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Als der Polizeiwagen in die enge Seitenstraße einbog, verdunkelte sich der Himmel über den zusammenstehenden Häusern und ließ die Gasse bedrohlich und dunkel wirken. Die vielen Neonlichter der Hauptstraße verschwanden und nur der Scheinwerfer bot ein wenig fahles Licht in der Finsternis. Am Straßenrand saß eine kleine Gruppe Obdachloser auf dem Asphalt und stritt sich über die letzte Flasche Alkohol. Einige Jugendliche hockten rauchend und lachend auf dem Parkplatz eines Gemischtwarengeschäftes. Ein älterer gut gekleideter Mann wartete an der Kreuzung darauf, dass die Ampel umsprang. Es war ziemlich warm an diesem Abend und die Luft war sehr feucht, aber dass schien den Anzugträger nicht im Geringsten zu stören. Schließlich verschwand der Mann mit den anderen flüchtigen Eindrücken hinter dem Polizeiwagenfenster, vom tiefen Motorenbrummen verschluckt.
Megumi Kanai hatte die ganze Zeit starr nach draußen geguckt und hielt das Lenkrad fest umklammert. Die digitale Anzeige neben dem Lenkrad wechselte auf 23:38 Uhr. Megumi beugte sich etwas zur Seite, um das Radio einzuschalten. „Wir berichten nun vom Kunstmuseum im Tokyoter Stadtteil Arakawa, wo momentan eine wertvolle Ausstellung gezeigt wird. Ein dreister Dieb hat angekündigt...hier heute nacht einbrechen...zu wollen.“ Seit einem Jahr war sie nun schon hinter ihm her und endlich bot sich wieder eine Gelegenheit ihn zu fangen. Darque. Der Kunstdieb, der in letzter Zeit in Japan sein Unwesen trieb. In den Medien war er als „Der Gentlemen in Tarnung“ bekannt. Um Punkt Mitternacht hatte Darque vor im neu eröffneten Kunstmuseum das Kristallherz zu stehlen. Ein seltener Bergkristall in Form eines Herzens. Er war mehr als zehn Millionen Yen wert. Auch dieses Mal hatte Darque eine Karte an die Polizei gesendet. Der Meisterdieb schickte jedes Mal aufs Neue eine Ankündigung in Form einer verzierten Karte. Datum, Uhrzeit und den Ort gab er jedes Mal bekannt. Es machte ihm offensichtlich Spaß die Polizei an der Nase herumzuführen. Aber jetzt machte Megumi ihm einen Strich durch die Rechnung. Dieses Mal musste es ihr gelingen den Dieb hinter Gitter zu bringen. Megumi hielt an einer Kreuzung und wartete, bis die Ampel auf grün umsprang. Schon von Weitem konnte sie den Polizistenauflauf vor dem Museum erkennen. Überall standen Polizeiwagen um dem Gebäude herum. Das rote Licht der Sirenen auf den Autos flackerte unruhig hin und her. Bewaffnete Polizisten betraten das Gebäude durch die vorhandenen Eingänge und stellten überall Wachen auf. Ein reges Treiben herrschte. Schaulustige standen hinter den aufgestellten Absperrungen und machten Fotos oder unterhielten sich angeregt miteinander. Es war sehr laut. Man konnte kaum sein eigenes Wort verstehen. Die Ampel sprang um und Megumi trat aufs Gas. Der in die Jahre gekommene Wagen setzte sich mit einem Rucken in Bewegung und fuhr direkt auf die Menschenmassen zu. Megumi drückte kurz auf die Hupe und machte die Menschen vor dem Auto auf sich aufmerksam. Sofort teilte sich die Masse in der Mitte und bot Megumi einen kleinen Durchgang. Langsam fuhr der Polizeiwagen an den zusammengerückten Menschen jeder Altersgruppe vorbei und hielt vor der Absperrung kurz an. Einige Streifenpolizisten kamen angelaufen und schoben zwei der Absperrungen zur Seite, sodass der Wagen gerade so eben durchfahren konnte. Megumi fuhr ihr Auto quer über den Museumsvorplatz und hielt direkt am Eingang neben einem anderen Auto.

Ein untersetzter Mann mittleren Alters kam auf die junge Frau zu, welche gerade den Motor ausschaltete, die Tür öffnete und ausstieg. Megumi schloss mit einem lauten Knall die Fahrertür und drehte sich zu dem Mann im schwarzen Anzug herum. Es war ihr Vorgesetzter Nanahara. Mit einem grimmigen leicht arroganten Gesichtsausdruck sah er ihr direkt ins Gesicht. Immer wieder strich er sich nervös durch die zotteligen, leicht verschwitzten schwarzen Haare. „Wird auch langsam mal Zeit, dass Sie hier aufkreuzen. Wo waren Sie nur so lange?“, brüllte er Megumi ungehalten an. Megumi zuckte leicht zusammen. Wieso musste dieser Typ seine schlechte Laune nur immer an ihr auslassen?
„Es gab einen Mord im vierten Bezirk!!“, erwiderte sie leicht gereizt.
„Es sind noch 15 Minuten. Dann ist es soweit.“
Mit diesen Worten drehte sich Kommissar Nanahara um und ging auf das Gebäude zu. Megumi folgte ihm in einigem Abstand. Nanahara war ein angesehener Mann, den zwar das Verbrechen faszinierte, dem es aber eher lästig war, das Amt des Kommissars im örtlichen Polizeipräsidium auszuüben.
„Wir haben das gesamte Gebäude von innen und außen mit Wachen umstellt. Ein- und Ausgänge sind gesichert. So kommt keiner an die Kunstschätze ran! Die Ankündigung hättest du dir sparen sollen, Darque!! Diesmal hat er keine Chance sich den Kristall zu holen. Er wird weder rein noch heraus kommen können.“, erklärte Nanahara hämisch lachend.
Megumi hörte dem Kommissar nur mit halben Ohr zu. Sie sah sich aufmerksam um. Irgendwie hatte sie das mulmige Gefühl, dass das noch das geringste Problem für Darque sein würde. Der Dieb war ziemlich gerissen; so leicht würde er es der Polizei nicht machen. Sie mussten sich auf alles gefasst machen.
Der Kommissar blieb im Eingang stehen. Mit verschränkten Armen lehnte Nanahara im Türrahmen. Er würdigte Megumi keines Blickes. Sie ging an ihm vorbei ins Museum.
Megumi musste an ihre erste Begegnung mit Nanahara denken. Damals war sie in Verdacht geraten, einen Mord begangen zu haben, den sie zufällig entdeckt hatte. Der Kommissar hätte sie fast verhaftet, wenn sie nicht im letzten Augenblick von einem höher gestellten Beamten, gerettet worden wäre. Schon wenn Megumi an diese Zeit dachte, brach ihr der kalte Schweiß aus.
So wie es aussah, gab es hier nichts mehr für sie zu tun, außer abzuwarten. Sie griff sich an den Kopf und dachte verzweifelt nach. Wie würde Darque das Kristallherz wohl an sich reißen?
Plötzlich wurde es stockdunkel. Überall im Gebäude gingen zur gleichen Zeit die Lichter aus. Irritiert und aufgeregt riefen die Polizisten durch die finstere Nacht.
„Was ist das?!“
„Ein Kurzschluss!“
„Nach...Jahren will Darque wieder zuschlagen...wir berichten Live...vom Ort des Geschehens!“ Sensationslustige Reporter brichteten vor dem Museum von dem Vorfall. Auch die Schaulustigen waren auf einmal aufgeregt und redeten alle durcheinander.
„Das war Darque!“
„Darque ist aufgetaucht!“
Der Kommissar erhob sich aus seiner Stellung. Schnell strich er den Saum seines Jacketts glatt und machte sich mit schneller Geschwindigkeit auf in Richtung Ausgang.
„Schaltet die Scheinwerfer ein!“, rief der den wartenden Polizisten zu. Augenblicklich gingen überall, um dem Gebäude herum, riesige aufgestellte Scheinwerfer an und beleuchteten das Museum in strahlend hellem Licht. Unheimliche Stille erfüllte mit einem Mal den gesamten Museumsvorplatz. Megumi nahm die Taschenlampe, welche sie am Gürtel trug, schaltete sie an und versuchte sich an die Dunkelheit im Museum zu gewöhnen. Es war schwer etwas zu erkennen, doch schon nach wenigen Sekunden konnte sie die Konturen der Polizisten und der Kunstgegenstände in der Finsternis ausmachen. Alle sahen sich irritiert um, doch der sagenumwobene Meisterdieb ließ sich nicht blicken.
„Was ist los?! Wo ist er?“, rief ein Polizist verwirrt. Dasselbe fragte Megumi sich nun auch. Er musste hier irgendwo sein. Nanahara drehte sich um und sah wie Megumi davon ging.
„Wo wollen Sie hin...Kanai?!“, rief er ihr irritiert hinterher.
Megumi blieb stehen. Sie drehte sich langsam um und sah dem Kommissar mit zusammen gezogenen Augenbrauen an.
„Ich sichere schon mal...den Fluchtweg! Ich glaube...er hat schon zugeschlagen.“ Dann drehte sie sich wieder um und ging. Megumi betrat das Gebäude und ging die Treppen auf der linken Seite hoch in den nächsten Stock. Das Kristallherz ist ungeheuer wertvoll. Ein rares Exemplar. Darque hat schon viele wertvolle Stücke geraubt. Er hat keinen Respekt vor der Kunst!, dachte Megumi mürrisch. Megumi war zwar keine Kunstkennerin, aber sie respektierte die Werke der Künstler, im Gegensatz zu Darque.

„Das ging leichter...als ich dachte.“
Ein fremder Mann, welcher sich schon vorher unter die Polizisten gemischt hatte, stand vor dem Glaskasten, in dem sich das Kristallherz befand. Er lächelte verschmitzt und schien guter Dinge zu sein. Er nahm fröhlich die Mütze vom Kopf und entkleidete sich ohne Eile. Unter der Uniform trug er schwarze Kleidung. Um nicht erkannt zu werden, trug er eine Maske. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Kristallherz zu. Neben dem Kasten befand sich ein Knopf, der wohl für die Alarmanlage zuständig war. Probeweise drückte der Mann kurz drauf. Nichts geschah. Es gab nur ein kurzes Piepen, welches wohl anzeigte, dass der Alarm abgeschaltet war. Dann hob er die Glaskuppel vom Holzkasten und legte sie vorsichtig, um Lärm zu vermeiden, auf den Boden. Als er sich wieder aufrichtete, betrachtete er den Kristall. Er lag auf einem lilafarbenem kleinen weichen Kissen. Darque nahm den Kristall behutsam von seinem Thron und kramte aus seiner Hosentasche einen kleinen Beutel hervor. Er ließ das Kristallherz hinein gleiten und zog die Schnur am Beutel fest zusammen. Gerade als er sich umdrehte, entdeckte er eine Person. Sie stand nur wenige Meter von ihm entfernt und sah ihn überrascht an. Offensichtlich hatte diese Person nicht damit gerechnet hier oben jemanden zu treffen. Der uniformierte Polizist war im Augenblick so überrascht, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Diesen Moment nutzte Darque, um zu entkommen. Er lief bis zum Ende des Raumes und flüchtete die Treppe hinauf. Er hörte keine Schritte, also war ihm der Polizist wohl nicht gefolgt. Erleichtert sah er sich um. In diesem Stockwerk gab es ebenfalls Kunstwerke. Gegenüber entdeckte Darque zwei schwere dunkle Vorhänge. Er ging langsam schleichend darauf zu. Dann streckte der Dieb seine Hände nach den Vorhängen aus und zog sie zur Seite. Das Licht der Nacht schien in die Finsternis des Raumes. Als der Meisterdieb jedoch die Glastüren geöffnet hatte, ging das Licht an. Überrascht drehte Darque sich um. Unmittelbar hinter ihm stand jemand.
„Hab ich mir doch so was gedacht...Der älteste Trick der Welt...Ich dachte schon, ich würde dich gar nicht zu sehen bekommen...“

Plötzlich kam ein Polizist panisch angerannt. Er blieb schwer atmend vor dem Kommissar stehen und richtete seine Hand gen Museum.
„Das Kristallherz ist weg!“, rief er keuchend. Alle sahen ihn entgeistert an.
„Was?!“, schnauzte Kommissar Nanahara den jungen Wachmann an.
„Das darf nicht wahr sein! Verfolgt ihn!! Er muss schon drin sein! Sucht jede verdammte Ecke ab!“ Sofort liefen die Polizisten in Gruppen davon und machten sich auf die Suche nach dem cleveren Meisterdieb, der es mal wieder geschafft hatte, die Polizei zu täuschen.

Darque lächelte. Die fremde Person trat aus der Dunkelheit hervor und im fahlen Mondlicht konnte er die Konturen einer Frau erkennen. So sieht man sich wieder, dachte er.
Eine Unachtsamkeit. Er konnte gar nicht realisieren, wie schnell die Polizistin ihn überwältigte. Es ging alles zu schnell. Er konnte sich nicht mehr rechtzeitig an der Glastür festhalten. Während des Flugs fiel die Maske zu Boden und gab sein Gesicht frei. Darque verlor sein Gleichgewicht und fiel zu Boden. Im ersten Augenblick schmerzte es und ihm blieb für kurze Zeit die Luft weg. Megumi beugte sich über ihn. Sie hielt ihn an den Handgelenken fest und drückte ihn mit dem Rücken auf den Boden. Darque zappelte und versuchte sich zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Megumi saß auf seinem Bauch und gab ihm keine Möglichkeit sich zu befreien. Also ließ er sich zurück sinken und gab jegliche Fluchtversuche auf. Die junge Frau festigte ihren Griff und sah dem Mann ins Gesicht, das jetzt zu ihr gedreht war. Er musste zugeben, dass es ihm irgendwie gefiel von der Frau am Boden festgenagelt zu werden. Darque grinste in sich hinein. Megumi beugte sich noch etwas tiefer, so dass ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander getrennt waren und hielt inne. Darque spürte ihren Atem auf seinem Gesicht. Eine wohlige Gänsehaut breitete sich über seinen Körper aus. Der Dieb rührte sich nicht, sondern starrte nur still die Frau an.
„Der Kristall ist mir egal...Ich will dich! Ich will dich fangen! Für mich gibt es...nichts anderes mehr!“, raunte Megumi ihm zu.
Darque lächelte verschmitzt und seufzte leise.
„Das rührt mich wirklich sehr, aber...“, begann er, brach den Satz aber plötzlich ab und näherte sich noch etwas mehr Megumi. Darque überbrückte endgültig die letzten Zentimeter und drückte ihr seine Lippen auf den Mund. Megumi zuckte zusammen und riss die Augen auf.
Was zum..., dachte sie fassungslos. Darque war noch da. Und er küsste sie noch immer. Erschrocken zog Megumi den Kopf zurück und lockerte unachtsam ihren Handgriff. Darque kicherte einen Moment und sah Megumi an. Dann grinste er wieder. Überrumpelt und unfähig klar zu denken, starrte die Polizistin den Meisterdieb sprachlos an.
„...mich bekommst du in hundert Jahren nicht...“, grinste er und ließ die Zunge langsam über die Lippen gleiten.
Megumi hob langsam eine Hand zu ihrem Mund und strich darüber. Darque hatte sie geküsst und sie spürte noch seinen Geschmack auf den Lippen. Sie war war gelähmt, nicht fähig, die Hand gegen Darque zu erheben. Ruckartig setzte Darque sich plötzlich auf, so dass Megumi nach hinten fiel und unsanft auf ihrem Hintern landete. Darque sah auf sie herab.
„Du bist süß, wenn du rot wirst.“, bemerkte er. Darque wandte sich zum Gehen und betrat den Balkon. Megumi hätte ihm folgen können, doch sie war noch immer unfähig auch nur etwas zu tun. Sie sah ihm einfach nur stumm hinterher. Er blieb kurz stehen und drehte sich ein letztes Mal zu ihr um. Er lächelte. „Catch me if you can...“, flüsterte er geheimnisvoll in gebrochenem Englisch. Dann verschwand er in der Dunkelheit der Nacht.
Als sie sich wieder etwas gefasst hatte, stützte Megumi sich mit einer Hand am Boden ab und erhob sich langsam. Ihre Beine zitterten etwas und sie fühlte sich mulmig. Ihr Blick war immer noch auf den Balkon gerichtet. Doch inzwischen war niemand mehr zu sehen. Sie bemerkte die Maske, welche Darque zurück gelassen hatte. Sie hob sie vom Boden auf und betrachtete sie. Langsam ließ Megumi ihre Hand sinken, in der sie die Maske hielt. Darque hatte es mal wieder geschafft. Er konnte fliehen.

Noch lange blieb Megumi einfach so stehen und betrachtete den Nachthimmel. Das Gewusel um sie herum störte sie nicht weiter. Sie ignorierte es einfach. Megumi genoss die leichte erfrischende Brise, welche durch ihre langen Haare fuhr. Sie schloss die Augen und lächelte still.
„Nächstes Mal...“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.07.2009

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