In der Shinozuka Mittelschule (reine Mädchenschule) herrschte großer Aufruhr. In einer Woche würde das alljährliche Turnier für Rhythmische Gymnastik stattfinden. Viele der Mädchen aus der AG für Rhythmische Gymnastik waren schon dabei sich auf dieses Turnier vorzubereiten. Hektische Schulmädchen liefen durch die Gänge mit Kartons und anderen wichtigen Dingen auf den Armen.
Zwischen ihnen befand sich auch Mana Hasegawa. Sie hatte schwarze Haare und wurde wegen ihrer dunklen Hautfarbe oft für ein Ganguro* gehalten. Sie war Schulsprecherin und nebenbei auch eines der wenigen Mädchen denen man Respekt zollte, auch wenn man sie nicht unbedingt mochte. Viele der Mädchen verehrten sie wegen ihres Mutes und weil sie sich oft für ihre Mitschülerinnen einsetzte. Jedes Jahr wurde sie erneut zur Schulsprecherin gewählt.
Die Schüler wichen allerdings diesmal alle erschrocken zur Seite, sobald sie Mana erblickten. Sie ging wutentbrannt durch die Gänge, was eigentlich nicht ihre Art war. Irgendetwas oder jemand hatte sie wohl verärgert. Und dieser Jemand befand sich in der großen Sporthalle zu der Mana sich auf dem Weg befand.
Sie öffnete voller Zorn die große Tür der Halle und donnerte sie direkt in das Gesicht ihrer besten Freundin Rin Koyama. Diese lag nun mit einem Abdruck der Tür im Gesicht auf dem Boden und heulte wie ein Kleinkind vor sich hin.
Rin kam vor einem Jahr an die Mädchenschule. Sie kam von Anfang an mit ihren Mitschülerinnen gut zurecht und war überall gleichermaßen beliebt. Mit Mana freundete sie sich aber erst später an, als sie in den Kurs für Rhythmische Gymnastik eintrat, den Mana stellvertretend leitete. Die beiden merkten gleich das sie viele Interessen teilten und wurden daraufhin gute Freundinnen.
„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich vom Lernen abhältst, wenn ich dir ständig bei deiner Kür helfen soll?!“, schnauzte Mana ihre Freundin an.
„Moh..., was kann ich denn bitte dafür, wenn du jedes Mal einverstanden bist? Kannst du bitte das nächste Mal die Tür nicht so stürmisch aufreißen? Ich glaube meine Nase ist gebrochen...“, jammerte Rin vor sich hin und hielt sich die Hände vor die Nase.
Mana seufzte. Sie setzte sich neben Rin in die Hocke und sah ihr direkt ins Gesicht. „Du weißt, dass ich bald die Aufnahmeprüfung* an der Keisei Oberschule habe. Das ist sehr wichtig für mich. Wenn ich die Prüfung vermassle, habe ich ein großes Problem. Du weißt ganz genau, dass es schon immer mein Traum war an die Keisei zu kommen.“, erklärte sie Rin.
Zumal es auch sonst großen Stress mit ihren Eltern geben würde.
Rin nickte. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sehr Mana ihr immer von dieser Schule vorgeschwärmt hatte. Aufgrund ihres Status und ihrer Möglichkeiten der Weiterbildung. Es war immer ihr größter Wunsch gewesen und auch nur deswegen hatte sie sich so sehr an dieser Schule um gute Zensuren bemüht. Manchmal hatte sie schon Wochen im Voraus für eine Arbeit gelernt oder sich bei irgendwelchen AGs eingetragen, die dann auch im Zeugnis erwähnt wurden, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. „Ich schaffe das auch alleine. Du kannst ruhig lernen gehen, ich kann auch selbst trainieren. Ich schaffe das schon ohne Hilfe.“, meinte Rin mit Trauermiene.
Mana lächelte ergeben. Und schon wieder hatte sie keine Chance Rin zu verstehen zu geben, dass sie ihr nicht helfen konnte. Immer wenn Rin diese Trauermiene aufsetzte, konnte sie ihr einfach nicht widerstehen. Dann musste sie ihr einfach helfen.
„Okay, ich helfe dir. Aber danach brauche ich meine Ruhe zum Lernen.“, meinte sie und seufzte. Mana stand auf und reichte Rin die Hand. Diese ergriff die Hand und zog sich an ihr hoch. Sie lächelte wie ein kleines Kind und machte sich sofort dran, sich aufzuwärmen.
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Die nächsten Tage half Mana ihrer Freundin beim Training und kam deswegen kaum zum Lernen. Wenn sie Pause hatte, saß sie oft in der Bibliothek und versuchte dort zu lernen, was ihr aber nicht wirklich gelang, da sie nebenbei auch noch an einem Trainingsplan für Rin arbeitete.
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Und dann kam endlich der entscheidende Tag. Rin war schon den ganzen Morgen wuselig und brachte Mana damit ganz schön auf die Palme. Besonders wenn sie mit Zeug zugeredet wurde, dass sie gar nicht interessierte. Sie war schon froh, wenn dieser Tag endlich zu ende sein würde und sie sich selbst zu Hause in ihr Zimmer verkriechen konnte um zu lernen. Morgen war nämlich ihr großer Tag. Und diesen wollte sie auf keinen Fall vermasseln.
