und griff nach meinem Shirt, um es mir auszuziehen. Grinsend ließ ich ihn machen und wurde trotzdem ein wenig verlegen, als sein Blick auf meinen Ständer fiel, während er mir die Hose auszog.

 „Kommt mit.“ Elias griff nach meinem Handgelenk und zog mich mit sich zur Badewanne. Sie war beinahe zur Hälfte vollgelaufen, als er noch ein wenig Flüssigkeit aus einer Tube einließ, damit wir schön viel Badeschaum bekamen. Elias stieg in die Wanne. Ich setzte mich auf den Wannenrand und hielt meine Beine ins Wasser. Es war ziemlich heiß.

 Elias kroch näher zu mir und grinsend fuhr ich mit der Hand durch seine Haare, während er meine Beine auseinander zog und kurz darauf ließ ich mir stöhnend von ihm einen blasen.

 Der Blowjob tat wirklich gut, meine Stimmung wurde nur gedämpft, als mir siedend heiß einfiel, dass ich die Zimmertür gar nicht geschlossen hatte. Mit grauen hoffte ich, dass keiner ins Zimmer kam und uns jetzt zusah, immerhin würde Lake das glatt fertig bringen!

 Elias Zunge lenkte mich sofort von meinen Gedanken ab. Und wenn schon! Ich durfte ja wohl auch mal meinen Spaß mit Elias haben!

 Er strengte sich wirklich an, aber mit den Gedanken war ich heute wirklich nicht bei der Sache. So fiel mein Blick auf das Wasser und hastig stellte ich den Wasserhahn ab, damit wir das Badezimmer nicht fluteten. Elias gab einen erschrockenen Laut von sich. Als ich mich vorbeugte, hatte ich mich wohl mit der ganzen Länge in seinen Mund geschoben. Hastig zog ich mich zurück, während Elias sich von mir löste und mürrisch ansah.

 „Was soll das werden?“, fragte er genervt. Entschuldigend lächelte ich ihn an. „Weiß nicht, bin heute nicht bei der Sache.“

 „Das merke ich schon. Nur schnüre mir nicht noch mal so die Luft ab!“, grummelte er. Ich lächelte schief und könnte Elias dafür abknutschen, dass er trotz allem weiter machte und mich nicht mit der Erektion sitzen ließ.

 Wenige Minuten später saß ich zwischen Elias' Beinen und spielte mit dem Badeschaum, pustete ihn von meinen Handflächen quer durch den Raum und genoss Elias' Lippen an meinem Nacken und den Schultern, während seine Arme meinen Bauch umschlangen und die nasse Haut erkundeten.

 „Geht es dir wirklich gut?“, fragte ich Elias nach einer Weile. Immerhin war das jetzt der zweite Unfall, den er miterlebt hatte. Das musste doch garantiert ein Trauma für ihn sein!

 Ich drückte den Schaum unter Wasser und wartete. Elias gab keinen Ton von sich. Ich drehte mich zu ihm herum, so gut es eben ging und wollte gerade etwas aufmunterndes sagen, als plötzlich das Licht ausging.

 „Häh?“, fragte ich verwirrt.

 „Stromausfall?“, murmelte Elias verwundert.

 „Scheint so...“, erwiderte ich. Ganz toll und wir saßen in der Wanne!

 „Hey, Jungs? Bei euch alles okay?“, kam es vom Schlafzimmer aus. Es war Lakes Stimme.

 „Wir sind im Badezimmer!“, rief ich ihm zu. „Uns geht’s gut!“ Ich kniff die Augen zusammen, als mich plötzlich Lakes Handy anstrahlte. „Lake! Nicht in meine Augen!“, meckerte ich. Der Lichtstrahl wanderte woanders hin und kurz darauf wurden uns Handtücher entgegen gehalten. Elias und ich stiegen vorsichtig aus der Wanne und nahmen sie Lake ab. Hastig rubbelte ich mich ab und schlang das Handtuch um meine Hüfte. Wir folgten Lake in die Küche, wo Naldo aus den Schubladen zum Glück ein paar Kerzen aufgetrieben hatte. Irgendwie wirkte es sehr romantisch, wenn man mal davon absah, dass uns der Strom im Stich gelassen hatte.

 Lake lief ans Küchenfenster und sah hinaus. „Die ganze Stadt ist ohne Licht!“, meinte er und kehrte zurück an den Tisch. Wir setzten uns und warteten. Vergeblich. Wer wusste schon, wann wir wieder Strom hatten?

 Lake hatte inzwischen eine gute Abwechslung gefunden und spielte auf seinem Handy Sudoku. Gelangweilt sah ich ihm dabei zu.

 Naldo stand auf, holte aus dem Kühlschrank eine Wasserflasche und goss uns allen ein paar Gläser voll. „Ich werde mir morgen mal den Speicherstick in einem Internetcafé genauer ansehen!“, meinte er. „Vielleicht finde ich ein paar interessante Sachen.“

 Ich trank einen kräftigen Schluck aus meinem Glas. „Und wenn da nichts drauf ist, was uns interessieren könnte?“, fragte ich ihn.

