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Kinder der Wölfe

Der Park war voll. So voll, wie schon lange nicht mehr. Warum auch immer. Nun, wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass zum ersten Mal in diesem Jahr die Sonne nicht nur am Himmel stand, sondern auch endlich mal wieder Wärme abgab. Nicht Jeder war nun einmal gegen das Wetter so unempfindlich, wie er... und... Duo schüttelte den Kopf, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Das war vorbei. Sein Gefährte hatte ihn nun einmal im Stich gelassen, vor etwas mehr als drei Jahren. Es hatte keinen Sinn, ständig an ihn zu denken. So eine dummdreiste Art, einen Betrug decken zu wollen, war ihm noch nie untergekommen und das war es gewesen, was ihn am Meisten verletzt hatte. Er hätte ihm mit Sicherheit verziehen, wenn dieser einfach nur die Wahrheit gesagt hätte. Sicher, er wäre sauer gewesen, doch er hätte sich auch wieder gefangen! Nur fand er das, was sein Gefährte damals gebracht hatte, hatte den Vogel abgeschossen. Die Hände in den Manteltaschen vergraben suchte Duo nach einer freien Bank. Er hatte absolut keine Lust, sich zu Irgendwem zu setzen, dazu war er nicht in der Stimmung. Er wollte keine menschliche Nähe, wenn er sie vermeiden konnte. Aber alle Bänke entlang des baumbewachsenen Weges waren besetzt. Blieben nur noch die Bänke auf dem Spielplatz. Egal, Kinder waren um diese Zeit eher selten da, außerdem tendierten die nicht dazu, dumme Fragen zu stellen, die er nicht zu beantworten bereit war. Generell waren sie ja inzwischen dazu erzogen, auf keinen Fall mit fremden Erwachsenen zu sprechen. Eine nette Entwicklung in diesem Zeitalter, wie er fand. Tatsächlich waren hier fast alle Bänke noch frei, sodass Duo sich auf die setzen konnte, die am weitesten vom Spielgrund selbst entfernt war. Erleichtert seufzend griff er in seine Tasche, zog seine Brotzeitbox heraus und öffnete sie. Er wusste, was es war. Schließlich hatte er es selbst gemacht und selbst wenn nicht, hätte er gerochen, was alles darauf war. Einer der Gründe, warum er sich nur selten ein Brot kaufte. Zu viel panschten die Verkäufer mit ihren Zutaten herum und praktisch nie waren diese auch nur ansatzweise frisch, von nahrhaft mal ganz zu Schweigen. Früher hatte ihm seine Brotzeit besser geschmeckt, sie war auch abwechslungsreicher gewesen – er hatte sie noch nicht einmal selbst gemacht... Verdammt! Es musste wahrlich am Beginn des Frühjahres liegen, dass er wieder so viel an die Vergangenheit dachte! Vielleicht sollte er diese Nacht wieder einmal laufen, das würde ihm gut tun. Es würde ohnehin Vollmond sein. Es gab keine bessere Voraussetzung, um sich mal wieder so richtig auszutoben. Mit traurigem Seufzen erinnerte er sich an ihr erstes Treffen... °~°~°~Flashback°~°~°~ Durch seine ungewöhnlichen scharfen Augen wirkte die Nacht durch die flache, silbrig glänzende Scheibe des leuchtenden Mondes fast taghell. Sie gab dem frischen, grünen, nach Frühjahr duftenden Gras, einen ganz besonderen Glanz. Die Erde unter seinen empfindlichen Läufen war herrlich weich. Er konnte gar nicht anders, als seinen Kopf in den Nacken zu legen und dem Mond seinen Gruß zu erbieten – doch dann stockte er. Irrte er sich? Nein, dazu waren seine Ohren bei Weitem zu fein. Auch, wenn er nun nichts mehr vernahm. Es war da gewesen! Er war sich vollkommen sicher! Mit einer fließenden Bewegung brachte er seine Nase in Schnüffelposition, versuchte, herauszufinden, wer sich noch hier herumtrieb. Es war einer der Seinen, das war ihm von Anfang an klar, das war kein gewöhnlicher Wolf! Aber was tat er hier, in seinem Gebiet!? Das hier war seine Wiese! Seine ganz allein! Er teilte nicht gern! Es reichte schon, dass er während des Tages seinen Platz notgedrungen mit Menschen teilen musste! Reichte es nicht, dass er tagsüber in diesem sinnlosen Krieg kämpfen musste? Musste er nun auch noch nachts sein heiß geliebtes Revier verteidigen?! Wütend knurrend machte Duo sich auf den Weg, seinen Konkurrenten zu suchen. Auf lautlosen Pfoten lief er die Hügelkette entlang, durch das Unterholt des Waldes hinter der Lichtung – und dann sah er ihn. Auf einem Hügel mitten im Wald, den Kopf hoch erhoben, goldene Augen blickten ihn kühl, abschätzend und herausfordernd an. Frei von jeglicher Angst. Vollkommen makelloses, weißes Fell glänzte wie fließendes Silber im Licht des Mondes und nur ein Fleck auf der Brust und am rechten Ohr hob sich von diesem einmaligen Bild ab. Sekunden lang konnte Duo sich gar nicht rühren, bevor seine Wut mit voller Wucht zurückkehrte und er auf den Fremden losstürmte, ohne Rücksicht auf Verluste. Mit gefletschten Zähnen raste er los. Doch der Andere wich seinem ersten Angriff einfach nur mit einer tänzelnden Bewegung aus, ohne Anstalten zu machen, selbst zuzubeißen. Erst bei seinem zweiten Angriff fletschte der Fremde die Fänge, wich zwar dem Ansturm erneut aus, bohrte aber dann seine Zähne in Duos Schweif. „Jauuuuuuuuuuuuu!", jaulte er erbost auf, wandte sich um, schlug mit seiner Pfote um sich, spürte, wie seine Krallen das Fell des anderen durchschlugen. Duo wusste nicht, wie lange es so hin und her ging. Inzwischen bluteten sie beide aus zahlreichen Wunden, die das Fell des Fremden auf unheimliche Weise färbten. ‚Geh!", herrschte er zum hundertsten Mal während des Kampfes. ‚Nein.’ Duo stutzte. Bis jetzt hatte der Fremde keinerlei Anstalten gemacht, mit ihm zu sprechen. Aber das Unheimlichste war, dass die Stimme in seinem Kopf ihm bekannt vorkam, wenn er auch nicht wusste, woher. ‚Das ist MEIN Territorium!’ ‚Nicht mehr. Nun wirst du es teilen müssen. Sei froh, dass ich dich daraus nicht verjage.’ Wow, war der Fremde arrogant! Jetzt erst recht nicht! Erneut setzte Duo zum Sprung an, bis er ein Geräusch hörte, das ihm fast das Trommelfell zerriss. Beide Wölfe blickten auf. ‚Diesmal bist du davongekommen’, stellte der Fremde fest. ‚Oh, solltest du dich hier je wieder sehen lassen, werd ich dir dein Fell über die Ohren ziehen!’ Mit einem unheimlichen Lachen, das Duo noch lange in den Ohren widerhallte, verschwand der Fremde. Rannte, trotz der sicher schmerzhaften Wunden davon, war schon nach kurzer Zeit, trotz der auffälligen Fellfarbe, einfach nicht mehr zu Sehen. °~°~°~Flashback Ende°~°~°~ Mit schmerzhaftem Lächeln sah Duo auf seine Handfläche, wo sich noch bis heute eine feine, kaum sichtbare Narbe von dieser Nacht ihrer ersten Begegnung erstreckte. Er wusste nicht, wie lang er so dort gesessen hatte, doch irgendwann sah er auf, gestört durch bohrende, neugierige Blicke. „Was...!?" Vor ihm stand ein kleiner Junge, sicher kaum den Windeln entwachsen. Vielleicht zweieinhalb, drei Jahre alt. Älter auf keinen Fall. Das Kind betrachtete ihn wohl schon seit einer ganzen Weile, es saß einfach im Sand, den Daumen der rechten Hand im Mund, die violetten, großen, kindlichen Augen auf ihn gerichtet, während seine andere Hand mit dem Ende des geflochtenen, braunen Zopfes spielte. „Na, was hab ich im Gesicht, dass du mich so anstarrst?", fragte Duo, halb belustigt, halb verärgert über das Benehmen des Jungen. Dieser aber starrte ihn einfach weiter nur an. „Also, was soll das?", fragte Duo, nun schon wesentlich mehr verärgert, doch in dem Moment, wo er seine Hand nach dem Kind ausstrecken wollte, kam ein weiterer Junge angetapst, eine exakte Kopie des Ersten, starrte ihn wütend an, als habe Duo etwas getan, bevor er unsanft die Hand seines Bruders packte und diesen hinter sich herzog. Seltsame Kinder, dachte Duo noch so bei sich, während er seine Brotbox wieder einsteckte, sich erhob, den Kopf schüttelte und sich auf den Rückweg zu seiner Arbeit machte. Geld verdiente sich schließlich nicht von Selbst. ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ „Oh nein! Juthian! Hör auf damit!", rief Heero mit verzweifeltem Unterton in der Stimme, während er seinem einen Sohn quer durch die relativ große Wohnung herjagte. „Jullan! Wage es ja nicht, auch noch mitzumachen!", herrschte er, als er aus den Augenwinkeln sah, wie auch der Jüngere der beiden Jungen den Stapel mit den Papieren ins Auge fasste. Dann endlich bekam er auch den anderen Jungen an dessen langem Zopf zu fassen. „Hab ich dich, du unmöglicher Racker!", rief er erschöpft, hob das Kind in seine Arme und nahm ihm die Akte ab, die dieser erstaunlich fest umklammert hielt. Zu seinem persönlichen Glück hatte der Junge es noch nicht geschafft, größeren Schaden anzurichten. Himmel! Warum hatte ihm nur niemand gesagt, dass Kinder einen so fertig machen konnten!! Dabei waren die Beiden mal so friedlich gewesen! Ganz zu Beginn hatten sie fast nur geschlafen und sich nur gemeldet, wenn sie Hunger hatten. Selbst beim Zahnen waren die Beiden erstaunliche friedlich gewesen. Dann aber hatten die Beiden das Krabbeln – beziehungsweise das Laufen gelernt. Seitdem war es mit dem Frieden aus. Ständig musste er hinter den Beiden her, wobei er nie wusste, was die Jungen sich als Nächstes ausdachten. Vor Allem Juthian war in der Sache verdammt einfallsreich... Jullan dagegen war, - obwohl etwa zehn Minuten jünger - der Vernünftigere von Beiden. Was nicht bedeutete, dass auch ihm nicht auch manchmal sehr seltsame Dinge einfielen... Wenn er die Jungs doch nur in eine Kinderkrippe bringen konnte! Dann könnte er einmal in Ruhe arbeiten und vielleicht, zum ersten Mal, seit die Jungen auf der Welt waren, mal wieder eine Nacht am Stück schlafen, statt zu dieser Zeit, wenn die Jungen endlich mal friedlich in ihrem Bett lagen und schlafen, die Arbeit zu machen, die er eigentlich während des Tages erledigen hätte müssen. Doch das wäre ein viel zu großes Risiko gewesen. Sowohl für ihn, als auch, - was viel wichtiger war - für seine Kinder. Sie waren beide noch nicht alt genug, um zu verstehen, was sie waren, um sich zu beherrschen. Sie waren noch in ständiger Gefahr, da sie ihre eigenen Körper noch nicht im Griff hatten. Das würde sich erst in der Pubertät ändern, was ihm die Probleme bereitete, dass er die Jungen auch noch selbst unterrichten musste, wenn sie älter wurden, denn auch eine Schule kam ja nicht in Frage... Gott, all das wäre nicht halb so schwer, wenn er ihn nicht so im Stich gelassen hätte! Er war einfach gegangen! Einfach so, ohne ihn auch nur erklären zu lassen! Nein, er hatte es sich einfach gemacht, ihm unterstellt, dass er log, seine Sachen gepackt und war gegangen. Hatte ihn in seinem Zustand zurückgelassen. Lange hatte Heero dann überlegt, ob er dem Ganzen nicht ein Ende machen sollte, so fertig war er gewesen, so getroffen von den Unterstellungen. Von seinen Gefühlen mal ganz zu Schweigen. Er hatte damals gedacht, Jemand habe ihm das Herz aus der Brust gerissen und ihn gezwungen, zuzusehen, wie es zu schlagen aufhörte. Lange hatte Heero damals an dem Ort gesessen, wo sie sich kennen gelernt hatten, seine Waffe in der Hand, darauf wartend, dass er es schaffte, sie sich selbst an die Stirn zu setzen. Was kein Problem gewesen wäre, wäre dabei nur er gestorben. Doch da gab es noch weiteres Leben, für das er verantwortlich gewesen war – und das war der einzige Grund gewesen, warum er sich letztendlich nicht selbst umgebracht hatte. Trotz all der Schmerzen, die ihm seine Entscheidung gebracht hatte, hatte er sie bis heute nicht bereut. Egal, wie ihm immer noch das Herz blutete, wie alleine er sich manchmal fühlte, es reichte ein Blick auf seine quietschlebendigen Kinder, um sich wieder besser zu fühlen, so anstrengend die Beiden auch waren. Und das waren sie wirklich! So viel Sorge sie ihm auch bereiteten, so viel Glück und Ruhe gaben sie ihm. Er liebte es, nachts am Rahmen der Tür zum Kinderzimmer zu lehnen und die beiden Jungen im Schlaf zu beobachten. Egal, in welcher Form er sie vorfand, sie waren immer so unendlich süß. Fast immer eng zusammengekuschelt, wobei es Jullan war, der seine Arme meist schützend um seinen tollpatschigeren und älteren Bruder legte. „Puh, hab ich euch Racker", seufzte Heero schließlich, als er Juthian wieder neben seinen Bruder auf das Sofa setzte und die beiden betrachtete. „Es ist Bettzeit, nicht wahr?" Beide nickten ergeben, wenn auch sicher nicht begeistert. Aber sie wussten, dass ihr Vater in dem Fall sicher nicht nachgeben würde, so oft dieser das auch tat, wenn sie beide mit ihm spielen wollten. Mit raschen, inzwischen geübten Bewegungen, steckte Heero die Kinder in ihre Schlafanzüge, bevor er sie, jeden auf einem Arm, in ihr Zimmer brachte, das, wie üblich aussah, als habe ein Orkan darin gewütet. Würde er je, jemals ausgeraubt werden, müsste er die Versicherungsagenten nur in dieses Zimmer führen und würde alle Stempel bekommen, die er brauchte. Kaum zu glauben, was zwei solche Stöpsel anrichten konnten... Er legte die Jungen in das vorbereitete Bett und deckte sie liebevoll zu, bevor er Jedem noch einen Gute Nacht-Kuss gab: „Schlaft gut, ihr Beiden." „Daddy...?" „Was denn, Juthian?" „Gehen wir morgen wieder auf den Pielplatz?" „Spielplatz, willst du das denn?" „Ja!" „Mal sehen, kommt darauf an, ob du dich einmal in deinem Leben benimmst", grinste er. „Ich mochte den Kerl nicht", äußerte nun Jullan unwillig. „Der Kerl?" Heero strich seinem Sohn eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. Ja, er wusste, von wem seine Kinder redeten, er hatte ihn schließlich gerochen und war vor Schreck wie gelähmt gewesen, hatte nur aus der Ferne beobachten können, wie Juthian ihn betrachtet und Jullan ihn schließlich zurückgebracht hatte. „Schlaft jetzt", bat er sanft, bevor er sich erhob und beim Verlassen des Zimmers das Licht löschte, die Tür aber einen Spalt offen ließ, sowohl, damit die Kleinen ihn hören konnten, als auch damit er sich sicher sein konnte, dass alles in Ordnung war. Erst danach setzte Heero sich an seinen im Wohnzimmer neben dem Laufstall aufgestellten Schreibtisch und fuhr den PC hoch, die Akten, die er zu bearbeiten hatte, neben sich. Leise seufzend zog er die Schreibtischschublade ganz unten auf. Es befand sich nur ein einziger Gegenstand darin: eine kleine, fest verschlossene Kassette. Er hatte sie schon lange nicht mehr in der Hand gehabt. Das letzte Mal kurz nach der Geburt seiner Kinder, als er sich eines Nachts besonders einsam gefühlt hatte. Nach kurzem Zögern nahm Heero den Schlüssel von der Kette an seinem Hals und schloss die kleine Kiste auf. Zuoberst lag noch immer der umgewandte, abgegriffene Bilderrahmen, den er so oft in der Hand gehabt hatte. Selbst jetzt, nach all den Jahren, kostete es ihn alle Disziplin, die er aufbringen konnte, es umzudrehen, sich den lachenden Augen darauf zu stellen, sich seinem eigenen, vergangenen Glück zu stellen und in das Gesicht seines Geliebten zu blicken, der ihn so einfach verlassen hatte. Und doch war der Drang, ihn zu sehen, an diesem Tag übermächtig, nachdem er ihn gerochen hatte. Dessen einzigartigen Duft, den er auch unter einer noch so großen Menschenmenge jederzeit gefunden hätte. Im Hintergrund befand sich ein riesiger Gundam. Das Bild stammte noch aus den letzten Tagen des Krieges. In den letzten Tagen ihres Glücks. Denn das Ende des Krieges hatte ihm noch ein anderes Ende gebracht. Er fühlte wieder diesen bekannten Schmerz, als sich seine Brust zusammenzog. Sanft legte er den Bilderrahmen wieder zurück, nachdem er vorher etwas, dass darunter gelegen hatte, mit seinen Fingern umschloss. Diesmal brauchte er ungleich viel länger, seine Hand wieder zu öffnen, sich dem Inhalt zu stellen. Die Kette. Die Kette, die er ihm einst geschenkt hatte. Die silberne Halskette. Weil sie so unendlich gut zu ihm passen würde. Die Kette mit dem imitierten Wolfszahn aus Katzenauge daran. Dass er immer wüsste, zu wem er gehörte. Fast hätte Heero wieder zu weinen begonnen. Nein! Er musste stark sein! Nicht für sich selbst, aber für seine Kinder! Rasch legte er die Kette zurück, verschloss das Kästchen wieder. Was würde er nur dafür geben, seine Erinnerungen genauso wegschließen, sich so einfach von ihnen befreien zu können! Das Leben wäre so viel einfacher! Denn selbst in den glücklichsten Momenten, die er seit der Geburt der Jungen erlebt hatte, bei ihrem ersten Schrei, ihrem ersten Zahn oder ihrem ersten Schritt, immer hatte es eine Stelle in seinem Herzen gegeben, die schmerzhaft leer geblieben war, die er mit nichts hatte füllen können... Mit einem Kopfschütteln legte er die Kassette zurück an ihren Platz und wandte sich seiner Arbeit zu. Nicht, dass er sie gebraucht hätte, um Geld zu verdienen, er hatte im Krieg genug davon zusammengebracht, um auch ohne Arbeit ein sorgenfreies Leben führen zu können. Sogar ein Studium für die Jungs wäre ohne weiteres drin, doch er brauchte die Ablenkung. Im Schlaf würde er sich nur wieder erinnern müssen. Arbeit hatte den Vorteil, dass sie ablenkte, ablenkte, von seinem Schmerz.... ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ „Sir?" Duo sah von dem Stapel Arbeit auf, der vor ihm lag und blickte die Sekretärin fragend, auffordernd an. „Der Chef bittet Sie, die anderen Dinge erst einmal beiseite zu lassen und vor allem Anderen seine Finanzaufstellung fertig zustellen. Die hätte oberste Priorität." „Die ist schon fertig", gab Duo einfach zurück und deutete auf einen Hefter. Er hatte diese Tabelle schon am Morgen gemacht. „Ich werde sie ihm gleich bringen, Mr. Maxwell." Dieser nickte, während er nach seinem Mantel griff: „Ich gehe in die Mittagspause", meinte er noch, als er an der Frau vorbei ging, wobei das Parfum unangenehm in seine feine Nase stach. Warum mussten Frauen so was nur benutzen? Darüber sinnierend lief Duo den Weg durch den Park und musste feststellen, dass wieder einmal die meisten Bänke schon besetzt waren, was ihn vor die Wahl stellte, erneut zum Spielplatz zu gehen, oder im Laufen zu essen. Er entschied sich für Ersteres. Ob diese beiden seltsamen Kinder wohl wieder da sein würden? Kaum. Es wäre schon ein seltsamer Zufall. Er setzte sich auf die Bank und packte sein Essen aus. Oh! Tatsächlich! Da waren sie wieder! Beide! Die kleinen Jungen lagen lachend im Sand und rollten umher, spielten miteinander, bewarfen sich gegenseitig mit den Sandförmchen. Irgendwie genoss Duo den Anblick. Das Kind seines Geliebten war inzwischen wohl im selben Alter. Ein Schatten überzog Duos Gesicht. Nein. Er verbot sich, an dieses Gespräch auch nur zu denken! Stattdessen konzentrierte er sich auf die Jungen, spürte, wie nebenbei, dass der Wind sich drehte. Zu seinem Erstaunen wandten sich beide Jungen, wie auf ein unsichtbares Kommando hin zu ihm um. Zwei Paar Augen musterten ihn, das Eine offen und interessiert, das Zweite misstrauisch und auf dem Sprung. Der Eine sagte etwas zu dem Anderen, was er, trotz seiner hervorragenden Ohren nicht verstand, woraufhin er sich von seinem offensichtlichen Zwillingsbruder löste und auf ihn zurannte. Wobei der Kleine aber über seine eigenen Beine stolperte und erst einmal, mit dem Gesicht voran, im Sand landete. Duo wappnete sich schon auf den unerlässlichen, empörten Aufschrei, doch nichts dergleichen folgte. Stattdessen rappelte das kleine Kerlchen sich von Selbst wieder auf, wandte sich kurz um und winkte seinem Bruder zu, der nun auch langsam, sichtlich unwilliger, näher kam. „Hallo, du", sprach Duo den Jungen vor sich an, als dieser, wie schon am Tag zuvor, ihn einfach nur anstarrte. Als dieser aber nicht antwortete, sondern nur seinen Kopf schief legte, hob Duo seinen Schokoriegel aus der Box, hielt ihn dem Kind hin, das tatsächlich etwas näher kam und letztendlich auch daran griff, ihn von allen Seiten musterte, an der Folie roch. „Schokolade kennst du doch sicher", ermutigte Duo den Jungen vergnügt, während er beobachtete, wie nun auch der Zweite näher kam. „Du auch einen?", fragte er freundlich, holte einen zweiten Riegel hervor. Oh, wie hatte sein Geliebter immer über seinen Süßigkeitenwahn gelacht! Doch nun geschah etwas Seltsames: der Junge stieß seine Hand mit einem unwilligen Laut, der ihn unwillkürlich an ein Knurren erinnerte, zur Seite, entriss auch seinem Bruder den Riegel, warf ihn ihm vor die Füße, packte seinen Bruder, der offensichtlich kurz vor einem Tränenausbruch stand, und verschwand so schnell, dass Duo nicht sah, wohin. Irritiert über so ein Verhalten bei einem so kleinen Kind, bückte Duo sich, hob die Schokolade wieder auf und folgte den Fußspuren im Sand, zu denen sich aber nach einer Weile, hinter einer Abtrennung zweier Spielbereiche, eine Dritte, Große gesellte. Sie waren gegangen? Schade. Er hätte gern mal mit der Mutter gesprochen, die verantwortungslos genug war, zwei kleine Jungen mehr oder weniger unbeaufsichtigt toben zu lassen! Was da alles hätte geschehen können! Es wäre überhaupt kein Problem für ihn gewesen, die Kinder zu packen und mitzunehmen! Nachdenklich trat Duo zurück zu der Bank und ließ die Riegel, ohne sie zu essen, zurück in die Box fallen. Er würde sie sich für später aufbewahren. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch etwa eine halbe Stunde hatte, bevor er wieder zurück musste. Er lehnte sich zurück und betrachtete die Bäume, deren zarte Knospen dabei waren, sich zu öffnen. Es würde sicher nicht mehr lang dauern, bevor wieder alles um ihn herum grün war... °~°~°~Flashback°~°~°~ „Mann, Duo! Was ist denn mit dir passiert?", witzelte Quatre amüsiert, als er den Langhaarigen auf sich zuhumpeln sah. Er legte den Schraubschlüssel, den er eben noch gehalten hatte, ordentlich beiseite und trat auf seinen Kollegen zu. Der Angesprochene musterte seinen – wesentlich – jüngeren Kriegsgefährten nur kurz, bevor er ein unartikuliertes Knurren ausstieß und zu seinem Deathscyne hinüber hinkte. Verflucht aber auch! Sein Bein würde sicher noch Tage brauchen, bis die Fleischwunde sich geschlossen hatte, die ihm zugefügt worden war! Er war kaum in der Lage, es zu belasten! An den nächsten Kampfeinsatz, der sicher bald kommen würde, wollte er noch gar nicht denken! „Er ist verprügelt worden!", riet Trowa amüsiert. „Weil er mal wieder irgendwen mit seiner Art zur Weißglut getrieben hat!" „Ja, ja", murrte Duo: „Lacht nur! Wir werden ja...! Wem gehört denn der da?", fragte Duo auf einmal, vollkommen aus dem Konzept gebracht und starrte auf den neuen Gundam, der neben seinem Eigenen stand. „Keine Ahn..." In dem Moment kam der Kommandantin Une höchst persönlich auf die vier Piloten zu, in ihrer Begleitung eine weitere Person. Ein Junge, kaum älter, als Trowa oder Wufei, der nun ebenfalls seine Werkzeuge in den Kasten vor sich verstaute und auf sie zukam. „Jungs!" Oh, wie er diese Ziege hasste, die nichts weiter zu tun haben schien, außer Kommandant Zecks anzumachen! Wahlweise auch Treize! Doch er ließ sich nichts anmerken, wandte sich der Sprecherin voll zu. „Wie ihr sicher gemerkt habt, ist ein weiterer Gundampilot zu uns gestoßen. Er wird euch ab jetzt anführen. Darf ich vorstellen? Heero Yuy. Heero, das sind Duo, Trowa, Wufei und Quatre. Ab heute dein Team. Ich erwarte Erfolg von euch. Euch allen", fügte sie noch hinzu, bevor sie die Jungs allein ließ. „Und was hatten wir vorher?", beschwerte Duo sich. „Vielleicht Misserfolg?" Sein Blick suchte den Neuen. Kurzes, braunes Haar, ungewöhnliche, violette Augen, drahtig und muskulös. Das war sein erster Eindruck. Ach ja, und auf eine seltsame Art und Weise kam der Andere ihm verdammt bekannt vor, er konnte nur nicht fassen, warum. „Hi", stellte er sich vor. „Ich bin Duo und wir ab jetzt offensichtlich Kollegen." Der Andere musterte ihn kurz, ohne sich so Etwas wie Wiedererkennen anmerken zu lassen. Musste Duo sich wohl doch geirrt haben. Da sein Gegenüber seine Hand nicht ergriff, zog er sie wieder zurück. Oh mein Gott, stellte er für sich fest. Ein stoischer, kalter Held. Das Letzte, was ihnen in diesem verfluchten Krieg noch gefehlt hatte! „In welchem Zustand sind die Mobile Suits?" „Noch etwas ramponiert von der letzten Schlacht", meldete Quatre sich zu Wort. „Aber wir haben sie fast wieder gerichtet." „Beeilung. Wir haben eine Mission", gab der Neue nur von sich, bevor er zu seinem eigenen Gundam lief. Irrte Duo sich, oder hinkte auch der Andere etwas? Warum denn das? Na, egal. Es ging ihn nichts an. Er wusste nicht, warum, doch er hatte eine gewisse, unerklärliche Abneigung gegen den Neuen und absolut keine Lust, sich mit Diesem auch nur zu unterhalten. Also lief er zu seinem eigenen Suit und fuhr mit den lästigen Reparaturen fort. °~°~°~Flashback Ende°~°~°~ Ja, damals hatte er Heero kennen gelernt. Ein Tag, den er inzwischen still verfluchte. Bald würde auch noch ihr früherer Jahrestag kommen. Schon jetzt wurde ihm anders, wenn er an diesen Tag dachte. Aber er beherrschte sich, starrte auf in den Himmel, sah einige Vögel an sich vorbei ziehen. Erst das Klingen des Gongs am nahe gelegenen Schrein schreckte Duo aus seinen Gedanken auf. Sein Blick wanderte zur Uhr. Verdammt! Er würde mal wieder zu spät kommen.... ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Es war gerade mal sieben Uhr, als Heero aus seinem unruhigen Schlaf aufschreckte. Automatisch richteten sich all seine Sinne auf das Nebenzimmer, doch die beiden Kinder schliefen definitiv noch. Er konnte die kleinen Herzen gleichmäßig und ruhig schlagen hören. Also nur wieder einer seiner Alpträume, die ihn wieder heimsuchten, seit sein Geliebter ihn verlassen hatte. Kein Grund, Panik zu bekommen. Trotzdem, mit dem Schlaf war es wie Üblich aus. Diesmal waren es wenigstens fast fünf Stunden am Stück gewesen. Leise seufzend arbeitete Heero sich aus den zerwühlten Decken. Schon oft hatte er sich überlegt, sich zu den Kleinen zu legen, doch war seine Angst zu groß, sie Kinder in seinem unruhigen Schlaf zu verletzen oder zu wecken. Deswegen hatte er den Jungen von Anfang an beigebracht, allein zu schlafen, in ihrem eigenen Zimmer. So war es einfach das Beste. Lautlos zog Heero sich um und lief hinüber ins Bad, um sich dort die Haare zu glätten. Im Grunde eine völlig überflüssige Angewohnheit, das Gehör der Kleinen war noch nicht gut genug entwickelt, um ihn zu hören und ihr Schlaf noch kindlich tief. Im Grunde war es nie nötig gewesen, so leise zu sein, nicht einmal, als er noch eine weitere Person in seinem Bett gehabt hatte. Sein ehemaliger Gefährte – der Einzige, den er je haben würde – hatte durch einen Schlag auf den Kopf kurz bevor sie sich kennen lernten, einen Teil seines Gehörs und seiner Fähigkeit, Seinesgleichen zu erkennen, eingebüßt. Aber es war einfach eine Angewohnheit. Vorsicht, die ihm während des Krieges mehr als einmal von Nutzen gewesen war. Selbst jetzt, im Frieden, trainierte er eisern jeden Tag. Er mochte nicht mehr in Schlachten kämpfen müssen, doch musste er in der Lage sein, seine Kinder vor jeglicher Gefahr zu beschützen, was auch immer kommen mochte. Das konnte er nur mit einem trainierten, wachen Körper. Und egal, was war – die Jungen würde er nie vernachlässigen. Alles zu deren Wohl würde auch geschehen. Selbst, wenn er wieder in eine Schlacht ziehen müsste. Als Heero sich gewaschen und seine Zähne geputzt hatte, trat er in die Küche und setzte seinen Kaffee auf. Er beobachtete den Dampf des Wasserkochers nachdenklich. Erst das leise Tapsen ließ ihn wieder in die Realität finden. Im Rahmen der Tür stand Jullan, seine Kuscheldecke noch in der Faust, während die andere Hand über die noch halb geschlossenen Augen rieb. Er wirkte einfach zu goldig in seinem Pyjama mit dem Panda auf der Vorderseite. „Kleiner", stellte Heero überrascht fest, hob den Jungen auf seinen Arm und gab ihm einen Kuss auf die noch vom Schlafen geröteten Wangen. „Warum bist du denn schon wach? Juthian schläft doch noch!" „Hab dich gehört", nuschelte Jullan, während er sich an seinen Vater kuschelte. „Du bist doch noch gar nicht wach", tadelte Heero sanft. „Doch!", kam es augenblicklich dickköpfig zurück. Das brachte Heero fast zum Lachen. Es war nicht zu Glauben, wie ähnlich sein jüngerer Sohn ihm selbst und wie unterschiedlich die Zwillinge vom Charakter her waren! Mit dem Kind auf dem Arm trat er nun zu einem der Küchenregale und zog das Kakaopulver hervor, bevor er die Milch aus dem verchromten Kühlschrank angelte: „Dann wollen wir dir mal dein Frühstück servieren", schlug er vor und setzte den Jungen auf einen der beiden Kinderstühle. „Kaba mit ganz viel Kaba!" „Woher wusste ich das nur?", fragte Heero amüsiert. Seine Beiden waren wahrlich schokosüchtig! In jeglicher Form! Von wem sie das hatten, war ihm jedenfalls völlig klar... „Daddy, w’rum has u den Mann im Pielplatz nis angeschrien, so wie die Anderen?", fragte Jullan auf einmal unvermittelt. „Spielplatz", verbesserte Heero automatisch, während seine Hand sich um den Löffel verkrampfte, mit dem er gerade das braune Pulver in die Milch gerührt hatte. Ja, warum nicht? Um sich nicht dem Mann stellen zu müssen, den er so liebte. Er wusste, er hätte es nicht ertragen. Und einen Zusammenbruch im Beisein der Kleinen hätte er sich nie verziehen. Er musste doch stark sein für sie. Sie hatten nur ihn. Keine Mutter, keinen anderen Vater, kein Rudel, keine Freunde und Verwandte. Sie konnten nicht auch noch ihn verlieren. Die Menschen um sie herum würden die Beiden nie verstehen, ihnen das Gefühl geben, falsch, nichts, als ein Monster zu sein. Diese Gedanken hätte er nicht ertragen. Also war er stocksteif sitzen geblieben, im sicheren Gewissen, dass der Andere nicht in der Lage sein würde, ihn wahr zu nehmen, oder die Kinder zu erkennen. „Daddy? Er hat n’ Bischn wie wir gerochen, ne? Is er ein Rudel?" Liebevoll strich Heero durch die braunen, verwuschelten, langen Haare, die sich aus dem geflochtenen Zopf gelöst hatten: „Ein Rudel sind ganz viele. Er war nur allein, nicht wahr?" „Er hatte auch nen Zopf, wie JuJu und ich!" „Stimmt", erwiderte Heero sanft. „Präge dir sein Bild gut ein und wenn du groß bist, werde ich dir erzählen, wer er ist, Kleiner. Gut?" „W’rum nis jetzt?", wollte der Junge sofort wissen, wobei er mit den kleinen Fingern nach der Tasse griff und deren Inhalt lautstark leer trank. Ein erstaunlich großer, leicht braun verfärbter Milchbart, der bis zur Nase reichte, blieb zurück, während die leuchtend violetten Augen ihn wissensdurstig ansahen. „Weil es Dinge gibt, die auch du erst später verstehen kannst." „Ich mag ihn nis!", kam es sofort im Brustton der Überzeugung zurück. „Warum?", fragte Heero erstaunt. Gut, es war nicht Juthians Art, Irgendwen sofort in sein Herz zu schließen. Er war ein vorsichtiger, kleiner Junge, der sich für seinen Bruder verantwortlich fühlte, eben weil dieser sofort auf Jeden zustürmte, doch dass er Jemanden von Anfang an nicht ausstehen konnte... das war doch eher ungewöhnlich! Selbst für ihn! „Er hat dir weh getut!" „Weh getan... wie kommst du denn darauf?", fragte Heero überrascht, stellte seine Tasse ab und betrachtete das kleine Gesichtchen, dass ihn nun ernst ansah. „Is weiß es!", gab der Junge nur in kindlicher Überzeugung zurück. „Is mag ihn nis!" „Ach, Junge", flüsterte Heero nur traurig. Er hatte mal wieder vergessen, wie viel Kinder zu sehen vermochten, wie viel sie verstanden, auch, wenn man es ihnen nicht sagte. Nur konnte er Jullan nicht klar machen, dass hinter seinem Verhalten noch so viel mehr steckte... „Nästes Mal beiß is ihn!" „Jullan!", sagte Heero nun streng. „Was hab ich dir...?!" „Aber er tut dir weh!" „Nein, Ju. Nicht so, wie du meinst. Mach dir keine Sorgen um mich, ja? Ich bin groß und stark." Der Junge sah ihn nur weiter forschend an, bevor die kurzen Ärmchen sich um Heero schlangen. „Is hab dis ganz doll lieb..:" „Ich dich auch, mein Schatz", antwortete Heero geschlagen, während er den Jungen auf seine Arme hob, ihn an sich drückte und dessen Geruch nach Milch und einfach nur Kind tief in sich einsog. °~°~°~Flashback°~°~°~ Rauch stieg um ihn herum auf, das war das Erste, was Duo feststellen musste. Die dichten Schwaden waren unangenehm, machten es ihm unmöglich, die brennenden Augen mehr, als einige Sekunden lang offen zu halten, von seiner Nase wollte er gar nicht regen. Seine Lunge würde das Ganze auch nicht mehr lange mitmachen, das spürte er. Und doch war er fast unfähig, sich zu rühren. Mit geschlossenen Augen tastete Duo nach dem Verschluss der Sicherheitsgurte, ohne aber, als er ihn gefunden hatte, die Kraft aufbringen zu können, diese zu öffnen. Seine Finger waren vollkommen gefühllos, verweigerten ihren Dienst. Wie von Weit her roch er Blut. Sein eigenes Blut, dessen war er sich relativ sicher. Er musste hier raus, verdammt noch mal! Sonst wäre er in wenigen Minuten tot! Ein Knarzen ertönte. Sein Deathscyne, der langsam aber sicher den Geist endgültig aufgab. Na großartig! Entweder, er würde ersticken oder mit seinem Gefährt explodieren! Die Aussichten wurden ja immer vielversprechender! Verflucht sei Yuy! Dieser arrogante Idiot hatte ihn erst dazu getrieben, gegen dessen direkten Befehl diesen Alleingang durchzuziehen, mitten im Schlachtfeld, um dessen bedrohten Gundam aus der Umklammerung der feindlichen Truppen zu bekommen, nur um diesem – verdammt, ihm gingen schon die Schimpfworte aus!!! – zu beweisen, dass er mindestens genauso gut war, wie ihr stoischer Anführer, der sich was auf den Titel ‚Perfect Soldier’ einzubilden schien, obwohl er kaum grün hinter den Ohren war! ‚Gut’, sprach Duo zu sich selbst, ‚Du wirst jetzt diesen verdammten Sicherheitsgurt lösen und aus dem Cockpit verschwinden, bevor wir hier einen Fall von geröstetem Wolf haben!’ Aber auch sein Wille änderte nichts an der Tatsache, dass sein Körper offensichtlich nicht gewillt war, zu tun, was er verlangte... Mühsam nach Luft ringend fuhren Duos Finger in die Luft – bis sie auf Fell stießen?? Unter extremer Anstrengung riss der Langhaarige seine Augen wieder auf, starrte auf den dichter gewordenen Rauch vor sich, spürte ein ungewohntes Gewicht auf seinen Oberschenkeln. Und langsam klärte sich seine Sicht, während frische Luft zu ihm durchkam. Fast, als habe Jemand die gepanzerte Scheibe zerschlagen. Was? Nein, entschied Duo, er musste einfach träumen! Es konnte gar nicht anders sein! Das KONNTE nur ein Traum sein! Wie sonst käme der weiße Wolf, der ihn so übel zugerichtet hatte, hierher? Mitten in einen Kriegsschauplatz? Reglos verharrend beobachtete der Pilot, wie das Wesen kurzerhand die Sicherheitsgurte mit den scharfen Zähnen zerbiss, ihn dann auffordernd mit den golden leuchtenden, blau unterlegten Augen anblickte. ‚Nun mach schon!’ „Wa...was meinst du?" ‚In der Gestalt kommst du keine zehn Meter mehr, du Niete!’ In der...? Ach so, das meinte der Fremde. Nun, so gemein die unangebrachte Beleidigung auch klang, was dahinter steckte war durchaus vernünftig. Man würde versuchen, ihn gefangen zu nehmen, daran hegte Duo keinen Zweifel. Dummerweise gehörte er zu den begehrten Druckmitteln. Seufzend schloss er die Augen wieder, pumpte die nun wieder etwas klarere Luft, die den baldigen Kälteeinbruch bereits offenbarte, in seine Lunge, spürte, wie seine Arme und Beine immer kürzer wurden, bis er das Leder seines Sitzes ganz anders wahr nahm, als durch seine Kleidung. Sein Gesicht zog sich in die Länge, sein Geruchssinn wurde noch schärfer, als ohnehin schon – was ihn wieder an den beißenden Geruch hier im Innern erinnerte. ‚Mach schon! Ich will weg sein, wenn das Ding in die Luft geht!’ ‚Wo...woher weißt du DAS denn?’, fragte Duo überrascht zurück, als er hinter dem Fremden herhinkte, weil sein rechter Vorderlauf sein Gewicht nicht tragen konnte. Aber wenigstens hatte er so drei Weitere, die ihm halfen, von der Stelle zu kommen. In der Form würde er außerdem schneller heilen. Von dem Weißen kam nur etwas Ähnliches wie ein verächtliches Zischen zurück, gefolgt von einem: ‚Verarschen kann ich mich auch selbst!’ Mit anmutigen Bewegungen sprang der Führer über die teilweise geplatzte, metallene Außenhülle, hielt immer wieder inne, schnüffelte, änderte die Richtung. ’Was soll das denn?’, fragte Duo nun doch leicht angesäuert zurück. ‚Ich habe kein gesteigertes Interesse, als Wolf erschossen zu werden’, baffte der Weiße zurück. ‚Ich mag keine Kugeln oder Brandflecken in meinem Fell.’ ‚Ich meine dein Benehmen mir gegenüber! Erst willst du mir mein Revier wegnehmen und dann das! Du benimmst dich, als müsste ich wissen, WER zum HENKER du bist!’ Sekunden lang blieb der Fremde stehen, blickte über seine Schulter nach Hinten und musterte seinen silbergrauen Begleiter: ‚Willst du mir sagen, du WEISST nicht, wer ich bin?’ ‚Nein! Du hast dich schließlich nicht vorgestellt!’ ‚Du dich dafür zu Genüge, Maxwell’, baffte der Weiße wieder, während er weiter lief, elegant mit einem Sprung die letzten fünf Meter bis zur Erdoberfläche überwand. ‚Du... weißt, wer ich bin??!’ ‚Notgedrungen’, kam es zurück, während der Weiße ihn beobachtete, wie er weiterhin äußerst vorsichtig in den Trümmern seines Deathscyne Halt suchend, herabkletterte. So einen Sprung hätte er nie im Leben abfangen können. Er hätte nur riskiert, sich seinen ohnehin schon angeknacksten Lauf entgültig zu brechen. Also hatte er es sein lassen. ‚Wer bist du?’ Duo hätte schwören können, dass der Fremde in dem Moment seine Augen rollte: ‚Sag mal – hast du einen Schlag auf deinen Schädel kassiert, da drin, oder stimmt was mit deinem Riecher nicht? Von deiner Antenne mal ganz zu Schweigen!’ ‚Ja, ich hab einen schlag auf meinen Kopf bekommen!’, bellte Duo wütend zurück. ‚Vor Jahren schon! Als ich versucht hab, ein Kind zu retten, wenn du es genau wissen willst! Und ja, seitdem merke ich es nicht mehr, wenn eine der Meinen vor mir steht!’ ‚Das erklärt Einiges’, stellte der Weiße nur fest, während er weiter huschte, immer die Deckung der herumliegenden Trümmer nutzend. Duo blickte um sich. Das Schlachtfeld war mit Leichen übersäht. Hier und da erklang noch der gequälte Schrei eines Verletzten, in der Luft hier unten lag der unangenehme Geruch nach Blut in allen Gerinnungsstadien. Und als er genau hinsah, erkannte er noch etwas. ‚Halt!!’ ‚Was?’, fragte der Fremde entnervt. ‚Da! Der andere Gundam! Ich muss... da drin...! Mein Anführer! Er mag ja ein Arsch sein, aber...!’ ‚Der Arsch bist ausschließlich du, Maxwell! Ich bin hier, du Trottel!’ ‚Wa...? Du... Heero!?’, Sekunden lang starrte Duo den weißen Wolf mit dem goldenen Ohr und dem goldenen Fleck auf der Brust an, blickte in die blauen, mit Gold unterlegten Augen. Nun war ihm auch klar, warum der Andere ihm von Beginn an so vertraut gewesen war! ‚Guten Morgen’, knurrte der Weiße nur zurück. ‚Wegen dir durfte ich quer über das gesamte Feld hetzen, weil du deinen Arsch nicht aus dem Cockpit bekommen hast! Habe ich dir nicht befohlen, zu verschwinden? Wegen dir sind jetzt zwei Suits im Eimer!’ Nun war es an Duo, entnervt die Augen zu verdrehen. Oha. Er hatte das dumpfe Gefühl, vom Regen in der Traufe gelandet zu sein, während sie über das offene Schlachtfeld hinweg, auf das Gebirge zuliefen. Manchmal schrie einer der gegnerischen Soldaten etwas von Wölfen, doch sie kamen ungehindert zum Pfad, der durch die felsige Landschaft führte – wo Duo sich erst mal fallen ließ. Sein rechter Vorderlauf schmerzte und er war müde, seine Augen taten weh und seine Lunge hatte sich auch noch nicht von dem Rauch erholt. ‚Was wird das, Maxwell?’ ‚Ich kann nicht mehr!’, beschwerte Duo sich. ‚Ich muss mich ausruhen! Außerdem kommen wir ohnehin nicht mehr weit! Ich kann den Schnee doch schon riechen!’ ‚Eben deswegen müssen wir weiter! Auch ein Fell wird uns in einem Sturm nicht vor dem Erfrieren retten, du Idiot! Mach, dass du weiter kommst!’ ‚Ich kann nicht mehr’, intonisierte Duo langsam und auch für Dumme verständlich, wie er meinte. ‚Du wirst zu können haben, Maxwell’, folgerte Heero eisig. ‚Hier in der Nähe sind Höhlen, da kannst du von mir aus schlapp machen!’ Des Streites müde, rappelte Duo sich mühsam wieder auf, hinkte unelegant hinter dem Anderen her, der ohne sichtliche Mühe über einige Steine und Geröll setzte, bevor er seinen Hinterlauf kurz hob, ihn unwillig schüttelte und weiter lief. Als Duo an dieser Stelle ankam, sah – und roch – er das Blut des Anderen. Also war auch Heero verletzt... ‚Mach endlich!’ Ohne seine Kraft auf eine Antwort zu verschwenden, setzte Duo diesen Weg fort, der nur aus einer einzigen Quälerei zu bestehen schien. Nur nebenbei bekam er mit, wie es rings um ihn herum immer dunkler wurde. Was um Himmels Willen, verstand dieser Irre unter dem Ausdruck ‚ganz in der Nähe?!’ ‚Hierher, Maxwell!’ Was? Irritiert blickte Duo auf, stellte fest, dass er den Anderen in einsetzenden Schneegestöber gar nicht mehr sehen konnte ‚Hä?’ ‚Rechts neben dir’, wiederholte die Stimme in seinem Kopf geduldig. Duo wandte sich um. Da! Tatsächlich! Ein kleines, kreisrundes Loch in der steil aufragenden Felswand, gerade groß genug für ein Kind, um hinein zu kriechen – oder eben für Wölfe... ‚Woher...’, Duo betrachtete die vollkommen glatten Wände. Diese Höhle war künstlich, dafür hätte er seine Rute verwettet! ‚Ich habe vorgesorgt’, antwortete Heero simpel. ‚Aber mich würde ja interessieren, wie DU bis heute überlebt hast...’ °~°~°~Flashback Ende°~°~°~ „...Mr. Maxwell!" Erschrocken richtete Duo sich auf und sah in das Gesicht einer der Sekretärinnen. „Alles in Ordnung?", fragte die Frau ihn nun. „Sicher", winkte Duo nur ab. „Ich war in Gedanken. Was gibt es?" „Die neuen Hochrechnungen aus der Zentrale sind angekommen. Ich dachte, ich bringe sie direkt vorbei." „Danke", nickte Duo, nahm den dünnen Hefter innerlich stöhnend entgegen. Noch mehr Arbeit! Und dabei ging ihm diese ohnehin im Moment so unendlich schwer von der Hand! Er hatte schon wieder geträumt. Warum konnte er die Vergangenheit nicht endlich begraben? Als ob es nicht genügend andere Menschen und selbst Wesen wie ihn gäbe, dass er nun schon annähernd vier Jahre einem Einzigen hinterher trauerte, der sein Vertrauen aufs Übelste missbraucht hatte und noch nicht einmal ehrlich genug gewesen war, dazu zu stehen! Mit verzweifelter Wut stürzte Duo sich auf die vor ihm liegenden Akten. Arbeit. Etwas, um ihn abzulenken eben...

 

Im Schneidersitz saß Duo vor dem Regal, das er gerade entmistete. Es hatte sich schrecklich viel unnützes Zeug und verzichtbare Unterlagen angesammelt, die er aussortieren wollte. Irgendetwas musste er einfach tun, um sich abzulenken. Morgen war der verhängnisvolle Tag. Der Tag, an dem er Heero zu seinem Geliebten gemacht hatte. Der Tag, den er seit über drei Jahren, seit fast Vieren nun schon, zu verdrängen versuchte. Er zog einen weiteren Karton hervor, hob den Deckel auf – und stockte. Diese Kiste! Er hatte sie nicht mehr angerührt, seit er sie, mehr oder weniger Heero geklaut hatte, um diesen so zu zwingen, ihn noch ein letztes Mal zu besuchen, ihn so dazu zu bringen, ihm doch noch die Wahrheit zu sagen. Er hatte sie nie auch nur angerührt. Heero hatte das Ding immer gehütet, wie einen Augapfel, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte, den Jüngeren je davor gesehen zu haben, wie er die dicken Ordner darin gelesen hätte. Er hatte sie einfach immer nur bei sich haben wollen; warum hatte Heero ihm nie wirklich erklären können. Er hatte diese Kiste im vollen Ernst seine zehn vergessenen Jahre genannt! Was sollte er nun damit tun, da Heero ja doch nicht gekommen war, um sich die Kiste zurückzuholen? Sollte er sie weiterhin behalten? Nachdenklich zog Duo wahllos einen der Ordner heraus, stellte dabei fest, dass sich kein Staub darauf angesammelt hatte. Also, entweder hatte Heero sie regelmäßig abgestaubt, oder sie noch einmal, kurz bevor er sie mitgenommen hatte, gelesen. Denn für die Zeit, in der sie hier nun schon bei ihm herum standen, hatte sich nicht genug davon auf ihnen gesammelt. Nachdenklich schlug Duo die erste Seite auf – und ihm wurde erst mal schlecht. Ein Foto. Von einer Operation, von inneren Organen, um genauer zu sein. Hastig blätterte Duo weiter, wobei sein Gesicht immer weißer wurde... °~°~°~Flashback°~°~°~ Autsch! Was war denn nun falsch? Irritiert öffnete Duo die Augen. Er hatte gerade einen ganz gewaltigen Schlag abbekommen, dämmerte es ihm und das sicher nicht nur im Traum, denn sein Magen beschwerte sich auch jetzt noch. Heero! Hastig wandte Duo sich um, blickte neben sich, wo sein Geliebter eigentlich liegen sollte, wo aber keine Spur von ihm war. Irritiert suchte er das Bett ab. Sooo groß war es schließlich auch nicht! Es war nur ein ganz normales Doppelbett, Herrgott noch mal...! Da! Aber – was um Himmels Willen tat Heero denn da? Zusammengekauert am unteren Bettende! Wie war er da überhaupt hingekommen? Sie schliefen doch sonst auch immer Arm in Arm! Ach nein, er war zwar schon im Bett gewesen, aber Heero hatte darauf bestanden, noch etwas weiter auszupacken, da er die Wohnung, in die sie nun, nach dem Ende des Krieges gezogen waren, rasch hatte wohnlich machen wollen. Was auch immer dieser Spartaner darunter verstand. „Heero?", fragte er leise, legte seine Hand auf dessen zitternde Schulter, zog sie aber schleunigst wieder zurück, als dieser nach ihm schlug. „He-chan! Was ist denn los?", fragte er, nun laut genug, um sicher zu sein, dass der Jüngere eigentlich aufwachen müsste – was nicht der Fall war. Also gut. Erneut griff er nach dessen Schulter, schüttelte ihn, ohne auf die um sich schlagenden Hände zu achten, nun ernstlich besorgt, als er die Träne sah, die aus dessen Auge lief. „Wach auf!", brüllte er nun in voller Lautstärke, heilfroh, dass sie keine Nachbarn hatten, die gleich beginnen könnten, an die Decke zu klopfen oder sonst etwas. Da, endlich! Die topasfarbenen Augen öffneten sich langsam, blickten im ersten Moment orientierungslos um sich, bevor sie an ihm hängen blieben. „Duo?", fragte die Stimme verschlafen. „Was tust du hier?" „Nani?" So war es immer. Der Japaner verfiel in seine Muttersprache, wenn er müde war. „Du hattest einen Alptraum – du bist sogar bis ans Fußende gekrochen! Was, um Himmels Willen, hast du gehabt?" „Ich...", Heero zuckte die Schultern: „So was hatte ich früher schon", meinte er abwehrend, wobei sein Blick kurz über die sich noch stapelnden Kisten glitt, an einem Aktenkarton hängen blieb. „Ich weiß nicht, was ich geträumt habe – und ich will es auch gar nicht wissen..." „Hä?" Heero seufzte auf, während er nun zuließ, dass Duos Arme sich um ihn schlossen, dass er zurück auf die Kissen gelegt wurde und die Decke sich über seinen halb nackten Körper legte. „Ich... mir fehlen einige Jahre in meiner Erinnerung – zwischen der Vernichtung meines Rudels und dem Tag, an dem ich nackt und voller Narben in einem Gebäude voller Leichen aufgewacht bin." Duos Finger strichen über eine dieser Narben, die sich kaum mehr vom Körper seines Geliebten abhoben. Es waren einfach hellere Striche in der sonst sonnengebräunten Haut. „Du weißt gar nicht, wo sie herkommen?" „Nein und ich will es auch gar nicht wissen. Lass uns... einfach weiterschlafen, ja?" Überrascht blickte Duo auf seinen Geliebten. Das war die seltsamste Aussage, die er von diesem je bekommen hatte! Heero hatte doch sonst immer ganz genau wissen müssen, was um ihn herum los war und hatte nie locker gelassen, bis er eine befriedigende Antwort gefunden hatte! Und nun, als es um ihn selbst ging, wollte er keine mehr? Wie sollte Duo denn das verstehen??? °~°~°~Flashback Ende°~°~°~ Duo hielt sich die Hand vor die Augen. Nun verstand er. Besser, als er es je gewollt hatte. Ihm war nun wirklich schlecht. Sollte er versuchen, etwas zu essen, oder auch nur zu trinken, würde er Sekunden später den Vorgang rückwärts wiederholen! Nun wunderte es ihn wirklich nicht mehr, dass Heero das nicht hatte wissen wollen – obwohl – wahrscheinlich hatte er es die gesamte Zeit gewusst und einfach nur verdrängt. Nur ließen Träume sich leider nicht bescheißen. Mit zitternden Händen griff Duo nach dem nächsten Ordner, während ein übler Verdacht in ihm aufstieg... ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ ‚Daddy! Was kucksu da?’, verlangte auf einmal eine noch reichlich schläfrige Kinderstimme zu wissen. Überrascht wandte Heero sich in seinem Bürostuhl um. Die Kleinen wurden verdammt gut im Schleichen! Er hatte doch tatsächlich nicht einen Ton gehört! Trotz der ganzen Spielsachen, die noch auf dem Flur lagen. Was hieß, dass es nur Jullan sein konnte – Juthian hätte erst mal irgendwo eine Bruchlandung hingelegt. Egal, in welcher Form... In der Tür saß tatsächlich der weiße Welpe, die Decke zwischen den Zähnen. Oh wie, die dürfte er sicher auch bald wieder mal nähen müssen... So, wie Juthians Teddy – den, den Duo ihm einmal auf einem Fest geschossen hatte – aus purer Gaudi. War es denn wirklich schon so spät? Tatsächlich! Fast neun Uhr morgens. Er hatte die gesamte Nacht hier gesessen, so, wie es aussah. „Was ich gucke?", fragte Heero lächelnd, winkte den Jungen zu sich, der auch brav auf ihn zu tapste, hob ihn so hoch, dass er den Bildschirm sehen konnte. „Wie gefällt dir das Haus?" ‚W’rum?’ „Wie würde es dir gefallen, da zu wohnen? Da ist ein eigener Garten ganz für euch beide allein, wo ihr spielen könnt und..." ‚Is will nis weg!’. Rief Jullan sofort, der die Situation augenblicklich begriffen hatte. ‚Is will hier bleiben!’ Heero seufzte. Da würden noch einige Probleme auf ihn zukommen, mit denen er noch nicht einmal gerechnet hatte, wie es aussah. Also ließ er dieses Thema erst einmal fallen, auch wenn er sich längst entschieden hatte. Auch den Jungen würde es gefallen, wenn sie erst einmal da waren. Es war ein großes Haus, in dem Jeder sein eigenes Zimmer haben konnte, einen Arbeitsraum und viel Platz zum Toben im weitläufigen Garten. Wenn sie erst einmal hier weg waren, würden sie diesen Platz nicht mehr vermissen. Er würde das Haus kaufen, noch an diesem Abend. Er hatte bereits mit der Maklerin telefoniert, die ihm einen Termin heute Abend für eine ausführlicher Besprechung zugesagt hatte. Er wäre ohnehin der einzige Interessent. Dann konnten sie bereits morgen früh hier weg sein. „Heute gehen wir wieder in den Park", meinte Heero zu dem Jungen. ‚Das is gut!’, kam es sofort von der Tür, wo nun auch Juthian anrollte – worüber auch immer er dieses Mal gestolpert war. Wahrscheinlich sogar über den Teddy, dessen Arm er im Maul hatte, um ihn hinter sich herziehen zu können. ‚Sehen wir da wieder den dummen Mann?’, fragte Jullan sofort, sichtlich unwillig. Kurz bewölkte sich Heeros Stirn, dann hob er auch den älteren Zwilling zu sich auf den Schoß, kraulte ihn: „Wenn wir ihn sehen, versucht, ihn euch gut einzuprägen." ‚W’rum?’ „Das erklär ich euch, wenn ihr älter seid", gab Heero sanft zurück. „Das würdet ihr im Moment nicht verstehen. Prägt ihn euch nur gut ein." ‚Er is also doch bös!’ „Aber nein", beschwichtigte Heero Jullan, strich diesem über das sich nun aufstellende Fell. „Aber er ist... wichtig... für euch. Merkt euch alles, was ihr könnt." Beide sahen ihn mit ihren großen Augen verständnislos an, aber mehr konnte Heero ihnen einfach noch nicht sagen. Es war zu früh, sie würden nicht verstehen. Sie würden es vielleicht nie tun. Wie sollte er den Kindern auch erklären, dass es nicht an ihnen lag, dass ihr Vater sie im Stich gelassen hatte, dass es aber auch nicht wirklich dessen Schuld war? Den Kleinen war doch gar nicht bewusst, wie ungewöhnlich es war, dass sie keine Mutter und nur einen Vater hatten! Sie kannten es nicht anders! „Versprecht ihr mir das?" Beide nickten, wenn sie auch sichtlich verwirrt waren. Gott, waren sie noch klein! Und so verletzlich! Was würde nur aus ihnen werden, wenn ihm etwas zustieß? Und sei es nur ein dummer Unfall! Was, wenn Duo sich dann weigerte, sie zu sich zu nehmen! Irgendwann würden sie sich verwandeln, vor Anderen. Was dann? ‚Daddy?’ „Es ist alles in Ordnung, Kleiner", beruhigte Heero seinen Sohn, bevor er beide hochhob: „Zeit für euer Frühstück, nicht wahr?" ‚Kaba mit ganz viel Kaba!’ ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Den Kopf in den Händen saß Duo auf der Bank am Spielplatz. Er war fertig mit sich und der Welt, hatte sich sogar mehrere Tage von der Arbeit frei genommen, wohl wissend, dass alle ihm angemerkt hätten, dass etwas ganz gehörig nicht stimmte. Er musste nicht in den Spiegel zu sehen, um zu wissen, dass er immer noch leichenblass war. Gott! Wie viel Unrecht hatte er Heero nur getan! Er sah dessen Gesicht vor sich, immer und immer wieder, die Augen, die vom einen auf den anderen Moment jeglichen Glanz verloren hatten, dieser verzweifelte Ausdruck, der leicht geöffnete Mund, das dieser ihm die Situation hatte darlegen wollen, er, der einfach nur drauf losgeschrieen hatte, ohne dem Jüngeren auch nur die Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Dann war Heero weggerannt. Und er hatte gepackt, war einfach gegangen, hatte nicht einmal einen Zettel hinterlassen. Gar nichts. Er war nie wieder zurückgekehrt in all der Zeit, hatte keine Ahnung, wie es Heero ging – und ob dieser überhaupt noch am Leben war. Duo befürchtete das Schlimmste, nachdem er die Akten zu Ende studiert hatte. Ja, sein Geliebter könnte tatsächlich aufgrund der an ihm vorgenommenen Experimente schwanger geworden sein, doch gab es nur eine Möglichkeit der Entbindung: die Kinder herauszuschneiden. Duo kannte Heero zu gut, um auch nur anzunehmen, dass dieser sich an einen Arzt gewandt haben könnte... Wahrscheinlich hatte der Jüngere die Geburt nicht überlebt... Heero war tot, weil er nicht zugehört hatte, sondern davon ausgegangen war, dass dieser ihm irgendeine dumme Geschichte auftischen würde. Weil er zu stolz gewesen war, in all den Jahren mal bei diesem vorbei zu sehen! Mit leerem Blick starrte er in den Himmel, legte seine leicht zitternden Hände in den Schoß. Er hätte ein Kind haben können. Eine richtige, kleine Familie. Wenn er nur nicht so dumm gewesen wäre!! Duo blickte in den Himmel auf, von dem die Sonne warn herab strahlte. Fast, wie damals... Ein wunderschöner Tag eben. Nein, erhielt es nicht länger aus, hier auf dem leeren Spielplatz, der ihm fast wie ein Sinnbild seines leeren Lebens vorkam. Er musste hier weg – schleunigst. Bevor irgendeine hysterische Mutter hier mit ihrem Kind auftauchte und einen heulenden Mann sah. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war die Polizei am Arsch, die ihn für einen Kinderschänder hielt... Er lief den kiesbestreuten Weg zurück, den er gekommen war, zum hinteren Ausgang des Parks, in dessen Nähe seine kleine Wohnung lag. Er wollte sich nur noch auf seine Couch fallen lassen und die Augen schließen. Vielleicht würde er eine Schlaftablette einwerfen, er würde keine weiteren Träume ertragen, in denen er seinen Geliebten blutenden auf dem Boden liegen sah, mit heraushängenden Gedärmen, mit einer Kinderleiche neben sich. Erst ein leises Klacken, das sich immer wieder wiederholte, gefolgt von einem seltsamen Laut brachte ihn dazu, aufzusehen. Er blickte zur Seite, sah neben dem Weg einen Hundewelpen. Silbernes Fell, goldenes, rechtes Ohr, der offenbar beschlossen hatte, einen Salto hinzulegen, nachdem ihm seine eigenen Pfoten im Weg gewesen waren. Nur kurze Zeit später war ein weiterer Welpe bei ihm, mit schneeweißem Fell und einem silbernen, rechte Ohr, der erst ihn seltsam musterte, bevor er den Anderen anstupste, anschließend mit diesem im nahe gelegenen Gebüsch verschwand. Sicher war dort der Besitzer mit dem Weibchen. Duo trat auf den Gehsteig, der am Bogenportal begann, starrte auf die Ampel, die in dem Moment umschaltete, lief los – und blieb abrupt stehen. Konnte ... konnte das WIRKLICH sein?? Das... das war doch unmöglich!! Aber...! Dieses schneeweiße, fleckenlose Fell, das eingefärbte Ohr, dieser misstrauische Blick! Der Andere, ungeschickt, silbern, mit dem goldenen Ohr!! Duo bekam nicht mit, wie die Ampellichter umsprangen, sah nicht den großen Lieferwagen auf sich zurasen, war unfähig, sich zu rühren, während seine Gedanken sich überschlugen. Konnte... konnte das wirklich sein?? War... Heero die ganze Zeit über hier gewese...? In der Sekunde spürte Duo nur noch das Gewicht, dass ihn niederdrückte, gefolgt von dem Luftzug und dem Gestank nach quietschenden Rädern, bevor er für Sekunden den schneeweißen Kopf mit dem goldenen Ohr sah – und das Blut, dass aus dem Fell auf die Straße tropfte. Der Geruch, der davon ausging. Doch dann, so plötzlich, wie er erschienen war, verschwand der weiße Wolf, hinkend und doch erstaunlich schnell, während ein Mann sich zu ihm herabbeugte: „Oh mein Gott! Ist... ist alles in Ordnung mit Ihnen?!" Wortlos – und unverletzt – sprang Duo auf, starrte auf den vollkommen verschreckten Fahrer, stieß diesen wütend zur Seite. „Heero!" Mit diesem Schrei stürmte Duo los, zurück in den Park, wohin die dünne Blutspur ihn führte. Zurück zu dem Weg, von dem er eben erst gekommen war. „Scheiße", flüsterte Duo, während seine scharfen Augen den Weg sezierten, seine Nase nach einer Spur suchte und er immer weiter zurück in die Grünanlage rannte. Wie weit konnte der Andere, um Himmels Willen, mit seiner Verletzung, schon gekommen sein!! Obwohl... wenn man bedachte, von wem hier gerade die Rede war...! Er roch es, wie eben auf dem Asphalt. Süßlich, mit einer undefinierbaren Note von irgendetwas anderem. Er musste Heero ganz nahe sein! Er konnte es riechen! Und war das da nicht... ein Winseln? Oh, bei allen Göttern! Das hatte er vollkommen verdrängt! Die Welpen! Daran hatte er ja noch gar nicht gedacht! Da! Hinter einem etwas abseits gelegenen Busch sah Duo eine leichte Bewegung, kaum mehr, als das Zucken von Blättern im Wind – der gar nicht wehte! Hastig lief Duo auf den Busch zu, um ihn herum. Ja, da waren sie. Alle drei. Der große, weiße Wolf mit dem goldenen Ohr, reglos, stark aus einer Wunde blutend, die er von hier aus nicht genau bestimmen konnte. Ein jaulender, silbergrauer Welpe, der sich an den Erwachsenen gekuschelt hatte, mit der Pfote immer wieder gegen dessen Schnauze stieß im sinnlosen Versuch, ihn zu wecken. Der weiße Welpe mit dem silbernen Ohr, der Dasselbe von der ihm zugewandten Seite aus versuchte, jedoch abrupt aufsah, als Duo auf sie zukam. Augenblicklich ließ der Kleine von seinem erwachsenen Begleiter ab, sprang über diesen hinweg und stellte sich vor ihn und seinen Bruder, die Vorderbeine gegrätscht, die Lefzen hochgezogen, so seine schneeweißen, kleinen Zähnchen präsentierend und ein für seine Größe beeindruckendes Knurren ausstoßend. Wäre der Kleine nur etwas älter, hätte Duo sich sicher zweimal überlegt, sich dem Jungen zu nähern, doch in dessen Größe, diese Drohgebärde wirkte irgendwie mehr wie ein Angriff auf seine Lachmuskeln, wäre er in der Stimmung dazu. „Schon gut, Kleiner", murmelte er beruhigend, zeigte seine leeren Hände: „Ich will euch nur helf... he!!!" In dem Moment hing der weiße Welpe an seiner Hand, die kleinen Beißerchen fest in seinem Daumenballen vergraben. Himmel, war er froh, dass das hier nur die Milchzähne waren! Sein erster Reflex war es, den Jungen gegen den nahe stehenden Stamm des Baumes zu schlagen, um ihn zu zwingen, seine Hand wieder frei zu geben. Doch das konnte er nicht tun! Mal davon abgesehen, dass Heero ihn dafür umgebracht hätte... wenn er das alles richtig verstanden hatte, war dieser Welpe hier... Hektisch blickte Duo sich um. Er musste schnell handeln, bevor der Park sich gleich mit Menschen füllen würde! Da! Ein Rucksack! Ohne sich näher damit zu beschäftigen, wo dieser herkam, öffnete er den Reißverschluss, packte anschließend seine Klette am Nackenfell und zwang das Junge so, loszulassen, ließ ihn ohne weitere Umstände in die Tasche fallen. Dann wandte er sich wieder um, blickte zu dem anderen Welpen, der nun den Platz seines überwältigten Bruders eingenommen hatte und ihn kaum weniger freundlich anknurrte. Duo verharrte sekundenlang bewegungslos, bevor seine Hand hervorschoss, auch den zweiten Welpen fasste. Nichts desto Trotz gesellte sich ein weiterer Kratzer zu den Bissspuren auf seiner Handfläche. Egal. „Hab ich euch", stellte Duo erleichtert fest, während er den tobenden Rucksack auf seinen Rücken packte. „Dann woll’n wir mal", seufzte Duo, während er sich zu dem weißen Wolf kniete, seine Arme so vorsichtig wie möglich unter dessen Körper schob und ihn dann hochhob. Mit seiner bewusstlosen Last auf den Armen – er bezweifelte, dass Heero sich das hätte gefallen lassen, wäre er wach geworden – lief Duo hastig zurück auf die Straße, überquerte sie, lief die beiden Blocks bis zu seiner kleinen Wohnung und stieß die Tür auf, die er am Morgen noch nicht einmal abgeschlossen hatte, wie er dabei feststellen musste. Hastig mit dem Ellenbogen die Akten vom Schlafsofa fegend, legte er Heero auf die weichen Polster und stellte den Rucksack, der doch begann, ihm mit seinen Stößen in den Rücken lästig zu werden, ab. Geschlossen. Erst dann tastete er unter sein Sofa, von wo er einen kleinen Kasten hervorzog. Er war seit dem Krieg nicht mehr zum Einsatz gekommen und an seinem Platz vollkommen verstaubt. Er klappte ihn auf, betrachtete die Dinge darin. Verbände – die einem Wolf kaum anlegen konnte, Tabletten – die Heero kaum schlucken würde und eine kleine Spraydose für den äußersten Notfall. Ein Mittel, dass sein Geliebter immer verpönt, gehasst hatte. Kein Wunder – es war durch die Experimente an seinem misshandelten Körper entstanden. Es war eine intuitive Ablehnung gewesen. Aber das Einzige, was im Moment helfen dürfte, die immer noch viel zu starke Blutung zu stoppen. Mit der Dose in der Hand setzte Duo sich auf die Kante des Sofas, fuhr vorsichtig durch das schneeweiße Fell, bis er sah, wo die Wunde saß. Es schien Duo, als habe das Gestänge des alten Lieferwagens den Bewusstlosen zu häuten versucht. Von der Schulter an bis fast zum Bauch zog sich der tiefe Riss im Fell. „Heero", flüsterte Duo, legte nach kurzem Zögern seine Hand zwischen dessen angelegte Ohren, begann, diesen dort zu kraulen, bevor er die Dose schüttelte und die gesamte Wunde mit dem weißlichen Nebel einsprühte, wodurch die Blutung fast augenblicklich zum Stillstand kam. „Warum hast du das nur getan!", verlangte er zu wissen: „Ich dachte, ich wäre der leichtsinnige Idiot! Was hast du dir nur dabei gedacht!" Der Andere regte sich um keinen Millimeter. „Dickkopf!", schoss Duo auf den Jüngeren ab. Gott, wie viel hätte dieser ihnen beiden ersparen können, wenn er nur noch einmal zu ihm gekommen wäre! Aber gut – das traf auf ihn nicht minder zu. Noch einmal strich Duo über das weiche Fell, bevor er sich auf den Boden setzte. Zeit, sich um den tobenden Rucksack zu kümmern, aus dem abwechselnd empörtes Gejaule und drohendes Kläffen klang. Zu Duos Verwunderung erkannte er den Rucksack nun wieder. Er selbst hatte fast denselben, hatte diesen hier Heero damals selbst geschenkt. Der Jüngere hatte ihn aber nie genutzt, soweit Duo sich erinnern konnte. Nun, offensichtlich hatte das Ding nun doch noch Gnade vor den Augen des weißen Wolfes gefunden. Vorsichtig öffnete Duo den Reißverschluss, doch leider hatte der die Welpen ein weiteres Mal unterschätzt – und hatte wieder beide an einer Hand hängen. „Wow! He, ihr Beiden! Was soll das!" Eine Antwort erhielt Duo nicht, obwohl er sich relativ sicher war, dass die Beiden sehr wohl wussten, wie sie hätten mit ihm Kontakt aufnehmen können. Er packte den Silbernen im Nacken, hielt ihn sich vor die Augen, betrachtete dessen goldenes Ohr und den goldenen Fleck auf der Brust, sah in dessen Augen. Nein, ein Zweifel war ausgeschlossen, das war ihm sofort klar. Seufzend erhob Duo sich, ohne auf den Schmerz in seiner Hand zu achten und legte den ersten Welpen neben Heero. Dann hob er den Zweiten hoch: „Was sagt mir nur, dass du der Anstifter bist?", fragte er diesen verschmitzt, während er beobachtete, wie der Weiße versuchte, sich von ihm zu befreien. Der Kleine war Heeros Ebenbild und das sicher nicht nur im Aussehen. Da hatte der Charakter mehr als nur gründlich abgefärbt. Er setzte auch den Zweiten zu seinem ehemaligen Geliebten auf die Polster, beobachtete, wie der Silberne wieder versuchte, seinen Vater zu wecken. Der Weiße hingegen ließ ihn nicht aus den Augen. Duo wusste, wenn er die Kleinen nicht noch mehr verängstigen wollte, sollte er sie vorübergehend in Ruhe lassen. Er zog sich einen Stuhl ans Sofa und griff zu dem Rucksack. Es war Heeros, daran hatte er keine Zweifel. Er sollte mal sehen, was sich alles darin befand. Außerdem war es auch eine willkommene Ablenkung zu den bösen Blicken des kleinen Weißen, der ihn ansah, als wüsste er weit mehr, als Duo glauben wollte... Aber woher sollte der Kleine denn das wissen? Es wäre nicht Heeros Art gewesen, darüber zu sprechen. Kleidung. Das war das Erste, was Duo ertastete, aus dem Inneren hervor zog. Kinderkleidung, die ihm sogar vage bekannt vorkam. Wahrscheinlich zwang man gerade alle kleinen Jungen in solche Sachen. Zwei Jeanslatzhosen, zweimal Unterwäsche, zwei Pullover, der Eine blau, der Andere violett, zwei Paar kleine, feste Schuhe und zwei kleine, dicke Jacken. Duo legte die zerwühlte Wäsche wieder ordentlich zusammen, während sein Blick ein weiteres Mal zu den Welpen glitt, die sich inzwischen beide gegen Heero zusammengerollt hatten, ihn aber nicht aus den Augen ließen. Duo legte die Wäsche, in zwei Stapel unterteilt, auf seinen Glastisch, auf die Akten, die dort immer noch lagen, griff erneut hinein und stieß gegen eine Box, die er nun herauszog. Eine Brotzeitschachtel. Er öffnete sie. Drei Brote, belegt mit kaltem Braten, eine Packung Kekse in Tierform und zwei Riegel Schokolade. Ein Napf und eine Flasche Fruchtsaft. Und ein kleines, dunkelrot eingebundenes Notizbuch. Das war alles. Nach kurzem Überlegen packte Duo die Kleidung zurück in den Rucksack und stellte diesen so ans Sofa, dass Heero danach hätte greifen können, hätte er es gewollt. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem kleinen buch, blickte es lange an, sah zu Heero hinüber, der sich immer noch nicht wieder regte und klappte es dann erst entschlossen auf. ‚Heero Yuy’ Das waren die beiden Worte auf der ersten Seite. Mehr nicht. In dieser vertrauten, gestochenen, klaren Schrift. Der Satz auf der nächsten Seite aber überraschte ihn mehr, als alles Andere: ‚Im Falle eines Notfalles benachrichtigen: Duo Maxwell.’ Und hinter seinem Namen seine alte Militärnummer, die es für einen Finder möglich gemacht hätte, ihn überall zu finden. Sprachlos sah Duo ein weiteres Mal zu Heero. Was musste es den jüngeren wohl gekostet haben, das hier in sein Buch zu schreiben, nach allem, was er diesem angetan hatte? Es zeigte ihm, wie viel die Kinder, die dieser genauso gut hätte hassen können, bedeuteten, die sich inzwischen fast schon schutzsuchend an ihn drückten, nicht wissend, was sie von dem Fremden halten sollten, der sie einfach mitgenommen hatte. Doch trotz ihrer Angst hatten die Welpen keine einzige Sekunde gezögert, sich vor ihren Vater zu stellen. Kurz blätterte Duo das kleine Buch durch. Es enthielt einige Termine, die mit Kürzeln versehen waren, so, dass er nicht wusste, was sie bedeuteten. Er wollte das Buch schon wieder schließen und zur Seite legen, als er den zusammengefalteten Zettel zwischen zwei Seiten erkannte. Und die Aufschrift darauf: Duo Verwirrt faltete er das Blatt, das ganz offensichtlich für ihn bestimmt war, auseinander, seine Finger fuhren über die vertraute Schrift. Duo, Wenn du diese Zeilen zu Gesicht bekommst, steht wahrscheinlich irgendwer von der Fürsorge mit zwei Jungen vor der Tür, wie alt auch immer sie inzwischen sein mögen. Ich bitte dich, schick sie nicht fort, denn dann haben sie niemanden mehr, der ihnen auch nur ansatzweise so etwas wie Sicherheit geben kann. Oder ihnen erklären kann, was mit ihnen los ist, warum sie sich immer von Anderen unterscheiden werden. Am Anfang hatte ich gehofft, du würdest die Unterlagen lesen, die du aus unserer Wohnung mitgenommen hattest, aber entweder hast du es nicht getan, oder auch die haben dich nicht dazu bewogen, mir zu glauben. Denn sonst wärest du zurückgekehrt. Ich bin dir deswegen nicht mehr böse, wenn es das ist, was du nun denkst, ich bin einfach nur unendlich traurig. Ich verspreche dir bei allem, an das ich je geglaubt habe, ich hab dir damals die Wahrheit gesagt. Du weißt, dass mir die Erinnerung an einige Jahre meines Lebens fehlt. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass man Experimente an mir durchgeführt hat, die es unter Anderem möglich gemacht haben, dass ich schwanger wurde. Vor dir stehen deine Söhne, ich habe dich nie belogen. Ich war damals wirklich schwanger – und verängstigt, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Juthian, der dir in so vielen Dingen so unendlich ähnlich ist, bis hin zu deiner Tollpatschigkeit, und Jullan, der allen Fremden gegenüber immer erst ein wenig misstrauisch ist, sind deine Kinder. Zu Beginn wirst du es schwer haben, vor allem mit Jullan, doch gib ihnen Zeit und du wirst sehen, sie sind liebe und gute Kinder. Ich habe ihnen nicht auch nur ein böses Wort über dich erzählt, hab keine Angst. Ich bitte dich nicht für mich, doch ich bitte dich für unsere Kinder: Kümmere dich um sie. Hast du dir nicht immer Kinder gewünscht? Du hast mir manchmal mit deinem Gerede über Adoptionen sogar Angst gemacht. Nimm Kontakt zu meinem Anwalt, Yoruko Denater auf. Bei ihm liegen alle notwenigen Unterlagen, Beglaubigungen und Bevollmächtigungen, die du brauchen wirst und eine Auflistung des dir zur Verfügung stehenden Geldes. Ich weiß nicht, was geschehen ist, dass du das hier überhaupt zu Lesen bekommst, was mit mir geschehen ist, dass die Kinder allein vor dir stehen, doch sei versichert, an meinen Gefühlen für dich hat sich nie etwas geändert. Ich werde dich immer lieben Heero Duo schluckte hart, als er diesen letzten Satz las, wieder und wieder. Er fuhr mit den Fingern über das bereits leicht abgegriffene Papier, an dem man die Faltstellen so überdeutlich erkennen konnte. Er spürte die Tränen in seinen Augenwinkeln, während sein Blick über all die wüst umherfliegenden Akten auf dem Fußboden glitt. Die zahllosen Zeichnungen oder Fotografien von Heeros Körper, übersät von Operationsnarben. Seine verlorenen Jahre... Ja, er war derjenige, der sich von Anfang an geirrt hatte. Der Heero jämmerlich im Stich gelassen hatte, in dem Moment, wo dieser ihn am dringendsten gebraucht hätte. Er sah die Augen des Jüngeren wieder vor sich, die Verzweiflung, die Angst, die er damals darin gelesen hatte, als er sich einfach umgewandt hatte und aus der Wohnung gestürmt war. Und dafür, für all das, was Heero hatte durchmachen müssen, hatte dieser ihm auch noch verziehen!! So dreckig war Duo sich in seinem gesamten Leben noch nicht vorgekommen. Den Zettel wieder vorsichtig zusammenfaltend und in seine Brusttasche schiebend, erhob Duo sich, trat zum Sofa und betrachtete die Drei. Die Welpen, die ihn anstarrten, mit einer Mischung aus Angst und Misstrauen. Er wusste, der Weiße würde zuschnappen, wenn er auch nur versuchen würde, seine Hand auszustrecken. Und Heero, verletzt, wegen seiner Unachtsamkeit, reglos auf dem Sofa. Mit einem weiteren Blick auf die Jungen öffnete er die Brotbox auf dem Tisch, nahm das erste Brot und hielt es ihnen vor die Nase, wohl wissend, dass sie sicher nichts annehmen würden, das er gemacht hatte. „Habt ihr beiden Hunger?", fragte er, seine Stimme so ruhig und sicher wie nur eben möglich haltend. Heeros schneeweißes Ebenbild sah ihn nur einmal abschätzend an, bevor er sich, herablassend knurrend, von dem Essen abwandte, seine Schnauze stattdessen unter den Vorderläufen seines Vaters vergrub. Der Silberne schnüffelte wenigstens, bevor er dem Beispiel seines Bruders folgte und sich von ihm abwandte. „Das heißt dann wohl soviel, dass du Jullan bist", stellte Duo fest, wobei er den weißen Welpen betrachtete, der bei der Nennung seines Namens tatsächlich kurz zusammenzuckte, ihn noch einmal seltsam ansah und sich anschließend wieder zusammenrollte. „Das bedeutet, du bist Juthian", schloss Duo, während er den Silbernen betrachtete, der ihm tatsächlich erstaunlich ähnlich war. Wie gern hätte er die Beiden gestreichelt und beruhigt, doch er wusste, im Moment hätte es die Zwei nur noch mehr verschreckt, also ließ er von dieser Idee wieder ab, zog sich den Stuhl noch näher zum Sofa, legte das Brot neben die Kleinen und betrachtete Heero. „Ich will eurem... Vater... sicher nichts zuleide tun", besänftigte Duo die Welpen. Was die Beiden aber bezüglich seiner Person nicht wirklich umzustimmen schien. ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Heero erwachte von dem grauenvollen Brennen, dass sich fast seinen gesamten Rücken herunterzuziehen schien, während seine rechte Körperhälfte sich fast taub anfühlte, durch den einsetzenden Heilprozess. Es war alles gut gegangen. Er erinnerte sich noch an den unendlichen Schreck, als er Duo hatte mitten auf der Straße stehen sehen, den Lieferwagen, der auf diesen zugerast war, ohne dass Duo auch nur Anstalten gemacht hatte, etwas zu unternehmen. Er war gesprungen, hatte sich noch während des Sprunges transformiert. Er hatte es geschafft, seinen Geliebten rechtzeitig erreicht, ihn niedergedrückt, so, dass der Wagen über sie hatte fahren können, ohne sie zu verletzen. Was machte es da schon dass er verletzt war? Duo würde leben, das war das letzte Geschenk, das er seinem Geliebten erst einmal machen konnte. Sein Entschluss stand fester denn je. Würde er den Anderen nie wieder sehen, würde er sich nicht mehr beherrschen können und so sehr er Duo auch liebte, er war und würde nie bereit sein, zu betteln, um von diesem in Ruhe angehört zu werden. Die Kinder! Siedend heiß fiel ihm ein, dass sie je immer noch im Freien waren, versteckt unter dem Busch, zu dem er sich mit letzter Kraft geschleppt hatte! Wie hatte er das nur vergessen können! Hastig hob er den Kopf. Eine Bewegung, die er sofort bereute, so viel Schmerz löste sie aus. Er brauchte mehrere Sekunden, um seine Augen anschließend wieder aufzuzwingen und noch länger, um klar sehen zu können. Aber da lagen sie, alle Beide, dicht an ihn gekuschelt, die Schnauzen unter seinem Vorderlauf vergraben, während Jullan mal wieder seinen Vorderlauf über den Rücken seines Bruders gelegt hatte. Ganz langsam initialisierte Heero die Transformation, beobachtete, wie seine Vorderläufe sich in die Länge zogen, das Fell mit der Haut verschmolz, seine Pfoten sich zu einer schlanken Hand ausbildeten. Als die Verwandlung abgeschlossen war, ließ er sich zurückfallen, hob die Kleinen, die offensichtlich fest schliefen, in seine Arme. Er konnte nicht riskieren, dass die Kinder sich unbewusst zurückverwandelten und ohne einen Erwachsenen gefunden wurden. So würde es aussehen, als wäre etwas Schreckliches geschehen, doch er würde da sein. Es war das Sicherste. Heero wusste, dass der Heilprozess sich so wesentlich länger hinziehen würde, als wenn er in Wolfsgestalt geblieben wäre, doch was machte das schon? Die Sicherheit der Kleinen ging einfach vor. Müde schloss er die Augen, Er fühlte sich schrecklich zerschlagen, nicht in der Lage, sich aufzuarbeiten. Er würde erst einmal hier schlafen müssen, wo er war, stellte erleichtert fest, wie warm es war. Etwas Schlimmeres, als eine Erkältung würde er kaum davontragen. Und am nächsten Morgen musste er sich zuerst bei der Maklerin entschuldigen und das Haus kaufen. Egal zu welchem Preis. Es schien ihm ideal für die Kleinen. Und es war weit, weit weg von Duo. Vielleicht endlich die Gelegenheit für ihn, sich von der Vergangenheit zu lösen, die ihn so schmerzte. Es würde nicht lange dauern. Kleidung packen, einige wenige Kisten mit Geschirr und dem Notwendigsten, der Sessel für die Kleinen. Vielleicht konnten sie schon in drei Tagen im neuen Haus sein. Je schneller, umso besser... ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Er musste eingeschlafen sein, stellte Duo fest, als er aufwachte, weil sein Kopf herabgesackt war. Rasch richtete er sich wieder auf. Sein erster Blick galt dem Sofa. Oh! Was...? Wann war Heero denn zu sich gekommen? Da lag er, nackt, mit den kleinen Fellbündeln, die er schützend in seinen Armen hielt. Er hatte sich kaum verändert, mal davon abgesehen, dass er älter geworden war und selbst im Schlaf ein ernster Ausdruck über dem fein gezeichneten Gesicht lag, der keinen Zweifel daran aufkommen ließ, was dem blühen würde, der sich den Kindern näherte. Heero war noch immer muskulös und durchtrainiert, hatte kein Gramm Fett angesetzt. Die kurzen, braunen Haare fielen ihm wirr über Stirn und Augen. Das Gesicht war von dem leichten Fieber gerötet, dass der Heilprozess immer mit sich brachte. Warum hatte Heero nur seine Form verändert! Als Wolf wäre es doch alles viel schneller gegangen! Leise seufzend erhob Duo sich, befreite die auf dem Boden liegende Decke von den Akten, breitete sei aus und trat zurück zum Sofa. Er blickte herab auf den Mann, den er immer noch so liebte und den er offensichtlich so verletzt hatte. Er sah die vertrauten, dünnen, weißen Streifen der alten Narben, die sich von der sonnengebräunten Haut abhoben. Aber da war noch eine, die er nicht erkannte. Sie zog sich quer über den Unterbauch und war wesentlich breiter, als die Anderen, unsauber, gezackt, teilweise ausgefranst. So, wie ein Kleidungsstück, wenn es riss, weil man durch Dornen gerannt war. Mit gerunzelter Stirn ließ Duo seinen Blick von dem Strich zu den Welpen wandern, die sich an ihren Vater kuschelten und die endlich schliefen, nachdem sie ihn fast den gesamten Tag nur angestarrt hatten. Er musste nicht lang überlegen, warum diese Narbe entstanden war. Heero neigte nicht zu Selbstverstümmelung, wenn es nicht einem guten Zweck diente. Er wusste, der Jüngere hätte niemals einen Arzt hinzugezogen und er war ja nicht da gewesen, um zu helfen... Es war ein Wunder, dass Heero das überlebt hatte!! Vorsichtig breitete Duo die Decke über Heero aus, so, dass von den Welpen in seinen Armen gerade noch die Schnauzen herauslugten. Dann betrachtete er die Ausläufer der frischen Wunde, die sich an dessen Hals entlang zogen, wobei er sich ernstlich fragte, wie der Andere nur darauf liegen konnte, ohne vor Schmerz zu schreien! Sanft fuhr Duo durch die wirren Haare, strich sie dem Jüngeren aus der heißen Stirn. Wie lange hatte er sich nur schon danach gesehnt, Heero berühren zu können und wie lang hatte er dickköpfig darauf beharrt, dies nicht zu tun, weil der Jüngere ihn betrogen hatte! „Jetzt hast du mich wieder am Hals, Yuy", stellte Duo fest, während seine freie Hand über den leicht knisternden Zettel in seiner Brusttasche glitt, den er noch mehrfach gelesen hatte, während er hier gesessen hatte. „Ich lasse dich... euch ... nicht mehr gehen, nie wieder..." ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Mit schnellen Bewegungen warf Duo einige weitere Stücke Fleisch in die bereitstehende und bereits erhitzte Pfanne, in der das Fett sofort zu brutzeln begann, als die saftigen, dünnen Scheiben dazu kamen. Es war fast Mittag, die Welpen hatten sicher auch langsam Hunger, bedachte man, dass sie seit dem Vortag nur die drei Brote gegessen hatten. Von ihm selbst mal ganz zu Schweigen und auch Heero würde die Nährstoffe für den Heilungsprozess brauchen. Während das Fleisch in der Pfanne briet, goss Duo noch schnell die Kartoffeln ab und schüttete sie in eine bereitstehende Schale, die er auf das Tablett stellte, wo schon Geschirr und eine Schüssel mit Bohnen wartete. Der Langhaarige nickte zufrieden und betrachtete sein Werk. Es war ein gesundes, ausgewogenes Essen, das er, wegen der Kleinen, kaum gewürzt hatte. Rasch legte er nun noch die Fleischscheiben auf den bereitstehenden Teller, beförderte diesen mit auf sein Tablett, hob es an und lief zurück in seinen Wohn- und Schlafraum. Er hatte auch, unter dem lautstarken Protest der Kleinen, Heeros Wunde ein weiteres Mal versorgt und diesmal verbunden. ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Als Heero das nächste Mal erwachte, stellte er fest, dass der Schmerz zu einem dumpfen, erträglichen Pochen im Hintergrund abgeklungen war. Genug, um seine Kleidung wieder zusammenzusuchen und die Kinder erst mal wieder heil nach Hause zu bringen. Sie mussten doch sicher Hunger haben! Einmal hatte er gemeint, sie wie verrückt bellen zu hören, hatte das aber für einen Traum abgetan. Seine Finger tasteten über den Untergrund – und brachten ihn dazu, zu stocken. Das hier war kein Gras! Er war nicht mehr im Park! Verdammt! Ganz ruhig, befahl Heero sich selbst. Panik war das Letzte, was er nun gebrauchen konnte. Nachdenken! Er tastete weiter, spürte aber dann zu seiner Erleichterung, die beiden Kinder an sich gekuschelt, wieder in Menschenform, zu seiner Überraschung sogar unter einer dicken Decke. In Sicherheit. Der Geruch nach frisch angebratenem Fleisch durchzog in dem Moment die Luft, zusammen mit dem Geräusch brutzelnden Fettes. Wie von Hornissen verfolgt, richtete Heero sich auf, weit schneller, als es in irgendeiner Wiese gesund gewesen wäre, zwang seine schweren Augenlider auf, die Arme weiterhin schützend um die Jungen gelegt, die sich nun regten. Nein, kein Zweifel. Das Chaos um ihn herum sprach Bände. „Daddy?" Heero blickte herab, sah in zwei Paar weit aufgerissener, violetter, fragend und verständnislos dreinblickender Augen, die ihn musterten. „Es ist... alles in.." „Oh... du... ihr... seid wach", stellte Duo fest, als er wieder ins Wohnzimmer trat. Nicht nur das, die Welpen hatten ihre Form gewechselt. Und zu seinem Erstaunen erkannte er sie sofort wieder. Die beiden kleinen Jungen, denen er zwei Mal auf dem Spielplatz begegnet war. Die Zwillinge mit den langen, geflochtenen Zöpfen! Warum war ihm diese Ähnlichkeit nur nicht da schon aufgefallen! Sie war doch unübersehbar! Sofort begann Jullan wieder, aus voller Kehle zu knurren, während er sich unbewusst halb über seinen Vater legte. Heero legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf: „Es ist alles in Ordnung, Ju", beruhigte er seinen Sohn, der das Knurren auch tatsächlich einstellte. An Duo gewandt fuhr der Kurzhaarige fort: „Ich... wir... werden dich nicht... weiter... belästigen. Danke… für Alles." Mit einer Hand fischte Heero nach seinem Rucksack, griff hinein und angelte nach der Wäsche der Jungen, um diese wieder anzuziehen. Duo lachte nur. Sein Geliebter hatte sich wahrlich nicht verändert, in all der Zeit. Nicht in den wesentlichen Dingen und seinen Prinzipien zumindest: „Denkst du im Ernst, ich lasse zu, dass du in deinem Zustand irgendwo rumrennst? Mit Fieber, einer offenen Wunde UND zwei Rotzlöffeln? Für wie verantwortungslos hältst du mi...?" „Wir sind nis Rotzlöffel und du bis emein!", brüllte Jullan sofort los, während er sich, nackt wie er war, vor seinem Vater aufbaute. Der Andere tat es ihm nach, nickte fleißig mit. „Ruhig, ihr Beiden", befahl Heero sanft, zog die Jungen zu sich und brachte sie dazu, ihre Unterwäsche überzuziehen, während er zu Duo gewandt sprach: „Ich werde schon klar kommen. Ich musste schon... weit schwerere Situationen bewältigen." Duo schüttelte den Kopf, hielt Heeros Hand auf, die gerade nach den Hosen greifen wollte, blickte dem Jüngeren ruhig in die Augen. Sein Tablett hatte er zuvor achtlos auf den Tisch gestellt. „Ich... Heero, ich weiß inzwischen bescheid", sprach er leise und setzte sich, trotz der bösen Kinderblicke, zu den Dreien auf die Bettkante. „Ich habe... die letzten Tage zum ersten Mal... einen Blick in die Akten geworfen! Ich weiß, dass ich das Arschloch war, nicht du." Kurzerhand friemelte Duo den Zettel aus seiner Brusttasche, hielt ihn vor Heeros Nase: „Du hast geschrieben, dass du mich immer noch liebst, dass du mir verziehen hast, trotz und alledem. Dann gib mir jetzt die Chance, wieder gut zu machen, was ich verbockt habe. Ich werde euch – dich und ... meine... unsere... Kinder – nicht einfach wieder gehen lassen, wo ich euch gefunden habe, nachdem ich dachte, ihr wäret allesamt schon tot!" Die Latzhose, die Heero bis eben gehalten hatte, fiel ihm aus der zitternden Hand, während er dem Älteren in die Augen sah. Noch war die gesamte Bedeutung der Worte nicht zu ihm durchgedrungen, doch er hatte soweit begriffen, dass Duo ihn wieder bei sich haben wollte, dass dieser ihm endlich zu glauben bereit war! Sekundenlang sahen sie sich einfach nur an. Duo sah, wie Tränen in die Augen des Jüngeren schossen, spürte die Hand in seiner zittern. Er merkte nicht den ungläubigen Blick der Jungen, als er seine andere Hand hob und Heero die erste Träne von der Wange strich, die sich aus den Augenwinkeln gelöst hatte. „Ich lasse dich nicht noch einmal gehen, ich werde dich nicht noch einmal verlieren!" „Daddy!", unterbrachen in dem Moment zwei kleine, empörte Stimmen diesen Augenblick. „Was gibt es, ihr Beiden", fragte Heero, wobei er kurz auf die Jungen herab sah. „Wer isser? W’rum fasst er dis an? W’rum beißt du ihn nis?"„, verlangte einer der Beiden mit überraschtem Unterton zu wissen, wobei er dazu übergegangen war, an seinem Zopf zu knabbern – so, wie Duo es bis heute tat, wenn er angestrengt nachdachte. „Er", Heeros Blick wanderte zurück zu Duo, er blickte kurz in dessen topasfarbene Augen, wandte sich dann den Kindern zu, zog sie Beide zu sich auf den Schoß, zeigte auf ihn: „Er ist... euer Dad." Duo ließ erstaunt die Luft aus seinen Lungen, die er instinktiv bei der Frage angehalten hatte, lächelte den Jüngeren sanft an, strich noch einmal über dessen Hand, bevor er den Jungen über die unordentlichen Haare wuschelte: „Tscha – so sieht’s dann wohl aus, ihr Beiden. Was bedeutet, dass ihr aufhören solltet, mich ständig zu zwicken! Aber jetzt wird gegessen, bevor es noch ganz kalt wird!" ~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~+~ Leise trat Duo an den Türrahmen, an dem Heero schon seit Minuten reglos lehnte, den Blick in das dunkle Zimmer gerichtet. Er konnte nicht anders, musste den Anderen einfach in die Arme schließen, wobei er sein neu gefundenes Glück kaum fassen konnte. Da, unter der Decke des breiten, großen Bettes sah er die beiden Jungen liegen, Arm in Arm, auf der einen Seite ein reichlich mitgenommene Teddy, auf der Anderen eine vollkommen ruiniert wirkende Decke. Seine Kinder. Ein seltsamer Gedanke... „Sie sind so süß", flüsterte er gerührt. Sie waren nach dem Mittagessen in Heeros Wohnung zurück gefahren, auf dessen Drängen hin, dass es für die Kinder das Beste sei. Wie überrascht war Duo gewesen, als sich herausgestellt hatte, dass es die Wohnung gewesen war, die er damals so wütend verlassen hatte! Sogar seine Seite im Kleiderschrank war noch frei gewesen und die Kleider die er da gelassen hatte, ordentlich zusammengefaltet in den fast leeren Fächern. Er wollte morgen noch den Rest seiner Sachen hierher zurück transportieren und dann den Mietvertrag für die Wohnung kündigen. Er brauchte sie schließlich nicht mehr. Nur sein Sessel war grauenvoll zugerichtet gewesen, übersät mit kleinen Biss und Kratzspuren. Wohingegen der kleine Kratzbaum den Eindruck erweckt hatte, neu zu sein... Heero lächelte leicht unter den Tränen. Er stand schon eine Weile da, nicht fassen könnend, was sich in den letzten vierundzwanzig Stunden zugetragen hatte, er hatte nicht einmal gemerkt, wie er begonnen hatte, zu weinen. Und diesmal nicht, weil er vor Einsamkeit fast zerrissen wurde, sondern einfach nur, weil er nun erst merkte wie der Teil seines Herzens, den er schon so lange für tot gehalten hatte, wieder zum Leben erwacht war. Er leistete sich den Luxus, sich zurück in die starken Arme hinter sich zu lehnen. „Es sind deine Kinder", gab er simpel zurück, sog den Duft des Älteren tief in sich auf. „Unsere", korrigierte Duo nur, strich Heero über die Wangen und stellte zu seiner Überraschung fest, wie feucht sie waren. „Was ist los?", fragte er leise. „Nichts", wehrte Heero sofort ab. „Nichts", wiederholte Duo mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ich bin einfach nur glücklich", versuchte Heero sich zu rechtfertigen. „Komm", befahl Duo, drängte Heero entschlossen in ihr altes Schlafzimmer und manövrierte den Jüngeren auf das Doppelbett. „Du brauchst Ruhe, du hast immer noch Fieber." „Mir geht es gut", gab dieser nur ruhig zurück, ließ es aber geschehen. Als habe es die Jahre getrennt voneinander zwischen ihnen nie gegeben, begann Duo, den Jüngeren auszuziehen, bis dieser nur noch in Boxershorts im Bett lag, tat dasselbe mit sich und legte sich zu seinem Geliebten und zog diesen bestimmend in seine Arme: „Ich lasse dich nie wieder los!" „Das hoffe ich", murmelte der Kurzhaarige zurück, verkroch sich noch tiefer in der Umarmung. Vorsichtig, als habe er Angst, seinen Geliebten verletzen zu können, zeichnete Duo die lange Narbe auf dessen Unterbauch nach: „Ich bin ein Schwein", warf er sich selbst vor. „Da hättest du mich einmal wirklich gebraucht..." „Und du warst nicht da", vollendete Heero den Satz, ohne Vorwurf, schlang seine Arme um den Älteren: „Ich habe es überlebt und die Kinder auch. Hör auf, dir Vorwürfe zu machen." „Aber...!" „Halt mich einfach nur fest", gab Heero leise zurück, während er seinen Kopf wie früher auf Duos Brust legte, sich von dessen gleichmäßig klopfenden Herz in den Schlaf wiegen ließ... „Nie wieder", bestätigte Duo nur fast lautlos, während er seine Arme noch enger um die Taille des Jüngeren schlang, durch dessen seidige Haare strich. „nie wieder..." °~°~Owari°~°~

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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2013

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