Endlich war Rin mit ihrer Kür dran. Alles lief bestens. Die Kür war einzigartig, nicht zu sagen atemberaubend. Mana hielt die ganze Zeit die Luft an und sah ihrer Freundin zu.
Nach ihrer Vorführung lief Rin zu Mana und wollte unbedingt wissen, wie sie war. „Du warst großartig. Besser hättest du es gar nicht machen können!“, lobte Mana sie.
Mit einem stolzen Lächeln setzte Rin sich zu Mana auf die Bank in der großen Sporthalle. Sie trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und sah zusammen mit Mana den restlichen Teilnehmerinnen bei ihrer Kür zu. Keines der Mädchen war auch nur annähernd so gut wie Rin. Die Preisverleihung war das größte Highlight des Tages. Mana und Rin konnten es kaum fassen, als Rins Name für den ersten Platz aufgerufen wurde. Die beiden Mädchen strahlten über das ganze Gesicht. Ihre harte Arbeit hatte sich gelohnt.
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Zur Feier des Tages lud Mana ihre Freundin zum Essen ein und die beiden unterhielten sich angeregt über diverse Themen. Das Mana am nächsten Tag den Aufnahmetest hatte, daran dachten sie schon gar nicht mehr.
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Mana war am nächsten Morgen ziemlich müde. Ihr war erst spät abends eingefallen, dass sie noch lernen musste und hatte kurzerhand beschlossen die ganze Nacht durch zu lernen. Irgendwann war sie dann an ihrem Schreibtisch eingeschlafen und erst am frühen Morgen wieder durch den Lärm den ihre Mutter in der Küche fabrizierte aufgewacht.
Sie zog sich schnell ihre Schuluniform an und machte sich schnellstmöglich ohne zu frühstücken auf den Weg zur Keisei Oberschule. Sie hatte Glück, denn es war ein sonniger Tag und die Luft war angenehm warm. Es waren zwar schon viele Leute unterwegs, aber sie wurde wenigstens im Zug nicht halb zerquetscht. Kam man sehr früh zur Bahnhofstation musste man mit einer riesigen Menschenmasse rechnen, die dann mithilfe einiger freiwilligen Helfer regelrecht in die Zugabteile hinein geschoben wurden, bis es nicht mehr weiter ging. Die restlichen Leute mussten wohl oder übel auf den Anschlusszug warten.
Mana setzte sich auf eine Bank und sah aus dem Fenster. Die Straßen rasten nur so an ihr vorbei. Auf einmal ertönte ein Klingelton und Mana merkte erst einige Sekunden später, dass das Klingeln von ihrem Handy kam. Sie nahm es aus ihrer Tasche und las die gerade eingetroffene SMS. Sie war von Rin.
»Viel Glück bei der Aufnahmeprüfung. Ich hoffe du bestehst den Test. Du hast so hart dafür gelernt. Ganbatte, ne?! (^o^)/ «
Mana lächelte. Dann sah sie wieder aus dem Fenster.
Nach einiger Zeit war sie endlich da. Sie sah viele Mädchen und Jungen in der Keisei typischen Uniformen und wünschte sich bald auch solche Kleidung tragen zu dürfen.
Mana begab sich zu dem Raum in dem sie den Test schreiben würde. Nach einer Weile fand sie ihn auch. Dort warteten schon einige Jungen und Mädchen verschiedener Schulen. Von ihrer Schule sah sie allerdings keinen, den sie kennen würde. Mana setzte sich an einen Fensterplatz und beobachtete die anderen. Einige waren so aufgeregt, dass sie zitterten, andere lernten noch in ihren Schulbüchern. Wieder andere waren dabei auf ihrem Platz ein zu schlafen und dann gab es noch einige die sich angeregt miteinander unterhielten.
Wenige Minuten später betraten die Prüfer den Raum und teilten die Testbögen aus. Die nächsten Minuten war es still. Man hörte lediglich die Stifte auf dem Papier kratzen.
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Einige Tage musste sie schon warten, doch dann bekam sie endlich einen Brief der Keisei. Mana öffnete den Brief und las ihn angespannt durch. Sie saß in der Küche mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder am Frühstückstisch. Dann legte sie den Brief in ihre Schultasche und verließ ohne ein Wort zu sagen das Haus. Ihre Mutter lief ihr noch nach draußen nach. „Mana! Du hast dein zweites Frühstück vergessen! Und was ist mit dem Ergebnis? Bist du angenommen worden?“ Doch Mana drehte sich nicht mehr um.
In der Schule wartete Rin schon vor dem Schultor auf Mana. Sie hob die Hand um sie zu begrüßen. Aber Mana ging einfach an ihr vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Rin sah ihr überrascht hinterher. Was hatte ihre Freundin?
Den ganzen Tag konnte Rin nicht mit Mana sprechen, weil diese ihr ständig auswich und sie vehement mied.
Rin fand Manas Verhalten äußerst merkwürdig. Sie wurde daraus einfach nicht schlau. Hatte sie etwas getan, dass Mana verärgert hatte? Das musste es sein, doch es fiel ihr nichts ein, was sie hätte tun können um Mana so sauer auf sich zu machen.
Irgendwann bekam sie aber dann doch noch die Chance Mana abzufangen. Sie schleifte Mana aufs Schuldach, um dort mit ihr zu reden.
„Was hast du, dass du mir schon den ganzen Tag aus dem Weg gehst?“, fragte sie forsch. Mana schwieg und vermied es ihr in die Augen zu sehen. „Habe ich etwas getan, dass dich verärgert hat?“ Rin setzte sich zu Mana auf den Boden. „Ich habe heute den Brief der Keisei Oberschule bekommen. Sie haben mich nicht angenommen. Ich habe versagt... Das ist alles deine schuld! Nur weil ich dir helfen musste, konnte ich nicht genug lernen! Es ist alles deine Schuld!!!“ Zum Schluss wurde Mana immer lauter und schrie Rin regelrecht an. Dann stand sie mit einem Ruck auf und rannte wieder ins Schulgebäude. Rin sah ihr entgeistert nach.
Mana ging ihrer besten Freundin nun erst recht aus dem Weg. Doch ewig konnte das Anschweigen ja auch nicht weiter gehen. Auch ihre Mitschüler bemerkten die Spannungen zwischen den beiden Mädchen. Besonders schwierig wurde es beim Training.
Die ganze Stunde über keiften sich Mana und Rin während den Übungen an. Was natürlich den anderen Mädchen und der Trainerin bald merklich auf die Nerven ging. Zur Strafe mussten sie nach dem Training den Boden der Halle schrubben.
„Das ist alles deine Schuld, dass wir hier den Boden schrubben müssen!“, meinte Mana gereizt. Rin sah sie empört an und sagte: „Du bist ja nur sauer auf mich, weil du zu dumm warst um die Prüfung zu bestehen. Und jetzt schiebst du mir die Schuld in die Schuhe, obwohl ich nichts dafür kann!“ „Wer es glaubt wird selig. Wem musste ich denn ständig für das Turnier beim Trainieren helfen? Dir, oder? Dank dir bin ich kaum zum Lernen gekommen!“ „Du vergisst, dass ich dir auch gesagt habe, dass ich allein trainieren konnte. Du wolltest ja nicht klein beigeben und hast mir geholfen. Es war nicht deine Pflicht. Ich hätte es auch gut allein geschafft.“, sagte Rin beleidigt. Wenn Blicke töten könnten, wären Mana und Rin auf der Stelle tot gewesen, so sehr flogen die Funken zwischen ihnen.
Nach einer Weile in der die beiden schweigend den Boden schrubbten, hielt Mana inne. Sie sah zu Rin herüber und seufzte. So konnte das nicht weiter gehen. Sie benahmen sich wie kleine Kinder.
„Tut mir Leid. Ich war bloß so sauer, dass ich es nicht auf die Keisei geschafft habe. Ich weiß wirklich nicht, was da in mich gefahren ist, dir solche Anschuldigungen an den Kopf zu werfen.“ Rin sah sie überrascht an. Mit so etwas hatte sie nun gar nicht gerechnet.
„Ich bin froh, dass du das sagst. So merkt man wenigstens, dass du zu deinen Fehlern stehst.“, sagte sie und klopfte Mana so stark auf den Rücken, das diese ihr Gleichgewicht verlor mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Damit hatte sie einfach nicht gerechnet. Rin streckte ihr die Zunge raus und Mana sah empört zu wie ihre Freundin lachend aus der Sporthalle rannte. „Na warte! Das wirst du mir noch büßen!“, rief sie, stand auf und rannte ihr mit dem nassen Mob in der Hand hinterher.
~ ENDE ~
* In Japan gibt es keine Abschlussprüfungen wie wir sie hier haben. Die Schüler müssen am Ende des Jahres an einer weiter führenden Schule einen Aufnahmetest machen um an der Schule ihrer Wahl aufgenommen zu werden.
* Ganguro ist die Bezeichnung für zumeist jugendliche Mädchen, die einem erstmals in Shibuya, einem Jugendviertel in Tokio, aufgetretenem Trend folgen. Das Wort setzt sich zusammen aus gan, dem japanischen Wort für „Gesicht“, und kuro, was auf japanisch „schwarz“ bedeutet.
Diese auch Orange Girls oder Egg Girls genannten Mädchen zeichnen sich durch stark gebräunte Haut und dazu herausstechend helles Augenmakeup und pastellfarben geschminkte Lippen aus, noch verstärkt durch die hell gebleichten Haare. Der Name Orange Girls bezieht sich auf den orangen Farbton, den die Haut des Öfteren nach übermäßigem Verwenden von Selbstbräuner und Beta-Carotin-Tabletten annimmt. Egg Girls stammt von dem japanischen Mädchenmagazin Egg, in welchem sämtliche Tipps zu finden sind, wie man am schnellsten zu einer echten Ganguro wird (Quelle: Wikipedia)
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2012
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