 Naldo zuckte mit den Schultern. „Dann sehen wir uns die Unterlagen eben noch mal genauer an. Vielleicht haben wir ja etwas übersehen? Wenn wir gar nichts finden, haben wir es wenigstens versucht!“, meinte er mit einem Seitenblick auf Elias, der sein Glas zwischen den Händen drehte und auf den Inhalt starrte.

 „Ich schaue mir die Unterlagen noch mal an!“, meinte Lake, stand auf und ging durch den Flur in sein Zimmer, wo wir die Sachen nach unserer Ankunft abgelegt hatten.

 Mein Blick fiel aus dem Fenster. Es wurde langsam immer dunkler. Es hatte keinen Sinn mehr, darauf zu warten, dass wir irgendwann mal wieder Strom bekamen.

 Naldo stand auf. „Lasst uns schlafen gehen!“, meinte er. „Ich bleib heute bei Lake.“

 Ich sah zu ihm auf und hoffte inständig, dass sie nicht übereinander herfallen würden. Ich sah Naldo nach und dann waren nur noch Elias und ich in der Küche, saßen uns im Kerzenschein gegenüber und blickten uns in die Augen.

 „Mir geht’s nicht gut...“, meinte Elias nach einer Weile leise. Er ließ die Schultern hängen und senkte den Kopf. „Der Unfall war furchtbar! Ich dachte, ich würde dich nicht mehr wiedersehen, dass es das jetzt war. Es ging alles so schnell und ich hatte Angst. Ich wollte noch nicht sterben!“

 Mit zusammengepressten Lippen sah ich ihn an und lauschte seinen Worten. Dann schwieg er. Ich stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte ihn von hinten.

 „Ich hatte auch Angst, dass dir was Schlimmes passiert ist. Wir haben da gewartet und ich wusste einfach nicht was los war. Als ich gehört habe, dass du im Krankenhaus bist, da war ich völlig neben mir und hab Panik bekommen...“ Ich schluckte hart. „Ich bin wirklich froh, dass dir nichts passiert ist!“

 Ich holte tief Luft und drückte ihn fest an mich. „Ich liebe dich, Elias...“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Er rührte sich nicht. Seine Hand griff schmerzhaft in meinen Arm und dann schmiegte er sein Gesicht an ihn und ich spürte die Tränen an meiner Haut.

 „Ich habe nur Angst, dass...“ Ich halte inne und versuche meine Gedanken zu ordnen. „Weißt du, du hattest schon mit Ryan so eine schmerzhafte Beziehung und ich habe Angst, dass ich dich auch enttäuschen werde. Ich habe nicht so viele Erfahrungen gesammelt wie du und ich will eben nichts falsch machen. Ich wollte lieber einfach nur dein Freund sein, als dass ich dich verletze.“

 „Ich liebe dich. Glaubst du, ich habe das damals einfach so dahingesagt?“, fragte Elias mich und drehte sich auf dem Stuhl, um zu mir aufzusehen. „Du bist mir wichtig und ich will mit dir zusammen sein. Ich will nicht, dass du perfekt bist. Das ist mir egal! Ich will dich einfach nur an meiner Seite wissen und dir nahe sein!“ Elias stand auf und sah mir tief in die Augen. „Ich will mit dir zusammen sein, egal wie gut oder schlecht unsere Beziehung sein wird!“

 Ich lächelte schief und hatte keine Ahnung, was ich daraufhin noch sagen sollte.

 „Lass uns schlafen gehen.“ Elias ließ von mir ab, pustete die Kerzen aus, bis auf eine, die wir mitnahmen und führte mich ins Schlafzimmer. Ich schloss die Tür hinter uns und sah zu, wie Elias die Kerze auf dem Nachttisch auf seiner Seite abstellte. Mein Herz klopfte ungesund heftig in meiner Brust und ich ahnte, was jetzt kommen würde.

 Ich kletterte aufs Bett und kroch zu Elias, der sich auf seine Seite gesetzt hatte. Ich gesellte mich zu ihm, beugte mich vor und küsste ihn, während seine Hände langsam über meine Haut glitten, den Körper hinab wanderten und nach meinem Handtuch griffen. Nackt saß ich vor ihm, spürte seine gierigen Blicke und Hände überall an mir und ließ mich auf die Matratze drücken. Elias legte sich auf mich und ich spürte seine Erektion.

 Wir küssten uns ausgiebig, erkundeten mit Händen und Lippen unsere Körper, ehe auch Elias sein Handtuch lüpfte, im Nachttisch nach einem Kondom suchte und es sich über zog.

 Soweit waren wir auch das letzte Mal gekommen. Ich hatte ihn sogar in mir gespürt, ansatzweise. Kurz darauf schob Elias sich tief in mich, was schmerzhaft war, aber irgendwie auch gut und dann überließen wir uns unsere Lust, der Begierde auf den jeweils anderen und spürten die aufsteigende Hitze in unseren Körpern, als unsere Körper sich aneinander berauschten, einem Fieber gleich.

 Mit 18 Jahren hatte ich das erste Mal Sex mit meinem besten Freund und ich bereute es keine einzige Sekunde.

Impressum

Texte: Sandra Marquardt
Bildmaterialien: Google
Lektorat: Sandra Marquardt
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /